-1 COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Der Acht-Sekunden-Ritt: Rodeo als Extremsport und Alltagsgeschäft Ein NACHSPIEL von Max Böhnel (Deutschlandradio, 13. Januar 2013) -2 Atmo 1 Kirmes – Hühner krähen Autor: Kirmes an einem Ort namens New Braunfels, im südlichen Texas, dort, wo der Rodeosport tief verwurzelt ist. Es geht ländlich zu auf dem jährlichen Bezirksvolksfest: mit einem Rahmenprogrann, das Wettbewerbe für die stattlichsten Hähne, Ziegen, Kälber und Säue ebensowenig auslässt wie ein Karussell, ein Riesenrad und landwirtschaftliche Geräte. Atmo 2 Traktortuckern Autor: Ein alter Traktor tuckert durch den Schlamm. Es hat geregnet. Aber das ist den Cowboys, die billiges Bier aus Büchsen trinken, egal. Denn es geht geruhsam zu, es ist Samstag Nachmittag , und man ist unter sich. Sie sind unschwer zu erkennen – sie tragen karierte Hemden, Lederboots, ausladende Hüte, schwarz oder braun, sowie Blue Jeans. Und die Gürtelschnallen sind grösser als anderswo. Atmo 2 Traktortuckern abblenden Autor: Es ist ein wenig wie im Film: der Fremde mit dem Mikrophon in der Hand wird argwöhnisch beäugt. Als er sich der Gruppe nähert, schweigen alle – ausser dem Scheriff, der seine eigene Uniform trägt, und sich freundlich aus der Gruppe löst. Scheriff Mark Curtis, ein weisshaariger Mitsechziger mit Schnurrbart, arbeitet auf dem Volksfest. Als Polizist zeigt er Präsenz, aber als Privatmann freut er sich auch auf die Abendveranstaltung, auf das Rodeo. O-Ton 1 Scheriff Curtis: Ich arbeite hier, aber Rodeos machen auch Spass. Sie haben hier Stierreiten, das Zureiten von Wildpferden, Kälberfangen – mir persönlich gefällt das Bullriding am Besten. Autor: Das Bullenreiten ist die Königsdisziplin im Rodeo. Angekündigt sind einige der besten Stierreiter überhaupt. Losgehen wird es laut Programm mit -3 Bareback Riding, das ist das Reiten auf einem Wildpferd mit und ohne Sattel, mit dem Einfangen von Kälbern mit dem Lasso vom Pferd aus, und mit dem Barrel Race, dem Rennen um Tonnen, ebenfalls eine traditionelle Rodeo- Disziplin. Dabei gibt es entweder Punkte oder es geht um die schnellste Zeit. Das Rodeo in New Braunfels ist eines von fast Tausend, die in dieser Grössenordnung von Frühjahr bis in den Spätherbst in den USA veranstaltet werden. An der Vorbereitung beteiligt ist der Verband der professionellen Rodeoreiter, die „Professional Rodeo Cowboys Association“. Jede Disziplin wird von örtlichen Firmen oder Banken unterstützt, um die Preisgelder auszahlen zu können. Allzu üppig sind sie auf einem Durchschnittsrodeo wie dem in New Braunfels nicht. Atmo 3 Kirmes Autor: Direkt neben dem Volksfestplatz befindet sich die Rodeo-Arena. Ein Oval, etwas kleiner als ein Fussballstadion. An der einen Längsseite finden etwa 1000 Zuschauer unter einer überdachten Tribüne Platz, an der anderen werden sich die Cowboys, die Pferde-und Bullenbezwinger sowie die Reiter versammeln. Hinter den Gattern weiden ein paar Dutzend Tiere, die meisten durch weitere Gatter voneinander getrennt. Auf einer überdachten Empore gegenüber der Zuschauertribüne wird ein Mann mit einer berühmten Stimme Platz nehmen und das Publikum durchs Rodeoprogramm führen. O-Ton 2 Throckmorton: „My name is Charlie Throckmorton“ Autor: Charlie Throckmorton kennen eingefleischte Rodeo-Fans von Grossveranstaltungen aus dem Sportfernsehen. Seinen riesigen Wohnwagen, in dem es ein Wohnzimmer, zwei Schlafzimmer, eine Küche und ein geräumiges Bad gibt, hat er etwas abseits geparkt. Damit reist er seit vielen Jahren durchs Land. Er sitzt bereits fertig gekleidet auf einem Ledersessel im Wohnzimmer – in einer Viertelstunde wird er das Ereignis eröffnen. O-Ton 3 Trockmorton: -4 Ich bin der Stadionsprecher, ich moderiere die Show. Ich bin seit 30 Jahren beim Rodeo dabei. Autor: Charlie Throckmorton war Rodeosportler und ist mit Leib und Seele Rodeoprofi geblieben. Er wuchs als Kind und Jugendlicher damit auf einer Farm in Texas auf. Später versuchte er sich als Kälberfänger mit Lasso, aber er schaffte es damit vom athletischen Gesichtspunkt her, wie er sagt, gerade einmal bis in die Mittelklasse. Er sei jedoch, und darauf besteht Trockmorton, seit seiner Geburt mit einer grossen Klappe gesegnet – und daher prädestiniert gewesen für diesen Job. Charlie Throckmorton ist Mister Rodeo – so jedenfalls gibt er sich. O-Ton 4 Throckmorton: Üben muss man viel, in allen Disziplinen, wenn man im Rodeo gut sein will. Man muss sich wie im Golf an den Schlagrhythmus gewöhnen. Im Rodeo muss man neben dem Rhythmus auch die richtige Einstellung mitbringen. Körperliche Fitness ist wichtig, aber ich finde, dass man geistig noch mehr mitbringen muss. Denn man muss sich sagen können, dass man die Besten der Welt schlagen kann, und man sollte davon überzeugt sein. Im Rodeo sagen wir: wenn Du diese Einstellung nicht mitbringst, dann bleibe auf Deiner Veranda hocken und spiele mit den Welpen. Autor: Charlie Throckmorton trägt standesgemäss Cowboystiefel und ein rotes, besticktes Rodeohemd mit Abzeichen von Sponsorenfirmen. Der Kontrast zwischem seinem ausladenden weissen Schnauzbart und dem riesigen schwarzem Stetson auf dem Haupt ist bestechend. Rodeo ist heute für alle Beteiligten Showbusiness und hartes Geschäft, nicht mehr so wie früher – daran lässt Throckmorton keinen Zweifel aufkommen. O-Ton 5 Throckmorton: -5 Der Mann, der früher von der Ranch kam, war rau und eckig. Er ging in den Madison Square Garden, nach Boston, Calgary und Cheyenne, um auf den ganz grossen Rodeos Geld zu verdienen. Er trainierte mit Whiskey und Wasser. Heute dagegen wird zuerst gerechnet: kann ich Zeit, Training, Aufwand, Reisekosten und Gewinnchancen so kombinieren, dass ein guter Überschuss für mich bleibt. Entsprechend kalkulieren die Rodeo-Profis heute ihre Trips durchs Land. Früher war alles viel langsamer, heute muss alles schnell gehen. Autor: Schnell und mit Hightech, da bleibt für die Cowboyidylle von einst heute keine Zeit mehr übrig. O-Ton 6 Throckmorton: Das Rodeo hat sich stark verändert. Es ist eine Wissenschaft geworden. Jeder hat eine höhere Bildung genossen, jeder hat einen IPad, einen Ipod. Die Wettbewerbe werden computerisiert, man muss den Sport als Business begreifen, um mithalten zu können. Das hat nichts mehr mit der Farm und der Ranch und dem alten Cowboy zu tun. Autor: „Rodeo – Ansager oder Announcer“ ist Throckmortons Hauptberuf. In Kombination mit seiner Tätigkeit als Sprecher für Fernsehwerbung geht es ihm finanziell sehr gut. Musik 1 (ab 0.00) „Rodeo“ – im Folgenden unterlegen Autor: So gut abgesichert wie Throckmorton ist die Mehrzahl der Rodeoprofis dagegen nicht. Die jungen Cowboys, die sich entschließen, diesen Beruf zu ergreifen, wissen, dass sie ein Wagnis eingehen – finanziell wie auch gesundheitlich. Dieser Tatsache wird sogar in der amerikanischen Popkultur Rechnung getragen. In dem Countryhit „Rodeo“, gesungen von Garth Brooks, ist von Cowboy-Romantik nichts zu hören, im Gegenteil. -6 Musik 1 (bei 0.37) aufblenden: „It´s that damned old rodeo…Well, it´s bulls and blood, it´s dust and mud, it´s the roar of the Sunday crowd, it´s the…” Autor: Das alte verdammte Rodeo, heißt es in dem Song, Bullen und Blut, Staub und Dreck, der Zuschauerlärm. Rodeo – das sind festgekrallte Fingerknöchel, Gold in der Gürtelschnalle, lederne Stiefel und Beinschützer, Cowboyhüte, Sporen und Peitschen, Seile und Riemen, und Freude und Schmerz – das nennen sie Rodeo. Musik 1 abblenden Atmo 4 Stadionsprecher: “We hear from all kinds of news and media, and cowboys sometimes worry….” Autor: Die Zuschauertribüne hat sich gefüllt, Stadionsprecher Charlie Trockmorton hat Platz genommen, die blau-weiß-rote Fahne wird aufgezogen. Die Nationalfahne symbolisiere eine Nation unter Gott, stimmt Throckmorton die Menge ein, das war immer so, und es wird immer so bleiben. In diesem Sinne beten wir zu unserem himmlischen Vater. Atmo 4 Stadionsprecher (0.52) „and in Jesus Christ, Amen“ Autor: In den USA gehören christliche Gebete, Nationalismus und Fahnenkult zu jeder öffentlichen Sportveranstaltung. Im Rodeo geht es dabei besonders konservativ zu. Denn die Disziplinen gehen auf die traditionellen Arbeiten der Landarbeiter, der Cowboys, zurück – was die heute 76-jährige Gayle Woerner seit Jahrzehnten studiert. Die in Texas lebende Autorin hat ein halbes Dutzend Bücher über die Geschichte des Rodeo geschrieben – ein von Natur aus konservatives Gewerbe, sagt sie. -7 O-Ton 7 Gayle Woerner: Rodeo kommt vom Land, von Ackerbau und Viehzucht. Früher waren 80 Prozent der USA ländlich. Land zu besitzen und zu bewirtschaften fördert in Einem fast zwangsläufig das Konservative. Ich habe in Colorado selbst Land. Das bedeutet mir alles. Dadurch habe ich eine besondere Verbindung zu meinem Land. Es fördert den Patriotismus und einen starken Glauben. Atmo 5 (ab 0.00) Stadionmusik „We stand shoulder to shoulder...“ Autor: Inzwischen reiten fünf junge blonde Frauen im Galopp durch die Arena. Vier sind in Glitzerkostüme in den Nationalfarben blau, weiß und rot gekleidet. Die in der Mitte trägt eine Armeeuniform und lässt eine US-Fahne im Galopp wehen. Charlie Throckmorton, der Stadionsprecher, lässt dazu aus den Lautsprechern Militärmusik ertönen. Atmo 5 (bei 0.28) Schuss / (bei 0.38) Stadionsprecher “For Freedom and Democracy“ Autor: Ein Platzpatronenschuss, und dann weist Throckmorton darauf hin, dass es auch um Freiheit und Demokratie gehe. Atmo 5 Stadionmusik (0.58) „We are soldiers“ Atmo 6 Überblenden in Nationalhymne Autor: Ortswechsel: von der Zuschauerseite, wo zur Nationalhymne alle aufstehen, hinüber zu den Rodeo-Cowboys, den Pferden und Bullen. Die erste Disziplin ist das „sattle bronc riding“. Der Reiter versucht dabei, sich mindestens acht Sekunden lang auf dem Sattel des Pferdes zu halten. Das wiederum ist dazu abgerichtet worden, Reiter mit wilden Sprüngen und einem Buckelrücken abzuschütteln. Vor dem wilden Ritt befindet sich das Pferd in der Startbox. Der Cowboy besteigt es von oben und hält sich mit einer Hand an einem Strick fest, der am Halfter befestigt ist. Wenn die Helfer das Gattertor zur Arena hin -8 aufgerissen haben, stürzen Pferd und Reiter in die Arena. Der Cowboy versucht, mit dem freien Arm die heftigen Buckelbewegungen des Pferdes auszubalancieren. Atmo 7 Arena Autor: Dieselben Regeln gelten für das Reiten ohne Sattel. Craig Wisehard ist aus Colorado nach New Braunfels gereist und hat seinen Ritt soeben erfolgreich absolviert. Er hat acht bange Sekunden auf einem Pferd namens Coates Cast ausgehalten und ist heil heruntergekommen. Der Adrenalinschub ist ihm deutlich anzusehen. Craig Wisehard wischt sich den Dreck aus dem Gesicht. O-Ton 8 Wisehard: Das war super. Ich brauche heute nur Seife und Wasser zum Abwaschen. Ich bin halt ein Cowboy und verbringe mein Leben auf der Strasse, jedes Wochenende in einer anderen Stadt, und ich verdiene mein Geld -alle acht Sekunden. Ich trainiere auf einem Ding namens „Spur Board“. Es ist aus Holz gemacht und mit Stoff bespannt, und es hat die Form eines Pferderückens. Man sitzt darauf und übt die Bewegungen. Der Rest besteht aus Konditionstraining, vor allem Muskelübungen für Beine und Oberschenkel. Autor: Craig Wisehard nimmt eine Nackenrolle ab. O-Ton 9 Wisehard: Beim Rodeo-Reiten gibt es die heftigsten Nackenstöße. Das hier verhindert, dass einem der Kopf abgerissen wird. Und mit dem Lederhandschuh hält man sich an der Halterung fest. Wenn man reitet, fühlt es sich rasend schnell an. Vor eineinhalb Wochen bin ich abgeworfen worden. Das Pferd ist mir in die Rippen getreten. Es ist nichts gebrochen, zum Glück, aber Schmerzen habe ich immer noch. -9 Autor: Craig Wisehard ist 25 Jahre alt und lebt Wochenende für Wochenende mit diesem Risiko. Der junge Rodeocowboy spricht ganz offen über seine finanzielle Situation. O-Ton 10 Wisehard: Rodeo ist mein Beruf seit fünf Jahren. Ich konzentriere mich aufs Barebackriding. Ich bin heute Vierter geworden und kriege dafür 250 Dollar. 60 Dollar kostete die Eintrittsgebühr, 100 kosteten die Reise hierher und die Unterkunft. Da bleiben mir also 80 Dollar. Ein Sponsor wäre nicht schlecht. Autor: So wie Craig Wisehard lebt die übergroße Mehrzahl der Berufs- Rodeocowboys am Rande des Existenzminimums. Nur in einigen wenigen Rodeos winken höhere Preisgelder. Der Höhepunkt der Saison ist jedes Jahr das National Finals Rodeo in Las Vegas. Die 15 Finalisten pro Disziplin, die es dorthin schaffen, haben in den Vormonaten mindestens 80 Rodeos erfolgreich absolviert und sind dabei Zehntausende von Meilen durch die USA gereist, fast immer mit dem Auto – und sie sind unverletzt geblieben. In Las Vegas erhält der Sieger in einer Disziplin immerhin 16.000 Dollar – was sich im Vergleich zu anderen risikoreichen Profi-Sportarten in den USA aber lächerlich gering ausnimmt. Angesichts dieser Finanzlage ist es deshalb nicht verwunderlich, dass sich die Cowboys um Sponsoren reißen. Das bestätigt der Stadionsprecher Charlie Throckmorton. O-Ton 11 Throckmorton: Sponsoren sind alles. Das ist wie beim NASCAR-Autorennen. Es kostet viel Geld, so einen Beruf zu haben. Ich habe es gut. Denn als Stadionsprecher bekomme ich ein festes Honorar. Ich weiß von vorneherein, wie hoch es ist. Die Cowboys nicht. Ein Glück, dass es Sponsoren gibt. Ich nenne sie Partner. -10 Autor: Aber bekannte Marken, etwa von Jeansherstellern, unterstützen gerade ein paar Dutzend Rodeo-Profis mit Geld. Der Rest muss sehen, wo er bleibt. Ein anderer Rodeo-Cowboy hat sich gerade mit Knie-und Rückenbeugen aufgewärmt. Er heißt Tyler Olexa und ist 19 Jahre alt. O-Ton 12 Olexa: Rodeo wollte ich schon als kleiner Junge machen. Ich habe mir das immer im Fernsehen angeschaut. Irgendwann bin ich dann auf einen Bullen gestiegen, aber er hat sich nicht bewegt, dann haben sie mir gesagt: benutze Sporen. Ich wusste nicht, was das sind. Sie sagten, tritt damit zu. Das habe ich gemacht, und dann fing er an, sich aufzubäumen. Das hat riesigen Spaß gemacht. Seitdem bin ich dabei. Heute ist es mein Leben. Ich versuche, damit Geld zu verdienen. Autor: Tyler Olexa ist als Bullenreiter vergleichsweise schmächtig. O-Ton 13 Olexa: Jedes Wochenende reise ich zu Rodeos, von Süd-Texas über Kansas, Mississippi, Arizona bis Lousiana. Es hängt davon ab, wieviel Geld ich zur Verfügung habe und wo man Geld verdienen kann. Man will natürlich zu den großen Shows reisen. Autor: Sein Traum -es irgendwann einmal nach Las Vegas oder nach Calgary in Kanada zu schaffen. Dort winken sehr hohe Preisgelder und viel Ruhm. In den größten Rodeoshows der Welt kann man mit viel Glück 100000 Dollar verdienen. Aber bis dorthin ist es noch ein steiniger Weg, auch für Tyler Olexa. In seinen drei Rodeojahren hat er schon einige Verletzungen erlitten. O-Ton 14 Olexa: Im Highschool-Rodeo öffnete sich das Tor einmal nicht, als ich schon auf dem Bullen saß. Ich drehte mich irritiert um, und genau dann ging das Gatter auf. Der Bulle warf mich innerhalb einer Sekunde ab und trat auf meinen Rücken: Rippenbrüche, neun Tage Intensivstation. Letztes Jahr brach mir ein Bulle beide Beine. Erst seit Kurzem bin ich wieder fit. -11 Autor: Tyler Olexa stammt aus dem südlichen Texas. Dort begann der Extremsport auf den Bullen, die bis zu 2000 Pfund wiegen. Gayle Woerner. O-Ton 15 Woerner: Früher gab es Schaurodeos mit alten Stieren und Kühen, mit allem, was Hörner hatte. Die Cowboys wollten vorführen, dass sie auf allem reiten können. Diese Tiere waren nicht aggressiv. Sie warfen den lästigen Reiter ab und liefen dann einfach weg. Autor: Dass aus dem Zurechtreiten von Wildpferden ein Wettbewerb bei den Cowboys wurde, ist nachzuvollziehen. Aber warum setzt sich jemand freiwillig auf den Rücken eines wilden Bullen? Gayle Woerner vermutet den Ursprung des „Bullriding“ in der Langeweile und Einöde des Landlebens. O-Ton 16 Woerner: Das muss mehr als 100 Jahre her sein. Wo genau das erste Rodeo war, ist nicht bekannt. Aber ich gehe von der Einsamkeit des Cowboys aus, der auf irgendeiner Ranch lebt und wenig Kontakt zur Außenwelt hat. Er macht das einzige, das er kann, zum Sport. Autor: Ein Anlass für die ersten Bullriding-Rodeos könnte ein 4. Juli irgendeines Jahres im 19. Jahrhundert gewesen sein. Denn zu den traditionellen Umzügen am amerikanischen Unabhängigkeitstag trafen sich alle aus dem Ort: O-Ton 17 Woerner: Die Gemeinde kam zusammen, jeder kaufte sich was zum Essen, Brathähnchen, Kartoffelsalat, gebackene Bohnen. Vermutlich gab es auch ein Baseballspiel. Und dann sagte jemand: Old Joe ist der beste Reiter. Er kann bestimmt auch auf einem Bullen reiten. Ein anderer hielt dagegen: nein, glaube ich nicht. Charlie drüben auf der anderen Ranch kann das viel besser. Sie begannen zu wetten, auf Old Joe oder auf Charlie, und damit war das Startsignal gegeben. -12 Autor: Doch das war noch weit vor den Texas-Bullen. Sie werden erst seit rund 100 Jahren in dem größten US-Südstaat gezüchtet und heißen Brahman-Bullen. Das ist eine Rinderrasse, die besonders den tropisch heißen Regionen der Erde angepasst und resistent gegen Insekten ist. Charakteristisch sind für sie der Höcker und die Hängeohren. Gayle Woerner: O-Ton 18 Woerner: Der Brahman gedeiht im südlichen Texas besonders gut. Nicht so im Norden der USA. Deshalb begann das hier. Autor: Gefährlicher als das Pferderodeo ist das Bullriding vor allem deshalb, weil die aggressiven Brahman-Bullen den Reiter nach dem Abwurf, wenn er am Boden liegt, gerne mit den Hörnern angreifen. Probe aufs Exempel beim Rodeo in New Braunfels: wenn sich ein Beobachter langsam der Absperrung nähert, hinter der die Brahman-Bullen weiden, kommen die Tiere sofort schnaubend an die Absperrung. Atmo 8 Schnauben Autor: Um das Risiko für die Rodeoreiter zu mindern, tritt beim Bullenschaukampf ein weitere Akteur in Erscheinung, der Rodeoclown. Einer der bekanntesten in den USA ist der 58-jährige Leon Koffee. Der Afroamerikaner stammt aus Texas und ist seit seiner Kindheit im Rodeogeschäft. Er sitzt in seinem Wohnwagen am Schminktisch. O-Ton 19 Koffee: Ich war schon mit neun Jahren dabei. Meine Familie war immer mit Vieh beschäftigt. Ich ritt immer gerne wilde Pferde und Bullen. Meine Mutter wollte das nicht. Mein Vater hatte nichts dagegen. Er war selbst Rodeo-Athlet. -13 Autor: Nach der Highschool ging Leon Koffee zur Armee. Auch dort konnte er das Rodeo weitermachen. Profi wurde er danach. Seit 35 Jahren reist er als sogenannter „bull fighter“ von Rodeo zu Rodeo. „Bull fighter“ ist die genauere Bezeichnung für seine Tätigkeit, erläutert Leon Koffee. O-Ton 20 Koffee: In diesem Geschäft muss Du gegen Bullen kämpfen können, und das heißt: die Cowboys schützen. Du musst Dich zwischen den abgeworfenen Cowboy und den Bullen drängen und den Bullen vom Cowboy ablenken, ohne dass jemand dabei verletzt wird. Dazu muss man Athlet sein und Erfahrung haben. Wir sind Berufsathleten. Unsere Aufgabe besteht darin, die Cowboys zu schützen. Autor: Direkt an die Bullen ran geht der 58-Jährige nicht mehr. Das wäre lebensgefährlich. Diese Rolle übernehmen jüngere Helfer. O-Ton 21 Koffee: Ich mache das nicht mehr. Dafür bin ich zu alt. Ich unterhalte die Leute nur noch. Der Bulle hat vier junge Füße, ich nur zwei alte. Wenn ich stolpere, bin ich weg vom Fenster. Autor: Sich als Afroamerikaner in den konservativen Südstaaten in einem konservativen weißen Männersport zu behaupten, erforderte früher eine dicke Haut, die den Rassismus nicht an sich heran lässt, sagt Koffee. Aber heute sei es für Schwarze und Latinos einfacher, vor allem als „bull fighter“ oder Rodeoclown, sagt Koffee. O-Ton 22 Koffee: Deine Fähigkeiten haben keine Hautfarbe. Wenn die Cowboys auf dem Boden liegen und der Bulle auf sie zustürmt, dann rufen sie nach dem Clown. Sie schreien nicht: schick den weißen oder den schwarzen Clown zu Hilfe. Sie rufen: schick den Clown rein. -14 Autor: Für Rassismus oder Politik gebe es im Bullensport in der Arena weder Platz noch Zeit. O-Ton 23 Koffee: Was meinst Du, wie viele Cowboys mich nach dem Ritt auf Biere eingeladen haben? Denn ich habe mich vor so viele Bullen geworfen und sie abgelenkt. Ich habe mir im Lauf meiner Karriere 143 Knochenbrüche zugezogen. Das wissen sie. Und das reißt alle Hürden ein. Es ist egal, ob du Demokrat oder Republikaner, schwarz oder weiß, Chinese oder Indianer bist, wenn es drauf ankommt. Autor: Ist der wilde Ritt auf dem Pferd die klassische Rodeodisziplin, so stellt das Bullriding den spektakulären Höhepunkt zum Schluss einer Veranstaltung dar. Atmo 9 Arena/Gatter öffnet sich Autor: Noch zwei Sekunden. Der Reiter nickt den Helfern zu. Sie öffnen das Gatter -und der 2000-Pfund-Muskelberg schiesst aus der Startbox. Atmo 9 (0.15) laute Stadionmusik/Publikumsjubel Autor: Robson Aragao hat die acht Sekunden soeben überstanden. Sie nennen ihn „Spiderman“, weil er mit einem rot-schwarzen „Spiderman“-Helm und einer „Spiderman“-Schutzweste reitet. Er hat sich vom Rücken des Bullen abgestoßen und ist auf beiden Beinen auf dem Boden gelandet. Der Rodeoclown lenkt den Bullen mit einer Handbewegung ab und rennt weg. Der Bulle wiederum ist anscheinend froh, dass die Show überstanden ist, und lässt sich bereitwillig hinter die Absperrungen der Arena treiben. Robson Aragao lächelt und nimmt lässig seine Beinschützer ab. O-Ton 24 Aragao: Ich bin aus Brasilien und reite in den USA für die Bullrider-Vereinigung. Da kann man gutes Geld verdienen. Ich trainiere jeden Tag in meinem Haus auf Maschinen- Bullen. -15 Autor: Der 32-Jährige Aragao reitet für eine der beiden grössten ProfiBullenreiter- Ligen, für das Championship Bull Riding CBR. 2012 wurde er Drittbester. Aus New Braunfels nimmt er nach zwei erfolgreichen Ritten 750 Dollar mit nach Hause. Kein Glück hat der junge Tyler Olexa. Der Bulle hat den 19-Jährigen schon beim ersten Ritt abgeworfen. Und nicht nur das: Olexa ist unglücklich gefallen und hat sich offenbar ein Bein verstaucht. Er wird von einem Cowboy hinter die Arena geführt. Die Behandlung wird zum Glück von der Rodeovereinigung übernommen. Olexa humpelt. Er ist den Tränen nahe. O-Ton 25 Olexa: Oh Mann, die haben das Gatter zu spät aufgemacht. Der Bulle hat mich gleich abgeworfen. Das war mal wieder nichts, kein Geld, gar nichts, nur Üben. Dann geht es eben zum nächsten Rodeo in der Hoffnung, da zu gewinnen. Autor: Bei einem Durchschnittsrodeo wie dem in New Braunfels, das als Höhepunkt des jährlichen Volksfestes veranstaltet wird, sind keine Kamerateams dabei. Der Verlauf ist allenfalls der örtlichen Zeitung zu Wochenbeginn einen Artikel und ein Bild wert. Trotzdem kommen Rodeos immer wieder ins Gerede, etwa wenn ein schwerer Unfall passiert. Ein schwer verletzter Cowboy oder ein Kalb mit Genickbruch – danach braucht man im Internet nicht lange suchen. Atmo 10 TV-Ausschnitt: “She was only 16 years old, and she had a dream…” Autor: Die 16-jährige Brooke Ann Coats starb vor zwei Jahren beispielsweise, als ein Bulle sie bei einem Amateur-Rodeo in Florida abwarf und dann auf sie trampelte. Atmo 10 (bei 0.25): “She was thrown off a bull and then either kicked or trampled on, and she did later die from her injuries…” Autor: Und das, obwohl sie einen Helm und eine Schutzweste trug. Die Eltern des Opfers hatten zuvor eine Erklärung unterschrieben, wonach sie selbst für -16 einen eventuellen Schaden aufkommen würden. Öfter als Menschen werden bei Rodeos allerdings Tiere verletzt oder getötet. Die Verletzungsgefahr ist zwar nicht so groß wie beispielsweise bei Stierkämpfen. Trotzdem üben Tierschutzvereinigungen Kritik. Zum Beispiel eine der größten in den USA, die Humaine Society. Zitator: Wir sind gegen die Rodeos, wie sie normalerweise organisiert werden. Denn sie sorgen bei den Tieren für Furcht und Stress. Nicht selten verursachen sie Schmerz, Verletzungen oder sogar den Tod. Wir sind gegen das Bullenreiten, Wildpferdreiten, Stier – und Kälberfangen, Wildpferdrennen und Wagenrennen mit Pferdegespannen. Autor: Rodeos seien in eine Reihe zu stellen mit Hahnenkämpfen und Greyhound-Rennen, heißt es bei der Humaine Society. Auch die Tierschutzvereinigung PETA würde Rodeos am Liebsten abschaffen. Auf ihrer Webseite heißt es: „Was im 19. Jahrhundert als Wettbewerb unter Cowboys begann, ist zu einer Show geworden, die auf Gier und Profitstreben beruht“. Der Augenschein beim Rodeo in New Braunfels ergab jedenfalls, dass keines der rund 100 Tiere verletzt wurde. Allerdings war nicht zu klären, ob die Kritik von Tierschützern nicht doch zutrifft. Wenn sich die Stiefelsporen eines Cowboys in die Seiten eines Bullen graben – ist das Tierquälerei, die verboten werden müsste? Interessant ist die Sicht der Rodeohistorikerin Gayle Woerner dazu. Die Kritik der Tierschutzverbände sei meist übertrieben und von Unwissen gekennzeichnet, meint sie. O-Ton 26 Woerner: Da wird seit Jahren herumkritisiert. Ich weiß aber aus eigener Erfahrung, weil ich mit Tieren auf einer Ranch aufgewachsen bin, dass sie ziemlich widerstandsfähig sind. Außerdem würde der Besitzer von Pferden oder Bullen es niemals zulassen, dass seine eigenen Tiere misshandelt werden. Er braucht sie ja zum Geldverdienen. -17 Nur ganz selten werden Tiere beim Rodeo verletzt. Rodeo ist nicht so extrem, wie die Tierschützer es meinen. Wenn sie nur Farmer wären, dann würden sie es besser wissen. Autor: Trotzdem gibt Gayle Woerner zu, dass die Veranstalter mehr Verantwortung zeigen und dazu staatlicherseits mit einem besseren Regelwerk und schärferen Kontrollen gezwungen werden müssten. Angaben zur Musik Musik 1: „Rodeo“ von Garth Brooks, Komponist: Larry Bastian, LC 0249