COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Die Kleine Sprachgeschichte. Thüringisch - Oder: Warum die da so anders sprechen. - Autor Ulrike Greim Red. Claus Stephan Rehfeld Sdg. 19.04.2011 - 13.07 Uhr Länge 18'56" Lizenz Musik Princess Jo + Rest of best feat. Dieter Althaus "Thüringen, das sind wir" Marco Haseney-wma produkctions Nov 2008 H.A.R.M.S. LC 11848 (Anmerkung der Autorin: verwendet habe ich das Stück vier mal: 6 sec, 6 sec, 14 sec, 6 sec.) Moderation Der Thüringer legt allergrößten Wert darauf, dass sein Zungenschlag partout nicht sächsischer Art ist. Die häufige Gleichstellung durch ungeübten Ohren hat wohl etwas mit dem ähnlichen Klang beider Dialekte zu tun. Und: Was früher Thüringisch genannt wurde, wird heutzutage umgangssprachlich als Sächsisch bezeichnet. Es ist also an der Zeit, Klarheit über die SprachGeschichte des Thüringischen zu schaffen, also zu Gehör zu bringen. Die Kleine Sprachgeschichte im Länderreport hilft dabei. Und Ulrike Greim übernimmt gerne die Rolle der Dialektführerin in Sachen Dieringisch. Bitte. -folgt Script Sendung- Script Sendung- Atmo Vogelgezwitscher AUT Da liegt es. Beschaulich grün, herrlich bewaldet. Mitten auf der deutschen Landkarte. Wirklich genau in der Mitte. Thüringen - das ,grüne Herz' Deutschlands. Eine zentrale Region mit zentraler Bedeutung für Kultur und Selbstverständnis einer Nation. Ein Land, das mehr ist. Nämlich ein Freistaat. Eingerahmt von zwei anderen Freistaaten, nämlich Sachsen im Osten und Bayern im Süden, westlich von den Ländern Hessen und ein Stückchen von Niedersachsen und im Norden von Sachsen-Anhalt. Und man pflegt gute Nachbarschaft. Zumindest, solange man sich auch hübsch gegenseitig vom Halse bleibt. Lied (Pop) "Das ist Thüringen. Das sind wir. Wir stehen fest zusammen, Hand in Hand..." AUT Doch mit dem Vom-Hals-Halten ist das so eine Sache. Denn sprachlich ist der kleine Freistaat eingeklemmt zwischen großen Blöcken. Die Hessen, Bayern und vor allem die Sachsen sind nämlich nicht nur wirtschaftlich und damit auch politisch gesehen größere Schwergewichte, sondern eben leider auch sprachlich. Und falls da je ein Rest gewesen wäre von dem, was man essentiell "Thüringisch" nennen könnte, so wäre es zu feinem Sand zermahlen zwischen den übermächtigen Nachbarn. Doch dies zuzugeben wäre vermutlich das moralische Aus für den gestandenen Thüringer. Atmo "Kuckuck" AUT Dabei ist es gar nicht so schwer, dies einmal klipp und klar auszusprechen: Das Thüringische gibt es nicht. Gab es nicht und wird es nicht geben. Aber Achtung! Thüringen wird sprachlich auch nicht zwangsverwaltet von Dresden aus. Und dies genau ist der Trugschluss, den es im Folgenden auszuräumen gilt. Ein für alle Mal: Thüringisch ist Vieles, aber nicht per se sächsisch. Jedenfalls nicht ganz. Und wenn, dann nur ein bisschen. Lied: "Das ist Thüringen - das sind wir." AUT Ja gut, die Sachsen haben das Thüringer Königreich platt gemacht, da schrieb man erst das Jahr 531. Beziehungsweise sie haben es sich ritterlich geteilt mit den Franken, die auch ein gutes Stück vom Kuchen abbekamen. Und sprachlich gesehen hat sich dies bis heute trotz bewegter Geschichte nicht nennenswert geändert. Außer, dass die Hessen auch noch ein wenig hineingeschmeckt haben. Und - man staune - sogar die Niedersachsen. O1 (Wiegand) "Wenn man einmal quer durch Thüringen diese West-Ost-Richtung fährt, hat man erstmal den hessischen Einfluss in der Eisenacher Region und dann kommt man eben in den richtigen Zentralthüringischen Raum. Und Weimar, Jena und viel weiter noch Gera, Altenburg ist dann schon sehr stark der sächsische Einfluss vertreten." Atmo Motoren rauschen an- und abschwellend AUT Thüringen ist sprachlich gesehen ein Transitland, sagt Susanne Wiegand. Sie ist, wenn man so will, die derzeit oberste Fachfrau in Thüringen für das Thüringische. Sie arbeitet am Institut für germanistische Sprachwissenschaften der Uni Jena. In ihrem Büro steht hinter ihr im Schrank das Werk, an dem sie viele Jahre mitgearbeitet hat: das Thüringische Wörterbuch. 1,5 Millionen Worte sind hier erfasst worden, 40 Jahre hat es gedauert, in all die vielen Nuancen hinein zu hören und sie zu erfassen. O2 "Also man durchfährt also drei verschiedene Sprachregionen. Hessisch geprägtes Randthüringisch. Dann das eigentliche Thüringisch und dann das obersächsisch geprägte Ostthüringische." AUT Auf das 'eigentliche Thüringisch' kommen wir noch zu sprechen. Aber wir halten erst einmal fest: Das Thüringische in seiner Gesamtheit ist eine Durchgangssprache. Das gilt übrigens nicht nur für die Ost-West-Strecke von Fulda nach Dresden. Sondern auch in der Längsachse von Nord nach Süd, vom Harz nach Coburg: O3 "Dann hat man niederdeutsche Einflüsse im Norden, findet wieder diesen zentralen Kernraum, also das eigentliche Thüringische, und hat dann im Süden schon den fränkisch geprägten Sprachraum." O4 Lied: "So wollmers han, so wollmers han, ja da bliebm wer noch ein bisschen da. So wollmers ha, so wollmers ha, ja da bliebm wer noch ein bisschen da." AUT Ein Mundartnachmittag in Wernshausen. Eine knappe Stunde südlich von Eisenach. Im Werratal gelegen. Es ist nicht weit bis zur hessischen Grenze. Atmo Gebrabbel, Geschirr klappert. AUT Der Saal im Gemeinschaftshaus ist gut gefüllt. Bestimmt 30 eher ältere Mundartfreunde sitzen an gedeckten Tischen. Rührige Frauen gehen herum und schenken Kaffe ein, es gibt selbst gebackenen Kuchen. Jeder, der etwas hat, darf vortragen. In Mundart versteht sich. Und hier wird gleich deutlich, dass definitiv nicht alle Thüringer sächsisch reden. Rechts hinten zum Beispiel sitzen die aus Breitungen. In ihrer Geschichte erzählt eine Frau von ihren Kindern, und was aus ihnen wurde. O5 "Dabei henn me uns doch so Mühe gegoot, dass was usn werd. Mei - das ist der Voder, die Mudder, die Oma, der Opa. Söö - das sinn uns Kinner. Empfange in Leidenschaft, erwart mit Sodbrenne, uffgezöö in Liebe. Die Gene, die Chromosome und der Nachnome - den hatte mer von der erschte Stund o gemeinsom. Ob wer süs noch was gemeinsames hon, das hot sich später rusgestallt." AUT Stolz sind die Breitunger auf ihren Dialekt. Den scheinen sie in der Tat mit den Chromosomen bekommen zu haben. O6 "Viele von uns han sich schon beim Mache große Mühe gegoo. Bei annere kommense von ganz allei. Aber mei han uns gefrööt. Und mei warn glöcklich bu se da woarn." AUT Dunkle Vokale, das Zungenspitzen-"R" - hier sind wir ganz eindeutig im Süden Thüringens. Von sächsisch weit und breit keine Spur. Stattdessen: viele schön Ausdrücke, die man andernorts nicht kennt. Ein Mann, der als Albert angesprochen wird, testet Redewendungen. O7 "... oder 'scheriggelt'. Was ist 'scheriggelt'? (allgemeines Gemurmel) .. Wer findet eine Erklärung für 'scheriggelt'?" (Gemurmel) (von hinten, leise) "Durch die Gegend schauen" "Geschüttelt" (Albert) "Scheriggelt hat man gesagt für die Kinder, die sich ein bisschen unpraktisch angezogen haben: 'Wie haast dich da wieder zurechtscheriggelt'. Ist das so?" "Jaa." AUT Dies hier ist ein Übergangsgebiet. Es ist ein hessisch angehauchter Teil, der zu Südthüringen gehört. Zu dem Gebiet, das südlich des Thüringer Waldes liegt und grob gesagt zum fränkischen zählt. Das ist wichtig zu erwähnen, weil der Kammweg des Thüringer Waldes eine messerscharfe Sprachgrenze ist. Der Rennsteig scheidet die Geister. Südlich wird das "r" gerollt und die Vokale werden dunkler. Aber das ist natürlich stark vereinfachend gesagt. Denn fränkisch - das weiß man ja von den südlichen Nachbarn - ist nicht gleich fränkisch. O8 "Mei als enner hom wer immer gespielt. In unser Dörf warn etliche Kinner, wir ham immer zusomm gespielt. Da warn Löcher in die Erde gemoacht - Nübbele. Ich weiis nicht, ob er das wiisst. Da hom wer genübbelt. (Gebrabbel) Hüt grin se ja schoan mit zwöllef Kenner, und da hom wer ja noch mit Bubbo und Nübbele gespielt. Was weiß ich. Jedenfalls: da ging der Walter Krech vorbeii, hatte so nen großén Umhang üm, hat die Küh auf die Weide naa getriebe. ...." AUT Kirschkuchen und Schokostückchen werden herumgereicht. Es gibt eine zweite Runde Kaffee. Man muss ihn pflegen, diesen Dialekt. Er heißt hennebergisch. Benannt nach der alten Grafschaft derer zu Henneberg. Die Jenaer Germanistin Wiegand erklärt ihn. O9 (Wiegand:) "Das Hennebergische das hat ganz viele Merkmale schon mit dem angrenzenden Hessischen. Aber auch klingt es ähnlich dem fränkischen. Hessische und fränkische Merkmale finden wir hier. Also so'n Mischgebiet aus hessisch, fränkisch, teilweise thüringisch geprägt." AUT Hier im Südwesten des Freistaates ist das Thüringische also auf der Durchreise nach Hessen und Bayern. Atmo: Motorengeräusche an- und abschwellend AUT Wozu sie sprachlich gehören? Na in ihr Dorf, sagen die Damen am Tisch. Nein, fränkisch sei das nicht. O10 (zwei Frauen:) "Franken sind wir nicht." "Ne." "Thüringer." "Wir sind Thüringer. Mehr Hessen noch." "Nicht so Franken." "Nee, Franken nicht" AUT Es sind nur ein paar Kilometer von Wernshausen nach Breitungen. Doch die Breitunger bestehen darauf: das ist sprachlich ein Heidenunterschied. Schon in den drei Ortsteilen Herrenbreitungen, Frauenbreitungen und Altenbreitungen spreche man verschieden. O11 "Bei uns is ja: ein Ort ist sogar ein bisschen preußisch, das ist Herrenbreitungen, (lacht) ja. Die haben auch unterschiedliche Kirchen. Das ist schon ein bisschen anders, als bei uns in Breitungen. Das kann man schon sagen im Großen - die Überschrift 'fränkisch'. Aber: 's ist doch jedes 'n bisschen anders." AUT Jedes ein bisschen anders - das ist auch die Überschrift für das Thüringische. Hier, südlich des Thüringer Waldes wird es geradezu plastisch. Die Dialektforscherin Susanne Wiegand zeigt die verschiedenen Sprachgrenzen auf einer Karte. Thüringen sieht aus, wie ein Flickenteppich. Lauter kleine Sprach-Parzellen. O12 "Wir haben den markanten Rennsteig. Das ist die Rennsteig-Schranke, die hier verläuft. Und die Rennsteig-Schranke löst sich fächerartig auf in verschiedene Linien, die quer über das Hennebergische verstreut verlaufen bis ins Hessische hinein und ins südlich angrenzende Ostfränkische." AUT Ein Stückchen von Wernshausen aus Richtung Osten und vor allem Richtung Süden kommt das Itzgründische. Da spätestens heißt es selbstbewusst: wir sind Franken. Das sind gestandene Thüringer. Auch wenn die südlichen Thüringer Franken sich schon eher Richtung Coburg orientieren und dorthin eher einkaufen fahren, als nach Erfurt. Dennoch verstehen sie sich als ein eigenes Völkchen. Eines, das nach der Wiedervereinigung gerne zusammen mit den Stammesgenossen auf dem Gebiet des Freistaates Bayern die "Autonome Gebirgsrepublik Franken" gegründet hätte. Aber es hat fei net solle sei. O 13 Lied: "So wolln mers han, so wolln mers han, ja da bliem wer noch ein bissle da..." AUT Allen, die südlich des Thüringer Waldes leben ist gemein, dass sie etwas skeptisch nach Norden schauen. Zu denen, über die die Dialektforscherin Wiegand sagte, sie würden das ,eigentliche Thüringisch' reden. Naja, sagen die Henneberger. Thüringisch ist relativ. Und dann ahmen sie nach, wie man da oben auf der Nordseite des Thüringer Waldes und im Thüringer Becken und da drüben im Ilmtal redet. O 14 "Und die Erfordder und Tambach-Diethorz - das ist alles sächsisch. Weimor, Gouda - das klingt alles sächsisch. Während wir hier, bei uns hier, wir sagen für 'wenig' 'ein bissle'. Und in Kleinschmalkalden sagen sie schon 'ein bisschen'." AUT Man setzt sich gerne ab in Thüringen. Da ist keiner, wie der andere. Deswegen schmerzt es auch, wenn man andernorts erklären muss, dass nicht alle Thüringer sächsisch reden. Und dass es da hammerharte Unterschiede gibt. O 15 (Siegmund) "Das ist 'ne generelle Desinformation. Das ist 'ne Einstellungsfrage. Du kommst in den Westen irgendwo, und musst erklären, wo Erfurt liegt." AUT Christel Siegmund ist eine, die die Mundarten kennt. Sie sammelt Details, ermuntert die Menschen, Mundart zu reden. Ihr sträubt sich das Fell, wenn die Henneberger mit den Mittelthüringern in einen Topf geworfen werden. O 16 "Wir können auch sagen: alles, was westlich ist, ist schwäbisch. So ungefähr, ne?!" O17 Lied (Pop): "Ja so ist Thüringen, so sind wir. Wir stehen fest zusammen, Hand in Hand ..." AUT Wenn die Henneberger nach Norden schauen und von sächsisch sprechen, dann ist das auch wieder nur die halbe Wahrheit. Denn - wie schon erwähnt - gibt es da noch den Thüringer Norden. Und der neigt sich sprachlich bereits ein wenig gegen Nordwesten. Richtung Niedersachsen. O18 (Wiegand) "Im nördlichen Eichsfeld, nördlich von Worbis, Mühlhausen ist ne kleine Region mit 17 Orten, in denen schon niederdeutsch gesprochen wird, obwohl sie noch zu Thüringen gehören. Also da sagt man zum Beispiel Pott für Topf, oder es wird nicht der Wagen gezogen, sondern getrekkt - trekken für ziehen. Oder wenn man richtig kaputt ist, k.o. ist, dann ist mann eben 'dun'." AUT Im Norden ist also das Thüringische auf der Durchreise nach Niedersachsen. Atmo Motorengeräusch auf- und abschwellend AUT Thüringisch - ein dialektaler Flickenteppich. Der hat seine Geschichte. Es gibt noch zarte Einflüsse der Völkerwanderung. Die Slaven haben manche Spuren zum Beispiel in Ortsnamen hinterlassen. Viele sprachliche Eigenheiten sind landschaftsbedingt. Da reichen Siedlungsgrenzen bis an Flüsse - die Werra zum Beispiel, oder die Unstrut. Oder - wie schon gesagt - an Höhenzüge wie den Rennsteig. Wer auf der einen Seite wohnt, versteht die von ,drüben' mitunter nur mit Mühe. Aber gut ablesbar an den Sprachgrenzen sind auch die alten Fürstentümer. Und von denen hatte Thüringen ja genügend im Laufe der Geschichte. Der kleine Freistaat nährt sich im Wesentlichen aus acht Herzogtümern. Die waren nicht groß und hatten keine militärischen Qualitäten. Aber kulturelle. Und damit auch sprachliche. O 19 (Wiegand) "Ja also die starke Zersplitterung des heutigen thüringischen Mundartraumes ist eigentlich auch noch ein Reflex von dieser starken .. von dieser Kleinstaaterei, no? Diese vielen Fürstentümer, die es gab im thüringischen Raum früher, diese politische Zersplitterung reflektiert sich hier." AUT Weimar zum Beispiel hatte als Großherzogtum Sachsen-Weimar natürlich auch sprachlich einen engen Bezug ins sächsische. Sachsen-Weimar-Eisenach und Sachsen-Coburg-Gotha - da hört man es schon am Namen, wo die Orientierung hingeht. Dies darf man allerdings zum Beispiel in Weimar nicht laut sagen. O 20 "Das wees ich nich, warum das so is, dass die uns immer mit den Sachsen vergleichen. Also die Sachsen sind ja sturer wie die Thüringer. Die sinn eben anners." AUT Christa Merkel sitzt mit ihrem Mann zu einem Käffchen am Tisch eines Weimarer Cafe's. Sie stammt aus Tonndorf und lebt dort bis heute, Tonndorf liegt wenige Kilometer südlich im Weimarer Land. Im Ilmthüringischen. In dieser Region spricht man das 'eigentliche Thüringisch', wie die Dialektforscherin Wiegand es nannte. Christel Merkel ist eine ganz gewöhnliche ,eigentliche Thüringerin'. O 21 "Da unten die Sächsischen, die denken wunder wer sie sind. Und mir Dieringer bleim eben Dieringer. Und gelassen und freundlicher." AUT Obwohl, das gibt die Gärtnerin gern zu: die Unterschiede zum sächsischen sind jetzt nicht immens groß. Außenstehende würden das nicht auseinanderhalten können. O 22 "Die denken, wir kommen aus der Leipziger Richtung, oder Sachsen." AUT Aber die wollen's auch nicht verstehen, heißt es in Weimar. Das kennt man ja. Allerdings: den Streit um die Sprache hat die Befragte auch Zuhause. O 23 "Also meine Geschwister sagen immer: kannste nich ma 'n bisschen ordentlicher reden" Aut 27: Manchmal schlägt dann doch ein kleiner Minderwertigkeitskomplex durch. O 24 "Die wohnen noch im Ort. Aber die ham zwischendurch in Leinefelde der eine, der andere in Erford gewohnt, ge? Und die sind das dann irschendwie... die wolln eben en bisschen nobler sein. Ich sach immer: ich bin, wie ich bin, und ich bleibe, wie ich bin. Und da können se mich alle ma gerne .... haben (sie lacht)." AUT Ordentlicher heißt: die hellen Vokale nicht dunkler machen, die harten Konsonanten nicht alle aufweichen. Aber der ,eigentliche Thüringer' hat es nicht leicht, harte und weiche Konsonanten auseinander zu halten. Denn "hardes De und weisches De" klingen nun mal gleich. "Hartes Be und weiches Be" demzufolge auch. Das is für Dieringer gein Broblem. Und dann wäre dann noch die Sache mit dem Rückversicherungspartikel. Der Schwabe fragt 'weischt?', der Berliner 'weeste?' Und der Thüringer hat mindestens zwei solcher Partikelchen. O 25 (Collage) "Ge?, ge?, ge? No? Ge? No? Ge?" O26 "Mir sagen dann ebent 'ge?!' Oder gelle. Bei jedem Wort kommt meine Kollegin ' Was willsten? Sachst schon wedder gelle?'" AUT Aber das Gute am Thüringischen 'ge' ist, dass es auch gern abgewandelt und erweitert wird. In 'gelle?' zum Beispiel. O 30 "Gelle, du hast mich gelle gerne? Gelle, ich dich ooch" AUT 'Ge' ist wahlweise auch abzuwechseln mit dem schön im Hals sitzenden 'no'. O 28 "No?!" AUT Nicht zu verwechseln mit dem sächsischen 'nu', das man in der Region um Dresden spricht. Das Thüringer 'no' wird gerne im Norden missverstanden als englisch oder französisch inspiriertes 'no' oder 'non'. Ist aber, das darf man noch einmal bestätigen, tatsächlich eine Rückversicherung, ob das Gesagte auch verstanden wurde, bzw. ob der Gesprächspartner es ähnlich sieht. Christa Merkels Mann nickt nur und schweigt. O 29 "Der sacht nich viel." Aut 32: Sagt die 57 jährige Frau und klopft ihm lachend auf den Arm. O 30 "Wenner was sagt, muss ich sachen, dann bassts aber ooch." AUT Und zu wem passen die Thüringer? Die Ähnlichkeit im Süden zu den Bayern ist ja nahe liegend. Der Pendelverkehr zwischen den Nachbarregionen ist immens. Falls Thüringen eines Tages vielleicht - man sollte es nicht erwähnen - aber eben doch zu klein werden sollte, mit welchem Nachbarland könnte man sich eine Fusion vorstellen? Mit keinem natürlich. Falls es aber doch nicht anders ginge? Mit den Bayern? Wegen der Franken? O 31 "Bayern und Thüringen? Gottes Willen! Was soll das wärn?" AUT Hessen auch nicht. Bliebe noch das Gebiet, dass die Dreiländeranstalt MDR bereits als eine sieht: Sachsen/Sachsen-Anhalt/Thüringen? O 32 "Dann nehm wer die libber. Sachsen und Sachsen-Anhalt dazu. Nicht hier noch Bayern. Gottes Willen, das ist ein schwieriges Volk." O 33: Lied: "Ja so ist Thüringen, so sind wir ..." AUT So sagen die 'eigentlichen Thüringer', dass die Nachbarn besser bleiben, wo sie sind. Sprachliche Gemeinsamkeiten hin oder her. Die Identität mit dem Land Thüringen ist groß. Sie ging auch in der DDR-Zeit nicht wirklich verloren, obwohl da das Land nicht als Land existierte, sondern in drei Bezirke aufgeteilt war: Erfurt, Gera und Suhl. Doch mit der Neugründung wuchs auch der Patriotismus. Und der hält sich selbst in den Regionen, die die Sprachwissenschaftlerin bereits als eindeutig obersächsisch ausgewiesen hat. Also der Raum Gera, erst recht Greiz, Schleiz und Lobenstein. Die Greizer zum Beispiel verstehen sich selbst als ,das letzte antisächsische Bollwerk Thüringens'. Auch wenn man das nicht so direkt hört. Aber wer hört in Baden schon den Unterschied zum Schwäbischen? Obwohl der gewiss noch deutlich größer ist. O 34 Lied: "So wollmers han, so wollmers han..." AUT Die Erfahrung zeigt, dass die Jüngeren, erst recht wenn sie abwandern, ihre Eigenheiten abschleifen. Dann wäre auch das Hennebergische eine Sprache auf der Durchreise wer weiß wohin. Atmo Motorengeräusch an- und abschwellend. AUT Allerdings: wenns schön ist, dann muss man noch ein bisschen bleiben. So wollens sie ,s haben. Dass man nicht durchreist durchs schöne Thüringen, sondern bleibt. O 35 "Jo da kumme doch net heime gehn, ja da muss ma och ein bissle blie. So wollmers ha, so wollmers ha, ja da bliebm wer noch ein bisschen da. So wollmers ha, so wollmers ha, ja da bliebm wer noch ein bisschen da." -ENDE Beitrag Greim- MOD Die Kleine Sprachgeschichte. Oder: Warum die da so anders sprechen. Heute erfuhren wir Aufklärung in Sachen Thüringisch. Ulrike Greim nahm uns an die Hand. Die nächste Kleine Sprachgeschichte steht am 19. Mai auf dem Programm. Wir vernehmen dann hessische Laute und fragen uns wieder: Warum die da so anders sprechen. Am Mikrofon verabschiedet sich von Ihnen Claus Stephan Rehfeld. -ENDE Sendung- 1