COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Sendeexemplar "Ich stehe keinem mehr gegenüber" Der Schriftsteller Tschingis Aitmatow Feature von Günter Kotte Redaktion: Ulf Köhler Sprecher: Martin Seifert, Thomas Vogt, Otto Mellies, Horst Lampe Schnitt: Holger Kliemchen Ton: Dietmar Hagen Regieassistenz: Steffi Mannschatz Regie: Günter Kotte Produktion: Mitteldeutscher Rundfunk 2002 Aitmatow: (Russ. O-Ton) Ja, wirklich. Jedes Mal, wenn es um meine Großmutter geht, wird meine Seele heiter. Sie war eine großartige Frau. Sie nahm mich, ihren Enkel, in der Sommerzeit zu sich ins Aul, und das Interessanteste für mich waren ihre Märchen. Sie war eine richtige Märchenerzählerin. Sie kannte wunderbare Märchen, ungewöhnliche, die meiner Meinung nach, heute niemand mehr kennt. Leider habe ich mir auch nicht alles gemerkt ... Ich nutzte natürlich ihre Liebe aus und erlaubte es mir, zu quengeln. Ich sagte: Warum sind deine Märchen alle, du wiederholst sie so oft. Gib mir neue ... Alle, die ich kenne, hab ich dir schon erzählt. Am besten, du gehst jetzt raus spielen. Ich werde ein wenig schlafen und träumen und dann erzähl ich dir meinen Traum ... Ich war sofort einverstanden. Na, gut, ich gehe raus, schlaf nur, aber wenn ich wiederkomme, musst du mir alles sofort erzählen. Nach 10 Minuten kam ich angerannt und weckte sie. Sie war erzürnt, ich bin noch nicht so weit und da weckst du mich schon! Aber gleich sagte sie liebevoll: "Weißt du was, ich gehe zur Nachbarin und leihe mir für dich einen Traum oder ein Märchen aus. Ich glaubte ihr. Sie ging und war lange mit alten Frauen zusammen. Dann kam sie zurück und sprach: "So, ich habe für dich einen Traum ausgeliehen ... Ohne sie wäre ich wahrscheinlich nie Schriftsteller geworden. Regie: russische Musik( am O-Ton) Ansage "Ich stehe keinem mehr gegenüber" Der Schriftsteller Tschingis Aitmatow Feature von Günter Kotte Regie: Alter russ. LKW Erzähler: Ich lernte Tschingis Aitmatow 1963 bei der Kartoffelernte kennen. Das war in Bühlau, bei Stolpen, bei Dresden, in Sachsen, einem kleinen Kaff, in dem sich gelegentlich mal einer aufhängte und in dem sonst nichts weiter los war und in dem man allzu gern die kriechende Langeweile mit dem Frieden auf der Dorfstraße verwechselte. Ich war damals 14, und am schönsten war's in Bühlau immer zur Kartoffelernte. Da kamen nämlich häufig die in der Kreisstadt stationierten Rotarmisten, um den Bühlauern beim Kartoffelbuddeln zu helfen. Freundschaft, nannte das der Bürgermeister, deutsch-sowjetische Freundschaft, was die meisten Dorfbewohner allerdings nicht daran hinderte, sich über diese "Scheißrussen" lustig zu machen: Die haben doch in Russland nicht mal Gardinen vor den Fenstern und scheißen geh'n sie in ein Loch. Na usw. ... Russlandbilder aus der DDR ... Regie: Kirgisische Musik ("Kambarkan" 31"), darauf weiter Erzähler: Jedenfalls lernte ich in diesem Sommer Wanja kennen, einen jungen, russischen Offizier, der sehr gut Deutsch sprach und mir an einem Sonnabend ein Stück russisches Konfekt aus der Süßwarenfabrik "Roter Oktober" schenkte, und als die letzte Kartoffel ausgebuddelt war und alle Russen aus Bühlau wieder abhauten, mir auch noch ein kleines Büchlein in russischer Sprache zusteckte. Es war "Djamila" von Tschingis Aitmatow ... Sprecher: Bis zum Abend ging Djamila finster und mürrisch umher; sie wechselte kein Wort mit mir und lachte nicht wie sonst. Als ich mit dem Karren zu ihr kam, stieß sie, um mir nicht Gelegenheit zu geben, von der furchtbaren Kränkung zu sprechen, die sie im Innersten verbarg, mit weit ausholender Bewegung die Gabel in einen Heuhaufen, hob ihn hoch und trug ihn, das Gesicht dahinter verborgen, vor sich her. Mit einem Ruck warf sie die Last ab und stürzte sich sogleich auf den nächsten Haufen. Der Karren wurde schnell voll. Als ich wegfuhr, sah ich mich noch einmal um. Djamila stand, auf den Stiel ihrer Heugabel gestützt, eine Zeit lang in sich versunken da, dann besann sie sich plötzlich und machte sich wieder an die Arbeit. Als wir den Karren beladen hatten, blieb sie wieder stehen und blickte lange in die untergehende Sonne. Sie schien die ganze Welt vergessen zu haben. Weit hinter dem Fluss, dort, wo die kasachische Steppe zu Ende ging, glühte die verblassende Abendsonne der Mahdzeit wie die Öffnung eines brennenden Tandyrs. Während sie langsam hinter den Horizont glitt, färbte sie die leichten Wölkchen am Himmel mit ihrem Schein purpurrot, sandte sie ihr letztes Licht über die lila schimmernde Steppe, in deren Mulden schon das Dunkel der frühen Dämmerung lag. Djamila blickte still verzückt in das Abendrot, als schaute sie ein märchenhaftes Traumbild. Liebreiz leuchtete aus ihrem Gesicht, kindlich weich lächelte ihr halb geöffneter Mund. Und da wandte sie sich um, als wolle sie auf meine unausgesprochenen vorwürfe antworten, die sich mir noch immer auf die Lippen drängten. Sie sprach, als setzten wir ein Gespräch fort: "Denk doch nicht mehr daran, Kitschinebala, lass ihn. Er ist ja kein Mensch!" Sie verstummte, verfolgte mit dem Blick den versinkenden Rand der Sonne, seufzte und fuhr nachdenklich fort: "Woher soll denn so einer wie dieser Osmon wissen, was man im Herzen empfindet? Niemand weiß das. Vielleicht gibt es solche Männer gar nicht mehr auf der Welt." Regie: "Marseillaise" (21"), darauf Erzähler: Der französische Surrealist Louis Aragon nannte die Novelle "Djamila" eine der schönsten Liebesgeschichten der Weltliteratur. "Djamila" war Tschingis Aitmatows Abschlussarbeit am Moskauer Literaturinstitut "Maxim Gorki", das er von 1956-58 besuchte. Sein Weg nach Moskau liest sich so Erzähler: Tschingis Torekulowitsch Aitmatow wurde am 12. Dezember 1928 im Dorf Sheker (Kirgisien) als ältestes von vier Kindern geboren. A. wuchs zweisprachig auf, kirgisisch, russisch. Seine Großmutter, die ihn zu den sommerlichen Nomadenlagern mitnahm, machte ihn mit den kirgisischen Mythen vertraut, sein Vater mit der modernen russischen Literatur ... Sein Vater war Gebietsparteisekretär der Kommunisten in Kirgisien und wurde 1937 im Zuge der stalinistischen Säuberungen erschossen. Er war 33 ... A. musste die Schule verlassen und verschiedene Hilfsarbeiten in der Dorf- und Kreisverwaltung übernehmen. 1946 holte er den Abschluss der 8. Klasse nach und machte eine Ausbildung als Veterinärtechniker. Eine wissenschaftliche Aspirantur scheiterte am Einspruch der Partei. A. verdingte sich als Tierzüchter und begann nebenher zu schreiben ... Es bildete sich die unverwechselbare Stimme Aitmatows heraus, die nach den Worten des sowjetischen Literaturkritikers Wladimir Lakschin "die Musik des liedreichen Ostens und zugleich die feinfühlige Seelenspannung eines zeitgenössischen Künstlers wiedergibt, der alle Freuden und Bitternisse des 20. Jahrhunderts durchlebt" ... Seine wichtigsten Werke: "Djamila", 1959, "Der erste Lehrer", 1963, "Abschied von Gülsary", 1966, "Der weiße Dampfer", 1970, "Ein Tag zieht den Jahrhundertweg", 1980, "Die Richtstatt", 1986 ... In der Sowjetunion gingen seine Auflagen in die Millionen. Regie: Sowjetische Nationalhymne (40"), darauf weiter Erzähler: Seine Literatur wurde verfilmt und in über 90 Sprachen übersetzt, und 1990 machte Gorbatschow das KPdSU-Mitglied Aitmatow, Tschingis Torekulowitsch, den Volksdeputierten im Obersten Sowjet, zu seinem Berater und schickte den Kirgisen im selben Jahr als russischen Botschafter nach Luxemburg, und was macht der Herr Botschafter? Er denkt über die Liebe nach ... Aitmatow Wir leben in einer sehr schwierigen Zeit, und das Leben ist viel komplizierter geworden. Einerseits wurde es hoch technisiert, andererseits verdunkelt und zerstört der Zynismus die Liebe und macht sie immer schwerer erkennbar. Darunter leide ich sehr. Vielleicht habe ich eine archaische Vorstellung vom Ideal der Liebe, gerade die Liebe ist ja so ein Ideal. Aber ein Ideal, das in sich Dramatik birgt, mehr noch, eine Tragödie. Das macht die Liebe zu etwas Erhabenem, es erhöht sogar noch ihren Wert. Wenn die Liebe nur ein leichtes, schönes, angenehmes Gefühl wäre, das wäre sicher sehr gut, würde aber in uns nicht so rührende, so aufregende, so starke Gefühle erwecken. Die Liebe ist ein äußerst kompliziertes Zusammenspiel verschiedener geistiger und ästhetischer Gefühle. In der gesamten Weltkultur erlebe ich, wie man versucht, der Liebe den Nimbus zu nehmen, sie zu erniedrigen. Regie: "Wie ein Stern " (50"), darauf weiter Aitmatow Es gehört schon zum guten Ton, zum neuen Stil, zum neuen Verhalten, wenn man sich zynisch über die Liebe äußert. Das zerstört den Zauber der Liebe, das Rätselhafte und auch ihre Tragik. Musik steht frei Erzähler In Berlin - mich hatte es längst aus meinem Kaff in die Hauptstadt gespült - gab's eine Kneipe in der Französischen Straße, die hieß "Altes Café", ein wunderbarer Laden mit einer Empore, da saßen meist die Leute, die irgendetwas zu tuscheln hatten, Ehebetrüger, sozialistische Kleinkriminelle, einmal sogar ein großer Fisch, sehr alleinstehende Frauen, Gläubige und Ungläubige und eben jene, die auf alle aufpassten. Von Staats wegen ... Und unten war's auch sehr gemischt: Verlagsleute, Außenhandelsfritzen, Alkoholiker, Künstler, Straßenkundschaft und eben auch die mit den sehr großen Ohren, die immer auch einen Blick auf die Empore warfen ... Jeder wusste, dass es so ist, wie es ist: Eine unausgesprochene Abmachung eben und ein Café, das es schon lange nicht mehr gibt ... Jedenfalls, und deshalb komme ich darauf, immer wenn sich im nahe gelegenen Verlag Volk und Welt russischer Besuch einfand, führte ihn der Literaturwissenschaftler Dr. Ralf Schröder - natürlich erst dann, nachdem man sich offiziell gesagt hatte, wie gerne man sich hat - ins 'Alte Café? ... Die großen sowjetischen Autoren standen hier und unter den zahlreichen Neugierigen im 'Spielzeugland? hoch im Kurs. Ihre Bücher gab's unter'm Ladentisch: Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen ... Deshalb waren ihre Auflagen auch entsprechend niedrig. Papiermangel nannte man das, in Wirklichkeit aber traute man diesen "Russen" nicht: Zu viel poetische Genauigkeit ... Schröders Verdienst war es mit, dass sie überhaupt erscheinen durften und die Maden im volkseigenen Fleisch verwirrten ... Einmal brachte er auch Aitmatow mit - das war in den 70er Jahren -, und der listige Kirgise, der im Westen als Exot galt und um den sich im Osten viele Hoffnungen rankten, machte einen Schwenk mit den Augen durch's "Alte Café", die Chefin drehte das Radio leiser, und Aitmatow sagte nur: "Und hier sitzt ihr immer", und einer aus der Runde zitierte ihn: "Nie enden wird der ewige Streit - was tut der Mensch, um Mensch zu sein?" Und das Schicksal wollte es so, dass ich dem Kirgisen nicht das letzte Mal begegnete, und so gesehen hören Sie hier Aufnahmen aus den letzten 8, 9 Jahren ... Wir tranken auf seinen Roman "Der weiße Dampfer", den der Verlag Volk und Welt gerade herausgebracht hatte und der auch verfilmt wurde ... Regie: Filmszene - Tonausschnitt "Der weiße Dampfer" (55") Sprecher Mein Lehrer ... Fährt jemand ins Ausland, so trägt er ein Bild seines Hauses und seiner Familie bei sich - meist eine Fotografie oder andere Erinnerungsstücke -, doch für die Menschen jenes Staates, jenes Landstriches, den er besucht, bringt er das Bild seines Volkes mit, das Bild seiner Nation, ihrer Geschichte und Kultur. So besitze ich zwei nationale Heiligtümer, die mich in fremde Länder begleiten, mit denen ich die Schwelle anderer Völker überschreite: den "Manas" und Muchtar Auesow. Fragt man mich: "Was seid ihr eigentlich für Menschen, ihr Kasachen und Kirgisen?", dann erzähle ich vom "Manas" und von Muchtar Auesow. Sie sind die Symbole meiner Völker, mit ihnen kann ich mich anderen würdig vorstellen ... Flughafenansage Schönen guten Tag, meine Damen und Herren, Ihr Flug nach Taschkent und Alma-Ata ist zum Einsteigen bereit ... Regie: Fluggeräusch Erzähler 17. Oktober 1993 ... Mir ging's wieder mal schlecht, und ich weiß heute nicht mehr genau, woran's lag. Am Schnaps, an einer verkorksten Liebe oder am Leben schlechthin. Jedenfalls flog ich mit dem Herrn Botschafter in seine Heimat, und der meinte nur: Irgendetwas stört immer im Leben, und dann lief auch noch ein Film über deutsche Gartenzwerge im Flugzeugfernseher, und nach über 11 Stunden landeten wir in Alma-Ata, in Kasachstan und stiegen in ein Westauto um, und ein sehr freundlicher Mann chauffierte uns durch einen Schneesturm nach Kirgisien: Mitten in Zentralasien, jahrhundertealte Geschichte, nach 1917 eine von 15 Sowjetrepubliken und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auf dem Weg in eine eigene Staatszukunft: Mit eigener Fahne, eigenem Geld und eigener Sprache, und die klingt bei Muchtar Auesow so: Sprecher 2 "Der visionäre Blick des Dichters erschaut nicht die Steppe im Abendglanz, sondern ein Meer, ein weites Meer in spiegelnder Glätte. Ein einsames Schifflein schwimmt auf dem unendlichen Meer des Lebens. Auf seinen Segeln steht 'Kampf und Hoffnung?. Der Dichter Abai blickt von seinem Hügel auf den dunkelnden Horizont und gibt im Geiste seinem Schifflein das Geleit ins Weite. Regie: Kirgisische Musik (40" aus O-Ton Atmo), darauf weiter Sprecher 2: Der Dichter Abai ist auf dem Gipfel, im Zenit seines Lebensweges angelangt, was hinter ihm liegt, das Durchwanderte, Durchlebte, birgt es mehr Verluste oder Gewinn - er weiß es nicht ... Wo ist das Meer? denkt er, wie aus dem Schlaf aufschreckend, und sein Blick geht in die Steppe hinaus. Verschwunden ist das Meer, verschwunden die Träume. Selbst der winzige Schimmer einer Freude, der schwache Trost war erloschen. Das Leben mit seinem harten Kampf, mit seiner bitteren Wahrheit rief der Dichter Abai gebieterisch auf die Walstatt." Aitmatow Nun bin ich wieder in meiner Heimat, in meinem Dorf Sheker, und ich möchte von einem Vorfall erzählen, den ich nie vergessen werde. Das war in den Jahren des Krieges, im Winter 1942. Unser Haus befand sich dort, wo jetzt dieser Schuppen ist. Ein kleines Haus aus Lehm, mit nur einem Raum, einem Ofen, den wir mit getrockneten Kuhfladen heizten. Es war alles sehr eng, und wir hatten eine Kuh. Aber das Haus war zu klein, um unsere einzige Kuh da auch noch mit unterzubringen. Wir fragten also die Leute vom Kolchos, ob sie nicht einen Platz für unsere Kuh hätten, und sie stimmten zu ... Wir waren vier Kinder. Ich war der Älteste, ich war damals 14 Jahre alt, ja 14 Jahre. Die anderen waren jünger, und unsere einzige Hoffnung war die Kuh, die bald ein Kalb bekommen sollte. Dann würde sie wieder Milch geben und uns vor dem Hunger retten. Eines Tages, es war Winter, wachte ich auf. Früh wie immer und ging in den Stall, wo unsere Kuh stand, um sie zu füttern und zu tränken. Aber die Kuh war weg ... Ich war völlig verzweifelt. Rannte wieder nach Hause, erzählte es meiner Mutter, und die wiederum erzählte es unserem Nachbarn, die unsere entfernten Verwandten waren. Alle waren besorgt und einige rannten mit mir zum Kuhstall zurück. Aber von unserer einzigen Kuh fehlte jede Spur. Ich war sehr traurig und hatte nur noch eine Hoffnung: Vielleicht kann mir Terbek helfen? Er war Traktorist mit dem einzigen Traktor im ganzen Dorf, und ich war sein Helfer. Ich war zwar noch ein Junge, aber er mochte mich, weil ich ihm immer half. Als ich zu ihm kam, wusste er schon Bescheid. Er lag mit Fieber im Bett und war sehr besorgt. "Wenn ich aufstehen könnte", sagte er, "würde ich das Gewehr nehmen und diese Leute suchen, die euch die Kuh gestohlen haben. Dann würde ich sie töten. Da hängt das Gewehr, nimm es, und wenn du sie findest, schieß auf sie, töte sie!" Regie: Aitmatow steigt auf ein Pferd, spricht mit ihm und reitet los ... Erzähler: Eigentlich wollten die Kirgisen Tschingis Aitmatow zu seinem 65. Geburtstag am 12. Dezember 1993 ein Kamel schenken, aber das blieb im Schnee stecken, und so wurde aus dem Kamel ein Pferd, und die vielen nahen und entfernten Verwandten, Bekannten und Freunde sind stolz auf ihren "großen, kirgisischen Sohn", der das Reiten auch im Westen nicht verlernt hat ... Sprecher Einige Bemerkungen über mich Manche Leser, die zum Beispiel "Djamila", "Der erste Lehrer", "Goldspur der Gaben" und andere Sachen lieb gewonnen haben, wünschen, ausgehend von ihren Vorstellungen über die Kunst, dass ich auch fernerhin nur auf diese Art schreibe. Ich denke nicht daran, mich von diesen Werken loszusagen, ich leugne auch nicht eine bestimmte Bedeutung dessen, was ich vor "Abschied von Gülsary" und dem "Weißen Dampfer" geschrieben habe, aber ich will auch nicht bei dem stehen bleiben, was bereits eine vergangene Etappe ist. Die Literatur muss selbstlos ihr Kreuz tragen, sie muss in die Kompliziertheit des Lebens eindringen, damit der Mensch alles Gute und Würdige in sich selbst, den anderen und der Gesellschaft kennt, liebt und behütet. Darin sehe ich die eigentliche Bestimmung der Kunst. Und ich bin überzeugt, dass es immer so bleiben wird, denn der Mensch sucht in der Kunst die Bestätigung seiner besten Bestrebungen und die Ablehnung alles Bösen und Ungerechten, das seinen sozialen und sittlichen Idealen widerspricht. Das geht nicht ab ohne Kampf, Zweifel und Hoffnung ... Ich weiß nicht, wie sich mein weiteres Schicksal als Schriftsteller fügt, ob es mir gelingen wird, Interessantes zu schreiben. Nun wir werden sehen ... Frunse 1971 Regie: Kirgisische Musik (aus O-Ton Atmo) Erzähler Heute ist es sehr heiß in Luxemburg, und Aitmatow hat sich die Heimat in den Botschaftsgarten geholt - das kirgisische Volkskunstensemble - und vergisst erstmal den ganzen anderen Kram: Die Pflicht wird durch die Kür erst schön, und das hat der Asiate schon immer verstanden ... Seit über 3 Jahren ist Tschingis Aitmatow jetzt russischer Botschafter in Luxemburg, und zum Schreiben bleibt da wenig Zeit, oder sind es die neuen Verhältnisse, die dem Kirgisen zu schaffen machen? Die Millionenauflagen von einst sind Vergangenheit. Seine Leser in der ehemaligen SU und im übrigen Osten plagen andere Sorgen, und in der "neuen Welt" muss sich Tschingis Aitmatow seinen Platz erst noch erschreiben: Den Menschen will er verbessern, und das wollte "Der erste Lehrer" auch ... Regie Filmszene - Tonausschnitt "Der erste Lehrer" (35") Regie Kirgisische Musik aus O-Ton Atmo Aitmatow: Ich hatte gesagt, dass das Thema meines neuen Romans kosmopolitisch ist, und dennoch kehre ich zu meinem Ausgangspunkt zurück. Ich fühle mich jetzt wie ein Fallschirmspringer... ...das ist alles, was ich heute dazu sagen kann. Regie: Aitmatow kommt die Treppe herunter, eine Autotür wird zugeklappt, ein Auto fährt an ... Erzähler Wir wissen zwar nicht, wohin der Herr Botschafter fährt, aber wer in Luxemburg nicht gerade eine andere Verabredung hat, hat mit Sicherheit einen Banktermin. Und Banken gibt es hier beinahe genauso viele wie Schafe in Kirgisien. Aitmatow In meiner Seele habe ich die ganze Zeit danach gestrebt, dass sich unsere Gesellschaft, unser Land, verändert. Und als die Perestroika anfing, war das eine große Hoffnung. Jetzt glauben viele Menschen, die Perestroika sei ein Fehler gewesen. Aber unsere Gesellschaft war doch längst dem Untergang, dem Verschwinden, dem Verfall geweiht. Ich glaube auch heute noch, dass die Perestroika eine äußerst interessante und für die Geschichte unserer Gesellschaft und für jeden einzelnen Menschen schicksalhafte Sache war. Ich habe immer versucht, diesen Prozess zu unterstützen, da wo ich konnte. Und wenn die Perestroika wirklich ein historischer Misserfolg war, ein Fehler, dann war das auch mein Fehler. Dann habe ich ebenfalls einen Fehler gemacht. Doch ich bin nach wie vor der Meinung, dass das ein unvermeidlicher, historischer Prozess gewesen ist. Früher oder später hätte das sowieso passieren müssen. Aitmatow: 1958 wohnte ich das ganze Jahr in Moskau... ...hinter diesen Wänden da? Regie "Schwarze Augen (36") Erzähler: In Moskau ist es kalt, und die Leute bleiben am liebsten in ihren Wohnungen, und selbst die herrenlosen Hunde zittern an ihren ganzen ausgemergelten Hundekörpern und möchten an diesem Montag im Dezember 1994 auch nicht spazieren gehen, und Russlands Präsident, Boris Jelzin, schickt an diesem Tag den Leninpreisträger, 1968, Staatspreisträger, 1968, 1977, 1983, und Helden der sozialistischen Arbeit, 1978, den Schriftsteller Tschingis Aitmatow in den diplomatischen Ruhestand ... Im selben Jahr erscheint Aitmatows erster, im Westen verfasster Roman "Das Kassandramal" ... Sprecher: Im Saal herrschte Totenstille. Das Brausen der kosmischen Winde war zu hören. Und Filofejs Stimme erklang noch einmal. "Verzeiht mir, liebe Mitmenschen! Zum Abschied kann man nicht alles aussprechen. Aber eine Sache kann ich doch nicht für immer mit mir nehmen. Man hat mich fortwährend als den Pseudomönch und den falschen Filofej bezeichnet. Ja, so ist es. Niemand hat mir im All den Rang eines Mönches zugesprochen, kein Würdenträger den Namen Filofejew gegeben. Die kirchliche Prozedur hätte gar nicht stattfinden können. Aber es geht hier nicht um die Form, sondern um den Glauben. Ich habe den Namen Filofej selbst angenommen, den Namen jenes religiösen Schriftstellers, eines Russen aus dem sechzehnten Jahrhundert, den sein Sendungsbewusstsein hingerissen hat. Ich taufte mich so bereits in den Jahren, als ich Arzt in einem Frauengefängnis war. Das Besondere am Messianismus des Filofej war die Botschaft: Regie: Kirgisische Musik "Kambarkan"(23"), darauf weiter Sprecher: Der messianische Mensch vereinigt das Getrennte, der imperiale Mensch spaltet all das, was zusammengehört. Von daher rührt meine Hoffnung, das Menschengeschlecht könne sich auf den warnenden Ruf der Kassandra-Embryonen hin vereinen. Aber ich führe das nur an, damit ich im allerletzten Moment meines Lebens richtig verstanden werde ... " Aitmatow Ich nahm das Gewehr, packte die Patronen in meine Tasche, und als ich zu meiner Mutter kam, sagte ich: "Ich komme erst wieder, wenn ich die Diebe oder unsere Kuh gefunden habe." Meine Mutter weinte und bat mich, vorsichtig zu sein. Und ich hatte den Eindruck, dass sie mich verstand. Ich lief lange hin und her. Es war genauso ein Schnee wie heute. Ich hatte alte Stiefel an und merkte bald, dass meine Füße froren und wie es in den Stiefeln nass wurde. Aber das störte mich nicht, weil in mir der feste Wille war, die Diebe zu finden und ihre Tat zu rächen. Und während ich so umherirrte, kam mir der Gedanke, sie könnten die Kuh in Richtung der Stadt Dschambul gebracht haben. Ich beschloss also, dahin zu gehen, und war überzeugt davon, dass ich die Diebe da finden würde. Vielleicht hatten sie die Kuh schon geschlachtet, und ich würde die abgezogene Haut sehen und den Fleischstand, wo sie das Fleisch unserer einzigen Kuh verkauften. Ich war fest entschlossen, die Diebe auf der Stelle zu erschießen. Das war ein weiter Weg. Diese Straße dort gab es früher noch nicht. Ich ging quer über die Felder, in Richtung der Stadt Dschambul und traf keinen einzigen Menschen. Und plötzlich sah ich, dass mir jemand entgegenkam. Ein alter Mann auf einem Esel. Erzähler Um Aitmatow ist es stiller geworden. Sein Roman "Das Kassandramal" fand weitaus weniger Zustimmung, als es der kirgisische Autor bislang gewohnt war. In einem Interview, das "Die Wochenzeitung" 1998 mit ihm führte, sagt Aitmatow: Sprecher: "Das Kassandramal" spielt im Weltraum, um von dort einen Blick auf unser irdisches Leben werfen zu können. Es ist ein polemisches Buch. Die Leser ziehen unterhaltsamere Themen vor, auch aufbauendere, ihrem Leben nähere Stoffe. Aber auf der Suche nach großen literarischen Fragestellungen ist es nötig, über die alltäglichen, uns gewohnten Vorstellungen hinaus in andere Räume vorzustoßen. Das Buch ist polemisch und hat Polemik hervorgerufen. Allerdings ist diese Polemik von Leuten vorgetragen worden, die das Buch prinzipiell ablehnen oder einfach nicht begriffen haben. Erzähler: Und zu den rasanten Umbrüchen in seiner Heimat bemerkt er: Sprecher: Das ist eine schmerzhafte Sache. Unter der Marktwirtschaft ist ein ganz anderer Typus von Literatur in den Vordergrund getreten, der der Befriedigung der Urtriebe dient. Die so genannte Massenliteratur und Massenkultur basiert auf der Ausbeutung der primitivsten Grundinstinkte: des Besitzstrebens, das vom Hunger ausgeht, des Geschlechtstriebs, der der Vermehrung dient, der Aggression, die die Kehrseite der Angst ist. Nehmen sie alles, was auf dem Markt ist - jeder Roman, jeder Film bedient diese Bedürfnisse. Auch Musik, Malerei, Theater sind Geiseln solcher Grundinstinkte. Regie: 3 Etudes-Caprices op. 18 v. H. Wieniawski (52"), darauf weiter Sprecher: Die allgemein menschliche Kultur hingegen war immer darum bemüht, über diese Instinkte hinauszukommen, sie nicht zu unterdrücken, sondern sie durch Ethik, durch Ausbildung, durch Erziehung, durch Religion zu verfeinern und ein Bild vom Menschen zu schaffen, das ihn nicht nur an diese drei Grundinstinkte fesselt. Übersetzer: Als ich noch nicht Schriftsteller war, sondern Schüler der 6. Klasse, da kamen in unsere Schule drei alte Männer aus dem Ort. Die kamen in unsere Klasse und sagten zu unserer Lehrerin: "Wir haben sehr Wichtiges mitzuteilen. Ihr wisst ja selber, es ist Krieg. Von den Männern sind kaum noch welche da geblieben und von denen, die noch da sind, kann kaum einer lesen und schreiben. Im Dorfrat gibt es keinen Vorsitzenden und keinen Sekretär mehr, und das können wir nicht so laufen lassen." Und einer von den alten Männern zeigt auf mich und sagt: "Dieser Bursche da ist von euch noch der Gebildetste. Den nehmen wir euch weg. Er wird sofort Sekretär des Dorfrates." Das allerschrecklichste war, dass ich immer wieder die Sterbeurkunden, die so genannten "schwarzen Papiere", überbringen musste. Die kamen jeden Tag. Diese Papiere musste ich den Menschen in die Hand drücken. Ich bemühte mich natürlich, entsprechende Worte für diese Tragödien zu finden. Wenn ich einer alten Frau oder einem alten Mann die Nachricht überbrachte, sagte ich: "Vater, ich könnte dein Enkel sein, aber ich muss dir dies hier geben." Es gab aber auch Fälle, wo die Menschen vor Kummer explodierten. Die Verzweiflung und die Wut brachten die Menschen oft dazu, dass sie das Papier auf der Stelle zerrissen. Sie sahen in mir den Schuldigen. Manche sind mit Fäusten auf mich losgegangen und haben mich von ihren Höfen vertrieben. Später haben sie sich natürlich dafür entschuldigt, aber der Augenblick war immer schrecklich. Es war für mich qualvoll. Andererseits erkannte ich Seiten des Lebens, die für mich bis dahin verschlossen waren. Ich sah plötzlich das Leben von innen heraus. Regie: Zuggeräusche Erzähler Ich hatte es schon geahnt: Der Nachtzug verspätete sich in der Nähe von Amsterdam derart - angeblich hatte sich jemand auf die Gleise gelegt, erzählte man -, dass ich viel zu spät in Brüssel ankam und Tschingis Aitmatow schon geraume Zeit auf einem Stehempfang bei der NATO herumstehen musste: Seit 1999 ist der Schriftsteller kirgisischer Botschafter bei der EU in Brüssel ... Seine Erinnerungen "Kindheit in Kirgisien" waren inzwischen erschienen, und sein Sekretär bewirtete mich mit grünem Tee und Schokoladenkeksen und getrocknetem Obst, und wir sprachen über Pferde und natürlich auch über den "Passgänger" aus dem Roman "Abschied von Gülsary" ... Sprecher: Mit dem Ruhm eines Rennpferdes ist es wie mit dem Ruhm eines Fußballers. Der Junge, der gestern noch den Ball auf den Hinterhöfen vor sich her getrieben hat, wird plötzlich der Liebling aller, Gesprächsthema für Kenner und Gegenstand für die Begeisterung der Masse. Solange er Tore schießt, wächst sein Ruhm ständig. Dann verschwindet er allmählich vom Spielfeld und wird vergessen. Und als erste vergessen ihn diejenigen, deren Begeisterung am größten war. So ist es auch mit dem Ruhmeszug eines Rennpferdes. Es ist berühmt, solange es ungeschlagen ist. Der Unterschied liegt nur darin, dass niemand das Pferd beneidet. Pferde können nicht neidisch sein, und die Menschen haben, Gott sei Dank, noch nicht gelernt, einem Pferd etwas zu neiden. Allerdings geht der Neid oft unbegreifliche Wege, und es haben schon Menschen Nägel in Pferdehufe getrieben, um ihren Widersachern zu schaden. O dieser schwarze Neid! Die Prophezeiung des alten Torgoi erfüllte sich. In jenem Frühling stieg der Stern des Passgängers. Alt und Jung kannten ihn: Gülsary! Der Passgänger Tanabais. Die Zierde des Auls. Die dreckigen Steppkes, die noch kein "r" sprechen konnten, galoppierten durch die staubigen Straßen und schrien um die Wette: "Ich bin Gülsary. - Nein, ich bin Gülsary. Mama sag, dass ich Gülsary bin. Tschu, volwärts, a-ij-j, ich bin Gülsary!" Was Ruhm bedeutet und welche große Kraft ihm innewohnt, erkannte der Passgänger bei seinem ersten großen Rennen. Es war am Ersten Mai. Nach der Kundgebung auf der großen Wiese am Fluss begannen die Spiele. Von allen Ecken und Enden waren die Menschen zusammengeströmt, aus dem benachbarten Sowchos, aus den Bergen und selbst aus Kasachstan. Die Kasachen stellten ihre Pferde zur Schau. Man sprach davon, dass es seit dem Krieg noch kein solches Fest gegeben hatte. Schon am Morgen, als Tanabai ihn sattelte und mit besonderer Sorgfalt die Bauchgurte und die Befestigung der Steigbügel prüfte, spürte der Passgänger am Glanz der Augen und dem Zittern der Hände seines Herrn, dass etwas Außergewöhnliches bevorstand. Der Herr schien sehr aufgeregt. "Mach mir keine Schande, Gülsary", flüsterte er, während er ihm die Mähne kämmte. "Wir können uns das nicht leisten, verstehst du! Du kannst dich nicht blamieren!" Übersetzer: Wir haben darüber gesprochen, was die gegenwärtige Literatur sei. Das ist eine sehr schwierige Frage. Viele sind der Meinung, dass gerade jetzt die Literatur und Kunst etwas ganz Entscheidendes sagen könnten. Möglicherweise ist es sogar so, und manchmal denke ich auch selbst darüber nach, ob es denn so sei. Und ich sage ja auch, niemand wird daran gehindert, das zu schreiben, was er schreiben will. Schreibe, lass dich drucken, schreibe, was immer dir in den Sinn kommt. Es gibt keine Beschränkungen, auch im ethisch-moralischen Sinne nicht. Ich stelle da nichts Außergewöhnliches fest, und dennoch ist es ziemlich seltsam: Alles ist gegeben und nichts wird geschrieben. Ich habe vor kurzem Viktor Nekrassow noch einmal gelesen. Seine Memoiren. Und es geht da um die Zeit, wo er im Ausland gelebt hat und nicht an äußeren Umständen leiden musste. Er hat unter einigermaßen komfortablen Bedingungen gelebt, und er schreibt in seinen Memoiren, dass er die Staatsbürgerschaft eingebüßt habe und gegen niemanden mehr ankämpfen müsse: Ich stehe keinem mehr gegenüber ... Er selbst hat also kein Gegenüber mehr. Er hatte also auch keinen Grund mehr, zu kämpfen, er sah darin keinen Sinn mehr. Aber ein Kampf muss stattfinden im Sinne eines geistigen Kampfes. Eine Diskussion mit entgegengesetzten Standpunkten auch in der Kunst. Und jeder Mensch möchte da Recht haben. All das hat seine Bedeutsamkeit eingebüßt. Alles ist da, alles ist gegeben, ich sehe nichts Entsprechendes ... Gäbe es eine politische oder ideologische Zensur, dann würde man das ja verstehen. Nekrassow sagt ja auch, ich brauche eine politische Zensur, um Wege zu finden, sie zu umgehen. Und heute im offenen Feld kannst du machen, was du willst. Du kannst kriechen und du kannst reiten. Damals gab es eine Zensur, die uns behindert hat, die vieles auch nicht zugelassen hat. Heute aber ist die so genannte marktwirtschaftliche Zensur viel härter, das heißt du wirst gekauft oder du wirst nicht gekauft. Das ist die härteste Zensur. Neulich las ich die Antwort von einem Schriftsteller, dessen Namen ich vergessen habe, auf einen Artikel in der "Nesavissimaja Gaseta": Ich schreibe Bücher auf einem hohen Niveau, von denen ich weiß, dass davon nur sehr wenige oder gar keine verkauft werden. Und ich habe mir ein Pseudonym zugelegt, unter dem ich jetzt nur noch Krimis herunterkratze, von denen ich annehme, dass die Leser begeistert sind. Ich schreibe über Raub, Mord und Prostitution, und es läuft. Damit verdiene ich mein Geld fürs Leben. Diese Bücher werden in großen Auflagen verkauft, und sie ermöglichen mir, auch das zu schreiben, was ich im Innersten will: Bücher auf hohem Niveau. Regie: Capriccio italien, op. 45 Tchaikovsky (1?10"), darauf weiter Das ist natürlich auch ein Weg. Wenn es klappt, ist es gut, aber was passiert, wenn es nicht klappt? Ich kenne auch einige Kinoregisseure, die mir gesagt haben, ich drehe jetzt dieses oder jenes Ding, was für ein Massenpublikum gedacht ist, und danach mach ich dann meine Sache. Das ist ein Weg, der wie ein Sumpf ist, aus dem man nicht mehr rauskommt. Man macht sich etwas vor ... Aitmatow Der alte Mann sah, dass ich sehr aufgebracht war und ein Gewehr in den Händen hielt. "Du willst wohl jemanden umbringen?" fragte er mich. "Ja", antworte ich, "ich will jemanden töten." "Scherzt du?" "Nein, ich meine es ernst." "Was ist denn passiert?" Ich erzähle ihm, dass unsere einzige Kuh gestohlen wurde, und dass wir ohne unsere Kuh verhungern würden. Der alte Mann hörte mir genau zu, und dann sagte er: "Du bist noch sehr jung und euch ist schlimmes Leid zugefügt worden, aber deshalb musst du keinen Menschen töten." Ich war sehr verwundert und sah ihn aufgeregt an. "Wenn ich die Diebe finde, werde ich sie töten." "Höre mich an", sagte der alte Mann, "die, die eure Kuh gestohlen haben, die werden unglückliche Menschen werden. Und wenn du sie jetzt tötest, wird es dir genauso so ergehen. Tu es nicht, kehre um, kehre zurück und gib das Gewehr dem zurück, dem es gehört. ich setze mich jetzt auf meinen Esel und reite weiter und werde mich nicht umdrehen, aber ich weiß, dass du heimgehen wirst, ich sehe es dir an." Dann klopfte er mir noch auf die Schulter und ritt auf seinem Esel davon. Erzähler: Nachruf... Das letzte Mal sah ich Tschingis Aitmatow auf dem Flughafen Berlin - Tegel... Der kirgisische Diplomat Aitmatow war längst abgefertigt und ich stand in einer langen Schlange und so blieben uns nur einige Rufe von hier nach da und zurück... 'Tschingis! Kak djela? Wie geht es ihnen? ' Und noch bevor er mich sah, war er auch schon beinah aus meinen Augen... 'He ! Ty sche snajesch, schto- to wjsegda meschajet w schizni. My uwidimsja . He! Du weißt ja, etwas stört immer im Leben. Wir sehen uns '... Wir sahen uns nicht mehr. Tschingis Aitmatow starb am 10. Juni 2008 in einem Nürnberger Krankenhaus, wenige Monate vor seinem 80. Geburtstag... Er starb an den Folgen einer schweren Lungenentzündung in Franken, in Deutschland ... Die russischen Ärzte hatten ihn von Kashan an der Wolga nach Nürnberg geschickt. Dort wurde er in ein künstliches Koma versetzt, aus dem der große Erzähler nicht mehr aufwachte. "Nierenversagen" steht in den Papieren, die seinen Tod festhalten. Vier Tage später nehmen tausende Menschen auf dem zentralen Platz Ala- Too in Bischkek, der kirgisischen Hauptstadt Abschied von Tschingis Aitmatow. Sie gedenken ihres großen Dichters mit einer Schweigeminute und begleiten ihn auf seinem letzten Weg. Der Sarg ist mit der Nationalflagge bedeckt, das Land trauert. Der Präsident Kurmanbek Bakijew hält die Trauerrede und ehrt Aitmatow als einen Menschen, der die Kultur und die Geschichte Kirgistans in die Welt trug und der mit seinen Romanen und Erzählungen Millionen Leser auf unseren Planeten berührt hat'... Berührt... Aitmatows großes Thema war die Liebe und vor allem die ' Gefahren ', die sie 'umgibt' und in die sie sich immer wieder selbst bringt... Aitmatow war der Schriftsteller seines Volkes. Er hat die Geschichten gesammelt, an denen andere leiden oder jämmerlich zugrunde gehen. Er hat sie aufgeschrieben und uns vorgelegt ... So sehe ich das. Und in einem Artikel "Gedanken zur modernen Prosa" aus dem Jahr 1967 schreibt Tschingis Aitmatow: "Seit Urzeiten erzählt der Mensch vom Menschen. Seit Urzeiten kündet er in Form von Lied und Märchen, Buch und Musik, in Theaterstücken, von ein und demselben - vom Schicksal des Menschen, von seiner Arbeit und seinen Träumen, seinen Tugenden und Lastern, von Kampf und von Krieg, Pflicht und Gewissen, von der Schönheit der Frau und des Mannes, von Liebe und Trennung, Geburt und Tod, von allem, was das Leben ausmacht ... Und der Kirgise Tschingis Aitmatow ist auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion seinen Idealen treugeblieben: Den Menschen wollte er verbessern... Der Schriftsteller Tschingis Aitmatow, dem wir mit "Djamila" eine der schönsten Liebesgeschichten der Weltliteratur verdanken, wurde am 14. Juni 2008 in der Gedenkstätte ' Ata Beit ', nahe der Hauptstadt Bischkek nach muslimischen Brauch beigesetzt... Neben seinem Vater ... Absage: 23