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Die Bedeutung seines Namens ist unklar, vielleicht ?reicher Krieger?, vielleicht ?endloser Berg?, vielleicht auch ?Blume? oder ?Regenbogen?. Die Deutschen sagen Fujiyama, die Japaner Fujisan, wobei das Anhängsel jeweils ?Berg? bedeutet. Die Aussprache japanischer Schriftzeichen wandelt sich, daher die Unterschiede. Der Fuji, der etwa auf dem gleichen Breitengrad liegt wie Kreta, ist ein Vulkan des pazifischen Feuerrings. Ein schöner Berg, ein erhabener Berg, ein heiliger Berg, Wohnsitz schintoistischer Götter. Im Jahr 663 soll ein unbekannter Mönch erstmals auf dem Gipfel gestanden haben. Für Frauen war der Fuji bis 1868 strikt verboten. ZITATORIN Weiter erzählen, weiter berühmen will ich Fuji, den hohen Gipfel. MUSIK The Ondekoza / Fujiyama / 9. Monochrome II ATMO Prozession ERZÄHLER Fujiyoshida, ein kleines Städtchen am nördlichen Fuß des Berges, feiert den wichtigsten Tag des Jahres: Die offizielle Eröffnung der Gipfelsaison. Eine Prozession bewegt sich auf dem Bürgersteig der Hauptverkehrsstraße zum Sengen-Schrein. An der Spitze ein Lautsprecherwagen mit religiösen Ansagen: ZITATORIN ?Mögen unsere sechs Sinne gereinigt und möge das Wetter an diesem ehrenwerten Berg schön sein.? ERZÄHLER Hinter dem Wagen einige Dutzend komplett weißgekleideter, meist älterer Pilger, sogenannte Fuji-Go. Fast alle haben grob geschnitzte Wanderstöcke, an denen kleine Glöckchen baumeln. Die Geschichte ihrer Gemeinschaft reicht bis ins frühe Mittelalter. Ihre Lehre von der Gleichheit zwischen Mann und Frau und ihre Ablehnung hierarchischer Systeme führte immer wieder zu Konflikten mit den jeweils Regierenden. Als sich Japan Ende des 19. Jahrhunderts mehr und mehr zu einer Großmacht entwickelte, verbanden sich die Fuji-Go zu ihrem eigenen Schutz mit schintoistischen Sekten. Mittlerweile fehlt ihnen der Nachwuchs. O-TON Pilger Japanisch ERZÄHLER Einer der Pilger erzählt, dass er bereits 44 Mal auf dem Gipfel gestanden habe. Wie die anderen trägt er ein mit Schriftzeichen verziertes Stirnband. Ein gläubiger Fuji-Go sei er seit 1943, und selbstverständlich ist der Fuji ein heiliger Berg. Aber warum eigentlich? Da nickt der alte Mann und geht lächelnd weiter. ATMO Prozession ERZÄHLER Ein breiter, leicht ansteigender Pfad, gesäumt von zwanzig, dreißig Meter hohen Bäumen und mächtigen, bemoosten Steinlaternen. Hin und wieder eine flache Stufe. Am Ende des Weges, am Eingang zum Sengen-Schrein, steht ein rotes Holztor mit zwei überstehenden Querbalken, gut 18 Meter hoch. Alle 60 Jahre wird es neu erbaut, jedes Mal ein Stück höher. Die Inschrift lautet: ?Der höchste Berg der drei Länder?. Gemeint sind Japan, China und Indien, im Altertum Sinnbild für die ganze Welt. Auf dem Weg in Zweierreihen drei Dutzend Kinder im Vorschulalter, einander an den Händen haltend. Auch sie tragen weiße Kostüme. Davor, daneben, dahinter - die eifrig fotografierenden Eltern. ATMO Tanz ERZÄHLER 806 wurde an dieser Stelle erstmals ein Schrein zu Ehren des Fuji errichtet. Die jetzige Anlage stammt aus dem Jahr 1604. Anfang des 20. Jahrhunderts forderte ein führender Vertreter des Schintoglaubens, dass jeder nationalbewusste Japaner einmal im Leben den Sonnenaufgang auf dem Fuji erleben solle, wie es bereits im Mittelalter Brauch gewesen sei. Über die Jahre entwickelte sich aus den Wallfahrten ein profitables Geschäft. O-TON Pilgerin Japanisch, dann Englisch He says the Mount Fuji is to be proud to the world. ERZÄHLER Ein anderer Pilger, ein hagerer Mann um die 50. Die eher untersetzte Tochter dolmetscht. Fuji, sagt sie, bedeutet ?stolz auf die Welt zu sein?. Ich schaue sie mit großen Augen an, sie schaut mit noch größeren Augen zurück. - ?Lost in Translation?? O-TON Pilgerin Japanisch, dann Englisch Every Season, every four season Mount Fuji changes its colour. ERZÄHLER Der Fuji hat zu jeder Jahreszeit eine andere Farbe ? das macht schon mehr Sinn. O-TON Pilgerin Japanisch, dann Englisch Even though it is tiring when they are climbing, when they finished, when they hit the top the satisfaction is big. ERZÄHLER Auch wenn es für die Leute sehr anstrengend ist, den Berg zu besteigen, ist die Befriedigung auf dem Gipfel groß. Auch gut, aber warum, so die letzte Frage, ist der Fuji eigentlich ein heiliger Berg? Vater und Tochter schauen sich an, schweigen und lächeln. ATMO Zeremonie ERZÄHLER Die kleine, hölzerne Gebetshalle ist auch für Laien zugänglich, während im heiligen Altarraum dahinter nur Priester mit langen weißen Gewändern und schwarzen Kappen die eigentliche Eröffnungszeremonie für die Ehrengäste abhalten dürfen. ATMO Musik vom Band ERZÄHLER Draußen zeigen derweil gut 50 Fuji-Pilgerinnen einen Tanz. Die Choreographie scheint auf das meist schon etwas reifere Alter der Damen abgestimmt. Ein paar Schritte im Kreis, Klatschen, den Arm heben, eine angedeutete Verbeugung, den anderen Arm heben, wieder ein paar Schritte im Kreis, wieder Klatschen. Die Gesichter sind dabei sehr ernst, was aber wohl weniger der religiösen Ergriffenheit geschuldet ist als der Angst, eine falsche Bewegung zu machen. ATMO Reisstampfen ERZÄHLER Ein großer Holzmörser, ein mächtiger Holzhammer. Zwei kräftige Männer in Jeans und T-Shirt stampfen Reis. O-TON Pilgerin They are doing Motschi ? the rice cake. The motschi is for the safety of Mount Fuji climbing. Want you try? ERZÄHLER Die junge Pilgerin, jetzt ohne ihren Vater. Die Männer machen Motschi ? Reiskuchen für die sichere Besteigung des Fuji. Ob ich mal probieren will? Na ja? ATMO Koch ERZÄHLER Der Koch lädt mir eine großzügige Portion ins Plastikschälchen. Eine zäher, süßlicher Brei, den ich unter neugierigen Blicken mit tapferem Lächeln hinunterschlucke. Schließlich geht es um mein Gipfelglück. Später hänge ich wie alle anderen einen Zettel mit mir unbekannten Schriftzeichen an einen überladenen Bambusbaum und durchschreite im strömenden Regen nach jeweils langem Anstehen dreimal einen großen aus Gräsern geflochtenen Kranz. O-TON Pilgerin If you want to get a proper start ? there will be a gate, a tori-gate, an old tiny stone gate. Later on there they will cut the rope ? you can start from that gate and then go up. Before that, you can go to this water thing and wash your face. ERZÄHLER Am nächsten Tag soll ich noch durch das kleine Steintor, quasi am Hinterausgang der Anlage gehen und mir vorher mit dem heiligen Wasser das Gesicht waschen. ATMO Seildurchschlagen ERZÄHLER Eine Stunde später, der Höhepunkt. Ein Mann, verkleidet wie ein Waldschrat, stellt einen mächtigen schintoistischen Gott dar und zerschlägt mit einem großen Holzhammer ein dickes Tau, das den Durchgang durch das entscheidende Steintor versperrte. Allerdings erst, nachdem er sich mit den vielen Kameraleuten und Fotografen über den richtigen Moment und die beste Perspektive verständigt hat. MUSIK The Ondekoza / Fujiyama / 1.Ondeko-bayashi ERZÄHLER Die Gipfelsaison ist eröffnet. ATMO Aufstieg ATMO TV-Mix ERZÄHLER Abends im Hotel auf der Suche nach einer Wettervorhersage. Im Fernsehen laufen viele eigenartige, sehr eigenartige und sehr, sehr eigenartige Sendungen, und irgendwann gibt es auch mal ganz kurz eine Japankarte. Links von Tokio ? dort wo der Fuji ist ? hat jemand ganz viele Wolken und Regentropfen hingemalt. ATMO Drachenbrunnen ERZÄHLER Am nächsten Morgen stehe ich wieder am Schrein. Ein furchterregender Metalldrachen speit frisches, kühles Wasser in ein großes Steinbassin. Ich fülle meine Trinkflasche, wasche, wie von der jungen Pilgerin empfohlen, mein Gesicht, passiere das alte Steintor und gehe los. ATMO Gehen ERZÄHLER Der mehr als tausend Jahre alte Yoshidaguchi Pfad führt über 19 Kilometer und knapp 3000 Höhenmeter direkt auf den Fuji. Der älteste Pilgerweg ist in zehn Stationen unterteilt. Die Ursprünge sollen eine buddhistische Bedeutung haben, die einzelnen Abschnitte verschieden hohen Bewusstseinsstufen entsprechen. Der im siebenten Jahrhundert in Japan aufkommende Buddhismus wurde schon früh in die Welt des Schinto integriert. Die Verbindung endete erst mit der Entstehung des japanischen Nationalstaates in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Schinto wurde zur nationalen Religion mit dem Tenno, dem Kaiser, als bis heute gültigem Oberhaupt. Buddhas und Kamis, die Schinto-Götter, wurden getrennt, gemeinsame Kulte verboten. Die bis dahin vor allem lokal begrenzte Tradition der Schreine wurde zur Verehrung des Tennos umgedeutet. Schreinbesuche wurden zur patriotischen Pflicht, was für nationalistische Kreise bis heute gilt. MUSIK The Ondekoza / Fujiyama / 6. Toto ATMO Gehen ERZÄHLER Ein dichter, tiefer Mischwald. Der Weg ist etwa einen Meter breit, mal mehr, mal weniger steil. Hin und wieder tauchen aus dem Dunst eine moosbewachsene Steinskulptur oder ein steinernes Tor auf. ATMO Regen, ruhig ERZÄHLER Ich bin allein unterwegs und genieße die Stille. Den einsetzenden Regen genieße ich nicht. ATMO Wandergruppe ERZÄHLER Plötzlich wie aus dem Nichts: Eine japanische Wandergruppe. Drei Dutzend Männer und Frauen mit ernsten Gesichtern und kleinen Schritten. Ihr Gang ist nicht schnell, aber beharrlich. Alle tragen die gleichen dunkelblauen Jacken, alle mit dem gleichen gelben Logo eines Elektronikkonzerns bedruckt. Doch jede ist mit einer anderen Nummer versehen. Ganz vorn und ganz hinten, je ein Führer in roter Jacke mit weißem Logo. Am Wanderstab immer wieder zur Orientierung hochgehalten eine japanische Fahne, allerdings nicht jene mit dem schlichten roten Ball auf weißem Grund, sondern die Version mit der Strahlensonne, die allgemein als ?Kriegsflagge? angesehen wird. ATMO Wandergruppe / Pause ERZÄHLER Ich lasse ihnen einen Vorsprung, bevorzuge die Einsamkeit. Der Regen wird stärker. An der ?ersten Station? kommt es zum Wiedersehen. Ein verfallenes Holzhaus mitten im Wald bietet Schutz vor der Nässe. Meine Mitwanderer packen ihre Stäbchen und die absolut identischen Lunchpakete aus. Kalter grüner Tee, Sushi, getrocknete Algen, süßer Reis. Ich gönne mir eine Tafel Schokolade und einen kräftiger Schluck aus der Wasserflasche. O-TON Russel Is this the station? You are the first Non-Japanese person ? I have seen climbing. This is a bit tougher than Scotland I think. ERZÄHLER Plötzlich ein anderer Alleingänger. Er strahlt mich an. Ich bin der erste Nichtjapaner, den er auf der Strecke trifft. Das Ganze hier sei ein bisschen anstrengender als Wandern in Schottland, sagt er. O-TON Russel I live in Shanghai. So this is not that far. And I have been over to Japan before, but the only thing I haven?t done in Japan I want to do is the Fuji, because when I came before ? it was never in summer. So I have just flown over here for four days basically from Shanghai just to do, what I want to do ? climb the mountain. (lacht) ERZÄHLER Russel, ein dreißigjähriger Brite mit wenig Haaren und viel Bauch, lebt in Shanghai, war schon öfter in Japan, aber nie auf dem Fuji. Jetzt ist er für vier Tage herüber geflogen, nur um auf den Berg zu steigen. Da muss er selber lachen. ATMO Gehen O-TON Russel (gehend, schwer atmend) I got a bit out of shape in the last years. It is quite frustrating, because three years ago, I was really fit. I found it quite easy to go up. It is quite tough now ? it seems to me. Shanghai is not really a place for outdoor activities. ERZÄHLER Wir gehen gemeinsam weiter. Russel klagt über seine Fitness. Vor drei Jahren sei das noch ganz anders gewesen, sagt er, aber Shanghai sei eben kein idealer Ort für den Freiluftsport. O-TON Russel (gehend, schwer atmend) Hopefully in the morning. That is what they say in the guide-book ? the best chance of a clear sky in the summer is the early morning and the clouds come in. ERZÄHLER Er hofft auf den nächsten Morgen. Das sei der beste Zeitpunkt für einen wolkenlosen Himmel. So hat er es zumindest in einem Buch gelesen. MUSIK The Ondekoza / Fujiyama / 3. Fujiyama O-TON Russel I just saw the orange-juice in there and I thought ? it could be quite nice. ERZÄHLER Sechs Stunden später erreichen wir knapp unterhalb der Baumgrenze auf etwa 2300 Metern eine Hütte der ?fünften Station?. Eine geteerte Straße, ein Stromgenerator, eine andere Gruppe japanischer Bergfreunde. Im Fenster des einfachen Holzhauses hat Russel zu seiner Freude eine Packung Orangensaft entdeckt. O-TON Russel A oxigene-masc? It is crazy. You really don?t need it until 8000 meters if you a acclimatised. And you certainly don?t need it below 3000. ERZÄHLER Daneben kleine Sauerstoffflaschen mit dem Aufdruck ?Gratulation? oder ?See you again?. Wir sind irritiert: So etwas ist, wenn überhaupt, eigentlich nur für Profibergsteiger in Regionen über 8000 Meter gedacht. Drinnen ein warmer Ofen, ein harter Stuhl, je nach Vorliebe Wasser oder Orangensaft und dazu ? auf Einladung der freundlichen Wirtin - ein paar gekochte Maiskolben. An den Nachbartischen sitzen andere meist nicht-japanische Fuji- Freunde. Ihre Gesichter rot vor Erschöpfung. Allgemeines Fragen nach woher, wohin, wie lange noch. O-TON Russel How long do you think will it take to the eight station? ? I don?t know. - It says the sixth station is another 30 minutes. And the seventh station another hour after that. And the is another 100 minutes after that. ERZÄHLER Russel entdeckt eine Wegbeschreibung mit exakten Minutenangaben für die einzelnen Abschnitte. Wir wollen heute noch so hoch wie es irgend geht, um in der kommenden Nacht einen möglichst kurzen Weg zum Gipfel zu haben. O-TON Russel (gehend, Auto im Hintergrund) I did check with the BBC weather-website for Tokyo which I guess is similar with that. And the weather-forecast said: Cloudy with a bit of sun for today and it said rain tomorrow. ERZÄHLER Der Wetterbericht verspricht für heute zwar noch den einen oder anderen Sonnenstrahl, doch morgen an unserem Gipfeltag soll es regnen. MUSIK The Ondekoza / Fujiyama / 3. Fujiyama ATMO Informationszentrum ERZÄHLER Das offizielle Besucherzentrum der fünften Station. In den umliegenden Supermärkten ist ?alles Fuji?. Ob auf Zahnbürsten, Pudding, Keksen, Gelee, Käsekuchen, Konfekt, Essstäbchen, Aschenbechern, Nudeln, Telefonkarten und Dosen mit Bergluft - überall prangt ein Prachtfoto des Berges. Auf dem asphaltierten Platz wuseln Hunderte Besucher, die mit Auto oder Bus die 1966 erbaute Zufahrtsstraße heraufgekommen sind. Während sie sich in immer wieder neuen Kombinationen vor dem total vernebelten Gipfel zum Gruppenbild aufbauen, verteilt Hirotomo Kageyama drinnen Wanderkarten und Broschüren voller Warnhinweise. Herr Kageyama, Mitte fünfzig, klein und schmächtig, fast kahlköpfig und ausgesprochen freundlich ist der Chef des Informationsbüros. Etwa dreißigmal stand er in den letzten 15 Jahren selbst ganz oben. Wie war es beim ersten Mal? O-TON Kageyama Japanisch SPRECHER Sehr schwierig. Den Fuji zu besteigen, ist harte Arbeit. Aber als ich dann endlich den Gipfel erreichte und da oben stand, spürte ich, dass sich die Mühe gelohnt hatte, und ich war sehr, sehr glücklich. ERZÄHLER Warum wollen eigentlich so viel da hinauf? Herr Kageyama lächelt. Etwa ein Viertel aller Versuche scheitert, sagt er. O-TON Kageyama Japanisch SPRECHER Der Fuji ist das Wahrzeichen und das Herz der Japaner und wenn ein Japaner traurig ist, dann guckt er sich den Fuji an, dann ist er wieder glücklich. Im vergangenen Jahr waren es 230 000 Bergsteiger, die den Gipfel erreichten. ERZÄHLER Zum Ruhm des Fujis hat sicherlich auch beigetragen, dass die Silhouette des Berges an die japanische Glückszahl ?acht? erinnert. Und warum darf man den Berg offiziell nur im Juli und August besteigen? Herr Kageyama lächelt. O-TON Kageyama Japanisch SPRECHER Bis Anfang Juli liegt auf dem Fuji meist noch Schnee. Und das Besondere ist ja, dass die Allermeisten nachts hinaufgehen, damit sie den Sonnenaufgang sehen können. Wir sind aber gar keine Bergsteigernation. Die Leute sind außerordentlich motiviert, haben jedoch im Grunde keine Ahnung. Wir müssen sie vor sich selber schützen. Sogar Anfang Juli liegen die Temperaturen manchmal noch unter dem Gefrierpunkt. Der Weg kann vereisen, und das ist sehr gefährlich. ERZÄHLER Jedes Jahr gibt es ein paar Tote, was bei der immens hohen Zahl der Bergsteiger kaum eine Überraschung ist. O-TON Kageyama Japanisch SPRECHER Am schlimmsten ist es im Winter. Dann kann es hier sehr, sehr kalt werden. Und die Stürme! Der Fuji steht ganz frei und nicht weit entfernt vom Pazifik. Die Winde drehen sich um den Gipfel und können Menschen einfach vom Berg blasen. ERZÄHLER 1966 erreichte der ?Taifun 26? eine Geschwindigkeit von 91 Metern in der Sekunde! Das war Rekord. Herr Kageyama lächelt. O-TON Kageyama Japanisch SPRECHER Dieser Berg war für die Menschen immer schon heilig. Man steigt auf den Fuji, um die Seele zu trainieren. Das ist eine Herausforderung. Es geht darum, ein guter Mensch zu werden, denn für die Japaner ist der Fuji ein Gott. Mit jedem Schritt kommt man der Vollkommenheit ein bisschen näher. Bis man schließlich auf dem Gipfel steht. Das ist das Höchste. ERZÄHLER Den letzten Ausbruch gab es 1707 mit fast 5000 Toten, aber auch heute noch gilt der Fuji ganz offiziell als aktiver Vulkan, sagt Herr Kageyama lächelnd. Glaubt er denn, dass sein Berg noch mal explodieren könnte? O-TON Kageyama Japanisch SPRECHER Selbstverständlich. Jeder hier wartet darauf. MUSIK The Ondekoza / Fujiyama / 9. Monochrome II ATMO Aufstieg ERZÄHLER Oberhalb der Fünften Station und somit also auch oberhalb der Baumgrenze wächst die Erkenntnis, dass der Fuji, aus der Distanz betrachtet, zwar so schön wie kaum ein anderer Berg ist, in der direkten Begegnung aber einen doch eher öden Eindruck macht. Graubrauner Lavaschutt und graubrauner Lavasand, wo die Füße immer wieder abrutschen, wechseln mit oftmals sehr hohen natürlichen Steinstufen. Vereinzelt stehen mächtige Mauern am Wegesrand. Sie sollen vor Erosion und Lawinen schützen. Kein Strauch, kein Grashalm, nichts, woran sich das Auge erfreuen könnte. Alles in allem eine anstrengende Monotonie in zunehmend dünnerer Luft. Das Ziel ist allein der Gipfel und sicher nicht der Weg. ATMO Sauerstoffflasche ERZÄHLER Die zurückgelegten Abschnitte werden kürzer, die Pausen länger. Die Zahl erschöpfter Bergsteiger nimmt zu. Manche liegen wie Käfer auf dem Rücken, bzw. auf ihren Rucksäcken und lassen die mit nach oben geschleppte Extraration Sauerstoff in die schwer pumpenden Lungen strömen. Danach setzen sie an zum nächsten Zwischensprint, bis zur nächsten halben Ohnmacht, dann wieder Sauerstoff, wieder Rennen bis zum Anschlag und so weiter und so weiter. O-TON Russel You know ? this is eight and then there are several huts and there is real eight and then there is another hut and there is eight an a half. Where is nine and ten? ERZÄHLER Russel studiert mit müdem Blick die Karte. Es gibt eine achte Station, verschiedene Hütten, eine ?achteinhalbe? Station, wieder eine Hütte. Wo aber sind neun und zehn? Der Nebel verschluckt alles. O-TON Russel 3100 meters ? that is good. Only 660 to go. ERZÄHLER Aber immerhin verrät der Höhenmesser, dass wir schon 3100 Meter erreicht haben und es nur noch knapp 700 Meter bis zum Gipfel sind. Unter uns Wolken - sonst nichts. Keine andere Bergkuppe, kein anderer Gipfel versperrt den Blick in die Weite. Zwischendurch öffnet der Wind die Aussicht auf einen schier endlosen, satt grünen Wald. Die Japaner nennen ihn Aokigahara, ?Meer der Bäume?. Der Wald ist auf tragische Weise legendär, weil am Schluss eines sehr beliebten, gleichnamigen Romans aus den 60er Jahren die unglücklich verliebte Heldin hier den Freitod sucht. Seitdem ist das Gebiet Ziel lebensmüder Menschen aus ganz Japan. Bei einer der letzten routinemäßigen Kontrollen von Polizei und Feuerwehr sollen mehr als 300 Leichen entdeckt worden sein. ATMO In die Hütte ERZÄHLER 18.30 Uhr - es reicht. Nach zehn Stunden im mittlerweile aufkommenden Sturm flüchten wir uns in die nächstbeste Hütte. Hinter der Schiebetür ein großer Raum, nur mit traditionellen japanischen Reisstrohmatten ausgelegt. Auf einem Altar in einer Nische begegnen sich ein kleiner dicker Buddha und ein schintoistischer Kami. Daneben prächtige Fotografien vom prächtigen Fuji. Ein paar japanische Bergsteiger massieren sich die Füße oder schlürfen Tee. Schuhe sind in der Hütte nach hiesiger Sitte tabu, und die strapazierten Bergesteigersocken sorgen für eine ganz eigene Fuji-Hütten-Atmosphäre. Rechts neben dem Eingang eine eingelassene Feuerstelle. Die Wärme soll sich unter den Bodenbalken verteilen. Tut sie aber nicht. Links eine kleine Theke, dahinter diverse Bier- und Limonadendosen. Der halbe Liter Wasser kostet umgerechnet drei Euro. Früher schleppten Sumoringer und Rikschafahrer auf den Berg, was benötigt wurde. Heute werden die Getränkedosen und Reissäcke von kleinen Kettenfahrzeugen heraufgekarrt. Seinen Müll muss jeder Bergsteiger selbst wieder mit hinunterschleppen. O-TON Russel (Hütte) Dinner is curry rice. OK? And tomorrow breakfast: Japanese beans with rice. - What is in the breakfast? ? Beans with rice. - Is it vegetarian? ? Yes, yes. ? OK, I try. ? 7350! ERZÄHLER Ein junger freundlicher Mann erklärt die Speisekarte. Reis mit Curry zum Abendessen, Reis mit japanischen Bohnen zum Frühstück. Russel ist einverstanden. Einschließlich der Übernachtung im Matratzenlager, in dem bis zu 300 Gäste Platz finden sollen, macht das umgerechnet etwa 45 Euro. Da es am Berg keine Wasserquellen gibt, fehlen in den Hütten auch die Duschen. Die Toiletten funktionieren mit einem Haufen Chemikalien. O-TON Russel (Hütte) Are you guys going to see the sunrise tomorrow morning? ? I hope so. What time do the people usually leave here? - About two. ? Two? ? Two or two thirty. It takes about two hours to climb to the top and the sunrise will be around four, four-thirty. ? Oh four-thirty! Really? That is early. ERZÄHLER Ob wir morgen den Sonnenaufgang sehen wollen, werden wir gefragt. Klar wollen wir das ? wir hoffen es zumindest. Wann müssten wir denn da aufstehen? So gegen zwei Uhr, lautet die ernüchternde Antwort. Bis zum Gipfel sind es noch zwei Stunden, und ab vier Uhr dreißig soll die Sonne kommen ? falls die Wolken ihr eine Chance geben. ATMO Hütte / Bierdosen ERZÄHLER Nach dem Essen gönnen wir uns ein ganz und gar nicht sportliches, dafür aber herrlich kühles Bier, strecken unsere Rücken, Beine und Füße behaglich auf den Matten und fühlen uns ausgesprochen wohl, wäre da nicht der Ausblick durch das große Fenster. ATMO Hütte / Wind ERZÄHLER Der Wind wird mehr und mehr zum Sturm. MUSIK The Ondekoza / Fujiyama / 9. Monochrome II ERZÄHLER Am frühen Morgen dann die bittere Erkenntnis: Aufsteigen macht keinen Sinn. Der Wind fegt die Wolken wie Daunenfedern umher. Weiter oben ist es noch schlimmer. Der Wetterbereicht für die nächsten Tage verheißt auch keine Besserung. Mittags nutzen wir eine kleine Wetterberuhigung zu einem sehr eiligen und sehr frustrierten Abstieg. ATMO Wind / Abstieg ATMO Sänger vor U-Bahnstation in Tokio ERZÄHLER Eine Woche später stehe ich an der U-Bahnstation Shinyuku in Tokio. Vor mir wird ein Straßensänger in zerflickten Jeans von ein paar jungen Mädchen mit auftoupierten Haaren angehimmelt. Neben mir steht mein Wanderrucksack. Ich will es noch einmal versuchen, ich will unbedingt hinauf auf Japans höchsten und heiligen Berg. Von Tokio aus ist das auch kurzfristig möglich. Der Bus braucht bis zur fünften Station maximal drei Stunden. Etsuko begleitet mich. Sie ist Ende dreißig, sehr hübsch und sehr freundlich. Wir kennen uns flüchtig, aus Berlin, wo sie lebt. Sie ist nach Japan gekommen, um ihre Familie zu besuchen. Heute will sie zum ersten Mal auf den Fuji. O-TON Etsuko Das Wetter, also, Regen ist nicht angesagt. Aber du weißt ja, oben. Also, ich schätze, wenn wir Glück haben, sind wir über den Wolken. Dann ist ja klar. Sonnenmilch oder so was? ERZÄHLER Habe ich und auch Wasser und viele Süßigkeiten und Regenzeug und eine Taschenlampe für den Aufstieg in der Nacht. O-TON Etsuko Die gehen alle auf Fuji. Dann reserviere ich gleich auch den Rückweg. ERZÄHLER Schon beim Ticketkauf ist klar, heute wird es eng. Wer hier mit festem Schuhwerk und Wanderrucksack ansteht, kann nur ein Ziel haben. Wildfremde Menschen tauschen verschwörerische Blicke: Klar, wir wollen auf den Fuji! ATMO In den Bus ERZÄHLER Im Bus sitzen ausschließlich japanische Bergsteiger, alle mit erwartungsfrohen Gesichtern. Populär ist hier die Geschichte von Herrn Teiichi Igarashi aus Fukushima, der bis zu seinem 108. Geburtstag jedes Jahr auf dem Gipfel stehen wollte. So hatte er es seiner verstorbenen Frau gelobt. Aber er schaffte es, unterstützt von vielen Helfern und unter Anteilnahme der ganzen Nation, nur einmal. Da war er allerdings auch schon hundert und ein Jahr alt. O-TON Ansage / Etsuko (Bus fährt / Ansage Japanisch) Er wünscht uns guten Morgen, Herrschaften. Mein Name ist ?Dadada?, ich werde heute sehr vorsichtig fahren, und ich freue mich sehr, dass ich Sie zum Fuji bringen darf. Anschnallen bitte, und wir kommen um zehn nach zehn an. Und Toilette ist hinten. (Bus fährt) ERZÄHLER Es geht vorbei an riesigen Geschäftsvierteln, Bürosilos mit zwanzig, dreißig oder vierzig Etagen, die erst nach langer Fahrt von Wohnvierteln mit überraschend vielen kleinen Einfamilienhäusern abgelöst werden. Mit ca. 35 Millionen Menschen ist Tokio der größte Ballungsraum der Welt. Bei so viel Grau in Grau werden die Augen müde und suchen Erholung bei einem kleinen Nickerchen. MUSIK The Ondekoza / Fujiyama / 8. Myoan O-TON Ansage (Bus, Ansage) Ladies and gentlemen we will soon be arriving at our last stop. Please make sure you have all your belongings with you, when getting out. We would like to thank you for driving? ERZÄHLER Der Bus erreicht die fünfte Station. ATMO Platz mit Ansage ERZÄHLER Die Parkplätze sind riesig und zum großen Teil schon voll. Aus unzähligen PKW und Bussen quellen die Bergfreunde eher in Kompanie- als in Gruppenstärke. Aus den Lautsprechern tönt eine Daueransage mit allen möglichen Warnungen und Hinweisen. Der Trubel ist gewaltig. Wir machen uns auf den Weg. ATMO Gehen im Gedränge ERZÄHLER Ein paar schnelle Schritte, ein kleiner Zwischenspurt, so der Plan, und wir sind die Menge los. Doch die Kalkulation geht nicht auf. Der Fuji ist voll. Überall Bergsteiger, meist in großen Gruppen. Einige sind ausgerüstet, als wollten sie einen Himalajariesen bezwingen, andere sehen in ihren dünnen Plastikregencapes so aus, als planten sie einen Strandspaziergang im Nieselregen. Einige tragen in ihren ausgetretenen Turnschuhen nicht einmal Socken. ATMO Gedränge ERZÄHLER Immer wieder gibt es kleine Staus. Wir wandern im Stop-and-go- Rhythmus. ATMO Führer mit Gruppe, Atemgeräusche ERZÄHLER Ein Führer ermahnt seine Gruppe, dass sie das Atmen nicht vergessen soll. Die meist älteren Bergfreunde nehmen den Ratschlag dankbar an. Die ersten scheinen sich zu fragen, ob das mit der Fujibesteigung wirklich eine so gute Idee war. MUSIK The Ondekoza / Fujiyama / 3. Fujiyama ATMO Hütte ERZÄHLER Großer Auflauf im Fuji-San Hotel auf 3200 Metern Höhe. Die Bezeichnung ?Hotel? ist eine dem Marketing geschuldete Irreführung. Abgesehen davon, dass man hier im Speiseraum die Schuhe anbehalten darf, sieht es genauso aus wie in den übrigen Berghütten. Tische und Bänke sind wie die Wände aus Holz. Dazu gibt es ein paar Fotos mit ? na, klar - dem Fuji. Dazwischen darauf, daneben, darunter hocken verschwitze Bergsteiger mit erschöpften, aber glücklichen Gesichtern. Es riecht nach Nudelsuppe. Helfer bringen Speis und Trank. Die Geschäfte gehen offensichtlich gut. Allerdings sind die Hütten auch nur reichlich zwei Monate im Jahr geöffnet. O-TON Wirt Japanisch ERZÄHLER Der Wirt kommt zum Kassieren an unseren Tisch. Ein kleiner, drahtiger Mann, Mitte fünfzig, mit vom Wetter gegerbtem Gesicht, langen, weißen Haaren und schiefen Zähnen. Die Natur ist einfach zu hart, sagt er. Der Schnee kommt meist schon Ende September, und dann wird der Weg zum Gipfel sehr schwierig. O-TON Wirt Japanisch SPRECHER Wir haben hier viele Ausländer. Mehr als die Hälfte. Manchmal witzeln wir, dass der Fuji gar kein japanischer Berg mehr ist. ERZÄHLER Und warum wollen so viele auf dem Gipfel stehen? Es ist meine Lieblingsfrage. Seine ist es nicht. Er hat sie wohl schon etwas zu oft gehört. O-TON Wirt Japanisch SPRECHER Weil das hier der beste, also der höchste und schönste Berg von ganz Japan ist. ERZÄHLER Und was ist mit der Heiligkeit? O-TON Wirt Japanisch SPRECHER Natürlich ist er heilig. Obwohl ? für viele junge Leute gilt das wohl nicht mehr. ERZÄHLER Und warum ist der Fuji heilig? Der Mann schaut sich um, sieht die nächsten Gäste hereinströmen, holt tief Luft. O-TON Wirt Japanisch SPRECHER Japan ist das Land der schintoistischen Götter. Jeder Berg hier hat einen Gott. Und der Fuji hat natürlich den höchsten Gott. Und die Leute kommen hierher, um diesen Gott zu verehren. Die Geschichte dahinter ist uralt. Das geht auf die Ursprünge des Schintoismus zurück. ATMO Ins Matratzenlager ERZÄHLER Einer der Helfer zeigt uns die Schlafplätze direkt unter dem Dach. Ein fünfzehn Meter langer Gang, kaum einen halben Meter breit. Links und rechts je ein durchgehendes Etagenbett, alle 80 Zentimeter ein neues Kopfkissen mit einer neuen Nummer. Es ist kalt, die groben Decken sind klamm. Gemütlichkeit sieht anders aus. O-TON Etsuko (Japanisch) Essen und Trinken ist hier verboten. Rauchen verboten. Und Rücksicht nehmen auf die Leute unten, die da schlafen. ERZÄHLER Einige Bergfreunde liegen schon um 18 Uhr mit angelegten Armen und lethargischem Blick sardinengleich auf ihren Plätzen. Die empfohlene Abmarschzeit ist zwei Uhr nachts, obwohl es nur eine gute Stunde bis zum Gipfel ist und die Sonne erst gegen halb fünf aufgehen wird. Doch wegen der ?Staugefahr? auf den engen, steilen Wegen solle man eine Extrastunde einkalkulieren, rät der Hüttenwirt. ATMO Hütte O-TON Hokushi Japanisch ERZÄHLER Unten am Tisch sitzt Hokushi, lang und schlaksig, mit dicker Brille. Vor ein paar Tagen ist er dreißig geworden. Die letzten drei Wochen ist er zur Vorbereitung auf den Fuji zur Arbeit gejoggt. Morgen will er auf dem Gipfel stehen. Es ist sein zweiter Versuch. O-TON Hokushi Japanisch SPRECHER Schon im vorigen Jahr habe ich es gemeinsam mit einem Kumpel probiert. Und genau hier an der achten Station ging es dann nicht mehr. Ich wurde krank. Mein Kumpel musste mich hinunterführen. Und jetzt sind wir wieder hier. Es geht um eine Revanche. Ich will es unbedingt schaffen. ERZÄHLER Warum ihm das so wichtig sei, will ich wissen. O-TON Hokushi Japanisch SPRECHER Mein Vater, er ist schon 70, war zehnmal auf dem Gipfel! Überhaupt, meine Familie, die ganze Verwandtschaft, alle waren schon oben. Außer mir. Ich bin der einzige, der es noch nicht geschafft hat. Und alle haben gesagt, dass der Sonnenaufgang dort oben so schön sei, dass man davon süchtig wird. ERZÄHLER Und schließlich, und das dürfe ich auf keinen Fall vergessen, sei Japan ja ?das Land der aufgehenden Sonne?! Hokushi lächelt, trinkt einen Schluck Tee, rückt die Brille zurecht. Langsam redet er sich warm. O-TON Hokushi Japanisch SPRECHER Am Kindergarten in meiner Heimatstadt gab es auch einen Shengen-Schrein, in dem der Fuji verehrt wird. Und deswegen glaube ich an diesen Gott. Und genau hier wohnt er. ERZÄHLER Eine Frage? Aber er spricht einfach weiter. O-TON Hokushi Japanisch SPRECHER Wenn wir morgen Glück haben, treffen wir sogar auf Soldaten, die da oben trainieren. Aber du brauchst keine Angst zu haben, die sind nicht bewaffnet. ERZÄHLER Nicht nur das mit dem Militär scheint ihm zu gefallen. O-TON Hokushi Japanisch SPRECHER Ich habe am gleichen Tag Geburtstag wie der Kronprinz und wenn der dann mal Kaiser ist, wird das ein Feiertag sein. ERZÄHLER Themenwechsel! Wo ist denn sein Kumpel? O-TON Hokushi Japanisch SPRECHER Der schläft schon, diesmal ist er leicht erkrankt. ERZÄHLER Dann könnte es ihm ja passieren, dass er morgen wieder nicht auf den Gipfel kann, weil er seinen Freund ins Tal begleiten muss? O-TON Hokushi Japanisch ERZÄHLER Nein, auf keinen Fall, sagt Hokushi, dann müsse er eben allein zum Gipfel. MUSIK The Ondekoza / Fujiyama / 9. Monochrome II ATMO Hütte / Schnarchen ATMO Vor der Hütte / Sauerstoffflaschen ERZÄHLER Zwei Uhr morgens vor der Hütte. Am Himmel leuchten verheißungsvoll ein paar Sterne. Am Boden kauern erschöpft die ersten Bergsteiger von den weiter unten gelegenen Hütten. Der künstliche Sauerstoff soll es richten. Immerhin sind es noch gut 500 Höhenmeter. Der Gipfel bietet einen surrealen Anblick. Die kilometerlange Aufstiegsroute gleicht einem ewig langen Lichterwurm aus den Taschen- oder Kopflampen der Bergsteiger. Und von unten kommt noch so ein Tausendfüßer. ATMO Aufstieg ERZÄHLER Der Gipfelsturm zum Fuji - das ist Bergwandern extrem. Allgemeines Stolpern von Staustufe zu Staustufe. Alle wollen zur Sonne. Doch Drängeln ist verpönt. Der Kampf gilt der eigenen Erschöpfung. Das Ziel ist nah. Die Zeit drängt. Ein Vater trägt seinen kaum fünfjährigen Sohn auf dem Rücken. Manche kriechen mehr als dass sie gehen. Andere scheinen am Wegesrand vor Erschöpfung eingeschlafen zu sein. Einige ahnen wohl schon, dass sie es nicht schaffen werden. Panik steht auf ihren Gesichtern. Wer das erlebt, kann nicht glauben, dass trainierte Läufer bei einem jährlich stattfindenden Sportfest lediglich gut zweieinhalb Stunden von ganz unten bis hinauf zum Gipfel brauchen. ATMO Aufstieg / jammernde Frau ERZÄHLER Eine Frau hockt im Lavaschutt und übergibt sich. Ein Mann versucht, sie zu trösten. Die anderen gehen weiter. Platz zum Überholen ist selten. Wo er sich bietet, wird er genutzt. Bergführer treiben ihre Gruppen wie Herden an. ATMO Gipfel / Wind / Flötenspieler ERZÄHLER Endlich oben auf dem Gipfel ? oder besser: am Kraterrand. In 3776 Meter Höhe trifft der eisige Wind auf einen tapferen Flötenspieler. Es gibt, so viel lässt sich in der Dunkelheit erkennen, ein paar Hütten, einen Schrein, einfache Restaurants, sogar eine Poststation. Doch noch ist alles geschlossen. Im Osten zeigt sich am Horizont ein schmaler Streifen, dessen Blau ein wenig heller scheint als der Rest vom Himmel. Immer mehr Bergsteiger erreichen ihr Ziel und suchen sich die besten Plätze für die hoffentlich bald aufgehende und hoffentlich bald wärmende Sonne. ATMO Aufstieg ERZÄHLER Aus dem schmalen blauen Streifen, wird ein dicker orangefarbener Balken. Der Himmel hellt sich auf. Die Spannung steigt. Vier- bis fünftausend Menschen drängen sich erwartungsfroh am Kraterrand, und es kommen immer mehr. Und dann, exakt um 4.43 Uhr? ATMO Sonnenaufgang / juchzende Bergsteiger ERZÄHLER ?ist sie da: Die Sonne, begrüßt von Hunderten kleiner und sehr kleiner Digitalkameras. Schon beim allgemeinen Schulterklopfen mache ich mich an den Abstieg. Ich habe es satt, im Stau zu stehen. 1