Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 25. Januar 2010, 19.30 Uhr Ausgebrannt ? Wenn der Job die Kräfte raubt Eine Sendung von Ingrid Füller Musik 1 Pinkfloyd: "A saucerful of secrets" Song Nr. 5 ab: 4:00 O-Ton 1a Christian, Projektmanager Ich stand immer unter Zeitdruck, zusätzlich zu den Arbeiten, die man sowieso schon eingeplant hat, die auch schon voll auslastend waren, immer noch mit neuen Projekten obendrauf, auch die umzusetzen. O-Ton 1 b Martin, IT-Experte Man ist immer und überall erreichbar, egal ob das Email oder Telefon ist, man ist für jeden immer verfügbar und das muss man auch sein. Und bestimmte Vorgänge kann ich nicht mehr durchdenken, weil ich keine Zeit dafür habe. Musik 1 wieder hoch ? darauf: Spr. vom Dienst Ausgebrannt ? Wenn der Job die Kräfte raubt Eine Sendung von Ingrid Füller Atmo 1 Collage: Schreiben auf PC-Tastatur - Zwei Telefonklingeltöne O-Ton 2 Martin Diese absolute Rendite- und Ergebnisorientierung ... Es gibt nicht mehr die Chance, sich langfristig zu bewähren. Ergebnisse müssen sofort da sein. Wenn die Ergebnisse schlecht sind, gibt's einen vor die Nase, und den Druck hält man ne ganze Zeitlang aus, wenn man auch mal einen Erfolg einfährt, aber wenn diese Erfolge dann mal ausbleiben, es gibt mal ein gutes und mal ein schlechtes Jahr, und die darf es einfach nicht mehr geben. Sprecherin 2 Martin, 42 Jahre, IT-Experte, seit 20 Jahren im Vertrieb eines internationalen Konzerns tätig. O-Ton 3 Martin Wenn man in zehn Jahren zehn oder zwölf Um- oder Reorganisationen gemacht hat, und das ist so in den letzten zehn Jahren passiert, das sind die Zeitpunkte, wo die Menschen dann auch verschlissen worden sind. Man kann sich ja als Mensch immer nur auf bestimmte neue Situationen einstellen, aber wenn man in einer bestimmten neuen Situation sagt: ich mach sie ... Atmo 2 SMS-Ton O-Ton 4 Martin ... aber die neue Situation wird immer kürzer, und die wird auch gar nicht mehr zu Ende gezogen, man hört immer auf halber Strecke auf, und das ist seit ungefähr zehn Jahren so in großen Organisationen, dann ist das schlimm. Sprecherin 1 Bis in die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts klagten nur wenige Menschen über Dauerstress am Arbeitsplatz. Meist waren es Angehörige sozialer Berufe, die sich von den Problemen anderer überfordert fühlten: Ärzte und Krankenschwestern, Altenpfleger und Sozialarbeiter. Doch nach und nach brannten immer mehr Beschäftigte aus: Lehrer und Journalisten, Manager und LKW-Fahrer, Verkäuferinnen und Rechtsanwälte. Arbeiter waren ebenso betroffen wie Angestellte, Freiberufler und Selbständige. Die wachsende Arbeitsdichte, der zunehmende Leistungs- und Termindruck lösten diverse psychische und psychosomatische Beschwerden aus. In der Fachliteratur sind rund 130 verschiedene Symptome aufgelistet, die als Hinweis auf chronische Überlastung gelten. Zum Beispiel: Zitator Schlaflosigkeit, anhaltende Müdigkeit und Erschöpfung, Reizbarkeit und Konzentrationsschwäche, Vergesslichkeit, Niedergeschlagenheit, Ohrgeräusche, Verdauungsprobleme, ständig wiederkehrende Kopf-, Rücken- oder Muskelschmerzen, Aggressivität, Sinnkrisen bis hin zu Suizidgedanken. Sprecherin 1 1974 bezeichnete der Psychoanalytiker Herbert Freudenberger den Erschöpfungszustand, der durch Dauerstress entsteht, als "Burnout". Seitdem hat sich das Syndrom wie ein Virus verbreitet, das alle Berufsgruppen befällt. O-Ton 5 Stark Das gilt für die Stewardess, die eine Arbeitstaktung hat, dass sie kein soziales Netz mehr aufrechterhalten kann. Das gilt für den Computerfachmann, der nur noch vorm Bildschirm sitzt und keine Kontakte mehr hat. Das gilt für den ganz normalen Arbeitnehmer. Sprecherin 2 Professor Michael Stark, Chefarzt der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie am Asklepios Westklinikum Hamburg. O-Ton 6 Stark Ich habe eine Patientin gehabt, die in einem Callcenter für eine Krankenkasse die Anrufe der Versicherten bearbeiten musste, die sich beschwert haben oder nachgefragt haben, und die von dem Abteilungsleiter so kontrolliert war, dass er sehen konnte, wenn die Callcenter-Mitarbeiter am Telefon waren. Die hatte manchmal Anrufe, die sie extrem emotional beteiligt haben, wenn jemand angerufen hat, ich brauch' das Medikament für mein krankes Kind, warum zahlt ihr das nicht, dass sie irgendwann auch Pausen brauchte ? und aus lauter Verzweiflung sich von ihrem eigenen Handy angerufen hat an ihrem Arbeitsplatz, um mal fünf Minuten Pause zu haben, damit der Abteilungsleiter nicht sieht, aha, die Lampe leuchtet nicht, die führt kein Gespräch. Solche extremen Formen kann es mittlerweile in der Wirtschaft annehmen, weil Arbeitsabläufe viel mehr durchgetaktet sind und dadurch auch durchsichtig und nachvollziehbar, ob der betreffende Arbeitnehmer einen Fehler macht, ob er die Qualität aufrechterhält. Das erzeugt einen massiven Druck auf den einzelnen Menschen. Sprecherin 1 Unter Dauerstress leidet nicht nur die Gesundheit, sondern die gesamte Lebensqualität. Denn der "lange Arm der Arbeit" reicht bis weit in die Freizeit hinein: Wer im Job ständig unter Druck steht, wer lange oder unregelmäßige Arbeitszeiten hat, dem fehlt die Kraft für die Pflege sozialer Kontakte. Ein tragfähiges emotionales Netz kann nicht entstehen ? oder es zerreißt. O-Ton 7 Christian Sozialleben, so mit Freunden, das gab's gar nicht mehr. Das hat über die Jahre immer mehr abgenommen, und in den letzten Jahren hat es das eigentlich gar nicht mehr gegeben. Familienleben? Ja, abends kurz noch mal, wenn ich rechtzeitig zu Hause war, dass man vielleicht noch zusammen gegessen hat und die Kinder ins Bett gebracht hat. Aber das war schon ein Maximum. Meistens hat das gar nicht funktioniert. Und bei Geschäftsreisen ist man ja sowieso abends nicht da. Sprecherin 2 Christian, 40 Jahre, Ingenieur, seit zehn Jahren Projektmanager in einem Konzern der Konsumgüterindustrie. O-Ton 8 Martin Man hat nachher nur noch die Arbeit und alles, womit man ein bisschen kompensieren könnte ? früher war ich vier- bis fünfmal die Woche zum Sport, ich hab viel gemacht ? das war nachher alles weg, weil ich auch keine körperliche Kraft mehr hatte. Man zieht sich total zurück, und man hat auch keine Lebensfreude, das ist alles weg. Und da machen auch viele Menschen den Fehler und sagen, ich verdiene ja so gut, das kann man mit Geld kompensieren. Das kann man nicht, das ist echt Blödsinn. Sprecherin 2 Martin, IT-Experte Musik 2 Pinkfloyd: "A saucerful of secrets" Song Nr. 5 ab: 6:00 Sprecherin 1 In den großen Industrienationen arbeiten immer mehr Beschäftigte am körperlichen und seelischen Limit. Ein besonders drastisches Beispiel ist Japan: Dort leisten zahllose Menschen ständig Überstunden ? oft bis weit in die Nacht hinein. Mit verheerenden Folgen, denn Tausende von Japanern bezahlen Jahr für Jahr die nicht endenden Arbeitstage mit dem Leben. In der japanischen Sprache gibt es dafür sogar einen eigenen Begriff: Zitator "Karoshi" ? Tod durch Überarbeitung. Sprecherin 1 Auch mitten in Europa treibt der wachsende Leistungsdruck am Arbeitsplatz Menschen in den Tod. O-Ton 9 Wahl-Wachendorf Wenn wir ins benachbarte Ausland gucken, beispielsweise nach Frankreich, dann haben wir es ja mit einer ganz massiven Problematik zu tun, nämlich, dass es dort eine Reihe von Selbstmorden gegeben hat und dass diese Selbstmorde ganz offensichtlich im Zusammenhang mit den Arbeitsplatzbedingungen standen. Sprecherin 2 Dr. Anette Wahl-Wachendorf, Fachärztin für Arbeitsmedizin und Präsidiumsmitglied im Verband der Deutschen Betriebs- und Werksärzte. Sprecherin 1 Permanente Überlastung, Zwangsversetzungen, Kontrollen und Schikanen durch Vorgesetzte lösten in einer Reihe französischer Großbetriebe regelrechte Selbstmordwellen aus: Unter anderem bei France Télécom, Renault, Peugeot und Novartis. Ob es auch in Deutschland zu solchen Entwicklungen kommt, kann niemand sagen. O-Ton 10 Wahl-Wachendorf Wir haben im Moment keine Anhaltspunkte für solch ein dramatisches Ereignis. Aber deshalb thematisieren wir ja psychische Belastungen in Deutschland auch jetzt, damit es nicht diese Auswirkungen hat. Atmo 3 Mehrere Telefonklingeltöne Sprecherin 1 Aus aktuellen Untersuchungen geht hervor, dass krankmachender Stress am Arbeitsplatz auch bei uns weit verbreitet ist. Eine repräsentative Studie von Techniker-Krankenkasse, FAZ-Institut und Forsa ergab: Zitator 80 Prozent der Deutschen fühlen sich gestresst. Jeder Dritte steht pausenlos unter Strom. Jeder Fünfte bekommt die Folgen gesundheitlich zu spüren ? von Schlafstörungen bis zum Herzinfarkt. Rund zehn Millionen Fehltage gingen im Jahr 2008 auf das Burnout-Syndrom zurück. Fast 40 000 "ausgebrannte" Menschen blieben das ganze Jahr über dem Arbeitsplatz fern. Das entspricht einer Zunahme von 17 Prozent ? verglichen mit dem Jahr 2003. Sprecherin 1 Noch drastischer fällt der Vergleich mit früheren Jahren aus: Seit 1997 nahmen die Fehltage wegen psychischer Erkrankungen um fast 80 Prozent zu. An erster Stelle stehen Erschöpfungsdepressionen ? ein Synonym für ein schweres Burnout- Syndrom. Dabei arbeiteten die Menschen früher, zum Beispiel in der Nachkriegszeit, wesentlich länger und härter als heute ? und bekamen trotzdem kein Burnout. O-Ton 11 Oppolzer Wir haben es heute mit einem Strukturwandel in dem Belastungs-/Bean- spruchungsgeschehen in der Arbeitswelt zu tun. Sprecherin 2 Alfred Oppolzer, Professor für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität Hamburg O-Ton 12 Oppolzer Waren es in den 50er und 60er-Jahren noch im Wesentlichen die schweren körperlichen Belastungen und die negativen Umgebungseinflüsse Lärm, Gefahrstoffe und vor allem auch Arbeitsunfälle, die das Belastungs- und Gefährdungspotenzial darstellten, so sind es heute eher intensive Formen der Beanspruchung, die mit hoher Arbeitsintensität, hohem Arbeitstempo, geringen Zeitvorgaben, Termindruck, Leistungsdruck verbunden sind, die das Gefährdungspotenzial für die Mitarbeiter darstellen. Atmo 4 SMS-Ton O-Ton 13 Christian Überstunden sind in dem Bereich normal, das wird auch erwartet. Sprecherin 2 Christian, Projektmanager in der Konsumgüterindustrie. O-Ton 14 Christian Man hat zwar nen Vertrag, der zwar auf ner Basis von 40 Stunden angelegt ist, aber da geht keiner von aus, dass man mit 40 Stunden in der Woche auskommt. Also wird jeden Tag mehr gearbeitet, gegebenenfalls abends, am Wochenende, wenn wichtige Termine, Meetings sind, dann auch in den Ferien, in der Urlaubszeit, man muss ja alles mitkriegen und die Kontrolle behalten über die Projekte. Immer dabei sein, immer alles mitbekommen, immer kurzfristig reagieren können, das war halt wichtig. Atmo 5 Email-Eingang: "Sie haben Post." O-Ton 15 Christian Das hat sich noch verstärkt mit der Einführung von BlackBerry ... Zitator ... ein drahtloses Gerät zum Lesen und Schreiben von Emails, die direkt auf dem Mobilteil landen ... O-Ton 16 Christian Da hat man seine Emails ständig überall dabei, kann nachts um zwölf noch mal antworten, wenn jemand noch geschrieben hat oder am Wochenende, kann man das auch so machen, dass die Familie das vielleicht nicht mitbekommt, damit man da nicht noch zusätzlichen Streit provoziert, dass man dann heimlich noch mal überprüft, ob noch was Wichtiges gekommen ist, ob man noch schnell mal reagieren muss darauf. Atmo 6 Schreiben auf PC-Tastatur (wie Atmo 1) O-Ton 17 Martin Das ist auch so ein immer wiederkehrender Kreislauf, den man in der IT-Branche immer merkt: Da werden Dinge nicht unbedingt neu erfunden, die werden nur anders verpackt. Sprecherin 2 Martin, 42 Jahre, IT-Experte O-Ton 18 Martin Und dann zaubert wieder irgendeiner ne Excel Tabelle aus dem Hut, so jetzt machen wir das mal so, dann sag ich, das kennen wir doch schon, nein, das muss aber jetzt da eingeführt werden. Das heißt man macht bestimmte Sachen, weil nicht die eine Prozesskette in die andere greifen kann. Und dann muss man, um eine Aufgabe zu erledigen, zum Beispiel vier oder fünf Software-Tools bedienen. Und das ist zeitaufwendig. Und das frisst einen auf. Musik 3 Pinkfloyd: "A saucerful of secrets" Song Nr. 5 ab: 8:40 Sprecherin 1 Burnout kann nicht nur durch zuviel Arbeit entstehen, sondern auch durch unsichere oder befristete Arbeitsverhältnisse. O-Ton 19 Stark Das hat seinen deutlichen Anfang in den Hartz IV-Gesetzen genommen, wo dann auch klar war, wenn wir arbeitslos werden und ein gewisses Alter erreicht haben, dann wird die Chance nicht groß sein, einen Arbeitsplatz wieder zu finden. Sprecherin 2 Michael Stark, Psychiater und Psychotherapeut O-Ton 20 Stark Aber wir werden nach zwei Jahren auf Sozialhilfeniveau abgesunken sein und unser Erspartes, was wir vielleicht angesammelt haben, um nach der Berentung mal frei leben zu können oder was nachholen zu können, was wir uns sonst immer versagt haben, dass das weg geschmolzen wird. Und das ist ein massiver Einbruch der gesamten Grundeinstellung zum Leben, der Lebensvisionen, die ein Mensch hat, wenn er weiß, dass das bedroht ist. Sprecherin 1 Wissenschaftliche Studien zeigen eindeutig: Die Sorge um den Arbeitsplatz und die Angst vor sozialem Abstieg bergen ein hohes Krankheitsrisiko. O-Ton 21 Oppolzer Wir wissen aus vielen Untersuchungen, insbesondere aus dem skandinavischen Bereich, dass nicht die tatsächlich eingetretene Arbeitslosigkeit der stärkste Stressor ist, sondern vielmehr noch die drohende Arbeitslosigkeit für die verbliebenen Beschäftigten die Gesundheit in besonderem Maße gefährdet. Und psychische Erkrankungen, insbesondere depressive Störungen, werden durch solche prekären Beschäftigungsverhältnisse, durch strukturelle Arbeitsunsicherheit gefördert. Sprecherin 2 Alfred Oppolzer, Professor für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität Hamburg. Sprecherin 1 Grundsätzlich kann jeder Mensch in jedem Beruf ausbrennen. Auch Beamte, die nicht um ihren Arbeitsplatz bangen müssen. Besonders Burnout-gefährdet sind Lehrer. Atmo 7 Schulgong O-Ton 22 Gerhard Das Problem ist, dass wir in den vergangenen Jahren einen immer größeren Migrationshintergrund haben, etwa 80 bis 90 Prozent der Schüler Deutsch nicht als Muttersprache gelernt haben, sondern verschiedene andere Sprachen aus Arabien, der Türkei, aus Afghanistan und aus dem Grund von den Voraussetzungen her schon schwierige Schüler sind. Dazu kommt, dass aufgrund von Sparmaßnahmen im Schulbetrieb die Klassenfrequenz etwa 32 Schüler beträgt und dass solche Klassen durch einen einzelnen Lehrer, der ohne Hilfe dort arbeiten muss, kaum noch beschulbar sind. Sprecherin 2 Gerhard, 63 Jahre, Diplom-Handelslehrer, seit über 30 Jahren im Schuldienst. Sprecherin 1 Die Behörde habe die Arbeitszeit der Lehrer deutlich erhöht, sagt Gerhard, der pro Woche 28 Stunden Unterricht leistet, mit Vorbereitungen und Korrekturen aber auf fast 50 Wochenstunden kommt. Ganz abgesehen davon, dass viele Schüler disziplinlos und aggressiv seien und sich als Versager fühlten, weil sie keine Ausbildungsplätze fänden. O-Ton 23 Gerhard Es kommt vor, wenn ich dann 30 Klassenarbeiten korrigiert habe und nachts um eins oder zwei fertig geworden bin und am nächsten Tag in den Unterricht komme und eine Reihe Fünfen und Sechsen zurückgebe, dass die Schüler gleich schscht machen (zerreißt Papier) und das in den Papierkorb schmeißen und sagen, oh, ich hab schon wieder verkackt. Und der Lehrer ist natürlich schuld, wenn die Arbeiten so schlecht ausfallen, obwohl: die Schüler haben monatelang keine Hausaufgaben gemacht, sind nicht im Unterricht gewesen, haben geschwänzt und sich auch nicht darum gekümmert, was an Lehrstoff drangekommen ist, trotzdem wird es dem Lehrer angelastet. Der ist eben unfähig, ihnen was beizubringen. Sprecherin 1 Nach einer im Jahr 2006 durchgeführten Studie des Freiburger Medizinprofessors und Psychotherapeuten Joachim Bauer zeigt etwa ein Drittel der Gymnasiallehrer Anzeichen für das Burnout-Syndrom. Die untersuchten Lehrkräfte litten häufig unter Angst- und Panik-Symptomen, Depressionen, Herz-Kreislaufstörungen und massiven Schlafproblemen. Den stärksten Stress lösten zu große Klassen und destruktives Schülerverhalten aus. Pädagogen, die an Hauptschulen und anderen "Restschulen für Marginalisierte" arbeiten, tragen nach Ansicht der Forscher ein noch höheres Burnout-Risiko als ihre Kollegen an Gymnasien. O-Ton 24 Gerhard Man hat den Eindruck, dass es dem Staat egal ist, ob die Lehrer ihr Pensionsalter erreichen, denn die Arbeitszeit wird munter erhöht, die Zahl der Schüler wird erhöht, Gehälter werden gestrichen, Weihnachtsgeld eingespart, Urlaubsgeld eingespart. Es mangelt hier und da, die Lehrerzimmer und die Schulen sind nicht vernünftig ausgestattet, wir haben keine Ruheräume, wir können uns nirgendwo entspannen, es sind 40 Kollegen in einem Raum in der Pause, wo dann eigentlich 20 Minuten eine gewisse Ruhe sein sollte oder Zeit zum Frühstücken, aber da wird dann über die Schüler erzählt, dann finden teilweise Konferenzen statt und Ähnliches. Sprecherin 1 Chronischer Stress hinterlässt im Organismus seine Spuren. Wann der Zeitpunkt erreicht ist, an dem Körper und Seele streiken, hängt nicht nur von der individuellen Belastbarkeit ab. Der Düsseldorfer Medizinsoziologe Johannes Siegrist wies bereits in den neunziger Jahren auf weitere wichtige Faktoren hin, die am Arbeitsplatz über Krankheit oder Gesundheit entscheiden: Mangelnde Einflussnahme und mangelnde Gratifikation. Wenn hoher Arbeitseinsatz nicht anerkannt und entsprechend bezahlt wird, steigt das Risiko für Herzinfarkt und für Depressionen deutlich an. O-Ton 25 Martin Das ist ja so das Bauchgefühl, das man mit der Zeit entwickelt: Ich bin für alles verantwortlich und werde auch für alles verantwortlich gemacht, aber ich hab kaum Chancen, irgendwas zu beeinflussen. Die Einflussnahme, die immer suggeriert wird durch Feedback, wo das Management auf uns zugekommen ist und sagte, wir helfen euch bei euren Problemen, erklärt uns das mal. Dann erklärst du das, aber es kommt dabei nie was raus. Es wird niemals nachhaltig etwas geändert oder verbessert. Es passiert nichts, und das ist auch so ein gewisses Gefühl der Ohnmacht. Sprecherin 2 Martin, IT-Experte O-Ton 26 Gerhard Einmal wird man von den Schülern, die man heute hat, ja überhaupt nicht mehr anerkannt, der Lehrer ist der letzte Dreck, der letzte Arsch müsste man eigentlich sagen, mit dem man ja machen kann, was man will. Die Disziplinarmaßnahmen, die einem als Lehrer zur Verfügung stehen, um Schüler oder Klassen in Schach zu halten, sind dermaßen albern, dass sie überhaupt nicht greifen. Dazu kommt, dass die Behörde unsere Bemühungen überhaupt nicht anerkennt, ob man 25 oder 30 Jahre an der Schule ist, das interessiert niemanden, ob man jahrelang seine Arbeit gut gemacht hat, interessiert auch niemanden. Als ich angestellt wurde, war es so, dass man nach fünf Jahren befördert wurde, die Beförderungen wurden immer weiter hinausgezögert, das hat bei mir über 25 Jahre gedauert, bis dann endlich die Beförderung mal da war, die auch mit einer Gehaltserhöhung verbunden ist. Sprecherin 1 Für Gerhard kam diese Anerkennung zu spät. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich von Jahr zu Jahr: Nach einem Magengeschwür, einer Nierenerkrankung und anderen körperlichen Beschwerden verlor er zusehends den Antrieb. Bis er eines Tages zu Hause vor dem Computer saß und weder korrigieren noch den Unterricht vorbereiten konnte, sondern regelrecht erstarrte. O-Ton 27 Gerhard Es gibt Kollegen, die fangen an zu weinen und können nicht mehr arbeiten. Es gibt Kollegen, die nachts nicht mehr schlafen und total aufgeregt in die Schule gehen, alles vergessen, sich nicht mehr konzentrieren können. Bei mir hat sich das als totale Lähmung, als Antriebslosigkeit dargestellt, aus der ich auch allein nicht mehr rausgekommen bin. Musik 4 Pinkfloyd: "A saucerful of secrets" Song Nr. 5 Sprecherin 1 Fast immer entwickelt sich ein Burnout-Syndrom im Laufe von Jahren. Schon lange vor dem Zusammenbruch weisen unterschiedliche Symptome darauf hin, dass sich der Akku leert. Etwa: Zitator Das wiederkehrende Klingeln in den Ohren, der Druck im Kopf, auf dem Magen oder auf der Brust, der viel zu hohe Puls, häufige Infektionen, auffallende Nervosität, Konzentrationsmangel, Appetitlosigkeit und massive Probleme mit dem Schlaf. Sprecherin 1 Wer solche Frühwarnsignale übergeht, riskiert, dass eine ernste Krankheit den Ausstieg aus der Tretmühe erzwingt. Wenn der Körper den Dienst versagt, sieht auch der Kopf ein: Es geht nicht mehr. O-Ton 28 Christian Ich hab dann ständig Bronchitis bekommen, ich hab Husten bekommen, hatte Fieber, das ist behandelt worden, ist immer wieder gekehrt, nie richtig abgeklungen, ich hab zusätzlich noch ne Lungenfellentzündung bekommen und das ist anschließend nie wieder richtig weggegangen. Meine Hausärztin meinte dann, jetzt können wir nicht mehr so weiter machen mit normaler Behandlung, ich müsste mal mit nem Psychologen sprechen. Und in dem Gespräch mit dem Psychologen ist eigentlich meine ganze Haltung, die ich bis dahin noch irgendwie wahren konnte, zusammengebrochen. O-Ton 29 Martin Bei mir ist es so, über drei Monate Schlafstörungen, fast kaum geschlafen, bei jeder Sache unheimliche Magenschmerzen, und: man kann sich keine Dinge mehr merken. Das Gedächtnis wird wirklich wie ein Sieb, man telefoniert, legt auf und weiß nicht mehr, mit wem man gesprochen hat und vor allen Dingen, über was. Ich hab teilweise angefangen zu zittern und musste mit dem Auto rechts ranfahren, weil ich nicht mehr Auto fahren konnte. Sprecherin 1 Burnout ist nicht nur für die betroffenen Menschen eine Qual. Das Syndrom wirkt sich auch nachteilig auf die Betriebe aus, denn es trifft vor allem hoch engagierte und verantwortungsbewusste Mitarbeiter. Sprecherin 2 Der Soziologe Alfred Oppolzer bringt es auf den Punkt: O-Ton 30 Oppolzer Nur wer vorher entflammt war im Beruf, kann schließlich durch Überbeanspruchung ausbrennen. Wer den Arbeitsanforderungen in einer Haltung gegenüber tritt, die man verschiedentlich als Freizeit orientierte Schonhalthaltung charakterisiert hat, der wird nicht ausbrennen. Aber der ist natürlich auch kein Leistungsträger für die Organisation. Sprecherin 1 Es liegt also auch im Interesse der Unternehmen, dass die Beschäftigten gesund bleiben. Doch werden Wirtschaftskrise und Globalisierung den Druck am Arbeitsplatz nicht weiter erhöhen - und damit auch das Risiko für Burnout und Depressionen? Sprecherin 2 Noch einmal Alfred Oppolzer von der Universität Hamburg: O-Ton 31 Oppolzer Der Globalisierungsdruck müsste eigentlich als Anstoß genommen werden, eine menschengerechte Arbeit zu gestalten. Denn: Allein über die Kosten der Arbeitskraft können Unternehmen in unseren Ländern mit Unternehmen in weniger entwickelten Ländern mit außerordentlich niedrigem Lohnniveau kaum konkurrieren. Sie können nur in solchen Sektoren konkurrieren, in denen die Qualifikation, die Motivation, die Einsatzbereitschaft, die Kreativität der Menschen einen wichtigen Wettbewerbsfaktor darstellt. Und dafür ist die Gesundheit, die Entwicklung der Persönlichkeit, das Wohlbefinden der Menschen eine unabdingbare Voraussetzung. Sprecherin 1 Nach Berechnungen der Weltgesundheitsorganisation WHO werden erschöpfungsbedingte Depressionen im Jahr 2020 an der Spitze aller Erkrankungen stehen und die höchsten krankheitsbedingten Kosten verursachen. Denn wer nach Dauerstress mit Burnout zusammenbricht, bleibt dem Arbeitsplatz viel länger fern als etwa bei einer Grippe, bei Rückenschmerzen oder anderen körperlichen Beschwerden. Ärzte und Sozialwissenschaftler fordern ein gesellschaftliches Umdenken: weg vom Wachstums- und Beschleunigungswahn, bei dem immer mehr Menschen auf der Strecke bleiben. O-Ton 32 Stark Wir müssten vielleicht, und das ist eine Forderung an die Politik, das wiederholen, was wir vor 30, 40 Jahren in Gang gesetzt haben, als wir gemerkt haben, welche körperlichen Schäden ungesunde Arbeitsumfelder nach sich gezogen haben. Sprecherin 2 Professor Michael Stark, Chefarzt der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie am Asklepios Westklinikum Hamburg O-Ton 33 Stark Es hat sich dramatisch ins Positive gekehrt, Licht, Staub, Lärm, all das ist den letzten 20, 30 Jahren radikal umgestaltet worden und hat Eingang gefunden in Strukturen der Arbeitssicherheit und hat dazu geführt, dass die Erkrankungen rückläufig waren, die als Folgeschäden solcher ungesunden Arbeitsmilieus sich dargestellt haben. Dasselbe muss jetzt gelten für die psychomentalen Arbeitsmilieus, die wir auszuhalten haben als Arbeitnehmer. Das wäre die zukünftige Aufgabe, da genauer hinzuschauen und entsprechende Arbeitsschutzmodelle zu entwickeln. Sprecherin 1 Etliche Unternehmen haben die Risiken erkannt, die dauerhaft hoher Termin- und Leistungsdruck mit sich bringen. Immer öfter ist ? vor allem in großen Betrieben - von "Gesundheitsmanagement" die Rede. O-Ton 34 Wahl-Wachendorf Was bei Gesundheitsmanagement wichtig ist, dass viele Anbieter an einen Tisch kommen, dass die Unternehmensleitung an den Tisch kommt, dass der Betriebsrat an den Tisch kommt, gemeinsam mit dem Betriebsarzt ... Sprecherin 2 Dr. Anette Wahl-Wachendorf, Fachärztin für Arbeitsmedizin und Präsidiumsmitglied im Verband der Deutschen Betriebs- und Werksärzte. O-Ton 35 Wahl-Wachendorf ... und dass man sich dann gemeinsam Ziele überlegt, wo man hin will, und da ist u. a. die Vorlage der Gefährdungsanalyse, die man im Unternehmen konkret am Arbeitsplatz durchgeführt hat, ein hilfreiches Instrument, um dort anzusetzen und zu sagen, da ist die Rückenschule das Richtige, und an anderer Stelle machen wir erstmal eine Mitarbeiterbefragung, die uns spiegelt, wo bestehen Probleme und wo müssen wir dann auch unter anderem mittels Gesundheitsmanagement ansetzen ? und dann kann natürlich der Betriebsarzt auch aus den Problemen, die ihm im Individualgespräch geschildert worden sind, Vorschläge machen, wo auch anzusetzen ist. Sprecherin 1 Wer seine Leistungsgrenzen kennt, gerät nicht so leicht in den Teufelskreis aus Dauerstress und chronischer Erschöpfung. Doch an manchen Arbeitsplätzen nützt auch die beste Einsicht nichts. Dem 63-jährigen Lehrer Gerhard raten die Ärzte dringend von einer Rückkehr in den Schuldienst ab. Aus gutem Grund: Denn die Missstände, die dort herrschen und zum Burnout geführt haben, kann er nicht beseitigen: die viel zu großen Klassen, die zu langen Arbeitszeiten, mangelnde Einzelbetreuung für die überwiegend ausländischen Schüler und fehlende Sozialarbeiter. Christian und Martin dagegen, die beide erst Anfang Vierzig sind, wollen - und müssen - zurück in den Job. In einer intensiven Psychotherapie haben der Projektmanager und der IT-Experte den Blick für Stressoren am Arbeitsplatz geschärft, aber auch die eigenen Anteile am Ausbrennen erkannt. Atmo 8 Meeresrauschen O-Ton 36 Christian Ich hab' verstanden, dass es wichtig ist, sich auch nach nem Ausgleich umzusehen, sich auch darum zu kümmern, dass man sich nicht so sehr verausgabt nur für einen Bereich des Lebens wie die Arbeit, sondern dass auch die anderen Bereiche wie die Familie, ein soziales Umfeld, Freunde, persönliches Wohlergehen wie Sport oder Wellness, dass das wichtig ist, um den Tank wieder aufzufüllen. O-Ton 37 Martin Ich hätte mir mehr Freiräume schaffen müssen, ich hätte wirklich mal abschalten müssen, vielleicht sagen müssen, ich höre nicht auf mit dem Sport. Aber das System, so wie es im Moment funktioniert, das trägt natürlich auch ein gewisses Maß an Schuld, weil es Menschen produziert, die menschliche Werte zum wirtschaftlichen Arbeiten einfach aushebeln. Dazu gehört Vertrauen, dazu gehört ein Miteinander, dazu gehört auch ganz bestimmt auch Zahlen, Daten, Fakten, aber dazu gehört auch ein ehrlicher Umgang. Und dazu gehört nicht, wie man sich Vorteile verschafft und andere Leute um die Ecke bringt ? und nichts anderes ist das. Von daher, das System, so wie es jetzt ist, hat nen Teil Schuld, und ich nehm' aber auch in Anspruch für mich, dass ich auch nen Teil Schuld habe. Musik 5 Pinkfloyd: "A saucerful of secrets" Song Nr. 5 ab: 11:00 ? darauf: Spr. vom Dienst Ausgebrannt ? Wenn der Job die Kräfte raubt Eine Sendung von Ingrid Füller Es sprachen: Nadja Schulz-Berlinghoff, Ilka Teichmüller und Bernd Hörnle Ton: Inge Görgner Regie: Rita Höhne Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2010 1