Deutschlandradio Kultur Forschung und Gesellschaft, 3.1.2008, 19.30 Uhr Mit Bojen gegen Monsterwellen Tsunami-Frühwarnsystem vor der Fertigstellung Von Regina Kusch und Andreas Beckmann Atmo 1 Sirene Computerstimme spricht Tsunami-Warnung auf Englisch Sprecher So könnte es sich anhören, wenn das Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean Alarm schlägt: eine Computerstimme meldet ein starkes Erdbeben am Sundagraben vor Indonesien, wo sich die Indisch-Australische Erdplatte unter die Eurasische schiebt. Kleinere oder größere Erdstöße sind hier an der Tagesordnung. Das Frühwarnsystem soll in kürzester Zeit klären, wie gefährlich sie für die Menschen an der Küste werden können. Keineswegs bei jedem Beben muss nämlich Alarm ausgelöst werden, erklärt Jörn Lauterjung vom Geoforschungszentrum Potsdam ? GFZ. O-Ton 1 Dr. Jörn Lauterjung Nicht jedes Seebeben erzeugt einen Tsunami. Zunächst müssen die Erdbeben eine bestimmte Stärke überschreiten, d.h. sie müssen stark genug sein und die zweite Voraussetzung, die erfüllt sein muss ist, dass sich eine der beiden Platten, die aufeinander stoßen bei einem Erdbeben nach oben bewegt und somit eben Energie in die Wassersäule übertragen kann, die sich dann hinterher in einer Tsunami-Welle äußert. Sprecher Jörn Lauterjung leitet am GFZ den Aufbau von GITEWS, dem ?German-Indonesian Tsunami Early Warning System?. Dieses System besteht aus mehreren Komponenten, die binnen weniger Minuten analysieren sollen, ob ein Erdbeben das Potenzial besitzt, einen Tsunami auszulösen. Die erste Komponente ist ein landgestütztes Beobachtungsnetz. Seismometer registrieren jedes Erdbeben in der Region, lokalisieren es und messen seine Stärke. GPS-Stationen melden zugleich, ob und wie sich die Erdkruste verschiebt. O-Ton 2 Dr. Jörn Lauterjung Mit dem seismischen Netz, was mittlerweile aufgebaut worden ist und mit der Software, die dazu in dem Projekt entwickelt worden ist, sind wir in der Lage, nach etwa zwei, zweieinhalb Minuten Erdbeben zu lokalisieren und nach etwa drei Minuten sind wir in der Lage, verlässlich eine Magnitude, also eine Stärke des Erdbebens zu bestimmen. D.h. im Prinzip ist der erste Teil der Warnmeldung, der besagt, es hat ein starkes Erdbeben stattgefunden, es könnte ein Tsunami erzeugt worden sein, nach etwa vier, viereinhalb Minuten fertig. Sprecher Ob aber tatsächlich ein Tsunami ausgelöst wurde, lässt sich nur im Ozean feststellen. Das Problem: hier ist nichts zu sehen. Sprecherin Tsu-nami ? der Begriff kommt aus dem Japanischen und bedeutet: Große Welle im Hafen. Fischer haben ihn geprägt. Sie waren stundenlang auf Fang und der Ozean schien vollkommen ruhig zu sein. Doch bei ihrer Rückkehr mussten sie feststellen, dass ihr Hafen von einer Welle zerstört worden war, von der sie auf dem offenen Meer gar nichts bemerkt hatten. Denn ein Tsunami bewegt sich zwar im Ozean mit der Geschwindigkeit eines Düsen-Jets. Aber im tiefen Wasser löst er nur eine kleine Welle aus, kaum höher als einen Meter. Erst wenn er vor einer Küste in flache Gewässer kommt, wird der Tsunami abrupt abgebremst und dann türmt sich die Welle auf, manchmal bis zu zehn Meter hoch. Sprecher Dann aber ist es zu spät für eine Warnung. Deshalb müssen die Forscher die Welle schon auf dem offenen Ozean orten. Als zweite Komponente umfasst das Frühwarnsystem daher ein maritimes Messnetz: Ein System von zehn Bojen, die verbunden sind mit einer sogenannten Ozeanbodeneinheit. O-Ton 3 Dr. Jörn Lauterjung Der wesentliche Teil dieses Bojen-Systems liegt am Ozeanboden. Es handelt sich dabei um einen sehr empfindlichen Drucksensor, der im Prinzip Wasserstandsänderungen im Zentimeterbereich messen kann. Das heißt, wenn ein Tsunami erzeugt wird, ändert sich ja die Meeresoberfläche, d.h. der Wasserspiegel steigt an, wenn so eine Welle kommt, d.h. die Wassersäule wird höher und damit wird der Druck erhöht am Ozeanboden. Und dieses kann man mit einer Präzision und Genauigkeit messen, dass ich Meersspiegeländerungen im Bereich vom einem oder einem halben Zentimeter messen kann, das ist also ein sehr sensitives Instrument. Sprecher Alle 15 Sekunden misst der Sensor den Druck auf dem Boden. Die Daten meldet er an die Boje an der Meeresoberfläche. Von der werden sie unmittelbar weiter geleitet zu einem Satelliten, der sie direkt ins Warnzentrum schickt. Die zehn Bojen sind so entlang des 3.500 Kilometer langen Sundagrabens angeordnet, dass sich keine Welle unbemerkt der indonesischen Küste nähern kann. Die Sensoren registrieren außerdem, in welcher Richtung und mit welcher Geschwindigkeit die Welle sich bewegt. Weil sie vom Sundagraben bis zur Insel Sumatra aber nur etwa 12 Minuten braucht, muss jetzt alles sehr schnell gehen. O-Ton 4 Dr. Jörn Lauterjung Es ist ja so, dass nachdem wir ein Erdbeben festgestellt haben und vielleicht auch eine Welle im Ozean gemessen haben, eine Aussage gemacht werden muss, wie schnell ist die Welle jeweils an den Küstenabschnitten, wie hoch wird sie voraussichtlich an der Stelle ankommen, und das geschieht eben durch Modelle, durch Simulationen, die allerdings vorher schon berechnet werden. Es werden also eine große Anzahl von Modellen berechnet für alle möglichen Eventualitäten und auf der Basis der gemessenen Daten wird dann eine Simulation herausgesucht aus der Datenbank, die am besten die Situation widerspiegelt. Sprecher Dann sind es nur noch wenige Minuten, bis aus der Simulation Realität wird. Aber die Tsunami-Warner sind sicher, dass sie den indonesischen Behörden sehr präzise Angaben werden machen können, wann, wo und in welcher Höhe die Monsterwelle kommen wird. Sprecherin Und damit hätten die Behörden noch die Chance, die betroffenen Menschen in buchstäblich letzter Minute zu evakuieren. Atmo 2 Sirene Computerstimme spricht Tsunami-Warnung auf Englisch Sprecher Einen Alarm hatte es auch bei der großen Tsunami-Katastrophe Weihnachten 2004 gegeben. Er war ausgelöst worden vom Pazifischen Frühwarnsystem, das die USA und Japan seit Jahrzehnten gemeinsam betreiben. Der Geologe Helmut Dürrast, der an der Songkla Universität im süd-thailändischen Hat Yai Erdbebenforschung betreibt, hat die Meldung noch in seinem Archiv. O-Ton 5 Dr. Helmut Dürrast 14 Minuten nach dem Erdbeben ist das schon übers Internet verbreitet worden. Die haben zwar noch eine relativ geringere Magnitude, stört aber nicht. Die schreiben hier ganz klar: An Indian Ocean wide Tsunami Watch is in effect, also bitte passt auf für den ganzen Indischen Ozean und da stehen dann Länder wie Indonesien, Australien, Indien, Sri Lanka, Thailand. In Thailand, Phuket würde es ankommen, 15.08 Uhr. Wir haben die Warnung bekommen um 11.24 Uhr. Das ist jetzt aber keine Tsunami-Warnung, keine Warnung in dem Sinne, jetzt verlasst die Küste und es kommt ein Tsunami an. Nein, es ist einfach die Mitteilung, wir haben ein großes Erdbeben und es könnte sehr wahrscheinlich sein, dass es einen Tsunami gibt, aber wir wissen es nicht. Das thailändische National Desaster Warning Center hat natürlich keine Nachricht verbreitet, die haben gesagt, laut Zeitungsartikel, wir gehen davon aus, dass kein Tsunami kommt. Sprecherin Der 26. Dezember 2004 war ein Sonntag. Viele Büros, in denen die Alarmmeldung einging, waren gar nicht besetzt. Aber selbst dort, wo die Warnung ankam, wussten die Empfänger nichts mit ihr anzufangen. Es gab keine Katastrophenpläne für einen Tsunami, in keinem einzigen der Länder am Indischen Ozean. Sprecher ?Die letzte Meile? nennen Wissenschaftler jenen Teil eines Frühwarnsystems, in dem die Bevölkerung alarmiert und evakuiert wird. Es ist der schwierigste und gleichzeitig wichtigste Teil. Nur wenn die Menschen und die Behörden in den potentiell betroffen Regionen wissen, wie sie auf eine Warnung reagieren müssen und wenn die Warnung alle schnell genug erreicht, hat sich der ganze technische Aufwand gelohnt. Die deutschen Forscher vom GFZ können hier aber kaum Einfluss nehmen. Es gehört zu den Hoheitsaufgaben der betroffenen Staaten, Katastrophenpläne zu organisieren. Sprecherin Für ein Land wie Indonesien ist das etwas vollkommen Neues. Als in Padang auf Sumatra vor zwei Jahren ein Tsunami-Probealarm gegeben wurde, war das die erste Katastrophenschutzübung in der Geschichte des Landes. Gleich drei Ministerien und das Militär fühlten sich für die Leitung verantwortlich, entsprechend chaotisch verlief das Experiment. Sprecher Seitdem arbeitet das Forschungsministerium, bei dem alle Arbeiten am Tsunami-Frühwarnsystem angesiedelt sind, an Einsatzplänen, mit deren Hilfe im Ernstfall die Aktionen von Armee und Polizei, von Feuerwehr und Rotem Halbmond koordiniert werden sollen. Der stellvertretende Minister Idwan Suhardi erzählt, die nächsten Übungen seien schon ermutigender verlaufen. O-Ton 6 Dr. Idwan Suhardi Darüber Übersetzer: Wie ich von unseren zuständigen Stellen gehört habe, gab es nicht mehr so ein großes Durcheinander. Man kann sicher nicht sagen, dass alles wohl organisiert abgelaufen wäre, aber es gab keine Panik mehr wie noch kurz nach der Katastrophe von 2004 bei jedem kleinen Erdstoß. Unsere Übungen seitdem haben offenbar die öffentliche Meinung etwas beruhigt. ... in the public mind. Sprecher In allen Dörfern und Städten an der Küste von Indonesien sollen Evakuierungsrouten in den nächsten Jahren eingerichtet und so ausgeschildert werden, dass jeder sie im Ernstfall findet. Schulklassen und Betriebe sollen immer wieder üben, wie sie sich bei einem Alarm zu verhalten haben. Nachdem sich die Menschen unmittelbar nach der Katastrophe gar nicht mit dem Thema Tsunami befassen wollten, nehmen sie inzwischen engagiert an Übungen teil, berichtet Suhardi. Sein Ministerium müsse jetzt dafür sorgen, dass der Elan nicht bald wieder erlahme. O-Ton 7 Dr. Idwan Suhardi Darüber Übersetzer: We are dealing with a longer term ... Das muss man sehr langfristig sehen. Es geht ja wirklich darum, dass nationale Bewusstsein zu verändern. Das geht nicht in drei oder fünf Jahren. Wir wollen das Bewusstsein für die Gefahr eines Tsunamis wirklich langfristig verankern. Das heißt zum Beispiel, dass wir das Thema in allen Lehrplänen verankern, von der Grundschule bis zur Oberschule. Und auch später, wenn sie erwachsen sind, müssen die Leute den Ernstfall immer wieder üben. Damit, falls noch mal irgendwann ein Tsunami kommt, wirklich jeder genau weiß, was er tun muss. ... they will be aware how to react for themselves. Sprecherin Bis ins letzte Dorf ein Bewusstsein für die Gefahren eines Tsunamis zu schaffen, vor diesem Problem steht nicht allein Indonesien, sondern alle Länder der Region. Überall fehlt es an Fachleuten, die eine Tsunami-Warnung schnell umsetzen könnten. Sprecher An diesem Problem setzt ein zweites internationales Projekt an, bei dem das GFZ in Potsdam die Federführung übernommen hat: DEWS ? Distant Early Warning System. DEWS baut praktisch auf GITEWS auf. Während GITEWS mit seinen diversen Messsystemen alle notwendigen Daten für einen Tsunami-Alarm liefert, soll DEWS vor allem helfen, die Rettungsmaßnahmen vor Ort zu beschleunigen. Das fängt bei der Ausbildung von Fachkräften an, erläutert Andreas Küppers, der Leiter von DEWS. O-Ton 8 Dr. Andreas Küppers Für dieses DEWS-Projekt ist geplant, dass ein völlig neues akademisches Berufsbild entsteht, und zwar handelt es sich da um Frühwarningenieure. Man muss sich vorstellen, dass es bisher niemanden gibt, der alle Details gut versteht. Wir versuchen jetzt, ein Berufsbild zu schaffen, was die gesamte Warnkette, und zwar vom Sensor bis zur Aktion hin, unter einem vernünftigen, ingenieurtechnischen Berufsbild zusammenfasst, damit die Leute in die Lage versetzt werden, ihre System selber zu warten und weiterzuentwickeln. Wir werden also denen was über Geologie beibringen, die werden was wissen über Geo-Physik, die werden sicher auch was wissen über Ozeanografie, auf der anderen Seite werden die sich aber auch sehr gut auskennen in den entsprechenden Infrastrukturen ihres Landes. Sprecherin Ein guter Frühwarningenieur sollte nach der Vorstellung von Andreas Küppers eine englischsprachige Warnmeldung sofort lesen und umfassend verstehen können. Viele Mitarbeiter im Katastrophenschutz der Länder rund um den Indischen Ozean sind damit überfordert. Er sollte außerdem in der Lage sein, diese Meldung in die vor Ort üblichen Sprachen zu übersetzen. Das ist ebenfalls keine Selbstverständlichkeit, weil in den meisten Ländern mehrere Sprachen gesprochen werden. Und er sollte sich im sozialen Gefüge seines Landes gut auskennen. Denn wenn er Alarm auslösen oder eine Evakuierung einleiten will, ist es wichtig, dass er sofort die entscheidenden Leute auf seiner Seite hat und nicht erst lange Diskussionen führen muss, sagt Andreas Küppers. O-Ton 9 Dr. Andreas Küppers Es ist ja doch sehr wichtig, wo diese Meldung herkommt und wer sie verbreitet. Also für Indonesien ist im Gespräch, dass man unmittelbar so eine Art hotlines an die Moscheen liefert, die dann unmittelbar den Muezzin auffordern, auf seinen Turm zu steigen und die Leute zu warnen. Insofern muss man wirklich den Einzelfall anschauen. Es gibt ja zum Beispiel Länder, da wird am Strand gar nicht gebadet. Andere Länder gibt es, da wird am Strand sehr viel gebadet. Dort, wo viel gebadet wird, muss man Sirenen anbringen, Schilder anbringen, Fluchtwege offenhalten, Fluchtpläne entwickeln und muss auch den Leuten den Weg zeigen, wo sie sich hinbewegen sollen, wenn sie schnell abhauen müssen. Sprecherin Auch solche Pläne und Beschilderungen müssten im Zweifel mehrsprachig sein. In Urlauberregionen wie Phuket könnte man zudem einen Mobilfunk-Warndienst einrichten. Ausländische Touristen melden sich hier bei der Ankunft an und bekommen im Ernstfall eine Warnung in ihrer Muttersprache auf ihr Handy. Bei der Katastrophe 2004 waren schließlich allein in Thailand Menschen aus mehr als 30 Nationen betroffen. Atmo 3 Sirene Computerstimme spricht Tsunami-Warnung auf Englisch O-Ton 10 Prof. Dr. Pichaya Tandayya Darüber Übersetzerin: I think the government should get involved ... Ich denke, unsere Regierungen muss hier schon noch einige zusätzliche Anstrengungen unternehmen. In einigen anderen Ländern ist deutlich mehr passiert seit dem großen Tsunami, hier dagegen nur wenig. Ok, wir haben jetzt ein paar Warnzentren an den Stränden. Aber wenn man sich mal anschaut, was für eine genaue seismische Überwachung und auch permanente Wasserstandsmessungen es zum Beispiel in Japan gibt, dann haben wir noch einen großen Nachholbedarf. ... We need to be more active. Sprecherin Die Erdbebenforscherin Pichaya Tandayya ist nicht die einzige in Thailand, die ziemlich unverhohlen mangelnde Schutzmaßnahmen kritisiert. Unmittelbar nach Weihnachten 2004 wollte sich Thailand als Staat präsentieren, der energisch Konsequenzen zieht. Schließlich war das Land wirtschaftlich ins Mark getroffen, der Fremdenverkehr ist die wichtigste Devisenquelle und die Westküste mit Phuket als Zentrum ein Besuchermagnet. Zum ersten Jahrestag der Katastrophe, als die Weltpresse zur groß inszenierten Gedenkfeier kam, zeigte man den Journalisten die aufgeräumten Strände. Mittlerweile haben die Touristenzahlen neue Rekordhöhen erreicht und der Wiederaufbau ist weitgehend abgeschlossen. Sprecher Der Schutz vor Tsunamis wurde dabei oft vergessen. Viele Ferienanlagen stehen wieder genau am selben Ort wie früher. Dabei hatte die Regierung Neubauten in gefährdeten Zonen ursprünglich nicht genehmigen wollen. Aber sie konnte sich bei den Landräten und Bürgermeistern, aber auch bei den Geschäftsleuten vor Ort nicht durchsetzen, muss Somsak Boromthanarat vom Institut für Küstenforschung an der Uni in Hat Yai zugeben. O-Ton 11 Prof. Dr. Somsak Boromthanarat Darüber Übersetzer: We have to do adapted management. ... Wir müssen die Sache einfach flexibel angehen. Das heißt, einerseits müssen wir natürlich die Flächennutzungspläne ändern, wir müssen dafür sorgen, dass Fluchtwege offen bleiben und nicht verbaut werden und dass Einrichtungen wie Schulen oder Krankenhäuser nicht mehr in gefährdeten Gebieten errichtet werden oder dass sie von dort wegziehen. Andererseits können wir das aber nicht zu 100 Prozent durchsetzen, weil die Gemeinden nur dort öffentliche Einrichtungen bauen können, wo sie selber Land besitzen. Und wenn das nun mal in den gefährdeten Zonen liegt und sie keine neuen Grundstücke kaufen können, dann müssen wir uns mit diesen Gegebenheiten arrangieren. ... sometimes it?s given. Sprecher Ursprünglich hatte die Regierung eine Art Masterplan entworfen, nach dem im Falle eines Alarms die Evakuierungen in den Küstenorten verlaufen sollten. Doch nach mehreren Übungen steht fest, er funktioniert nicht. Die Bürgermeister wollen sich einfach keine Vorschriften von Bangkok machen lassen, sagt Somsak Boromthanarat. Er schlägt deshalb eine Selbstorganisation der Gemeinden vor. O-Ton 12 Prof. Dr. Somsak Boromthanarat Darüber Übersetzer: I would say one of the motivations ... Ich würde sie motivieren und ihnen sagen, es ist Eure Verantwortung, wie Eure Gemeinde einen Tsunami übersteht. Es kommt auf Euch an. Und dann kann man ihnen vorbildliche Gemeinden zeigen, wie die den Küstenschutz umsetzen, damit sie sich daran ein Beispiel nehmen und sich vielleicht fragen, wieso sind die besser als wir. Vielleicht kann man so einen Wettbewerb entfachen, welches Dorf ist am besten auf einen Tsunami vorbereitet. So könnte es vielleicht funktionieren. Aber es hat wenig Sinn, die Leute an der Küsten belehren oder ihnen Vorschriften machen zu wollen, sie müssen selbst die Initiative ergreifen. ... they to learn by themselves. Sprecherin Nicht nur die Kommunalpolitiker tun sich schwer. Dem Nationalen Katastrophenschutzzentrum in Bangkok gelingt bis heute keine überzeugende Informationspolitik. Mehrfach kam es in der Zwischenzeit am Sundagraben zu kleineren Erdbeben. Die Bevölkerung erfuhr davon aus dem Fernsehen. In Panik rannten Einheimische und Urlauber die Berge hinauf, obwohl zu keiner Zeit Tsunami-Gefahr für die thailändische Küste bestand, da die Beben zu schwach waren. Das Nationale Katastrophenschutzzentrum wusste das, schwieg aber, anstatt Entwarnung zu geben. So wurde viel Glaubwürdigkeit verspielt. Sprecher Die fehlt den Behörden ohnehin, denn Weihnachten 2004 konnten sie ihrem Volk nicht einmal im nachhinein erklären, was genau eigentlich im Land passiert war. Viel zu lange hatte Thailand an Erdbebenforschung gespart, obwohl alle wussten, dass das Land in einer geologisch unruhigen Region liegt. Immerhin wurden nach der Katastrophe Mittel bewilligt, um ein umfassendes Netz von Erdbebenüberwachungsstationen aufzubauen. Helmut Dürrast von der Songkla Universität arbeitet daran mit. O-Ton 13 Dr. Helmut Dürrast Unsere staatlichen Stellen haben mit uns gesprochen und wir sind dann übereingekommen, dass wir zusammen Seismometer aufbauen im Süden Thailands, um zu gucken, was ist da passiert. Wir haben zwei große Störungszonen, eine verläuft von Phuket nach Ko Samui, und die andere weiter nördlich, südlich der Grenze zu Burma. Haben die sich irgendwie verschoben? Ist da irgendwas passiert? Wir haben also schon wenige Tage danach unsere Geräte eingepackt und sind nach Phang Nga gefahren, nach Krabi gefahren, nach Phuket gefahren und haben da unsere Stationen aufgebaut und haben angefangen, voll durch gehend zu messen ab Mitte Januar. Sprecher Neben diesen Beobachtungsstationen an Land ist aber auch eine genauere Untersuchung der Küstengewässer notwendig. Bisher wissen die Forscher immerhin: Vor Thailand ist der Flachwasserbereich sehr ausgedehnt. Deshalb wird eine Tsunami-Welle schon lange vor ihrem Auftreffen auf die Küste stark abgebremst. Das bringt den Behörden im Ernstfall einen kleinen Zeitgewinn, um die Menschen zu retten. Noch besser aber wäre es, wenn ihnen jemand sagen könnte, wann und wo genau die Welle zuerst ankommen wird. O-Ton 14 Dr. Helmut Dürrast Wir arbeiten zur Zeit an einem physikalischen Modell, um zu simulieren, wie ein Tsunami an die Küste kommt. Unsere Frage ist zum Beispiel, warum ist eine Küste in Phuket beschädigt und die andere nicht? Liegt es an der Küste? Liegt es an anderen Faktoren? Hilft es uns, Schutzmaßnahmen zu entwickeln, um bei einem späteren Tsunami den Impact zu verringern? Was können wir davon lernen? Wir haben Dinge gesehen, z.B. in Phang Nga hat der Tsunami tonnenschwere Korallenstücke bis nah an die Küste gebracht, wie ist das möglich? Welche Energien sind dazu notwendig? Oder welche Küstentopografien sind dazu notwendig? Das Problem ist, wenn ein Tsunami kommt, ist es nicht nur eine Wassermasse, die da kommt, sondern in diesem Wasser kommen viele Sedimente, kommen viele andere Sachen, und das macht das Modellieren schwieriger. Sprecher Jahrzehntelang hatte sich das Institut für Küstenforschung an der Universität von Hat Yai vor allem mit der Frage beschäftigt, wie man an der Küste Geld verdienen kann, mit Fischfang, Rohstoffgewinnung oder Tourismus. Ganz langsam aber setzt ein Mentalitätswandel ein, beginnt man die Gefahren ernst zu nehmen. Das verändert den Alltag der Wissenschaftler, erzählt Pichaya Tandayya. O-Ton 15 Prof. Dr. Pichaya Tandayya Darüber Übersetzerin: I did not expect ... Ich hätte nie gedacht, dass das Thema Tsunami einmal im Mittelpunkt meiner Arbeit stehen würde. Wir hatten hier einen einzigen Lehrstuhl, der sich mit dem Thema Hochwasserschutz beschäftigt, denn hier im Süden Thailands haben wir ja zwei Küsten, die öfter mal überflutet werden. Da werden natürlich viele Szenarien durchgespielt, wie man den Küstenschutz am besten organisiert und dafür braucht man spezielle Computer-Programme, an denen ich schon seit Jahren arbeite. Irgendwann habe ich auch mal gehört, dass es hier zwei oder drei Leute gab, die ein Szenario durchgespielt haben, was wohl passieren würde, wenn wir an der Westküste einen Tsunami hätten, aber das war ein Randthema. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich damit einmal beschäftigen würde. .. before tsunami happening I never thought of. Atmo 4 Sirene Computerstimme spricht Tsunami-Warnung auf Indonesisch O-Ton 16 Dr. Jörn Lauterjung Die Bewährungsprobe hat das System jetzt im September bestanden. Am 12.September hat es ein starkes Erdbeben mit der Stärke 8,0 vor der Küste von Sumatra gegeben, nahe der Stadt Benkulu, und da hat es nach viereinhalb Minuten von den indonesischen Behörden eine Warnmeldung gegeben. Sprecher Jörn Lauterjung kann zufrieden sein mit der Arbeit der letzten drei Jahre. Der Aufbau der technischen Infrastruktur läuft planmäßig und offenbar funktionieren auch alle Komponenten schon, bevor die letzte Boje ausgesetzt und die letzte GPS-Station online geschaltet ist. Auch sein indonesischer Partner Idwan Suhardi ist sichtlich stolz auf den ersten erfolgreichen Tsunami-Alarm. O-Ton 17 Dr. Idwan Suhardi Darüber Übersetzer: As our target ... Als Ziel hatten wir uns gesetzt, dass wir weniger als fünf Minuten brauchen, um nach einem Erdbeben eine Warnung rauszugeben. Und bei dem Erdbeben am 12. September haben wir gezeigt, dass wir das schon erreichen, dass wir die Zeit sogar unterbieten können. Denn damals kamen Meldung aus verschiedenen Ländern, aber wir waren die ersten. Das zeigt, unser System funktioniert und es ist im Moment das schnellste auf der Welt. ... is the fastest in the world. Sprecher Und es ist zuverlässig, denn der Alarm war kein Fehl-Alarm. Am 12. September lief tatsächlich eine Tsunami-Welle auf Sumatra zu, allerdings nur eine sehr kleine, fünfzig, maximal sechzig Zentimeter hoch. So bestand keine Gefahr für die Menschen und die Behörden konnten noch einmal ihre Evakuierungspläne testen. O-Ton 18 Dr. Idwan Suhardi Darüber Übersetzer: All our communities along the coastline ... In allen Orten entlang der Küste sind die Menschen in höher gelegene Regionen geflohen, nachdem sie von dem Alarm gehört hatten. Aber natürlich bedeutet das jetzt nicht, dass wir uns zufrieden geben können. Denn die Gefahr ist ja langfristig, der nächste Tsunami kommt vielleicht bald, vielleicht aber erst nach Generationen, und wir müssen sicherstellen, dass die Gemeinden an der Küste jeden Moment darauf gefasst sind, dass wieder einer kommt. ... to make sure the area is ready for another one. Sprecherin Aber auch die Regierung muss sich erst noch darauf einstellen, ihre Bevölkerung langfristig vor Tsunamis zu schützen. Im Herbst dieses Jahres wird die komplette technische Infrastruktur an Indonesien übergeben. Dann schließt sich noch mal eine zweijährige gemeinsame Erprobungsphase mit den deutschen Wissenschaftlern an. Anschließend übernimmt Indonesien die Regie für das Frühwarnsystem und müsste damit auch die laufenden Kosten tragen. Sprecher Die schätzen Experten auf mindestens zehn, vielleicht sogar 20 Millionen Dollar jährlich. Ein bis zweimal im Jahr muss ein Forschungsschiff die Sensoren vom Ozeanboden holen, um die Batterien für den Funkbetrieb auszutauschen. Dazu kommen weitere Wartungsarbeiten. Vögel nutzen die Bojen als Rastplatz und verschmutzen die Solarzellen. Weil sich rund um die Bojen gern Fische sammeln, werfen Trawler hier oft ihre Netze aus und beschädigen gelegentlich die Verankerungen. Eine Boje wurde sogar schon von Piraten gestohlen, die die hochwertige Technik ausschlachteten und den Rest wieder ins Meer warfen. Sprecherin Indonesien würde die langfristigen Kosten für den Unterhalt des Frühwarnsystems gern mit den anderen Anrainerstaaten des Indischen Ozeans teilen. Schließlich profitieren alle von den Daten. Doch bisher zeigen die Nachbarn wenig Bereitschaft zur Kooperation. Sprecher Das betrifft nicht nur Geldfragen, sondern auch den Austausch von Informationen. So stellt beispielsweise Indien keinerlei Echtzeit-Daten zur Verfügung. Der Grund: das Land führt immer noch unterirdische und auch unterseeische Atombombentests durch. Die Erschütterungen, die diese Tests auslösen, lassen Rückschlüsse auf die Stärke der Waffe zu, deshalb gelten alle Testdaten als geheim. Technisch ist das unsinnig, weil nach wenigen Minuten ohnehin jede Erdbebenstation auf der Welt einen indischen Atombombenversuch registriert. Aber aus politischen Gründen will die Regierung in Neu-Delhi unbedingt an ihrer Geheimniskrämerei festhalten. Sprecherin Ganz andere Probleme stellen sich im Nachbarland Sri Lanka, wenn Forscher dort Daten für das Tsunami-Frühwarnsystem erheben wollen, erzählt Andreas Küppers vom GFZ. Dort ist nämlich der Bürgerkrieg wieder aufgeflammt, obwohl nach der großen Katastrophe sowohl die Armee als auch die tamilischen Rebellen einen Waffenstillstand ausgerufen hatten. O-Ton 19 Dr. Andreas Küppers Die Notwendigkeit ist ja gegeben, Sensoren irgendwo hinzubauen. Stellen Sie sich vor, Sie müssten in den Norden von Sri Lanka, wo geschossen wird, wo Leute ständig als Geiseln genommen werden, wo vermintes Terrain ist, wo sie unter Umständen auch unter friendly fire geraten können, d.h. dass sie von den Regierungstruppen beschossen werden, das ist natürlich für jemanden, der im Gelände eine seismisches Station, die auch noch funktionieren und ihre Daten zu jeder Minute und Sekunde zum Satelliten funken soll, schwierig. Sprecherin So ist denn das Tsunami-Frühwarnsystem mit seinen verschiedenen Komponenten das technisch derzeit ausgefeilteste Instrument zur Überwachung eines Ozeans. Gleichzeitig ist sein Erfolg aus politischen Gründen immer noch fraglich. In den nächsten Jahren soll die UNESCO dafür sorgen, dass die nationalen Warnzentren in den Anrainerstaaten des Indischen Ozeans miteinander vernetzt werden. Zudem könnte die Weltbank ab 2010 eine Finanzierung für den laufenden Betrieb auf die Beine stellen. Sprecher Das hofft nicht nur die Regierung in Jakarta, das hoffen auch die Potsdamer Forscher. Denn für sie soll die Arbeit mit der Übergabe des Systems an Indonesien noch lange nicht beendet sein, erzählt Jörn Lauterjung. O-Ton 20 Dr. Jörn Lauterjung Die Vision ist, für die verschiedenen Ozeanbecken, die wir haben, Indischer Ozean, Pazifik, Mittelmeerraum, Karibik ein globales Frühwarnsystem aufzubauen, wobei wir dann nicht nur auf landgestützte Systeme und Bojen und ozeanografisches Equipment vertrauen können, sondern wir haben innerhalb des Projekts auch noch ein bisschen Geld reserviert für neue Technologien, die im Moment entwickelt werden, und eine vielversprechende davon ist, GPS-Signale ich sag mal als Radarsensoren zu nutzen, um Änderungen der Meeresoberfläche zu messen. Man könnte auf die Art und Weise für relativ wenig Geld zu einem globalen Echtzeit-Ozean-Monitoring-System kommen. Das hilft nicht nur gegen Tsunamis, sondern das hilft auch gegen Meeresspielgeländerungen, die in Form einer Flutwelle bei Stürmen auftreten, oder es gibt ja auch diese Phänomen der Monsterwellen, die sich völlig erratisch manchmal aufbauen und die zunehmend auch zu einer Gefährdung der Schifffahrt beitragen. Und ähnliche Fragen mehr könnten dann gelöst werden. Das ist eine Vision! Sprecherin Falls durch den Klimawandel der Meeresspiegel ansteigt, könnte sich diese Vision schon bald als Notwendigkeit erweisen. Das Tsunami-Frühwarnsystem könnte ein Test dafür sein, ob die Weltgemeinschaft technisch und politisch in der Lage ist, etwas gegen globale Naturgefahren zu unternehmen. 19