COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Länderreport 6.11.2012 Vom Traum zum Albtraum - Tagelöhner aus Bulgarien und Rumänien in Deutschland / Übernahme NDR Forum 18.10.2012 Autor: Reiner Scholz Redaktion: Heidrun Wimmersberg ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Autor: Hassan Medvedov ist ein kleiner, starker Mann. Der 47jährige hat sich als einfacher Arbeiter zeit seines Lebens vor allem auf seine Hände verlassen. Jetzt ist er offiziell Geschäftsmann in Deutschland. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern am Vogelhüttendeich in Hamburg-Wilhelmsburg. Das Haus hat zehn Wohnungen, in acht davon leben Bulgaren. Einen Mietvertrag hat die Familie Medvedov nicht O-Ton 1: Medvedov: (Raschel, Raschel) Anmeldung, Hause.. Kinder, Schule." Autor: An dem Tisch im kargen Wohnzimmer zieht er aus einer billigen Mappe ein Dokument nach dem anderen hervor: Meldebestätigung, Versicherungsscheine, ein Bescheid vom Finanzamt und ein Gerichtsurteil. Die Familie kam vor zweieinhalb Jahren nach Deutschland. Für die erste Wohnung, die sie nehmen musste, zahlte er eine Wuchermiete: O-Ton 2: Medvedov: (schlechte Erfahrung mit Vermieter) Übersetzer "Ich habe 600 Euro Miete gezahlt und zusätzlich pro Person und Monat 60 Euro für die Meldebestätigung. Insgesamt also 920 Euro pro Monat. Und weil ich einige Monate kein Geld bekommen habe und keine Miete zahlen konnte, war die Tür eines Tages abgeschlossen. Das passiert oft." Autor: Hassan Medvedov hat zuvor drei Jahre in Griechenland gearbeitet. Als er dort wegen der wirtschaftlichen Krise keine Arbeit mehr bekam, schien ihm Hamburg als Metropole und Hafenstadt eine gute Adresse, wo es, wie er von Verwandten hörte, immer Arbeit gibt. Und tatsächlich fand er schnell einen Job als Lagerarbeiter. Ohne Vertrag, keine festen Arbeitszeiten, Geld auf die Hand. Seine Aufgabe: Die Verpackung des in Deutschland wohl bekanntesten Whiskys, eine Premiummarke. Von Anfang an gab es Schwierigkeiten: O-Ton 3: Medvedov: ""Problema raboti ... ... .. Übersetzer "Ich habe für ein Unternehmen gearbeitet, bei dem ich mein Lohn zunächst immer verspätet bekam und dann gar nicht mehr. Anderen Bulgaren erging es ebenso. Und nach einiger Zeit bemerkten wir, dass der Besitzer, ein Türke, den Namen der Firma gewechselt hat, um das Geld, das er uns nicht ausgezahlt hat, für sich selbst zu behalten." Sprecherin: Während der von ihm abgepackte Whisky gegen viel Geld längst verkauft sein dürfte, wartet der Bulgare bis heute auf seinen Lohn. 2.600 Euro insgesamt, wobei seine Arbeitsnachweise - wie in der Welt der Tagelöhner üblich - aus einer Anhäufung lieblos ausgefüllter Quittungen ohne genaue Angaben besteht. Hassan Medvedov wandte sich, was nur die wenigsten tun, an eine Anwältin. Viktoria Müller, in Bulgarien geboren und aufgewachsen, betreut mittlerweile überwiegend bulgarische Mandanten: O-Ton 4: Müller "Sie kommen sehr unvorbereitet nach Deutschland. Deutschland hat in Bulgarien einen sehr guten Ruf. Man denkt, dass hier alles gut funktioniert und dass alle Menschen fair sind. / Sehr oft ist es so, dass der Freund von jemandem gesagt hat, es gibt Arbeit in Deutschland. Dann kommen sie hier an und stehen dann vor mehreren Problemen. Sie müssen ein Gewerbe eröffnen, arbeiten dürfen sie nicht ohne Arbeitserlaubnis. Um dieses Gewerbe zu eröffnen, müssen sie zunächst einmal eine Anmeldung haben. Das ist schon mal die erste Hürde, weil sie sehr oft unterkommen zu mehreren Leuten in kleinen Wohnungen oder in Zimmern, wo aber so viele Leute schon angemeldet sind, dass sie dort nicht angemeldet werden können beim Einwohnermeldeamt. So dass sie sehr oft ´ne Anmeldung suchen und für diese Anmeldung noch Geld zahlen neben der Miete." Autor: Im Mai 2011 sind die sogenannten Übergangsbestimmungen für diverse osteuropäische EU-Mitgliedsländer weggefallen: für Polen, Tschechien, die Slowakei und das Baltikum. Aber nicht für Bulgarien und Rumänien. Die Menschen aus diesen beiden Ländern dürfen zwar frei reisen, in Deutschland aber nur eingeschränkt arbeiten. Sie kommen dennoch, mit wenig Informationen und viel Hoffnungen im Gepäck. Im Jahr 2011 reisten etwa 20.000 Bulgaren nach Deutschland, das entsprach gegenüber dem Vorjahr einer Zunahme von 25 Prozent. Etwas höher lag die Zahl bei den Rumänen: Für ein Land wie Deutschland keine beängstigende Entwicklung - aber eine nicht zu vernachlässigende Gruppe. Die rechtlichen Folgen der nur eingeschränkten Arbeitserlaubnis beschreibt Rüdiger Winter, Leiter der Abteilung "Weiterbildung und Beratung" bei "Arbeit und Leben" in Hamburg, einer Einrichtung des DGB und der Volkshochschule: O-Ton 5: Winter "Aus diesen Ländern dürfen nur Fachkräfte, die auch auf unserem Arbeitsmarkt besonders gesucht werden, nach Deutschland einreisen, um hier zu arbeiten. Gering qualifizierte genießen hier noch keine Freizügigkeit. Sie kommen allerdings als Touristen her und melden dann ein Gewerbe an, weil für Gewerbetreibende die Niederlassungsfreiheit in der EU gilt, und auf diesem Weg können sie hier die Arbeit aufnehmen." Sprecherin: Arbeitskräfte wie Hassan Medvedov wissen, dass es in Deutschland Arbeit gibt. Dass er sich - obwohl Bulgarien zur EU gehört - in Deutschland selbständig machen muss, war ihm nicht bewusst. Dass es ein teures Abenteuer wird, zunächst auch nicht. Eine Fahrt von Bulgarien nach Deutschland in einem der häufig von Arbeitsvermittlern gecharterten Kleinbusse kostet 150 Euro pro Person. Der Mann dachte, damit wären die größten Kosten abgedeckt. Er würde arbeiten, sein Geld bekommen - und alles andere würde sich finden. Doch weit gefehlt. Er, der - vom Alltag in westlichen Ländern heillos überfordert, des Deutschen nicht mächtig ist und nur über einfache Schulkenntnisse verfügt - musste zunächst sein Ein-Mann-Unternehmen gründen. Ohne Gewerbeschein läuft nichts, und den gibt es auch erst, wenn andere Voraussetzungen erfüllt sind: O-Ton 6: Müller "Wenn die ankommen, zahlen die erst mal für ihre Anmeldung. Dann müssen sie das Gewerbe eröffnen. Da bieten sich Menschen an, die einen begleiten für 150 Euro oder für 200 Euro. Und danach muss man sich eine Steuernummer holen. Da muss man die Formulare von der Steuer ausfüllen. Da gibt es Menschen, die füllen das aus für 250 Euro. Da muss man einen Mietvertrag beifügen, da muss man mehrere Fragen beantworten, die darauf hinauslaufen, ob man scheinselbständig ist oder nicht. Ob man mehrere Auftraggeber hat. Dieses zweite Formular kommt mit der Post und die müssen noch mal einen Dolmetscher bezahlen, der das ausfüllt. / Und sehr oft ist es, dass sie eine Anmeldung haben, aber keinen Mietvertrag und dass sie dann schon mal dieses Formular nicht ausfüllen und dann sind schon an die 1000 Euro ausgegeben." Autor: Da sie selbständig sind, gelten für die bulgarischen und rumänischen Arbeiter und Arbeiterinnen weder Mindestlöhne - wenn sie denn überhaupt existieren - noch gibt es einen Kündigungsschutz. Sie arbeiten für 8, manchmal 5, häufig aber auch nur für drei Euro die Stunde, machen häufig unbezahlte Überstunden und können offenbar schon froh sein, wenn sie überhaupt ihren Lohn bekommen. Bei der jungen Rechtsanwältin Viktoria Müller stapeln sich Akten über Fälle, in denen kein Lohn bezahlt wurde: von bulgarischen, deutschen, häufig aber auch von türkischen Unternehmern, Subunternehmern und Sub-Subunternehmern: O-Ton 7: Müller "Angeklagt habe ich ungefähr 45. Ich habe in meinem Schrank ungefähr 40 Urteile, die ich nicht vollstrecken konnte. Prozesse, die ich gewonnen habe, aber die ich nicht vollstrecken konnte, weil die Firma insolvent ist oder weil der Auftraggeber verschwunden ist und nicht mehr zu finden ist. Wenn man denn dann den Prozess gewinnt, dann ist noch gar nichts gewonnen, dann muss erst mal das Geld vollstreckt werden. / Wenn es keine Gesellschaft war, dann geben sie die eidesstattliche Versicherung ab oder reisen wieder aus. Es sind ja keine deutschen Unternehmen, die sind dann nicht mehr zu finden. Ich habe sogar schon per Detektiv diese Leute gesucht, die sind nicht zu finden." Sprecherin: Ihre Akten sind Dokumente schamloser Ausbeutung, wie man sie in Deutschland für überwunden hielt. In einem ihrer gravierendsten Fälle stiegen unwissende Bulgaren binnen kurzem auf vom Tagelöhner zum Geschäftsinhaber. Der Arbeitgeber hatte ihnen gesagt, arbeiten könnten sie nur, wenn sie Gesellschafter würden. Und zwar persönlich haftend: O-Ton 8: Müller "Da sind in den letzten Monaten 15, 20 Leute ausgeschieden und neu wieder reingekommen. Jetzt ist auch der Arbeitgeber, der beschränkt Haftende, draußen, also der ist raus aus der Gesellschaft. Die wurde jetzt umgewandelt in eine OHG, und meine Mandaten haben einen Brief vom Finanzamt bekommen, 21.000 Euro Steuerschulden und ein Brief vom Handelsregister, dass diese Gesellschaft jetzt geschlossen werden muss, die kann nur von allen Gesellschaftern geschlossen werden, und die sind in alle Winde zerstreut, so dass wir jetzt nicht wissen, was wir da machen sollen." Autor: Den Zugereisten fehlt es am einfachsten Wissen zur Bewältigung des Alltags: Wie eröffne ich ein Konto, wie bezahle ich die Fahrkarten für den öffentlichen Nahverkehr, wie mache ich es mit der Krankenkasse? Viele sind aus Geldnot nicht krankenversichert. Das gilt auch für die Kinder, was anfangs kaum einem bewusst ist. Denn in Bulgarien ist jedes Kind unter 18 automatisch krankenversichert. Jemand, der sich später entschließt, doch eine Krankenversicherung abzuschließen, erlebt eine Überraschung. Er muss alle Beiträge seit seiner Einreise nachzahlen. Das können sich viele Familien nicht leisten. Also lassen sie es. Der Beratungsbedarf ist also immens, die existierenden Beratungsstellen sind schon jetzt überfordert. Immerhin gibt es, gefördert durch den Europäischen Sozialfond, bei "Arbeit und Leben" in Hamburg seit neuestem eine spezielle Beratung für Bulgaren und Rumänen. Rüdiger Winter: O-Ton 9: Winter "Wir hatten in unserem Projekt ursprünglich eine Zielzahl von 200 Personen, die wir pro Jahr erreichen und unterstützen sollten, und diese Zahl haben wir in den ersten drei Monaten bereits überschritten. Im letzten Jahr haben sich in Hamburg 2.700, 2.800 Menschen aus Bulgarien und Rumänien hier gemeldet, um ein Gewerbe anzumelden alleine, da muss man davon ausgehen, dass es sich in der Mehrzahl der Fälle, wenn nicht fast bei allen um Scheinselbständigkeit handelt, die dann ´ne ganze Reihe von Problemen nach sich zieht, aus denen Beratungsbedarfe resultieren." Sprecherin: Im Gewerkschaftshaus am Besenbinderhof sitzt ein rumänisches Ehepaar bei dem Sozialberater Andreas Stasiewicz. Die Frau ist in Tränen aufgelöst. Ihnen wurde in Rumänien über das Internet eine Arbeit auf einem Campingplatz in der Nähe von Hamburg versprochen, woraufhin sie ihr Geld zusammen kratzten und in der festen Überzeugung, in Deutschland sei es gut, hier her fuhren: O-Ton 10: Rumäne "Imbiss, keine Toiletten, keine Duschen, rein in Camping, alles schmutzig, für Campingplatz, alles zusammen dieses Bad, dieses Camping, ich habe gesagt, ich bleib´ nicht hier, ich nichts arbeiten hier, ich fahr´ zurück. Und ich habe keine Geld, ich hab´ schon bezahlt." Autor: Andreas Stasiewicz ruft die Dolmetscherin an. Sie soll dem Paar klar machen, dass man für sie die Rückfahrt organisieren und bezahlen könne. Für derartige Aktionen stelle die Stadt Hamburg Geld zur Verfügung, immerhin das: O-Ton 11: Stasiewicz "Also, ich versuche jetzt, Geld zu organisieren, das sind fast 250 Euro für die Fahrt, und wir sollen uns um zwei Uhr, 14 Uhr in der Bahnhofsmission treffen, weil die stellen die Fahrkarten aus, und wenn das klappt, fahren sie morgen nach Rumänien, und wenn nichts, dann müssen sie warten, kann ich ihnen nur Notunterkunft Pik As organisieren, mehr nicht. Um das Essen werde ich mich noch kümmern, Bitte erklär´ das jetzt, kannst du laut sprechen. / Jetzt auf Rumänisch ... .."! Sprecherin: Im Hamburger Arbeiterstadtteil Wilhelmsburg ist eine Filiale des Vereins "Verikom". Dort hat die 33 jährige Tülay Beyoglu, Tochter türkischer Einwanderer, früher fast ausschließlich türkische Frauen beraten. Jetzt sind es fast nur noch türkischsprachige Bulgaren, die in ihrer Heimat etwa 10 Prozent der Bevölkerung ausmachen. In ihrem kleinen Kabuff sitzt eine Frau, die aus ihrer Plastiktüte diverse amtliche Papiere hervorholt. Viele sind noch im Briefkuvert. Man ahnt: Hier hat jemand den Umschlag kurz geöffnet und schnell wieder verschlossen. Briefe von Ämtern, Rechnungen, Mahnungen, Aufforderungen. Die Frau braucht Hilfe, weil sie einmal die Rate für die HVV-Monatskarte nicht zahlen konnte und der Schuldenberg bei der Hamburger Hochbahn nun stetig wächst. Längst hat die HVV den Fall einem Inkassounternehmen übertragen: O-Ton 12: Beyoglu "Hallo Guten Tag, Beyoglu ist mein Name. Ich rufe von "Verikom" an, das ist eine Beratungsstelle für Migranten. Es geht um die Ratenzahlungsvereinbarung, wo sie eine Rate nicht zahlen konnte, besteht da noch die Möglichkeit, weiter eine Rate zu zahlen? ......Immer 81 Euro dazu, das sind dann ja schon 600, was weiß ich, da könnten sie aus kulanterweise nichts mehr machen, Hochbahn, ja." Autor: Nein, mit Kulanz ist nichts zu machen. Es gibt jetzt schon eine offene Rechnung von 600 Euro. Man einigt sich auf eine Ratenzahlung von 80 Euro. Im Moment des Telefonats dürfte allen Beteiligten klar sein, dass demnächst einmal wieder eine Rate nicht bezahlt werden kann. Die Frau reinigt Zimmer in einem Hotel, ihr Mann ist arbeitslos. Wenn einmal nicht gezahlt wird, erhöht sich der Gesamtbetrag wieder um 81 Euro, die das Inkassounternehmen für sich reklamiert. Sprecherin: Die nächste Ratsuchende hat sich online von einem windigen Geschäftsmann Sofas und einen Kredit aufschwatzen lassen, der über eine der größten deutschen Geschäftsbanken abgewickelt wird. Zinsen: stattliche 14 Prozent. Tülay Beyoglu kennt allein 15 bulgarische Familien, die auf diesen Trick hereingefallen sind: O-Ton 13: Beyoglu "Alle sind in die Falle geraten. Die haben da Sofas gekauft bei diesem Unternehmen, und der Unternehmer hat ihnen gesagt, sie können auch Kredit nehmen, wenn sie wollen. Durch diese Sofas kamen sie an den Kredit ran. Dann mussten sie Sofas abbezahlen und dann auch noch den Kredit. Beides zugleich." Autor: Aus den ursprünglich 5.000 Euro für die Sofas und den Kredit sind mittlerweile 8.000 Euro Schulden geworden, die die Familie kaum wird bezahlen können. Stellt sich die Frage, ob es für viele nicht leichter ist, sobald die gelben Mahn- und Vollstreckungsbescheide ins Haus flattern, einfach die Koffer zu packen und zurückzugehen. Das würde nichts nützen, sagt Tülay Beyoglu: O-Ton 14: Beyoglu "EU-rechtlich haben die Leute ein Anmeldungssystem, und sie werden überall auffindbar sein. Das haben wir auch gemerkt. Es gab eine Familie, die ist wirklich zurück gegangen, und die hat dann ihre gelben Scheine auch in Bulgarien bekommen. Es gibt kein Entlaufen von den Schulden, das gibt es nicht." Sprecherin: Natürlich schaffen es auch etliche Bulgaren und Rumänen, sich hier nach oben zu arbeiten. Nicht wenige verdienen daran, dass sie anderen helfen. Es gibt Kindergeld und eine Schulpflicht. Nach drei Jahren, die allerdings per Arbeitsbescheinigungen lückenlos nachgewiesen werden müssen, können sie auch den Arbeitnehmerstatus bekommen. Das berechtigt zum Bezug weiterer Sozialleistungen. Doch für viele ist die Existenz im gelobten Deutschland ein Leben in permanenter Armut, wenn nicht gar in Obdachlosigkeit. Berater berichten von bulgarischen Frauen, die in ihrer existentiellen Not versucht haben, ihr Kind zu verkaufen. Dennoch, so Tülay Beyoglu, wollten die wenigsten zurückgehen. Aus zwei Gründen: Die meisten würden es nicht über sich bringen, ein Scheitern des Deutschland-Abenteuers einzugestehen. Und: In Bulgarien haben sie gar nichts, nicht mal die Hoffnung: O-Ton 15: Beyoglu "Die Leute sind gekommen, um zu bleiben. Es ist nicht so, wie gedacht, die Leute kommen, arbeiten und gehen. Die gibt es natürlich auch. Aber es kommen größtenteils Menschen, die wollen hier bleiben, die nehmen ihre Familien mit, und die möchten hier leben. Und wenn es ist in den anderen Ländern schlimmer wird, zum Beispiel in Spanien, Portugal oder Italien, dann ist der Zielort Deutschland." Autor: Die Tagelöhner aus Bulgarien und Rumänien seien nicht zuletzt Opfer einer verfehlten Politik, resümiert Viktoria Müller. Da Deutschland sie hier nur als Selbständige akzeptiere, werde in Kauf genommen, dass für sie im Prinzip keinerlei Schutzrechte gelten: O-Ton 16: Müller "Das Problem liegt in der Regelung. Die Regelung ist nicht durchführbar. Das wäre viel einfacher, wenn sie hier einfach arbeiten können, mit einer Arbeitserlaubnis." Sprecherin: Wegen des Arm-Reich-Gefälles in der Europäischen Union ist nach Ansicht der Migrationsexperten ein Ende der Westwanderung von Bulgaren und Rumänen nicht zu erwarten. Auch bei polnischen Migranten änderten sich die Verhältnisse erst, als ihr Heimatland wirtschaftlich prosperierte. Das Bundesinnenministerium hat gleichwohl der EU-Kommission mitgeteilt, einer nationalen Strategie zur Bewältigung dieser innereuropäischen Armutsmigration bedürfe es nicht. Die Folge ist unter anderem, dass es für Bulgaren und Rumänen keine kostenlosen Integrationskurse gibt. Migrationsexperten warnen davor, die gleichen Fehler zu machen, die auch bei früheren Zuwanderungswellen begangen worden sind. Die Beratungsstellen mahnen zumindest kleine Schritte an. Rüdiger Winter von "Arbeit und Leben": O-Ton 17:Winter "Eine Konsequenz muss sein, dass man die Menschen schon in ihren Herkunftsländern über die Arbeitsmarktsituation hier in Deutschland informiert, über die Chancen, aber auch über die Risiken und Herausforderungen, womit sie rechnen müssen, welche Pflichten sie haben, wie es mit der Versicherung aussieht, mit steuerlichen Fragen, Mindestlöhnen, welche tarifrechtlichen Standards es gibt, an denen sie sich orientieren können. Wir bemühen uns gerade in Kontakt zum Beispiel mit Bulgarien, mit dortigen Stellen, mit Ministerien, Arbeitsverwaltung, solche Informationen dort rechtzeitig zu verbreiten. Rumänien ist der nächste Schritt, den wir angehen, wo wir auch dann mit den dortigen Stellen das klären wollen und dann schauen, dass dort, schon an Busbahnhöfen, wo die Menschen abfahren, vielleicht auch schon in der Fläche, in den Ortschaften Informationen verbreitet werden." Autor: Die nächste Herausforderung wird der kommende Winter sein. Immer mehr Obdachlose stammen aus Osteuropa. Im Sommer haben Hamburger Behörden beschlossen, diese Personen nicht mehr in den winterlichen Notunterkünften aufzunehmen. Erst nach heftigem Protest sahen sich die Verantwortlichen gezwungen, diese Ankündigung zurück zu nehmen. 1