COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 02.08. 2010, 19.30 Uhr Arbeit macht das Leben süß Über den Druck auf Angestellte und Freischaffende Von Thomas Klug Autor: Es könnte schön sein: Ein Leben mit einer Arbeit, die Spaß macht, die einen ernährt und ausfüllt. CD: Comedian Harmonists Irgendwo auf der Welt Autor: Kein Paradies, kein Leben als reicher Erbe oder Spekulant, kein Leben auf Kosten anderer. CD: Comedian Harmonists Autor: Ein selbstbestimmtes, erfülltes Leben - ein kleines Glück. CD: Comedian Harmonists Take 01 Schmidt Wenn ich sage, ich schaffe das nicht, das ist halt die falsche Aussage, weil irgendwann sagt man: Sie sind nicht fähig oder Sie können den Laden nicht führen. CD: Comedian Harmonists Irgendwo auf der Welt Take 02 Müller In der Praxis war es eine organisierte und konsequente Erpressung, die aus deren Sicht erfolgreich ausgegangen ist. Die haben 1800 Euro bekommen, auf die sie kein Anrecht hatten. Autor: Es könnte schön sein. Stattdessen chronische Überbelastung. Misstrauen. Urlaubsgeld, auf das man verzichten soll. Druck, Plagerei und Ärger - fünfmal die Woche. Mindestens. Dabei heißt es doch: Sprecher vom Dienst: Arbeit macht das Leben süß Autor: Man wird ja doch mal träumen dürfen. CD: Comedian Harmonists Sp v. Dienst: Über den Druck auf Angestellte und Freischaffende CD: Comedian Harmonists Sp v. Dienst: Ein Feature von Thomas Klug Zitator 1: Geh stille deinen Weg und zage nicht. Tu einfach deine Pflicht und frage nicht. Trag tapfer jedes Leid und klage nicht. Es folgt auf jede Nacht doch wieder Licht. Sprecherin: unbekannter Verfasser Autor: Arbeit kann so schön sein. Höchstens mal ein Problemchen, das sich binnen einer Dreiviertelstunde lösen lässt - natürlich im Kreis der lieben Kolleginnen und Kollegen. Eigentlich ist der Arbeitsplatz der Ort, an dem die kleinen Sorgen so richtig Spaß machen. CD: "In aller Freundschaft Autor: Die wirklich schöne Arbeit ist die, die in den Fernsehserien gezeigt wird. Aber da arbeiten ja nur Ärzte, Anwälte, Oberförster. Und natürlich Kriminalkommissare in rauen Mengen. Wenn es ganz schlimm kommt, gibt Thekla Carola Wied eine Journalistin in Serie. Und wenn es wirklich mal eine Sekretärin ist, die im Fernsehen vorkommt, dann nur eine, die nebenberuflich Mordfälle aufklärt oder gleich den Millionärssohn heiraten wird. Das Arbeitsvolk im Fernsehen hat es gut - nur leider: Es ist alles gelogen. Ähnlichkeiten mit der Realität sind unbeabsichtigt und rein zufällig. CD: "In aller Freundschaft" - kurz freistehend und weg Take 03 Jürgen Meistens ist es so, dass ich ungefähr eine Stunde früher da bin, im Normalfall, manchmal noch einen Kaffee trinke, aber in der Regel fängt man dann an zu arbeiten. Nicht viele Mitarbeiter arbeiten die Zeit, die sie wirklich arbeiten müssten. Sei es, wenn man Frühdienst hat, dass man noch etwas länger bleibt. Und wenn man Spätdienst hat, dass man in der Regel früher kommt. Autor: Jürgen Schmidt arbeitet im Einzelhandel. Er heißt nicht Jürgen Schmidt. Wer öffentlich über Probleme mit dem Arbeitgeber redet, verwendet lieber nicht seinen richtigen Namen. Jürgen Schmidt hat eine Position, die sich nach etwas anhört: Er ist stellvertretender Marktleiter einer Einzelhandelskette irgendwo in Brandenburg. Sein Arbeitsalltag ist eher leiden statt leiten. Take 04 Schmidt Oft ist es so, dass ich das Pensum, was ich schaffen muss an dem Tag, nicht wirklich in meiner Zeit schaffen würde, die ich tatsächlich arbeite. Zum Beispiel: Ich mache eine Bestellung, also eine regelmäßige Bestellung für eine bestimmte Abteilung. Die muss 14 Uhr fertig sein, spätestens. Und mein Dienst fängt um 13.00 Uhr ein, dann würde ich das zeitlich nicht schaffen, weil ich vorher die Ware auch noch auspacken muss. Das funktioniert eben nicht. Und schon bin ich in dem Zwiespalt, gehst du halt ein, zwei Stunden früher hin, dann kannst du noch auspacken und dann kannst du noch vernünftig die Bestellung machen. Autor: Ein, zwei Stunden früher zur Arbeit. Das klingt nach zusätzlichem Einkommen. Doch dieser Gedanke scheint naiv. Mehr Geld? Take 05 Schmidt Nein, normalerweise nicht. Die Zeit, die man dann kommt, die fällt auch untern Tisch. Autor: Einmal, als Jürgen Schmidt noch kein stellvertretender Marktleiter war, hat er noch mit Geld für Überstunden gerechnet: Take 06 Schmidt 8'14 Da habe ich alle Stunden aufgeschrieben, weil das wirklich Tage waren, wo ich wirklich 14 Stunden im Markt war. Und irgendwann waren es über 200 Stunden. Dann habe ich den Bezirksleiter angesprochen, dass ich die Stunden bezahlt haben möchte. Und er sagte dann: Maximal einhundert, der Rest fällt unter den Tisch. Da habe ich gesagt: Nein, ich möchte alles haben, ich habe diese Zeit gearbeitet. Ich habe sie dann auch bekommen, aber es war schwierig, es war richtig schwierig. Autor: Daraus lernt man: Es ist einfacher, auf das Geld für Überstunden zu verzichten. Überstunden, die fast schon vom Arbeitgeber eingeplant sind. Und Geld, das es eben nicht gibt. Take 07 Schmidt Jeder weiß es. Also, stellvertretende Marktleiter, die anfangen, sich Überstunden aufzuschreiben, gibt es normalerweise nicht, es sei denn es sind so ganz gravierenden Sachen, dass der Marktleiter krank ist und man wochenlang alleine ist. Aber normalerweise soll das nicht sein. Autor: Ein stellvertretender Marktleiter kann sich eben nicht die Blöße geben, mehr Zeit zu benötigen, um seine Aufgaben zu erfüllen. Take 08 Schmidt Man muss mehrere Dinge gleichzeitig machen, was gar nicht geht. Wo sonst drei Leute sind, wo man drei Leute ungefähr für braucht, das macht man dann alles selber nebenbei. Und das ist natürlich nicht sehr schön, wenn man dann den ganzen Nachmittag durch den Laden rennt und fünf, sechs Sachen macht, keine Zeit hat, eine Pause zu machen, eigentlich auch keine Zeit für die Kunden hat - das ist das größte Übel, weil wir ja eigentlich Zeit haben sollen und müssen für die Kunden, weil wir ja für die Kunden da sind. Aber im Grunde bleibt dafür oft überhaupt keine Zeit mehr. Atmo Fließband Regie: Sprecher beginnt langsam; wird immer wütender und lauter; Atmo wird auch immer lauter Zitator 2: Das Schlimmste sei das lay off. Und es ist das Schlimmste. Für einen Fehler bei der Arbeit, für ein geringfügiges Vergehen (wäre es nicht geringfügig, so würde ja der Arbeiter ohne weiteres entlassen) wird man "abgelegt". Auf einen Tag oder länger, bis zu vierzehn Tagen....Wer in einen Streit gerät, während der Arbeitszeit einen Schluck Milch trinkt oder sonst wie dem General-Foreman, dem Werkmeister, Anlass gibt, wird laid off. Bekäme - beispielsweise gesprochen - John D. Rockefeller wegen eines Fehlers an der Werkbank die gleiche Strafe, das heißt in der Höhe seines halben Monatseinkommens, so ist das keineswegs die gleiche Geldstrafe, denn John. D. Rockefeller könnte die eine Million Dollar von Ersparnissen bezahlen, der Fordarbeiter die sechzig Dollar nicht. Für diesen bedeuten vierzehn Tage lay off: Hunger samt Kind und Familie, Vorwürfe, unfreiwilliges Herumlungern daheim. Bei der Wiedereinstellung wird sein Wochenlohn gekürzt, wodurch der Strafende Nutzen hat. Oft, wie zum Beispiel im Frühjahr 1927, werden Zehntausende "aus betriebstechnischen Gründen" abgelegt, alsbald jedoch wieder aufgenommen, allerdings nicht zu dem längst erworbenen Lohn, sondern für fünf Dollar pro Tag. Sprecherin: Egon Erwin Kisch: Bei Ford in Detroit Effekt: Fließband - blenden Autor: Vorbei die Zeit von Egon Erwin Kisch, dem rasenden Reporter. Vorbei die immer währende Drohung an die Beschäftigten: Du bist jederzeit ersetzbar. Vorbei der Druck. Schließlich gibt es ja die soziale Marktwirtschaft. Ein Begriff, der sich irgendwann verselbständigt hat und unverbindlich wurde. Take 09 Müller 2'09 Es war so, dass ich einen Arbeitsvertrag hatte, wo man einfach sechs Wochen zu Quartalsende kündigen konnte, normaler Angestelltenvertrag mit sechs Wochen Kündigungsfrist. Das neue Unternehmen wollte mich nicht zum 1. Juli haben, sondern schon vier Wochen zuvor. Und deshalb formulierte ich in meinem Kündigungsschreiben die Bitte, vier Wochen eher aufzuhören. Als Antwort auf mein Kündigungsschreiben bekam ich vom kaufmännischen Leiter des Hauses einen kurzen Anruf, in dem es hieß, ok, wir wollen Ihnen keine Steine in den Weg legen, als ich nachfragte, was das bedeute, ob ich nun früher gehen kann oder nicht, antwortete er nicht mehr und sagte, das sehen wir dann später und legte auf. Autor: Konrad Müller, auch sein Name ist geändert, wollte einfach den Arbeitsplatz wechseln. Einen Arbeitsvertrag kündigen, um bei einer anderen Firma anzufangen. Etwas ganz normales - eigentlich. Bis eines Tages ein Vorgesetzter in sein Büro kam: Take 10 Müller Er kam in mein Büro, schloss die Tür hinter sich und sagte dann, er hätte ganz gern noch einige Fragen, zu den Projekten, die ich bearbeite, das ist eine Fachzeitschrift gewesen, geht jedoch jetzt in den Urlaub und hätte es ganz gern, wenn er aus seinem Urlaub zurückkommt , ich dann noch mal in den Verlag komme, obwohl mein Resturlaub schon angelaufen wäre, um ihn dann diese Informationen zu geben. Da sagte ich, ich kann auch jetzt die Information geben und außerdem wissen Sie doch seit zwei Monaten, dass ich aufhören möchte, können wir das nicht anders regeln. Dann meinte er, er hätte es schon ganz gerne, dass ich noch ein paar Tage während meines Urlaubs noch einmal herkomme und im Übrigen ist es doch so, dass ich auch ein gutes Arbeitszeugnis haben möchte. Und es wäre schon besser, wenn ich noch mal ins Haus komme, sonst kriege ich möglicherweise kein gutes Arbeitszeugnis. Autor: Das klingt nach Erpressung. Konrad Müller will sich nicht erpressen lassen. Das hatte Konsequenzen: Take 11 Müller Ich kam dann am nächsten Montag wieder in das Haus, so um 07:30 Uhr, wie ich immer anfing. Eine Viertelstunde später kam ein Betriebsratsmitglied in mein Büro und ich dachte mir, so, jetzt bekomme ich endlich die Antwort, ob ich früher gehen darf und das Betriebsratsmitglied sagte mir, ja, der kaufmännische Leiter hat mir gerade gesagt, das man eine fristlose Kündigung ausgesprochen hat gegen Sie - was ich doch sehr überraschend fand, konnte mir gar keinen Grund vorstellen und fragte nur, was das soll. Und der Betriebsrat sagte nur, das hat er einfach so gemacht, mehr kann ich jetzt auch nicht sagen. Es ist jetzt so vom Gesetz her, dass Sie noch einmal ein Gespräch führen können mit einem anderen Betriebsrat und Sie müssen drei Stunden Zeit verstreichen lassen und dann können Sie noch einmal ein Gespräch mit dem kaufmännischen Leiter führen. Autor: Den Grund für die Kündigung erfährt Konrad Müller kurz danach: Eine E-Mail, die er geschrieben hat und in der er um eine kürzere Kündigungsfrist bittet, um in dem anderen Unternehmen arbeiten zu können. Ein anderes Unternehmen - das sei Vertrauensbruch. Und deshalb die Kündigung. Take 12 Müller Ich war auch immer noch ein bisschen geschockt, von dieser Überraschung, dass ich auch nicht viel sagen konnte. Autor: Aber es gibt einen Ausweg - scheinbar. Ein Mitglied des Betriebsrates übermittelt ihn: Take 13 Müller und sagte: Der kaufmännische Leiter hat folgendes gesagt: Er nimmt die fristlose Kündigung zurück, wenn Sie auf ihr Urlaubsgeld verzichten, also 1800 Euro zahlen und ihm noch kurz eine E-Mail schicken, dass Sie sich für Ihr Verhalten entschuldigen. Wenn Sie das nicht machen, kommen Sie morgen nichts mehr ins Haus. Ich habe die Betriebsrätin gefragt, was das soll. Da meine die Betriebsrätin einfach: Der Betriebsrat zieht sich jetzt aus der Sache zurück, wir haben damit nichts mehr zu tun. Und ging raus, fertig. Es war 17 Uhr, Montagabend. PP, persönliches Pech, sagte dann diese Dame. Autor: Ein PP vom Betriebsrat. Und Zeit zum Nachdenken - 15 Minuten. Ein Anwalt lässt sich in dieser Zeit nicht finden. Was tun? Eine Entschuldigung formulieren - wofür auch immer? Und dann die Firma wechseln. Oder? Take 14 Müller Oder aber ich gehe nach Haus, kriege mein letztes Gehalt nicht, krieg mein Zeugnis nicht, krieg meine Lohnsteuerkarte nicht, muss monate- oder jahrelang klagen und weiß noch nicht einmal wie es ausgeht, weil ich einfach die Gesetze nicht so gut kenne. Es war ja auch so: Ich wollte ja verreisen, ich hatte ja einen Urlaub gebucht. Ich hätte auf jeden Fall einen finanziellen Verlust gehabt, wenn ich jetzt geklagt hätte und insofern habe ich gedacht, ok, schreib dem Kerl, dem Mistkerl, die E-Mail. Ich habe geschrieben, falls ich mich schlecht benommen haben sollte, entschuldige ich mich dafür und ich bin auch gerne bereit, für die Mühen, die Ihr Verlag hat, dadurch, dass ich etwas eher aufhöre, auf mein Urlaubsgeld zu verzichten. Da habe ich sofort eine E-Mail vom Geschäftsführer bekommen: Ok, kommen Sie morgen früh um zehn in mein Büro. Autor: Nach sechs Jahren Arbeit für eine Firma hatte Konrad Müller auf ein kleines Entgegenkommen gehofft, eine Art von Anerkennung seiner Leistungen. Es war ein vergebliches Hoffen. Regie: Collage; nur Schlüsselaussage (Krankenstand sinkt) soll verständlich sein, ? vielleicht mit einer bedrohlichen Musik unterlegen oder mit "The typewriter" Zitator 2: Die Arbeitnehmer in Deutschland melden sich immer seltener krank. Der Krankenstand in den deutschen Betrieben habe in den ersten neun Monaten dieses Jahres den drittniedrigsten Stand seit Einführung der Statistik 1970 erreicht. Sprecherin: Der Krankenstand in den deutschen Firmen ist in den ersten sechs Monaten des Jahres nach einem Zeitungsbericht auf ein historisches Tief gefallen. Die Arbeitnehmer fehlten im Durchschnitt 3,24 Prozent der Sollarbeitszeit, 2008 waren es 3,34 Prozent. Zitator 2: Nach der amtlichen Statistik der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) waren in den ersten sechs Monaten des Jahres "rechnerisch rund 3,34 Prozent der pflichtversicherten Mitglieder - ohne Rentner - arbeitsunfähig krankgemeldet", bestätigte ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums. Autor: Statistik. Die Tendenz ist klar - der Krankenstand sinkt, auch wenn es kleine Schwankungen gibt. Ein sinkender Krankenstand bedeutet nicht mehr Gesundheit. Dabei scheint doch mit der Arbeit alles in Ordnung - laut Statistik: der durchschnittliche Angestellte arbeitet nur 30 Stunden pro Woche. Jeder erhält 31 Tage Urlaub. Und dann sind da noch die gesetzlichen Feiertage. Doch das ist eben nur Statistik. Teilzeitbeschäftigte und Mini-Jobber einerseits. Vollzeitbeschäftigte andererseits. Laut einer Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin arbeitet heute jeder zehnte Vollzeitbeschäftigte mehr als 60 Stunden - pro Woche. Das bedeutet: Druck auf diejenigen, die eben so viel arbeiten. Druck aber auch auf deren Kollegen - denn denen könnte man doch schließlich ebensoviel abverlangen. Wer will da schon Nein sagen? Take 5a Pauli Wenn Sie die Berichte von burn-out-Opfern mal genauer studieren, finden Sie ja auch in vielen Bereichen so eine Kultur, wo es dem Arbeitnehmer oder auch einer Führungskraft nicht unbedingt nützt, wenn er ehrlich sagt, welche Probleme er hat. Sprecherin: Hanns Pauli vom Deutschen Gewerkschaftsbund: Take 5b Pauli Es wird immer noch als vorteilhaft eingestuft, eben stark zu sein, die Probleme zu lösen. Die Leute präsentieren sich in der Weise, aber möglicherweise besteht zwischen dem, wie sie sich präsentieren und dem, was wirklich ist, eine Differenz. Diese Differenz, die lässt sich eine zeitlang ertragen. Aber irgendwann bricht es möglicherweise heraus und dann ist der Zusammenbruch da und das ganze Leben muss umgestellt werden. Es wäre eigentlich eindeutig gesünder, früher zu sagen, wo die eigenen Grenzen liegen und dafür muss man die Kultur haben. Nicht jedes Unternehmen reagiert da voller Freude, wenn die Beschäftigten geschlossen oder einzeln sagen, dass man mehr Personal braucht oder ähnliches. Regie: Collage auf Musik Zitator 2: Eine Studie der Universität Jena konnte nachweisen, dass Leiharbeit auf die Beschäftigten disziplinierend wirkt. Durch das Erzeugen von ständiger Unsicherheit sowohl bei den Leiharbeitern als auch bei den Stammbeschäftigten werden der Leistungsdruck erhöht und die Beschäftigten eingeschüchtert. Sprecherin: Ein erschöpfter Lastwagenfahrer hat sich selbst bei der Autobahnpolizei Günzburg (Bayern) angezeigt. Der 42- Jährige gab an, dass er auf Druck seiner Firma, einer Spedition aus dem Allgäu, mehrere Tage hintereinander täglich bis zu 20 Stunden arbeiten und fahren musste. Die Überprüfung des Fahrtenschreibers bestätigte die Angaben des Mannes. Zitator 2: Beschäftigte fühlen sich vermehrt bei ihrer Arbeit überfordert und unter Druck gesetzt. 41 % der befragten Arbeitnehmer in Nordrhein-Westfalen klagten über hohen Zeitdruck. 2004 traf dies erst auf 38 Prozent zu. Etwa jeder Vierte fühlt sich durch zunehmende Arbeitslast überfordert. Autor: Druck, übermäßige Verausgabung und mangelnde Anerkennung - Soziologen sprechen von einem Modell der Krankheitsentstehung, einer Gratifikationskrise. Ein Ungleichgewicht zwischen Leistung und Entlohnung. Take 16 Pauli Das kann Geld sein, das kann eine Anerkennung sein auch Solidarität unter den Beschäftigten sein, das man sich halt wohl fühlt. Und viele Menschen sind seit den 90er Jahren in Situationen gebracht worden, wo das einfach nicht mehr erfüllt ist. Sprecherin: Hanns Pauli vom DGB-Bundesvorstand: Take 17 Pauli Man kann es relativ deutlich festmachen, dass es in den 90er Jahren begonnen hat, dass diese psychische Dimension des Erkrankungsgeschehens wichtiger geworden ist. Es haben sich auch andere Indikatoren verändert. Die Leute gehen eben auch krank zur Arbeit. Das beobachten wir. Wir beobachten auch, dass die Arbeitszeitmodelle nicht mehr so richtig in allen Betrieben funktionieren und dass die Leute bereit sind, über die tariflich geregelte Arbeitszeit hinaus unbezahlt Arbeit zu leisten. Das deutet darauf hin, dass in den 90er Jahren da etwas geschehen ist auf den Arbeitsmarkt und das viele Leute in eine Situation kommen, wo sie sich stärker verausgaben, als es eigentlich gesundheitlich sinnvoll wäre. Wir beobachten auch ganz konkret bei der Leiharbeit dieses Phänomen, das eben auch Randbelegschaften Stammbelegschaften unter Druck setzen. Wenn für wesentlich weniger Geld gearbeitet wird oder man bereit ist, auch ungünstige Schichtmodelle zu akzeptieren usw., dass dann auch die Stammbeschäftigten psychisch stärker belastet werden. Autor: Ein Ausweg könnte der Arbeitsplatzwechsel sein. Doch - welche Chancen gibt es, wenn man die 40 überschritten hat? Dann sind dann noch die Zahlen, die anderen Zahlen - Arbeitslosigkeit. Und eben die Zahl der Leiharbeiter - Tendenz steigend. Leiharbeiter - sind die, die auch für weniger Geld arbeiten. Arbeitswillige gibt es genügend. Zitator 2 Die "Überschussarbeiterbevölkerung" bildet eine einsatzbereite industrielle Reservearmee, die dem Kapital ganz so absolut gehört, als ob es sie auf seine eigenen Kosten großgezüchtet hätte. Sie schafft für seine wechselnden Verwertungsbedürfnisse das stets bereite ausbeutbare Menschenmaterial, unabhängig von den Schranken der wirklichen Bevölkerungszunahme. Sprecherin: Karl Marx. Das Kapital. 1. Band. Take 18 Pauli Ich weiß jetzt nicht, ob man da unbedingt auf Marx zurückkommen muss. Aber in der Tat ist es ja so, dass die Leiharbeit extrem angestiegen ist, sie ist auch dereguliert worden, man hat die zeitlichen Begrenzungen für Leiharbeit geschliffen. Das hat natürlich auch Konsequenzen für die Betriebe, in denen diese Leiharbeiter eingesetzt werden. Wir wissen auch aus den Befragungen, die der DGB selbst gemacht hat, wie die Leiharbeitnehmer ihre eigene Zukunft sehen und die Arbeitszufriedenheit in diesem Bereich ist extrem niedrig. Autor: Da wäre es Zeit für einen Traum. Ein Leben ohne Chef und starre Arbeitszeit. Ein Leben in Unabhängigkeit - unabhängig zumindest von den kleinen, täglich wiederkehrenden Ärgernissen. Ein schöner Traum. Er kann wahr werden. Der Traum heißt: Werden Sie Ihr eigener Chef. Take 19 Pauli Der Vorteil der Sache dürfte ja sein, dass man für eigene Rechnung arbeitet. Und gleichzeitig auch der direkte Ansprechpartner für den Kunden ist. Gerade, wenn man dabei ist, ein Unternehmen aufzubauen, dann wird man natürlich diesen Kundenwünschen schnell und sofort nachkommen. Wenn es sich sogar um Arbeitsverhältnisse handelt, die ursprünglich sozialversicherungspflichtig waren, kann es sein, dass da auch eine erhebliche Abhängigkeit besteht. Wir haben diese Entwicklung bei den mehr oder weniger selbständigen Auslieferungsunternehmen, bei Nahrungsmitteln, Eisverkäufer oder ähnliches, teilweise gesehen, dass sie natürlich auch aus den Schutzmechanismen des Arbeitsrechts herausfallen, dass für sie als Selbständige keine Begrenzungen von Arbeitszeit mehr gelten. Und wenn Sie sich hier in Berlin mal umsehen, wie kleine Selbständige so einen Spätverkauf organisieren, dann habe ich große Zweifel, ob die acht Stunden arbeiten. Ich gehe davon aus, dass die zwischen zwölf und vierzehn Stunden arbeiten. Autor: Selbständig oder freischaffend zu sein - das klingt stolz und hat Vorteile. Aber ein anderer Begriff schwingt immer mit, ein Begriff, der nur auf den ersten Blick richtig ist: Sprecherin: Selbstausbeutung. Autor: Wer seine eigene Firma aufbaut, nimmt vieles in Kauf: längere Arbeitszeiten, Engagement rund um die Uhr. Was in den Anfangszeiten verständlich ist, wird aber schnell zur Norm. Und die Kunden oder Auftraggeber erwarten so eine Form der Rundumbetreuung - natürlich zu geringen Preisen. So ist die Selbstausbeutung eher eine Ausbeutung durch Kunden oder Auftraggeber. Wer sich verweigert, erhält schnell den Hinweis auf die Konkurrenz, die natürlich schneller und billiger sein soll. Dass Qualität Zeit und Qualifikation braucht, wird da leicht vergessen. Die kleinen Firmen und Einmann-Betriebe warten geduldig auf die besseren Zeiten, in denen sie kürzer treten können. Warten aber hat oft etwas Vergebliches. Atmo Fließband Zitator 2: Zuzugeben ist, dass Mr. Henry Ford infolge der Konkurrenz, insbesondere jener der General Motors, das Geld nicht mehr so scheffeln kann. Seine Hartnäckigkeit ist schuld. Wie viele Unternehmer, die an die Verwertung einer neuen Erfindung gerieten und durch deren Konjunktur hochgekommen sind, betrachtete er sich als unfehlbar....Eigensinnig hielt er an dem Automodell T fest, als es längst überholt und sogar lächerlich geworden war. Statt mit seinem titanischen Apparat die gesamte Erzeugung von Kleinautos in die Hand zu bekommen, blamierte er sich mit der Propagierung der Kleinflugzeuge (Flivver- Planes), die in Massen abstürzten und mit anderen Projekten, bevor er sich zum A-Modell und zum achtzylindrigen Lincoln-Wagen entschloss. Inzwischen hat die Konkurrenz ihn überflügelt. Nun spart er an den Löhnen. Sprecherin: Egon Erwin Kisch: Bei Ford in Detroit Effekt: Fließband Autor: Jürgen Schmidt, der stellvertretende Filialleiter in einem Einzelhandelsunternehmen, denkt über einen Arbeitsplatzwechsel nach. Gründe dafür hat er reichlich - jeden Morgen beginnt ein Arbeitstag, der länger ist, als bezahlt: Take 20 Schmidt Das ist eine Dauerbelastung. Und man merkt einfach, nach vielen Jahren, wo man diesen Job gemacht hat, dass der Körper irgendwann sagt, jetzt ist Schluss. Bei mir äußert sich das oft mit unheimlichen Kopfschmerzattacken, hatte ich mal vor ein paar Wochen so schlimm, dass ich nicht mehr arbeiten gehen konnte, sondern beim Arzt landete am Schmerztropf. Das sind alles Dinge, die über lange Zeit verschleppt wurden, dieser Dauerstress, diese Dauerbelastung, die machen einfach den Körper kaputt, auch nervlich und seelisch, wenn man es nicht immer merkt, aber so in bestimmten Situationen, wenn ich einen Tag frei habe oder in Urlaub gehe merke ich es besonders, wenn dann so eine richtige Ruhephase auf einmal kommt, dass ich das gar nicht kann, dass mir schlecht ist, dass ich Kopfschmerzen bekomme, dass ich wirklich im Bett liege mit Übelkeit. Nach zwei drei Tagen wird es besser. Das merkt man schon, dass der Körper irgendwann sagt, ich will nicht. Autor: Und Konrad Müller, der sich den Arbeitsplatzwechsel erkaufen musste, indem er auf sein Urlaubsgeld verzichtete, hat erst spät erkannt, welche Folgen die Unterschrift unter dem Aufhebungsvertrag hatte: Take 21 In dem stand, dass ich auf mein Urlaubsgeld freiwillig verzichte, es stand drin, dass ich auf sämtliche Rechte, die ich im Nachhinein wahrnehmen könnte, verzichten muss und es stand sogar drin, dass ich bestätige, dass der Verlag keinerlei Erpressung vorgenommen hat, also sinngemäß stand das drin. Und ich musste das unterschreiben, sonst hätte ich meine Lohnsteuerkarte nicht bekommen, diesen Aufhebungsvertrag nicht bekommen, mein letztes Gehalt nicht bekommen. Dachte ich, ok, kann ich nichts machen, ich will den neuen Job anfangen, dann in den Urlaub fahren, vorher noch eine Woche. Habe ich das Ding unterschrieben. CD: Damien Rice: Sleep, don't weep Take 22 Das war dann erstmal abgehakt, aber später merkte ich, dass es wohl der falsche Schritt gewesen war. Später merkte ich dann, dass mich das emotional belastet, weil mir dann erst bewusst wurde, richtig bewusst wurde, was abgelaufen ist, dass ich mich übern Tisch ziehen lassen habe, dass ich mich erpressen lassen habe und quasi noch danke für gesagt habe, dass ich auch ein bisschen blauäugig war. CD: Damien Rice: Sleep, don't weep Autor: Ein Begriff geht um. Er fällt nicht in den zahlreichen Interviews mit den Arbeitgebervertretern. Er steht nicht in den Jubelbroschüren der Betriebe und Banken und auch in den schriftlichen Arbeitsanweisungen wird er ausgespart. Es ist ein Begriff, mit dem man sich nicht schmückt, der nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Der Begriff lautet: Sprecherin: Aufarbeiten Autor: "Aufarbeiten" - soll heißen, Arbeitgeber, die nicht mehr so funktionieren, wie es die Geschäftsleitung will, werden "aufgearbeitet". Ihnen werden Aufgaben zugewiesen, denen sie nicht oder nicht mehr gewachsen sind. Aufarbeiten - man kann es auch Mobbing nennen. Sprecherin: Hanns Pauli vom DGB-Bundesvorstand Take 23 Pauli Wenn man sich mit den Praktikern an den Arbeitsgerichten unterhält, dann weiß man, dass das keine Einzelfälle sind, dass dem Arbeitnehmer auch der Arbeitsplatz madig gemacht wird, sondern dass es ein häufiges Phänomen ist, dass das geschieht und die Mittel sind dabei nicht immer sehr zimperlich. Ich z.B bin auch im 8. Senat des Bundesarbeitsgerichts als ehrenamtlicher Richter tätig und wir haben da auch in der dritten Instanz mittlerweile eine ganze Welle von Verfahren, die sich mit dem Thema Mobbing auseinandersetzen. Ich denke, darüber müsste Konsens sein, dass so was nicht sein darf. Autor: Konsens, dass es denen, die Arbeitnehmer genannt werden, gut gehen soll? Arbeit, von deren Entgelt man leben kann, ohne dass der Staat etwas drauflegt? Und Arbeit, die nicht auf Dauer die Gesundheit ruiniert? Das alles gibt es. Aber überall in der Gesellschaft? Das wäre ein kleines Glück. CD: Irgendwo auf der Welt Take 24 Die ersten Anzeichen an den Hüften, die Hüftknochen sind nicht mehr in Ordnung, also das Hüftgelenk hat schon Super-Verschleiß. Es ist sowieso eine Frage, wie man so, wie lange man noch durch den Laden laufen kann, denn man ist ja wirklich den ganzen Tag permanent in Bewegung, immer am Stehen, am Laufen, man hat ja kaum die Möglichkeit, sich mal hinzusetzen oder die Zeit, sich hinzusetzen. Das ist eigentlich schnurzpiepegal. Das ist interessiert keinen. Man muss funktionieren. Und wenn man irgendwann nicht funktioniert, dann weiß ich nicht, was kommt. Das wird man dann sehen. Take 25 In der Praxis war es eine organisierte und konsequente Erpressung, die aus deren Sicht erfolgreich ausgegangen ist. Die haben 1800 Euro bekommen, auf die sie kein Anrecht hatten. Die haben sich 1800 Euro erschwindelt und man kann nicht gegen sie vorgehen. Ich habe 1800 Euro gezahlt für nichts, einfach so. Hier haste mal 1800 Euro, bitteschön. Und tritt mir noch in den Hintern dafür. Danke. CD: Comedian Harmonists: Irgendwo auf der Welt Sp. v. D.: Arbeit macht das Leben süß. Über den Druck auf Angestellte und Freischaffende Zitator 1: Mit Arbeit ist es so auf Erden: sie kann leicht zum Laster werden. Du kennst die Blumen nicht, die duften, Du kennst nur arbeiten und schuften, so gehn sie hin die schönsten Jahre, bis endlich liegst du auf der Bahre, und hinter dir da grinst der Tod, kaputt gerackert, du Idiot. CD: Comedian Harmonists: Irgendwo auf der Welt - Schluss Spr. vom Dienst Ein Feature von Thomas Klug. Es sprachen: Tim Lang, Britta Sommer, Jan Uplegger und der Autor. Ton: Alexander Brennecke Regie: Beate Ziegs Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2010 1