COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 13. August 2007, 19.30 Uhr ?Ich werde Ihnen jetzt die Finger brechen? Die Diskussion um das Folterverbot Von Ulrich Panzer Spr. vom Dienst ?Ich werde Ihnen jetzt die Finger brechen? - Die Diskussion um das Folterverbot Von Ulrich Panzer 1. OT Tagesschau 30.09.2002 Der 11-jährige Sohn der Frankfurter Bankiersfamilie von Metzler ist entführt worden. Der Junge wurde bereits am Freitag verschleppt. Trotz Zahlung eines Lösegelds in Höhe von einer Million Euro ist er bis zum Abend nicht wieder aufgetaucht. Sprecher Im Herbst 2002 bewegt ein Verbrechen die Öffentlichkeit: In Frankfurt am Main ist ein Kind auf dem Heimweg von der Schule entführt worden. Bei der nächtlichen Lösegeldübergabe an einer Straßenbahnhaltestelle kann die Polizei den Täter beobachten. Sie observiert den Mann in den folgenden Tagen - in der Hoffnung, dass er die Ermittler zum Versteck des Jungen führt. Doch die Hoffnung erfüllt sich nicht. Schließlich schlägt die Polizei zu und nimmt den Verdächtigen fest. Doch der weigert sich zu sagen, wo sich der Junge befindet. Die Zeit drängt. 2. OT Daschner Mir war bekannt, dass die maximale Überlebensdauer ohne Versorgung mit Flüssigkeit vier Tage beträgt. Diese Frist lief am Vormittag des 1. Oktober ab. Sprecher Wolfgang Daschner ist damals stellvertretender Polizeichef in Frankfurt. In einem ZDF-Interview schildert er später die Situation: 3. OT Daschner Nach einvernehmlicher Bewertung mit den Führungskräften war davon auszugehen, dass Jakob von Metzler verletzt war, dass er seit nahezu vier Tagen ohne jede Versorgung war und dass er in einem Erdloch oder einem ähnlichen Verlies den kalten Außentemperaturen ausgesetzt war. Es war daher von äußerster Lebensgefahr für das Kind auszugehen. Sprecher Daschner beschließt, die Vernehmung zu verschärfen. Eine Entscheidung mit weit reichenden Folgen. 4. OT Daschner Für den Fall seiner weiteren Weigerung sollte ihm angekündigt werden, dass sich die Behördenleitung des Polizeipräsidiums damit nicht zufrieden geben könne. Er müsse damit rechnen, dass gegen ihn unmittelbarer Zwang angewendet werde. Sprecher ?Unmittelbarer Zwang?, das heißt: körperliche Gewalt, in diesem Fall: Folter. Daschners Kollegen sind dagegen. Sie wollen zunächst alle legalen Mittel ausschöpfen und den Entführer zum Beispiel mit den Geschwistern des Jungen konfrontieren. Doch der stellvertretende Polizeichef setzt sich durch. Ein Beamter soll mit dem Hubschrauber aus dem Urlaub eingeflogen werden, um den Täter mit Gewalt zum Sprechen zu bringen. Die Rede ist von einer Überdehnung des Handgelenks und anderen Maßnahmen. Ein Vernehmungsbeamter teilt dem Entführer mit, dass man ihm nie gekannte Schmerzen zufügen werde, sollte er weiter schweigen. Angesichts dieser Drohung gibt der Mann den Aufenthaltsort des Kindes preis. Doch die Polizei kommt zu spät. 5. OT Tagessschau 1.10.2002 Der Bankierssohn Jakob von Metzler ist tot. Vier Tage nach seiner Entführung fand die Polizei die Leiche des Elfjährigen nordöstlich von Frankfurt an einem See zwischen Schlüchten und Birstein. Nach bisherigen Ermittlungen wurde der Junge noch am Tag seiner Entführung umgebracht. Sprecher Zehn Monate danach wird der Kindesmörder Magnus Gäfgen zu lebenslanger Haft verurteilt. Aber auch Wolfgang Daschner, der über seine Gewaltandrohung eine offizielle Aktennotiz angelegt hat, muss sich vor Gericht verantworten. Das Urteil, das schließlich ergeht, ist milde: eine Geldstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird. Damit bekräftigen die Richter einerseits das Folterverbot, würdigen aber andererseits die Motive des Angeklagten als strafmildernd. ? Die Mehrheit der Bevölkerung befürwortet damals Daschners Verhalten: 6. OT Straßenumfrage (W) Ich hätt?s nicht viel anders gemacht, denke ich, in der Situation. Es ist immer schwer, sich reinzuversetzen, aber wenn? s um ein kleines Kind geht, dann, denke ich, greift man schon zu außergewöhnlichen Maßnahmen, um das rauszufinden. - (M) Ich hab selber zwei Kinder. Ich hätte nicht anders gehandelt. (W) Ich finde, man kann Folter androhen, wenn es um das Leben eines Kindes geht, da versteh ich überhaupt keinen Spaß. Kurzer Musikakzent Sprecher Mit dem Entführungsfall von Metzler und dem Verfahren gegen den ehemaligen Vizepolizeipräsidenten gelangte eine Frage in die öffentliche Diskussion, die bei uns lange Zeit als Tabu galt: Darf der Staat ausnahmsweise foltern, wenn er damit Menschen retten kann? - Ja, sagen einige Juristen und Philosophieprofessoren. Atmo Vogelzwitschern - kurz frei, dann unter Text Sprecher Sprecher Rainer Trapp ist ein sportlich wirkender Mann von 60 Jahren, grünes Poloshirt, schwarze Hose, schütteres blondes Haar. Er sitzt in einem schwarzen Ledersessel in seinem Haus in einem Vorort von Osnabrück. Von draußen hört man Vogelgezwitscher. Professor Trapp hat sich mit dem Folterthema ausführlich beschäftigt und ein Buch darüber geschrieben. Wobei er nicht von Folter spricht, sondern von ?selbstverschuldeter finaler Rettungsbefragung?: 7. OT Trapp Wie dieser etwas sperrige Begriff zum Ausdruck bringt, handelt es sich hier um eine Zwangsanwendung gegenüber Menschen, Tätern, die andere Menschen in eine lebensbedrohliche Lage, aus niederen Motiven im Regelfall, gebracht haben und nunmehr das Wissen haben, diese Menschen aus dieser Lage zu befreien, dieses Wissen aber nicht freiwillig freizugeben bereit sind. Insofern ist der wesentliche Teil zunächst einmal der Zweck dieser Befragung, nämlich die Rettung, deswegen nenne ich sie Rettungsbefragung. Sprecher Der Begriff, so der Philosophieprofessor, beschreibe bereits den Hauptunterschied zur herkömmlichen Folter, bei der es nicht darum gehe, ein Opfer zu retten, sondern einen Menschen mit brachialen Mitteln zu brechen. Um zu gewährleisten, dass die ?Rettungsbefragung? nicht missbräuchlich eingesetzt werde, müssten zwei Punkte beachtet werden: 8. OT Trapp Der erste ist, dass erst ein Richter freigeben darf, also die Befragung freigeben darf. Das zweite ist, was die exzessive Handhabung jetzt etwa der eingesetzten Zwangsmittel angeht, dem wirkt schon die Tatsache entgegen, dass ich eine Beobachtung der Szene und eine Dokumentation der Szene durch Kameras und durch entsprechende Aufzeichnungsmittel als unverzichtbar vorschlage. Damit ist die Tür des Vernehmungszimmers sozusagen gläsern. Sprecher Die ?Befragung? müsse möglichst schonend vonstatten gehen, so Professor Trapp. Eine Verstümmelung des Beschuldigten werde nicht angestrebt ? und sei auch nicht nötig, da sich der erforderliche Schmerz bereits durch relativ harmlose Mittel herstellen lasse: 9. OT Trapp Also, jeder Polizist lernt etwa, einen Verhafteten, der sich wehrt, abzuführen mit schmerzhaften Griffen, die also die Gelenke in irgendeiner Weise belasten, zu Schmerzen führen, die in diesem Augenblick so unerträglich sind, dass man Dinge tut, die man freiwillig zu tun nicht bereit ist. Was ich als Ethiker fordern würde, wäre ausschließlich, dass die Maßnahmen so zu verlaufen haben, dass sie den Befragten körperlich in gar keiner Weise nachhaltig schädigen. Sprecher Um Gewalt gegen einen aussageunwilligen Entführer anzuwenden und ein Opfer aus Lebensgefahr zu befreien, braucht es keine neuen Gesetze - sagt Professor Volker Erb. Der 43-Jährige ist Strafrechtsexperte an der Universität Mainz. Er bezieht sich in seiner Argumentation auf das Notwehr- beziehungsweise Nothilferecht: 10. OT Erb Wer einen Menschen entführt, einsperrt, schafft eine Notwehrlage, die so lange andauert wie der Freiheitsentzug des Opfers. Und in dieser Situation ist es nach Paragraf 32 Strafgesetzbuch erlaubt, die erforderlichen Mittel anzuwenden, um den Angriff abzuwenden, das heißt um die Freiheit des Opfers wiederherzustellen. ?Erforderlichkeit? heißt in dem Zusammenhang: Man muss von mehreren zur Verfügung stehenden Mitteln das mildeste wählen, wobei man allerdings nicht verpflichtet ist, irgendwelche Risiken einzugehen, was die möglicherweise unzulängliche Angriffsabwehr betrifft, also im konkreten Fall, dass man zu spät käme, dass das Opfer tot wäre. Also, dieses Risiko muss man nicht eingehen. Sprecher Er selbst, sagt der Juraprofessor, hätte daher im Entführungsfall von Metzler schon zu einem früheren Zeitpunkt den Einsatz von körperlicher Gewalt angeordnet, um das Leben des Jungen nicht weiter zu gefährden. ? Eine Nothilfesituation liegt seiner Ansicht nach auch in einem anderen Fall vor, der in Fachkreisen als ?ticking bomb? - Szenario bezeichnet wird und angesichts weltweiter Terrorgefahr die Ängste vieler Menschen trifft: 11. OT Erb Stellen sie sich vor: Bombe an Bord eines Flugzeugs platziert, man weiß nicht genau wo. Man hat die Terroristen gefasst und sie brüsten sich vielleicht noch damit, sagen: ?In den nächsten zwei Stunden wird diese Bombe losgehen!? Das Flugzeug ist mitten über dem Atlantik. Um sie zu entschärfen, braucht man die Information, wo sie liegt. Sprecher Sollten die Täter diese Information verweigern, dürfe der Ermittler auch in diesem Fall versuchen, sie mit Gewalt zum Reden zu bringen, um das Leben der Menschen an Bord zu retten, so Professor Erb. Kurzer Musikakzent Sprecher Die Befürworter von Folter in Ausnahmefällen sind in Wissenschaftskreisen in der Minderheit, ihre Position ist umstritten. Dabei wirken die Argumente - auf den ersten Blick ? plausibel: Auf der einen Seite der festgenommene Täter, der sich weigert, das Versteck seines Opfers oder einer Bombe preiszugeben. Und auf der anderen Seite der Polizist, der weiß: Wenn der Mann nicht endlich redet, wird das Opfer, werden hunderte von Menschen qualvoll sterben. ? Was, fragt man sich angesichts dieses Szenarios, ist so schlimm daran, einem Verbrecher eben mal den Arm umzudrehen?! ?Die Frage greift zu kurz!? sagen radikale Foltergegner. Denn hier handele es sich um ein grundsätzliches Problem. 12. OT Bielefeldt Es geht bei Folter nicht nur um Schmerz, es geht auch nicht nur um das Rechtsgut ?körperliche Unversehrtheit?. Es geht um etwas sehr viel Prinzipielleres: die Wahrung der Menschenwürde Das kann ja immer mal passieren im polizeilichen Handeln, dass jemandem der Arm umgedreht wird ? aber dass hier jemand in einer Verhörsituation so mit Schmerz bedroht oder traktiert wird, dass er nicht mehr als Handelnder sich erleben kann, sondern wirklich ihm seinen Willen zu brechen, das ist für einen Rechtsstaat per Definition nicht möglich. Folter ist wirklich eine Grenzüberschreitung, die ein Rechtsstaat nicht verkraften kann, ohne selbst ganz fundamental Schaden zu nehmen. Sprecher Heiner Bielefeldt ist Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte in Berlin, einer staatlich finanzierten, unabhängigen Einrichtung. Eine Lockerung des Folterverbots lehnt der Endvierziger kategorisch ab. Den Vorwurf, dass der Staat damit die Menschenwürde des Täters letztlich über den Schutz des Opfers stelle, hält er für unberechtigt: 13. OT Bielefeldt Der Staat wird nie bereit sein, ein Opfer einfach sterben zu lassen. Der Staat wird das machen, was ihm möglich ist, dazu ist er verpflichtet, um Leben zu retten, aber es gibt hier eine absolute Grenze. Der Staat würde dann das Recht des Opfers verletzen, wenn er untätig bliebe, untätig zusehen würde. Aber dem Rechtsstaat kann nicht abverlangt werden, rechtsstaatswidrig zu handeln. Sprecher Der Menschenrechtsexperte beruft sich dabei unter anderem auf Artikel 1 des Grundgesetzes: Sprecherin Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Sprecher Explizit ist das Folterverbot in mehreren internationalen Verträgen festgeschrieben, unter anderem in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948: Sprecherin Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Sprecher Dieses Verbot gilt ohne Abstriche, wie dies unter anderem in der Antifolterkonvention der Vereinten Nationen festgeschrieben ist: Sprecherin Außergewöhnliche Umstände gleich welcher Art, sei es Krieg oder Kriegsgefahr, innenpolitische Instabilität oder ein sonstiger öffentlicher Notstand, dürfen nicht als Rechtfertigung für Folter geltend gemacht werden. Zitator Sie schleppten mich in eine Isolationszelle. Ich merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Hier drin war keine Luft! Sie hatten die Luftzufuhr einfach abgestellt! Die Wände waren mit Feuchtigkeit beschlagen, es war heiß. Ich legte mich hin. Nach einer Weile auf der Pritsche bekam ich kaum noch Luft. Ich legte mich auf den Boden und drückte meine Nase ganz nah an die Ritze zwischen Boden und Wand, weil ich dachte, dort müsste doch etwas Luft hindurch kommen. Ich atmete ganz langsam, aber das Atmen wurde zur Qual, es war, als würde die Luft, die ich einsog, schwer und immer schwerer. Mir wurde schwindlig. Ich merkte, dass die Wärter gegen die Tür traten und die Klappe aufmachten. Ich öffnete die Augen. ?Ja, der lebt noch.? ? ?Okay. Mach wieder zu.? Ich bekam immer weniger Luft. Ich wurde ohnmächtig. (Kurnaz, S. 193ff) Sprecher ?Die Würde des Menschen ist unantastbar!? Dieser einfache Satz begründet das Folterverbot. Es gilt ohne Ausnahme. Denn wenn die Büchse der Pandora erst einmal geöffnet ist, gibt es keine vernünftig begründbare Grenze mehr, sagen die Foltergegner. Heiner Bielefeldt: 14. OT Bielefeldt Mann stelle sich das auch mal praktisch vor: Wenn man erst mal, bildhaft gesprochen, Daumenschrauben anlegt, und dann sagt man: nur bis zu diesem Punkt und nicht weiter! Ich glaub, das wird man faktisch nicht durchhalten können. Also, in dieser auch extremen Situation, wo es dann vielleicht um Leben und Tod geht, da wird man sozusagen diese folterimmanenten Grenzen, um es zynisch zu sagen, nicht mehr durchhalten können. Sprecher In der Tat stellt sich die Frage: Was ist, wenn ein Entführer oder Terrorverdächtiger auch nach dem Armumdrehen noch schweigt? Sprecherin Warum soll man ihm nicht notfalls auch bleibende Schäden zufügen dürfen - wenn es um die Rettung eines Kindes geht; wenn hunderte, gar tausende von Menschen durch einen unmittelbar bevorstehenden Terroranschlag bedroht sind?! Warum nicht seine Finger brechen? Die Genitalien zerquetschen? Zigaretten auf seinem Leib ausdrücken, und wenn er immer noch nicht redet, ihm die Ohren abschneiden, die Augen ausstechen, Strom durch seinen Körper jagen, seinen Kopf unter Wasser drücken, bis er fast erstickt? Irgendwann muss er doch verraten, wo das Kind versteckt ist, wo die Bombe sich befindet! Sprecher Wenn es um die konkreten Methoden geht, halten sich die Befürworter einer so genannten ?Rettungsbefragung? auffallend zurück. 15. OT Trapp Dazu kann ich mich nicht äußern, wie das geht. Es gibt jedenfalls von entsprechenden Fachleuten Äußerungen, dass Reizungen der Schmerzrezeptoren mit entsprechenden elektrischen Stimulatoren zu solchen unerfreulichen Situationen in dem Augenblick führen, dass der Befragte Dinge sagt, die er freiwillig nicht zu sagen bereit wäre. Sprecher Neben dem Einsatz von Elektroschocks, der hier offenbar gemeint ist, sind für den Philosophieprofessor Rainer Trapp schmerzhafte Griffe, wie sie zum Beispiel Ringer anwenden, das Mittel der Wahl. Dazu, wie das konkret aussehen könne, sagt er, fehle ihm jedoch das nötige Wissen. 16. OT Trapp Da würde ich mich in diesem Fall an die Experten halten. Also, welchen Griff die nun zuerst anwenden, ob sie dabei hinter seinen Stuhl treten, an die Seite desselben oder dergleichen, dazu kann ich in überhaupt gar keiner Weise etwas sagen, aber man würde dann vermutlich eine Technik wählen, bei der der Schmerz sich sozusagen schrittweise so verstärkt, dass ab einer gewissen Grenze, so zumindest die Hoffnung vorher, der Täter in Anführungszeichen abzuklopfen bereit wäre und die Information zu geben bereit wäre. Diese würde man entsprechend steigern müssen bei etwas hartleibigen Tätern. - Aber wie das jetzt im Einzelnen passiert, ist eine Aufgabe, die zu beantworten also der Philosoph nicht primär als solche hat, scheint mir. Zitator Zwei Soldaten halten mich an den Füßen fest. Andere Soldaten halten meine Hände und drücken meine Schultern herab, so dass ich mich nicht mehr bewegen kann. ?So, du bist kein Terrorist?? sagt einer der Vernehmer. Der Mann hält etwas in den Händen, das er kurz aneinander reibt, wie zwei Bügel. Sie sehen aus wie ein Gerät zur Herzmassage. Noch ehe ich begreife, was geschieht, spüre ich den ersten Schlag. Elektroschocks. Sie halten mir die Elektroden an die Fußsohlen. Es knallt, es tut sehr weh, ich fühle Wärme, Schläge, Krämpfe, meine Muskeln verkrampfen sich, sie zucken, es schmerzt. ?So, how is that?? Der Mann reibt die Elektroden aneinander und hält sie mir erneut an die Füße. Ich spüre wieder die Krämpfe, die Zuckungen, den heißen Schmerz. ?Funny, huh?? Gleichzeitig höre ich Schreie. Es sind meine Schreie. Aber es ist, als kämen sie gar nicht von mir. Sie kommen wie von selbst. Ich zucke am ganzen Körper. ?Did you change your mind?? Ich höre ihn kaum noch. Ich weiß nur: Entweder werde ich in Ohnmacht fallen oder sterben. Aber immer wieder zieht er die Elektroden von meinen Füßen weg. Das ist das Schlimmste: So kehrt der Schmerz wieder, bis man glaubt, es nicht mehr aushalten zu können. (Kurnaz, S. 56ff) 17. OT Tageschau Sonderausgabe 11.09.2001 (Tagesschaufanfare und Ansage: ?Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit einer Extraausgabe der Tagesschau?) Guten Abend, meine Damen und Herren! Ein beispielloser Terror hat heute die USA überrollt. Die Angriffe galten mit dem World Trade Zentrum und dem Pentagon den Zentren der wirtschaftlichen und der politischen Macht... (etwa ab hier unter Text Sprecher ausblenden) Die New Yorker Behörden gehen jetzt davon aus, dass tausende unter den Trümmern der beiden Türme begraben sind. Über die Hintergründer der Anschläge... Sprecher Mit den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde der Einsatz von Folter für die USA plötzlich zu einer akuten Frage. Was darf eine Regierung tun, wenn das Land von Terroristen bedroht ist? Was dürfen die Sicherheitskräfte mit Terrorverdächtigen machen, die möglicherweise wissen, wann der nächste Anschlag geplant ist? Wo sich die Hauptverantwortlichen aufhalten. Wie die Strukturen von Al Qaida sind. - Darf man sie foltern, wenn man damit Menschenleben retten kann? Die Antwort der US-Regierung bestand in der Anordnung ?robuster Verhörmethoden? und einem Augenzwinkern in Richtung derer, die bereit waren, es mit dem Folterverbot im Zweifelsfall nicht ganz so genau zu nehmen. 18. OT Tagesschau 10.05.2005 Über die Misshandlungen von Häftlingen im Gefängnis Abu Ghraib bei Bagdad sind neue Einzelheiten bekannt geworden. Das ?Wallstreet Journal? veröffentlichte heute eine Studie des Internationalen Roten Kreuzes. Darin kommt die Organisation zu dem Schluss, die Folterungen seien keine Einzeltaten gewesen, sondern systematisch ausgeführt worden? (etwa ab hier weg und ggf. unter folgendem OT ausblenden) Bereits vor einem Jahr habe das Rote Kreuz auf Misshandlungen hingewiesen. Heute bekamen Journalisten Zugang zu dem Gefängnis. 19. OT Lochbihler Schauen Sie sich das an, was die USA erreicht hat durch diese Folterungen in Abu Ghraib, die um die ganze Welt gingen. Haben die jetzt vor Augen geführt, wie erfolgreich eine Folterstrategie ist? Oder wie verkommen eine Regierungspolitik ist, die das erlaubt oder vielleicht auch angeordnet hat? Und haben diese Folterungen in Abu Ghraib, als sie an die Öffentlichkeit gekommen sind, haben die denn nicht zu mehr Radikalisierung, zu mehr Hass und zu mehr Verachtung für dieses westliche System geführt, das eigentlich die eigenen Prinzipien nicht einhält?! Sprecher Barbara Lochbihler ist Generalsekretärin der deutschen Sektion von amnesty international. Wer foltert, fördert den Terrorismus, statt ihn zu bekämpfen, sagt die Menschenrechtlerin. Wer die Folter in Ausnahmefällen zulässt, riskiert außerdem, dass sie sich ausweitet. Das zeige die Praxis, zum Beispiel während der Intifada in den von Israel besetzten Gebieten. 20. OT Lochbihler Da gab es eine Zeitlang eine Lockerung, dass man gesagt hat: Also, wenn jetzt ein Polizist einen vermeintlichen Attentäter in Gewahrsam hat, der vielleicht weiß, wo eine Bombe versteckt ist, dann kann er kurz Rücksprache halten mit dem Staatsanwalt und dann kann er auch Folter anwenden. Und dann hat man gesehen, dass sehr viele Polizisten und auch die Staatsanwälte sich nicht der Gefahr aussetzen wollten, einmal das nicht anzuordnen und haben das sehr großzügig gehandhabt. Und jetzt schauen Sie sich die Auswirkungen der Politik an: Haben sie weniger Selbstmordattentate bekommen? Nein! Sie haben eine Radikalisierung und eine Brutalisierung des Konflikts bekommen! Sprecher Mittlerweile hat das Oberste israelische Gericht die Erlaubnis zur Gewaltanwendung in Verhören zurückgenommen und das Folterverbot bekräftigt. Kurzer Musikakzent Sprecher Wer Folter zulässt, verletzt nach Ansicht von Menschenrechtsexperten nicht nur die Menschenwürde und riskiert einen Dammbruch, sondern nimmt auch in Kauf, dass es irgendwann Unschuldige und damit im Prinzip jeden treffen kann: zur falschen Zeit am falschen Ort, kein Alibi. Und plötzlich tut sich der Boden auf. So wie für den Deutsch-Türken Murat Kurnaz, der während einer privaten Reise in Pakistan verschleppt und unter dem Vorwurf, er sei ein Al-Qaida-Terrorist, fünf Jahre lang in Guantanamo festgehalten wurde. Zitator Ich kam in das Zelt. Auf dem Tisch stand eine blaue, mit Wasser gefüllte Plastikwanne. Ich wusste, was jetzt kommen würde. In die Wanne passte mein Kopf hinein. Ich wusste nicht, ob ich das überleben würde. Jemand fasste meine Haare. Die Soldaten packten mich an den Armen, und dann drückten sie meinen Kopf ins Wasser. Sie rissen mich wieder nach oben. ?Do you like it?? ?You want more?? You?ll get more, no problem.? Als ich wieder unter Wasser war, spürte ich einen Schlag in den Bauch. Ich musste ausatmen und husten. ?Where is Osama?? ?Who are you?? Ich schluckte Wasser Ich bekam immer weniger Luft, je mehr sie mich in den Bauch schlugen und je öfter sie mich untertauchten, und ich spürte, wie mein Herz raste. Sie hörten nicht auf. Ich hätte ihnen alles gesagt. Aber was sollte ich ihnen sagen? (Kurnaz, S. 59ff.) Sprecher Die Wahrscheinlichkeit, dass es einen Unschuldigen trifft, nimmt zu, je größer die Bedrohung und je höher der Erfolgsdruck für die Ermittler ist. Sprecherin Ein notwendiges Übel, könnte man sagen. Denn was spricht angesichts der Gefahr von tausenden von Terror-Toten durch eine Bombe, die in zwei Stunden hochgehen soll, dagegen, notfalls einen Verdächtigen zu foltern, bei dem man zwar nicht sicher ist, dass er tatsächlich über die rettenden Informationen verfügt, aber es doch fast sicher weiß? - Es aus normalerweise sicherer Quelle gehört hat? - Oder es zumindest ziemlich sicher ahnt? Sollte man es nicht zumindest versuchen?! Um Unschuldige zu retten?! Vielleicht ist es ja der richtige. Und dann hat es sich gelohnt! ? Und wenn nicht, wäre es Ungemach für einen. Doch was zählt der Schmerz des einen im Verhältnis zum möglichen Tod von vielen?! Sprecher So oder ähnlich, sagen Menschenrechtler, könnte man argumentieren und wird es irgendwann auch tun, wenn das Folterverbot erst einmal gelockert ist. Natürlich bestehe die Gefahr, dass es einmal den Falschen trifft, räumen auch die Befürworter der begrenzten Gewaltanwendung ein, selbst wenn ihre streng definierten Kriterien eingehalten würden, nach denen ein Foltereinsatz wie in Guantanamo nicht zulässig ist. Dass ein Mensch sozusagen ?versehentlich? gefoltert wird, lässt sich nach Ansicht von Professor Trapp nicht ausschließen, aber das dürfe man nicht nur negativ sehen: 21. OT Trapp Das ist natürlich schrecklich, aber das ist dieselbe Situation, vor der sich die Strafjustiz grundsätzlich stellt. Aber dann bringe man folgende Erwägung zum Tragen: die eine ist, dass jemand, der unschuldig verurteilt wird und 20 Jahre im Gefängnis sitzt, diese Zeit ihm nie wiederzugeben ist. In dem anderen Fall, der Rettungsbefragung, hat er schlimmstenfalls eine unerfreuliche halbe Stunde hinter sich. Und wenn er dann nicht gesteht, wird herauskommen, dass er es nicht gewesen ist. Und dann hat natürlich der Staat eine entsprechend großzügige Kompensationspflicht. Das versteht sich von selbst! Also, das ist auch festgelegt von mir, dass der Staat in diesem Fall selbstverständlich zu Unrecht Befragte zu kompensieren hat, finanziell entsprechend. Sprecher Ob ein Mensch, der - mit Elektroschocks oder schmerzhaften Griffen traktiert - seine Erniedrigung zu einem winselnden Stück Fleisch erlebt hat, auf diese Weise ?entschädigt? werden kann, lässt sich bezweifeln. Kurzer Musikakzent Sprecher Es bleibt die Frage: Darf der Rechtsstaat ausnahmsweise foltern, wenn er damit Leben retten kann? ?Ja?, sagen die Befürworter und haben dabei das Wohl der Opfer im Blick. ?Nein?, lautet die Antwort, wenn man die Folgen bedenkt. Wobei man jedoch in diesen - zugegebenermaßen extrem seltenen ? Fällen, in denen akute Lebensgefahr besteht, die Polizei den Täter hat, der nicht reden will und alle legalen Verhörmethoden versagen ? die Opfer nicht vergessen darf. Eine Lösung, wenn es sie überhaupt gibt, kann nur in einem Paradox liegen, sagt Ralf Poscher, Juraprofessor an der Ruhruniversität Bochum. Seiner Ansicht nach muss das Folterverbot als sinnvolles Tabu bestehen bleiben. Doch zugleich sei zu hoffen, dass sich in der Extremsituation ein Verantwortlicher findet, der notfalls den Rechtsbruch auf sich nimmt: 22. OT Poscher Die Situation, die dadurch entsteht, ist, dass Beamte die Opfer nur retten können, wenn sie gegen das Recht verstoßen. Man müsste und man kann dann auch darauf setzen, dass es Beamte in solchen Situationen tun werden. Das ist eine Zumutung für die Beamten. Doch Zumutungen sind für Beamte nichts Neues. Den Beamten wird sonst auch zugemutet, ihr Leben zu riskieren, und es scheint mir die einzige Lösung für diese Szenarien zu sein, die einerseits verhindert, dass wir zu einer Ausbreitung dieser Praktiken kommen und andererseits man aber doch damit rechnen kann, dass sich Beamte finden werden, die auch bereit sind, ein solches Strafverfahren in Kauf zu nehmen, wenn sie wirklich davon überzeugt sind, damit ein Leben retten zu können. Sprecher Auf den ersten Blick mag diese Lösung inkonsequent wirken oder wie ein fauler Kompromiss. Doch wenn man genauer hinschaut, sagt Poscher, ist sie uns durchaus vertraut und in unserer Populärkultur verwurzelt. Zum Beispiel in der Filmfigur des ?Dirty Harry?. 23. OT Poscher Es gibt ein ganzes Filmgenre, in dem es eben den Polizisten gibt, der um die Opfer von Verbrechern zu schützen und um die Verbrecher zu stellen, über alle rechtsstaatlichen Grenzen hinweggeht und da dann aber auch in Kauf nimmt, dass er ständig degradiert wird, von der Polizeitruppe suspendiert wird und nie zum Polizeipräsidenten wird, aber eben gerade daraus auch sein Heldentum bezieht. Und die Populärkultur reagiert darauf nicht, dass sie sagt ? es ist ein amerikanischer Film -, man soll die amerikanische Verfassung abschaffen, sondern sie reagiert darauf, dass sie diese Helden feiert, die das persönliche Opfer in Kauf nehmen und sagen: Ja, ich weiß, ich werde dann wieder vom Dienst suspendiert, aber ich mach?s trotzdem, weil ich mich ethisch dafür entscheide, dass mir der Schutz des Opfers wichtiger ist! Sprecher Auch wenn die Analogie vielleicht zu kurz greift, weil die Figur des Dirty Harry nicht gerade der Inbegriff des altruistischen, von Gewissensqualen gepeinigten und unter seiner Verantwortung leidenden Polizisten ist, weist der Vergleich doch in die richtige Richtung. Weil er zeigt, dass es Dilemmata gibt, die sich durch Gesetze nicht beseitigen lassen, so sehr sich die Befürworter einer Lockerung des Folterverbots ? ebenso übrigens wie die Gegner ? dies wünschen mögen. Dass es Situationen gibt, in denen Menschen schuldig werden, egal was sie tun. Und dass sich die Welt in solch einer Extremsituation, wenn sie denn irgendwann einmal eintritt, vielleicht nur retten lässt, wenn jemand bereit ist, dafür ins Gefängnis zu gehen. 24. OT Poscher Ich denke, es ist so, dass wenn man an diesem rechtlichen Folterverbot festhält, man die Situation einfach auch in ihrer Tragik belässt. Die Einführung eines Tatbestands, die das einfach glatt rechtfertigen würde, die macht die Situation auf einmal zu einer einfachen. Denn dann ist es ganz klar, dann muss ich einfach foltern! Die Situation ist aber keine einfache. Weil, sonst könnte man die Folter so vornehmen, wie man Pkw?s abschleppt: es gibt eine Ermächtigungsgrundlage, und da steht drin, wann man das tun darf. Und wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, dann macht man?s halt! Spr. vom Dienst ?Ich werde Ihnen jetzt die Finger brechen? - Die Diskussion um das Folterverbot Von Ulrich Panzer Es sprachen: Daniel Minetti, Stefan Kaminski, Solveig Müller Ton: Sabine Winkler Regie: Rita Höhne Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2007 Die Zitate sind dem Buch ?Fünf Jahre meines Lebens Ein Bericht aus Guantanamo? von Murat Kurnaz (Rowohlt Berlin) entnommen 5