Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 28. Oktober 2013, 19.30 Uhr Das scharfe Schwert der Opposition? Der Untersuchungsausschuss Von Wolf-Sören Treusch MUSIKAKZENT ATMO 1 Tonanlage Ich habe den Änderungsantrag aufgenommen, ... AUTOR 19. Oktober 2012 - konstituierende Sitzung des BER-Untersuchungsausschusses. ATMO 1 SPRECHER v. Dienst Das scharfe Schwert der Opposition? Der Untersuchungsausschuss. TAKE 01 (Delius) Na? So ist es besser. SPRECHER v. Dienst Eine Sendung von Wolf-Sören Treusch. AUTOR Neun Berliner Abgeordnete wollen das Debakel um den Neubau des internationalen Großflughafens aufklären. Dafür haben sie einen Untersuchungsausschuss eingerichtet. Vorsitzender ist Martin Delius von der Piratenfraktion. Er ist 27 Jahre alt, trägt eine unauffällige Brille und wie immer ein legeres Sakko. Die langen Haare hat er zum Zopf gebunden. In der Presse wird er gern als Mastermind der Piratenpartei bezeichnet. Sein einleitendes Statement fällt eher hölzern aus. TAKE 02 (Delius) Der Flughafen BER sollte im Juni dieses Jahres eröffnet werden. Sollte den besten Schallschutz für Anwohnerinnen und Anwohner bieten. Er sollte Jobmotor und internationales Drehkreuz sein. Der Flughafen BER ist noch lange nicht eröffnet. Der Flughafen BER wird nach gegenwärtigem Kenntnisstand 1,2 Milliarden teurer als bisher gedacht. AUTOR Das sei ein Skandal von internationalem Ausmaß, fügt er hinzu, über den in den Medien wild spekuliert würde. Entsprechend groß falle deshalb der Untersuchungsauftrag aus, den sich das Abgeordnetenhaus von Berlin gegeben hat. Er reicht von der Standortfrage Mitte der 90er Jahre bis hin zur überraschenden Verschiebung des Eröffnungstermins im Juni 2012. TAKE 03 (Delius) Ich versuche, aus dem ganzen Prozess - deswegen ist der Auftrag auch so umfangreich und deswegen befürworte ich das auch - zu lernen, wie man es besser machen kann. In diesem Zusammenhang wünsche ich allen Beteiligten eine gute Zusammenarbeit und ein glückliches Händchen. Danke schön. ATMO 2 erste Sitzung AUTOR In ihrer ersten Sitzung beschäftigen sich die Abgeordneten mit Beweisanträgen und Verfahrensfragen. Wie lange die Sitzungen dauern werden? Ob sie gegebenenfalls ausgeweitet werden können, wenn die Vernehmung eines Zeugen länger dauert als vermutet? Routinearbeit. Dann stellt Martin Delius den Antrag, die Sitzordnung frei und flexibel zu gestalten. TAKE 04 (Delius) Ja, kann man mal machen. Ist nicht verboten. ATMO 2 ... dann frage ich: wer ist für diesen Antrag? Das ist die Piratenfraktion, wer ist gegen diesen Antrag? Das sind die Koalitionsfraktionen, wer enthält sich? Das sind die Grünen und die Linke. Danke sehr. TAKE 05 (Delius) Nein, ich habe nicht damit gerechnet, dass die Koalition oder die anderen Fraktionen sich auf diesen Vorschlag einlassen können. Aber: so ein Vorschlag ist natürlich auch dazu angedacht zu zeigen, dass hier auch mal andere Ideen kommen, Vorschläge, wie sagt man so schön, ‚out of the box'. AUTOR Dass ein Pirat einen Untersuchungsausschuss leitet, ist ein Novum in der bundesdeutschen Parlamentsgeschichte. Martin Delius hat dafür sogar sein Amt als Parlamentarischer Geschäftsführer der Partei aufgegeben. Er hat sich viel vorgenommen. Er will beweisen, dass die Piraten mehr können als nur unorthodoxe Anträge zu stellen. TAKE 06 (Delius) Mein Interesse ist, die Arbeit ordentlich zu machen und den Ausschuss zu Ergebnissen zu führen. An nichts anderem wird sich der Ruf der Piratenfraktion, was diesen Ausschuss betrifft, messen. Der Ausschuss ist eine Möglichkeit, bundesweit zu punkten und sicherlich eine sehr prominente Möglichkeit. AUTOR Ole Kreins sitzt für die regierende SPD im Untersuchungsausschuss. Er wird nicht nur an der Aufklärung des Flughafen-Skandals mitwirken, sondern natürlich auch versuchen, möglichst viel Schaden vom Regierenden Bürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzenden der Flughafengesellschaft Klaus Wowereit fernzuhalten. TAKE 09 (Kreins) Wir haben einen parlamentarischen Auftrag, dem will ich mich auch persönlich stellen, weil ich selbst gar nichts zu befürchten habe, aber ich möchte auch mal schauen, ob Herr Delius dann auch das einhält, was er verspricht. ATMO 3 (erste Sitzung) Wenn keine weitere Aussprache dazu gewünscht ist, dann kommen wir einfach zur Abstimmung. Okay. Dann: wer ist für die Änderung? Das sind die Koalitionsfraktionen, wer ist dagegen? Das sind die Oppositionsfraktionen, da haben wir wieder das Spielchen, und damit ist die Änderung angenommen. AUTOR Gleich die erste Sitzung zeigt: egal worüber abgestimmt wird, es bilden sich die bekannten Lager. Hier die Regierung, bestehend aus fünf Mitgliedern von SPD und CDU, dort die Opposition, bestehend aus vier Mitgliedern von Piraten, Linke und Bündnis 90/Die Grünen. TAKE 10 (Otto) Wir wollen raus finden: was ist schief gegangen? Wer ist dafür verantwortlich? Wir wollen raus finden: was kostet uns das Ganze? Und wir wollen raus finden: was kann man denn für Schlüsse für die Zukunft für andere Großbauprojekte daraus ziehen? AUTOR Andreas Otto von Bündnis 90/Die Grünen hat den Hauptverantwortlichen für die Flughafen-Misere schon vor der ersten Akteneinsicht und Zeugenbefragung ausgemacht: Klaus Wowereit. TAKE 11 (Otto) Wenn das Ding fertig wäre und funktionieren würde und nicht eine halbe Milliarde aus öffentlichen Mitteln des Landes Berlin gerade nachgeschossen werden sollte, dann wäre ich hier ganz gelassen. Aber: ich habe das Problem: der Skandal geht ja weiter. AUTOR Stefan Evers von der CDU kritisiert noch einmal das, was seine Partei schon Wochen zuvor kritisiert hat: den seiner Meinung nach viel zu umfassenden Untersuchungsauftrag. TAKE 12 (Evers) Dass er sozusagen bis in die Ursuppe des Flughafens reicht, ich habe gewisse Zweifel, dass wir tatsächlich so zügig sein können, wenn wir zumindest dem Untersuchungsauftrag nach teilweise noch mal die Arbeit anderer Untersuchungsausschüsse, die bereits getagt haben, wiederholen werden, mitunter die Unterlagen früherer Untersuchungsausschüsse auch noch einmal Gegenstand dieses Untersuchungsausschusses werden müssen, an dieser Stelle war es mir wichtig, das deutlich zu machen. MUSIKAKZENT TAKE (Collage historische O-Töne) SPRECHERIN Untersuchungsausschüsse sind fester Bestandteil der parlamentarischen Demokratie in Deutschland. Sie sind eines der wichtigsten Instrumente der Opposition, um die Regierung zu kontrollieren. Das gilt auf Bundes- wie auf Landesebene. Überall in den Verfassungen ist das parlamentarische Untersuchungsrecht verankert. Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung, kennt sich mit Untersuchungsausschüssen aus. TAKE 13 (Prantl) Ein Untersuchungsausschuss ist ein Zwitter. Er ist zur Hälfte Parlament und zur anderen Hälfte Gericht. Und das unterscheidet ihn von normalen Parlamentsausschüssen, er hat ganz andere Rechte: er hat quasi gerichtliche Funktion, er kann Zeugen vorladen, auch unter Zwang, er kann bei grundloser Zeugnisverweigerung Ordnungsgelder verhängen, bis zu 10.000 Euro, er kann Zwangshaft anordnen gegen Zeugen, die nichts sagen oder nicht kommen wollen bis zu sechs Monaten, er kann die Vorlage von Akten und Urkunden erzwingen, er kann Verschlusssachen und Geheimsachen einsehen, er hat tatsächlich die Rechte der Strafprozessordnung. Jeder, der die Strafprozessordnung kennt, und ich war mal Staatsanwalt, bevor ich Journalist geworden bin, weiß: da steckt Power dahinter, und wenn ich diese Power als Bundestagsausschuss gebrauchen kann, heißt das schon einiges. SPRECHERIN Im Bundestag wie auch in den meisten Länderparlamenten wird ein Untersuchungsausschuss eingesetzt, wenn ein Viertel der Abgeordneten ihn beantragt. Sollten sich Union und SPD in den kommenden Wochen auf eine Große Koalition einigen, wird der Bundestag eine neue Regelung finden müssen. Denn die Opposition aus Linke und Bündnis 90/Die Grünen dürfen ihr Recht, einen Untersuchungsausschuss zu beantragen, nicht verlieren. Im neuen Bundestag stellen sie nur ein Fünftel der Abgeordneten. Bisweilen instrumentalisiert die Opposition den Untersuchungsausschuss für Wahlkampfzwecke. Beispiel: kurz vor Ende der vergangenen Legislaturperiode setzte die Opposition im Bundestag noch einen Untersuchungsausschuss zur Euro- Hawk-Affäre durch. TAKE 14 (Prantl) Natürlich, und das ist auch die Krux der Untersuchungsausschüsse. Sie gehören zwar zum politischen und juristischen Kerngeschäft, aber auch zum plakativ- wahlpsychologischen Kerngeschäft. Der große Soziologe Max Weber hat einmal die U-Ausschüsse als die ‚Rute des Parlaments' bezeichnet. SPRECHERIN Mit der das Parlament der Regierung drohen kann. Ein Aspekt, den auch der Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der Universität Dresden hervorhebt. Schon die Androhung eines Untersuchungsausschusses erzeuge oftmals genügend Druck auf die Regierung. TAKE 15 (Patzelt) Das ist genauso wie beim guten alten Folterprozess. Die erste Stufe bestand im Vorzeigen der Folterinstrumente, und das reichte meistens schon. Und genauso ist es mit dem parlamentarischen Untersuchungsrecht: sobald der Regierung klar ist, es droht wirklich ein Untersuchungsausschuss, der auch sehr unangenehm werden kann, steigt in der Regel die Bereitschaft, das Parlament zu informieren, drastisch an. Infolgedessen ist das tatsächlich eine handfeste Drohung, deren praktische Wirksamkeit davon abhängt, ob es ein Kampf von Regierungsmehrheit gegen Opposition oder ein allgemeines Aufklärungsinteresse des Parlaments ist. SPRECHERIN Insgesamt 50 Untersuchungsausschüsse hat der Bundestag bisher eingesetzt - seit Gründung der Bundesrepublik sind das pro Legislaturperiode durchschnittlich drei. TAKE 16 (Prantl) Die Republik wäre eine andere Republik, wenn wir keine Untersuchungsausschüsse hätten. SPRECHERIN Heribert Prantl sagt, er habe bestimmt ein Dutzend Untersuchungsausschüsse kommentierend begleitet. TAKE 17 (Prantl) Am Spektakulärsten war gewiss der Kohl-Untersuchungsausschuss, der sich mit Kohl und der CDU-Spendenaffäre beschäftigte. Und der ja auch politisch unglaubliche Auswirkungen hatte. Und man darf daran erinnern, es war Mitte der 80er Jahre, hat der Abgeordnete Otto Schily, damals noch bei den Grünen, als versierter Anwalt im Flick-Untersuchungsausschuss den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl so ins Schwitzen gebracht, das der nicht mehr wusste, ob er Männlein oder Weiblein ist. Es war tatsächlich so, dass er damals durch scharfes Fragen, durch kluges Fragen, durch perfekte Vorbereitung den Bundeskanzler an den Rand des Rücktritts brachte, und der damalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler sich und den Kanzler nur dadurch retten konnte, dass er von einem momentanen Blackout des Kanzlers sprach. MUSIKAKZENT ATMO 4 (Fotoshooting Delius) Was ich gut fände, gib mal her, wenn du es so seitlich hältst. AUTOR Ob er will oder nicht: als Vorsitzender des BER-Untersuchungsausschusses gehört Martin Delius schon nach wenigen Wochen zur politischen Prominenz der Stadt. Und die fordert ihren Preis. Mit einem Plastikflugzeug in der Hand posiert er in den weiten Fluren des Berliner Abgeordnetenhauses für ein Fotoshooting. Von Beruf ist Martin Delius Programmierer. Er hat Liquid Feedback mitentwickelt, jenes für die Piraten so wichtige parteiinterne Meinungs- und Abstimmungsinstrument. Und er ist leidenschaftlicher Parlamentarier. Wie kaum ein anderer Pirat hat er innerhalb kurzer Zeit Tricks und Kniffe des Demokratiebetriebes verinnerlicht. Er kritisiert ihn, kann aber auf seiner Klaviatur auch spielen. TAKE 18 (Delius) Die Akten sind teilweise unlesbar. Die sind auch teilweise so schlecht kopiert, dass Klebezettel auf den Seiten nicht entfernt wurden vor dem Kopieren und dass wir da jetzt nachsteuern müssen, auch die Senatskanzlei, um die Aktenlieferung geht es vor allen Dingen, dazu anrufen müssen, da nachzubessern. AUTOR 07. Dezember 2012 - seit knapp zwei Monaten arbeitet der BER- Untersuchungsausschuss, voran kommt er nicht. Martin Delius und die anderen Ausschussmitglieder wie Jutta Matuschek von der Linken sind sauer, dass Senatskanzlei und Flughafengesellschaft so wenig kooperieren. TAKE 19 (Matuschek) Bei allem Verständnis, dass es darum geht, den Bau zu Ende zu führen, da haben die sicherlich viel zu tun, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die jetzt alle mit der Schippe auf dem Bau stehen und keine Zeit haben, die eigentlich vorhandenen Unterlagen wie Organigramm oder Geschäftsverteilung einfach mal dem Untersuchungsausschuss zur Verfügung zu stellen, das bezeichne ich eigentlich als Verzögerungstaktik. ATMO 5 (elfte Sitzung) AUTOR 24. Mai 2013 - mittlerweile hat der BER-Untersuchungsausschuss ein Dutzend Zeugen vernommen, nun ist der langjährige Aufsichtsratschef an der Reihe. ATMO 5 Zur heutigen Sitzung wurde folgender Zeuge geladen: der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, das ist Ihnen ja bekannt, ... ATMO 6 (Blitzlichtgewitter) AUTOR Klaus Wowereit, von 2001 bis zu seinem Rücktritt im Januar 2013 Vorsitzender des obersten Kontrollgremiums der Flughafengesellschaft: er gilt als zentraler Zeuge für die Aufarbeitung des BER-Desasters. Entsprechend groß ist das Interesse der Öffentlichkeit. Etliche Medienvertreter verfolgen die Anhörung im Stehen. ATMO 7 (elfte Sitzung) Das Ausschussbüro hat mir mitgeteilt, dass weitere Stühle aus Sicherheitsgründen, ne, wir kennen das ja vom Brandschutz, nicht zulässig sind, ... (Gelächter) es tut mir sehr leid, aber der Platz ist begrenzt. AUTOR Fast sechs Stunden lang steht Berlins Regierender Bürgermeister dem Untersuchungsausschuss Rede und Antwort. Zentrales Thema: die Frage, warum der Aufsichtsrat die gravierenden Probleme auf der Baustelle nicht viel früher erkannt habe und ob er deshalb seine Aufsichtspflicht verletzt habe. Ein Scheitern sei für ihn bis zum Schluss unvorstellbar gewesen, sagt Klaus Wowereit. - Stefan Evers und Ole Kreins, die Obleute der Koalitionsfraktionen CDU und SPD, zeigen sich mit dem Auftritt des Regierenden Bürgermeisters zufrieden. TAKE 21 (Evers) Für viele war es, glaube ich, eine Nachhilfestunde zur Aufgabenverteilung zwischen Aufsichtsrat und Geschäftsführung, dennoch bleibt festzuhalten, egal wie intensiv man sich mit diesen Akten beschäftigt, man Klaus Wowereit als Aufsichtsratsmitglied keine objektive Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen können wird. TAKE 22 (Kreins) Ich hätte nicht gedacht, dass Klaus Wowereit sich tatsächlich auch so tief reingekniet hat, ich habe wahrgenommen, dass es in der Tat des Informationsflusses von Seiten der Geschäftsführung natürlich nicht immer so optimal dargestellt worden ist wie der Aufsichtsrat es benötigt hätte, aber ein Aufsichtsrat ist natürlich auch immer nur so gut wie ihm die Geschäftsführung Informationen zuarbeitet. AUTOR Ganz anders die Sicht der Opposition. Andreas Otto von Bündnis 90/Die Grünen hält Klaus Wowereit weiterhin für den Hauptschuldigen im Flughafen-Debakel. TAKE 23 (Otto) Es hat sich bewahrheitet, dass wirklich dieser Aufsichtsrat ein Ort der Inkompetenz ist. Fachliche Gesichtspunkte spielen überhaupt keine Rolle. Und das ist, glaube ich, für ein Milliarden-Bauprojekt falsch. Wenn Herr Wowereit darüber hinaus einen Stab hat von zwei Verwaltungsmitarbeitern, dann muss ich sagen: damit kann man ein Milliarden-Bauprojekt nicht begleiten. Wenn er dann darüber hinaus noch zugegeben hat, dass die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in baufachlichen Fragen, das Terminal betreffend, nicht ein einziges Mal konsultiert wurde, muss ich auch da sagen: das ist Ignoranz und Selbstüberschätzung, so kann man ein Projekt nicht machen. AUTOR Bei der Befragung des Regierenden Bürgermeisters stößt der Ausschuss erstmalig an formal-juristische Grenzen. Als Andreas Otto von Klaus Wowereit wissen will, warum der damalige Flughafenchef Rainer Schwarz am 30. Januar 2012, also bereits fünf Monate vor dem geplanten Eröffnungstermin, dringend um ein Gespräch mit ihm gebeten habe, wird er vom Ausschussvorsitzenden Martin Delius zurückgepfiffen. Otto berufe sich bei der Frage auf ein als vertraulich eingestuftes Papier der Senatskanzlei, das dürfe er bei einer öffentlichen Zeugenbefragung nicht zitieren. Spätestens jetzt ist klar, wie ernst es Martin Delius mit seinem Amt meint. Auch ein Pirat hält sich an Gesetze. MUSIKAKZENT kurz SPRECHERIN Der Untersuchungsausschuss gilt als Kampfinstrument, viele halten ihn für das schärfste Schwert der Opposition. Wie scharf es sein kann, so der Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der Universität Dresden, hänge immer auch davon ab, was der Ausschuss aufklären soll. TAKE 24 (Patzelt) Es muss da wirklich etwas sein, denn nur Erfundenes zu behaupten, blamiert dann schnell jene, die einen Untersuchungsausschuss eingesetzt haben wollen. Und stellt sich im Laufe eines Untersuchungsverfahrens heraus, dass die Anmutung, die Sorgen, hier sei etwas schief gelaufen, größer waren als das, was tatsächlich schief lief, ja, dann schläft sowohl der Untersuchungsausschuss und erst recht die Berichterstattung über ihn ein. SPRECHERIN Beispiel: der so genannte Lügen-Ausschuss. 2002/2003 befasste er sich mit der Frage, ob die rot-grüne Bundesregierung den Bundestag und die Öffentlichkeit im Wahlkampf 2002 über den Bundeshaushalt falsch und unvollständig informiert habe. In seinem Abschlussbericht kam der Ausschuss zu dem Ergebnis: ‚für den von der Opposition vermittelten Eindruck eines Wahlbetruges konnten keinerlei Anhaltspunkte gefunden werden'. Dieter Wiefelspütz war für die SPD in dem Ausschuss dabei. TAKE 25 (Wiefelspütz) Unter vier Untersuchungsausschüssen ist einer spektakulär wichtig, zwei sind durchschnittlich und eins, zwei sind auch völlig überflüssig. Ich habe den Lügenausschuss für reine Zeitverschwendung empfunden. [ SPRECHERIN 1950 fand die erste Sitzung eines Untersuchungsausschusses des Bundestages statt - damals übrigens zur Hauptstadtfrage der Bundesrepublik Deutschland - aber erst 2001, also 51 Jahre später, verabschiedete der Bundestag das Parlamentarische Untersuchungsausschussgesetz, das bis heute gültig ist. Dieter Wiefelspütz hat es mit erarbeitet. Und hat parallel zu dem Thema promoviert. TAKE 26 (Wiefelspütz) Die Grundidee unseres Untersuchungsausschussrechtes kraft Verfassung, kraft Artikel 44 Grundgesetz, ist, dass das Untersuchungsausschussrecht als Minderheitenrecht konzipiert ist. Im Parlament gilt ja immer das Mehrheitsprinzip, und dieses Mehrheitsprinzip hat lange auch im Untersuchungsausschussrecht gegolten. So dass die Minderheit, die Opposition: am ausgestreckten Arm verhungerte die, weil die Mehrheit die Arbeitsbedingungen so prägte und dominierte, dass die Minderheit kaum eine wirkliche Chance hatte. Man konnte die Opposition leichter niederhalten, und wir waren der Auffassung, das ist vielleicht auch ein bisschen idealistisch gewesen, dass dann, wenn wir, Rot-Grün, an der Macht sind, machen wir das besser. SPRECHERIN Seit 2001 ist es weitgehend vorbei mit den Schaugefechten, in denen stundenlang darüber gestritten wurde, welche Beweiserhebungen zulässig sind, ob Beweismittel verwertet, Aussagen verweigert werden dürfen und in denen die Regierung in der Regel versuchte, das gesamte Verfahren in die Länge zu ziehen. TAKE 27 (Wiefelspütz) Die Dramaturgie spielt ja bei solch einem Untersuchungsausschuss eine große Rolle, all das bestimmt jetzt die Minderheit gleichberechtigt mit. Die Mehrheit ist nach wie vor wichtig, ja, aber die Minderheit kann nicht mehr an die Seite gedrückt werden, sondern sie bestimmt die Gegenstände, die Zeugenreihenfolge, das Timing, im Grunde ist das Untersuchungsausschussrecht darauf angelegt, dass Kooperation im Untersuchungsausschuss stattfinden muss, wenn man vernünftig arbeiten können will. TAKE 28 (Patzelt) Dieses Gesetz über das Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse war schon ein großer Schritt hin zur Stärkung von Parlamentsrechten, ... SPRECHERIN Findet auch der Politikwissenschaftler Werner Patzelt. TAKE 29 (Patzelt) ... und er gelang eigentlich nur deswegen, weil damals die CDU frisch in der Oppositionsrolle war und einsah, dass die Opposition solche Instrumente braucht, und anderenteils die SPD noch nicht allzu lange an der Regierungsmacht war und deswegen ihre Wünsche aus Oppositionszeiten noch sehr lebendig und handlungswirksam waren, die Rechte der Opposition über das Untersuchungsausschussrecht zu stärken. Das war also wirklich ein großer Schritt voran, und er gelang im Grunde nur in jener, soeben beschriebenen außerordentlichen historischen Situation. TAKE 30 (Prantl) Es geht ja nicht nur darum, Skandale aufzudecken, sondern auch, die richtigen Konsequenzen daraus zu ziehen. SPRECHERIN Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung und ehemals Staatsanwalt, findet besonders wichtig, dass das Ergebnis eines Untersuchungsausschusses nachhaltig ist. TAKE 31 (Prantl) Wenn am Schluss etwas Gutes steht, steht am Schluss ein Gesetz, das die bisherigen Lücken und Löcher stopft und damit eine Wiederholung des Skandals vermeiden soll. Die Parteispendengesetze, die Gesetze, die die Parteienfinanzierung regeln sollen, sind samt und sonders die Früchte, die auf den Bäumen der Untersuchungsausschüsse gewachsen sind. SPRECHERIN Eine rechtliche Garantie darauf gibt es nicht. Wie nachhaltig zum Beispiel der Abschlussbericht des soeben zu Ende gegangenen NSU- Untersuchungsausschusses sein wird, steht in den Sternen. 1.357 Seiten ist er dick, das Lob für den Ausschuss ist einhellig gewesen. Von ‚Sternstunde des Parlamentarismus' war die Rede, enorm akribisch und hartnäckig hätten die Abgeordneten das Versagen der deutschen Sicherheitsbehörden im Kampf gegen den Rechtsterrorismus aufgedeckt. Und zwar fraktionsübergreifend. Schon der Einsetzungsbeschluss wurde einstimmig gefasst. Historisch einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik, erklärt der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy auf der Abschlusspressekonferenz. TAKE 32 (Edathy) Dieser Konsens bei der Einsetzung hat sich auch widergespiegelt im Laufe der Zeit, in der wir gearbeitet haben, 389 Beweisbeschlüsse haben wir gefasst, allesamt einstimmig, wir waren uns sowohl bei der Anforderung von Akten als auch bei der Benennung von Zeugen, die wir hören wollten, absolut einig, und diese Einigkeit in der Arbeit, die Einigkeit der Einsetzung ist der Tatsache geschuldet, dass Gegenstand der Arbeit in diesem Untersuchungsausschuss die Frage ist: funktioniert der demokratische Rechtsstaat? SPRECHERIN Auch die insgesamt 47 Forderungen nach Reformen der Sicherheitsbehörden, der Polizeiausbildung und einer besseren Prävention im Kampf gegen den Rechtsterrorismus, die nun im Abschlussbericht stehen, wurden gemeinsam gefasst. Noch einmal Sebastian Edathy, SPD, und Petra Pau, die Linke. TAKE 33 (Edathy) Nehmen wir mal den Punkt: Reform des Verfassungsschutzes. Wenn Sie eine Fraktion haben in diesem Ausschuss, die prinzipiell den Verfassungsschutz nicht reformieren, sondern abschaffen will, dann können Sie kein Konsenspapier machen, wo Sie zur Reform 20 Punkte miteinander aufschreiben. Ich bin umso dankbarer dafür, dass zum Beispiel die Linksfraktion gesagt hat: sie stellt ihre Bedenken zurück und sagt: wenn wir uns nicht durchsetzen können mit der Forderung nach Auflösung, tragen wir folgende Mindestreformforderungen mit. TAKE 34 (Pau) An manchen Formulierungen wurde so lange gefeilt, bis wir wirklich alle damit leben können, wie es so schön umgangssprachlich heißt. TAKE 35 (Edathy) Das ist gelungen. Und ich finde das bemerkenswert, ich finde das auch dem Thema gegenüber absolut angemessen, so zu verfahren, das ist meines Erachtens auch einmalig. SPRECHERIN Der NSU-Untersuchungsausschuss hat gezeigt, wozu Parlamentarier in der Lage sind, wenn sie an einem Strang ziehen. Wenn sie ein gemeinsames Interesse daran haben, Missstände aufzuklären. Wenn sie nicht nur Theater spielen und die Rollen wie üblich verteilen: Opposition greift an, Regierung mauert. Der Ausschuss hat aber auch gezeigt: erfolgreiche Arbeit dauert. Die Mitglieder müssen sich Zeit nehmen und in die Materie einarbeiten. Allein die Anhörungen und Vernehmungen von Zeugen im NSU-Untersuchungsausschuss dauerten insgesamt 349 Stunden und 20 Minuten. MUSIKAKZENT kurz AUTOR Der BER-Untersuchungsausschuss in Berlin hat bisher gerade Mal etwa 72 Stunden darauf verwendet, Zeugen zu vernehmen. Wie beurteilt ein Kenner wie Heribert Prantl aus der Entfernung die Arbeit des Ausschusses? TAKE 36 (Prantl) Ich habe das Gefühl: der hat sich noch gar nicht richtig eingearbeitet. Exekutives Handeln zu kontrollieren, ist wahnsinnig schwierig, da geht es um Verwaltungsakte, über sehr lange Zeit hin, es sind, glaube ich, derzeit eineinhalb tausend Aktenordner, die zu durchwühlen sind, dazu kommt wahrscheinlich auch ein ungeheurer Mailverkehr, es ist ein Wust. Den man zu durchforsten hat, und in diesen Wust muss man sich als Mitglied eines U-Ausschusses wirklich hineinstürzen, und man hat für sonst kaum noch etwas Zeit. ATMO 8 (Klopfen und Tür-Quietschen) TAKE 37 (Delius) Ja, das sind unsere Akten hier. - Wie viele? - Keine Ahnung. Wir zählen die nicht, wir arbeiten die durch. Da geht es nicht darum, wie viele das sind, sondern darum, was da drin steht. AUTOR 1.500 Aktenordner, jeder gefüllt mit etwa 500 Blatt Papier. Der Ausschussvorsitzende Martin Delius geht davon aus, dass fast alle der angeforderten Akten inzwischen eingetroffen sind. Drei mal fünf Meter misst der Raum, den die Piratenfraktion dafür im dritten Stock des Berliner Abgeordnetenhauses zur Verfügung gestellt bekommen hat. Die Schränke reichen bis unter die Decke. Nur ein kleiner Teil der Akten ist frei zugänglich. TAKE 38 (Delius) Die interessanteren Teile sind natürlich die vertraulichen, das ist ja auch das, was wir kritisieren, weil wir nicht alles als öffentlich kennzeichnen können, das liegt ja am Ende nicht in unserem Ermessensspielraum, und die sind hinter verschlossenen Türen in diesen Aktenschränken. AUTOR Sie können eingesehen werden, aber öffentlich zitieren darf man aus ihnen nicht. Peinlich genau hält sich Martin Delius an diese Regel. Schon die Nummern auf den Aktendeckeln bleiben verborgen. Seit Monaten arbeiten die Mitglieder des Untersuchungsausschusses zusammen mit extra dafür eingestellten Referenten die Aktenberge durch. Wonach sie genau suchen, wissen sie nicht, deshalb müssen sie hoch konzentriert sein. Nur so fallen ihnen mögliche Hinweise auf, Informationen, Details, die bei der Aufklärung des Flughafen-Desasters hilfreich sein können. TAKE 39 (Delius) Wir wissen aus öffentlichen Aussagen, dass die Geschäftsleitung an den Controllingberichten, die eigentlich unabhängig sein sollten, herum geschrieben hat. Wir haben in der jüngsten Zeit, und das ist halt auch Aufarbeitung dieses Aktenberges, Beweise dafür gefunden, dass die Geschäftsleitung dies ohne Begründung per Befehl an die Controller getan hat. Der Punkt ist: wir können das dann auch endlich mal beweisen, was viele Leute denken. AUTOR Und genau dafür lohne sich der Aufwand, sagt Martin Delius. Nach dem Wissensstand von heute wäre die Vernehmung von Klaus Wowereit vor einem halben Jahr ganz anders verlaufen. Je mehr man die Akten kenne, desto mehr könne man die Zeugen in Widersprüche verwickeln. Eine etwas laue Erkenntnis nach einem Jahr BER-Untersuchungsausschuss. TAKE 40 (Delius) Das Thema ist umfangreich, kompliziert und trocken. AUTOR In den Medien findet die Aufarbeitung des Flughafen-Skandals fast nicht mehr statt. Waren es anfangs 20 Journalisten, die den Untersuchungsausschusssitzungen beiwohnten, kommen jetzt manchmal nur noch ein oder zwei. Meldungen über die Arbeit des Ausschusses sind Randnotizen. Ole Kreins, der für die regierende SPD im Ausschuss sitzt, wünschte sich, die Opposition würde künftig auf den einen oder anderen Zeugen verzichten. TAKE 41 (Kreins) Der Untersuchungsausschuss hat sich zum Anfang mit Fragen der Standortentscheidung, der Flugrouten beschäftigt, wir sind jetzt bei dem Thema Aufsichtsratskontrolle, und wir sind noch nicht mal an den Punkten, wo wir die erste und die zweite Verschiebung thematisiert haben. Und das heißt: wir hängen ein Jahr hinterher. AUTOR Martin Delius sieht das anders. Er findet es gut, sich mit den Anfängen des Flughafen-Skandals beschäftigt zu haben. Deshalb könne er die Zeugen jetzt viel präziser befragen. Aber auch er sieht ein grundlegendes Dilemma. TAKE 42 (Delius) Die Öffentlichkeit nimmt so ein bisschen Abschied von dem Untersuchungsausschuss, das ist auch gut zu verstehen, denn es wird ja nicht einfacher mit jeder Sitzung. Es wird immer komplexer mit jeder Sitzung. Und wir tauchen immer weiter in die Details ein, das heißt: das, was das Schwert schärfer macht, nämlich die Detailtiefe, das macht es natürlich auch komplexer, der Öffentlichkeit zu vermitteln. MUSIKAKZENT AUTOR Vielleicht hat die Bevölkerung auch die Nase voll von den ständigen Horrormeldungen rund um den "Fluch-Hafen". Und will einfach nur, dass er endlich ans Netz geht. Einen Eröffnungstermin hat der neue Hauptstadtflughafen noch nicht. Der BER-Untersuchungsausschuss endet spätestens mit Ablauf der Legislaturperiode in Berlin, das ist im Herbst 2016. Es werden noch Wetten angenommen, wer zuerst fertig ist. MUSIKAKZENT SPRECHER v. Dienst Das scharfe Schwert der Opposition? Der Untersuchungsausschuss. Eine Sendung von Wolf-Sören Treusch. Es sprachen: der Autor und Marina Behnke Ton: Bernd Friebel Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Martin Hartwig Produktion: Deutschlandradio Kultur 2013 8