Deutschlandradio Kultur Länderreport Malu was Neues Marie-Luise Dreyer wird Regierungschefin in Rheinland-Pfalz Autor Fittkau, Ludger Redaktion Stucke, Julius Länge 19'23'' Sendung 09.01.2013 (13 Uhr 07) Am 16. Januar endet eine politische Ära in Rheinland- Pfalz. Die Ära von Kurt Beck, dem dienstältesten deutschen Ministerpräsidenten und ehemaligem Bundesvorsitzenden der SPD. Mit den Stimmen der Abgeordneten von Sozialdemokraten und Grünen wird voraussichtlich die bisherige Sozialministerin Malu Dreyer zur rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin gewählt werden - die erste Frau in diesem Amt. Eine Frau, die einen Sinn hat für konkrete Sozialutopien... M A N U S K R I P T B E I T R A G Malu Dreyer hatte kaum jemand auf der Rechnung als Nachfolgerin für Kurt Beck im Amt des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten. Als "Kronprinzen" von "König Kurt" wurden monatelang gehandelt: Roger Lewentz, der Innenminister. Oder Hendrik Hering, der SPD-Fraktionsvorsitzende im Landtag. Wenn der Name einer Frau genannt wurde für die Beck-Nachfolge, dann der Name von Doris Ahnen, der Bildungsministerin. Aber die Gesundheits- und Sozialministerin Malu Dreyer? Die 51 Jahre alte gelernte Juristin wirkte selbst ein wenig überrascht, als Kurt Beck sie im Herbst 2012 in der Staatskanzlei bei einer Pressekonferenz als seine designierte Nachfolgerin vorstellte: (Dreyer) Kurt Beck hat eigentlich für einen Mann eine ziemlich kleine Schuhgröße, aber wenn ich an die Fußstapfen denke, die er hinterlässt, dann habe ich doch ziemlich Herzklopfen. nichts desto trotz, ich freue mich sehr auf die Herausforderung. Bescheiden wirkt sie, die künftige rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin. Bescheiden und freundlich. Und Malu Dreyer hat allen Grund, optimistisch zu sein: Die ersten Meinungsumfragen nach ihrer Nominierung sind durchweg positiv - in ihrer Partei - ist die langjährige rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin ohnehin beliebt: (Dreyer) Es ist eine absolut unterstützende Geschichte und es ist auch echt, ich treffe ja Bürgerinnen und Bürger auch täglich in meiner Arbeit oder auch unterwegs, Und ich kriege positive Rückmeldungen, die nicht gestellt sind. Sondern viele Menschen kennen mich auch schon ganz, ganz lange. Und deswegen nehme ich das als Vertrauensbonus, auf dem ich aufbaue. Und ich werde auch alles tun, um das Vertrauen zu erfüllen, auch in Zukunft. Reaktionen, die nicht gestellt sind: Man glaubt Malu Dreyer, dass ihr das wichtig ist. Ihr eigener Charme basiert auf einer natürlichen, entspannten Sprache, mit der sie den Leuten begegnet - ob auf der Straße oder im rheinland-pfälzischen Parlament. Das verschafft ihr auch bei der Opposition großen Respekt. Julia Klöckner, die CDU-Oppositionsführerin im rheinland-pfälzischen Landtag: (Klöckner) Frau Dreyer ist eine nette Person und ich kenne sie auch. Und ich glaube, wir sollten so fair sein, sie erst einmal ankommen zu lassen in ihrem Amt. Clemens Hoch, der junge rechtspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion und künftiger Mitarbeiter Malu Dreyers in der Staatskanzlei beschreibt die Stärken seiner baldigen Chefin so: (Hoch) Sie ist eine charmante Frau, sie ist bodenständig, sie ist fleißig. Sie weiß, wie man Sachen auf eine gute Bahn bringt und Gesundheitsministerin gilt ja gemeinhin nicht als Job in Deutschland, bei dem man viele Punkte sammeln kann und trotzdem hat sie da ganz, ganz viele Punkte gesammelt und sie hat sich qualifiziert für die schwierigsten Aufgaben. Es ist viel zu tun in diesem Land, das ist unbestritten und sie wird das können. Dreyers künftige Gegenspielerin Julia Klöckner weiß - es wird schwer für sie. Auf dem Bundeskongress der CDU in Hannover, Anfang Dezember 2012, war die 40- jährige neben Angela Merkel der Star. Als Hoffungsträgerin der Partei wurde die rheinland-pfälzische Landeschefin der Union mit einem herausragenden Stimmenergebnis zur Merkel-Stellvertreterin gewählt. Doch in der rheinland-pfälzischen Landespolitik hat Julia Klöckner künftig ein Problem. Sie hat es nämlich nicht mehr mit einem Ministerpräsidenten Kurt Beck zu tun, gegen den sie jung und unverbraucht wirkte. Und mit dem sie sich überhaupt nicht verstand. Sondern mit der im Land beliebten Malu Dreyer, der bisherigen rheinland-pfälzischen Sozialministerin, die sie, Klöckner, auch persönlich schätzt , was den politischen Kampf nicht gerade erleichtert: (Klöckner) Personen sind sehr unterschiedlich. Und der Umgang mit Personen hat immer was damit zu tun, wie zwei Personen miteinander können. Am 16. Januar stellt sich Malu Dreyer im rheinland-pfälzischen Landtag zur Wahl als Ministerpräsidentin. Auch Julia Klöckner zweifelt nicht daran, dass Dreyer mit den Stimmen von rot-grün gewählt werden wird: (Klöckner) Und dann wird nachher beurteilt werden auch von den kommenden Generationen, ob es immer schön nett in Mainz war. Sondern was dabei rausgekommen ist. Und man muss natürlich eins sagen: Es ist unglaublich schwierig mit der alten Mannschaft, die ja nach wie vor da ist bei der SPD neue Politik zu machen. Denn nur mit dem Wechsel an der Spitze sind die Probleme in Rheinland-Pfalz noch nicht gelöst. Und wenn sich Frau Dreyer freischwimmen will, dann muss sie sich radikal frei schwimmen von ihren Vorgängern. Malu Dreyer soll also auf Distanz gehen zu Kurt Beck und seiner Politik, fordert die Oppositionsführerin im Mainzer Landtag. Das aber wird sie nicht tun, denn sie ist stolz darauf, dem dienstältesten deutschen Ministerpräsidenten im Amt zu folgen: (Dreyer) Natürlich, es ist eine Ehre! Kurt Beck ist wirklich auch eine besondere Persönlichkeit. Hat unheimlich viel erreicht für dieses Land. Und wir, viele Genossinnen und Genossen, aber auch viele Bürgerinnen und Bürger im Land sind auch sehr stolz darauf, wie sich Rheinland-Pfalz entwickelt hat in den letzten 20 Jahren. Mehr als 30 Jahre lang saß Kurt Beck im Mainzer Landtag, fast zwei Jahrzehnte war er rheinland-pfälzischer Regierungschef. Von 2006 bis 2008 war Kurt Beck Bundesvorsitzender seiner Partei, er war als Kanzlerkandidat der SPD für die Bundestagswahl 2009 im Gespräch. Doch dann wurde er von den eigenen Leuten in der Bundespartei aus dem Amt gedrängt. Ein Trauma - bis heute. Malu Dreyer steht loyal zu Beck. Trotz dessen grandiosem Scheitern mit dem Projekt "Neuer Nürburgring" - einem mehrere hundert Millionen Euro schweren Freizeitzentrum, das der Traditionsrennbahn die Pleite brachte. (Dreyer) Und auch, wenn der Nürburgring in letzter Zeit alles überlagert hat, ist es mir wichtig zu betonen, dass in den letzten 20 Jahren die Landesregierung unter der Führung von Kurt Beck sehr, sehr viel erreicht hat für dieses Land. Und wenn man sich die wichtigsten Themen anschaut und sieht, wo Rheinland-Pfalz im Länderranking steht, dann weiß man, wovon ich spreche. Alles haben wir unserem Ministerpräsidenten zu verdanken und ich bin sehr froh darüber, dass ich das hier auch sagen darf. Hatte der Nürburgring-Skandal auch einen Anteil an Kurt Becks Entscheidung, sich zurückzuziehen - aus den Spitzenämtern in Land und Partei? Nein, sagt Beck. (Beck) Ich musste meiner Partei mitteilen, dass ich aus gesundheitlichen Gründen meine Funktion als Landesvorsitzender der SPD und danach auch mein Amt als Ministerpräsident aufgebe. Das hat damit zu tun, dass ich seit einem Krankenhausaufenthalt im letzten Winter und nach einer Reihe von Untersuchungen weiß, dass ich ein erhebliches Problem mit der Funktion meiner Bauchspeicheldrüse habe. Gesundheitliche Gründe waren es auch, die Malu Dreyer lange Zeit aus dem Kreis der möglichen Beck-Nachfolger auszuschließen schienen. Dreyer hat Multiple Sklerose. Sie fühlt sich jetzt dennoch stark genug für das Amt der rheinland- pfälzischen Ministerpräsidentin: (Dreyer) Ich werde selbstverständlich wenn es mir leichter fällt, einen Rollstuhl benutzen, meine Berliner Kolleginnen und Kollegen kennen mich gar nichts anders. Aber ich habe jüngsten Kommentierungen entnommen, dass das nicht für alle Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzer gilt. Und deshalb möchte ich das hier auch noch mal ausdrücklich sagen. (Joanna Simonow) Ja, Malu Dreyer hat sehr viel Energie, das hat sie auch schon bewiesen als Sozialministerin und sie ist ja auch Schirmherrin des Landesverbandes der Multiple-Sklerose-Gesellschaft und das wird sie auch sicher bleiben. Das Einzige, was ich ihr raten könnte, wäre: Das sie so Außentermine auch delegiert, dass sie nicht zu jedem Weinfest muss, dass sie de jemanden hinschickt. Weil dann wird es ihr vielleicht doch ein bisschen viel werden. Joanna Simonow. Sie hat selbst seit 35 Jahren Multiple Sklerose und lebt in enger Nachbarschaft mit Malu Dreyer. In einer rollstuhlgerechten Mietwohnung auf einem Klostergelände in Trier. Dort haben Benediktinermönche der Abtei St. Matthias vor etwas mehr als dreißig Jahren eines der größten deutschen integrativen Wohnprojekte für Behinderte und Nichtbehinderte aufgebaut: Am Eingang ein gelb gestrichener Stein mit der roten Aufschrift "Schammatdorf". Dahinter eine rostige Metallplatte mit bunten Figuren. Menschen mit eckigen, nur angedeuteten Körperformen - gelb, orange, grün, lila - ein Priester daneben. Wenige Meter hinter dem künstlerisch gestalteten Eingangsbereich stehen die ersten, zweigeschossigen Giebelhäuser. Sie fügen sich entlang von Fußwegen zu einer Wohnanlage mit 144 Wohnungen zusammen, die um insgesamt elf sogenannte "Wohnhöfe" gruppiert sind. Diese Wohnhöfe, in deren Mitte Tische, Bänke und Sandkästen platziert sind, bilden jeweils eine kleine Gemeinschaft innerhalb des Dorfes. Malu Dreyer wohnt hier mit ihrem Mann, dem Trierer Oberbürgermeister Klaus Jensen - wohnt in einer dieser "Hofgemeinschaften". Wie Joanna Simonow, die im Schammatdorf lebt, seitdem es fertig gestellt wurde: (Simonow) Also, zum Oberbürgermeister Klaus Jensen, den kenne ich auch schon seit 1984, als er mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern hier einzog. Das dritte Kind wurde dann hier geboren, also es sind schon Nachbarn der ersten Stunde gewesen. Die erste Frau von Herrn Jensen ist vor über zehn Jahren an Brustkrebs gestorben. Und Malu Dreyer ist seine zweite Frau und ist auch schon lange hier wohnhaft. Als bekannt wurde, dass Malu Dreyer die nächste Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz werden soll, durchstreiften Kamerateams das Schammatdorf. Dreyers Ehemann Klaus Jensen, der Trierer Oberbürgermeister, fand es irgendwann nicht mehr lustig, dass ständig Kameras auf das Türschild seiner Familie gerichtet wurden. Malu Dreyer hat ihren Humor jedoch noch nicht verloren: (Dreyer) Im Schammatdorf herrscht helle Aufregung. Vor allem- so viele Journalisten auf einmal wurden nur selten gesichtet. Und deshalb ist das ganze Dorf ein bisschen aufgeregt. Aber die Bewohnerinnen und Bewohner sind eigentlich sehr stolz darauf, dass in ihrem Kreis nicht nur ein Chefarzt wohnt und eine Ministerin und der Oberbürgermeister, sondern demnächst auch die Ministerpräsidentin. Also das ist ganz schön und auch völlig unverkrampft, muss man sagen. Wie von ihrem Mann, dem Trierer Oberbürgermeister Klaus Jensen wird auch von der künftigen rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer trotz aller politischen Verpflichtungen eines erwartet: Sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten weiterhin am Gemeinschaftsleben im Schammatdorf zu beteiligen. Joanna Simonow: (Simonow) Aber die Wochenenden verbringt sie meistens hier in Trier. Und beteiligt sich auch im Rahmen, wie es ihr zeitlich möglich ist, am Dorfleben. Am Gemeinschaftsleben. Im Zentrum sieht man sie oft. Bei Sommerfesten sowieso, da ist sie auch immer an der Bon-Kasse, mit ihrem Mann zusammen, am Bon- Verkauf. Und beteiligt sich, soweit es ihr zeitlich möglich ist, am Dorfleben. Jeder, ob prominent oder nicht, hat auch mit dafür zu sorgen, dass die tagtäglichen Verrichtungen wie Schnee schippen im Winter oder Rasenmähen im Sommer in den Hofgemeinschaften funktionieren. Darauf besteht die "Kleine Bürgermeisterin" des Schammatdorfes, Sarja Herres: (Herres) Und in den Höfen mit dem Schnee, ob Promi oder Nicht-Promi, das wird in jedem Hof anders geregelt. Da gibt es Höfe, da wird gesagt: Okay, ihr Rollstuhlfahrer, ihr müsst euch gar nicht dran beteiligen, wir machen das. Und es gibt andere Höfe, wo gesagt wird: Okay, es macht ein Teil und dann wird aber zum Beispiel ein Jugendlicher bezahlt, der das macht. Und daran muss sich jeder finanziell beteiligen. Das ist aber eine Sache, die innerhalb der Höfe geklärt wird. (Simonow) Aber jetzt zum Beispiel zu den Rollstuhlfahrern. Gut, wir können kein Schnee schippen. Wir können auch nicht im Hof die Mülltonnen sauber machen oder so. Aber was wir machen könne, wir können mit einer Kanne Kaffee rauskommen und die Nachbarn, die geholfen haben, zu einer Kanne Kaffee einladen. Das kann man als Behinderter auch. (Ewald Lauer) Wenn hier jemand einzieht, der von vorne herein nur denkt: Oh, günstig wohnen, alles wunderbar, aber sich hier überhaupt nicht engagiert. Ich glaube, wenn da viele einziehen würden, das wäre dann irgendwann der Tod der ganzen Sache. Aber da gucken die auch schon vorher, wenn jemand einziehen will, da gucken die auch schon drauf, was ist so sein Ding. Aber es wäre schlecht, wenn hier viele einzögen, die nur "Guten Morgen" sagen und "Tschüss" und sonst nur ihr Ding machen, das wäre schlecht. Von Malu Dreyer kennt hier niemand eine solche distanzierte Haltung. Im Gegenteil. Im Schammatdorf hofft man, dass ihre Mitbewohnerin als künftige Ministerpräsidentin die Idee integrativer Wohnsiedlungen landesweit noch bekannter machen wird. Denn es gibt schon noch einige Missverständnisse auszuräumen, sagt Walburga Köhl. Sie ist vor vier Jahren mit ihrem Mann hier eingezogen, der an Parkinson leidet: (Köhl) Doch, ich fände schon gut, wenn es bekannter wird und wenn auch die richtigen Informationen rüber kommen. Es ist nämlich manchmal ein Problem. Manche Leute haben doch ein falsches Bild, die meinen nämlich, dass nur Behinderte hier einziehen können. Oder Nicht-Behinderte nur, wenn sie bereit seien, einen behinderten Nachbarn zu pflegen. Falsch - sagt auch die "Kleine Bürgermeisterin" Sarja Herres: (Herres) Nachbarschaftshilfe entsteht, die kann entstehen. Über soziale Beziehungen. Darüber, dass man in Kontakt miteinander tritt. Darüber, das man sich mag und dann hilft man sich auch. Aber es ist keine Selbstverständlichkeit und ich glaube, das darf es auch nicht sein. Dennoch - das Wohnprojekt "Schammatdorf" ist so etwas wie eine kleine Sozialutopie, dessen Geist ihre Mitbewohnerin Malu Dreyer nun auch auf Landesebene zur Geltung kommen lassen wird, glauben ihre Nachbarn Joanna Simonow und Ewald Lauer: (Simonow) Ich glaube, das hat sie schon vorher gemacht. Auch als Sozialministerin hat sie schon dafür geworben. (Ewald Lauer) Sie fühlt sich hier wohl, sonst hätte sie sich ja schon woanders ein Haus gebaut, die wissen das - es ist toll hier. Die soziale Wärme des Trierer Schammatdorfes ist nicht mit der härteren politischen Arena im Mainzer Regierungsviertel zu vergleichen. Doch dass die künftige rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer so selbstverständlich auf klösterlichem Boden in einem der größten deutschen sozial-integrativen Wohnprojekte lebt - dies zeigt symbolisch, warum ihre Gegenspielerin im Mainzer Parlament nun eine neue Strategie braucht. Julia Klöckner ist zwar Mitglied im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken. Sie hat gute Beziehungen zu den deutschen Bischöfen. Malu Dreyer aber lebt gewissermaßen an der Kirchenbasis - in einem ambitionierten Sozialprojekt des Benediktinerordens. Das macht sie im katholisch geprägten Rheinland-Pfalz glaubwürdig. Als Christin kann Klöckner also kaum punkten. Malu Dreyers sozialpolitisches Engagement wirkt bisher konsequent. (Dreyer) Also, wenn man sich heute die Ursachen für Ungerechtigkeit anguckt oder auch Beispiele für das Auseinanderdriften arm und reich, dann hat das Ursachen, die könnten wir von heute auf morgen beseitigen ohne einen Cent in die Hand zu nehmen. Früher war Armut vor allem verursacht durch Arbeitslosigkeit und heute spielt das eine untergeordnete Rolle, heute sind es die prekären Beschäftigungssituationen. Und da werde ich auch aktiv bleiben in Zukunft, das sage ich ganz deutlich. Die Bundesregierung ist da am Zug, der Arbeitsmarkt muss neu geordnet werden. Wir dürfen nicht weiterhin so viele Menschen haben, die zu miesen Löhnen arbeiten. In Rheinland-Pfalz alleine haben wir 11 Prozent der Menschen, die volltags arbeiten unter 8.50 Euro. Das kann so nicht weitergehen. Auf dem Feld der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik wird es die Opposition schwer haben gegen Malu Dreyer. In diesem Bereich wird sie auch bundespolitisch in Erscheinung treten, mit sanfter Stimme, aber hart in der Sache. Sie gilt als weiter links stehend als ihr Vorgänger Kurt Beck, der ja selbst auch die besten Kontakte zu den rheinland-pfälzischen Gewerkschaften hatte. Oppositionsführerin Julia Klöckner wird sich andere Themenfelder suchen müssen, um Malu Dreyer zu attackieren. Sie hat sich zunächst vor allem vorgenommen, der entspannt wirkenden künftigen Ministerpräsidentin selbst entspannter entgegen zu treten als in den vergangenen Jahren Kurt Beck: (Klöckner) Man muss auch trotz unterschiedlicher Parteizugehörigkeit miteinander lachen können, auch mal ein Auge zudrücken können. Aber vor allem im Sinne des Landes und der künftigen Generationen Entscheidungen treffen können. Denn dafür sind wir gewählt und nicht, damit wir uns irgendwo nur in den Haaren haben. Also ein neuer Kuschelkurs zwischen Regierung und Opposition im Mainzer Landtag? Könnte man meinen, auch wenn man Malu Dreyer hört: (Dreyer) Ich würde es mal so beschreiben, dass ich mit Frau Klöckner ein normales Verhältnis einfach habe. Weil wir uns auch schon länger kennen, auch irgendwie unverkrampft. Und ich persönlich pflege ja schon seit vielen Jahren nicht erst in der Landespolitik einen sehr sachorientierten Stil. Ich nehme die Opposition ernst, das ist vollkommen klar. Ich streite mich auch mit ihr, auf sachlicher Ebene. Aber das ist eigentlich auch der Stil, den ich mir wünsche. Und wenn es Signale aus der Opposition gibt, dass es dort auch gewünscht ist, werde ich sie dankbar aufgreifen. Das hat Malu Dreyer auch unlängst beim rheinland-pfälzischen SPD-Parteitag gesagt, an dem Kurt Beck verabschiedet wurde. Die Rolle des "bad guy" in der SPD an Rhein und Mosel soll wohl eher der neue Landesvorsitzende spielen - Innenminister Roger Lewentz. Sein Politikstil, so Lewentz auf diesem Parteitag, sei es nicht, auch noch die andere Wange hinzuhalten, sondern eher "Auge um Auge, Zahn um Zahn". Die rheinland-pfälzische CDU-Landesvorsitzende Julia Klöckner regt das auf: (Klöckner) Ich habe angeboten, der neuen Ministerpräsidentin, das wir zusammenarbeiten beim Thema Kommunalreform, beim Thema "Zukunftskonzept" Nürburgring und wenn sie bereit ist, mit uns zusammen zu arbeiten, ist das schön. Aber wenn zeitgleich der Landesvorsitzende der SPD sagt, er wird mit der Opposition umgehen nach dem Motto "Auge um Auge, Zahn um Zahn" und macht ein alttestamentarisches Schlachtfeld in der Demokratie auf. Dann sind das zwei unterschiedliche Wege, die das Dilemma der SPD schon zeigen. Wo geht es denn jetzt hin? In alle Richtungen kann es nicht gehen. Die Personen an der Spitze der rheinland-pfälzischen Regierung sowie der Sozialdemokratie sind neu - die Themen sind es nicht. Leere Kassen in den öffentlichen Haushalten auf der einen Seite, notwendiger Ausbau von Kita - Plätzen, Hochschulen und Infrastruktur auf der anderen. Die Quadratur des Kreises. Hohe Verschuldung des Landes auf der einen Seite, demgegenüber notwendige Kosten für Soziales, Kultur oder auch Lärmschutz an Flughäfen und Bahnlinien. Politische Paradoxien, mit denen die Politik auf allen Ebenen seit langem jonglieren muss. Malu Dreyer setzt jedoch das Thema "demografischer Wandel" für sich ganz oben auf die Agenda: (Dreyer) Natürlich, wir müssen den demografischen Wandel bestehen. Viele ältere Menschen werden wir haben und auch viele behinderte Menschen, die wir unterstützen werden und auch wollen in Zukunft. Und da setzten wir auf ambulante, statt stationäre Strukturen. Das wird Geld kosten, das wird Land und Kommune Geld kosten. Da bin ich froh, dass im Fiskalpakt vereinbart worden ist, dass der Bund sich auch beteiligen soll im Rahmen eines Teilhabegesetzes. Und dafür werden wir uns sehr stark machen, denn diese Herausforderung wird uns alle überfordern ansonsten. Menschen sollen Leistung bringen, aber nicht überfordert werden. Sie sollen gut arbeiten, aber auch gut dafür bezahlt werden. Sie sollen respektiert werden, ob behindert oder nicht. Malu Dreyers politische Botschaften sind nicht sensationell. Es sind einfache politische Ziele, die jedoch schwer zu erreichen sind, wie die Erfahrung zeigt. Malu Dreyers Vorteil ist: Man nimmt ihr ab, dass sie jeden Tag dafür arbeiten will. Leise und bescheiden - aber beharrlich und entschlossen. -E N D E- 2