COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Nachspiel - 30.8.2009 Cricket im Ruhrpott, Boule am Rhein Einwanderer pflegen ihre Sportarten Von Dieter Jandt Musik 1: Capoeira-Folklore 2:00:00 einen Moment freistehen lassen, weiter folgend unterlegen: 1. O-Ton: 2. Brasilianer 4:03:10 ... lalalawee, laweelaweelawaa, das die Frage, und die anderen Leute, die singen mit, das die Antwort ... 2. O-Ton: 4. Laote 11:01:10 Ja bisschen Picknick, bisschen sowatt. Und Bier, ja, hehe, bisschen Bier, aber nicht zu viel, wenn die ohne Bier, wir kann auch nicht so spielen. 3. O-Ton: Shani Ali 19:02:50 Cricket ist ein Gentlemans-Game, und da wird auf jeden Fall auch Respekt gegeben, // (17:05:00) schreit: Good job, good job Beifallklatschen 4. O-Ton: Christo Ludria 25:01:15 It`s a gemtlemens sport, but always you can fight, // it`s just adrenalina, // sometimes you get angry. Musik noch einmal hochziehen, folgend weiter unterlegen: Sprecher: In der Bundesrepublik zählen wir rund fünfzehn Millionen Menschen, die aus anderen Kulturkreisen stammen. Darunter sind nicht wenige, die gerne Sport treiben. Und wiederum nicht wenige, die mit Fußball nicht so viel anfangen können oder wollen wie wir. Die einen anderen Volkssport kennen und die diese Spiel- oder Sportart mit hierher gebracht haben, ein Stück Kultur. Musik ausblenden 5. O-Ton: Naim Ali 17:05:43 Good running boy, good running, Sawas! Beifallklatschen Atmo 1: Rufe der Spieler 16:00:00 einen Moment freistehen lassen, weiter folgend unterlegen: Sprecher: Tief im Ruhrpott, wo die Sonne sich hinter schweren Wolken versteckt und es immer wieder daraus abregnet, nutzen zwei Teams in weiß die Trockenphasen, um Cricket zu spielen. Die meisten sind andere Temperaturen gewohnt, sie kommen aus Indien oder Pakistan. Bochum gegen Köln heißt die Partie. Naim Ali ist soeben ausgeschieden, weil er mit seinem Schläger den Ball verfehlt hat. 6. O-Ton: Naim Ali 17:00:00 Ja, weil der Werfer einen guten Ball geworfen hat, den ich wohl verpasst habe, // und wenn ich den Ball verpasst habe, und der Ball trifft die Stöcke, also die Wickets, die hinter mir stehen, dann bin ich ja wohl ausgeschieden. Sprecher: Naim Ali vom Bochumer Cricket-Club. Er sitzt mit einigen seiner Mannschaftskameraden, die entweder ebenfalls schon ausgeschieden oder noch nicht dran sind, am Spielfeldrand. Man hat weiße Campingstühle unter das Fußballtor geschoben und eine Plane über die Querlatte gezogen, falls es mal wieder regnet. Naim Ali und Kollegen feuern ihre Mannschaft an. Etwa 15 Männer in weiß stehen im weiten Rund auf dem Cricket-Feld. Sie warten darauf, dass der Bowler den Ball am gegnerischen Schlagmann vorbei wirft und die Stöcke trifft, die so genannten Stumps oder Wickets, ein etwa 50 Zentimeter hohes Gestell aus drei Stäben. Jaweed, ein stoppelbärtiger Mensch, hat ebenso den Ball schon durchgelassen und ist so vom Batsman zum Bankdrücker geworden. 7. O-Ton: Jaweed 17:01:40 Ich habe in Pakistan gespielt, bin mit 14 Jahren nach Deutschland gekommen, also ich habe in Pakistan auch schon Cricket gespielt, ja also die Leidenschaft war schon in Pakistan da. // Früher war es auch Schulsport, jetzt auch eigentlich, sage ich mal, nicht in allen Schulen, aber wird auch in der Schule gespielt, ja. Sprecher: Die Brüder Ali haben vor einigen Jahren den Bochumer Cricket Club gegründet. Die hiesigen Cricket-Clubs sind aber keine rein pakistanische Angelegenheit. 8. O-Ton: Naim Ali 17:02:20 Nein, nein, nein, nein, nein. Es sind Engländer dabei, es sind Australier, es sind Pakistaner, Inder, halt so`n Mischmasch. Aus Sri Lanka sind auch. // Bei uns spielt auch ein Deutscher, aber der ist heute leider nicht mit dabei, ansonsten kommt der halt auch mit. Sprecher: Immerhin war man 2006 schon einmal Vizemeister von Nordrhein- Westfalen. Diese Liga besteht aus zehn Vereinen, bundesweit gibt es rund fünfzig Clubs. Die oft beschworene Feindschaft zwischen indischen und pakistanischen Teams, hier in Deutschland ist sie aufgehoben, wie von selbst. 9. O-Ton: Naim Ali 17:03:15 Wir sind halt hier Deutsche, und Deutsche spielen gegen Deutsche, obwohl wir sind gebürtige Inder, Pakistaner, aber hier wir sind momentan Deutsche halt. Sprecher: Auf dem Platz hat der Schlagmann soeben den Ball abgewehrt und ihn zur Seite abgelenkt. Ein gegnerischer Spieler hechtet danach, fängt den Ball auf, läuft ein paar Schritte zur Platzmitte und legt ihn auf dem Rasen ab. Wer nun zu welcher Mannschaft gehört, ist für Mitteleuropäer nicht so leicht ersichtlich. Viele verschiedene Ausrüstungsgegenstände liegen zwischen den Campingstühlen auf dem Rasen herum, Utensilien, die ahnen lassen, dass dieser Sport ziemlich kostenintensiv ist. 10. O-Ton: Naim Ali 17:04:02 Ja es ist teuer, aber es gibt halt in Pakistan oder Indien, wo man dann halt die günstiger besorgen kann, in England ist das ziemlich teuer, schweineteuer, aber die Sachen, es gibt ja diese Beinschoner, die nennt man Pads, es gibt dann halt so`n Ellguard, also für die Genitalien halt, und Armschoner, man hat en Helm und Handschuhe, damit man sich nicht verletzt, und genau, und dann en Schläger halt, ne. Sprecher: Ansonsten alles nobel in weiß. 11. O-Ton: Naim Ali 17:04:45 Weil, wie gesagt vorhin, Cricket ist ein Gentleman- Game, obwohl man am Ende des Tages sieht nicht mehr weiß aus, die ganze Ausrüstung, // schreit: Good job, good job, Beifallklatschen Sprecher: Sieben Stunden kann ein einziges Match dauern, bei dem zunächst die eine Mannschaft versucht, möglichst viele Schlagmänner des Gegners ausscheiden zu lassen und Runs oder Punkte zu verhindern. Anschließend verkehren sich die Positionen. Regenwolken ziehen wieder auf. Der Schiedsrichter bricht die Partie ab, die Spieler verkrümeln sich unter die Plastikplane. Shani Ali, der ältere Bruder von Naim, lässt sich auf einen der Campingstühle fallen. Auch er fungiert als Schlagmann. 12. O-Ton: Shani Ali 19:01:37 Jeder Spieler hat seine Rolle, die er erfüllen muss. Es gibt eine Rolle ist zum Beispiel als Batsman, nennt man das auf Englisch, der ist dann derjenige, der Spezialist ist im Schlagen, und der andere ist ein Werfer, Bowler, der ist ein Spezialist beim Werfen, seine Aufgabe ist, so wenig Punkte abzugeben in seinen legitimen Würfen und so viele Wickets nehmen zu können, und dann die andere Rolle // ist Allrounder zum Beispiel, der kann mittlerweile alles. Und dann natürlich muss man dann ein guter Felsmann sein, dass man den Ball auch vernünftig auffangen kann und so weiter. // Und eine der wichtigsten Rollen ist zum Beispiel der Wicket-Keeper, der hinter dem Batsman steht, also hinter den Stumps, der nimmt zum Beispiel den Ball auf, der muss alle 300 Bälle hoch und runter, da ist eigentlich der schwierigste Job überhaupt, der Wicket-Keeper. Sprecher: Shani Ali ist Vorsitzender des Vereins. Die Stadt Bochum ist den Pakistanis seinerzeit sehr weit entgegengekommen und hat ihnen in Wattenscheid ein geräumiges Gelände zur Verfügung gestellt. Drüben stehen die Umkleidekabinen, dahinter befindet sich ein Aschenplatz für den hiesigen Volkssport. 13. O-Ton: Shani Ali 19:00:00 Ach das ist super, ehrlich also. So wie die Stadt Bochum uns unterstützt hat, da besteht kein Zweifel, da haben die uns enorm unterstützt, // wie gesagt, ich bin ein stolzer Bochumer, ich lebe seit 19 Jahren hier in Bochum, und // ich möchte niemals von Bochum wegziehen. // Wegen der Anlage alleine, aber auch wegen der ganzen Freundlichkeit. // Bochum ist einfach meine Heimat, das ist alles. Atmo 2: Spieler debattieren auf Urdu 18:00:00 einen Moment freistehen lassen, dann ausblenden: Sprecher: Die Regenpause dauert etwas länger als gedacht. Die Akteure debattieren derweil den Spielverlauf in Urdu, der pakistanischen Landessprache. Das sollte aber niemanden daran hindern, sich in Cricket zu versuchen. 14. O-Ton: Shani Ali 19:03:57 Auf jeden Fall. // Das ist ja wie gesagt, auch ein Teil von uns, dass wir Menschen von verschiedenen Nationalitäten, von verschiedenen Kulturen bei uns integrieren lassen. Atmo 1 Kreuzblende in: Atmo 3: Kugeln klacken, erregte Diskussion 14:00:00 // 14:00:27 einen Moment freistehen lassen, weiter folgend unterlegen: Sprecher: Kulturwechsel, Platzwechsel, vom Rasen auf feinen Kies, vom Ruhrpott an den Rhein. Etwa zehn Laoten schieben hier, wie sie es in der Heimat gelernt haben, eine ruhige Kugel. 15. O-Ton: 1. Laote 9:00:00 Der erste Satz haben wir gewonnen. Das heißt, wir haben die ersten neun Punkte erreicht. Da haben wir einen Satz gewonnen. Wir spielen immer noch weiter. Das heißt, welche Manschaft die zwei Sätze gewinnen, das heißt ist Matchball, ist Match. Sprecher: Steif sieht das aus, wie der gute Mann in die Knie geht und die Kugel in der rechten Hand schwingt, um sie dann über den hellen Kies rollen zu lassen. Aber vermutlich ist das die professionelle Haltung eines Boule-Spielers. Die anderen stehen herum und kommentieren die Aktion. Die Kugel ist dem kleinen roten Ball, der Zielkugel, auch Schweinchen genannt, bis auf Zentimeter nahe gekommen. Atmo ausblenden Sprecher: Spielort ist ein weiter beschaulicher Park im Herzen von Köln. Alle möglichen Sportarten werden hier von allen möglichen Menschen betrieben. Gleich nebenan ist ein Bolzplatz, einige spielen auf dem Rasen Feder- oder Fußball, jemand jongliert, beobachtet von Sonnenbadenden, die einfach nur abhängen. Auch die Laoten lassen es gemütlich angehen. Auf dem kleinen Rasenstreifen neben dem Boule-Platz ist auf Bastmatten für das Picknick angerichtet. Zwei Frauen sitzen im Schneidersitz unter einer Erle, die Kinder wuseln im Schatten herum. 16. O-Ton: Laotin 7:00:40 Nein, ich spiel nicht. // Wir gucken den Männern spielen und essen wir zusammen dann, austauschen. Erfahrung austauschen. Wie man kochen zu Hause. // Wir hatt Salat gegessen, meine Freundin. Die kann sehr gut kochen. Sie hat Salat gemacht und hier mitgebracht. Sprecher: Eine Kühlbox steht parat, und die Männer halten, wenn sie nicht gerade eine Kugel werfen sollen, eine Flasche Kölsch in der Hand. 17. O-Ton: 4. Laote 11:01:20 Ja, hehe, bisschen Bier, aber nicht zu viel, wenn die ohne Bier, wir kann auch nicht so spielen. Nich so keine Mannschaft mehr oder watt, bisschen Spaß machen und so, Wochenende, so, wenn immer zu Hause, ist langweilig. Treffen zusammen, Unterhaltung und so weiter. Sprecher: Lacht und sieht mit seinen Geheimratsecken aus wie Mao tse Tung. Seit dreißig Jahren wohnt er schon in Köln. Er trägt ein Trikot der italienischen Nationalmannschaft. Man spielt in Dreier-Teams gegeneinander. Für die Kugeln, die der kleinen roten am nächsten sind, gibt es Punkte. Im Zweifel beugt man sich über das Spielgeschehen und zieht ein Maßband. Atmo 4: Klacken von Kugeln, erregte Diskussion 5:00:00 einen Moment freistehen lassen, weiter folgend unterlegen: 18. O-Ton: 1. Laote 12:00:03 Also im Moment steht acht zu eins. Ja da ist fast der Satz schon vorbei. Fast, aber wir spielen immer noch, um den Satz gewinnen. // Ja, haben wir nur einen Punkt gemacht. // Also vorher haben wir einen Satz gewonnen. Atmo 5: laotische Folklore aus dem Handy, die Frauen unterhalten sich im Hntergrund 14:01:55 einen Moment freistehen lassen, weiter folgend unterlegen: Sprecher: Tatsächlich geht es in den entscheidenden dritten Satz. Von Anspannung ist hier nichts zu spüren. Die Leute wollen einfach nur ein Stück laotischer Lebensqualität. Aus einem Handy, das auf der Kühlbox liegt, dudelt heimische Folklore. Ursprünglich brachten die Franzosen als Kolonialisten Boule nach Laos. In den 70er Jahren kamen viele Laoten nach Europa und Amerika. Notwendigerweise. Fast alle hier sind politische Flüchtlinge. Wichai, ein gut aussehender Mann mit lässig aufgesetzter Sonnenbrille, erinnert sich noch, wie er damals plötzlich von seinem Bruder auf dem Rückweg von der Schule abgefangen wurde, er müsse sofort abhauen. 19. O-Ton: 2. Laote 9:00:33 Ja bin ich nach der Schule, habe ich direkt mit meinen Schulsachen genommen und direkt geflohen, ne. // Ja, ich muss so schnell wie möglich abhauen. Sonst krieg ich keine Chance. // Über Mekong natürlich. Bin ich geschwommen mit der Luftpumpe, als Hilfe, ne. // Nicht Luftmatratze, einfach mit Tüte. Da mit Luft reinblasen, damit ein Ballon balancieren kann, ne. Nur zum balancieren. Weil Mekong // Strömung, ne, sehr gefährlich. // Hab ich gebraucht ungefähr anderthalb Stunden. Weil zum Teil muss ich auch verstecken. // Immer fünf Minuten oder zehn Minuten kontrolliert die Soldaten, ne. Sprecher: Nun ist der Mekong mit all seinen Strömungen und Strudeln nicht mit dem behäbigen Vater Rhein zu vergleichen. Jedenfalls kam Wichai mithilfe der improvisierten Luftblase über den Mekong nach Thailand und von da nach Deutschland. Man fand sich nach und nach, man fand sich zurecht, pflegte einheimische Bräuche, so auch Boule, und hatte aber auch gegen ein gepflegtes Kölsch nichts einzuwenden. Wer das Spiel verliert, sorgt für die nächste Runde. Der mit den Geheimratsecken beträufelt seine Kugel mit Bier und wischt sie mit einem kleinen Handtuch sauber, vermutlich wegen der Griffigkeit, oder um sie zu entstauben. Atmo 5: Musik, Klacken der Kugeln, erregte Diskussion rund um die Kugeln 14:01:14 einen Moment freistehen lassen, weiter folgend unterlegen: Sprecher: Gleich nebenan spielen Einheimische Boule. Sie trinken eine andere Sorte Kölsch. Vor Monaten haben sie den Laoten angetragen, in der Bunten Liga mitzumischen, die aber zieren sich noch. Als die Sonne sich hinter die Bäume verdrückt, packen die Laoten Kugeln, Kühlbox und Klebreis-Kübel zusammen, bis zum nächsten Wochenende. Im Winter spielen einige Takraw, ein rassiges Spiel am Netz, eine Art Fußballtennis. 20. O-Ton: 1. Laote 12:00:40 Ja im Winter manche Leute betreiben Sport in Halle, // Boule nicht, haben wir keine Gelegenheit. // Takraw, ne, in Halle. Ham wir immer in Halle, in der Sporthochschule Köln, ne. Da spielen auch viele Deutsche mit, ne. Musik 1: Capoeira-Folklore 2:00:00 einen Moment freistehen lassen, weiter folgend unterlegen: Sprecher: Rassig geht es auch ein paar Kilometer weiter im Technologiepark zu. Von Brasilianern weiß man ja, dass sie ausgezeichnet mit dem Ball umgehen und auch Samba tanzen können. Dass aber Capoeira eine der größten Sportarten in Brasilien ist, das ist uns neu. Ein prickelnder Kampftanz, den afrikanische Sklaven nach Brasilien brachten. 21. O-Ton: Rivair Paulinho 4:00:08 Es wurde von Sklaven entwickelt vor circa 400 Jahr, und heute ist es so entwickelt, dass es fast, gibt`s fast in der ganzen Welt, diesen Sport. Ist eine Mischung zwischen akrobatisch, Kampf und Tanzen. Sprecher: Rivair Paulinho, ein untersetzter, muskulöser Mensch in weißem Kampfdress. Fünf Männer und zwei junge Frauen haben sich im Kreis aufgestellt, um sich warm zu machen. Rivair hat einen niedrigen Raum angemietet. Ein paar blaue Turnmatten liegen in der Ecke aufeinander gestapelt. Ein Ghetto-Blaster steht auf einem kleinen Hocker an der Wand. Man bringt sich in Stimmung. Stimmung aus Brasilien. 22. O-Ton: Rivair Paulinho 4:00:08 Ja, ich bin dort Lehrer geworden, Capoeira-Lehrer geworden und hab dort schon über zehn Jahre trainiert, und seit ich hier in Deutschland lebe seit ungefähr 2000, 2001 verbreite ich diese brasilianische Kultur hier in Deutschland. Sprecher: Seinerzeit wandten die Sklaven Capoeira gegen ihre Peiniger an, später entwickelte sich der Tanz zur Straßenkampftechnik, wurde alsbald verboten und erst vor etwa achzig Jahren wieder erlaubt. Katzenhaft bewegen sich die Kämpfer aufeinander zu und deuten Schläge und Tritte an. Ein Tanz, dem man ansieht, dass er, wenn es ernst wird, gefährlich werden kann. Aber eigentlich ist Capoeira eher ein Miteinander. Wichtiges Medium dazu ist die Musik, wie Rivairs Kollege, ebenfalls muskelbepackt, erklärt. Musik ausblenden 23. O-Ton: Rivairs Kollege 4:03:00 Ich würde sagen, das Capoeira ist eine Frag und Antworten. Das heißt, dass man singt zum Beispiel: lalalawee, laweelaweelawaa, das die Frage, und die anderen Leute, die singen mit, das die Antwort, und natürlich die Bewegung sind mehr von Improvisation. Musik 2: Capoeira-Musik, dazu Rivair mit Gesang, dazu Bongo und Schalmei einen Moment freistehen lassen, weiter folgend unterlegen: Sprecher: Rivair hat sich die Berimbao geschnappt, das ist ein Bogen mit einer Metallsaite, die mit einem Holzstab bespielt wird. Die beiden Frauen, Kölner Eigengewächse, sorgen an der Conga und mit einer Rassel für Rhyhtmus, während in der Mitte des Raumes die Kämpfer Capoeira tanzen. 24. O-Ton: RivairPaulinho 4:03:30 Genau, genau, das geht auch nach Rhythmus, dass nach Rhythmus der Berimbao, unsere Hauptinstrumente, Berimbao, kommt drauf an, welcher Rhythmus abgespielt wird, und dann man kämpft im Kreis oder // gibt`s eine Kontakt, kommt drauf an, welcher Rhythmus, is einfach noch akrobatisch, kommt drauf an, welcher Rhythmus, macht man volle Kontakt. Sprecher: Für diesen Sport muss man biegsam sein und reichlich Kondition haben. Die Sprünge sind manchmal geradezu artistisch, daher bestehen die Vorübungen auch aus Laufen im Handstand und Radschlagen. Empfehlenswert ist auch eine gute Portion malicia, das ist so etwas wie Verschlagenheit oder Kriegslist. 25. O-Ton: RivairPaulinho 4:02:08 Malicia. Ja, Malicia, Malicia, ist sehr schwere Wort zu übersetzen. Ist so eine Art von schlau zu sein, // ne, man bewegt sich mit sehr viel Erfahrung, // da benutzen das eigentlich gegen andere, je mehr Erfahrung du hast, mehr malicia hast du, mehr irgendwo die kleine Erfahrung du hast, das kann man so sagen, malicia ist sehr viel Erfahrung, // der viele Tricks machen kann, der kann viel malicia, hat viel malicia. Sprecher: Die Kölner Studentin, die eben noch die Conga spielte, weiß um die Gefahr, die von malicia ausgehen könnte, wenn es denn ernst würde. 26. O-Ton: Studentin 4:05:10 Ja, aber man lernt halt damit umzugehen, weil man ja auch von Anfang an lernt, immer auszuweichen, und deshalb passiert eigentlich echt selten was. Sprecher: In allen Großstädten hier zu Lande gibt es Capoeira-Schulen. Sie finden immer mehr Zulauf von Einheimischen. 27. O-Ton: Studentin 4:04:30 Ich hab ne neue Sportart gesucht und ne Freundin von mir, also die Mutter von ihr, die hat gearbeitet in ner Theaterakademie, und da wurde das unterrichtet. Und dann haben wir uns überlegt, mal Probetraining zu machen, und // ich bin jetzt immer noch dabei. // Ist schon ziemlich anstrengend, weil es halt alles, den ganzen Körper beansprucht. Also man macht ja nicht nur Akrobatik oder nur Tritte, sondern bewegt sich noch zur Musik und ja, bewegt halt den ganzen Körper und alle Muskeln und braucht auch viel Dehnung und so. Musik ausblenden: 28. O-Ton: Kommentator über Spiel- und Zuschauergeräuschen 24:06:50 Und das ist Nicolas, und geht jetzt, nimmt Fahrt auf, bis über die Mitte, ist alleine, ist durch, da kommt Philipp Sommer versucht zu stören, aber Nicolas auf der linken Seite und Sommer, jetzt ist der Ball im Tor, nein, nicht hinter der Torlinie, in der Luft, ist ja wirklich dramatisch. (Pfiff) Auf jeden Fall die draußen, die können`s nicht glauben. 29. O-Ton: Thomas Strunck 22:01:18 Die Deutschen an sich spielen mittlerweile verstärkt, sehr intensiv Polo, es gibt aktuell circa 350 organisierte deutsche Polospieler, die dann aber unterstützt werden grade eben durch die Argentinier ... Sprecher: Eigentlich sind wir auf der Suche nach Engländern, weil Polo auf der britischen Insel seinen Ursprung hat, zumindest was die Neuzeit angeht. Tatsächlich gibt es in der Lüneburger Heide noch eine versprengte Reiterbande der Rhine Army Polo Association, aber hier im Sauerland, und nicht nur hier, preschen vor allem Argentinier über den Parcours. 30. O-Ton: Thomas Strunck 22:01:35 Die kommen nur wirklich zur Saisonzeit, werden dann von den jeweiligen Teamcaptains wirklich gebucht, haben auch das höchste Handicap. Einzel-Handicap. // Und es wird auch eingekauft, weil das sind Profis, die leben dort, die leben von dem Polosport, und sind dann von Mai bis Oktober hier in Deutschland. Sprecher: Thomas Strunz, braun gebrannter Organisator, wie überhaupt hier auffallend viele Menschen braun gebrannt sind. Man richtet das Arena- Polo-Tournier im sauerländischen Balve aus. Hinter dem Schloss Wocklum befindet sich ein großzügig angelegtes Reitstadion. Der VIP-Bereich mit gepolsterten Rattanmöbeln und Bewirtung ist recht gut besucht. Von der Tribüne aus kommentiert der sportliche Leiter einen durchweg prickelnden Spielverlauf. 31. O-Ton: Kommentator über Spiel- und Zuschauergeräuschen 24:01:50 Wirklich hochklassiges Polo, nicht nur spannend, trotz des Spielstandes im Moment, Sie sehen in den Aktionen der Spieler, wie schnell, wie perfekt und gut die das ausführen. Da geht er nach, das ist Philipp Sommer in Richtung Tor, macht er den Sack zu für Hundrieser und Partner, die Riesenmöglichkeit, und aber unter Bedrängnis von Cesar Luis ... Sprecher: Drei gegen drei Reiter jagen auf einem Parcours, der hier etwas kleiner ist als ein Fußballfeld, einem grünen, 120 Gramm schweren Plastikball hinterher. Der soll in eines der beiden Tore bugsiert werden. Das sind jeweils zwei blau-weiß markierte Säulen von drei Metern Höhe. Der Abstand beträgt fünf Meter, und dazwischen muss also das Runde. 32. O-Ton: Kommentator über Spiel- und Zuschauergeräuschen 24:03:35 Rückhandschlag. (Rufe, Pfiff, Lachen) Hupps. Haben sich zwei Pferde verkeilt, die Zügel verfangen, Vorsicht. // Zügel haben sich verfangen und jetzt geht`s los, jetzt schimpfen sie beide wie ein Rohrspatz, ... Sprecher: Einen der beiden, die sich da ins Gehege gekommen sind, hebt es aus dem Sattel. Der Mann rollt sich geschickt über dem Sandboden ab, springt auf, mault wütend gegen seinen Kontrahenten und bezichtigt ihn vermutlich der Verschlagenheit, malicia also auch beim Polo. 33. O-Ton: Christo Ludria 25:00:40 That is life, that is Polo, always happen, the striker tries to make the best, and they are not machine, // they can get confused, and you don`t see the same, when you are outside of the ground, when you are in the ground, I mean. That`s happen. Overvoice: versetzt darüber: "Das ist normal. So etwas kommt immer wieder vor. Jeder versucht sein Bestes zu geben, und wir sind schließlich keine Maschinen. Da kann einem schonmal der Kragen platzen. Aber außerhalb des Platzes würde das niemals passieren." Sprecher: Christo Durrieu, ein kleiner quirliger Typ aus Argentinien. Er wandert seit sechs Jahren jeden Sommer ein und spielt für einen Verein der Region. 34. O-Ton: Christo Durrieu 25:01:15 I mean, it`s a gemtlemens sport, but always you can fight, also a bit, it`s normal in the sport, it`s just adrenalina, you come in the blood, sometimes you get angry. Overvoice: versetzt darüber: "Sicher ist das ein Gentlemens Sport, aber es wird halt auch gekämpft, da kommt dann manchmal Adrenalin hoch, und dann sind wir eben wütend." Sprecher: Aber noch sitzt Christo Durrieu locker im VIP-Bereich und schaut sich mit seinem Landsmann Raul Laplacette das Spiel an. 35. O-Ton: Raul Laplacette 23:00:54 We are the best in the world in Polo, and I like to stay there and also I`m studying, so it takes a lot of time, and then I usually come here for a week or two weeks, and then I go again over there. Overvoice: versetzt darüber: "Wir sind die besten Polospieler der Welt. Und normalerweise bleibe ich lieber in Argentinien, weil ich ja noch studiere. Wenn ich aber hierher komme, bleibe ich in der Regel ein, zwei Wochen und gehe dann wieder zurück nach Argentinien." Sprecher: So ist das mit den Legionären im Polosport, und die Vereine haben sicherlich das nötige Kleingeld, um das zu finanzieren. Hinter den Zuschaurrängen stehen weiße Eventzelte aneinander gereiht, in denen namhafte Handtaschen und andere Statuswaren von ausgesuchter Qualität feilgeboten werden. Zwischen den Zelten wachen unauffällig kräftige Menschen mit dunklen Anzügen und dunklen Sonnenbrillen. Im sandigen Viereck aber geht es weiter rund, und der Laie muss zugeben, dass auch Polo ein rassiger Sport ist. Fünfeinhalb Minuten dauert ein Durchgang, von denen es wiederum vier an der Zahl gibt. 36. O-Ton: Kommentator über Spiel- und Zuschauergeräuschen 24:06:10 Etwas über drei Minuten noch zu spielen. (Ball wird geschlagen) Und der fackelt nicht lange, setzt sofort nach, Denazu, aber Gaynor mit dem Flug des Balls, jetzt hat er`s abgereitet, da drängen sich zwei, sofort den Schlag raus in Richtung Tor, nochmal die zweite Möglichkeit für Denazu, aber der wird von allen Seiten bedrängt ... // (Pfiff) Drei Minuten exakt zu spielen. Schön. Tres minutos chaka portillo ... Sprecher: Offensichtlich hat man mittlerweile so viele Argentinier gebucht, dass es für einen Kommentator ratsam ist, Spanisch-Kenntnisse zu haben. Nicht nur die Spieler, auch die Pferde kommen aus Südamerika, und dies grundsätzlich. Man reitet auf kleinen argentinischen Ponys, selbst die Engländer in der Lüneburger Heide tun das. Musik 1: Capoeira-Folklore 2:00:00 einen Moment freistehen lassen, weiter folgend unterlegen: Sprecher: Wir aber haben einiges gelernt über malicia und gentlemens sport und finden wieder einmal bestätigt, dass Sport nicht Mord ist, sondern so gut verbindet wie kaum etwas anderes. Bliebe noch eine Frage offen: Welchen Sport treiben eigentlich die Frauen der Einwanderer? Musik ausblenden 22