COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. "Wie haben Sie das gemacht?" - Frauen in der Filmindustrie Zeitreisen, Deutschlandradio Claudia Lenssen Margarethe von Trotta Vorher war ich halt nur Schauspielerin und wurde eben auch immer dirigiert und auf einmal konnte ich mitschreiben und mit anwesend sein von Anfang an. Da hatte ich das Gefühl, jetzt geht mein Weg vielleicht doch dahin, wo ich von Anfang an hin wollte, nämlich Regisseurin zu werden. Nina Grosse Alles war ein bisschen so: Wir basteln uns unsere Filme selber, also "learning by doing". Wenn ich heute an die Schulen gehe, wo ich ja auch unterrichte, und sehe, wie streng didaktisch das aufgezogen wird, dann hat das so seine Vor- und Nachteile. Julia Jentsch An der Schauspielschule wurde uns immer mitgeteilt, es wird nachher eh mehr Rollen für Männer geben und dass man sich darauf einstellen kann, dass es für eine Frau schwieriger sein wird, einen Job zu kriegen. Also da gibt es einfach diesen Unterschied. Autorin Frauen schreiben Drehbücher, produzieren und inszenieren, sie führen die Kamera und montieren Filme. Frauen dringen in viele Gewerke vor, die zur Herstellung eines Films notwendig sind. Lange galt das mächtige Klischee, dass sie nur zur idealen Assistentin taugen oder sich bestenfalls für Maske und Kostüm interessieren. Vor allem eins: Vor der Kamera waren sie schon immer präsent. Als ewig junge, schöne Schauspielerinnen prägen sie das weibliche Gesicht des Films. Atmo Autorin Den Platz hinter der Kamera eroberten sich Filmemacherinnen erst in den sechziger Jahren, ein Dutzend vielleicht in Westdeutschland, kaum mehr in Ostdeutschland. Margarethe von Trotta, Ula Stöckl, Ulrike Ottinger, Helke Sander, Helma Sanders-Brahms, Jutta Brückner und einige andere waren im Westen ebenso rare Paradiesvögel wie Iris Gusner, Evelyn Schmidt und Helke Misselwitz im Osten. Das Autorenkino der Nachkriegsära inspirierte viele von ihnen zum eigenen Aufbruch. Margarethe von Trotta zum Beispiel sah die Filme von Ingmar Bergman. Margarethe von Trotta Der erste war "Das siebte Siegel". Das war für mich ein solcher Kulturschock, dass ich dachte, irgendwann möchte ich das auch machen können. Das war natürlich völlig verschlossen, dieser Weg. Der "Junge Deutsche Film" war noch gar nicht geboren, das war Anfang der sechziger Jahre. Und daran zu denken, dass man als Frau daran beteiligt sein könnte! Autorin Anders als heute galt der Ehrgeiz von Frauen, sich auch in Filmen auszudrücken und selbst zu inszenieren, als hochfahrend, störend und unbequem. In den sechziger Jahren und später waren die Herren der kriselnden Filmindustrie das nicht gewohnt. Eine Chance bot der Weg über andere Künste. Margarethe von Trotta, die erst jüngst einen großen Erfolg mit ihrem fiktiven Portrait der Philosophin Hannah Arendt feierte, begann ihre Karriere als Schauspielerin - in Filmen von Rainer Werner Fassbinder unter anderem, später als Ko-Regisseurin ihres damaligen Ehemanns Volker Schlöndorff. Den entscheidenden persönlichen Anstoß gab ihr ein früher Aufenthalt in Paris. Die Metropole der Nouvelle Vague-Regisseure bot den Filmenthusiasten zudem in der Cinémathèque einen kostbaren Schatz - Filme der Filmgeschichte, die im Dritten Reich verboten waren und auch nach dem Kreig in Deutschland kaum gezeigt wurden. Wie viele andere Cineasten lebte auch Ulrike Ottinger in Weile in Paris. Ulrike Ottinger Ich bin sehr früh nach Paris gegangen, schon mit 19 Jahren und habe mich dort dann sehrfür das Kino interessiert, gehörte zu den frühen Habitués der Cinématheèque, die damals noch Rue d'Ulm war, später dann im Trocadero. Und das war ein Medium, das mich so begeistert hat! Ich habe ja als bildende Künstlerin gearbeitet, gemalt, radiert, alle diese Techniken gelernt in Paris im Atelier Friedlaender. Ich war nur unglaublich fasziniert und inspiriert dadurch. Ich habe sehr früh Performances gemacht - die man damals noch Actions nannte in Paris - und erst mit der Zeit hatte ich plötzlich das Gefühl, als ich dann mehr und mehr so amerikanische Independant-Sachen sah und das auch ein bisschen mehr mit den dadaistischen Sachen und post-surrealistischen zusammenbrachte - Ich war ja auch an der Fotografie interessiert, das war eigentlich irgendwie etwas, was sich so sukzessive entwickelte über das viele Sehen von Film. Autorin So intensiv die Inspiration durch den cineastischen Zeitgeist damals war, so katastrophal waren die Aussichten auf eine professionelle künstlerische Zukunft. Das Fernsehen zog Publikum ab. Die Kinos wurden damals mit soft- pornografischen Schulmädchen-Reports, harten Polizei- und Kriegsfilmen und apokalyptischen Actionfilmen überschwemmt. Frauen hatten so gut wie nie interessante Rollen und wenn, dann in Filmen der europäischen Autorenregisseure. Ula Stöckl drehte 1968 Neun Leben hat die Katze, ihr Debüt nach dem Studium an der Hochschule für Gestaltung in Ulm, ein Film, der als erster feministischer Zeitgeistkommentar zum Kultfilm avancierte. In einem Essay über ihren Werdegang schreibt die Filmemacherin: Sprecherin Nie hatten Frauen so viele Möglichkeiten, zu tun, was sie wollen. Aber wissen sie, was sie wollen? Erzogen wurden sie zum Heiraten, Kinder kriegen und "selbstlos" sein. Eine ganze Generation von Filmemacherinnen, meine Generation, machte sich auf die Suche nach der eigenen Identität. Das Wort von der "Selbstrealisation" kommt in Umlauf. Wer sind "wir Frauen"? Was haben wir für eine Sexualität und lieben wir uns und unser Geschlecht? Autorin Etwas Neues lag in der Luft. Filmhochschulen entstanden, die Deutsche Film- und Fernsehakademie, die dffb in Berlin, die Hochschule für Film- und Fernsehen in München. Festivals verbreiteten internationale Low-Budget- Produktionen - meist 16mm-Filme, aus Experimentierlust, Not und politischer Tugend geboren. Erika Gregor, die seit 1970 mit Ulrich Gregor das Internationale Forum des Jungen Films bei der Berlinale leitete, findet Spuren in ihrem Archiv: Erika Gregor Es gab die politischen Filme der dffb, es kamen sehr politische Filme aus Italien, z. B. Adjektiv Frau. Die waren ganz anders gemacht, schnell geschnitten mit Statements. Die waren zum Teil sehr ironisch und nicht so didaktisch wie die Berliner Filme. Und dann gab es einen sehr witzigen Film von Sandra Hochman, der hieß In the Year oft he Woman und war über den Kongress der Demokraten 1972 und über die Frauen, wo sie die berühmten Frauen wie die Kolumnistin Bella Abzug aber auch Stripteasetänzerinnen befragt, wie sie mit ihrer Rolle zurechtkommen. Später haben wir die anderen Filme im Verleih gehabt. Wir haben Jeanne Dielmann gehabt von Chantal Akerman, den haben wir im forum gezeigt und der war dann natürlich auch im Verleih. Auch Kaldalon von Dore O., dann aus Afrika Kaddu Beykat, Nachrichten aus dem Dorf von Safi Faye, die wir zwei Mal im Forum hatten, dann Martha Meszáros, Neun Monate, oder aus der sowjetischen Kinematografie Olga Preobashenskaja und Margaretha Barskaja. Das haben wir irgendwie ausgegraben, konnten die dann in Moskau sehen und haben sie zum Forum eingeladen. Autorin Diese heiß diskutierten Filme waren nicht für ein Massenpublikum gemacht. Eine kleine entschlossene Szene von Künstlerinnen, Studentinnen und Aktivistinnen nahm sie wahr: als Augenöffner, Gesprächsmotor, Anlass zu Streitgesprächen und Aufrufen. Alles dies im Schwung einer vielfältigen und widersprüchlichen Frauenbewegung, die für Aufbruchsstimmung sorgte. Politik für Frauen und Filme von Frauen - das gehörte damals zusammen. Erika Gregor unterstützte das erste Frauenfilmfestival, das Helke Sander und Claudia von Alemann 1973 in Westberlin veranstalteten: Erika Gregor Es ging um Fragen, die uns auf den Nägeln brannten: der Paragraph 218. Das macht man sich heute gar nicht mehr klar, dass es den gab. Die Frage, wie gut es ist, die Pille zu nehmen, gleiche Rechte und gleiches Gehalt, dann die Frage, die immer noch nicht gelöst ist: gleiche Rechte für die Frauen, gleiches Gehalt für die Frauen. Frauen werden immer noch geringer bezahlt als Männer. Dann die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie. Das war ja auch mein Problem. Aber ich hatte eben zwei Kinder und musste jeden Mittag nach Hause rasen, um für die Kinder, wenn die aus der Schule kamen, Mittag zu kochen. Es wäre viel besser für mich gewesen, es hätte Ganztagsschulen gegeben, aber es gab sie nicht. Autorin Bei Helke Sander, die in den sechziger Jahren nach Berlin gekommen war, um an der Deutschen Film- und Fernsehakademie zu studieren, lagen Filmemachen und Frauenpolitik besonders nah beieinander. Am Theater hatte sie sich zuvor mit Aktionskunst beschäftigt: Helke Sander Was mich am Theater wirklich interessiert hat damals, das waren eher abstrakte Sachen. Wann wird groß zu klein, schnell zu langsam und umgekehrt? Das hab ich auch versucht auf der Bühne und in Happenings. Ich habe ja unendlich viele Happenings gemacht. Musik Der subjektive Faktor Autorin In Berlin spürte Helke Sander handfeste Diskriminierung. Als allein erziehende Mutter bekam sie zum Beispiel keine Wohnung. In ihrem autobiografischen Spielfilm Der subjektive Faktor rekapituliert sie, wie daraus die neue Lebensform der Wohngemeinschaft entstand. Filmausschnitt Der subjektive Faktor 1967 ziehen sie hier ein, weder als Untermieter noch als Kommune. Es ist mehr die Not als ein Wunsch. Ein Experiment. Autorin Der subjektive Faktor erzählt auch, wie sich die Frauen, insbesondere die jungen Mütter im Umkreis der Studentenrevolution 1968, ihrer Zurücksetzung bewusst wurden, schließlich Kinderläden und den Aktionsrat zur Befreiung der Frau gründeten - eine Provokation. Die linken Aktivisten lesen sich in die Forderungen ein: Filmausschnitt Der subjektive Faktor Du lieber Himmel! Da wollet sich die Fraue mal wieder zu Tod emanzipiere!" "Immer noch wird das, was eine Frau sagt, kritischer beurteilt, als das was ein Mann sagt. Die Frauen können es sich noch nicht leisten, auf die gleiche nonchalante Art Unsinn zu reden wie die Männer." "Och, das isch ja ein dickes Ei!" "Daraus folgt, dass man zuallererst Gelegenheit schaffen muss, die den Frauen eigene Arbeitszeit geben, d. h. es müssen schnellstens Kindergärten gegründet werden. Autorin Schließlich gab die Filmemacherin Helke Sander mit einer berühmten Rede gegen das Macho-Gehabe studentischer Revolutionäre im Lauf der 68er- Ereignisse den eigentlichen Anstoß zur neuen Frauenbewegung: Filmausschnitt Der subjektive Faktor Eben weil wir der Meinung sind, dass eine Emanzipation nur gesamtgesellschaftllich möglich ist, sind wir ja hier. Wir müssen hier nämlich mal feststellen, dass an der Gesamtgesellschaft etwas mehr Frauen als Männer beteiligt sind und finden es nicht unbescheiden, dass wir die sich daraus ergebenden Ansprüche auch einmal anmelden, und fordern, dass sie berücksichtig werden. Autorin Helke Sander machte Filme über die damals neue Antibabypille, über Fußball oder über eine Arbeiterin, die von einer Überwachungskamera beobachtet wird. Viele Themen lehnten die Fernsehanstalten ab. Feministischer Film, künstlerische Freiheit und kontinuierliche Brotarbeit, das schien ein Kampf gegen Windräder zu sein. Ein Film über die Kulturgeschichte der Menstruation sollte sich beispielsweise mit den Spuren beschäftigen, die der weibliche Zyklus bei der Entstehung des Kalenders und anderer Kulturtechniken hinterlassen hat. Er kam nicht zustande. Rote Fahnen waren Zeitgeist bei den jungen Filmredakteuren im Fernsehen, rote Tage nicht. Musik Das zweite Erwachen der Christa Klages Autorin Die Filmemacherinnen konkurrierten damals mit den gut organisierten Helden des Neuen Deutschen Films, z. B. Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders, Werner Herzog, Volker Schlöndorff, Reinhard Hauff und Alexander Kluge, um die knappen Fernsehgelder, Förderbudgets, Sendeplätze, Preise und öffentlichen Anerkennungen. Eine funktionierende Filmindustrie existierte nicht - der Markt für deutschsprachige Filme war zu klein, das amerikanische Kino zu dominant. In dieser Situation gründete Helke Sander mit ein paar Freundinnen die Zeitschrift Frauen und Film. Helke Sander Ich wollte mit der Zeitschrift ja Geld verdienen. Also das war eigentlich die Absicht. Autorin Frauen und Film wurde nie ein kommerzielles Blatt, jedoch ein meinungsstarkes, mit Neugier und Widerspruchsgeist gemachtes feministisches Organ für Frauen in Filmberufen. Das Programm der ersten Nummer übernahm die frechen Fragen, die das erste Frauenfilmfestival Musidora in Paris zuvor gestellt hatte: Sprecherin Zu Beginn der Filmgeschichte standen die Frauen als Pionierinnen neben den Männern. Das wird jedoch nur in wenigen filmhistorischen Werken erwähnt. Die Frauen sind schnell ausgeschaltet worden. Wo sind sie beim Film? Auf der anderen Seite der Kamera: betrachtet, benutzt, von Männern dirigiert. Sie sind "die Schauspielerinnen". Wie werden sie betrachtet, interviewt, kritisiert? Welchen Platz nehmen sie in der Filmindustrie ein? Warum findet man immer noch das Scriptgirl vom Dienst in dem Team, das einen Film macht? Wie arbeiten die Cutterinnen, die Maskenbildnerinnen? Wie schreiben die Drehbuchautorinnen? Wenn wir den Standpunkt der Männer kennen, welches ist der Standpunkt der Frauen? Musik Autorin Tatsächlich waren von Beginn an Frauen in der Filmindustrie tätig, meist in der Rohfilmproduktion, in Kopierwerken und Büros. Gut möglich, dass sie einst in ihrer Freizeit ins Kino strömten, denn Frauen - weiß man heute - flohen vor ihren eintönigen Berufen und aus der häuslichen Enge gern in die Traumfabrik. Für dieses Massenpublikum wurden gezielt "frauenaffine" Filmgenres erfunden, Dramen und Melodramen, die noch heute die Konventionen bestimmter Rollenbilder prägen. Musik Casablanca Autorin Gegen die Macht der Bilder setzten die Filmfrauen der Aufbruchsgeneration ein loses Netz von Initiativen - rhizomartig, dezentral, enthusiastisch und selbstausbeuterisch. Spezielle Kinoprogramme wurden gestaltet und die Filmemacherinnen zu Gesprächen eingeladen. Studentinnen traten für die Gleichberechtigung bei der Aufnahmepolitik der Filmhochschulen ein. Verleiherinnen versuchten ihr Glück im schwierigen Geschäft mit der Kinoauswertung der Low-Budget-Filme von Frauen. Der Verband der Filmarbeiterinnen wurde gegründet, um der Forderung nach gleichberechtigten Zugängen zur Filmförderung und zu Sendeplätzen im Fernsehen Geltung zu verschaffen. Auch die mächtigen Fernsehanstalten fanden es jetzt mitunter "furchtbar originell", wie Sibylle Hubatschek-Rahn meint, frei werdende Redakteursposten mit einer Frau zu besetzen. Ihren Start in der legendären ZDF-Redaktion Kleines Fernsehspiel erlebte sie so: Sibylle Hubatschek-Rahn Ich ging da hin, er gab mir ein Glas Wodka und dann ging ich rein zu unserem Chef. Der sagte: Trauen Sie sich das zu? Ich hätte nicht mit gutem Gewissen sagen können: ja. Ich hab stattdessen gesagt: Ich hab beschlossen, es mir zuzutrauen. Daraufhin bekam er einen Lachkrampf und ich war engagiert. So ging das damals. Autorin Als Redakteurin und langjährige stellvertretende Leiterin des Kleinen Fernsehspiels betreute Sibylle Hubatschek-Rahn viele experimentierfreudige Projekte, darunter Filme von Ulrike Ottinger, Helke Sander, Jutta Brückner, Heidi Specogna und anderen. Jedes Werk ein Einzelstück, eher poetisch als polemisch, erinnert sie sich. Den feministischen Film, die maßgebliche stilistische Handschrift konnte es angesichts der Vielfalt der eingereichten Drehbücher gar nicht geben. Die Regisseurinnen nutzten den Spielraum, den die Redaktion ihnen für die ersten drei Filme bot, auf ganz individuelle Weise. An die Quote dachte niemand. Heldendramaturgie kam selten vor, meint Sibylle Hubatschek-Rahn: Sibylle Hubatschek-Rahn Es waren Geflechte, Beziehungsgeflechte und man erzählte in die Breite. Und das war Atmosphäre und Farben und Blumen, also dass die Sachen, für die sich Frauen damals interessierten, eben mehr, ja, Gefühl waren. Ich hab dann beobachtet, wenn Frauen erzählten und Männer erzählten, die Männer immer zu den Frauen sagten: Mensch, komm doch endlich zum Punkt! Hat sich übrigens relativ stark geändert. Die Mädels machen in der Dramaturgie meist heute dasselbe wir die Jungs. Musik Die Nomadin vom See Autorin Ein Film, der nur mithilfe des Kleinen Fernsehspiels produziert werden konnte, ist Ulrike Ottingers Madame X, ein surrealistisches Märchen über eine Piratenkönigin auf dem Bodensee. Phantastisches Kunstkino entstand parallel zu gesellschaftskritischen Filmen oder persönlich getöntem Erzählkino. Margarethe von Trotta Das war ein Moment, wo wir dachten, die Welt bekommt eine andere Farbe und der Himmel gehört uns, oder jedenfalls der halbe Himmel. Das war in dem Moment, 1978, als der Film von Helke Sander "Redupers" und mein Film "Das zweite Erwachen der Christa Klages" auf der Berlinale gezeigt wurden. Da auf einmal, das war das Ereignis und alle sprachen davon, dass die Frauen Filme machen können. Wir hatten so das Gefühl, jetzt hat sich da eine Pforte geöffnet und da kommen ganz viele andere Frauen dazu, die da in diesen Raum rein können. Wir waren da sehr so beflügelt und das hat dann zwei, drei Jahre gedauert, und dann hat man gesagt: So, jetzt haben wir genug für euch getan, jetzt sind wir mal wieder dran, seid mal wieder still. Nina Grosse Die Vermischung von Literatur, Musik und Schauspiel, und Ton und dieses Ausstatten, Räume kreieren fand ich ganz großartig. Autorin Nina Grosse begann erst im Abflauen der großen Zeit des Neuen deutschen Films mit dem Studium an der Filmhochschule in München. Ihre Filmografie umfasst rund zwanzig Kino- und Fernsehfilme, darunter auch Tatort-Filme. In diesem Jahr fand sie mit der Bernhard Schlink-Adaption Das Wochenende, der Geschichte um einen aus der Haft entlassenen RAF-Terroristen, im Kino große Beachtung. Wenn Nina Grosse über ihren Beruf spricht, zitiert sie ihren Kameramann Benedict Neuenfels: Kinobilder, sagt er, könnten atmen, anders als Fernsehbilder. Anders ausgedrückt: Das Kino bezieht die Sphäre außerhalb seines Bildausschnitts ein, erweckt sie sozusagen zum Leben. Nina Grosse Motive besetzen, Räume erzählen, Menschen in diese Räume setzen. Menschen sprechen dann Sachen in diesen Räumen - wirklich das Erfinden einer komplett zweiten Welt, das fand ich ganz großartig. Autorin Auch Nina Grosse war vom französischen Kino fasziniert. Ihr Debütfilm Der gläserne Himmel, ein Thriller nach einer Kurzgeschichte von Julio Cortázar, versetzte einen Mann in einer der legendären Pariser Passagen wie durch eine Zeitmaschine in eine andere Existenz. Anders als die meisten in Berlin arbeitenden Filmemacherinnen der Aufbruchsgeneration empfand die Anfängerin die Regisseure des Neuen Deutschen Films als Überväter. Nina Grosse Wir hatten sehr großen Respekt vor diesen Männern. Dieser Elan dieser Nachkriegsfilmer-Generation, die ja das Erzählen für sich nochmal neu erfunden haben und die aber auch aus diesen Nachkriegsjahren mit einer großen Vitalität da reingegangen sind! Wir waren ja schon die Baby-Boomer, waren ja schon diese satte Generation, wir hatten so ein bisschen Schiss, wir haben nichts zu sagen - was irgendwie ja auch gestimmt hat über eine lange Zeit. Ich weiß, dass wir uns gelähmt gefühlt haben. Wir haben uns selber mehr in Frage gestellt als dass wir von außen in Frage gestellt wurden. Autorin Nina Grosses Jahrgang war eine Sensation: fünf Frauen, ein Drittel des Kurses. Ab da pendelte sich die Zahl der Studentinnen mit gewissen Schwankungen bei etwa 40 Prozent ein. Diese ungefähre Ziffer gilt inzwischen für die meisten Filmhochschulen in Deutschland. Eine vergleichende Statistik zum Anteil der weiblichen und männlichen Studierenden gibt es nicht. In München setzte Doris Dörrie in den achtziger Jahren mit ihrem Debütfilm Männer neue Maßstäbe. Filmausschnitt Männer Steig auf den Stuhl! Och.. So ist der Test, also steig auf den Stuhl! Autorin Heiner Lauterbach bringt Uwe Ochsenknecht bei, was einen Manager auszeichnet. Filmausschnitt Männer Ist das doof. Und jetzt? Ein Manager setzt sich keinen Papierhut auf und steigt auch nicht auf den Stuhl, wenn man's ihm sagt. Test nicht bestanden. Autorin Die Beziehungskomödie spielte mit männlichen Rollenbildern und zielte auf großes Unterhaltungskino. Erfolgreiche Regisseurinnen wie Vivian Naefe, Sherry Hormann, Caroline Link und andere begannen ihre Karrieren in dieser Generation. Feministisches Selbstverständnis wurde eher als hinderlich angesehen, eine Auseinandersetzung fand nicht statt. Nina Grosse resümiert die Nachwirkungen: Nina Grosse Uns Frauen habe ich als sehr disparat wahrgenommen, da gab's keine Clique, das waren Einzelkämpferinnen. Es war nicht so, dass wir Frauen von Anfang an gesagt hätten, wir müssen uns zusammenschließen. Wir waren nicht darauf bedacht, dass wir uns vernetzen müssen. Lustigerweise ist die ganze Frauenproblematik erst gekommen, als wir älter wurden. Als wir jung waren, durften wir so mitspielen. Ich fand, dass wir nochmal speziell drauf gucken, wie wir eigentlich arbeiten und wie wir uns absetzen und wo wir auch ausgegrenzt werden, das kam wirklich, als wir keine jungen Hasen mehr waren, interessanterweise. Autorin Auch die 1976 geborene Regisseurin und Produzentin Maren Ade reagierte bei ihrem Studienbeginn an der Münchener Filmhochschule allergisch auf das widersprüchliche Erbe der Aufbruchsgeneration. Maren Ade Ich war schon in einem Jahrgang, in dem Männer und Frauen schon 50/50 verteilt waren (vielleicht war es bei den Regiestudenten nicht ganz). Ich habe angefangen, Produktion zu studieren und da war's auf jeden Fall so. Irgendwie habe ich dann doch gemerkt, wenn du da raus gehst aus diesem Kosmos und auch vielleicht ein bisschen höher kletterst auf der Karriereleiter, da merkst du, dass es doch irgendwie doch so ein Thema ist, was wieder zurückkommt. Autorin Maren Ade studierte um die Jahrtausendwende in München zunächst Filmproduktion und wechselte dann ins Regiefach. Seither betreibt sie mit ihrer Studienkollegin Janine Jackowski in Berlin auch die Produktionsfirma Komplizenfilm, in der ihr Team auch die Filme anderer Regisseure, zum Beispiel Schlafkrankheit von Maren Ades Lebenspartner Ulrich Köhler entwickelte und produzierte. So gehört sie zu einer neuen Generation Filmemacher, die für die immer komplizierter werdende Finanzierung eigener und fremder Projekte in ein Risiko gehen. Komplizenfilm produziert erklärtermaßen Kinofilme, bei denen die Einspruchsmöglichkeiten der koproduzierenden Fernsehanstalten gering sind. Maren Ade Ich merke, dass ich automatisch Ausschau halte nach anderen Frauen in meiner Branche, dass ichmerke, ok, die macht auch was. Also bei uns in der firma, ich hab ja die Firma auch zusammen mit einer Frau von der Filmhochschule - ganz automatisch haben sich relativ viele Regiseurinnen angehäuft. Das ist etwas, wo ich merke, dass ich mich so in diese Richtung orientiere und dann doch, auch wenn ich das nicht so große benennen würde, merke, dass ich wichtig finde, dass man da zusammenhält, sich irgendwie stärkt. Autorin Maren Ade wurde mit ihrem Abschlussfilm Der Wald vor lauter Bäumen, einer Tragikomödie über eine überforderte Lehrerin, auf einen Schlag bekannt. Bei der Berlinale 2009 erhielt sie für ihren zweiten Film Alle anderen zwei Silberne Bären. Das Paar, das sich da im Beziehungskampf verhakt, durchkreuzt die Klischees gängiger Machtspiele. Maren Ade Also ich kann jetzt nur von mir ausgehen und von den Regisseurinnen die ich kenne, wo ich das Gefühl habe, es zieht einen schon mehr in so Sachen, wo es mehr so ums Detail geht, um Beziehungen. Das ist ja auch eine Stärke, vielleicht erzählerisch, auch von Frauen. Autorin Die Schauspielerin Julia Jentsch, die nach ihrer Babypause in der Jury des Frauenfilmfestivals in Köln mitarbeitete, tat sich im Interview ähnlich schwer, charakteristische Dringlichkeiten in den äußerst vielfältigen Filmen von Frauen festzustellen. Julia Jentsch In den meisten Filmen spielten Frauen die Hauptrolle. Vielleicht ein gemeinsames Interesse, sich als Frau mit Frauen zu beschäftigen, da verschiedene Lebensentwürfe genauer zu untersuchen. Aber es gab keinen provokanten Film, der ein Thema vorgebracht hat, wo man denkt, das muss jetzt mal auf den Tisch gebracht werden. Autorin Es zeigt sich paradox, dass junge Filmemacherinnen wie Maren Ade sich in einem Autorenkino wohlfühlen, in dem sich der männliche und weibliche Blick tendenziell angleichen. Die Selbstverwirklichung - einst ein kämpferisches Thema für Feministinnen - scheint in ihrem Film Alle anderen eine Last geworden zu sein. Birgit Minichmair versucht ihren Partner aus dem Schneckenhaus zu locken. Filmausschnitt Alle anderen Ich glaub ja, du musst mal was riskieren. Ich mein, du bist so ängstlich. Du hast so ,ne Angst, dich mit irgendwas festzulegen. Ich mein, das ist vielleicht kompromisslos, aber auch vielleicht ein bisschen nicht so ganz mutig. Ich mein nicht nur die Arbeit, ich mein eher so das Ganze, das ist bei allem so, das merkst du gar nicht. Autorin Viele Absolventinnen der Filmhochschulen brechen die jahrelange Suche nach Filmfinanzierungen und die frustrierende Serie immer neuer Überarbeitungen ihrer Drehbücher ab. Wohin sie ausweichen, ist bislang kaum erforscht. Eine Reihe von Institutionen wie das Frauenfilmfestival Dortmund/Köln, das Schwedische Filminstitut oder das Sundance Institute in den USA haben die Frage auf die Tagesordnung gesetzt. Liegt es wirklich nur an den persönlichen Entscheidungen der jungen Filmemacherinnen, sich die Quälerei der Projektentwicklung nicht anzutun? Bringt die Überproduktion der Talente durch zu viele Filmhochschulen einen Kannibalismus zustande, in dem Frauen möglicherweise schneller unterliegen? Ein Fakt ist interessant: Nahezu fünfzig Prozent aller Leitungsfunktionen in der Filmförderung sind heute von Frauen besetzt und auch die Zahl der Fernsehredakteurinnen hat sich deutlich erhöht. Dennoch tauchen viele der alten Probleme filmschaffender Frauen heute wieder auf. Bislang fehlt es an Netzwerken und Lobbys, die sie deutlich hörbar auf ihre Agenda setzen. 1