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Sprecherin: Erzbischof Joachim Kardinal Meisner im November 2009 CD: Bono Halleluja Sprecher 1: Nach dem politisch aggressiven Atheismus des Nationalsozialismus und des Kommunismus, die beide zusammengebrochen sind, gibt es heute eine neue aggressive Gottlosigkeit, die sich nur zum Schein auf die Wissenschaft beruft. CD: Bono Halleluja Sprecherin: Bischof Gerhard Ludwig Müller im Mai 2008 Sprecher 1: Nun aber feiert dieser so genannte wissenschaftliche Atheismus fröhliche Auferstehung. Sprecherin: Erzbischof Joachim Kardinal Meisner CD: Halleluja (aus Adolf Gondrell: Ein Münchner im Himmel) Sp. v. Dienst: Moral ohne Gott. CD: Luja. Sp. v. Dienst: Ein atheistisches Wort zum Montag CD: Luja. Sp. v. Dienst: Ein Feature von Thomas Klug CD: Halleluja Effekt Sprecherin: Prolog Effekt Sprecher 2: Die Katholiken sitzen vor ihrer Hütte. Ein Heide geht vorbei und pfeift sich eins. Die Katholiken tuscheln: 'Der wird sich schön wundern, wenn er stirbt!' Sie klopfen sich auf den Bauch ihrer Frömmigkeit, denn sie haben einen Fahrschein, der Heide aber hat keinen, und er weiß es nicht einmal. Wie hochmütig kann Demut sein! Sprecherin: Kurt Tucholsky, Journalist und Schriftsteller Effekt: Autor: Die Katastrophe brach herein, plötzlich, unerwartet, brutal. Ein Naturereignis, tragisch genug, unmenschlich in seinen Folgen. Der Mensch beherrscht die Natur eben nicht, auch wenn er davon träumen mag. In all diesem Elend, findet sich aber immer jemand, der sich nicht scheut, lauthals zu verkünden, die verheerende Naturkatastrophe sei ein Fingerzeig Gottes, weil die Menschen gesündigt hätten. So war es nach dem Wirbelsturm Katrina, so war es nach dem Erdbeben in Haiti. So ist es immer, wenn irgendetwas Schlimmes passiert. CD: Bono Halleluja Autor: Schuld seien die Menschen. Sie hätten die Strafe Gottes herausgefordert. In New Orleans seien es die Abtreibungskliniken und die Homosexuellen gewesen und in Haiti der Voodoo-Zauber. Der US-Fernsehprediger Pat Robertson hat das gesagt. Er war auch Berater von Präsident Bush. Und der Österreicher Gerhard Maria Wagner hat das verkündet, der sogar Weihbischof werden sollte, es dann aber doch nicht wurde. Nicht, weil so eine Gestalt nicht zum Vatikan passt, nein. Die öffentliche Empörung war wohl einmal zu groß. Wagner glaubte ja auch, einen Zusammenhang zwischen Harry Potter und Satanismus ausgemacht zu haben. Effekt Autor: Wenn Kirchen einstürzen, kommt niemand auf die Idee, zu sagen: Gott sei eben unzufrieden mit seinem irdischen Personal. Vielleicht, weil die normalen Menschen einen Sinn dafür haben, dass man Opfern von Naturkatastrophen Mitgefühl entgegenbringt, anstatt sie zu verhöhnen. Effekt Collage Zitate vom Anfang, leicht verfremdet Autor: Ein Grollen zieht durchs Land. Der Feind ist entlarvt. Ja, es gibt ihn, den, der alles zu verantworten hat, er, der Schuld trägt am Elend dieser Welt. Die Prediger des Landes werden nicht müde, diesen Feind zu benennen. Sie kennen kein Zagen, kein Zögern, sie, die alten Männer auf den Kanzeln. Sie erheben ihre zitternden Zeigefinger, um sich wehrhaft dem Feind zu stellen. Der Feind hat einen Namen, er heißt Atheismus. Der Feind glaubt nicht an Übernatürliches, glaubt nicht an Schöpfer und Dreifaltigkeit. Er glaubt nicht an Himmel und Hölle. Das bringt die alten Männer zur Raserei. Sprecher 2: Stell dir vor es gibt kein Himmelreich, es ist leicht es zu versuchen, keine Hölle unter uns, über uns nur Himmel. Sprecherin: John Lennon, Imagine. Effekt Sprecherin: Kapitel 1: Was ist Atheismus? Sprecher 2: Der Atheismus ist ein Zeichen, dass man die Religion ernst nimmt. Sprecherin: Karl Popper, Philosoph Effekt: Sprecherin: Michael Schmidt- Salomon, Philosoph und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno- Stiftung: Take 1 Schmidt-Salomon Atheismus ist ein schrecklich unpräziser Begriff. Er ist unpräzise deshalb, weil man ja nur etwas nur mit guten Gründen leugnen kann, was einigermaßen klar definiert ist. Das ist im Fall des Begriffs Gott nun ganz bestimmt nicht der Fall. Sprecherin: Paul Nolte, Historiker und Präsident der Evangelischen Akademie zu Berlin Take 2 Nolte Man könnte sich zwei Definitionen vorstellen: Eine Definition ist die wörtliche Übersetzung, die Abwesenheit von Gott oder des Glaubens an Gott. Man könnte auch ganz einfach Gottlosigkeit sagen und in heutiger Sprache mit Religionsdiffusität oder Religionsignoranz übersetzen. In dem Sinne wäre Atheismus das Nichts-wissen-wollen von Gott oder von Religion. Das ist mir egal, damit kann ich nichts anfangen. Das ist ja glaube ich die größere, die weiter verbreitete Haltung. Klavier: ab hier Melodie Imagine im Hintergrund Take 3 Schmidt-Salomon ' Es gibt Menschen, die verstehen unter Gott nur die Liebe oder die Gesamtheit des Universums. In Bezug auf solche Gottesvorstellungen bin ich auch kein Atheist, denn ich bezweifle nicht, dass die Liebe existiert und dass das Universum existiert. Es gibt andere Menschen, die sagen, Gott ist das Unvorstellbare. Auch das würde ich nicht leugnen, denn ich mache keine Aussagen über Dinge, die unvorstellbar sind. Was ich leugne sind die vorgestellten Götter, die es in der Geschichte gab und die es heute noch gibt, also die Vorstellungen von Gott, denn die Eigenschaften, die diesen göttlichen Wesen zugesprochen werden, stehen glücklicherweise nicht im Einklang mit dem, was wir über die Welt wissen. Take 4 Nolte In einem engeren Sinne ist Atheismus aber auch Anti-Theismus, so müsste man das auch gerade im deutschen Kontext historisch definieren. Das ist eine bewusste Anti-Haltung gegen die Religion, die auch so auftritt, sich so organisiert, so an die Öffentlichkeit tritt, also eine religionskritische Bewegung, die ihre Ursprünge, soweit sie unmittelbar in die Jetztzeit verweisen, vor allem im 19. Jahrhundert hat. Take 5 Schmidt-Salomon Man muss diesen Begriff Atheismus nicht benutzen, ich benutze ihn nie. Ich bezeichne mich als Humanist, darauf können sich sehr viele Menschen einigen. Effekt: Sprecherin: Kapitel 2: Der Atheismus in der Gesellschaft Sprecher 2: Ein Hauch von Zweifel schon macht den Glauben zum Unsinn, ja hebt ihn gewissermaßen auf, während gelegentliche Anfälle von Gläubigkeit dem Zweifel im Wesentlichen kaum etwas anhaben können, ja ihn eigentlich erst recht zu bestätigen scheinen. Sprecherin: Arthur Schnitzler, Schriftsteller und Arzt Effekt: Autor: Die Wissenschaft hat der Religion einiges abgetrotzt. Die Sonne drehe sich um die Erde. Die Erde sei eine Scheibe und überhaupt sei sie der Mittelpunkt des Universums. Der Vatikan gab sich über Jahrhunderte beratungsresistent und wissenschaftsfeindlich. Das hat Tradition bis heute. Nur werden die Widersprüche zur Wirklichkeit immer offensichtlicher. Da Religionen mit ihren Dogmen kaum wandelbar sind, wandeln sich die Menschen. Take 6 Nolte Das sind Umstände des späten 19. Jahrhunderts gewesen, in einer Zeit, in der der Glaube an die Naturwissenschaft sehr stark war, in der die darwinsche Evolutionslehre in popularisierten Formen gerade auch in der Arbeiterbewegung, in der Sozialdemokratie eine Rolle spielte... Autor: Der Historiker Paul Nolte Take 7 Nolte Fortsetzung ...und sich daraus auch ein bestimmtes Milieu bildete, das man dann freireligiöse oder freigeistige Bewegung nannte. Daraus sind ja auch die atheistischen Bewegungen heute, wie der Humanistische Verband, auch daraus hervorgegangen. Also ein bestimmter historischer Ort, und man muss auch als Kirche, als etablierte Kirchen in Deutschland auch selbstkritisch einräumen, dass das auch eine Reaktion auf Defizite, auf Versäumnisse der Kirchen damals war, die sich z.B. In der sozialen Frage den Arbeitern nicht weit genug geöffnet haben, so dass dort das Bewusstsein, der Bedarf entstand, sich von der Religion und den Kirchen loszusagen und den Atheismus - das ist ja auffällig - den Atheismus wieder als so eine Art Gegenreligion zu entwerfen, denn warum, um Himmels Willen, man kann ja auf Gott und Religion verzichten, aber warum macht man dann alles in strikter Parallelität und entwirft ein Konfirmationsritual und ein Eheschließungsritual und verschiedene andere Überzeugungen, die eigentlich klassisch religionsparallel sind. Da zeigt sich schon, dass man sich davon absetzen wollte, dass der Atheismus aber das Bedürfnis der Menschen nach Religion auch nicht leugnen kann, sondern im Gegenteil auch in sich aufgenommen hat. Autor: Man kann es sich leicht machen: Die einen glauben an einen Gott. Die anderen eben nicht. Doch ist Atheismus wirklich nicht mehr, als ein Nichtglauben an eine Gottheit? Die Entscheidung des Menschen, an einen Gott zu glauben oder nicht, setzt Grenzen für die Erkenntnis. Vielleicht gibt es diese Grenzen. Vielleicht kann der Mensch nicht alles verstehen. Aber ist es deshalb nötig, diese Grenzen künstlich zu setzen, durch Dogmen, durch Denkverbote? Take 8 Schmidt-Salomon Ein Naturalist geht davon aus, dass es in der Welt mit rechten Dingen zugeht, dass keine Götter, Kobolde, Dämonen usw. in die Naturgesetze eingreifen. Das ist etwas, was immer mehr Menschen als Bestandteil ihrer Weltanschauung betrachten, dass sie davon ausgehen, dass es hier auf dieser Erde und im gesamten Kosmos mit rechten Dingen zugeht und dass uns die Wissenschaften viel mehr verraten können über die Welt, als religiöse Heilsysteme oder religiöse Institutionen. Autor: Aber da ist manchmal eine Sehnsucht. Vielleicht in Krisensituationen, vielleicht wenn man sich mit der eigenen Endlichkeit nicht abfinden will, vielleicht, weil Fragen auf einem einstürmen, für die es keine befriedigenden Antworten gibt. Die Welt wird komplexer. Die Fragen schwerer. Und der Wunsch, Antworten im Übernatürlichen zu finden flackert auf. Vielleicht eine verständliche Sehnsucht. Verständlich und unerfüllbar. Take 9 Nolte Ich würde ja sogar behaupten, dass diese Sehnsucht, dieser Bedarf sogar zugenommen auch wieder hat, aber einigen wir uns mal darauf, da ist fundamental gar nichts verloren gegangen, wenn wir uns anschauen, dass nicht nur in der katholischen Kirche, wo auch dieser moralische Imperativ der katholischen Soziallehre auch ungebrochener auftritt und auch durch die päpstliche Rolle, Stichwort päpstliche Dogmen und eben auch durch Sozialenzykliken getragen wird, sondern jetzt wieder sehr stark in der protestantischen Kirche in Deutschland, wo mit Wolfgang Huber oder zuletzt eben, auch wenn das nur kurz aufblitzen konnte, mit Margot Käßmann ganz deutlich wurde, wie sehr die Menschen sich nach einer moralischen Botschaft sehnen, die nicht von irgendeinem weltlichen Heilsprediger kommt oder von irgendwelchen Ratgeberautoren kommt. Effekt: Sprecherin: Kapitel 3: Moral Sprecher 2: Die Tatsache, dass ein gläubiger Mensch glücklicher ist, als ein Skeptiker, trägt zur Sache nicht mehr bei als die Tatsache, dass ein betrunkener Mensch glücklicher ist, als ein nüchterner. Sprecherin: George Bernhard Shaw Effekt: Autor: Was ist Moral? Wer legt sie fest? Wonach sollen wir handeln? Die Herausforderungen an das Leben werden größer, die Fragen komplexer. Du sollst nicht dieses und nicht jenes tun - weil es so in der Bibel stünde, sagen die Kirchen. In der Bibel steht auch, dass man ungehorsame Söhne, Zauberinnen, Homosexuelle, Gottlose töten solle. Die Bibel kann also keine moralische Instanz sein. Darf man einen Menschen klonen - vielleicht um ein anderes Leben zu retten, darf ein Fötus abgetrieben werden. Ist Sterbehilfe zulässig, um das Leiden eines Menschen zu verkürzen? Wie sollen wir mit Menschenaffen umgehen, die dem Menschen doch am nächsten sind. Und: Was ist der Sinn des Lebens? Take 10 Schmidt-Salomon Wir Menschen sind empathisch. Das ist die Grundlage aller Ethik. Auf dieser Basis hat es immer schon ethische, auch philosophische Konzepte gegeben, die darauf hinausliefen, das man die Interessen anderer berücksichtigen muss. Sehr häufig wurde das dann begrenzt auf eine spezifische Gruppe, also die Gruppe derer, die die gleichen Glaubensaussagen teilen, die in einer bestimmten Region mit mir zusammen aufgewachsen sind usw. Aber es gab auch schon immer Weltbürger, es gab schon immer diese Dissidenten, die gesagt haben, nein, ich lasse mich nicht vereinnahmen von der Gruppe, in die ich zufällig hineingeboren wurde, sondern ich weiß, dass eben auch ein Mensch aus einem anderen Kulturkreis ein Mensch ist, der leiden wird, der Schmerzen empfindet, der Freude empfindet, der Bedürfnisse hat, der Hoffnungen hat. Die Position hat es schon immer gegeben und sie ist schon biologisch in uns angelegt. Genauso wie leider auch die Xenophobie in uns angelegt ist, dass wir eben meinen, wir müssten mit Fremden anders umgehen, als wir mit denen umgehen, die in unserer Nähe sich befinden. Das hat schon Nietzsche kritisiert an dem Konzept der Nächstenliebe, das eben der Nächstenliebe die Fernstenliebe fehlt. Wir müssen eben auch ethische Konzepte entwickeln für diejenigen, die wir nicht direkt lieben können. Das ist möglich. Autor: Es gibt Fragen, ohne einfache Antworten. Es gibt Alternativen, von denen keine richtig ist. Es gibt Entscheidungen, die nur falsch sein können. Wie oft ist man froh, derartige Entscheidungen nicht treffen zu müssen. Wir suchen Orientierung. Vielleicht sehnen wir uns nach einer Welt, in der Gut und Böse klar getrennt sind. Eine Welt, die übersichtlich ist. Vielleicht wollen wir selbst gut sein. Man wünscht es sich und liest und hört doch täglich von den bösen Menschen, von jenen, die Unrecht begehen. Aber die Unterscheidung zwischen guten und bösen Menschen, zwischen Gut und Böse schlechthin, hilft nicht weiter. Kein Mensch ist nur gut, keiner ist nur Böse. Es mag ein frommer Wunsch sein, Menschen derart sortieren zu wollen. Die Wirklichkeit ist komplexer. Aber wer hilft bei den schweren Fragen? Vielleicht kann es die Religion sein, weil es da genügt, komplexen Fragen mit Glauben zu begegnen. Aber mit Religion allein begnügen sich nicht einmal Gläubigen, von einigen fundamentalistischen Ausnahmen abgesehen. Take 11 Nolte Ja, Wissenschaft gehört auch dazu, ohne Wissenschaft geht es nicht. Wir haben auch Expertenkommissionen, Sachverständigengremien, einen nationalen Ethikrat, dem selbstverständlich und grundlegend auch Mediziner, Biowissenschaftler und Hirnforscher angehören, die aus ihrer Sicht die Grenzen von Tod und Leben bestimmen können. Sprecherin: Paul Nolte, Historiker. Take 12 Nolte (Fortsetzung) Aber unsere Erfahrung ist insofern eine nachwissenschaftliche, nicht in dem Sinne, das sie die Erkenntnis der Wissenschaft leugnet, sondern dass wir inzwischen gelernt haben, dass sich aus den Erkenntnissen der Naturwissenschaft nicht unmittelbar ethische Entscheidungen ablesen und ableiten lassen, auch nicht politische Entscheidungen unmittelbar ableiten lassen. Das war ja überhaupt eine Hoffnung der Vernaturwissenschaftlichung und insofern dieser naiven Überwindung von Religion und Glaubensüberzeugung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, dass wir irgendwann in der modernen Gesellschaft von Experten regiert werden könnten. Die wüssten es dann und ein Naturwissenschaftler könnte dann genau sagen, wie sich dieses oder jenes am besten zu verhalten hat. So ist es nicht. Wir brauchen das, aber wir brauchen auch andere Standpunkte. Religion bietet einen Reflexionshorizont und auch eine Sprache, um solche Probleme, die auf schwierige Abwägungen, auf Letztbegründungen zielen, bei denen man mit Luther gesprochen nur noch sagen kann: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Ich muss diesen Konflikt aushalten. Und da hilft mir die Wissenschaft nicht mehr weiter. Da bietet Religion einen Reflexionshorizont, um das zu bearbeiten. Und so haben wir das in vielen Fällen ja in den Ethikdebatten ja gesehen, als das Rednerpult des Bundestages sich in ein, ja, theologisches Katheder verwandelte. Autor: Problematisch wird es, wenn Entscheidungen verordnet werden, wenn mittels Geschichten aus einem alten Buch über Menschen von heute entschieden werden soll. Take 13 Schmidt-Salomon Ich denke schon, dass wir Geschichten brauchen, dass wir uns als sinnsuchende Wesen in diesem Kosmos verorten und dass wir auch gewissermaßen unsere Geschichte brauchen, um uns selbst zu verstehen. Sprecherin: Michael Schmidt-Salomon, Philosoph und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung: Take 14 Schmidt-Salomon (Fortsetzung) Nun ist es aber nicht so, dass die Werte, die uns heute besonders wichtig sind, die Menschenrechte, die Demokratie, die Selbstbestimmungsrechte des Individuums, dass das gewissermaßen Produkte der religiösen Tradition sind. All diese Rechte mussten gegen die Religion erkämpft werden, gegen die Herrschaftsansprüche der Religion, die in eine ganz andere Richtung gingen. Die Demokratie ist erfunden worden, lange bevor es das Christentum gab. Als das Christentum als Staatsideologie diente, wurde die Demokratie abgeschafft. Die Selbstbestimmungsrechte wurden erkämpft im Wesentlichen wie die ganzen Menschenrechte von religionsfernen Menschen. Deswegen ist es sehr, sehr heuchlerisch, auch eine Form der Geschichtsverfälschung, wenn heute Vertreter der Kirchen sich hinstellen und sagen, gewissermaßen die Menschenrechte sind aus der religiösen, aus der christlichen Tradition erwachsen. Sie sind es nicht, sie sind erkämpft worden gegen diese religiöse Tradition. Als darüber beraten wurde, wie diese Verfassung, das Grundgesetz aussehen soll, da haben sich die Kirchen, insbesondere die katholische Kirche, noch stark geweigert, dass die Gleichberechtigung von Mann und Frau in die Verfassung kommt. Heute tun sie so, als hätten sie selbst die Frauenrechte erkämpft. Das Gleiche gilt auch für die soziale Frage. Die soziale Frage der sozialen Gerechtigkeit war kein Thema der Kirchen gewesen, die sich mit dem Thron immer verbündet hat und mit den Großgrundbesitzern. Sie wurden erkämpft von Sozialisten, die man heute nicht mehr so sehr mag, aber die doch wesentlich dazu beigetragen haben, dass wir heute in einer Gesellschaft leben, in der natürlich immer noch Ungerechtigkeiten auftreten, aber nicht mehr in dem markanten Ausmaß wie noch im 19. Jahrhundert. Autor: Was ist gut, was ist schlecht? Was dürfen wir? Was sollten wir unterlassen? Was ist richtig, was ist falsch? Wir hoffen auf Antworten. Nur: Es gibt Fragen ohne Antworten. Der Mensch ist einfach auf sich selbst angewiesen. Das mag für manche erschreckend sein. Take 15 Schmidt-Salomon Wir werden nicht durch die religiösen Schriften menschlich, freundlich, human, kreativ, sondern wir sind es als Menschen. Manche Menschen brauchen dann vielleicht auch noch irgendeine religiöse Begründung, die finden sie dann in Teilen in ihren heiligen Schriften, müssen dann aber sehr, sehr viel überlesen. Aber wenn Sie sich anschauen, wie sich jetzt die evangelische Kirche zu Selbstbestimmungsrechten von homosexuellen Menschen äußern: Ganz plötzlich ist das alles in Ordnung, in früheren Zeiten war das nicht in Ordnung. In früheren Zeiten haben sie es begründet mit den homophoben Aussagen, die in der Bibel zu finden sind. Jetzt geht das ja nicht mehr, aber sie müssen trotzdem eine Begründung in ihrer Bibel finden. Da haben sie glücklicherweise das Hohelied Salomon gefunden, in dem zwar nicht über die schwule Liebe geschrieben wird, aber über die Liebe insgesamt und sagen: Ja, wir brauchen einfach als Christen, die das Wort Gottes ernst nehmen ein freieres Verhältnis zur Sexualität. Vielen Menschen wird nicht klar, das sie diese ethischen Positionen, die sie entwickelt haben, auf einer ganz säkularen Art und Weise entwickelt haben und das sie gewissermaßen nur noch das, was sie ohnehin schon denken, in die religiösen Schriften hineininterpretieren, obwohl in diesen Schriften in der Regel etwas ganz anderes steht. Autor: Auch wenn Religionen sehr unterschiedlich auftreten, haben einige von ihnen doch sehr ähnliche, rigide Moralvorstellungen, die mit den Menschenrechten von heute eben überhaupt nicht vereinbar sind. Religionen sind also denkbar ungeeignet, um verbindliche Werte zu formulieren, wie auch vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen deutlich wurde. Take 16 Schmidt-Salomon Ein humanistischer Historiker wollte über diese Menschenrechtsverletzungen in islamischen Gesellschaften sprechen: Die Steinigung von Frauen, die Hinrichtungen von homosexuellen Jugendlichen usw. Und er wurde schon in den ersten Minuten unterbrochen, weil das Diffamierung von Religion sei und das hätte vor dem Menschenrechtsrat nichts verloren. Und das dürfen wir natürlich nicht zulassen. Wir dürfen das nicht zulassen, dass die Religionen sich derartig gegen Kritik immunisieren können und dann sogar den Menschenrechtsrat benutzen, um zu verhindern, dass über Menschenrechtsverletzungen gesprochen wird. Das ist eine große Gefahr. Dagegen muss man sich wehren. Effekt: Sprecherin: Kapitel 4: Das Feindbild Atheismus Sprecher 2: Auf welcher Gesetzestafel steht: Die heiligen Gefühle der Theisten müssen respektiert werden, die heiligen Gefühle der Atheisten aber nicht? Sprecherin: Ludwig Marcuse, Philosoph Autor: Es gibt Kinderbibeln zuhauf. Niemand scheint sich daran zu stören, dass schon Kindern religiöse Mythen als Wahrheit verkauft werden, die sich mit ihren späteren Lebenserfahrungen nicht verbinden lassen. Ihnen wird von Wiederauferstehung und von unbefleckter Empfängnis erzählt. Und ihnen wird Angst gemacht. Ein Kinderbuch von Michael Schmidt-Salomon nimmt sich kritisch der drei großen monotheistischen Religionen an: "Wo bitte geht's zu Gott?, fragte das kleine Ferkel". Der Aufschrei war groß und das noch von Ursula von der Leyen geführte Familienministerium wollte das Kinderbuch als jugendgefährdende Schrift auf den Index setzen lassen. Bischof Gerhard Ludwig Müller verwirrte sich gar in eine Phantasie, in der es einen Zusammenhang zwischen Atheismus und Kindstötung gibt. Der Antrag des Familienministeriums, das sich sehr parteiisch auf die Seite der Religion gestellt hatte, wurde abgelehnt. Für Paul Nolte, den Präsidenten der Evangelischen Akademie zu Berlin ist klar: Take 17 Nolte Man benötigt keine Religion, um moralisch handeln zu können. Autor: Erzkonservative Kirchenvertreter sehen das anders. Sehr anders: Sprecher 1: Die Nichtglaubenden essen die Früchte von dem Baum, den sie vorher mit Begeisterung gefällt haben. Autor: Glaubt Bischof Gerhard Ludwig Müller predigen zu müssen. Und: Sprecher 1: Es gibt keine atheistisch begründete Ethik. Autor: Und Bischof Walter Mixa verkündet: Sprecher 1: Wo Gott geleugnet oder bekämpft wird, da wird bald auch der Mensch und seine Würde geleugnet und missachtet. Eine Gesellschaft ohne Gott ist die Hölle auf Erden. Autor: Und Atheisten werden in die Nähe von Nationalsozialisten gerückt - ausgerechnet von hochrangigen Vertretern der katholischen Kirche. Und so stehen die alten Männer auf den Kanzeln. Sie strafen ab, was ihnen unheimlich ist. Sie urteilen über angebliches Gut und angebliches Böse, sie diffamieren und verurteilen - voller Selbstgerechtigkeit. Sie predigen Scham und sind schon in ihren Worten schamlos und dreist. Sie wüten, als wären die Kirchen ein Hort der Moral. Sie ziehen gegen die so genannten "Ungläubigen" zu Felde, weil sie glauben, dass sich wegen ihnen die Kirchen leeren. Bezahlt übrigens wird dergleichen von Steuergeldern. Im Jahr 2000 zahlte das Land Bayern den sieben bayerischen Bischöfen und Erzbischöfen der katholischen Kirche 655 000 Euro - aus Steuergeldern, die natürlich auch von nicht religiösen Steuerzahlern aufgebracht werden. Das ist nicht nur in Bayern so. Nicht einmal den Weihrauch, den die katholischen Kirchen verbreiten, zahlen sie allein. Und: Sie genießen als Arbeitgeber Privilegien, von denen die freie Wirtschaft nur träumen kann: Betriebsräte sind nicht erlaubt, nur Mitarbeitervertretungen mit eingeschränkten Rechten. Kündigungen können ausgesprochen werden, wenn ein Arbeitnehmer ein uneheliches Kind hat oder in einer Lebensgemeinschaft lebt, statt in einer Ehe. Realität in Deutschland im Jahre 2010. Take 18 Schmidt-Salomon Das ist etwas, was auf der politischen und medialen Ebene nicht sonderlich stark transportiert wird. Was aber im Alltagsleben vieler Menschen doch Bedeutung hat, wenn sie dann anecken, wenn sie als konfessionsloser Pädagoge beim Arbeitsamt sind und der freundliche Berater vom Arbeitsamt sagt Ihnen: Treten Sie doch in eine Kirche ein, damit Sie eine Stelle bekommen. Effekt: Sprecherin: Epilog Sprecher 2: Die Behauptung, das Christentum habe einen erhebenden Einfluss auf die Moral, kann nur aufrechterhalten werden, wenn man sämtliche historischen Beweise ignoriert oder fälscht. Sprecherin: Bertrand Russell, Philosoph und Mathematiker Effekt: Autor: Woher kommt die Aggressivität gegenüber denen, die keine Religion brauchen? Warum predigen einige Kirchenvertreter Zeter und Mordio, wenn man ihre Lehre bezweifelt? Paul Nolte hat eine Erklärung: Take 19 Nolte Da gibt es wahrscheinlich Konkurrenzängste, vielfach auch eine Art von Unverständnis, wie man denn in einer Zeit der moderne Menschen den vermeintlichen Gegensatz gegen Glauben und Wissen, zwischen transzendentalen Bezügen und trotzdem der Anerkennung der Evolutionslehre Darwins, in einer Zeit, in der man das überwunden hat, da wieder Unvereinbarkeiten konstruiert werden. Autor: Religion ist Privatsache. Oder: Sie sollte es sein. Der Staat finanziert Kirchen. Und die Politik gibt sich gottesfürchtig. Collage: Amtseide 0'08 Autor: Dummerweise fühlen sich Religiöse aller Länder immer mal ganz schnell beleidigt. In Bayern fordern sie daher regelmäßig eine Verschärfung des Straftatbestandes der Gotteslästerung. Take 20 Schmidt-Salomon Sehr religiöse, fromme Menschen haben so etwas wie eine Kritikallergie. Oder man könnte schon fast sagen, eine Art religiöse Glasknochenkrankheit: Ein spitzes Argument und der religiöse Knochenbruch ist vorprogrammiert. Das ist ein Problem, das damit zusammenhängt, dass diese Herren, in der Regel sind es ja Herren, meinen, im Besitz der absolut ewig gültigen Wahrheit zu sein. Deshalb ist Kritik für sie kein Geschenk, das ihnen helfen kann, sich von Irrtümern zu befreien, sondern Kritik ist gleich eine Verunglimpfung des Glaubens. Das ist ein Grundproblem, das mit einer nicht besonders aufgeklärten Form von Religion einher geht, dass man meint, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben und in allen Gegenargumenten gewissermaßen dämonische Kräfte vermuten muss deshalb. Das ist die Grundlage auch dieser inquisitorischen Logik, die wir aus allen Religionen kennen, dieses "Du wirst dran glauben", was ich dir als Wahrheit verkünde. Oder du wirst dran glauben müssen, weil ich dir sonst eventuell das Leben nehme, wenn ich die Macht dazu habe. Das ist ja etwas, was wir weltweit beobachten können, was glücklicherweise hier im aufgeklärten Europa nicht der Fall ist, aber weltweit leider in Besorgnis erregendem Maße wieder zunimmt. CD: Bono Halleluja Sp. v. Dienst: Moral ohne Gott Ein atheistisches Wort zum Montag Eine Sendung von Thomas Klug Es sprachen: Tim Lang, Joachim Schönfeld, Birgit Dölling und der Autor. Sprecher 2: Damit nun keiner von euch denkt: "Wer Gott nicht kennt, der ist beschränkt!" Sei ein Geheimnis euch verraten (Ihr dürft es gerne weitersagen): Der Gottesglaube auf dem Globus Ist fauler Zauber, Hokuspokus. Rabbis, Muftis und auch Pfaffen Sind, wie wir, nur "nackte Affen". Bloß, dass sie "Gespenster" sehn Und in lustigen Gewändern gehen. Sprecherin: Michael Schmidt-Salomon: Wo bitte geht's zu Gott?, fragte das kleine Ferkel Sp. v Dienst: Ton: Barbara Zwirner Regie: Roswitha Graf Redaktion: Constanze Lehmann Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2010 Manuskripte und weitere Informationen zu unseren Zeitfragen-Sendungen finden Sie im Internet unter www.dradio.de 1