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Atmo hoch Sprecher Gleich wird sie abtauchen. 50 Meter tief, wenn alles gut geht. An einer Leine will sie sich hinunterziehen und wieder herauf. O-Ton 2 Arzt weiter: "...falls das sein sollte, Spatel, Meckelzange [??!], und last but not least, Medikamente brauchen wir auch im Zweifel, da ist nur das, was man für 'ne Intubation braucht und auch für 'ne Reanimation. Aber ich hoffe ja, dass wir das nicht brauchen..." Countdown wird runtergezählt "5, 4, 3, 2, 1!" Blubbern - Anna von Bötticher taucht ab Musik: Brian Eno, But, if (The Drop): Sprecherin: Apnoetauchen ist die ursprünglichste Form des Tauchens. Bereits vor mehreren tausend Jahren erkundeten Schwamm- und Perlentaucher die Tiefen des Meeres. Mitte des 19. Jahrhunderts erreichten Apnoisten in Griechenland 30 Meter - nackt und nur beschwert mit einem Stein. Ein waghalsiges Unternehmen, über dessen Verlauf erst die "Zigarette danach" Aufschluss gab: Enthielt der ausgeatmete Rauch einen ganz bestimmten, eben tödlichen Geruch, so waren die Tage der Männer gezählt. Heute ist für viele Apnoe-Taucher der Rekord das Ziel: Es gilt, so lange, so tief oder so weit wie möglich zu tauchen. Mit einem Atemzug. Sprecher: Nach 2 Minuten und 4 Sekunden taucht Anna von Bötticher wieder an der Wasseroberfläche auf. Der neue Rekord ist geschafft. Musik - geht über in Atmo Hemmoor - Auftauchen, Klatschen Atmo Protokoll: "Neuer deutscher Rekord" Atmo Ende. Sprecher: Anna von Bötticher hat erst vor einem Jahr das Apnoe-Tauchen für sich entdeckt. Bereits jetzt hält sie mehrere deutsche Rekorde: O-Ton 3 Bötticher "Für mich ist der schönste Teil die Phase des freien Falls. Bei etwa 20 bis 25 Meter ist es so, dass sich durch den Wasserdruck meine Lunge und mein Anzug, alles zusammendrückt, dass ich schwer werde und immer schwerer und anfange zu sinken, und da höre ich auf zu schwimmen und lasse mich nur noch herunterfallen, und das geht dann auch immer schneller, immer schneller, je weiter man nach unten kommt, und das ist die schönste Phase. Da entspanne ich mich nur und konzentriere mich, das ist einfach toll." Atmo weg Sprecherin: Das mit dem Apnoe-Tauchen hat sie eiskalt erwischt. In einem Tauchturm der Marine. Sie fuhr mit dem Aufzug hoch ins 10. Geschoss. Und als sie von oben auf den Parkplatz schaute, war sie erschrocken, wie klein alles 30 Meter weiter unten aussieht. O-Ton 4 Bötticher: "Ich dachte, niemals im Leben kommst du da runter. Zwei Stunden später saß ich unten auf dem Boden und dachte, wieso ist hier der Boden und wo geht es hier weiter?" Musik: Bryan Eno: Sprecherin: Einfach geräuschlos ab in die Tiefe verschwinden, nicht mehr atmen müssen. Keine lästigen Flaschen mehr, kein störendes Blubbern beim Ein- und Ausatmen unter Wasser. Eins werden mit dem Ozean. So ungefähr beschreiben Apnoisten die Faszination für das, was sie tun. Freitauchen kann vieles sein: Eine sportliche Betätigung, Leistungssport, waghalsiger Extremsport. Aber auch ein Lebensgefühl. Das Gefühl ein bisschen weniger Mensch und ein bisschen mehr Tier zu sein. O-Ton-Collage (sich ins Wort fallend, aus unterschiedlichen Richtungen: O-Ton 5 Martin Müller: 020 ich brauche nur meinen Kopf unter Wasser zu halten und schon geht's ab, dann bin ich happy..... Das reicht, wenn man wie ein Delphin 5 m tief und dann wieder hochschießt, aus dem Wasser raus, kurz mal Luft schnappt und dann wieder runter O-Ton 6 Taucharzt: 024 der Tiefenrausch ist eine lernbare Größe... Ich kann mir vorstellen, dass das angenehm ist, aber ich glaube nicht, dass es das ist, wonach die Apnoisten tatsächlich streben. Ich denke, dass es eher das Einssein mit dem Wasser ist als die Abhängigkeit vom Stickstoff.) O-Ton 7 Bötticher: 010 Wenn ich auf 50 Meter bin, und bin da nur mit meiner kleinen Lunge dahin gekommen, voll mit Luft, und ohne sonstige Hilfe, und... kann mich da bewegen, ist das eine überwältigende Erfahrung. O-Ton 8 Sietas: 17 ...Ich habe 120 Meter getaucht, das hat drei Minuten gedauert und ich hatte nicht mal nen Atemreiz, da war einfach schön für mich O-Ton 9 Franz: ...dann sitzt du da und hast das Gefühl, als würden sich Arme und Beine auflösen. Als würdest du zum Wasserwesen werden. .... Solche Zustände erlebt man nur unter Wasser. Sprecherin: Grenzen erweitern. Neue Räume erobern. Das ist es wohl, was den Reiz, ja, den Suchtfaktor beim Apnoe-Tauchen ausmacht. Unter Wasser erlebt sich der Mensch neu. Schwerelos. Viele Apnoisten beschreiben diese Zeit wie eine Verwandlung - zum Fisch, zur Robbe oder zum Delphin. Eine Verwandlung, so angenehm, dass manch einer gar nicht mehr auftauchen will. Atmo Herzschlag Sprecher: Allerdings ist dieser Zustand zeitlich begrenzt. Ein Notprogramm des Körpers quasi. Apnoe heißt Atemstillstand. Hört der Mensch auf zu atmen, fällt der lebensnotwendige Sauerstoffvorrat im Körper ab. Gleichzeitig steigt der Kohlendioxidanteil an. Ein Prozess, der tödlich endet, dauert er zu lange. Aus diesem Grund sind wir alle mit einem Atemreflex ausgestattet. Nach einem bestimmten Zeitpunkt verlangt unser Körper danach, einzuatmen, Kohlendioxid gegen frischen Sauerstoff auszutauschen. O-Ton 10 AIDA-Mann Martin Müller 019 ab 0:55 es ist am Anfang eine Kopfgeschichte, es geht darum, sich im Kopf klar zu machen, es passiert mir nichts, wenn ich hier runtertauche, wenn ich den Druckausgleich richtig mache, dann passiert meinen Ohren nichts, ich habe genug Luft um ab- und wieder aufzutauchen. Und: ich werde nicht sterben! Sprecher: Ungefähr eine Minute kann ein Untrainierter mit einem Atemzug auskommen. Doch diese Zeit lässt sich sehr schnell steigern, sagt Martin Müller. Er ist Sprecher von AIDA Deutschland, dem Verband der Freitaucher. Der Weltrekord im statischen Apnoe-Tauchen, also dem regungslosen Verweilen unter Wasser, liegt bei 10 Minuten und 12 Sekunden. Rekordhalter Tom Sietas: O-Ton 11 Sietas: 5 ...man muss sich das so vorstellen: Nach ungefähr 30 Prozent der Leistung setzt der Atemreiz ein. Vorher ist es einfach sehr angenehm, das ist der Grund, weshalb ich diesen Sport mache. Du bist unter Wasser und hast einfach überhaupt nicht das Gefühl atmen zu müssen, das ist einfach nur schön. Dann fängt es an unangenehm zu werden, und dann musst du dich sehr darauf konzentrieren ruhig zu bleiben, obwohl der Körper dir suggeriert, dass du atmen müsstest. Es ist aber nicht so. Theoretisch wissen wir halt, dass wir noch genug Sauerstoff zur Verfügung haben. Und das man noch weiter tauchen kann. Sprecher: Allerdings kann der Apnoist seinen Körper auch täuschen. Wenn er vor dem Abtauchen hyperventiliert, wird so viel Kohlendioxid abgeatmet, dass das Signal zum Atmen unter Umständen zu spät ausgesendet wird, erklärt der Taucharzt Oliver Müller. O-Ton 12 Arzt Viele Leute, die mit dem Apnoe-Sport beginnen, versuchen [...] möglichst wenig Kohlendioxid an Bord zu haben, bevor sie in die Apnoe-Phase gehen. Atmo Hemmoor hoch: 3'51 "einmal leere Lunge, und dann gebe ich auch einen Countdown" O-Ton 13 Arzt 012 ...Das heißt, dem Körper steht mehr Zeit zur Verfügung, um mit der Produktion von Kohlendioxid zu pausieren mit der Atmung, und dann bei Erreichen des Schwellenwertes noch eine kurze Zeit zu überbrücken, aber dann muss man diesem Atemreiz folgen oder es setzt eine Bewusstlosigkeit in Folge von Sauerstoffverarmung ein. Sprecher: Bei den Tieftauchdisziplinen im Apnoe-Sport kommt neben dem Atemstillstand die Herausforderung hinzu, den stetig wachsenden Wasserdruck auszugleichen. Mit jedem Tiefenmeter nimmt der Druck um ein Zehntel-Bar zu. Das entspricht bei 30 Metern bereits 3 bar, dem Druck, der in einem prall gefüllten Autoreifen herrscht. Die Hohlräume des Körpers - Ohren, Nebenhöhlen und die Lunge, müssen gegenhalten. Die Lunge ist in 30 Metern Tiefe nur noch so groß wie ein Tennisball. Der Unterdruck, der entsteht, saugt das Blut in die Lungenbläschen. Sonst würde die Lunge platzen. Nur so können die Apnoetaucher in der Tiefe überleben. Der Weltrekordhalter Herbert Nitsch hat die 214-Meter-Marke erreicht. Dort unten herrscht ein Druck von 21 Bar. Musik: Massive Attack O-Ton 14 Bötticher: 006 Im letzten Wettkampf hat ein Tscheche, und da klappte der Druckausgleich nicht mehr, der hat sich gesagt: Letzter Wettkampftag, die Ohren braucht er jetzt erstmal nicht mehr, macht nichts, er ist einfach weiter geschwommen, und dann platzt eben das Trommelfell. Und der kam hoch mit Blut aus dem Ohr, was nicht dramatisch ist, das heilt auch wieder, aber man kann unter Wasser Schwindel bekommen, kann sich entzünden, das kann man sicher vermeiden. Sprecherin: Die Geschichte vom verfehlten Druckausgleich, die Anna von Bötticher erzählt: Nur ein kleiner Unfall oder schon eine Grenzüberschreitung? Massive: Attack "Angel" geht über in Atmo Schwimmbad mit Stimmen Sprecher: Ein Schwimmbad in Hamburg. Tontechniker lassen ihre Mikrofone in der Luft kreisen, Fernsehleute laufen am Beckenrand auf und ab, die Kameras auf einen Mann im Neoprenanzug gerichtet. Es ist Tom Sietas, 31 Jahre alt. Sietas ist Weltrekordhalter im Langzeittauchen und Weitstreckentauchen ohne Flossen. Mit 183 Metern hat Tom Sietas den Weltrekord schon, will sich an diesem Tag aber noch verbessern - die Grenzen weiter verschieben. O-Ton 15 Sietas "Jeder, der irgendwann mal Glücksgefühle gehabt hat aufgrund einer sportlichen Leistung könnte das eigentlich nachvollziehen. Es ist schon ein schwerer Kampf, aber wenn Du etwas Großes erreicht hast, bist du ja auch glücklich." Sprecherin: Die Stimmung im Hamburger Schwimmbad ist etwas angespannt. Das liegt an dem gelben Maßband, das an der Längsseite des Pools ausgerollt ist. Es zeigt hinten nicht 25 Meter, sondern nur 24 Meter 20 an. Womit keiner gerechnet hat: Der Pool ist einfach zu kurz. Die AIDA-Schiedsrichter sind extra aus Holland angereist, doch im Moment weiß hier keiner, ob der Rekordversuch überhaupt gewertet werden kann. Sprecher: AIDA, der internationale Verband der Apnoetaucher, versteht sich als Wettkampforganisation, die dafür sorgt, dass Rekordversuche weltweit vergleichbar sind. Was zum Beispiel bei unterschiedlichen Poollängen nicht unbedingt zutrifft: Ist das Schwimmbecken kürzer, so kann sich der Taucher unter Umständen einmal mehr vom Beckenrand abstoßen und hat so einen Kraftvorteil. Erst 1992 gründete sich AIDA in Frankreich - eine Notwendigkeit, nachdem sich der Welttauchverband CEMAS aus dem Freitauchen in den 80er Jahren zurückgezogen hatte. (O-Ton 16 Martin Müller: "Jeder hatte seine Auslegungen, was erlaubt ist und was nicht, und da merkte man, dass es eine Organisation braucht, die Leistungen vergleichbar macht. " Sprecher: Für CEMAS war Apnoe einfach zu unberechenbar, zu gefährlich geworden. Musik Massive Attack Sprecherin: Schier unglaubliche Leistungen und der verbissene Kampf um immer neue Rekorde - das war das Klischee vom Apnoe-Tauchen in den vergangenen Jahrzehnten. Der Kampf zwischen Jacques Mayol und Enzo Majorca ist so eine Geschichte, die das Bild geprägt hat. In seinem Film "Le grand bleu / Im Rausch der Tiefe" hat der französische Regisseur Luc Besson den beiden Apnoe-Pionieren 1988 ein Denkmal gesetzt. Über 20 Jahre lieferten sie sich einen Wettkampf um den Tiefenrekord. Dabei war ihnen jedes technische Hilfsmittel recht, um in Bereiche vorzudringen, die Ärzte für unmöglich hielten. Später wird man diese Disziplin "No Limit" nennen. Der Italiener Enzo Majorca war 1961 der erste Mensch, der die 50 Meter-Rekord-Marke durchbrach. Damals glaubten Mediziner noch, dass in solchen Tiefen der Brustkorb des Menschen zerquetscht würde. Doch 50 Meter waren erst der Anfang: Sprecher: 1966: Jacques Mayol - 60 Meter Sprecherin: 1970: Enzo Majorca - 74 Meter Sprecher: 1973: Jacques Mayol - 86 Meter Sprecherin : 1974: Enzo Majorca - 87 Meter Sprecher: 1976: Jacques Mayol - 101 Meter Sprecherin: Ein paar Jahre später, Jacques Mayol war schon 56, übertraf er noch einmal seinen eigenen Rekord, tauchte 105 Meter tief und zog sich dann aus der Rekordjagd zurück. Erst 25 Jahre ist das her. Doch heute taugen solche Tiefen für No-Limit- Taucher bestenfalls zum Training. Vor einem Jahr ist der Österreicher Herbert Nitsch 214 Meter tief getaucht. Aber er will noch weiter runter: 1000 Fuß, das sind 305 Meter. Sprecher: Die Extremsportler dringen in immer größere Tiefen vor - möglich ist das auch durch den Einsatz ausgefeilter Technik. Sprecherin: Beim "No Limit" rasen die Apnoisten an speziellen Tauchschlitten mit über 3 Meter pro Sekunde in die Tiefe. Unten angekommen, öffnen sie ein Ventil und es füllt sich ein Hebeballon, der sie mit bis zu 4 Metern pro Sekunde wieder an die Oberfläche katapultiert. Wer einmal einen Apnoisten bei der Vorbereitung auf einen Tauchgang beobachtet hat, weiß, dass es auch ohne Körpertechniken nicht geht. Sprecher: Yoga, autogenes Training, Kontrolle der Atmung. Schon Jacques Mayol trainierte in Indien Meditations-Techniken, mit denen er seine normale Herzfrequenz von 60 Schlägen in der Minute auf nur noch 20 Schläge beim Tauchen herabsenken konnte. Sprecherin: Und schließlich, unmittelbar vor dem Abtauchen das so genannte "Lungen-Packing". Schnappend presst der Apnoist so viel Sauerstoff wie möglich in seine Lungen. Damit der Vorrat mehrere Minuten lang hält. Musik Massive Attack Sprecher: Aller Technik zum Trotz oder gerade wegen der Technik: Die Disziplin "No limit", in der die größten Tiefen erreicht werden, bleibt unberechenbar. Musik: Massive Attack Sprecherin: Das zeigt auch der Fall Audrey Mestre. Minutenlang wartete ihr Lebensgefährte Pipín Ferreras an der Wasseroberfläche - doch sie tauchte einfach nicht auf... Sprecher: Audrey Mestre wollte als erste Frau der Welt 171 Meter tief tauchen. Doch sie stirbt 2002 bei einem Tauchversuch im Alter von 28 Jahren. Sicherungstaucher bringen sie erst nach acht Minuten und 38 Sekunden an die Wasseroberfläche - zu spät. Pipin Ferreras, auch er ein erfahrener Apnoe-Taucher, beschrieb später den Unfall in einem Buch: Zitator I: "Auf 171 Meter drehte Audrey das Ventil in der Pressluftflasche auf. Und der Hebeballon blies sich nicht auf." Sprecher: Vermutlich war die Flasche leer. Zitator I:I "Audrey war jetzt eine volle Minute auf dem Grund gewesen und hatte vor zwei Minuten und 42 Sekunden zum letzten Mal Luft geholt. Eigentlich sollte sie nur noch Sekunden vom Auftauchen entfernt sein, und sie war gerade mal sieben Meter vom Boden weggekommen." Sprecher: Sie bittet den Sicherungstaucher nicht um Luft, sondern versucht den Aufstieg aus eigener Kraft. Zitator: "Kurz vor der Vier-Minuten-Marke erreichte Audrey die 120 Meter. Doch nach Auskunft des Tiefenmessers [...] stieg sie dann plötzlich nicht mehr, sondern begann zu sinken. Sie hatte vier Minuten den Atem angehalten [...] Ich nehme an, dass sie das Bewusstsein verlor und den Hebeballon los lies." Musik: Brian Eno Sprecherin: Was am 11. April 2007 vor der französischen Mittelmeerküste passierte, weiß niemand genau. Möglicherweise verfing sich der Tauchschlitten von Loïc Leferme in einem Fischernetz. Sprecher: Loïc Leferme war lange Weltrekordhalter in der Disziplin "No Limits". Er stirbt bei mit 36 Jahren bei einem Tauchgang und hinterlässt Frau und Kinder. Sprecherin: "Wir wussten beide, dass es irgendwann passiert", wird seine Frau später sagen, "auch wenn wir nie darüber gesprochen haben." O-Ton 17 Benjamin Franz: "Diese Entwicklungen, die sich da abzeichnen, die sind schon Wahnsinn, was da passiert. Und auch die Ärzte sind nicht mehr in der Lage, diese Verantwortung zu übernehmen. Aber man kann keinen daran hindern und es wird immer Menschen geben, die Barrieren brechen wollen." Sprecherin: Ein Wohnhaus in der Oberpfalz. Die linke Hand von Benjamin Franz muss der rechten helfen, wenn er seinen Gast begrüßt. Sein Gang ist nicht rund: Das rechte Bein will nicht so ganz wie das linke. Doch dass er überhaupt laufen kann, ist ein Wunder. Denn auch Benjamin Franz, der einmal zu den besten Apnoe-Tauchern der Welt gehörte, hatte einen schweren Unfall. 2002 war das - aber er hat ihn überlebt. O-Ton 18 Franz: "Ich saß ein halbes Jahr lang im Rollstuhl. Die Sprache war vier Wochen weg, dann ging es wieder so wortweise, stückchenweise. Aber es war schwierig die ersten Jahre. Das war nicht so wie heute, dass ich wieder flüssig sprechen kann, sondern so, dass ich sehr stockend gesprochen habe. [...] Die Funktion des gelähmten Beines ging dann nach einem halben Jahr wieder. Also nach ,nem halben Jahr konnte ich den Rollstuhl verlassen und erst mit dem Stock wieder gehen. Und nach zwei Jahren habe ich dann sogar in Nürnberg durch langes Training einen Marathon mitlaufen können. " Sprecher: Deutsche Rekorde, Weltrekorde. Ehrgeizig war Benjamin Franz schon immer - warum also nicht auch die Bestmarke im "No Limit" knacken? Die lag im Juli 2002 bei 165 Metern. Sprecherin: Fünf Wochen Zeit im Roten Meer. Vormittags steigert er im Training die Tiefe meterweise. Nachmittags noch ein paar Tauchgänge auf 100 Meter. Benjamin Franz verweilt immer für einige Zeit in der Tiefe, nicht nur um die Dauer des Weltrekordversuchs zu simulieren, sondern auch, weil er es einfach genießt, unten zu sein. Bei einem dieser Tauchgänge kommt er an die Wasseroberfläche und merkt: Er kann den rechten Arm nicht mehr bewegen, kann nicht mehr Sprechen. O-Ton 19 Benjamin Franz: "Also mittlerweile sind ja einige Tauchunfälle passiert, die sehr ähnlich abgelaufen sind. [...] Mittlerweile gibt es mehr Informationen und ich glaube, dass es mit Sicherheit am Tauchsport liegt. [...] Wenn man runtertaucht, dann sinkt die Herzfrequenz ganz dramatisch. Und Blut, dass sich langsam bewegt, neigt dazu, sich zu verklumpen, Blutgerinsel zu bilden. Und dann ist natürlich die Gefahr da, dass so ein Blutpfropf in die Aterien gelangt und da hängen bleibt und dahinter liegendes Gewebe im Gehirn zum Beispiel blockiert, und dann nicht mehr versorgt wird." Sprecher: Vermutlich ein Schlaganfall - so erklärt es sich Benjamin Franz, sechs Jahre nach seinem Unfall. Sprecherin: Und dabei hatte er versucht, das Risiko zu kontrollieren. O-Ton 20 Franz "Es war so, dass ich über sechs Jahre lang Rekorde gebrochen habe. Deutsche Rekorde, Weltrekorde und auch nie ein Unfall passiert ist. Ich hatte immer ein Riesen-Team bei mir, die unter Wasser am Seil postiert waren mit Flaschen und die mir eventuell helfen können, wenn irgendwas passiert. Aber das war nie nötig. Und wenn das über Jahre so reibungslos funktioniert, dann wiegt einen das in so ,ner Sicherheit. Man denkt sich: "Ja, das ist ja eigentlich wie Rad fahren, da kann nichts passieren. Und das ist natürlich ein Irrtum." Sprecherin: Viele Freitaucher schätzen die Gefahren des No-Limit-Tauchens inzwischen ähnlich ein wie Benjamin Franz. Und dennoch gibt es einige, die glauben, das Risiko sei kontrollierbar. So sieht es auch Tom Sietas, der beste Streckentaucher der Welt, dessen Lieblings-Disziplin eigentlich das "No Limit" ist: O-Ton 21 Sietas: "Also ich kann verstehen, warum ein Laie, der keine Ahnung hat, bedenken hat, auch darüber nachdenkt, dass es gefährlich werden könnte, dass es Gefahren birgt und Risiken. Aber für mich ist es eben doch mehr ,ne Frage der Kalkulation. Das heißt, wenn man genügend Sicherheitsmaßnahmen trifft und sich diszipliniert verhält, dann kann man die Gefahren schon weitgehend ausschließen. [...] Wenn man sich dann eben beschäftigt mit dem Sport und den Sicherheitsmaßnahmen und der Physiologie, dann kann man schon die Risiken weitestgehend ausschließen, bin ich der Meinung." Sprecherin: Anna von Bötticher hat früher ihre Eltern beruhigt: Apnoe-Tauchen ist sicher, so lange man nicht mit dem Schlitten abtaucht, sich auf die Technik verlassen muss. Heute kann sie nicht mehr ausschließen, dass sie selber auch No-Limit-Taucherin wird. O-Ton 22 Bötticher: "Wo die Grenzen sind, weiß ich noch nicht, das werden wir mal 'rausfinden. Bis jetzt sind sie noch nicht erreicht." Sprecherin: Doch wo liegen die Grenzen im Apnoe-Tauchen? Die Frage, wie tief ein Mensch mit einem Atemzug tauchen kann, kann niemand beantworten - und die Risiken kann keiner beherrschen. Musik: Brian Eno: O-Ton 23 Martin Müller, AIDA "Aus dem Grund hat sich die große Mehrheit der Freitauchgemeinde vom No Limits verabschiedet und sagt sich: Ich brauche nicht, dass da 180 Meter dran steht, ich möchte in meinen mir körperlich gegebenen Grenzen tauchen, ich muss nicht irgendetwas Spektakuläres machen, wo die Kameras laufen. Das ist es mir nicht wert, das ist nicht berechenbar. .... Ich werde mich nie auf einen Schlitten setzen. Punkt." O-Ton 24 Taucharzt "Es ist ein medizinisch nicht klar zuzuordnendes Feld, eine Grauzone, in der die Gesetze der Physiologie scheinbar keine Gültigkeit mehr haben. Wir wissen nicht, welche Prozesse im Körper genau ablaufen, und diese Ausnahmeathleten zu diesen unglaublichen Leistungen befähigen. Und deshalb kann ich mich nicht festlegen und sagen: 300 Meter sind nicht möglich." O-Ton 25 Franz "Der Apnoe-Sport an sich, dieses Schnorcheln, diese begrenzten Tieftauchgänge (...) das ist ein wahnsinnig schöner Sport. Aber die Rekordjagd mit Schlitten, mit Flossen teilweise schon über 100 Meter, das ist Wahnsinn. Das ist so unkalkulierbar, dass es ein Lotteriespiel wird. Roussisch Roulette." Sprecherin: Wo die Grenzen liegen, dass weiß auch Benjamin Franz nicht. Er glaubt nur, dass Extrem-Apnoisten wie Herbert Nitsch es nach den Unfällen, die in den letzten Jahren passiert sind, eigentlich besser wissen müssten. O-Ton 26 Franz "Ich weiß es nicht. Vielleicht schafft er's, vielleicht stirbt er dabei. Musik Brian Eno + Atmo Herz Atmo Pool Sprecherin: In Hamburg ist Tom Sietas in das Schwimmbecken gestiegen. Das Chaos um den zu kurz geratenen Pool prallt an ihm ab. Er ist ganz ruhig, in sich gekehrt, atmet ein, atmet aus, ein und aus. Neben ihm ein Sicherungstaucher, der ihn bei seinem Rekordversuch im Streckentauchen begleiten wird, aufpassen wird, ob alles so läuft wie geplant. Der Countdown läuft. Noch fünf Minuten. Noch vier. Noch drei. Noch zwei. Noch eine. Tom Sietas' Brustkorb hebt und senkt sich. Ein Schiedsrichter hält die Stoppuhr bereit, seine Kollegin hat die Videokamera eingestellt. Für Tom Sietas aber sind die Menschen um ihn herum nicht mehr sichtbar. Er ist jetzt ganz bei sich.... Atmo Countdown und Abtauchen.... Sprecherin: Und dann taucht er unter, stößt sich ab, hat bereits ein Drittel der Bahn hinter sich gebracht. Er gleitet durch das Becken, kraftvoll und elegant zugleich, zieht Bahn für Bahn. Immer weiter. Mit einem Atemzug. Atmo Auftauchen, Applaus. Länge 213 Meter wird durchgesagt: "... Congratulations." "Thank you very much!" Sprecher: Nach 213 Metern taucht Tom Sietas wieder auf. Das sind achteinhalb Bahnen. 30 Meter mehr als beim letzten Rekordversuch. Musik: Massive Attack, "Exchange" (Mezzanine) Sprecherin: Nur wenige Menschen auf der Welt sind zu solchen Höchstleistungen fähig. Die Suche nach den eigenen Grenzen fasziniert aber alle Apnoe-Taucher. Sie wollen möglichst lange unter Wasser sein, mit einem Atemzug. Sie genießen die stille, blaue Weite. Den Rausch der Tiefe. Musik Massive Attack hoch -ENDE- Musik: Brian Eno, The Drop (Album, 1997), Track 1: "Slip, Dip" und Track 2 "But if" All Saints Records Published by Opal Music, ASCD32 Massive Attack "Mezzanine" LC 3098, daraus Track 1 "Angel" sowie Track 5 "Exchange" 1