COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Länderreport 16.7.2012 Profit durch Netzausbau? Fördert mehr Bürgerbeteiligung die Energiewende? Autorin: Elisabeth Kiderlen Redaktion: Heidrun Wimmersberg _________________________________________________________________ Atmo 1 Gaststätte, unterm Text stehen lassen plus Parpklatz Sprecherin: "Zur Erheiterung" heißt die Gaststätte in Meldorf im Dithmarscher Land. Auf dem großen Parkplatz drängen sich die Autos, im Saal, in dem sonst Hochzeiten und andere Feste gefeiert werden, sammelt sich die Bürgerschaft. Wenige Frauen, viel mehr Männer, manche mit grauem Schnauzer und blauem Seemannspullover. Viele kommen aus den umliegenden Dörfern, aus Norderwörden, aus Kronprinzenkoog, aus den Orten, wo sich Jahr für Jahr immer mehr Windräder drehen und immer neue Windparks gegründet werden, von einzelnen Bürgern, Firmen, von Genossenschaften und Kommunen. Man kann gutes Geld damit verdienen. Windenergie und Tourismus, das sind die größten Einnahmequellen des Landkreises. Und Dithmarschen steht zusammen mit dem Kreis Nordfriesland an der Spitze der schleswig-holsteinischen Winderzeugung. Heute soll es in der Gaststätte "Zur Erheiterung" um den Trassenausbau gehen, um die großen Leitungen, die künftig den Windstrom vom Norden in den Süden transportieren werden, ins Ruhrgebiet, ins Rhein-Main-Gebiet, nach Baden- Württemberg. Die Überlandleitungen sind allerdings in der Bevölkerung nicht unumstritten. Deshalb diese Zusammenkunft. Man erhofft sich von frühzeitiger Bürgerinformation und Bürgereinbindung weniger Protest und weniger Klagen vor Gericht. Langwierige Prozesse könnten den Ausbau der Trassen verzögern und das Tempo der Energiewende weiter verlangsamen. Doch die Umstellung auf erneuerbare Energien muss gelingen, bevor die letzten Atomkraftwerke 2022 abgeschaltet werden. Der Regionalplaner Erk Ulich hat die Veranstaltung zur Bürgerinformation für den Landkreis Dithmarschen organisiert. 1.O-Ton Erk Ulich: Wir möchten mit dieser Veranstaltung die Fragen und Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger nach Informationen aufgreifen, beantworten, aber auch neue Themen sammeln, z.B. auch das Thema der finanziellen Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern. Sprecherin: Finanzielle Beteiligung, neue Einnahmequellen, das sind die heißen Themen, die die Akzeptanz der neuen Leitungen fördern. Trotzdem, meint Erk Ulich, sei auch in Dithmarschen nicht klar, wie viel Protest es gegen die Überlandleitungen noch geben wird. Die Bürger reagieren unterschiedlich. Die elektromagnetischen Felder im engen Leitungsbereich finden viele bedenklich. Der Vogelschutz beschäftigt andere. Der Erhalt des Landschaftsbildes allerdings, wie er einige Menschen in der Nordseegemeinde Dagebüll bewegt, die sich den Blick auf den Kirchturm nicht von hektisch rotierenden Mühlenflügeln zerlegen lassen wollen, das Landschaftsbild war in Meldorf kein Thema. Also, was kommt? Zustimmung? Ablehnung? Ende der Atmo Sprecherin: Das Interesse jedenfalls wächst. Rund 70 Leute waren bei der ersten Bürgerinformation in Brunsbüttel anwesend, in Meldorf sind es schon 160. Es ist eine einfache Rechnung: Bis 2015 sollen in Schleswig-Holstein 9000 Megawatt Windenergie an Land erzeugt werden und 3000 Megawatt in den Windparks auf See. Das macht zusammen also 12 000 MW. Der Verbrauch in ganz Schleswig-Holstein liegt aber nur bei 2000 MW. 10 000 MW könnten also für gutes Geld exportiert werden. Kein Wunder also, dass die Anwesenden hoch konzentriert über zwei Stunden lang dem Gang der Veranstaltung folgen. Und dass die Bürgerwindparks zurzeit einen veritablen Boom erleben. Zumindest in Dithmarschen, so zeigt sich, scheint die Ablehnung des Leitungsausbaus nicht zu überwiegen. Im Gegenteil! Der Bürgermeister von Kronprinzenkoog zum Beispiel richtet seinen Protest nicht gegen den Trassenausbau, sondern gegen die Langsamkeit des Trassenausbaus. Bürgermeister Masekowitz am Telefon über die Stimmung in seinem Dorf: 2.O-Ton Masekowitz: Die Akzeptanz ist groß aus zwei Gründen. Zum einen besteht die Möglichkeit, dass die Bürger sich an diesen Windmühlen finanziell beteiligen können ... Und zum anderen ist da natürlich eine erhöhte Gewerbesteuer für die Gemeinde drin, die uns finanziell ein bisschen beweglich hält. Sprecherin: Im Nachbarort Nordermelldorf hingegen klagt Bürgermeister Reimer, dass der Naturschutz ihm die Genehmigung für Windparks verhagelt: 3.O-Ton Reimer: Die Gemeinde Nordermelldorf hat drei Ortsteile, alle am Deich, wo wir gute Windstärken haben. So hätten wir gern mal so was wie Windmühlen vor Ort. Aber leider ist uns das nicht gewährt worden. Es sind viele Vogelarten bei uns hier und von daher bekommen wir hier nix genehmigt. Sprecherin: Bürgermeister Reimer bedauert, dass er nicht tun kann, was Kollege Masekowitz in Kronprinzenkoog gerade macht: 4.O-Ton Masekowitz: Wir haben unseren Kindergarten so hergerichtet, dass er den neuesten Vorschriften entspricht. Wir haben vor, ein Bürgerhaus aufzubauen. Das sind alles so Projekte, die durch diese Mehreinnahmen der Gewerbesteuer die Sache unheimlich erleichtern. Sprecherin: Die Windenergie feiert Erfolge, doch immer öfter können die Netze die Menge an Energie nicht mehr aufnehmen. Und ploppt zu viel davon im Umspannwerk auf, muss in Minutenschnelle Energie aus dem Netz genommen werden. Sonst droht durch die Überforderung der Netze ein Blackout. Also werden einzelne Windräder aus dem Wind gedreht und Windparks vom Netz genommen. Es werden konventionelle Kraftwerke heruntergefahren und energieintensive Betriebe, die dann wie Speicher fungieren, müssen überschüssige Energie aufnehmen. Immer wieder stehen die Windräder still, kritisiert Bürgermeister Masekowitz von Kronprinzenkoog. Finanzielle Einbußen hätten die Windmüller zwar nicht ... 5.O-Ton Bürgermeister Masekowitz: ... nur ist das für die Verbraucher nicht angenehm, weil diese Energie, die nicht produziert wird, letztendlich ja auch bezahlt werden muss. Der volkswirtschaftliche Schaden, der dadurch entsteht, ist natürlich hoch. Und von daher ist der Netzausbau zwingend erforderlich und zwar so schnell wie geht. Sprecherin: In Kronprinzenkoog stellt man derweil Überlegungen an, wie man in Zukunft die überschüssige Energie nutzbar machen könnte. Im Dorf stehen große Kühlhäuser für Gemüse, die verbrauchen viel Energie. Thomas Masekowitz und seine Mitbürger machen sich so ihre Gedanken. 6.O-Ton Masekowitz: Es dreht sich darum, dass man diese Energie vielleicht sinnvoller einsetzt und dass intelligenter Stromverbrauch die Energie so schaltet, dass man Großabnehmer wie Kühlhäuser und gewerbliche Betriebe dann eben einschaltet, wenn die Energie stark produziert wird, durch Wind oder Sonne. Wir müssen die Energie, die auf den Markt kommt, einfach mehr steuern. Da gibt es einen Arbeitskreis, der sich mit dieser Thematik intensiv auseinandersetzt. Das machen ein paar kreative Bürger hier im Ort. Sprecherin: Windenergie beruht auf einer verständlichen, leicht zu handhabenden Technik. Keine Großtechnologie, stattdessen überall einsetzbare Spitzentechnik. So werden Bürger zu Strategen und Entwicklern, die ihre Zukunft selbst planen. Das ist der demokratische Aspekt. Der überregionale Netzausbau ist hingegen eine Großbaustelle, die gerade wegen der Größe des Projekts nur schleppend vorankommt. Wie kann man den Ausbau nun beschleunigen? Die frühe Einbindung der Bürger ist das eine, eine Einbindung, durch die harte Frontstellungen verhindert und Kompromisse ermöglicht werden. Eine andere Idee, die an Boden gewinnt, ist die finanzielle Beteiligung der Bürger an den Netzen. Atmo Versammlung Auch Martin Goll von der Netzagentur Tennet, eine der vier großen Netzagenturen in der Bundesrepublik, kann dem Gedanken etwas abgewinnen. Atmo von der Versammlung wieder hoch 7.O-Ton Goll: Uns geht es um die finanzielle Beteiligungsmöglichkeit für Bürger am Netzausbau. ... Wir von Tennet finden das begrüßenswert und wir wollen das wirklich prüfen, auch gemeinsam mit der Bundesnetzagentur.... In welchen Rechtsformen ist das z.B. möglich? Wie sieht die Beteiligungsform aus, Genussscheine, Fonds, was auch immer. ... Die finanzielle Beteiligung ist natürlich ein Aspekt, ... wir müssen ja in ganz Deutschland sehr viele Netze bauen, insofern sind diese Beiträge ja nicht ganz unerheblich. Aber der eigentliche Punkt ist wirklich die Akzeptanz. Die Bürger haben vor Ort, wo sie unmittelbar betroffen sind, auch etwas von der Leitung, haben eine Rendite. Diesen Gedanken finden wir charmant und den wollen wir jetzt weiterverfolgen. Sprecherin: Eine Form von Mini-Grundeinkommen als Entschädigung? Die Rendite einer finanziellen Beteiligung an den Netzen würde so kontinuierlich fließen wie der Strom durch die Leitungen. Bei den vorangegangenen Regionalkonferenzen in Dithmarschen und Nordfriesland war die Forderung nach Beteiligung der Bürger an den Netzen erhoben worden. In seinem Schlusswort in der Gaststätte "Zur Erheiterung" greift Christian Rüsen, Geschäftsbereichsleiter des Kreises Dithmarschen, diese Forderung wieder auf. 8.O-Ton Herr Rüsen: Der Gedanke der Bürgerbeteiligung im Sinne eines Fonds an den Netzen, also die monetäre Beteiligung, ist eine Forderung, die auch in den Regionalkonferenzen hier in Dithmarschen und aber auch in Nordfriesland gestellt worden ist... Ich hoffe, dass wir das Ziel eines beschleunigten Netzausbaus eben auch als Modell wirklich hinbekommen, ... und das wollen wir auch, so wie es Dithmarscher Art ist, erfolgreich zu Ende bringen. Atmo Klatschen, Gespräche Sprecherin: Bis 2020, so das Ziel, das in Kiel ausgegeben wurde, sollen 8 - 10 Prozent des gesamten deutschen Strombedarfs mit erneuerbarer Energie aus Schleswig- Holstein gedeckt werden. Entsteht hier das Wirtschaftswunder des Nordens? Auch der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering, träumt von Wohlstand durch Wind. Sein Ziel ist, den Strombedarf des Landes noch in diesem Jahrzehnt vollständig mit Erneuerbaren zu decken. Das Konzept "Energieland 2020", das 2009 in Schwerin verabschiedet wurde, ist schon jetzt überholt, der Ausbau der Erneuerbaren geht wesentlich schneller voran als gedacht. Die Ministerpräsidenten der beiden nördlichsten Bundesländer, randständige und mit Ausnahme der Hansestädte seit jeher arme Landstriche, meinen hoffnungsvoll, neue Horizonte ausmachen zu können. 9.O-Ton Ministerpräsident Sellering: Bei den erneuerbaren Energien haben wir schon viele Schritte unternommen, vor allem bei der Windkraft. Und jetzt die erklärte Energiewende, die ist natürlich eine große Chance ... und da wollen wir ganz vorne mit dabei sein. Wir müssen ja auch mit den erneuerbaren Energien große Mengen herstellen, das wird wohl nur mit den großen Windparks auf See gehen. Da werden die Mengen entstehen, die wir exportieren wollen. Dazu brauchen wir die Leitungen in den Süden und den Westen. Aber gleichzeitig sind wir als das am dünnsten besiedelte Bundeland natürlich prädestiniert dazu, um dezentral auf dem Land alles auszunutzen, was geht. Es gibt kleinere Dörfer, die 5-6 Windmühlen haben und dadurch finanziell abgesichert sind. Sprecherin: Ministerpräsident Sellering hält regelmäßig Bürgersprechstunden im Land ab. Eine offene Frage war für ihn, ob die Leute Leitungen und Windparks in ihrer unmittelbaren Umgebung hinnehmen würden. Aber er sieht zunehmend Grund für Optimismus: 10.O-Ton Sellering: Zu mir kommen Menschen, die nicht sagen, wir wollen keine Windkraftanlagen; zu mir kommen Bürgermeister, die sagen, wir wollen auch Windkraftanlagen. Also, wenn so etwas klein und vor Ort passiert, und die Menschen etwas davon haben, dann wird das auf große Akzeptanz stoßen. Sprecherin: Schwierig wird ein Entscheidungsprozess hingegen, wenn sich Bürger falsch oder schlecht informiert fühlen. Misstrauen ist schlecht weg zu argumentieren. Darüber hinaus ist jemand, der einmal Position ergriffen hat, schwerer zu gewinnen als jemand, der noch offen ist in der Meinungsbildung und aufnahmefähig für andere Lösungen. Nehmen wir das Beispiel Wahle-Mecklar in Niedersachsen. Hier hat Netzgesellschaft Tennet 2007 eine Trasse geplant, ohne dass der Bürgermeister auch nur konsultiert wurde. Nur durch Zufall erfuhr man in Wahle-Mecklar von diesem Projekt. Die Folge: Empörung und fortan Misstrauen. Entlang der geplanten Überlandtrasse zwischen Wahle-Mecklar und Göttingen gründeten sich daraufhin mit großer Geschwindigkeit und an allen Ecken und Enden bestvernetzte Bürgerinitiativen, die gegen den Netzausbau mobil machten. Mit solchen Situationen hat Peter Ahmels von der Deutschen Umwelthilfe häufig zu tun. 11.O-Ton Ahmels: Wo immer Pläne für neue Leitungen öffentlich werden, fragen die Bürger sehr genau, was ist denn das? Warum denn? Wo kommt das hin? Und wie nah kommt das an unsere Häuser? Gibt es nicht andere Lösungen? Andere Techniken? Gibt es nicht Erdkabel? Sprecherin: Die Bürger haben oft das Gefühl, hier entscheidet irgendjemand, dessen Motive sie nicht kennen. Wenn sie die Planung nicht nachvollziehen können, sind sie aber für das Projekt nicht zu begeistern. Doch Netzbetreiber wie Politik haben dazu gelernt. 12.O-Ton Ahmels: Die Netzbetreiber wissen, dass sie nicht mehr, wie früher üblich, eigenmächtig eine Planung machen und die auch durchziehen. Sie wissen, dass sie auf die Bürger angewiesen sind, dass sie erhebliche Zeitverzögerungen in Kauf nehmen, wenn sie die Bürger nicht einbeziehen. Und gehen deswegen auch ein Stück weit auf die Bürger zu, zumindest wesentlich mehr als früher. Sprecherin: Die Politik hat sich im neuen Planungsrecht dazu durchgerungen, die Bürger sehr viel früher zu beteiligen. Bei neuen Projekten werden die Gründe für den Netzausbau und damit für die Energiewende jetzt schon ganz am Anfang diskutiert. Zwar kritisieren viele Bürgerinitiativen weiterhin, dass die Leitungen, entgegen ihren Forderungen, an den wenigsten Streckenabschnitten unter die Erde gelegt würden, und die Betreiber argumentieren weiterhin, dass Erdkabel zu teuer seien - aber generell ist eine Verbesserung der Bürgerbeteiligung nicht zu übersehen. Netzbetreiber wie Politiker haben gelernt, so das Fazit von Peter Ahmels, der diese Prozesse seit langer Zeit kritisch begleitet. 13.O-Ton Peter Ahmels: Der Bundestag, bezw. die Regierung hat eine neue Qualität von Bürgerbeteiligung geschaffen, das kann man sagen. Erstens viel früher und zweitens viel direkter als bisher... Und von daher ist es ein anderer Stand, als wie er vor 2 Jahren noch gewesen ist. Sprecherin: Am 30. Mai haben die Netzbetreiber ihre Planungen in Berlin vorgestellt, vier große Stromautobahnen sollen den Strom von Norden nach Süden transportieren. Bisher liegen nur die Start- und Zielpunkte der Trassen fest. Bis zum 10. Juli haben die Bürger nun Zeit, unter der Internetadresse www.netzentwicklungsplan.de die Pläne einzusehen und Kritik und Einwände niederzulegen. Bei der endgültigen Planung sollen diese berücksichtigt werden. Mehr Bürgerbeteiligung heißt aber auch größere Bereitschaft, sich mit den Netzbetreibern argumentativ auseinander zu setzen, die eigenen Vorstellungen zu begründen, aber auch Kompromisse einzugehen. Ob das funktioniert? 14.O-Ton Ahmels: Ja, ich glaube, dass das funktionieren kann. Wir müssen jetzt abwarten, ob die Bürger wirklich bereit sind, ... Zeit darin zu investieren und sich zu engagieren. Das ist ein Prozess, der jetzt läuft, wo wir Erfahrungen sammeln.., ob die deutsche Seele für so was bereit ist und sich damit auseinandersetzen will. Ich glaube: wohl! Atmo 2: Treffen mit MP Kretschmann, Punk-Musik, Punk-HBS, Rapp, danach Klatschen Sprecherin: Im Frühjahr 2012 ist Winfried Kretschmann gerade ein Jahr im Amt. Auf einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung Stuttgart suchte der erste und einzige grüne Ministerpräsident das Gespräch mit seinen Wählern. Ein Schüler-Duo rappt, die Atmosphäre der Veranstaltung unter dem Titel "Demokratie im Praxistest. Auf dem Weg zu einer neuen politischen Kultur" ist aufbruchsfroh. Trotzdem glaubten hier die wenigsten, dass der seinerzeit noch bevorstehende Volksentscheid im Ländle gegen den Bahnhofsneubau Stuttgart 21 ausgehen würde. Aber die Verhinderung von S21 ist ja nicht das einzige Vorhaben der neuen grün-roten Regierung. Für Kretschmann ist Bürgerbeteiligung auch weit mehr als ein Weg, im Konsens die Energiewende durchzusetzen. Bürgerbeteiligung ist ein Wert an sich, ein Weg zur Stärkung von Demokratie und Gemeinwesen. Aber zur Bürgerbeteiligung gehört eben auch die Einhaltung von Regeln. Da ist der Ministerpräsident unerbittlich. Auseinandersetzungen mögen hart sein, aber sie dürfen keine bleibenden Verletzungen bei den Kontrahenten hinterlassen, schließlich hat er selber seine Erfahrungen mit Konflikten. 15.O-Ton Kretschmann: Dieses Projekt für mehr Bürgerdemokratie setzt zwei Dinge voraus: die Institutionen müssen fair an solche Dinge rangehen. Der Streit muss zivilisiert sein. Das muss man mal erleben, wenn man in eine Versammlung geht, die anderer Meinung ist als man selbst in einer Frage, die einen umtreibt! Wir versuchen das ja heute bei so einem Prozess mit Moderatoren zu organisieren, dass man das schafft, einen vernünftigen Diskurs, der auf Entscheidungen hingeht, so dass am Ende die unterlegene Minderheit das auch akzeptiert und die Mehrheit nicht triumphalistisch reagiert. Sprecherin: Die Stuttgarter Regierung hat nun die erste Fassung ihres neuen Integrierten Klima- und Energiegesetzes vorgelegt. Für den Herbst sind quer durchs Land Zusammenkünfte von Experten wie Bürgern geplant, an vielen Runden Tischen soll die erste Gesetzesfassung diskutiert werden. Vorschläge und Kritik sind willkommen. Die Ergebnisse werden dann in einer, so möglich, gemeinsamen Empfehlung dem Ministerpräsidenten übergeben. Anschließend wertet das Umweltministerium die Ergebnisse aus und integriert sie in das Gesetz - oder in das Gespräch über das Gesetz. Sachfragen sachlich zu diskutieren, unabhängig vom politischen Parteistreit, sei bei Bürgerbeteiligungsprozessen unabdingbar. Aber eben nicht selbstverständlich, so Ministerpräsident Kretschmann. Andererseits gäbe es in den Kommunen Baden-Württembergs ja inzwischen so viel Bürgerentscheide wie noch nie und da funktioniere es ganz gut und immer besser. 2