COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Ab in die DDR! - Wie die Westberliner ihren Müll in der DDR-Gemeinde Schöneiche entsorgten - Autor Claudia van Laak Red. Claus-Peter Rehfeld Sdg. 04.10.2012 - 13.07 Uhr Länge 18.59 Minuten Moderation Wäre die Formulierung nicht schon besetzt, dann wäre sie hier zu erfinden gewesen : "schmutziges Geld". Dreck gegen Devisen - dies hätte auch als Überschrift über dem Vertrag stehen können, den die DDR 1974 mit West-Berlin abschloss. Im heutigen Marketing-Sprech eine Win-Win-Situation. Die DDR brauchte Devisen, Westberlin wollte - möglichst geräuschlos - seinen Müll loswerden. Und die Abfallgesellschaft geizt bekanntlich damit nicht, jedenfalls nicht mengenmäßig. Also weg damit, aus den Augen, aus dem Sinn. Oder : "Dann fahr doch rüber!" Jährlich etwa 2,5 Millionen Tonnen Bauschutt, Hausmüll und Sonderabfall landeten auf vier DDR-Deponien, die größte davon liegt im brandenburgischen Schöneiche bei Zossen. Claudia van Laak über eine ganz besondere deutsch-deutsche Beziehung und ihre vielen kleinen Geschichten. -folgt Script Beitrag- Script Beitrag 1 O-Ton-Collage/Geräusch Laster kippt Ladung ab 2Damals in den 70ern hat man uns erklärt, wenn es nicht hierher kommt zu uns, bringt Westberlin das nach Polen. Und das Geld können wir uns nicht entwischen lassen, wir brauchen Devisen. Geräusch Laster 3 Wir hatten ja nicht viele Möglichkeiten, was sollten wir denn machen? Die Deponie Wannsee wurde geschlossen zu dieser Zeit, war ja die einzige in Berlin noch vorhandene Müllkippe. Geräusch Laster 4 Wenn es nicht so zynisch wäre, müsste man sagen, die DDR-Deponie war ein Marktplatz der Ost- West-Begegnung. Geräusch Laster 5 Hier im Umfeld von Berlin da gab´s auch jede Menge Russen, denen war auch bekannt, dass es hier eine West-Müll-Deponie gibt und die haben nach was Brauchbarem gesucht. Geräusch Laster 6 Dann sind wir da durch, durch den Maschendrahtzaun und standen plötzlich im Westmüll. Und der sah etwas anders aus als der Müll der DDR, bunter. Autorin: Wir schreiben das Jahr 1984. Lange, langweilige Sommerferien. Der 17jährige Eik Galley und fünf seiner Freunde suchen das Abenteuer. Sie schwingen sich auf ihre Fahrräder, fahren zur 15 Kilometer entfernten Mülldeponie Schöneiche. Wilde Geschichten kursieren über diese Halde, auf der Westberlin seinen Müll entsorgt. Jeans sollen da rumliegen, begehrte Zeitschriften wie Bravo oder Stern. Vielleicht sogar der Playboy? Also: Fahrräder im Wald verstecken, dann durch ein Loch im Zaun und rauf auf die Kippe. O-Ton 7 Der Westmüll hatte einen etwas volleren Geruch, würde ich mal sagen. Ich wusste nicht wie der Westen roch, ich war nie da, aber es roch ein Stückchen nach Westen. Autorin: Ein Stückchen Westen in der DDR, Eik Galley ist begeistert. Der 17jährige Sportverrückte sucht Zeitungen und Zeitschriften aus Westberlin, die über die Olympischen Spiele in Los Angeles berichten. Und natürlich Bravos mit Starschnitten - die kann man zu dieser Zeit für 50 Ostmark weiterverkaufen. O-Ton: 8 Ich hatte glaube ich, ein, zwei Bravos und Reisekataloge von Neckermann in den schönen Süden hinein. Waren Bilder, die man in der DDR ja so nicht kannte. Das wird heute weggeworfen, logischerweise, und damals war es irgendwie: "Guck mal, was es hier alles für schöne Hotels gibt an der Algarve, Portugal oder Mallorca." Autorin: Plötzlich taucht ein Deponie-Aufseher auf, die Jungs lassen alles fallen, versuchen zu fliehen. Vergeblich. Ihre Personalien werden notiert, die Konsequenzen spüren sie dann nach den Sommerferien. Der Schuldirektor zitiert die Jungs einzeln zu sich ins Büro, die Eltern werden informiert, es gibt einen Tadel. Heute, fast 30 Jahre später, kann Eik Galley darüber lachen. O-Ton 9 Es ist natürlich eine skurrile Geschichte, die mit diesem Land zu tun hat und mit der ganzen Identität der DDR an sich, also diese Doppelmoral. Auf der einen Seite, den Müll zu nehmen und auf der anderen Seite eine Verwertung nicht zulassen zu können, ist ja eigentlich verrückt. Es gab sicherlich Menschen, die haben von diesem Müll gelebt. Geräusch Laster kippt Ladung ab (1) Autorin: Im abgeriegelten West-Berlin herrschte in den 70er Jahren Müllnotstand, trotz der Verbrennungsanlage, die 1967 in Betrieb ging. "Recycling" war in dieser Zeit noch ein Fremdwort. Papier, Glas, kaputte Waschmaschinen, Krankenhausabfälle, Farben, Lösungsmittel, alles landete ungeprüft auf der Deponie, erzählt Peter Muder, früher Werkleiter bei der Berliner Stadtreinigung BSR. O-Ton Muder: 10 Die Müllverbrennungsanlage hätte diese Mengen nie bewerkstelligt, das verbrennen zu können, und man hätte das dann woanders hinfahren müssen, nach Westdeutschland zum Beispiel. Das wäre ja alles viel teurer geworden. Autorin: West-Berlin hatte keinen Platz, aber Devisen, in der DDR war es umgekehrt. Ideale Voraussetzung für den Vertrag aus dem Jahre 1974, den der VEB Bergbau-Handel - ein Unternehmen aus dem Imperium von Alexander Schalck-Golodkowski - mit der Industrieplanungsfirma Berlin-Consult schloss. Bis 1994 sollten jährlich etwa 2 einhalb Millionen Tonnen Hausmüll, Bauschutt und Klärschlämme auf vier DDR- Deponien geliefert werden, später kam der Bau einer Sondermüllverbrennungsanlage hinzu. Der Westen ließ sich all dies rund 170 Millionen DM kosten. Der meiste Abfall landete im brandenburgischen Schöneiche südöstlich von Berlin. "Der größte Mülleimer Europas" - klagten Umweltschützer in den 80er Jahren. Deponie und Verbrennungsanlage sind bis heute in Betrieb. 11Geräusch Mülldeponie Schöneiche/LKW 12 Geräusch Verbrennungsofen O-Ton Madla: 13 Also hier sehen wir den Drehrohrofen, der den Abfall bei einer Temperatur von mehr als 1200 Grad verbrennt, wir sind hier beim Schlackeabwurf..... Autorin: Rüdiger Madla, Herr über die Müllbeseitigung in Schöneiche. O-Ton weiter: 14 Hier befindet sich eine kleine Eisenabscheideanlage, also hier prüft man, ob Eisenabfälle in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt werden können. Autorin: Rüdiger Madla steht vor der Sondermüll-Verbrennunganlage, die noch zu DDR-Zeiten von einer Schweizer Firma errichtet und von Westberlin bezahlt wurde. Der Diplomingenieur arbeitete schon hier, als Schöneiche noch ein Stück Westberlin in der DDR war, ein ganz besonderes deutsch-deutsches Joint-Venture. O-Ton Madla 15 Wir verstanden uns, weil wir dieselbe Sprache sprachen, das war schon ein deutlicher Vorteil, wir verstanden uns noch mal, weil wir technisch auf demselben Level waren, so dass das in allen Punkten, wo ich mitgearbeitet habe, ohne Probleme ablief. 16 Geräusch Auto innen Autorin: Der 59Jährige steigt ins Auto, fährt über das Gelände, zeigt auf ein gelbes Gebäude, das aussieht wie ein Einfamilienhaus. Alles Weststandard, sagt der Ingenieur und grinst. O-Ton: 17 So, das ist das alte Verwaltungsgebäude, das war komplett von Westberlin gebaut und installiert worden. Also ein schöner Klinkerbau aus den 70er Jahren. Geräusch Auto weiter Autorin: Neben der Einfahrt die Reste eines Betonfundaments. Unscheinbar heute, wichtig zu DDR-Zeiten. Hier stand nämlich der Intershop - Kaffee, Brötchen und Bockwürste für die Müllfahrer von der Westberliner Stadtreinigung - nur gegen Devisen, versteht sich. Und von der Stasi kritisch beäugt. "Leiterin legt großen Wert auf gepflegtes Äußeres, ist modisch gekleidet und unterhält intensive verwandtschaftliche Westkontakte" notierte IM "Kaelble". Wir DDR-Bürger durften hier natürlich nicht einkaufen, erläutert Rüdiger Madla. O-Ton 18 Es war auch nicht erwünscht, um nicht zu sagen untersagt für ostdeutsches Publikum. Es war einfach im Arbeitsvertrag so geregelt, dass das im Prinzip nur für Westberliner Fahrer ein Einkaufsort war. Autorin: Ein Einkaufsort auch für Zigaretten und Schnaps. Genau wie in den Intershops an der Transitstrecke konnten sich die Westberliner direkt neben der Deponie preiswert mit Tabak und Alkohol versorgen. Erlaubt war nur der Kauf von kleinen Mengen für den Eigenbedarf. Doch in einem leeren Müllauto ist eine Menge Platz. Einige unserer Fahrer haben ordentlich am Westberliner Zoll vorbeigeschmuggelt, weiß Peter Muder, vor seiner Pensionierung Werkleiter bei der Berliner Stadtreinigung. O-Ton Muder 19 Einer vom Zoll, in der Kleingartenkolonie in Britz hatte der auch eine Laube, und bei einer Veranstaltung, wo auch Preise ausgelobt waren, da ist dem aufgefallen, dass das Ware aus dem Transit-Shop war. Die sind dann bei mir gewesen und haben mir gesagt, ich soll doch sehen, dass ich das unterbinden kann. Ich habe die Information weitergegeben an die ganze Kraftfahrer-Crew, aber da sind ja immer ein paar dabei, die den Hals nicht voll kriegen. Da hätten sie dann eigentlich aufhören müssen und dann sind sie mal richtig geplatzt. Und nachdem dann vier Leuten entlassen waren, war dann dort ziemlich Ruhe mit dem Thema. Autorin: Ein steter Strom vollbeladener Müllfahrzeugen verließ Westberlin in südöstlicher Richtung. Um den Transport über die deutsch-deutsche Grenze zu erleichtern, wurde ein besonderer Grenzübergang errichtet, den nur Müllfahrzeuge passieren durften. Unsere Leute wurden kaum kontrolliert, wenn sie rausfuhren, aber umso stärker, wenn sie zurück nach West-Berlin wollten, erinnert sich Peter Muder. O-Ton Muder 20 Weil da natürlich die vermutet haben, dass die Fahrer ja Flüchtlinge rausschmuggeln könnten. Und da ist dann auch der Container aufgemacht worden und an diesen Abfertigungsrampen, da waren dann Schäferhunde, die die Fahrzeuge begutachtetet haben und da ist richtig kontrolliert worden. O-Ton Müller-Enbergs 21 Die Staatssicherheit hatte schon ein Interesse, ob sich hier ein etablierter Schmuggelmarkt aufmachte an Zigaretten, technischen Geräten, Kleidung, dann farbige Illustrierte, insbesondere für den gediegenen Herrn und dergleichen. Das wollten die schon im Auge haben. Autorin: erzählt Helmut Müller-Enbergs, Politologe in der Forschungsabteilung der Stasi- Unterlagenbehörde. Er hat in den letzten Monaten die Akten der MfS- Bezirksverwaltung Potsdam und der zuständigen Kreisdienststelle Zossen nach Hinweisen auf die Mülldeponie Schöneiche untersucht. Die Stasi war mit dieser "Dreck-gegen-Devisen-Geschichte" ziemlich überfordert, bilanziert Müller-Enbergs. O-Ton Müller-Enbergs 22 Denn im gleichen Kreis gab es den großen Komplex des Lastwagenbaus in Ludwigsfelde, eine renitente Jugend, im Gesundheitswesen knirschte es und in den Kirchen wurde man immer mutiger. Da war die Deponie quasi ein Sonderschwerpunkt, ein Plus, was man gar nicht allein hat bewältigen können, obwohl die Kreisstelle weit über 400 inoffizielle Mitarbeiter steuerte, waren nur wenige oder ein paar Dutzend mit dem Thema Deponie betraut. Die Bezirksverwaltung in Potsdam hatte die Kontrolle zu unterstützen. Autorin: Die inoffiziellen Mitarbeiter des MfS berichteten über deutsch-deutsche Parties, über einen Müllfahrer, der im Intershop 100 Stangen Zigaretten kaufte und nach Westberlin schmuggelte. Und über Fahrer, die Musikanlagen in die DDR brachten, sie an Mitarbeiter der Mülldeponie weiterverkauften - so schreibt es IM "Albert". Ein besonders fleißiger Zuträger der Staatssicherheit trug den Decknamen "Kaelble". Er notierte im Jahr 1977: Zitator: 23 Am 3. April fand der X auf der Deponie in Schöneiche einen Sack mit Porno-Literatur. Es gibt Anzeichen, dass diese Literatur unter den Kollegen verteilt wurde, denn die Quelle Lux II erhielt von X zwei Bücher. Autorin: Aus den Akten geht auch hervor, dass einige Inoffizielle Mitarbeiter durchaus den Umweltschutz im Auge hatten. So berichtete IM "Walter", dass die Deponie nach unten nicht abgedichtet sei und Nitrate ins Grundwasser gelangten. Diese Informationen seien bekannt, es gäbe aber keine Reaktion. Und er berichtete über Bodenaushub aus Berlin-Neukölln, der mit Öl verseucht sei. O-Ton Müller-Enbergs: 24 Es kam dort nicht gewöhnlicher Siedlungsabfall aus Westberlin, sondern auch Abfall mit gefährlichen Giftstoffen. Da hatte die Staatssicherheit genau im Auge zu behalten, was die Leute dachten, was sie wussten. Die Informationen waren ja möglichst geschützt zu halten. Viel sollten die Bürger ja nicht mitbekommen. Die Daten sind von der Staatssicherheit erhoben, systematisch auch an den politischen Raum gespeist worden und folgt man den Ausführungen der Staatssicherheit in ihren eigenen Akten, ist nichts passiert. Eigentlich ein Alarmzeichen. Autorin: Ein besonders waches Auge warf die Staatssicherheit natürlich auf die Anwohner, die nichts von dem Westmüll in ihrer Nachbarschaft hielten, die sich offiziell über herumfliegenden Abfall, Gestank, und Grundwasserverseuchung beschwerten und die versuchten, den Bau der Sondermüllverbrennungsanlage zu verhindern. Durchaus richtig notierte die Stasi dazu im Sommer 1989: Zitator: 25 Inoffiziell wurde bekannt, dass es unter der Bevölkerung der Umgebung eine sehr gespannte Stimmung zur gesamten Problematik gebe. Das gehe so weit, dass die dort tätigen ausländischen Bürger offen bedroht werden, weil man sie für den Aufbau der Anlage verantwortlich macht. 26 Geräusch: Tür geht auf, kling-klong Autorin: Die Bäckerei Wolter in Kallinchen am Motzener See, drei Kilometer von der Mülldeponie entfernt. Hier gibt es nicht nur den besten Streuselkuchen der Gegend, hier ist der Mann zuhause, der 20 Jahre lang die DDR-Behörden mit der Mülldeponie nervte. Ulrich Wolter, Bäckermeister in dritter Generation. Allein gegen sieben DDR- Gesetze wurde bei der Standortgenehmigung verstoßen, erzählt der 62Jährige. Aber die Devisen waren wichtiger. O-Ton Wolter: 27 Was haben sie zu mir gesagt, war ja kurios: Herr Wolter, Sie wollen doch auch eine Banane und Apfelsinen zu Weihnachten haben. Aber wir haben nie eine mehr gekriegt, muss ich Ihnen sagen, seit den 70er Jahren, nie eine. Die sind alle in Berlin geblieben, immer. Autorin: Ulrich Wolter sitzt im Wintergarten hinter der Backstube, an der Wand die Jagdtrophäen. Er kann stundenlang über sein Hase- und Igel-Spiel mit den DDR- Funktionären erzählen. Wie er und seine Mitstreiter es schafften, dass die Mülldeponie nicht direkt neben dem Motzener See errichtet wurde - wie zunächst geplant. Wie sie heimlich Kontakt mit den West-Berliner Grünen aufnahmen, um gemeinsam gegen die Deponie zu kämpfen. Und wie die Dorfbewohner die DDR- Oberen ständig an ihre eigenen Gesetze erinnerten. O-Ton Wolter: 28 Wir haben dann fast jedes Jahr, ein- zweimal, Eingaben gemacht an den Rat des Bezirkes, die konnten schon den Namen Kallinchen ja nicht mehr hören. Weil es wieder gerochen hat. Bei jedem Sturm ist das Papier durch die Gegend geflogen und das waren alles Auflagen, die sie einhalten mussten. Autorin: Das Dorf war alarmiert, als plötzlich nicht nur LKW der Stadtreinigung Westberliner Hausmüll in Schöneiche abluden, sondern Fahrzeuge mit westdeutschen und ausländischen Kennzeichen auf die Deponie fuhren. O-Ton Wolter: 29 Was hat denn das zu bedeuten? Bis wir von den Mitarbeitern mitgekriegt haben, Mensch, hier fahren sie Sickerschlämme hoch. Und das Schärfste war dann 87, da haben sie aus der Schweiz Giftmüll hochgefahren. Wir haben dann wieder eine Eingabe gemacht, hier wird die Standortgenehmigung, die der Rat der Gemeinde erteilt hat, nicht eingehalten, hier wird aus einer Hausmülldeponie eine Giftmülldeponie gemacht. Dann war natürlich das Theater groß. Autorin: Auch die Westberliner Müllfahrer hatten längst mitbekommen, dass auf der Deponie Schöneiche nicht nur Bauschutt und ungefährlicher Hausmüll landete. Doch so ganz genau wollte man das nicht wissen. Warum auch, es war ja DDR-Gebiet. Peter Muder, früher Werkleiter bei der Berliner Stadtreinigung: O-Ton Muder: 30 Auf der Deponie war zu sehen, dass auch andere da abladen. Aber mehr habe ich darüber auch nicht gewusst. Ich hab es nur, wenn ich ab und an mal auf der Deponie war, dann auch sehen können. Die haben an ganz anderen Stellen abgeladen, da kamen unsere Leute gar nicht hin, und das wurde auch immer gleich zugeschoben mit einem Radlader, da hat man gar nicht viel von mitgekriegt. Man hat mal gesehen, dass man Asbestplatten oder so etwas gesehen hat, die ja zu der Zeit auch schon anders beseitigt werden mussten, als die da einfach einzugraben. Aber mehr wussten wir davon nicht. Autorin: Doch dann berichtete das Westfernsehen über Schöneiche, Greenpeace machte den Müllexport in die DDR zum Thema, Ostberliner Umweltaktivisten bereiteten eine Fahrraddemo vor. Im Frühjahr 1989 planten sie, gemeinsam mit Greenpeace vor der Deponie Protest-Transparente auszurollen. Doch die kleine Fahrraddemo wurde bereits unterwegs im Dorf Telchow von der Volkspolizei gestoppt. Wahrscheinlich hat ein Spitzel unsere Pläne verraten, vermutet Christian Halbrock, damals in der Ostberliner Umweltbibliothek aktiv. O-Ton Halbrock: 31 Telchow, das ist eine Doppelortschaft, Telchow Krug heißt die in Wirklichkeit. Das erinnere ich daher so genau, weil ich dann später ein Ordnungsstrafverfahren bekommen habe, in dem es wortwörtlich hieß: Sie haben am soundsovielten, um soundsoviel Uhr in Höhe der Rindermastanlage Telchow Krug das sozialistische Zusammenleben der Bürger gestört. Autorin: Das Ende des sozialistischen Zusammenlebens war im Frühjahr 89 noch nicht absehbar, aber es rumorte schon gewaltig. Die Gegner des deutsch-deutschen Müllgeschäfts wurden mutiger. Zur Jahreswende 1989/90 hatten die Anwohner endgültig die Nase voll. Sie blockierten einen Tag lang von 6 bis 22 Uhr die Straße zur Deponie. Das war ein richtiges Volksfest, erinnert sich Bäckermeister Ulrich Wolter aus Kallinchen. O-Ton Wolter 32Man kann sich gar nicht vorstellen, auf einmal kamen immer mehr, immer mehr Leute. Dann kamen sie mit einer Feldküche an, dann haben sie da gegrillt. Und die Westberliner Fahrer, die haben sich gefreut: Och, heute brauchen wir nichts machen. Am nächsten Tag oder zwei Tage später war ja ein neuer Umweltminister in der DDR. Da kam dann gleich ein Telegramm, dass der Umweltminister erst einmal die ganzen Giftmülltransporte stoppt und dass eben nichts verschickt wird und dass neu verhandelt wird. Ausschnitt Rias-Nachrichten 33 Jingle 17 Uhr - Rias Aktuell - kein bundesdeutscher Müll mehr nach Schöneiche und Vorketzin. DDR-Umweltminister Diederich hat die Genehmigungen für die beiden Deponien im Bezirk Potsdam zurückgezogen. O-Ton Müller-Enbergs 34Schöneiche fasziniert, nicht nur wegen dem Duft dort, sondern weil hier wenig bekannt ist, dass hier sich ein Ost-West-Widerstand entwickelt hat, der aus dem öffentlichen Focus etwas entrückt ist. Denn, dies ist eigentlich ein Sprengsatz gewesen an einem ziemlich wunden Punkt. Der Müll im Sozialismus, eine Umweltbewegung in Westberlin, Ostberlin und im heutigen Brandenburgischen hatte was unglaublich Faszinierendes und im Ergebnis zeigte sich, die hatten Erfolg. Sie hatten wirklich Erfolg. Autorin bilanziert Helmut Müller-Enbergs von der Stasi-Unterlagen-Behörde. Heute stinkt es nicht mehr in Schöneiche. Der Giftmüll aus der Schweiz wurde ausgebaggert, die Halde saniert und abgedichtet. Und der Intershop neben der Mülldeponie nebst modisch gekleideter Chefin mit Westverwandtschaft ist Geschichte. 1 1