Deutschlandrundfahrt Tatorte in friedlicher Landschaft - Der Niederrhein zwischen Westfalen und Holland Von Mandy Schielke Sendung: 20. April 2013, 15.05h Ton: Ralf Perz Regie: Karena Lütge Redaktion: Margarete Wohlan Produktion: Deutschlandradio Kultur 2013 01 O-Ton Einspielung Hüsch... Der Niederrheiner ist zu allem unfähig. Ist wirklich war. Er ist zu allem unfähig. Nun ist es ja nichts Besonderes in der heutigen Zeit zu allem fähig zu sein. Dann schon lieber zu allem unfähig. Wirklich wahr... Sprecherin: Sagte einst Hans Dieter Hüsch, Kabarettist und selbst Niederrheiner. 02 O-Ton Einspielung Hüsch... Ferner, der Niederrheiner weiß nix, kann aber alles erklären... Sprecherin: Aber ist er wirklich so schräg der Niederrheiner? Was hat das alles mit der flachen Landschaft und der feuchten Luft in dieser Gegend zu tun? Und warum eignet sie sich so hervorragend als Inspiration für Kriminalromane? Kennungsmelodie Sprecherin: Tatorte in friedlicher Landschaft. Der Niederrhein zwischen Westfalen und Holland. Eine Deutschlandrundfahrt von Mandy Schielke. 01 Atmo: In der Fußgängerzone, blättern 03 O-Ton Michael Bay Sie schaute hoch zum freundlichen Gesicht des Schwanenturms und schulterte ihren Rucksack. Sprecherin: Ein Mann, Ende fünfzig im gefütterten Tweed-Jacket, steht in der Fußgängerzone von Kleve, einer Kleinstadt am Niederrhein, und liest aus einem Taschenbuch vor. Es ist der Krimiautor Michael Bay. Das Buch, das er in den Händen hält, hat er selbst verfasst. Titel: Die Burg. 04 O-Ton Michael Bay In der Fußgängerzone waren trotz des kalten Nieselregens eine Menge Leute unterwegs. Sie würde irgendwo unterwegs eine Tasse Tee trinken und dann zum Präsidium zurückschlendern. Ihr Boss erwartete ihren Anruf pünktlich um drei Uhr Ortszeit. Sprecherin: Im Kriminalroman geht es um einen perfiden Mord, der sich auf dem Platz vor der Burg, der Schwanenburg, dem Wahrzeichen von Kleve, während eines Volksfestes zugetragen hat. Ein eingespieltes Team ermittelt. Michael Bay, der Autor, der sich das ausgedacht hat, lebt seit dreißig Jahren am Niederrhein, seit 25 Jahren schreibt er mit einem befreundeten Ehepaar - Hiltrud und Artur Leenders - regelmäßig sogenannte Regionalkrimis. Sie spielen an Orten, die es auch in der Wirklichkeit gibt. Wie diese Fußgängerzone, in der Michael Bay das Buch nun in die Jackettasche steckt. Es ist einfach zu kalt an diesem Tag im Frühling. Die Häuser rechts und links von ihm stammen zumeist aus den 60er und 70er Jahren. Viel schmuckloser Beton. Typisch westdeutsche Nachkriegsarchitektur, erklärt Hiltrud Leenders. 05 O-Ton Hiltrud Leenders Das liegt daran, dass Kleve im Oktober `44, quasi am Ende des Krieges, zweimal schwer bombardiert wurde und dass über 95 Prozent der Häuser zerstört waren. Sprecherin: Langer Wollmantel, Lederhandschuhe. Hiltrud Leenders ist deutlich wärmer angezogen als ihr Co-Autor. 06 O-Ton Hiltrud Leenders Das einzige, was stehen geblieben ist, war die Schwanenburg, und da ist dann zu guter Letzt ein Bomber reingeflogen und hat dann den Turm auch noch weggerissen. Man muss sagen, dass die Schwanenburg das allererste Gebäude war, das wieder aufgebaut worden ist, weil die ganze Bevölkerung da mitgeholfen hat, denn der Klever an sich hängt unheimlich an der Burg. Man spricht von einem Schwanenburgkomplex. Sprecherin: Michael Bay lächelt. Dann rümpft er die Nase. Es riecht nach gekochtem Kohl. 07 O-Ton Michael Bay Das ist eine Kohlgegend hier. Rotkohl, Weißkohl, Grünkohl, Wirsing, Rosenkohl. Wenn man das richtig fertig macht, ist das richtig klasse. Sprecherin: Ein gemütlicher Typ ist dieser Michael Bay, er lächelt viel, macht ständig irgendwelche Witze und lässt sich auf keinen Fall aus der Ruhe bringen. In der Einkaufsstraße von Kleve ist auch wochentags viel los. Geschäfte für Haushaltswaren, Tee, Damenoberkleidung, Cafes, Restaurants. Niederländische Sprachfetzen wabern durch die feuchte Luft. 08 O-Ton Hiltrud Leenders Mehr als 30 Prozent, die hier einkaufen, sind Holländer. Für die Holländer ist dieser Raum Kleve ein absolut günstiges Einkaufsgebiet... Sprecherin Die holländische Grenze ist schließlich keine zehn Kilometer entfernt. Kleve geht es wirtschaftlich gut. Das hat mit den Niederländern zu tun, aber auch damit, dass der Strukturwandel gut überstanden ist, sagt Michael Bay, der in Kleve auch politisch aktiv ist. Schuh- und Lederindustrie, Margarinefabrik. Alles nicht mehr da. Aber es gibt eine Reihe moderner Technologie-Unternehmen und seit kurzem eine Hochschule und eben viel Konsum. Aber schon ist Michael Bay wieder abgelenkt. Vor einem Hutgeschäft probiert er Filz-Hute, die draußen in der Auslage liegen, an. Hiltrud Leenders hat dafür keine Zeit. Sie muss los. 02 Atmo: Hereinspaziert. Kalt.. Autorin: In ihrem flachen, geräumigen Haus in einer Siedlung treffen sich die beiden wieder. 09 O-Ton Hiltrud Leenders: Dort drüben ist der Esstisch, an dem wir uns jeden Dienstagabend zum Arbeiten treffen. Sprecherin: Dort werden Figuren entwickelt, Details besprochen, Ideen für Handlungsabläufe erfunden und wieder verworfen. Vier Stühle mit Korbgeflecht. Fenster, die bis zum Boden reichen und durch die auch an diesem grauen Tag viel Licht fällt. Routiniert hängt Michael Bay sein Tweed-Jacket über einen ganz bestimmten Stuhl. Es gibt eine klare Sitzordnung. Seit Ewigkeiten. Fast 20 Krimis hat das Krimitrio inzwischen verfasst. Hiltrud Leenders ist die Chefin. Früher wurde an den gemeinsamen Arbeitsabenden jede Menge geraucht und getrunken. Das ist vorbei. 10 O-Ton Hiltrud Leenders/Michael Bay Wir trinken mittlerweile hauptsächlich Tee, Früchtetee. Ha ha. Biolimonade. Die Rotweinzeiten sind irgendwie verloren gegangen. Sprecherin: In ihrem Privatleben und auch im Alltag des fiktiven Ermittlerteams aus Kleve. 11 O-Ton Michael Bay: Da ist schon so, dass wir die früher haben unheimlich quarzen lassen. Und Appeldorn ist auch mal angetrunken nach der dritten Halbzeit zu irgendeinem Tatort gekommen und hat dann Untersuchungen gemacht. 03 Atmo: Auto Sprecherin: Tatort ist das richtige Stichwort. Ihre Tatorte am Niederrhein. Die wollen sie mir zeigen. Also rein in den Wagen und los. Michael Bay fährt. Raus aus der Stadt. Auf den gelben Hinweisschildern am Straßenrand stehen vertraute Namen, jedenfalls für den, der ein paar Krimis vom Niederrhein gelesen hat: Goch, Üdem, Emmerich, Kalkar. Orte, an denen die Truppe von Kommissar Toppe Zeugen befragt, Wohnungen durchsucht, ermittelt. 04 Atmo: Im Auto Sprecherin: Hiltrud Leenders erzählt auf der Rückbank von Kleve, ihrer Heimatstadt: 50.000 Einwohner, Stadtrecht seit 1242. Es geht vorbei an einem stattlichen Gymnasium, wo die Krimi-Kommissare van Appeldorn und Ackermann Abitur gemacht haben sollen und auf dem Hiltrud Leenders Ehemann Artur tatsächlich war. 05 Atmo Blinker im Auto, Musikblende MUSIK 1 Friedhelm Olfen: Adios Nomine Album: Lyrischer Tango Einzellizenznehmer: Kundennummer 208000042218/ Lizenznr. 8000042418 06 Atmo: Auto auf Sandweg...innen Sprecherin: Von der Landstraße aus geht es rechts in einen breiten Sandweg. Er führt nach Gnadenthal. Und so - Gnadenthal - heißt auch ein weiterer Regionalkrimi vom Niederrhein - dieser Region zwischen Westfalen und der holländischen Grenze. 07 Atmo: Autotür zu/ vor dem Gutshaus 12 O-Ton Michael Bay: Das dreihundert Jahre alte Gnadenthal war seit Beginn des 19. Jahrhunderts im Familienbesitz. Zum Anwesen gehörten große Ländereien, die der Baron allesamt verpachtet hatte, ebenso wie das Schlossgebäude selbst, das von einer gemeinnützigen Organisation als Tagungszentrum betrieben wurde. Genauso lange schon traf sich die ,13' hier, sie waren gewissermaßen Stammgäste der ersten Stunde. Aus der Ferne wirkte das Schloss prachtvoll, aber bei näherer Betrachtung wurde schnell deutlich, dass man über beträchtliche Mittel verfügen müsste, um das Gebäude in Schuss zu halten. Über die Jahre war an allen Enden und Ecken restauriert worden. Haferkamp betrachtete die hohen, schmalen Sprossenfenster, deren weiße Lackierung Blasen warf und blätterte. Sprecherin: Im Roman trifft sich hier eine Kabarettgruppe, die ,13', die ihr Jahresprogramm einstudieren will. Die Geschichte wird aus der Perspektive eines Klever Buchhändlers erzählt: 13 O-Ton Hiltrud Leenders Inzwischen war es Oktober geworden, letzte goldklare Sonnentage. Martin Haferkamp hoffte, dass sich das Wetter bis zur nächsten Woche hielt. Gnadenthal lag inmitten einer schönen Parklandschaft, und er würde zwischen Diskussionen und Proben sicher Zeit zum Spazierengehen haben. Sonst kam er so gut wie nie an die frische Luft. Sprecherin: Krimiautorin Hiltrud Leenders steht auf dem unbefestigten Parkplatz und betrachtet das gelb verputzte Gutshaus. Sprossenfenster, grün gestrichene Fensterläden. Ringsumher hohe Bäume, die in diesem kalten Frühjahr noch keine Blätter tragen. Es duftet wieder leicht nach gekochtem Kohl. Der Nieselregen verwandelt sich gerade in Schnee, schnell rein zum Tatort. 08 Atmo: Tür geht auf 14 O-Ton Autorin/Concierge: Ich wollte fragen, ob wir einen Moment, ob ich mich mal ein bisschen umgucken darf. Mit dem Roman zusammen nicht gern. Der Schaden durch das Buch war schon groß genug. Aber es ist doch Fiktion, oder? Aber Fiktion in einer örtlich genau benannten Sache, da laufen andere Eigendynamiken. Ok. Dann will ich Sie nicht länger behelligen. Sprecherin: Noch ein kurzer Blick in den Salon, dann raus. Die Krimiautoren sind nach den heftigen Worten des Concierge gleich im Eingang stehengeblieben. Michael Bay überlächelt den Vorfall. Verblüfft ist er trotzdem. 15 O-Ton Michael Bay Diese Aggressivität, die es jetzt hatte, ist selten. Sprecherin: Vielleicht mehr Feindseligkeit als Aggressivität. Andererseits. 16 O-Ton Hiltrud Leenders Für uns ist das Alltag, dass die Leute hier Realität und Fiktion verwechseln. Denn es lesen hier am Niederrhein Leute diese Bücher, die eigentlich Nicht-Leser sind - nur weil es eben hier am Niederrhein spielt. Und da kommt sehr häufig die Reaktion: Aber das ist ja ganz falsch beschrieben. Was für eine Unverschämtheit. Oder bei Lesungen. Dieses fantastische Erlebnis mit einer älteren Dame... Wir haben also gelesen und Artur machte so eine Anmoderation, sagte, Astrid und Toppe sind jetzt zusammengezogen, und dann stand hinten eine Dame auf und brüllte: Zusammengezogen? Rangeschmissen hat die sich an den. Sprecherin: Der eigentliche Mord in Gnadenthal geschieht im Park hinter dem Gutshaus. Trotz der Abfuhr eben versuchen Hiltrud Leenders und Michael Bay dort hinzugelangen. Da ist ein Holztor. Zum Glück ist es nicht abgeschlossen. 09 Atmo Park 17 O-Ton Hiltrud Leenders/ Michael Bay Zu der Zeit, als wir den Roman haben hier spielen lassen, gab es hier von einem niederländischen Sammler ganz viele afrikanische Skulpturen, die hatte er hier ausgestellt. Und in diesem kleinen Teich wird dann ja auch die Tatwaffe gefunden. Da wird das Wasser abgelassen und dann findet man die Tatwaffe, die ja eine afrikanische Skulptur ist. Sprecherin: Still und friedlich, mit Entengrütze bedeckt, liegt er nun da, dieser Teich. Umgeben von Silberbuchen, die krumm in die Landschaft wachsen und augenscheinlich schon lange nicht mehr beschnitten wurden. Überall noch das Laub vom vergangenen Herbst. Niemand sonst ist jetzt an diesem verwunschenen Ort. 18 O-Ton Michael Bay: Wenn der Nebel hier aufsteigt, ist das ganz toll. Sprecherin: Michael Bay geht ein paar Schritte und erzählt, dass das Krimischreiben für ihn mehr ein Hobby als ein Job ist. Er ist Psychologe, arbeitet an einer Klinik in der Nähe, die auch schon mal zum Tatort in einem seiner Krimis geworden ist. 10 Atmo Park Sprecherin: Und getötet wird eben auch in Gnadenthal. Ein Mann erschlägt seinen Freund aus Eifersucht und auch deshalb, weil das Mordopfer die Kabarettgruppe unverschämt hintergangen hat. Michael Bay interessiert auch hierbei vor allem die Psychologie, die Verletzungen, Motive. 19 O-Ton Michael Bay Was macht eine Gruppe, die so lange zusammen ist? Was wird aus deren Träumen, Erwartungen? Wie entwickeln die sich weiter? Können sie diese Entwicklungen aushalten? Sprecherin: Und dann wird dieser Mann, der zuvor aus allem einen Witz gemacht hat, nachdenklich. Kein Wunder bei diesem melancholisch grauen Wetter, das - sagt Hiltrud Leenders - so typisch für diese Gegend ist. 20 O-Ton Hiltrud Leenders Grau, dicke Luft, nebelig, immer ein bisschen feucht, ein bisschen kalt. Durch den Rhein. Der Rhein bestimmt schon sehr. MUSIK 2 11 Atmo: Straße Sprecherin: Die Wirklichkeit inspiriert die Krimischreiber vom Niederrhein zu ihren Geschichten. Wer aufmerksam durch die Gegend fährt, kann Tatorte erkennen oder zu erkennen glauben, aber nur eine Person, die regelmäßig in den Büchern auftaucht, gibt es tatsächlich: Den Klever Richter Ulrich Knickrehm. 21 O-Ton Ulrich Knickrehm: Ich bin Vorsitzender Richter hier am Amtsgericht Kleve und unter anderem Vorsitzender der Schwurgerichtskammer, die für Mord und Totschlag zuständig ist. Sprecherin: Ulrich Knickrehm ist in den Geschichten das, was Mrs. Columbo in der amerikanischen Krimiserie über einen schnoddrigen Ermittler im Trenchcoat ist: Eine phantomartige Person, von der immer wieder die Rede ist, die aber nie selbst in Aktion tritt. Während Ulrich Knickrehm, ein großer Mann mit gutmütigem Blick, die Aktentürme auf dem Schreibtisch im engen Dienstzimmer durchschaut, erzählt er davon, dass er mit den Krimiautoren aus Kleve befreundet ist. Als er seinen Namen in ihren Büchern zum ersten Mal las, war er überrascht. Verärgert war er nicht. 22 O-Ton Ulrich Knickrehm Als ich es gelesen habe, habe ich erst einmal gestutzt und gedacht, was ist das denn? Mir war das nicht unangenehm. Streichelt das Ego so ein bisschen. Im Nachhinein hat man im Kollegenkreis ein bisschen gelästert. Ach, das ist ja der, von dem man jeden Durchsuchungsbeschluss bekommt. Sprecherin: Denn davon ist in den Krimis die Rede: Wenn die Ermittlungen ins Stocken geraten, muss ein Durchsuchungsbeschluss her. Und am leichtesten ist der eben von Knickrehm zu bekommen. Mit der Wirklichkeit hat das selbstverständlich überhaupt nichts zu tun, sagt der Richter, und lässt den Blick aus dem Fenster schweifen. In der Ferne kreisen Windkrafträder. Knickrehms Dienstzimmer befindet sich in der Schwanenburg auf dem höchst gelegenen Punkt von Kleve. In der verwinkelten Festungsanlage, in der im Mittelalter Anna von Kleve lebte, ist seit Jahrzehnten das Amtsgericht untergebracht. 23 O-Ton Ulrich Knickrehm Am Niederrhein gibt es nicht mehr Mord und Totschlag als anderswo. Ich würde eher sagen, tendenziell noch weniger. Es ernährt einen Mann nicht das Ganze Jahr. Ich habe deshalb auch andere Dinge, die ich nebenbei noch zu erledigen habe. Wir haben manchmal 13, 14 Verfahren im Jahr. Im vergangenen Jahr waren es, glaube ich, neun. Damit kann man sich nicht ein ganzes Jahr beschäftigen. Sprecherin: Ulrich Knickrehm ist Ende 50, geborener Klever, und selbstverständlich - so sagt er selbst - liest er die Krimis aus seiner Heimat. Die Morde, die sich das Ehepaar Leenders und Michael Bay ausdenken, geschehen im privaten Umfeld, in der Familie, im Freundeskreis. Aus Eifersucht, gekränkter Eitelkeit, verletzter Ehre, Wut und Rache. Wie in der Wirklichkeit. 24 O-Ton Ulrich Knickrehm Weil das Leben eben so facettenreich ist, dass man sich das alles vorstellen kann. Kapitalstrafsachen, so wie wir die nennen, sind hauptsächlich Beziehungstaten. Eiskalte Mörder, Auftragskiller, die irgendwelche Tötungsdelikte begehen, das begegnet einem in der Praxis ganz selten. Sprecherin: Die Sonne bricht durch die dichte Wolkendecke. Schnell raus ins Freie. 12 Atmo Draußen vor der Burg/ blättern Sprecherin: Efeu rankt hier und da am Mauerwerk nach oben. Ulrich Knickrehm, der sich seinen warmen Mantel übergezogen hat, lehnt sich gegen ein unbewachsenes Stück Burgmauer, blinzelt in die Sonne und fängt an zu lesen. 25 O-Ton Ulrich Knickrehm Die Presse hatte die Hoffnung auf eine brandheiße Nachricht noch nicht aufgegeben. Kommissar Toppe kam an mehreren Übertragungswagen vorbei, als er mit schweren Schritten zur Schwanenburg hochstieg. Der Vorplatz war in überhelles hartes Licht getaucht und Bombenexperten hatten die Reste des Podiums inzwischen auseinander genommen und waren dabei, alle möglichen Dinge in durchsichtige Beutel einzutüten. Sprecherin: Knickrehm blickt auf den Burgplatz. Keine Tribüne, kein Chaos. Nur parkende Autos und Mitarbeiter des Amtsgerichtes, die während ihrer Mittagspause irgendwo starr in der Sonne stehen und Licht tanken. 13 Atmo: Vor der Burg, dann lange Kreuzblende... 26 O-Ton Einspielung: 20 sek Der Hund von Baskervilles ...er ist tot John, er ist tot. Sprecherin: Schloss Dartmore Castle liegt düster hinter einem Wassergraben. Nebel steigt auf. Durch die Schleier dringt das Heulen eines ungeheuerlichen Hundes. Auf der Familie lastet ein schrecklicher Fluch: Alle männlichen Nachkommen werden von einer Bestie gehetzt, fürchterlich zugerichtet, ermordet. Nur Sherlock Holmes und Dr. Watson können helfen. Als Carl Lamac 1936 Doyles Kriminalroman "Der Hund von Baskervilles" verfilmte, diente das im Tudor-Stil erbaute Schloss Moyland am Niederrhein als Kulisse für die Außenaufnahmen. 14 Atmo: Kreuzblende "Der Hund von Baskervilles"/ Bundesstraße "Ach Watson darf ich bitte noch um eine Tasse Tee bitten..." Sprecherin: Auf dem Weg von Kleve nach Kalkar kann man das Schloss hinter kahlen Bäumen erkennen. Roter Backstein, vier Türme, Zinnen. Passend zur Kulisse der Nebel. Hiltrud Leenders und Michael Bay sitzen im warmen Auto. Während sie an dem Schloss vorbeisausen, erzählen sie davon, dass dort nicht nur der berühmte Krimi- Stoff "Der Hund von Baskervilles" verfilmt wurde, sondern sich auch Friedrich der Große mit Voltaire getroffen haben soll. 15 Atmo: Straße/Kalkar Sprecherin: Ankunft in Kalkar. Auf den Gehsteigen ist kaum ein Mensch zu sehen. Der Tag bleibt ungemütlich. Marktplatz, Kopfsteinpflaster. Zwei- bis dreistöckige Häuser im gotischen Stil, dazwischen klassizistische Bürgerhäuser. Ein Rathaus mit Treppengiebel. Überall unverputzter roter Backstein, der so typisch für die Gegend ist. 27 O-Ton Hiltrud Leenders So sah Kleve mal aus. Sprecherin: Im Gegensatz zu ihrer Heimatstadt Kleve ist das fünfzehn Kilometer entfernte Kalkar im zweiten Weltkrieg nicht zerstört worden. Alles sieht sehr gepflegt aus. Gleich in der Nähe sollte einmal ein Kernkraftwerk entstehen. Deshalb floss viel Geld der Landesregierung nach Kalkar. Über Jahrzehnte, so erzählt Hiltrud Leenders, war dieses Bauvorhaben ein Zankapfel. 28 O-Ton Hiltrud Leenders Das waren meine ersten Demos als Jugendliche und junge Frau. Stoppt Kalkar. Der schnelle Brüter war ein Plutoniumkraftwerk. Die begannen immer hier auf dem Marktplatz und dann marschierte man zum schnellen Brüter. Das war ein ganz schön langer Marsch. Sprecherin: Eingehüllt in ihren wadenlangen Mantel steht Hiltrud Leenders jetzt auf dem menschenleeren Marktplatz und erinnert sich an die Anti-AKW Demonstrationen in den 70er Jahren, Menschenmassen, Staatsgewalt. 29 O-Ton Hiltrud Leenders Da waren hier alle Fenster vernagelt, weil die Menschen Angst hatten vor den bösen, gewalttätigen Friedensleuten. Hier war eine Bühne. Es waren Redner da. Es war ein bunter Haufen von Menschen verschiedenen Alters...viele, viele Polizisten, viel Staatsschutz. Es war ein bisschen gruselig. Viele Hubschrauber. Sprecherin: Das Unglück in Tschernobyl stoppte das Vorhaben endgültig. Allerdings waren die Bauarbeiten auf dem Kraftwerksgelände zu jenem Zeitpunkt schon ziemlich weit fortgeschritten. Hiltrud Leenders blickt zu Michael Bay. Der lächelt wieder sein verschmitztes Lächeln und erzählt, dass dort, wo einst Plutonium gespalten werden sollte, jetzt ein Vergnügungspark ist, und das sei kein Scherz. Kernwasser Wunderland heißt das Spaßparadies, das um diese Jahreszeit aber noch geschlossen hat. Dann zieht Hiltrud Leenders wieder ein Buch aus der Tasche, blättert auf Seite 157. Eine Szene aus Kalkar. Das Ermittlerteam um Hauptkommissar Toppe ist fertig mit der Zeugenbefragung. 30 O-Ton Hiltrud Leenders Hübsches Städtchen, meinte Schnittges, als sie auf die Straße traten. Ich hatte keine Ahnung, dass es in dieser Gegend so etwas gibt. Ein mittelalterlicher Marktplatz wie aus dem Bilderbuch. Ich habe dort eben ein Eiscafè entdeckt, sah ganz nett aus. Lust auf eine kleine Pause? Ich lad Dich ein.... 31 O-Ton Michael Bay Genau das. Eiscafe Venezia. Minus fünf Grad. Jetzt gehen wir ein Eis essen. 16 Atmo Im Eiscafe... Sprecherin: Michael Bay bestellt Spaghetti-Eis. Hiltrud Leenders einen Cappuccino. Gleich wird auch Artur Leenders auf einen Kaffee vorbeikommen, sagt sie, und steckt ihr altmodisches Mobiltelefon zurück in die Handtasche. Seine unfallchirurgische Praxis ist nämlich gleich um die Ecke. Während Michael Bay sein Eis löffelt, erzählt er, dass die drei Autoren auf einer Party Ende der 80er Jahre auf die Idee gekommen sind, gemeinsam einen Krimi zu verfassen. Warum genau können sie nicht mehr erinnern. Und dann sagt Michael Bay - gebürtiger Westfale, der seit über 30 Jahren im niederrheinischen Kleve lebt, dass er echt lange gebraucht hat, um mit den Niederrheinern warm zu werden. 32 O-Ton Michael Bay Ich kenn das aus Westfalen, dass man direkt sagt, was man will. Hier am Niederrhein, habe ich das Gefühl, wird eher Psycho-Billard über Bande gespielt. Man muss sich ein bisschen aufwärmen und dann kommt man über die Bande zum Kern der Sache. 33 O-Ton Hiltrud Leenders Ich finde das ganz anders und finde immer, dass er Westfalen ganz furchtbar romantisiert, seitdem er da nicht mehr lebt. Man kann gut im Vergleich zum Kölner, zum Rheinländer den Niederrheiner sehen. Die Rheinländer sind offen, freuen sich und sind auch sehr gern mal sehr direkt, feierfreudig. Meine Schwiegermutter kam aus Düsseldorf und ist an den Niederrhein gezogen und fand das ganz schrecklich, wie nüchtern die Leute hier waren. Sie hat immer gesagt, die Leute können hier nicht so lachen. Ich als Niederrheinerin finde das, worüber die Kölner lachen, völlig blöde. Sprecherin: Der Niederrheiner weiß nix, kann aber alles erklären, so hat es der Kabarettist Hans Dieter Hüsch einmal gesagt. Und das stimmt, da sind sich Hiltrud Leenders und Michael Bay überraschend einig. Beispiel Radioreportage über den Niederrhein. 34 O-Ton Michael Bay/ Hiltrud Leeders Sie würden mir also sagen, ich habe eine Sendung vor. Da würde ich sagen, oh tolle Idee, und dann würde ich Ihnen eine dreiviertel Stunde einen Vortrag halten, dass diese Idee zu dieser Sendung zwar gut ist, aber warum das nicht klappen kann. Also der Niederrheiner ist schon sehr pessimistisch, in der Tendenz schon. Wenn man ihn was fragt und er hat keine Ahnung dann würde er das nie zugeben, sondern immer versuchen zu erklären. Sprecherin: Und genau dieses Phänomen spiegelt sich auch in den Krimi-Figuren wieder. Wobei: 35 O-Ton Michael Bay Wir haben eigentlich nur einen echten Niederrheiner und der vereint schon ziemlich viele Eigenschaften. Sprecherin: Gemeint ist Jupp Ackermann. Der Beamte vom Betrugsdezernat, der immer mal wieder in der Mordkommission aushilft. Ein ehrlicher, bodenständiger Kerl, der sagt, was alle anderen nur denken. Und zwar echt niederrheinisch, ruft Artur Leenders, der soeben das Eiscafè Venezia betritt, und schnappt sich den Krimi "Grenzgänger", der auf dem Tisch liegt. 36 O-Ton Artur Leenders Et wat glauben Sie denn, wat bei...Wij sech ge dat! (Auszug aus "Grenzgänger"...Mischung aus Platt und deutsch)...Und jetzt die Übersetzung... 37 O-Ton Hiltrud Leenders Er spricht diesen Regiolekt. Sprecherin: Und so ist die fiktive Figur Jupp Ackermann, die von seinen Kollegen im Präsidium nicht immer ernst genommen wird, aber zumeist die besten Ideen hat, auch Gegenstand von Vorlesungen eines Sprachforschers an der Uni in Bonn, sagt Hiltrud Leenders nicht ohne Stolz. Sie ist selbst Linguistin und es macht ihr riesigen Spaß, Gespräche zu belauschen, vor allem dann, wenn Dialekt - Platt - gesprochen wird, sagt sie und kratzt den letzten Milchschaum aus ihrer Cappuccino-Tasse. So hat jeder der drei seine Aufgabe im Team, ergänzt ihr Ehemann. 38 O-Ton Artur Leenders Die Spezialitäten, die jeder hat, muss man anerkennen. Bei mir ist das so, ich hab den Medizinpart. Die Gerichtsmedizin und so was. Michael ist der Psychologe. Der baut die Figuren. Die Spezialitäten des anderen akzeptieren und stehen lassen. Das ist, glaube ich, das Geheimnis, warum wir so lange zusammen sind. Sprecherin: Und wenn alle drei nicht mehr weiter wissen, werden Freunde und Kollegen befragt. 39 O-Ton Michael Bay Wir hatten also mal das Problem, wie kann man ein Pferd lautlos töten. Dann hab ich rumgefragt und dann sagte einer der Pfleger, der war früher Kopfschlächter im Schlachthof, der sagte, Du musst Dir ein Kreuz denken vom rechten Ohr zum linken Auge und umgekehrt. Und da wo sich die beiden Linien treffen, da setzt Du ein Bolzenschuss-Gerät an, und dann sackt das Pferd in sich zusammen und gibt keinen Ton von sich. Sprecherin: Alle nicken in einer Kulisse aus Bonbonfarben, in der es süß nach Eiscreme duftet. Um echter Niederrheiner zu sein, muss man übrigens in dritter Generation hier leben, sagt Michael Bay zum Schluss. Bleibt die Frage, wo fängt er eigentlich an, der Niederrhein, und wo endet er. 40 O-Ton Hiltrud Leenders Es gibt ganz viele Orte, die möchten gern Niederrhein sein. Mönchengladbach hat angeblich einen niederrheinischen Fußballclub. Für uns ist Mönchengladbach schon Rheinland. Düsseldorf...historisch hat Düsseldorf zu Kleve gehört und Schloss Benrath war zeitweise Sitz der Grafen von Kleve. Historisch gehört Düsseldorf durchaus zum Klever Land. Aber ein Klever würde einen Düsseldorfer nie als einen Niederrheiner bezeichnen. 41 O-Ton Michael Bay Ich weiß aber auch nicht, wo der Niederrhein anfängt und wo der Niederrhein aufhört. Ackermann weiß das. 42 O-Ton Hiltrud Leenders Sprachlich kann man das ganz gut festmachen. Der Niederrheiner sagt immer, für mich ist der Niederrhein nur die Gegend, wo die Leute noch wissen, was eine Fitz ist. Und eine Fitz ist ein Fahrrad. Im Holländischen heißt es Fietz und im Klever Platt heißt es Fitz. Sprecherin: Von den Niederlanden bis Üdem, das ist der Niederrhein, nuschelt Michael Bay und bestellt sich nach dem Eisbecher noch einen Kaffee. Wirklich eindeutig sind diese Definitionen nicht. 17 Atmo Im Eiscafè Sprecherin: Oftmals wird der Niederrhein auch gerade dadurch definiert, was er eben nicht ist, nicht die Niederlande, nicht Westfalen, nicht das Münsterland und auch nicht das Bergische Land. Alle Krimis von Leenders/Bay/Leenders spielen jedenfalls in der Gegend rund um Kleve. Dort, wo die Landschaft undramatisch und flach ist. Aber vielleicht ist sie auch gerade deshalb so inspirierend. MUSIK 3 18 Atmo Standuhr Sprecherin: Durchs Fenster des Esszimmers kann man auf eine Bundesstraße blicken, die die flache Landschaft durchschneidet, eine Straße, die einst Napoleon bauen ließ, sagt Sonja Moers-Schuster. Es ist acht Uhr morgens, ihre Kinder hat sie zur Schule nach Xanten gebracht, jetzt trinkt sie schnell noch einen Kaffee, bevor sie wieder los muss. 43 O-Ton Sonja Moers-Schuster Hier ist das alte, gute Esszimmer, da drüben ist das Fernsehzimmer. Dann haben wir noch ein Jagdzimmer gegenüber. Und meine Mutter hat noch ein ganz gutes altes Wohnzimmer. Als Kind fand ich das auch immer phänomenal, wie hoch die Decken waren, und wenn ich zu meinen Freundinnen gegangen bin, hab ich mich immer gewundert, wie niedrig da die Decken und wie klein die Häuser sind. Sprecherin: Die 42-Jährige ist in diesem herrschaftlichen Backsteinhaus aus der Jahrhundert- wende aufgewachsen. Auf einem Bauernhof mit über 60 Milchkühen und einer Jungviehaufzucht. Ein Mikrokosmos im niederrheinischen Alltagsleben fernab von Verbrecherjagd, Mord und Totschlag. Die Vorfahren von Sonja Moers- Schuster waren Landwirte und auch sie selbst ging in die Landwirtschaft. Das war einfach so, sagt sie und schmiert sich noch schnell ein Brot. Sie trägt kurze, asymmetrisch geschnittene Haare und modischen Halsschmuck. 44 O-Ton Sonja Moers-Schuster Ich habe vor etwa 20 Jahren eine Lehre als Landwirtin gemacht, dann sind die Grenzen geöffnet worden, die DDR hat sich geöffnet und dann haben wir gesehen, Oh, was haben die da für riesig große Flächen, da können wir mit unseren kleinen Flächen nicht mithalten, ich muss gucken, dass ich noch eine andere Ausbildung mache. Sprecherin: Sie wird Laborantin, verlässt den Hof, zieht nach Bonn, heiratet, bekommt Kinder und kehrt zurück. Gemeinsam mit ihren Eltern verwandelt sie die einstigen Ställe und Scheunen in Ferienzimmer. Aus der Landwirtin wird eine Gastwirtin. Der Großteil der Felder, wo Familie Moers einst Futter für die Tiere anbaute, ist inzwischen verpachtet. Eine typische Entwicklung für die einstige Viehwirtschaftsregion Niederrein, sagt die 42Jährige, die inzwischen draußen an der frischen Luft ist und nach ihren Schafen sieht. 20 Atmo ..."Ja kommt...so ist es fein", Hühnergackern... 45 O-Ton Sonja Moers-Schuster Traditionell gibt es viele Bauernhöfe, aber von den ganz vielen gibt es ganz wenige aktive noch und es werden immer weniger, und die wenigen, die da bleiben, werden immer größer, kaufen die Flächen von den anderen Höfen auf und die nehmen auch die Tiere von den anderen in ihre Ställe auf. Das heißt, dass die Struktur von vor über 20 Jahren, wo ich den Schrecken gekriegt habe, dass das alles so groß wird, dass hat also 20 Jahre gebraucht, um hier rüberzuschwappen. So ist der Strukturwandel mit der Zeit. Sprecherin: Kühe gibt es nicht mehr auf dem Möhren-Hof. Nur noch Schafe und Hühner. Und die Schafe sind vor allem für das Bauernhofgefühl da. Das mögen Feriengäste mit kleinen Kindern, sagt Sonja Moers und macht sich auf den Weg in die Scheune. 21 Atmo über den Hof, auf dem Hof Sprecherin: Vierzig Gäste kann Sonja Schuster-Moers inzwischen auf ihrem Hof unterbringen und noch einmal 50 im Heuhotel. Also in der Scheune. 22 Atmo Scheune Sprecherin: Dort ist alles so wie früher. Als ob die Kühe nur mal kurz ausgeflogen wären. Kalter Betonbogen, Holzbalken, Stroh und Heu. Aber eben kein Mist und deshalb riecht es hier auch überhaupt nicht nach Stall, sondern es duftet nach frischem Heu. Irgendwo führt eine Tür in ein Badezimmer. Ansonsten keine Spur von Komfort. Keine Heizung, keine Bettdecken, kein Fernseher. Und genau das ist es, was viele Gäste am Möhrenhof mögen: Die Ursprünglichkeit, sagt Sonja Moers-Schuster. Sie weiß, wovon sie spricht, schließlich hat sie ihre halbe Kindheit im Heu verbracht. 46 O-Ton Sonja Moers-Schuster Wir haben ganz viel im Heu gespielt und sind früher die Strohrundballen runtergerutscht. Sprecherin: Dort hat sie jede Menge Schuhe und andere Dinge verloren, die sich nie wieder angefunden haben. Sobald es nachts keine Minusgrade mehr gibt, übernachten hier Reisegruppen: Junggesellenabschiede, Mitarbeiter der Sparkasse, Trachtenvereine. 47 O-Ton Sonja Moers-Schuster Die sind in Freizeitsachen hier angekommen, haben im Heu übernachtet. Am nächsten Tag haben die dann mit Dirndlkleid und Anzügen, schicken Klamotten am Frühstückstisch gesessen und haben dann noch eine Dienstbesprechung gehabt. 23 Atmo Tisch decken Sprecherin: In einem abgetrennten Raum innerhalb der Scheune deckt die Mutter von Sonja Moers Schuster eine Kaffeetafel ein. Obwohl es noch Stunden dauern wird bis der Landfrauenverein zum Kaffeeklatsch eintrifft. In einer Vitrine, die eigentlich ein Kühlschrank ist, stehen Sahnetorten, im gusseisernen Holzofen lodert ein kräftiges Feuer, das sich wohlig warm im Saal ausbreitet. 48 O-Ton Mutter Moers Es ist keine niederrheinische Kaffeetafel. Eine niederrheinische Kaffeetafel wäre mit Brot, Brötchen, Käse, Wurst und danach isst man dann ein Stück Kuchen, so platten Kuchen. 24 Atmo Lodern im Holzofen... Sprecherin: Während Sonja Moers-Schuster sich am Feuer ein wenig aufwärmt, erzählt sie, dass man selbstverständlich auch hier auf dem Möhrenhof die Krimis von Leenders/Bay/Leenders kennt. Die Bücher stehen jedenfalls im Bücherregal. Sie selbst habe die Geschichten über Verbrechen am Niederrhein allerdings noch nicht gelesen. Ihr Ehemann schon, sagt die 42-Jährige. Und so ist auch die einstige Landwirtin, die jetzt erfolgreich Gastgewerbe betreibt, irgendwie stolz auf die Regionalkrimis vom Niederrhein. 49 O-Ton Sonja Moers-Schuster Wir sind hier auf dem Land. Da spricht sich alles sehr schnell rum. Sprecherin: Und außerdem. 50 O-Ton Sonja Moers-Schuster Hier passiert ständig etwas, es wird nicht langweilig. Die meisten Gäste, die hier wohnen sind nette liebe Leute. Aber ein Gast hat den Wagen von meinem Vater geklaut. Dann war der Wagen weg. Der war dann drei Wochen ungefähr weg, als die Polizei angerufen hat, uns sagte, dass der Wagen gefunden worden ist. 25 Atmo Hof, Vögel, Autos, die die Bundesstraße entlang sausen MUSIK 04 26 Atmobrücke: Im Kurhaus... Sprecherin: Hiltrud Leenders steht im Museum Kurhaus in Kleve vor einer Fotografie, die einen Mann auf dem Rücksitz einer alten Limousine zeigt. Durch die Rückscheibe ist unscharf Gnadenthal zu erkennen. Es ist nebelig. Die Fotografie zeigt Joseph Beuys. Aufgenommen in den Siebziger Jahren. 51 O-Ton Hiltrud Leenders Er guckt sehr ernst, er hat einen hellen Trenchcoat an, natürlich eine Weste darunter wie immer und seinen berühmten Filzhut. Hände in den Taschen, die Schultern ein bisschen zurückgenommen. Ein bisschen ernst. Autorin: Ausgemergelt, hohe Wangenknochen, ein fast weiblicher voller Mund. 52 O-Ton Hiltrud Leenders Das Witzige an Joseph Beuys ist für so alte Klever wie mich...der ist ja hier geboren, in Rindern, einem Dorf bei Kleve, und heute hat man hier Ausstellungen und man kann das Atelier besuchen. Ich hatte in meiner Klasse am Gymnasium ein Mädchen, das war Beuys Nichte, und der war das ungeheuer peinlich, dass das ihr Onkel war, weil damals war der ja wirklich ein Enfant Terrible in der deutschen Kunstwelt. Sprecherin: Inspektion des Tatortes für einen neuen Krimi. Was hier genau passieren wird, darüber schweigt Hiltrud Leenders. Das Museum Kurhaus ist wie der Name vermuten lässt in einem alten Kurhaus untergebracht, in einem prachtvollen, großzügigen Bau aus dem 19. Jahrhundert, in dem einst wohlhabende Holländer und auch der deutsche Kaiser kurten. Dem Wasser einer Quelle direkt hinter dem Komplex wurden heilende Kräfte zugesprochen. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts ging das so. Dann verfiel das Haus. Und so kam es auch, dass Joseph Beuys hier in einem der Räume Ende der 1950er Jahre sein Atelier einrichtete. "Wo früher die Kurgäste zum Wannenbad schritten, schwitzte er jenen erweiterten Kunstbegriff aus, der ihn später weltberühmt machen sollte" schrieb einmal ein Journalist in der Zeit. Beuys Atelier ist immer noch zu besichtigen. In einer Vitrine liegen Originalutensilien: abgenutzte Bleistifte, Farbtuben, Pinsel. 27 Atmo Alte Treppenstufen Sprecherin: In dem Museum sind viele Ausstellungssäle hell und schlicht. Alle Aufmerksamkeit geht so auf die großformatigen, oft modernen Arbeiten an den Wänden. Immer wieder spaziert man auch durch altmodische Räume, hergerichtete Salons, die an die Vergangenheit dieses Hauses erinnern. Aufwändige Deckverzierungen, vornehme Möbel, prunkvolle Mosaike, knarrendes Fischgrätenparkett. 28 Atmo: 12 plus 13 Museum 53 O-Ton Hiltrud Leenders Es hat eine ganz besondere Atmosphäre. Ich fühl mich hier unheimlich gut. Wenn ich irgendwie schlechte Laune hab, dann geh ich ins Museum und fühl mich wieder gut. Sprecherin: In einem dieser altmodischen Räume tritt Hiltrud Leenders ans Fenster und blickt auf einen großen Park gegenüber. Eine barocke Gartenanlage, erklärt sie, englischer Stil. Und dann erzählt sie von Anna von Kleve, einer Adeligen, die mit Heinrich dem Achten, dem König von England, verheiratet war. Zu einer Zeit, als der Niederrhein eine politisch bedeutsame Gegend und nicht nur ein abgelegener Zipfel der Republik war. Dann tritt die Krimiautorin wieder nach draußen, schlägt den Mantelkragen hoch und blickt sich noch einmal um. So als wollte sie sich vergewissern, dass niemand zuhört. 54 O-Ton Hiltrud Leenders Das neue Buch heißt Spießgesellen. Es wird auf jeden Fall zwei große Szenen hier im Museum Kurhaus bei einer Ausstellungseröffnung geben. 29 Atmo Straße vor dem Kurhaus Sprecherin: Es wird um Politik gehen, eine neue Partei, um Verbindungen ins Nachbarland in diesem neuen Krimi vom Niederrhein, der voraussichtlich im kommenden Herbst erscheinen soll und so gut wie fertig ist. 30 Atmo Straße MUSIK 05 (kurzer Trenner) 31 Atmo: im Buchladen Sprecherin: Martina Hintzen sitzt an einem kleinen Tisch in ihrer Buchhandlung in der Klever Innenstadt und schlägt einen Krimi mit dem Titel "Gnadenthal" auf. 32 Atmo: Im Geschäft 55 O-Ton Frau Hintzen Martin Haferkamp seufzte und beugte sich über den großen Karton, in dem er den Papierkram der letzten Wochen und alles mögliche andere abgelegt hatte, das ihm im Weg gewesen war. Endlich ging es wieder.... Als die Türklingel ertönte, kümmerte er sich nicht weiter darum, denn Frau Moor war unten im Laden. In der Regel kam sie zurecht und die Laufkundschaft mochte sie. Die Sprechanlage summte, anscheinend brauchte Frau Moor seine Hilfe. Er seufzte wieder, rückte den Hemdkragen zurecht und trat auf die Galerie hinaus. Sprecherin: Die Romanfigur Martin Haferkamp ist Buchhändler, genauso wie Martina Hintzen und ihr Ehemann. Auch in ihrem Geschäft gibt es eine Galerie, das Ehepaar Leenders und auch Michael Bay gehören zur Kundschaft. Die Indizien dafür, dass dieser Ort die Fiktion inspiriert hat, liegen auf der Hand. Trotzdem: 56 O-Ton Frau Hintzen Natürlich ist der Haferkamp nicht Herr Hintzen und die Buchhandlung, in der er ist, ist nicht diese. Sie könnte es sein. Auch wenn die drei Autoren Stein und Bein schwören, das ist nicht der und der. Das ist rein erfunden, so gibt es immer wieder Leser oder bei uns Kunden, die sagen, ja das ist doch klar, das ist der und der...ich weiß, wer gemeint ist, und das ist das Wunderbare an diesen Krimis. Sprecherin: Martina Hintzen bekommt hier genau mit, wie die Niederrheiner auf die Bücher der Klever Krimiautoren reagieren. Es wird getratscht, kommentiert und auch immer ordentlich geschimpft. 57 O-Ton Frau Hintzen Und der Niederrheiner wäre nicht Niederrheiner, wenn er nicht meckert über irgendetwas. Trotzdem ist darunter immer auch so ein Fünkchen Stolz, dass man an einem Tatort lebt, ihn in Buchform gibt, sich das auf den Nachttisch legen kann und sagen kann: Das kenn ich. Ich kenn mich hier aus, oder hätten die mich mal gefragt, dann hätte ich dazu auch noch etwas sagen können. Sprecherin: Bleibt die Frage, warum sich der Niederrhein so hervorragend als Inspiration für Kriminalromane eignet. Martina Hintzen blickt fragend zu ihrem Kollegen Eckhard Erdmann, der eigentlich gar keine Zeit für ein Interview hat. An der Kasse wartet Kundschaft. Also nur so viel: 58 O-Ton Eckhard Erdmann Für dramatische Liebesgeschichten ist die Landschaft einfach zu einsichtig. Atmo: Im Buchgeschäft... 59 O-Ton Hiltrud Leenders Der inzwischen verstorbene, berühmteste Kabarettist vom Niederrhein - Hans Dieter Hüsch -, der hat sich auch sehr mit seiner Heimat auseinander gesetzt und der hat immer gern gesagt: Der Niederrhein ist eine verschleppte Erkältung. Der bleibt einem. Kennungsmelodie Sprecherin v. D.: Tatorte in friedlicher Landschaft. Der Niederrhein zwischen Westfalen und Holland. Sie hörten eine Deutschlandrundfahrt von Mandy Schielke. Sprecherin: Nina West Ton: Ralf Perz Regie: Karena Lütge Redaktion Margarete Wohlan Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2013. Manuskript und Online-Version der Sendung finden Sie im Internet unter dradio.de 1