COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Wir sind dann mal da! Wenn Eltern zu ihren Kindern in die Großstadt ziehen Die Reportage - Von Sonja Heizmann Regie: Atmo 1 Lampe Dass ich da noch was habe zum Draufstellen...Ups, alte Frau. Autorin 1 Bewaffnet mit einem Schraubenzieher stemmt sich Hermine Siegmund auf einen 1x1 Meter großen Tisch und reckt sich zur Decke. Regie: O-Ton 1_Hermine Lampe (00'19) An der Lampe hänge ich, die ist noch aus meinen Kindertagen, die kommt noch aus meinem Haus, in dem ich geboren bin, die hing von 1946, mein Baujahr, bis 55 in der Küche. Sieht zwar ein bisschen gammelig aus, aber ich liebe die Lampe. Autorin 2 Wenn Hermine sie abmontiert hat, geht das weiße, wenig Designpreis verdächtige, Stück mit nach Berlin. Regie: Atmo 2 Abschrauben, Atmo 3_Schraubenzieher Ist wieder der Schraubenzieher zu groß... ODER So (Abschrauben) Regie: Atmo 4_Zusammenpacken Autorin 3 Nach 50 Jahren in Hilden, einer Kleinstadt bei Düsseldorf, will Hermine in die Großstadt. Vor einem Jahr hat sie angefangen auszumisten und mittlerweile die Hälfte ihrer Sachen verschenkt, verkauft oder weggeworfen. Seit 14 Tagen packt sie Kisten, schon morgen kommen die Umzugsleute. Dann muss Hermine endgültig Abschied nehmen. Regie: O-Ton 3_Hermine_gesungen (00'12) Heute morgen habe ich schon wieder gesungen, die Putzfrau guckte, ja, sag ich, muss jetzt singen, ist zwar schief, aber ich muss singen und dann ging's wieder. Regie: O-Ton 4_Hermine_nimmt mit (00'17) Das nimmt einen ganz schön mit, wird doch zum Schluss ein bisschen emotional, das man so sieht, es wird alles leer, das geht weg, das geht weg, das sind Teile mit denen man auch alt geworden ist. Aber so ist es. Ich fang ein neues Leben an. HIER ATMO Entrümpler Autorin 4 Mit 67 Jahren will sie dahin, wo ihre Tochter Bettina mit Mitte 20 hinzog. Die Hildener Reihenhaussiedlung ist auch Hermine mit den Jahren zu eng geworden. Deswegen hat sie das Haus - 210 qm, ein Eckgrundstück mit großer Rasenfläche, Vorgarten und 2 Garagen - jetzt verkauft. Regie: O-Ton 2_Hermine_noch etwas erleben (00'12) Ich möchte noch was erleben, ich möchte nicht versauern im Dorf. Ich möchte noch in der Stadt wirklich leben und eben auch noch etwas unternehmen. Möchte also auch noch ein bisschen was von der Welt sehen. Autorin 5 Hermines Eltern kamen aus Jugoslawien über ein bayerisches Dorf nach Hilden. Damals war sie neun Jahre alt. In Hilden ist Hermine zur Schule gegangen, hier hat sie ihre Ausbildung gemacht. Fast ihr gesamtes Erwachsenenleben verbrachte sie in dem Haus, das sie jetzt räumt. 1965 zog sie mit den Eltern ein, später wohnten sie und ihr Mann mit der Tochter oben, die Eltern unten, zwischenzeitlich hatte sie ihr Makler-Büro hier. Vor 26 Jahren starb ihr Mann hier. Regie: Atmo 5_Akten, darüber Atmo 6_Gartenfest, wenn ausgeht Atmo 7_Gartenfest Jetzt noch die drei Bilderrahmen und dann geh ich nach oben und mach noch meine Akten... Autorin 6 Hermine packt, schraubt und sortiert den ganzen Tag. Am Abend hat sie Gäste. Regie: Atmo 8_Weißwein Hermine: Weißwein, Rotwein? Gast: Ich trink auch ein Bierchen. Autorin 7 Freunde, Verwandte und Nachbarn hat sie zum Abschied eingeladen. Hermine kennt die meisten Bewohner der Siedlung, bis vor kurzem war sie im Vorstand des "Familienheim-Vereins", auf dem Sommerfest im Wendehammer hat sie jedes Jahr Waffeln gebacken. Regie: Atmo 9 Hör mal, Du machst Sachen! Ja, einfach so. Wird Zeit, 50 Jahre hier reichen. Autorin 8 Entschlossen gibt sich die 67Jährige, ihr weißes Haar trägt sie kurz, zur engen grauen Jeans ein farblich abgestimmtes Oberteil und wadenhohe Stiefel. Der Mann vom Ende Ihrer Häuserreihe wohnt schon genauso lange hier wie sie. Regie: O-Ton 5_Nachbar_Ruhe eintauschen (00'10) Die Ruhe einzutauschen, die man hier hat gegenüber so ner Weltstadt Berlin, da ist ja ganz schön Remmidemmi da, mehr wie hier, also in dem Alter, dat würd ich mir überlegen. Regie: O-Ton 6_junge Nachbarin (00'13) Also ich finde das schon mutig, weil man verlässt ja auch seinen gesamten Freundeskreis und alles und sich nur auf die Familie dann zu stürzen und nur die Familie dann erst mal zu haben, ist auch nicht unbedingt einfach für alle. Autorin 9 Sagt eine jüngere Nachbarin, die selbst zwei Kinder hat. Regie: Atmo 10_Raum innen Autorin 10 Die 80jährige Edith glaubt Hermine macht genau das Richtige: Regie: O-Ton 7_Edith (00'05) Das bringt wieder neue Perspektiven fürs Leben und das ist im Alter ganz wichtig, finde ich. Regie: Atmo 11_wo in Berlin Nachbar: Wo ist das in Berlin? Hermine: Friedrichshain...ja, das ist Osten. Autorin 11 Heute Abend erzählt Hermine gerne von ihrem neuen Leben, schwer wird der Abschied von Hilden erst als ein paar Nachbarn ein Lied anstimmen. Regie: Atmo 12_Lied "Zum Städele hinaus" Wenn i komm, wenn i komm... Hermine: Jetzt is gut. Regie: Atmo 10 ausblenden, 13_Aufbruch (00'27) Autorin 12 Nach drei Stunden gehen auch die letzten Gäste. Regie: Atmo 14 Hilfe, ich schrei... Autorin 13 Karin ist genauso alt wie Hermines Tochter. Für sie war Hermine oft da, (manchmal vielleicht eine Art Ersatzmutter.) Regie: Atmo 14 hoch Die beste Freundin von der Bettina von der Grundschule an... Vielen Dank. Mach's gut. Regie: Atmo 15 Mundharmonika, darüber Atmo 16 Straße Autorin 14 Winterfeldtplatz, Berlin Schöneberg. Regie: O-Ton 8_Rapp_Obdachloser (00'04) Ich dachte erst vielleicht lebt er gar nicht mehr, weil er nie mehr kam und plötzlich war er wieder da. Regie: Atmo 15 hoch, dann Atmo 17_Megafon Autorin 15 Brigitte Rapp, 75, ist vor drei Jahren aus dem Schwarzwald nach Berlin gezogen. Der Obdachlose mit der Mundharmonika gehört jetzt genau so zu ihrem Leben, wie die Regenbogenfahnen an Balkonen und Cafés und der türkische Steuerberater, der jeden Tag mit Megafon und Pappschildern durch ihren Kiez radelt und für die gleichen Rechte für alle in Deutschland lebenden Ausländer wirbt. Regie: Atmo 1 hoch, dann Atmo 18_Vogelgezwitscher Regie: O-Ton 9_Rapp_ankommen (00'08) Ein starkes Heimatgefühl hab ich noch nicht, aber das Gefühl immer ein Stück mehr hier anzukommen, das habe ich. Regie: Atmo 19_Reingehen Habibi Autorin 16 Dazu gehört auch, dass Rapp ein paar Lokale gefunden hat, in die sie gerne geht. Regie: Atmo 20_Habibi Begrüßung Hallo, guten Tag. Geht's Ihnen gut? Ja, danke Ihnen? Regie: Atmo 21_Habibi Bestellung Ich hätte gerne ein Shawarma Sandwich, bitte. Autorin 17 Wenn sie keine Lust hat zu kochen oder es wie heute schnell gehen soll, geht Rapp zu Habibi, einem libanesischen Imbiss. Regie: Atmo 21 hoch Autorin 18 Sie ist Stammgast hier, wechselt immer ein paar Worte mit den Männern hinter der Theke. Zwei, drei Sachen kann sie auf Libanesisch sagen, ihre Schwiegertochter kommt aus der Nähe von Beirut. Aus dem gleichen Ort wie der Mann, der Rapp bedient. Regie: Atmo 21 hoch Ja, ich nehme es mit. Vielen Dank. Shukran... Regie: Atmo 22 draußen Draußen auf der belebten Winterfeldtstraße nimmt Rapp ein paar Bissen von ihrem Shawarma bevor sie sich auf den Heimweg macht. Regie: O-Ton 10_Rapp (00'22) Dieses gelockerte Aufeinanderzugehen, egal wo ich mich bewege, ich erlebe das spannend und es tut mir gut mit Menschen aus aller Welt auf die Weise, wenn auch manchmal nur kurz, in Verbindung zu kommen, es gibt einem das Gefühl der Offenheit der Stadt und einem selber ein Gefühl von Freiheit. Regie: Atmo 24 Tür auf, Atmo 25 Wohnung innen Autorin 19 Rapp lebt in Berlin in einer 65 qm Wohnung -- 2 Zimmer, Küche, Bad - ganz in der Nähe des Winterfeldtplatzes. Gefunden hat sie die Wohnung alleine im Internet, sagt sie stolz. Regie: O-Ton 11_Rapp_helle Wohnung (00'18) Die Sonne ist auf dieser Seite, macht die Wohnung ganz schön hell, ich kann in die Straße zu beiden Seiten rausschauen, das gibt so ein Gefühl, dass ich irgendwie ein bisschen mittendrin bin (und ich denke es war ein Glück, dass ich die helle Wohnung gefunden hab.) Autorin 20 Im Schwarzwald standen mächtige Tannen und 1000 Meter hohe Berge vor ihren Fenstern, jetzt schaut Rapp auf Häuserwände. Berlin ist das Kontrastprogramm zu Schopfheim, wo sie 38 Jahre lang lebte, ihre 4 Kinder aufwuchsen und ihr Mann als Lehrer arbeitete. Regie: O-Ton 12_Rapp_Nicht bis zum Tod (00'23) Vielleicht war es ein Gefühl in mir, dass dieser Ort ein wunderbarer Platz war, wo Familie werden konnte, die Kinder groß werden, aber ich dann gespürt habe, auch alleine, mir einfach nicht vorstellen konnte, dass ich hier lebe bis zu meinem Tod. Irgendwie habe ich gespürt es wartet noch ein anderes Leben auf mich. Autorin 21 Mit viel Kultur und in der Nähe ihrer Kinder und jüngsten Enkel. In der anonymen Großstadt, in der sie Freiheiten hat, die es in einem kleinen Ort, in dem jeder mitbekommt, was der andere macht, nicht gibt. Davon hatte ihr die Tochter immer vorgeschwärmt. Regie: O-Ton 13_Rapp_Freiheit Berlin (00'17) Ma, wenn Du nach Berlin kommst, niemand findet irgendwas an Dir, was gezupft werden muss, was Du anhast, was an den Haaren, was nicht passt, das wird überhaupt nicht beachtet. Jeder geht seinen Weg, lebt sein Leben und ich nehme an, Ma, das wird Dir gut tun. Regie: Atmo 26_Hermine alles leer So, da ist alles raus, Schränke sind leer...unten auch...unten auch. Autorin 22 Am Morgen ihres Umzugs macht Hermine Siegmund die letzten Kontrollgänge. Regie: O-Ton 14_Hermine_noch geräumt (00'07) Bis 1 Uhr hab ich noch gepackt, die letzten Reste oben, jetzt muss nur noch oben Bett zusammengepackt werden und dann ist ok. Regie: Atmo 27 Klingel, Atmo 28 Treppe runter_Begrüßung Morgen, Firma Weiß für'n Umzug. Komm'se rein. Regie: Atmo 29 Wir schnell schauen rein, was gibt's und wir fangen dann. Das, das, das. Das nicht. Autorin 23 Hermine hat ein Umzugsunternehmen engagiert. Die Familie hat keine Zeit zu helfen, Tochter Bettina muss arbeiten, zudem ist sie mit Sohn Fritz vor ein paar Wochen selbst umgezogen. Die beiden wohnen jetzt zusammen mit Bettinas Freund und seinem Sohn in einer Neubauwohnung, die Hermine durch den Verkauf ihres Hauses mitfinanziert. Bettinas alte Wohnung in Berlin übernimmt die Mutter. Regie: Atmo 30_Umzugsleute packen Autorin 24 Menschen über 65: nie waren sie so fit, so mobil wie heute. Manche arbeiten noch bis ins hohe Alter, weil das Geld sonst nicht reicht. Andere reisen um die ganze Welt oder packen wie Hermine Siegmund und Brigitte Rapp nochmal ihre Sachen, ziehen in die Großstadt. Zum Beispiel nach Berlin. Bis 2030 werden es allein hier rund 200.000 Zuzügler über 65 sein, so der Senator für Stadtentwicklung. Und besonders attraktiv ist die Stadt natürlich für die, deren Kinder und Enkelkinder dort wohnen. Regie: Atmo 31_Wagentüren Autorin 25 Nach zweieinhalb Stunden haben Hermines zwei Helfer alles in den Transporter gepackt. Hermine steht wie angewurzelt da, schaut dem Wagen nach. Regie: Atmo 32_Möbelwagen fährt, Atmo 33_Vogelgezwitscher Hermine: Da fährt er hin. Ist ja klein, wenn man so überlegt, ne. Och, der ist ja überladen, Jungs fahrt vorsichtig, damit braucht ihr ein bisschen länger, die brauchen länger wie 6 Stunden. Regie: Atmo 34_Rapp mit Kindern Omi, wo wohnst Du? Erinnerst Du Dich wo ich wohne? Berlin. Autorin 26 Brigitte Rapp hat in Berlin 2 Kinder und 3 Enkel. Linus ist vier, Adele zwei und Emilia sieben Monate alt. Obwohl sie in anderen Stadtteilen wohnen, sieht die Großmutter die Kinder regelmäßig. Ab und zu nimmt sie sie auch mit zu sich, Kinderstühle und Spielsachen hat sie extra für sie besorgt. Rapp ist gerne mit der Familie zusammen, versucht aber sich nie aufzudrängen. Heute ist sie bei Sohn Johannes und seinen Kindern in Neukölln zu Besuch. Regie: Atmo 35_Sohn mit Kindern oder frei, dann O-Ton 15_Rapp_eigenes Leben aufbauen (00'16) Im Voraus war mir klar, ich reise in die Stadt, wo meine Kinder leben, das heißt für mich, dass es schön ist im Hintergrund Familie zu wissen, aber mir war sofort klar, mein eigenes Leben muss ich mir trotzdem aufbauen in dieser Stadt. Autorin 27 Das gelingt seiner Mutter schon gut, sagt Johannes, 33 Jahre alt. Regie: Atmo 37_Rapp mit Kindern, dann O-Ton 16_Sohn_Stadt fordernd (00'29) Ich finde, dass man ihr einfach schon so anmerkt, dass ihr das gut tut und dass sie den Schritt auch auf gar keinen Fall bereut, weil sie diese gewisse Spannung, die diese Stadt einfach hat, wenn man sich in ihr im Alltag bewegt, die hat sie gebraucht und die hat sie gesucht und auch wenn sie das manchmal anstrengt und sie einfach müde ist, ist sie trotzdem immer wieder überzeugt und froh und erzählt mir von Eindrücken und Sachen, die sie erlebt hat und das zeigt mir einfach, dass sie hier ankommt und sich einlässt auf die große Stadt. Und ich glaube, wer sich nicht einlässt, der schafft es nicht. Regie: Atmo 38 Und ich bau jetzt eine U-Bahn Station oder eine Garage? Autorin 28 Brigitte Rapp hockt auf dem Holzboden und türmt mit den Enkelkindern Klötzchen auf. T-Shirt und Jeans hat sie an, die grauen kinnlangen Haare mit einem bunten Stoffband locker aus dem Gesicht gebunden. Johannes beobachtet die drei vom Esstisch aus. Regie: O-Ton 17_Sohn_Mutter mobil (00'16) Meine Mutter ist Mitte 70, meine Kinder sind ja noch sehr klein, man kann sich ja ausrechnen, dass wahrscheinlich die Oma nicht da ist bis sie 20 sind und dass sie jetzt gerade in den Jahren auch noch was haben von ihr ist schön, jetzt noch, wo sie mobil ist und mit ihnen etwas unternehmen kann. Regie: Atmo 39 Autorin 29 Er findet es schade, dass er selbst dieses Glück nicht hatte. Die Großelterngeneration mit ihrer Erfahrung, ihrem Wissen und einer gewissen Gelassenheit kann den Enkelkindern viel vermitteln, sagt er. Regie: Atmo 40 Museum, dann Atmo 41_Anfang Führung Ich probier gerade Sie so ein bisschen in die, so ganz spielerisch, in die Begrifflichkeiten dieses komplexen westdeutschen Künstlers Joseph Beuys einzuführen... Autorin 30 Brigitte Rapps Tochter Regine ist gelernte Kunsthistorikerin, arbeitet als Kuratorin und gibt Führungen im Hamburger Bahnhof und der Neuen Nationalgalerie. Regie: Atmo 41 hoch ...weil man eigentlich denken könnte, dass sind hier so abstrakte Blöcke... Regie: Atmo 42_Führung aus Ferne Autorin 31 Manchmal ist ihre Mutter bei den Führungen dabei, weil sie selbst an den Ausstellungen interessiert ist oder sich um Emilia, das Baby ihrer Tochter, kümmert. Heute hört sie zwar zu, versucht aber vor allem das Kind zum Schlafen zu bringen. Regie: Atmo 40_Museum Autorin 32 Rapp nutzt das vielfältige kulturelle Angebot in Berlin regelmäßig, schaut sich Filme auf der Berlinale an oder besucht eine Generalprobe im Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Manches sucht sie sich selbst heraus, zu anderen Veranstaltungen nehmen sie ihre Kinder mit. Regie: Atmo 43 Rapp: Hallo, ist da die Mama. Tochter: Hallo, da warst Du aber ganz lieb. Die kennt das noch von art lab. Wenn ich spreche, hört sie zu... Autorin 33 Nach der Führung schlendern Brigitte Rapp und Tochter Regine noch mit dem Kinderwagen durch die Ausstellungsräume. 20 Jahre lang haben die beiden nicht in einer Stadt gelebt. Jetzt wird Brigitte Rapp da alt, wo Regine lebt. Wenn möglich in ihrer eigenen Wohnung, unterstützt von ihren Kindern. Regie: O-Ton 18_Tochter (00'26) Mitte der 90er Jahre, zu Beginn meines Studiums hätte mich das gestört, so eine Nähe zu einem meiner Elternteile zu haben, aber jetzt mittlerweile habe ich mich geradezu danach gesehnt und finde es phänomenal auch Alltag gemeinsam zu erleben (und das Schöne ist ganz spontan teilweise sich zu treffen.) Also, das finde ich fast Luxus, so was hätte ich mir nie träumen lassen. Autorin 34 Auch, dass sie mal eine eigene Familie haben würde, konnte sie sich bis vor Kurzem nicht vorstellen. Jetzt weiß sie es zu schätzen, dass drei Generationen an einem Ort leben. Bei der Entscheidung ihrer Mutter nach Berlin zu kommen war ihr aber vor allem eines wichtig: Regie: O-Ton 19_Tochter Mutter Entfaltung (00'21) (Dass sie sich noch mal hier entfalten kann), dass sie die Kultur, die Museen hat, diese Entfaltung von Aktivitäten, wo sie für sich sehr viel zurückgesteckt hat, zugunsten der Kindererziehung, was sie einfach auch mit Leib und Seele gemacht hat, aber wir Kinder dachten immer, so jetzt sind wir längst schon aus dem Haus, jetzt bist Du dran oder jetzt kommen die Projekte. Autorin 35 Projekte macht Regine selbst und die meisten ihrer Freunde. Und das glaubt sie ist auch genau das Richtige für ihre Mutter. Als sie nach Berlin kam, wollte Brigitte Rapp dann auch Sprachen lernen und ein Musikinstrument, vielleicht Yoga machen. Bis jetzt ist sie noch nicht dazu gekommen, das Angebot in der Stadt erschlägt sie regelrecht. Regie: Atmo 44_Mutter Tochter im Museum BABY ODER KUNST ODER ZION MIT ÜBERLEITUNG DRAUSSEN, dann Atmo 45_Aufschließen Autorin 36 Eine Woche nachdem die Umzugsleute ihre Möbel nach Berlin gebracht haben, kommt auch Hermine Siegmund an. Ihre Abreise hat sich wegen des plötzlichen Todes ihres Schwagers verzögert. Regie: Atmo 45 hoch Das Bett ist ja noch gar nicht aufgebaut. Warum haben die denn das Bett nicht aufgebaut? Autorin 37 Ihre Sachen haben in Berlin ihre Tochter und der 19jährige Enkelsohn entgegen genommen. Regie: Atmo 45 hoch Die Blumen sind auch noch eingepackt. Regie: Atmo 46 Klingeln, Atmo 47 aufmachen Hermine: Na? Zu spät gekommen. Hi, grüß Dich. Autorin 38 Fritz hilft seiner Oma heute auch beim Auspacken der letzten Sachen, die sie im Auto mitgebracht hat. Regie: Atmo 47 hoch Fritz: Bin mit dem Fahrrad unterwegs gewesen. Bin ein bisschen nass geschwitzt. Hermine: Ich auch. Autorin 39 (Nach einem Glas Wasser berichtet) Hermine (berichtet) kurz von der sechsstündigen Fahrt und den vielen Pausen, die sie machen musste, weil sie so müde war. Regie: Atmo 48 Was steht denn heute alles an? Damit ich weiß, was auf mich zukommt. Erst mal alles ausräumen, Fritz. Alles aus dem Auto holen. Regie: Atmo 49_Treppe runter, dann Atmo 50_Straße Autorin 40 Fritz -- fast noch ein jungenhaftes Gesicht, dafür umso breitere Oberarme - macht sich auf den Weg zum Wagen. Wie angespannt seine Oma ist, hat er gleich gemerkt. Regie: O-Ton 20_Fritz_Oma gestresst (00'10) Die Oma scheint ein bisschen gestresst zu sein, aber ich glaube nach so einer langen Autofahrt und einem komplizierten Umzug, muss sie jetzt erst mal schlafen. Autorin 41 Seine Oma ist ein Mensch, der die Sachen immer gleich fertig haben möchte, sagt Fritz, er sei da anders. Fritz geht noch zur Schule und hat keine großen Pläne für die Oma, ab und zu wird er sie besuchen, mal zum Essen zu ihr gehen. Ihr helfen, wenn sie Schweres tragen muss. Regie: Atmo 51_Gewusel Küche Autorin 42 Oben im 3.Stock des sanierten Altbaus in Berlin Friedrichshain räumt Hermine in der Küche ihrer 90 qm Wohnung herum. Sie braucht Ablenkung, ist enttäuscht. Regie: O-Ton 21_Hermine (00'11) Wenigstens ihre Sachen raus, die sind seit Februar drüben, das da mal durchgeputzt worden wäre, denn ich fang jetzt wieder an. Autorin 43 Nach wochenlangem Sortieren und Packen - fast immer alleine - wollte Hermine endlich ankommen. Die Wohnung sieht zwar recht ordentlich aus, aber es ärgert sie, dass im Schrank noch Kleidungsstücke von ihrer Tochter liegen, die Kammer nicht ganz leer und das Bad wieder staubig ist. Regie: Atmo 52_Schritte, darüber Atmo 53 Autorin 44 Plötzlich steht Tochter Bettina in der Tür, kann die Aufregung nicht nachvollziehen. Wie, was ist los? Da oben stehen Kartons... Mami, ich weiß nicht ob Du Dich noch daran erinnerst... Autorin 45 Sie hat darauf gewartet, dass die Mutter mit dem Auto kommt, um die restlichen Sachen aus der alten Wohnung in die neue zu transportieren und putzen wird sie auch noch mal, obwohl sie das schon zu dem eigentlich angedachten Umzugstermin gemacht hat. Regie: Atmo 54 ...mach das jetzt bitte nicht an den paar Sachen fest. Regie: Atmo 55_schnelle Schritte_Schnäuzen, dann Atmo 56 Fritzi: Oma, sag dann einfach Bescheid, wenn Du Hilfe brauchst hier beim Umräumen und so. Brauch ich... Mach Dir einen Plan. Hermine: Dazu muss ich in die Kartons gucken. Regie: Atmo 57 Küche Autorin 46 Eine Stunde später - nach einer dicken Umarmung und einer Schnellreinigung des Badezimmers, sitzen Hermine und ihre Tochter zusammen am Tisch. Bettina hat bei sich Zuhause ein Willkommensessen vorbereitet. Regie: Atmo 58 Also, das ist Couscous-Salat mit Schafskäse... Autorin 47 Wie sie sich das Leben in einer Stadt vorstellen haben die beiden vor Hermines Umzug besprochen, zumindest in Ansätzen. Regie: O-Ton 22_Bettina (00'20) Ich glaube, ich habe Dir mal gesagt, dass Du natürlich schon auch dann viel alleine machen musst, dass ich jetzt nicht immer für Dich da sein kann und immer alles mit Dir zusammen machen kann, also dass Du Dir Deinen eigenen Freundeskreis oder Deine eigene Freizeit, dass Du das erkunden musst. Regie: O-Ton 23_Hermine (00'02) Ja, da drüber haben wir gesprochen. Regie: O-Ton 24_Distanz (00'26) Man kann wieder zusammenwachsen, man kann das ja auch genießen, dass ein Elternteil wieder in der Nähe ist, aber gewisse Sachen möchte ich gar nicht, das meine Mutter das mitbekommt oder umgekehrt vielleicht genauso nicht, also das jeder so seine Privatsphäre eben hat. Hermine: Ja, klar, und das geht eben nur über eine kurze Distanz. Muss nicht wer weiß ich wie weit sein, aber schon distanziert alles. Bettina: Ne Distanz halt. Autorin 48 27 Jahre lang haben Hermine und Bettina nicht mehr in einer Stadt gelebt, jetzt trennt sie nur noch ein Friedhof voneinander, knapp 10 min Fußweg. Zusammenziehen kam nicht in Frage. Hermine hat selbst mit ihrer Mutter in einem Haus gelebt, sie zum Schluss auch gepflegt und weiß, das geht nicht ohne Konflikte. Dass sie selber später mal Zuhause gepflegt wird, erwartet sie nicht. Regie: Atmo 59 Bettina: Dann stoßen wir mal mit Wasser an. Prost! Hermine: Auf einen guten Neuanfang! Bettina: Auf einen guten Neuanfang, genau. Regie: Atmo 60_Honigstraße, dann Atmo 61_Honigstraße Autorin 49 In Berlin Kreuzberg spaziert Brigitte Rapp durch den Prinzessinnengarten, eine kleine Oase direkt neben einem stark befahrenen Kreisverkehr. Hier können Berliner Gemüse anbauen oder sich einfach nur vom Lärm der Stadt erholen, heute wird das Honigfest gefeiert. An einem Stand mit gelb gefüllten Gläsern mit der Aufschrift "Bärengold", kommt Rapp mit einer Imkerin ins Gespräch. Regie: O-Ton 25_Imkerin (00'10) Imkerin: ...Wir haben Honig aus Tegel, Honig aus Pankow, Honig aus Schöneberg, Kreuzberg, Neukölln, also überall und es gibt eben heute die Möglichkeit, dass man die Imker kennenlernt und eben auch den Honig dazu kostet. Regie: O-Ton 26_Rapp (00'09) Rapp: Für mich ist es was ganz Neues, dass vor allen Dingen eine große Stadt wie Berlin so unendlich viele Bienen hat und eben auch Imker. Regie: Atmo 62_Gespräch Imkerin (00'04 frei stehen lassen) Imkerin: Das ist unglaublich, die Imkerzahl hat sich ja verdoppelt in den letzten 5 Jahren... Autorin 50 Rapp unterhält sich noch eine Weile mit der Imkerin, die ihre Bienen gleich um die Ecke, auf dem Dach einer alten Fabrik züchtet. Regie: Atmo 63_Café Autorin 51 In Berlin hat alles Platz. Nicht alles macht Sinn, aber es wird ausprobiert und das gefällt ihr, sagt Rapp und setzt sich mit einer Limonade auf eine Bank unter den Akazien. Regie: O-Ton 27_Rapp_neues entdecken (00'10) Was hier geschieht, Neues entdecken, andere Menschen kennenlernen, ist spannend, kostet aber, wenn man nicht mehr ganz jung ist, mehr Kraft. Autorin 52 Am Anfang war alles aufregend, sagt Rapp. Erst nach einem Jahr in Berlin hat sie gemerkt, wie anstrengend ihr neues Lebens manchmal ist. Regie: O-Ton 28_Rapp_schwierige Momente Da gab es ab und zu eher mal schwierige Momente, wo ich vielleicht überlegt habe, ist diese Stadt, wie man in ihr lebt -- viele Menschen, laut zum Teil, hohe Häuser-/Straßenschluchten -- da hat es ab und zu Bedenken gegeben, ob ich das dann auch wirklich schaffe. Autorin 53 Aber jetzt möchte sie die Lebendigkeit der Stadt nicht mehr missen, sagt sie und nimmt einen großen Schluck von ihrer Limonade. Regie: Atmo 64_Weg Kollwitzplatz Autorin 54 Hermine Siegmund ist mittlerweile seit drei Monaten in Berlin. Ihre Wohnung hat sie eingerichtet, sie hat sich in Berlin angemeldet, ist Mitglied in einem Fitnessstudio geworden und eine Senioren-Fahrkarte für die öffentlichen Verkehrsmittel hat sie auch gekauft. An diesem Samstag Morgen will sie zum Kollwitz Platz im Prenzlauer Berg. Sie ist mit dem Fahrrad unterwegs, schiebt das Holland-Rad jetzt auf dem breiten Bürgersteig Richtung Wochenmarkt. Regie: Atmo 65 Das ist die alte Straße, die Rykestraße, wo Bettina früher gewohnt hat... Autorin 55 Bisher bewegt sie sich hauptsächlich in den Ecken, die ihr vertraut sind. Den Prenzlauer Berg kennt sie ganz gut, hier hat ihre Tochter jahrelang gelebt und gleich um die Ecke vom Kollwitz Platz ist Bettinas Schmuckladen. Regie: Atmo 66 Das war ne lustige Figur mit den kurzen Hosen... Autorin 56 Die bunte Mischung von Leuten, die vielen Kinder, die vollen Cafés - Hermine gefällt diese Ecke, hier herrscht das Lebensgefühl, das sie mit Berlin verbindet. Regie: O-Ton 29_Hermine (00'06), dann Atmo 67_Rad abstellen Die Vielseitigkeit, die Leute sind entspannter, für mich ist es eine schöne Atmosphäre. Autorin 57 Vor Bettinas Laden stellt sie ihr Rad ab, geht kurz hinein. Regie: Atmo 68_Begrüßung Werkstatt Na? Hallo. Und, wie isses? Autorin 58 Nachdem sie sich früher 2 bis 3 Mal im Jahr besucht haben, sehen sich Mutter und Tochter jetzt jede Woche. Gehen zusammen auf Ausstellungen, auf Flohmärkte, mal ins Kino, ab und zu treffen sie sich zum Essen oder auf einen Café. Nicht alle, aber die meisten Vorschläge kommen von Bettina. Regie: Atmo 68 hoch Autorin 59 Manchmal geraten die beiden aneinander. Bettina bestimmt gerne, Hermine ist es nicht gewohnt, dass jemand ihr Vorgaben macht, möchte nicht, dass ihre Tochter ihr reinredet, sagt das aber zu selten. Sie wird dann eher still, bringt sich weniger ein - und das macht Bettina dann ungeduldig. Zwischen den beiden hat es auch früher schon geknallt, sagen beide. Und jetzt knallt es naturgemäß öfter, weil sich beide ständig sehen. Regie: Atmo 69 Tasche hast Du ja oder soll ich Dir noch einen Beutel mitgeben? Ne, ich hab hier. Autorin 60 Hermine geht los auf den Markt, will frisch gepresstes Olivenöl, Eier und fränkisches Holzofenbrot kaufen, Bettina arbeitet weiter an den Ohrringen, die sie fertig machen muss. Regie: Atmo 70_Klopfen Werkstatt Autorin 61 Sie vermutet, dass ihrer Mutter der Neuanfang schwerer fällt als sie zugibt. Bisher hält Hermine sich oft Zuhause auf, hat noch nicht besonders viel von der Stadt erkundet. Regie: O-Ton 30_Bettina (00'23) Ich glaube es braucht einfach auch eine Weile, sie muss ja erst mal ankommen, jetzt hat sie sich mit ihrer Wohnung beschäftigt und möchte sich ein neues Sofa kaufen; sie ist mit vielen anderen Dingen beschäftigt, vielleicht auch für sich selber klar zu kriegen, dass sie jetzt eben nicht mehr in ihrem alten Zuhause ist, sondern in ihrem neuen Zuhause, und erst mal sich so zu koordinieren, also auch für sich herauszufinden, wie sie damit gut klar kommt. Autorin 62 Hermine würde gerne noch mehr Zeit mit der Familie verbringen, traut sich aber nicht Ansprüche zu stellen. Bettina hofft hingegen, dass ihre Mutter ihr Leben selbst in die Hand nimmt. Regie: O-Ton 31_Bettina (kurz 00'15, lang 00'30) Ich würde mir das schon wünschen, dass sie selber aktiver wird sich ihre Freizeit zu gestalten, also dass weniger ausschließlich auf uns zu fokussieren, sondern tatsächlich auf Menschen, die in einer ähnlichen Lebenssituation sind wie sie selber, (also sprich vielleicht selber gerade nach Berlin gezogen oder gleiche Interessen, sie geht ja schon gerne ins Museum, sie schaut sich Ausstellungen an, sie geht auch gerne auf Konzerte, aber sie möchte es nicht alleine machen.) Regie: Atmo 71_Markt mit Saxophonmusik, dann Atmo 72_andere Musik Hermine: Der Kleine ist ja süß...Ach, der Herr Politiker geht auch auf den Markt. Autorin 63 Neue Leute kennenlernen, mehr unternehmen, sich vielleicht sozial engagieren -- dafür hat Hermine noch genug Zeit. Was sind schon drei Monate, sie will den Rest ihres Lebens in Berlin verbringen.