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Forschung und Gesellschaft Tödliche Erreger aus dem Labor Die Zukunft der Seuchen Von Volkart Wildermuth Interviewpartner: Prof. Reinhard Burger, Präsident des Robert Koch Institutes, Berlin Prof. Christian Drosten, Direktor des Institutes für Virologie, Universität Bonn Prof. Stephan Günther, Leiter der Abteilung Virologie, Bernhard-Nocht- Institut, Hamburg Dr. Stefanie Müller, Leiterin der Arbeitsgruppe Molekulare Entomologie, Bernhard-Nocht-Institut, Hamburg Dr. Jonas Schmidt-Chanasit¸ Leiter der Laborgruppe Arbo-, Robo-, Herpesviren; Bernhard-Nocht-Institut, Hamburg Dr. Toni Rieger, Bernhard-Nocht-Institut, Hamburg Beate Becker-Ziaja, Medizinisch-Technische -Assistentin, Bernhard-Nocht- Institut, Hamburg Gunnar Jeremias, Leiter der Forschungsstelle Biologische Waffen und Rüstungskontrolle, Universität Hamburg Produktion: Clarisse Cossais Redaktion: Kim Kindermann Sprecher: Autor, Christian Gaul, Ilka Teichmüller Technik: Herrmann Leppich Sendetermin: 16.02. 2012 Musik Sprecherin (darüber) Hendra, SARS, Lassa, Usutu , HIV, Nipah, Vogelgrippe, West Nil, Chikungunya, Ebola, Hanta, Sinnombre, FSME, Hepatitis C, Hepatitis D, BSE . Autor Neue Erreger, neue Seuchen, die in den letzten Jahrzehnten um den Globus gezogen sind. Mal mehr, mal weniger schnell, mal mit einigen Hundert, mal mit Tausendend, oder auch Millionen Infizierten, Erkrankten, Gestorbenen. Die meisten der neuen Viren kamen aus dem Dschungel. Sprecher "Das ist wahrscheinlich das gefährlichste Virus, das man machen kann". Sprecherin Ron Fouchier in der "New York Times". Autor Dieses ultimative Virus existiert nicht in der Natur. Der Virologe Ron Fouchier hat es an der Universität Rotterdam gezielt erzeugt. Aus guten Gründen, wie viele Forscher glauben. Andere warnen. Sie fürchten: die nächste Seuche könnte aus Menschenhand stammen. Gunnar Jeremias, Leiter der Forschungsstelle Biologische Waffen und Rüstungskontrolle der Universität Hamburg. O Ton 1 Jeremias Ein solches Risiko gibt es selbstverständlich immer. Insbesondere wenn Forscher absichtlich versuchen, verschiedene Erreger miteinander zu kombinieren, ist es selbstverständlich eine Möglichkeit, dass sich neue Seuchen, neue Krankheiten entwickeln oder dass sie tatsächlich entwickelt werden, von uns Menschen. Sprecher Neue Seuchen. Aus dem Dschungel? Aus dem Labor? Eine Sendung von Volkart Wildermuth. O Ton 2 Burger In den letzten zwei, drei Jahrzehnten tauchte praktisch jedes Jahr im Durchschnitt jedes Jahr ein neuer Erreger auf. Auch Erreger, die ernste Erkrankungen hervorrufen. Denken Sie an HIV oder Hepatitis C oder BSE. Es gibt keinen Anlass, dass nicht auch in Zukunft weiterhin neue Erreger auftreten werden und sich in der Menschheit letztlich einnisten. Autor Prof. Reinhard Burger ist Präsident des Robert Koch Instituts in Berlin. Seine Aufgabe: die Gesundheit der Bürger zu schützen - vor altbekannten Leiden und vor neuen Seuchen. Musik Sprecherin (darüber) Hendra, SARS, Lassa, Usutu , HIV, Nipah, Vogelgrippe, West Nil, Chikungunya, Ebola, Hanta, Sinnombre, FSME, Hepatitis C, Hepatitis D, BSE . Sprecher Helfershelfer. Autor Da ist erstens der Reise- und Warenverkehr. O Ton 3 Burger Denken Sie an das Beispiel SARS oder jetzt mit der Schweinegrippe, der Erreger ist mit dem Flugverkehr in wenigen Tagen um die Welt und kann potentiell überall auftreten. Autor Und sich vielleicht auch festsetzen. Denn zweitens hilft der Klimawandel bei der Ausbreitung tropischer Krankheiten. Auch der Lebensraum Deutschland wird attraktiver für die Überträger der Erreger, für die Mücken und Zecken und Mäuse. Vor allem aber werden drittens abgelegene Naturräume erschlossen. Bäume weichen Brachen, Straßen ziehen durch einst unberührte Regenwälder. Hier lebt die größte Vielfalt an Pflanzen und Tieren und damit sicher auch an Bakterien und Viren. Die allermeisten sind für uns keine Gefahr. Aber einige haben das Potential vom Tier auf den Menschen überzugspringen. Sprecherin Kolonien von Flughunden werden vertrieben und siedeln sich in besiedelten Gegenden an. So gelangte das Nipah Virus, erst in Schweineställe und dann in Dorfbewohner. Autor: Gerade in Brachflächen vermehren sich schnell Arten wie Mäuse und Ratten. O Ton 4 Drosten In diesen Tieren kommt es dann zu Epidemien, die wir vielleicht zunächst erst mal nicht merken. Aber wegen der großen Virusvermehrung und wegen unseres Kontaktes denn wir sind ja diejenigen, die den Regenwald abholzen, haben wir jetzt Kontakt zu dieser plötzlich stark vermehrten Viruspopulation und infizieren uns. Und da geht dann die neue Infektionswelle los, die neue Epidemie. Autor Christian Drosten, Professor für Virologie an der Universität Bonn. Sprecherin (als Schleife) Hendra, SARS, Lassa, Usutu , HIV, Nipah, Vogelgrippe, West Nil, Chikungunya, Ebola, Hanta, Sinnombre, FSME, Hepatitis C, Hepatitis D, BSE . Sprecher Virenjäger Autor "Ökologie und Artbarrieren in entstehenden Viruserkrankungen" nennt sich ein neues Forschungsprogramm. Wissenschaftler gehen in die Urwälder, sammeln Viren in Schimpansen, in Mäusen und Fledermäusen. So wollen sie einen Überblick gewinnen, potentielle Seuchen der Zukunft schon heute kennenlernen. O Ton 5 Drosten Wenn ein neues Virus kommt, dann haben wir als gesamte Menschheit ein Problem. Das ist ja genau das, was wir verhindern müssen. Deswegen richten wir eigentlich jetzt unser Augenmerk auf die Stufen davor. Dass man zunächst mal versteht, was läuft eigentlich einer Epidemie voraus, wie kann man das Erkennen und wie kann man dann diese Informationen nutzen, um vielleicht wirklich eine Vorhersage zu machen und in Zukunft dann neue Epidemien schon im Keim zu erkennen und auch dann zu ersticken. Autor Neue Viren zu entdecken ist das Eine. Doch Viren gibt es viele, und die meisten infizieren nur Tiere. Entscheidend ist aber ihre Gefährlichkeit für den Menschen - und die lässt sich nur im Labor abschätzen. Zum Beispiel am "Bernhard-Nocht- Institut für Tropenmedizin" in Hamburg. Hier gibt es ein Labor der höchsten Sicherheitskategorie S4, eines von nur rund 50 auf der Welt. Atmo O Ton 6 Rieger Genau hinter dieser Tür befindet sich das Vierer Labor. Sprecherin Der Virologe Dr. Toni Rieger guckt durch ein kleines Glasfenster in einer schweren Metalltür, die mit dicken Riegeln gesichert ist. Der Eingang zur Schleuse ins S4 Labor. Neben ihm bereitet sich die medizinisch-technische Assistentin Beate Becker- Ziaja für ihre Experimente im Hochsicherheitslabor vor. Zuerst kommt die Bürokratie. O Ton 7 Becker-Ziaja Wir haben hier eine Liste, wo wir eintragen müssen, als erstes wer reingeht, Ziaja, die erste Aufsicht, das ist der Herr Riga, die zweite Aufsicht ist Lisa, heute ist der 24.1. und jetzt haben wir es 13:15 und ich arbeite mit Lassa Virus. Sprecherin Lassa Viren stammen aus Afrika. Sie lösen ein hämorrhagisches Fieber aus. Es kommt zu massiven inneren und äußeren Blutungen. Das Marburg oder das Ebola Virus töten so neun von zehn der Infizierten, Lassa immer noch 15 Prozent. Ein guter Grund Abstand zu halten. Im S4 Labor ist ein luftdichter Ganzkörperanzug Pflicht. Atmo Anzug O Ton 8 Rieger Jeder Kollege hat seinen eigenen Anzug, so dass man auch in seinem eigenen Schweiß weiterarbeiten darf und nicht im fremden. Sprecherin An großen Bügeln hängen sie, ein knappes Dutzend, mehr Personen haben hier nicht Zutritt. Die weißen Gummianzüge haben unten gelben Stiefel und oben eine große, durchsichtige Haube für den Kopf. O Ton 9 Rieger Das ist ein Material, das säurefest ist, so dass man im Anschluss, wenn man alle Arbeiten zu Ende gebracht hat unter so eine Säuredusche auch rausgehen kann. Und am Anzug selbst ist ein Schlauch dran, der halt Atemluft zuführt, so dass man sich im Raum im BSL 4 Labor bewegen kann und ständig Atemluft bekommen kann. Atmo pusten Sprecherin Beate Becker-Ziaja ist fertig angezogen. Nur noch ihr Kopf mit dem Headset ist zu sehen. An einem Schlauch pustet Sie den Anzug auf. O Ton 10 Becker-Ziaja Angst hab ich gar nicht. Der Anzug ist dicht. Wir haben permanenten Druck im Anzug, im Labor ist ein Unterdruck. Also mir kann nix passieren. So ich würde jetzt auch reingehen. Dazu muss ich die Kollegen, die die Aufsicht führen Bescheid sagen, muss fragen, ob die mich verstehen können. Und dann kann ich reingehen. "Also ich würde jetzt reingehen. Hört ihr mich?" Rieger "Beate ich hör dich" Atmo Schlüssel, Tür. Riger Ab jetzt geht es für uns nicht mehr weiter. "Hallo Beate hörst Du mich?" Becker-Ziaja Als ich durch die Schleuse gegangen bin, hab ich mich erst mal angestöpselt an die Luftzufuhr, hab mir das dritte Paar Handschuhe angezogen und bin dann jetzt dabei, meine Arbeitsplatz vorzubereiten. Sprecherin Im S4 Labor hängen überall Schläuche von der Decke, sie liefern Luft für die Forscher. Ansonsten sorgen Pumpen für einen ständigen Unterdruck. Die abgesaugte Luft passiert zwei Viren-dichte Filter, bevor sie in den Himmel über dem Hamburger Hafen entlassen wird. O Ton 11 Rieger Abfälle werden Autoklaviert, das ist dieses Gerät hier nebenan. Das ist ein Gerät was die Materialien auf über hundert Grad erhitzt über einen längeren Zeitraum, so dass da mögliche Viren, die da den Materialien noch anhaften abgetötet werden. Autor Mehr Sicherheit im Umgang mit Viren geht nicht. Viren wie Lassa sind ein Schwerpunkt am Bernhard-Nocht-Institut. Für die Experimente mit den gefährlichen Erregern sieht Professor Stephan Günther gute Gründe. O Ton 12 Günther 2008 beispielsweise hat sich eine Niederländische Touristin, die eine Höhle in Uganda besucht hat, am Marburg Virus infiziert und ist dann in den Niederlanden auch gestorben. Ist massiv intensivmedizinisch betreut worden, aber auch unsere modere Intensivmedizin konnte mit Leberersatz, mit Nierenersatztherapie, mit Beatmung, mit allem was wir sozusagen zu bieten haben, konnte das Leben dieser Frau nicht retten. Das zu verstehen, was müsste man machen, um Menschen retten zu können? Das ist ein wesentliches Element, was hinter der Forschung an diesen Viren steht. Musik Autor (darüber) Es ist vor allem die einheimische Bevölkerung in Westafrika, die sich mit Lassa oder Ebola ansteckt, die erkrankt und eben auch stirbt. Ein neuer Test aus Hamburg hilft den Ärzten vor Ort, die gefährlichen Infektionen schnell zu erkennen und dann effektiv zu behandeln. Am Bernhard-Nocht-Institut werden noch viele andere Erreger untersucht. Bakterien, Parasiten. Aber völlig neue Seuchen werden meist von Viren verursacht. Ganz einfach, weil sich diese Erreger am schnellsten vermehren und am schnellsten verändern. Reinhard Burger vom Robert Koch Institut denkt da sofort an das West Nil Virus. O Ton 13 Burger Das ist ein besonders imposantes Beispiel. Dieses Virus hat sich innerhalb von fünf Jahren von der Ostküste der USA über den ganzen Nordamerikanischen Kontinent ausgebreitet. Es macht nicht nur Leute krank und in kleinen Teil führt es zu schweren Schädigungen des zentralen Nervensystems und auch Todesfällen. Es hat das ganze Freizeitverhalten verändert und es stellt sich schon raus, es wird nicht nur durch Moskitos übertragen, sondern auch durch Blutspender, durch Organe, durch die Muttermilch, während der Schwangerschaft. Autor In Deutschland spielt West Nil keine Rolle, dabei sind die Bedingungen hier ähnlich wie in den USA. Die Insektenspezialistin Dr. Stephanie Müller untersucht am Bernhard-Nocht-Institut warum? Zusammen mit anderen Forschern sammelt sie jedes Jahr 50.000 Mücken in Deutschland. Die meisten erweisen sich als Einheimische. Aber immer wieder finden sich geflügelte Zuwanderer, die in Altreifen oder Topfpflanzen um den Globus gereist sind. O Ton 14 Müller Das muss man im Auge behalten, welche Arten sich bei uns ansiedeln und ob die sich auch stabil ansiedeln. Für die Aedes japonicus scheint es so, dass sie sich tatsächlich stabil in Deutschland ansiedeln kann. Über mehrere Jahre ist die Population erhalten geblieben und das muss man wirklich genau beobachten, weil solche Mücken natürlich dann auch Überträger für andere Krankheiten sein könnten, als unsere einheimischen Mücken. In Italien war vor ein paar Jahren der Fall, dass ein Patient mit Chikungunya kam, aus Indien und die Infektion von den Mücken, die dort vorkommen, tatsächlich weiter übertragen wurde. Autor Ihr Kollege Dr. Jonas Schmidt-Chanasit sucht in den Mücken nach Viren - und hat schon viele exotische Erreger gefunden. Zum Beispiel vor einigen Jahren das Usutu Virus. Das sorgte 2011 für Schlagzeilen, weil es zu einem massiven Amselsterben in Süddeutschland führte. O Ton 15 Schmidt-Chanasit Und da haben wir im Jahr vorher auch schon gewusst, das kommt in den Stechmücken vor. Das heißt, wenn die Vögel von den Bäumen fallen, kann man gezielt schon schauen: gut, Usutu wahrscheinlich. Das hat sich bestätigt, Usutuvirus-Infektion, was dann letztlich diesen Ausbruch verursacht hat. Insofern kann diese Montoriung eine gewisse Zeit verschaffen der Vorbereitung bestimmteTests zu etablieren, um dann auf solche Ausbrüche vorbereitet zu sein. Autor Vorsprung durch Forschung. Usutu ist nicht nur ein Problem der Amseln, das Virus kann auch immungeschwächte Patienten infizieren. Und so untersucht Jonas Schmidt-Chansit mit seinem Test inzwischen auch menschliche Proben. Atmo Autor Derweil zwängt sich Stephanie Müller in einen weißen Ganzkörperanzug und betritt ein Sicherheitslabor der Stufe S3. Hier infiziert sie Mücken aus Deutschland mit dem West Nil Virus. O Ton 16Müller Wir sind gerade dabei, das auszutesten, welches Potential gerade dieses asiatische Buschmoskito bietet. Und auch welches Potential die Mücken, die bei uns schon vorhanden sind, bieten. Um einfach die Frage auch zu beantworten, warum ist es in den USA passiert, das West Nil eingeschleppt wurde und sich so rasant verbreitet hat. Und bei uns eben noch nicht. Können unsere Mücken das nicht, oder hatten wir bisher einfach nur Glück? Musik Sprecherin (darüber) Hendra, SARS, Lassa, Usutu , HIV, Nipah, Vogelgrippe, West Nil, Chikungunya, Ebola, Hanta, Sinnombre, FSME, Hepatitis C, Hepatitis D, BSE . Sprecher Fokus Vogelgrippe. Autor Die vorbeugende Virenforschung steht noch am Anfang. Ihre wichtigste Erkenntnis bisher: neue Erreger beim Menschen haben sich vorab fast immer in Tieren ausgebreitet. Deshalb blicken die Forscher mit besonderem Argwohn auf die Vogelgrippe H5N1. Musik Sprecherin (darüber) Seit 2003 breitet sich dieses Virus rasant unter den Hühnern, Gänsen und Enten aus, zuerst in Südostasien inzwischen auch in Ägypten oder Nigeria. Gelegentlich infiziert die Vogelgrippe auch Menschen, die engen Kontakt mit Geflügel hatten. Und während die Vögel mit dem Virus häufig zurechtkommen, ist es für Menschen hoch gefährlich. Von den 583 nachgewiesenen Infektionen, verliefen laut der Weltgesundheitsorganisation 344 tödlich. Autor H5N1 ist sicherlich deutlich aggressiver, als die spanische Grippe, der Anfang des letzten Jahrhunderts mehr als 20 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Trotzdem ist H5N1 kein Gesundheitsproblem. Es breitet sich rasant unter Vögeln aus, aber so gut wie nie von Mensch zu Mensch. Die wenigen Infektionen sind zwar tragisch, bleiben jedoch Einzelfälle. So ist die Situation heute. So muss sie aber nicht bleiben, befürchten Experten wie Reinhard Burger. O Ton 17 Burger Durch die große Zahl infizierter Tiere steigt natürlich auch das Risiko, das eine neue Variante entsteht, die jetzt auch die Fähigkeit hat von Mensch zu Mensch übertragen zu werden. Deshalb ist die Frage sehr wichtig, herauszufinden, wie viel fehlt diesem Virus, das es eine solche Eigenschaft der leichten Übertragbarkeit gewinnen kann? Autor Diese Frage wollten Ron Fouchier in Rotterdam und Yoshihiro Kawaoka in Wisconsin beantworten. Könnte aus H5N1 ein Virus entstehen, das so tödlich wie die Vogelgrippe ist, aber sich so schnell verbreitet wie etwa die Schweinegrippe? Die hat im Lauf eines Jahres ein Drittel der Weltbevölkerung infiziert. Musik Sprecherin (darüber) Ron Fouchier arbeitete mit Frettchen, die auf die Grippe ähnlich wie Menschen reagieren und zwar in einem Labor der Stufe S3plus, also mit hohen, aber nicht den höchsten Sicherheitsanforderungen. Erst mutierte er gezielt einige Gene von H5N1, dann infizierte er die Frettchen mit extrem hohen Dosen dieses künstlichen Virus. So zwang der Forscher den Vogelerreger in ein Säugetier. Dabei veränderte sich das Virus, es wurde erneut in Frettchen gebracht, und so weiter. Nach zehn Infektionsrunden entstand eine H5N1-Variante, die nicht nur tödlich für die Frettchen ist, sondern sich auch schnell zwischen den Tieren ausbreitet. O Ton 18 Drosten Es klingt zunächst mal sagen wir sehr artifiziell, sehr gestelzt, wenn man sich vorstellen, na ja da sind die Forscher im Labor und die nehmen sich da Virus in irrer hoher Konzentration und die nehmen sich Frettchen, die sie in Käfigen halten, so etwas kommt ja in der Natur nicht vor. Das stimmt aber nicht, die Vorstellung ist falsch. Die Natur experimentiert jeden Tag 24 Stunden und es kommen auch in der Natur extrem hohe Viruskonzentrationen vor und ja, Viren probieren in jeder Sekunde überall auf der Welt genau diese Übergänge aus, diese Speziesübergänge, sie wollen sich nämlich einfach nur vermehren. Autor Christian Drosten hält die Experimente aus Rotterdam für entscheidend. Jetzt ist klar, die Vogelgrippe hat tatsächlich das Potential, sich zu einer neuen Seuche auch für Säugetiere und damit für Menschen zu entwickeln. Dazu braucht es nur die richtige Kombination aus fünf Mutationen, von denen jede einzelne für sich schon in der Natur beobachtet wurde. Doch diese Erkenntnis hat ihren Preis. Die Forscher haben das Virus geschaffen, vor dem sich fürchten. Sprecherin Als Ron Fouchier und Yoshihiro Kawaoka ihre Ergebnisse veröffentlichen wollen, meldet sich das "National Science Advisory Board for Biosecurity" der USA, das NSABB, zu Wort. Das wissenschaftliche Beratergremium zur Biosicherheit wurde nach den Anschlägen mit Anthraxbakterien 2001 eingerichtet und soll "duals use" Forschung im Auge behalten: Eigentlich legitime Experimente, die von Terroristen missbraucht werden könnten. Das NSABB hat schon viele Manuskripte geprüft und für unproblematisch befunden. Doch im Fall des aufgerüsteten H5N1-Virus schlägt das Gremium erstmals Alarm. Sprecher "Wegen der Bedeutung der Befunde für die Gesundheitsvorsorge und die Forschung, empfiehlt das NSABB die neuen Erkenntnisse allgemeinen zu veröffentlichen. Das Manuskript sollte aber keine methodischen oder andere Details enthalten, die eine Wiederholung der Experimente denen ermöglichen, die Schaden anrichten wollen". Sprecherin Das war am 20. Dezember 2011. Seitdem tobt eine heftige Diskussion in den Kommentarspalten der wissenschaftlichen Zeitschriften. Die einen sprechen von unverantwortlichen Experimenten, die anderen von Zensur und sehen die Freiheit der Forschung in Gefahr. Autor Letztlich geht es um die Abwägung von möglichem Nutzen und möglichem Risiko. Musik Sprecherin (darüber) Hendra, SARS, Lassa, Usutu , HIV, Nipah, Vogelgrippe, West Nil, Chikungunya, Ebola, Hanta, Sinnombre, FSME, Hepatitis C, Hepatitis D, BSE . Sprecher Der potentielle Nutzen. Autor Die Befunde ermöglichen eine bessere Überwachung der natürlichen H5N1-Viren in den Geflügelbeständen, argumentiert Reinhard Burger. O Ton 19 Burger Wenn also jetzt zum Beispiel ein Virus zirkuliert und man weiß, das hat schon drei oder vier Mutationen erworben, dann wäre das zum Beispiel ein Anlass für drastischere Maßnahmen, als sie jetzt ergriffen werden. Insofern ist hier auch ein klarer Nutzen. Und ich glaube, deswegen ist es auch angebracht, diese Befunde auch zu veröffentlichen. Autor Zumal andere Laboratorien mit H5N1-Stämmen arbeiten, die nur eine Mutation von der hochgefährlichen Variante entfernt sind. Für sie ist es vielleicht lebenswichtig zu erfahren, dass gerade ihre Viren problematisch sind. Mit dem aufgerüsteten Virus lassen sich auch Medikamente und Impfstoffe entwickeln. Das aber geht auch auf anderem Weg lautet das Gegenargument. Und die bessere Überwachung ist vorerst eine bloß theoretische Möglichkeit. In vielen Ländern mit einem H5N1 Problem fehlt es an spezialisierten Laboren. Gerade die neuen Ergebnisse könnten hier aber zu einem Umdenken führen und vielleicht auch zum Aufbau einer entsprechenden wissenschaftlichen Kompetenz vor Ort. Musik Sprecherin (darüber) Hendra, SARS, Lassa, Usutu , HIV, Nipah, Vogelgrippe, West Nil, Chikungunya, Ebola, Hanta, Sinnombre, FSME, Hepatitis C, Hepatitis D, BSE . Sprecher Das mögliche Risiko. Autor Das NSABB fürchtet, dass Bioterroristen eine tödliche Seuche auf die Menschheit loslassen könnten. Für die Vorbereitung auf Bioanschläge ist in Deutschland das Robert Koch Institut zuständig. Reinhard Burger . O Ton 20 Burger Ich sehe hier nicht das Risiko eines Missbrauchs durch terroristische Organisationen. Hier sind so viele Spezialkenntnisse und spezielle System, Laborsysteme, spezielle Methodik erforderlich, das können letztlich die wenigen Speziallabors, die sich seit vielen Jahren mit Influenza befassen. Autor Gunnar Jeremias von der Forschungsstelle Biologische Waffen beurteilt das ähnlich. O Ton 21 Jeremias Es gibt Hinweise darauf, dass große internationale Terrororganisationen, Al Qaida, in der Vergangenheit versucht haben, Personal zu rekrutieren, das ein Biowaffenprogramm aufbaut, aber die waren nicht sehr erfolgreich, weil es eben nicht so ist, das die Biowaffe die Nuklearwaffe des kleinen Mannes ist, sondern es ist so, dass es doch erheblichen technischen Aufwand noch erfordert auch aus solchen Informationen oder aus den Viren selbst, eine Waffe zu bauen. Autor Für Terroristen ist es sicher einfacher natürliche Erreger, wie das Milzbrandbakterium oder Noroviren für Anschläge einzusetzen. Gentechnisch aufgerüstete Viren könnten wohl nur Staaten mit einem Biowaffenprogramm erzeugen. O Ton 22 Jeremias Die möglicherweise größte Gefahr, die ich sehe, liegt in den staatlichen sogenannten Biodefence, also den Verteidigungsforschungsprogrammen. Insbesondere in den besonders wohlhabenden Staaten, die sich da eine sehr, sehr gute Forschung leisten können, hat man da in der Vergangenheit schon Beispiele gesehen, wo aus solchen Verteidigungsforschungsprogrammen Gefährdungen hervorgegangen sind. Autor Während der Bioterrorismus vorerst eine eher theoretische Gefahr darstellt, sind Laborunfälle dokumentiert. Musik Sprecherin (darüber) 1977. Das Grippevirus dieses Jahres ähnelt bis ins Detail einem Virus aus den Fünfzigern. Viel spricht dafür, dass eine alte Probe dieses Virus versehentlich in die Umwelt gelangte und die jährliche Grippewelle dominierte. 2001. Die Antrax-Anschläge in den USA. Die hochgereinigten Sporen werden zum Forschungsprogramm zum Schutz vor Biowaffen der US Armee zurückverfolgt. Wahrscheinlich hat ein Mitarbeiter die Sporen entwendet und dann verschickt. 2004. Nach der SARS Epidemie infizieren sich mehrere Mitarbeiter in verschiedenen Laboratorien in China, Taiwan und Singapur. In Peking steckt ein Student sieben Menschen an, eine Frau stirbt. 2011. Das "National Research Council" der USA berichtet über 395 Verstöße gegen Verhaltensregeln in Hochsicherheitslaboren. Es kam zu sieben Infektionen. O Ton 23 Jeremias Je mehr Einrichtungen ich betreibe, desto größer ist am Ende die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwo auch Unfälle passieren oder eben auch absichtlich Mikroorganismen entwendet werden. Autor Für Gunnar Jeremias besteht das Hauptrisiko gerade in der Ausweitung der Biosicherheitsforschung nach den Antraxanschlägen in den USA. O Ton 24 Schmidt-Chanasit Man kann natürlich nie verhindern, dass Unfälle passieren im Labor, aber das so ein Unfall dann Konsequenzen für die Bevölkerung hat, das kann man sehr gut verhindern, in den entsprechenden europäischen Ländern und in den USA. Und dann kann es eben ein oder zwei Wissenschaftler erwischen, aber es wird jetzt dadurch kein Ausbruch entstehen, weil man ja weiß, womit man gearbeitet hat, entsprechend isoliert wird. Insofern sehe ich da jetzt nicht irgendein Schreckensgespenst, was jetzt irgendwie Millionen von Leuten dahinraffen wird, nur weil im Labor ein Unfall passiert ist. Autor So Jonas Schmidt-Chansit. Auch am Bernhard-Nocht-Institut hat sich schon einmal eine Mitarbeiterin an einer Nadel mit Ebolaviren verletzt. O Ton 26 Schmidt-Chanasit Die Kollegin hat das sofort gemeldet, man konnte sofort entsprechend reagieren, konnte entsprechende Impfstoffe aus den USA besorgen. Hat die Kollegin isoliert genau beobachtet, bekommt die Kollegin Fieber, sonstige Krankheitszeichen. Also das ist sehr, sehr gut gelaufen. Und es hat sich kein weiterer sozusagen infiziert und auch die Kollegin, der geht es gut. Autor Die Experimente mit dem aufgerüsteten H5N1-Virus können gefährlich sein. Das gilt insbesondere, wenn weitere, vielleicht nicht ganz so gut ausgestattete und erfahrene Laboratorien mit diesen Viren arbeiten sollten. Andererseits bieten sie auch das Potential, einer Seuche vorzubeugen, bevor sie überhaupt ausbricht. Dafür müsste allerdings die Überwachung von H5N1 deutlich ausgebaut werden. Musik Sprecherin (darüber) Hendra, SARS, Lassa, Usutu , HIV, Nipah, Vogelgrippe, West Nil, Chikungunya, Ebola, Hanta, Sinnombre, FSME, Hepatitis C, Hepatitis D, BSE . Sprecher Konsequenzen. Sprecherin Die Zeitschriften "Science" und "Nature" werden die Empfehlungen des NSABB umsetzen und die Artikel von Ron Fouchier und Yoshihiro Kawaoka ohne Detailinformationen veröffentlichen. Diese Informationen erhalten nur besonders überprüfte Wissenschaftler. Wie das praktisch ablaufen soll, ist unklar. Unterdessen haben die Forscher ein sechzigtägiges Moratorium für weitere Experimente an aggressiveren H5N1 Varianten verkündet. In dieser Zeit sollen internationale Regeln für den Umgang mit solchen Experimenten erarbeitet werden. Heute und morgen treffen sich dazu Forscher aus der ganzen Welt bei der Weltgesundheitsorganisation in Genf. Autor An der ganzen Diskussion fällt auf: Wissenschaftler aus der Biosicherheitsforschung sehen große Probleme bei den H5N1 Experimenten aus Rotterdam und Wisconsin. Grippeexperten und Gesundheitsforscher betonen eher deren positives Potential. Die deutschen Experten plädieren alle für eine vollständige Veröffentlichung. O Ton 27 Günther Das entscheidende der Wissenschaft ist das Offenlegen von Ergebnisse, davon lebt die Wissenschaft. Wenn wir das nicht mehr machen können, ich glaube damit stirbt die Wissenschaft. O Ton 28 Jeremias Wichtiger wäre der Ansatz wirklich bevor solche Forschungen gemacht werden, sich zu fragen, ob die unbedingt nötig ist und da eine Nutzen Risiko Abwägung vorzunehmen. Und diese Risikoabwägung darf sich dann eben nicht nur auf den Bereich der Arbeitssicherheit beschränken, so wie das eben heutzutage gemacht wird und auf das akute Risiko, dass der Erreger eben aus dem Labor entfleucht, sondern es muss auch in solchen Fällen vorher, bevor die Forschungen gemacht werden, genau abgewogen werden, ob denn das Missbrauchsrisiko es wert ist, dass diese Forschungen gemacht werden. Autor Letztlich sind die Experimente vorab von einer Vielzahl von Gremien überprüft und genehmigt worden. Im Vorfeld eines Experiments noch mehr abzuwägen, mehr zu bremsen, ist für Christan Drosten und Jonas Schmidt-Chansit der falsche Weg. Forschung enthält immer ein unvorhersehbares Element. O Ton 29 Drosten Im Frühstadium so etwas im Vorfeld zu beantragen, das halte ich für inhaltlich und auch verwaltungstechnisch und auch bürokratisch nicht machbar. O Ton 30 Schmidt-Chanasit Zumal es ja auch ein wissenschaftlicher Wettstreit ist und die Frage ist, wenn man sich in Deutschland, in Europa oder in den USA letzendlich dort behindern lässt, in diesem Bereich, dann sind andere schneller und werden aber auch die Vorteile haben bei der Entwicklung von Impfstoffen und antiviralen Medikamenten. Musik Sprecherin (darüber) Hendra, SARS, Lassa, Usutu , HIV, Nipah, Vogelgrippe, West Nil, Chikungunya, Ebola, Hanta, Sinnombre, FSME, Hepatitis C, Hepatitis D, BSE . Sprecher Perspektiven. Autor Die Forschung an hochgefährlichen Viren hat bislang weitgehend abseits der öffentlichen Aufmerksamkeit stattgefunden. Die künstliche Erzeugung eines Virus mit der Gefährlichkeit der Vogel- und dem Infektionspotential der Schweinegrippe hat das geändert. Die Wissenschaftler, die Politik und letztendlich die Wähler werden klare Regeln beschließen müssen. O Ton 31 Günther Am Ende ist es die Öffentlichkeit, die auf relativ demokratische Art und Weise entscheiden muss, wollen wir, dass bestimmte Sachen erforscht werden oder wollen wir nicht. Musik Autor (darüber) Überall in den Urwäldern und in den Ställen sitzen Viren. Vermehren sich in Tieren. Verändern sich. Und immer wieder passt sich einer dieser Erreger an den Menschen an. O Ton 32 Burger (darüber) Das ist eine Bedrohung, mit der wir leben müssen. Also die Natur ist letztlich der effizienteste Terrorist. Die Natur schafft halt immer wieder neue Erreger. Also, wir werden auch in der Zukunft immer wieder neu mit neuen Seuchen rechnen müssen und müssen darauf vorberietet sein. Deutschlandradio - Forschung und Gesellschaft - Redaktion: Kim Kindermann - Autor: Volkart Wildermuth 1