COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen ab- geschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, 12.5.2007, 15.05 Uhr Deutschlandrundfahrt "Die Brücke nach Übersee" Bremehaven, Hamburg und Cuxhaven ? die deutschen Auswandererhäfen Von Nicolas Hansen Jingle ?Deutschlandrundfahrt? Opener Musik. Darüber: O-Ton Collage 1. O-Ton: Katrin Quirin Ab 1919 ungefähr wurde der Briefkontakt mit den beiden Tanten in Amerika schon wieder aufgenommen. Und die schrieben schon in den ersten Briefen, schickt Martha rüber. Ihr habt wenig, Ihr müsst also einen weniger durchfüttern, wenn sie weg ist, und schrieben halt über zwei, drei Jahre, schickt Martha doch rüber. Musik kurz hochkommen lassen. 2. O-Ton: Julie Wacker Wir haben sehr überlegt, ob wir nach Sydney oder nach Melbourne gehen und das war wohl so 51:49 Sydney, aber der Arbeitgeber von meinem Mann hat dann gesagt, nee, Melbourne, da werdet ihr ei- gentlich viel eher gebraucht und kommt mal nach Melbourne. Musik kurz hochkommen lassen. 3. O-Ton: Agnes Bretting Die Reeder hatten als Expedienten Agenten angestellt im Binnenland und haben gesagt, wenn ihr Leute habt, dann schreibt uns, wie viele es sind und wir schreiben, wann wir ein Schiff haben, das losgeht, das waren ja immer in-etwa-Abfahrtszeiten, aber immerhin in etwa. Musik kurz hochkommen lassen. 4. O-Ton: Julie Wacker Ich geh jetzt durch Hamburg und guck mir das schon alles genau an. Und ich nehm das anders wahr. Ich guck aus dem Fenster und seh den Michel und nehm den anders wahr, als ich das noch letztes Jahr gemacht habe. Musik kurz hochkommen lassen. Sprecher: Die Brücke nach Übersee ? Hamburg und Bremerhaven, die deutschen Auswandererhäfen. Eine Deutschlandrundfahrt mit Nicolas Hansen. Musik noch stehen lassen. Geräusch: Türklingel Autor: Julie Wacker und ihr Mann Torsten leben in Hamburg in der Nähe des Großneumarkts. Die Wohnung liegt zentral. Zur Innenstadt sind es nur wenige Minuten zu Fuß. Julie Wacker wartet auf eine Makle- rin, sie und ihr Mann ziehen aus. Ab Juni wohnen sie in Melbourne in Australien. 5. O-Ton: Julie Wacker / Maklerin Julie Wacker: Gleich haben Sie?s geschafft. Maklerin: Kein Problem. Julie Wacker: Sie sind im Training, ja? Maklerin: Ich bin im Training. Aber, wenn man umzieht, ist es natürlich hart, die ganzen Kartons zu schleppen. Julie Wacker: Ooch, die sind ja schon weg. Kommen Sie rein, Frau Schwagert. Maklerin: Guten Tag. Soll ich einfach mal so rumgucken? Julie Wacker: Ja, machen Sie mal wie Sie... Maklerin: Guck ich mal durch... Atmo: Julie Wacker und die Maklerin in der Wohnung. Autor: Zimmer für Zimmer sieht sich die Maklerin in der Hamburger Wohnung um, fotografiert alles, fragt nach vielen Einzelheiten und macht sich ein Bild von der Lage. Die Wohnung, denkt sie, kann sie problemlos neu vermieten. In der Umgebung gibt es zahlreiche Büros, Restaurants und Geschäfte. Diese Lage ist beliebt. Musik: Charlie McMahon ?Drifting? kurz freistehen lassen, dann unterlegen 6. O-Ton: Julie Wacker Wir wohnen jetzt noch knapp zwei Wochen hier und am 13. Mai fliegen wir dann nach Australien. Das heißt irgendwann dazwischen wird die Wohnung übergeben an unseren Vermieter, irgendwo dazwischen wird unser Auto verkauft, das ist das einzige, was wir noch haben hier und dann werden wir irgendwo Quartier nehmen bei Freunden ? und dann irgendwann wegfliegen. Musik kurz hochkommen lassen, dann unterlegen. Autor: Julie Wacker ist 38 Jahre alt. Sie hat bis vor kurzem für ein großes Handelsunternehmen Strom eingekauft, mit Maklern an der Strom- börse EEX verhandelt und die Preise im Auge behalten. Dieser Strom wurde dann an alle Filialen bundesweit geliefert. Ihr Mann ar- beitet für eine internationale Spedition in Hamburg. Dort entwickelt er Computersysteme, mit denen die Spedition Sendungen verfolgen kann. Ab Juni arbeitet er für die Niederlassung in Melbourne. Musik kurz hochkommen lassen, dann unterlegen. 7. O-Ton: Julie Wacker Wir waren letztes Jahr da. Für viereinhalb Wochen haben wir Urlaub in Australien gemacht und haben dort eine Rundreise gemacht und haben ein paar Tage in Melbourne verbracht, weil dort ein Freund von uns wohnt, dort eine Wohnung hat. Da hat er uns seinen Schlüssel gegeben, wir konnten dort normal wohnen und einkaufen und uns was zu essen machen und da haben wir uns schon relativ wohl gefühlt. Wir haben sehr überlegt, ob wir nach Sydney oder nach Melbourne gehen und das war wohl so 51:49 Sydney, aber der Arbeitgeber von meinem Mann hat dann gesagt, nee, Melbourne, da werdet ihr eigentlich viel eher gebraucht und kommt mal nach Melbourne. Und wenn man sich das jetzt mal auf der Landkarte anguckt, ist Melbourne auch sehr schön und jetzt freuen wir uns auch sehr auf Melbourne. Musik Ende Autor: So, wie die Wackers, verlassen zur Zeit viele Menschen Deutsch- land. Es sind zumeist deutsche Spitzenkräfte, die im Ausland besse- re Chancen für sich sehen. Aber auch gut ausgebildete Handwerker kehren Deutschland den Rücken und gehen nach Kanada, Austra- lien, Neuseeland und in andere EU-Länder. Medien beziffern die deutschen Auswanderer gelegentlich auf einhundert- bis zweihun- derttausend pro Jahr. Migrationsforscher weisen aber darauf hin, dass es keine Auswanderungsstatistik gibt und viele auch wieder zu- rückkommen. Seriöse Zahlen gibt es daher nicht. Fest steht aber, dass in den letzten Jahren die größte Auswanderungswelle seit den 1950er Jahren eingesetzt hat. Solche Migrationsbewegungen hat es mehrfach in der deutschen Geschichte gegeben. Nach der Revoluti- on 1848 als viele Freiheitskämpfer und Sympathisanten verfolgt wur- den stieg die Zahl der deutschen Auswanderer drastisch. Der Dichter Hoffmann von Fallersleben sammelte in den 1840ern Auswanderer- lieder und dichtete auch selbst welche. Eines davon heißt ?Hier am Mississippi? und wurde von der Bremer Gruppe ?Grenzgänger? neu vertont. Interpret: Grenzgänger Titel: Hier am Mississippi Länge: 2?16 CD: Schiffe nach Amerika Track: 011 Komponist: Michael Zachcial Text: Hoffmann von Fallersleben LC/Best.-Nr.: 2376 / Müller-Lüdenscheidt-Verlag, Bremen Autor: Bremerhaven ist der bedeutendste deutsche Auswandererhafen ge- wesen. Über sieben Millionen Menschen verließen Deutschland von hier aus per Schiff. Eine von ihnen war Martha Hüner, die in einem Vorort von Bremerhaven, in Geestemünde, lebte. Katrin Quirin vom Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven hat sich mit dem Le- ben von Martha Hüner beschäftigt. 8. O-Ton: Katrin Quirin Sie ist mit 14 von der Schule ab, also sie ist 1920 von der Schule abgegangen, hat dann als Hausangestellte und Dienstmädchen gearbeitet, als Ungelernte, sie hat ja nie einen Ausbildung gehabt und hat nebenbei, ab 1922, weil sie den Wunsch hatte, auszuwandern, bereits Englischunterricht genommen. Also mit anderen aus ihrer Umgebung, aus dem Nachbarhaus, ihre Freundin aus der Schule, die haben alle Englischunterricht gehabt, weil sie den Wunsch und das Ziel hatten in die Neue Welt zu reisen. Autor: Wie für die meisten Auswanderer damals bedeutete das, nach Ame- rika. Martha Hüner lebte in einer Arbeiterfamilie. Ihr Vater stammte von einem Hof in der Nähe von Cuxhaven. Da sein älterer Bruder den Hof übernahm, ließ der Vater sich mit seiner Frau in Bremerha- ven nieder. Martha war ihre älteste Tochter, zwei jüngere Geschwis- ter starben an Diphtherie. Als sie vierzehn war, bekam sie noch eine Schwester, Käthe, und noch ein paar Jahre später ihre Schwester Hanna. Sie lebten in einem Mehrfamilienhaus im Arbeiterbezirk Geestemünde. 9. O-Ton: Kathrin Quirin Es waren drei- bis viergeschossige Häuser, wo auf jeder Etage drei, vier Familien lebten, auf sehr engem Raum, sie hatten natürlich we- nige Zimmer. Meistens war es so, gerade um die 1920er Jahre her- um, nach dem Ersten Weltkrieg, dass man sich eine Wohnküche geteilt hat oder dass man sich die Kohlen für eine Wohnküche geteilt hat, dass halt vier, fünf, sechs Familien zusammenkamen, um Kohlen zu sparen. Man saß in einer Wohnküche zusammen, um zwei, drei Herde zusammen, dort kochte man, dort hat man sich aufgehalten, gerade in den Wintermonaten, weil man wenig Heizmaterial hatte. Und man hat in dieser Wohnküche nicht nur gekocht und gesessen, man hat auch seine Wäsche dort getrocknet. Das war also ein großes Wohnzimmer für mehrere Familien. Autor: Martha trug so gut es ging zum Einkommen der Familie bei, doch die Inflation machte ihren Verdienst sofort wieder zunichte. Jeden Tag sah sie auf dem Weg zur Arbeit in einem Schaufenster ein Stück Seife liegen, das sie gern gekauft hätte. Zwei Schwestern ihres Vaters lebten zu dieser Zeit schon in Amerika. Sie waren um die Jahrhundertwende nach New York ausgewandert. 10. O-Ton: Katrin Quirin Der Briefkontakt bestand ja nach dem Ersten Weltkrieg schon, ab 1919 ungefähr wurde der Briefkontakt mit den beiden Tanten in Ame- rika schon wieder aufgenommen. Und die schrieben schon in den ersten Briefen, schickt Martha rüber. Martha kann bei Euch, da es wirtschaftlich in Deutschland sehr schlecht aussah, Martha kann bei Euch nichts werden, Martha findet keinen Beruf, Martha kann nicht viel Geld verdienen, Ihr habt wenig, Ihr müsst also einen weniger durchfüttern, wenn sie weg ist, und schrieben halt über zwei, drei Jahre, schickt Martha doch rüber. Und Martha war dann irgendwann so weit, dass sie rüber wollte, Mitte 1923, und hat dann seit dem dar- aufhin gearbeitet. Hat den Tanten geschrieben, ?ja, ich möchte, ich komme, ich bin jetzt 17, ich kann arbeiten. Ich arbeite schon seit 2 Jahren als Hausangestellte und Dienstmädchen und das kann ich in Amerika genauso gut tun, ich komme jetzt. Schickt mir bitte die an- gebotene Schiffspassage und die anderen Papiere, die dazu nötig sind.? Autor: Als Martha mit ihrer Mutter in der Wohnküche war, erzählte sie ihr von ihrer Absicht. Die Mutter musste sich erst einmal setzen. ?Tu mir das nicht an?, sagte sie. Weil Martha ihre älteste Tochter war und ihr im Haushalt und mit den beiden jüngeren Geschwistern half, hatte sie zu Martha eine besonders enge Bindung. Nach dem ersten Schreck unterstützten sowohl Vater als auch Mutter ihre Tochter. Marthas Entscheidung war gefallen. Sie hatte lange überlegt. 11. O-Ton: Katrin Quirin Sie hat nicht nur Zeitungsartikel über Auswanderung gesammelt, sie war ja hier in Geestemünde, was heute Bremerhaven ist, sie war ja unmittelbar bei der Auswanderung dabei. Sie hat die Schiffe gehört, sie hat die Auswanderer gesehen, die von Bremen kamen. Sie hat die große, weite Welt gesehen, sie war am Meer, sie hat in der Zeitung Bilder von der Freiheitsstatue gesehen, von New York, von Washington, und sie hörte natürlich in den Briefen von ihren Tanten, wie toll es ist und dass sie kommen kann. Und das war die Zeit, wo der Wunsch auszuwandern immer stärker wurde. Und diese Atmosphäre um die Zeit 1923, wo Deutschland mit der Wirtschaft einfach unten war, in diesem Jahr sind die Auswanderungszahlen ins Enorme hochgeschnellt, das dreifache von 1922. Das war einfach eine Zeit, wo man gegangen ist, wo man keine Hoffnung mehr hatte hier. Und sie war halt jung, sie war 16, 17. Im Sommer 1923 war sie 17, da hat man noch ganz andere Träume im Kopf, da will man die Welt entdecken, da will man raus, da will man neue Sachen sehen. Autor: Martha hatte durch die Briefe ihrer Tanten und durch Zeitungsmel- dungen ein realistisches Amerikabild. Doch das war nicht bei allen so. Frühere Auswanderer wurden Opfer von betrügerischen Wer- bern, Auswanderungsagenturen und Logiehäusern, die auf ihre Kos- ten Profit machten. Ein Schweizer, dessen Name im deutschen Volksliederarchiv mit C. Binggeli von Schwarzenburg angegeben wird, reiste in den 1880ern über Le Havre nach Amerika. Seine Er- lebnisse verarbeitete er in einem Lied, das von der Bremer Gruppe ?Grenzgänger? neu vertont wurde. Interpret: Grenzgänger Titel: Havre ist ein schönes Städtchen Länge: 2?20 CD: Schiffe nach Amerika Track: 012 Komponist: Trad. Text: C. Binggeli LC/Best.-Nr.: 2376 / Müller-Lüdenscheidt-Verlag, Bremen DLR-Archiv#: - Autor: Neben Bremerhaven zählte auch Hamburg zu den großen deutschen Auswandererhäfen. Viele Menschen, gerade aus Südwestdeutschland, versuchten ihr Glück in französischen Häfen. Agnes Bretting hat sich als Wissenschaftlerin mit der Geschichte von Auswanderungsagenturen beschäftigt, die im 18. und 19. Jahrhundert wie eine Art Reisebüro für Auswanderer fungierten. 12. O-Ton: Agnes Bretting Es war halt bei dieser Massenauswanderung so, dass die Leute einfach losgezogen sind in verschiedene Häfen und dann dort versucht haben, eine Passage zu bekommen und wenn das nicht ging, blieben die da liegen. In Le Havre sind mal Hunderte von Leuten gestrandet, die dann praktisch ein Fall für die Armenführsorge waren und um die man sich dann dort nicht geküm- mert hat und die dann durch Betteln und was weiß ich, wieder zurück in ihre Heimatländer gekommen sind. Autor: Die Reedereien erkannten schnell das Geschäft, das sich mit einer gut organisierten Auswanderung machen ließ. 13. O-Ton: Agnes Bretting Die Reeder hatten als Expedienten Agenten angestellt im Binnenland und haben gesagt, wenn ihr Leute habt, dann schreibt uns, wie viele es sind und wir schreiben, wann wir ein Schiff haben, das losgeht, das waren ja immer in-etwa-Abfahrtszeiten, aber immerhin in etwa. Und wenn das Schiff dann genügend Leute drauf hat, dann könnt ihr die alle losschicken und dann kommen die punktgenau an. So war das geplant. Autor: Im 18. Jahrhundert erhielten die Agenten von den Reedereien Pro- Kopf-Provisionen. In der Folge machten einige Agenten Auswande- rungswilligen falsche Versprechungen. Sie nutzten die vage Kenntnis von Amerika aus und beschrieben die Reise als kurz und leicht und das Leben in der Neuen Welt als luxuriös. Dem Betrug waren Tür und Tor geöffnet. 14. O-Ton: Agnes Bretting Der gebräuchlichste Fall war sicherlich, dass sich diese Werber eine Vorausbezahlung geben ließen und dann verschwanden. Dass die ein Ticket in der Hand hatten oder einen Schein in der Hand hatten, der praktisch wertlos war, weil dieser Werber überhaupt keinen Kapi- tän oder Reeder im Hintergrund hatte. Das andere war, die Täu- schung über den zeitlichen Ablauf, dass man denen gesagt hat, das ist alles überhaupt kein Problem und wenn ihr Euch verproviantiert, dann braucht ihr gar nicht so viel mitzunehmen. Man musste sich ja damals für die Seefahrt noch selbst verproviantieren, das haben die Schiffe nicht gestellt, dass die Leute dann einfach zu wenig hatten. Deshalb kam es ja auf den Segelschiffen sehr, sehr häufig zu Hungersnöten. Oder aber man hat gesagt, wir leiten Euch jetzt erst mal bis zum Rhein und dort besteigt ihr ein Schiff und dann hat man sie dort allein gelassen. Autor: Die Massenauswanderung im 19. Jahrhundert machte eine klare Or- ganisation auch von Seiten des Staates nötig. Werber wurden kon- trolliert und sanktioniert, sie konnten nur noch mit staatlicher Kon- zession tätig werden. Doch die Vergabe der Konzessionen lag bei den einzelnen deutschen Ländern und die handhabten die Vergabe- praxis äußerst unterschiedlich. Preußen zum Beispiel ließ gar keine Werber zu, weil Preußen selber Siedler für eigene Territorien vor al- lem in Ostpreußen suchte. So versuchten die Preußen sogar von durchfahrenden Auswandererzügen, Menschen abzuwerben. Bayern und Baden setzten die Werber gezielt ein. Konzessionen wurden nur für bestimmte Gegenden erteilt, um einer Übervölkerung entgegen zu wirken. 15. O-Ton: Agnes Bretting Aber selbst bei Gründung des Reiches 1871 als Auswanderung Bundesangelegenheit war, blieb die Regelung des Ganzen immer noch Ländersache. Richtig eine Konzessionspflicht, ne einheitliche, gab?s erst 1918/19 mit Gründung des Reichsauswanderungsamtes. Autor: Die Auswandererlieder, die zumeist im 19. Jahrhundert entstanden handeln meist von Freiheit und Selbstbestimmung, den amerikani- schen Idealen. ?Schiffe nach Amerika? heißt die CD der Bremer Gruppe ?Grenzgänger?. Darauf zu hören sind auch Lieder von Hoff- mann von Fallersleben. Zur Melodie von ?Yankee Doodle? dichtete er ?Meinen Tobak bau ich mir?. Interpret: Grenzgänger Titel: Meinen Tobak bau ich mir Länge: 2?35 CD: Schiffe nach Amerika Track: 004 Komponist: Trad. Text: Hoffmann von Fallersleben LC/Best.-Nr.: 2376 / Müller-Lüdenscheidt-Verlag, Bremen DLR-Archiv#: - Autor: Martha Hüner, die 1923 nach New York auswanderte, trat ihre Reise von Bremerhaven aus an. Bremerhaven war der größte deutsche Auswandererhafen. Von hier aus fuhren die Schiffe des Norddeut- schen Lloyd, die Columbus, die Bremen oder die München. Auswan- derer bestimmten das Stadtbild, sie kamen mit Schiffen aus Bremen oder mit Zügen aus dem Binnenland nach Bremerhaven, wohnten in den Hotels der Stadt und gingen hier an Bord. (Musik: Muss i denn... unterlegen) Bei der Abfahrt warfen die Passagiere des Schiffes Luftschlangen aus Papier zu den Zurückbleibenden, die die- se auffingen. Wenn beim Ablegen des Schiffes dieses Band aus Pa- pier zeriss, war der Abschied entgültig und es gab kein Zurück mehr. Katrin Quirin vom Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven. 16. O-Ton: Katrin Quirin Das Bild, was die Auswanderer vom Schiff aus sahen, war natürlich nur ein riesen Gewusel mit winkenden Händen, die Taschentücher in den Händen haben. Von Seiten der Zurückbleibenden war es be- stimmt ein ganz wehmütiges Gefühl, das muss ganz furchtbar gewe- sen sein. Für viele war es erst mal ein Abschied für immer, ein Ab- schied, wo man nicht wusste, was kommt, wo man erst mal einen geliebten Menschen loslassen musste. Auf alle Fälle war es ein bewegender Moment für alle beide Seiten. Atmo: Hafen Autor: 1923 Bremerhaven: Martha Hüner hatte ihre Koffer gepackt. Die frü- hen Auswanderer durften in der Regel nur einen Koffer und ein klei- nes Gepäckstück mitnehmen. Mit dem Aufkommen der Dampfschiffe und der zunehmenden Professionalisierung der Passagierschifffahrt konnten Passagiere auch zwei Koffer mitnehmen. Von Martha ist ü- berliefert, dass sie neben ihrer Kleidung von der Mutter eine Brosche als Andenken bekam und der Vater gab ihr eine Pferdebürste mit. Er war davon überzeugt, dass wenn sie nun in Amerika leben würde, sie auch einen Cowboy heiraten würde, und eine so gute Pferdebürs- te hätte der bestimmt nicht im Stall. Musik Muss I denn? unterlegen 17. O-Ton: Katrin Quirin Die Eltern haben Martha zum Schiff gebracht mit der mittleren Schwester, also mit der dreijährigen. Es war kalt, es war nieselig, es war kein schönes Wetter, es war diesig. Das Schiff lag an der Lloyd- Wartehalle am Eingang zum Kaiserhafen und es spielte die Kapelle, es gab die Luftschlangen vom Schiff zu den Winkenden und es war ein tränenreicher Abschied. Aber für Martha begann auf der Überfahrt erst mal eine unheimlich spannende Zeit. Autor: Spannend ist das Auswandern bis heute geblieben. Aber sonst hat sich so ziemlich alles geändert. Susan Weichenthal von der Evangelischen Auslandsberatung in Hamburg. 18. O-Ton: Susan Weichenthal Ich glaube damals ist es so gewesen, dass die Menschen, wenn sie auf dem Schiff waren und dann im neuen Land angekommen sind abgeschnitten waren. Es gab nur den Postweg. Die waren dann wirklich abgeschnitten, wirklich auf sich selbst gestellt, das ist heute eine ganz andere Situation. Autor: Das Internet und billige Flugtickets lassen die Welt kleiner erschei- nen. Deutsche Radiosender, Zeitungen und sogar die Familie im fer- nen Deutschland erscheinen mit einer schnellen Internetverbindung auch von Australien aus nur noch halb so weit weg. Julie Wacker sitzt in ihrer leeren Hamburger Wohnung. In zwei Wochen werden sie und ihr Mann im australischen Melbourne sein. Auch wenn es immer Abenteurer gegeben hat, Auswanderer hatten zumeist wirt- schaftliche Gründe, einige gingen aus politischen oder religiösen Mo- tiven. 19. O-Ton: Julie Wacker Also es ist nicht so, dass wir sagen es geht uns hier schlecht und in Deutschland ist alles Mist und Dreck und wir sollen hier schnell weg. Das ist es nicht. Und wir haben auch nicht das Denken oder das Wunschdenken oder die Hoffnung, dass in Australien alles besser ist, das ist nicht das, was wir erwarten. Das ist einfach eine Heraus- forderung, mal was anderes zu machen. Wir fühlen uns hier schon wohl, aber, och Gott, man muss ja nicht deshalb immer hier bleiben. Und das heißt ja nicht, dass wir nicht zurückkommen. Wir wollen jetzt drei, vier Jahre weg und wir wissen noch nicht, was wir in drei, vier Jahren machen. Vielleicht gehen wir von Australien aus nach Japan oder nach Kanada oder nach Südamerika. Vielleicht kommen wir auch zurück nach Europa. Ich weiß es nicht. Gibt doch diesen schö- nen Spruch: Wenn ich nie weggehe, kann ich nie zurückkommen. Autor: Heute sind es Leute, wie die Wackers, sagt Susan Weichenthal, die ins Ausland gehen, um Erfahrung zu sammeln, aber auch jüngere Leute, die direkt nach dem Studium in Deutschland keine Arbeit finden. Hinzu kommen Arbeitslose, deren Aussichten im Ausland Arbeit zu finden besser sind als hier oder bi-nationale Paare, die ihren Lebensabend im Land des ausländischen Partners verbringen wollen. Die Arbeitsmarktsituation der letzten Jahre hat auch dazu beigetragen, dass die Zahl der Anfragen bei den Beratungsstellen kurzfristig gestiegen ist. Viele bekommen allerdings auch durch entsprechende Fernsehsendungen die Idee irgendwo in der Welt ihr Glück zu versuchen. 20. O-Ton: Susan Weichenthal Ich würde sagen, es hält sich so ein bisschen die Waage. Also a) gibt es Klienten, die durch diese unsäglich schlecht recherchierten Fern- sehbeiträge sich tatsächlich bei uns melden und sagen, man ich hab da was gesehen und Neuseeland und ich würde auch gerne dahin gehen. Das zerschlägt sich meist schon während des ersten Telefo- nats, weil man ihnen dann die Kriterien nennt und sie diese Kriterien eben nicht erfüllen und wenn sie sie denn erfüllen wollen, ist das mit Anstrengung verbunden und das verläuft sich dann ganz schnell im Sande. Autor: Die beliebten Einwanderungsländer USA, Kanada, Australien und Neuseeland haben mittlerweile hohe Anforderungen an ihre Einwan- derer vor allem, was Sprachkenntnisse und Qualifizierung angeht. Und dann werden auch nur Leute mit ganz bestimmten Berufen ge- sucht. Australien und Kanada regeln den Zustrom über ein Punkte- system. Je mehr erfüllte Punkte, desto leichter die Einwanderung. Aber selbst wenn Bewerber auf dem Papier alle Voraussetzungen er- füllen, heißt das noch nicht, dass sie es schaffen werden. Auch die Persönlichkeit ist entscheidend. 21. O-Ton: Susan Weichenthal Jemand, der auswandern will, weil er hier nicht klar kommt und viele Probleme hat, nimmt diese Probleme mit. Probleme machen nicht an der Grenze halt und man geht als neuer Mensch über die Grenze rüber. Wenn jemand stabil ist und dabei macht es keinen Un- terschied, ob jemand Akademiker ist oder ein superqualifizierter Handwerker mit?nem Meisterbrief; wenn die stabil sind, wenn die ne stabile Persönlichkeit mitbringen, wenn die realistische, ganz konkrete, dann sind das Leute, die das auch denke ich schaffen können. Autor: Julie Wacker und ihr Mann haben sich gründlich informiert. Sie füh- len sich gut vorbereitet und doch wartet schon zu Anfang die erste Schwierigkeit auf sie. Vier Wochen lang können sie in einer Firmen- wohnung wohnen, dann müssen sie ein eigenes zu Hause gefunden haben. 22. O-Ton: Julie Wacker Ich mein, wer kauft sich oder wer mietet sich ne Wohnung nur durchs Internet oder nur durch Hörensagen? Und man will da vor Ort sein und dann will man sich das schon angucken. Ist das mein Stadtteil, ist das mein Kiez, möchte ich hier wohnen? Das ist ja wie hier in Hamburg, möchte ich nun auf der Reeperbahn wohnen oder in Blan- kenese oder in den Walddörfern. Das will ich ja schon vorher einmal wissen und dann mit den Kollegen sprechen, wo kann ich gut woh- nen und wo vielleicht nicht so gut. Autor: Martha Hüner hatte Glück. 1923 konnte sie zu ihren Tanten ziehen. Während der Überfahrt nach New York war die größte Umstellung für sie 10 Tage lang keine Verpflichtungen zu haben. Sie konnte sich an einen gedeckten Tisch setzen und wurde bedient. An Bord war sie nicht allein, zwei Mädchen und ein Junge aus der Nachbarschaft gingen ebenfalls nach Amerika. Die Tanten hatten ihr zusammen mit dem Ticket und den Papieren für die Einreise auch 200 Dollar ge- schickt, damit sie es sich an Bord gut gehen lassen konnte. Kurz vor ihrer Ankunft in New York, schrieb Martha einen langen Reisebericht, den sie in einen Umschlag steckte und mit der Schiffspost zurück an ihre Eltern schickte. In den Umschlag steckte sie auch eine 1-Dollar- Note. Ein Dollar war zur Zeit der Inflation in Deutschland sehr viel wert. Von nun an schickte sie in jedem Brief 1 Dollar mit. 23. O-Ton: Katrin Quirin Martha hatte das Glück das sie zwei Tanten hatte, die sie aufgenommen haben. Sie konnte auch bei ihnen wohnen, also sie hat zum ersten Mal in ihrem Leben ein eigenes Zimmer gehabt. Das kannte sie ja vorher auch nicht. Sie hat erst mal ausgepackt, ihre Cousinen, die fast gleichaltrig waren, haben ihr natürlich dabei geholfen, die Bürste ausgepackt, die Pferdebürste, die Brosche ausgepackt und sie bekam wenig später auch eine Anstellung als Dienstmädchen bei einer Diplomatenfamilie ganz in der Nähe und hat da das Gleiche getan, wie hier in Bremerhaven oder in Geestemünde. Sie war Dienstmädchen, Hausangestellte und hatte da auch zwei Kinder um die sie sich kümmerte und die waren ungefähr das gleiche Alter, wie ihre beiden Schwestern hier. Und ich glaube das hat ihr in der ersten Zeit auch sehr geholfen, diese familiäre Bindung, auch wenn es nicht ihre eigenen Schwestern waren. Autor: Martha Hüner hat damals in der Neuen Welt Fuß gefasst. Julie Wa- cker und ihr Mann haben das noch vor sich. Interpret: Grenzgänger Titel: Raus, raus, raus und raus Länge: 3?00 CD: Schiffe nach Amerika Track: 006 Komponist: Trad. Text: Trad. LC/Best.-Nr.: 2376 / Müller-Lüdenscheidt-Verlag, Bremen DLR-Archiv#: - Autor: Hamburg galt immer als Tor zur Welt. Der Hafen war für 5 Millionen Auswanderer das Sprungbrett ins Ausland, meistens nach Amerika. Später gingen die Auswanderer auch nach Südamerika, Kanada und Australien. Julie Wacker, die mit ihrem Mann in wenigen Tagen nach Australien zieht, sitzt in ihrer leeren Wohnung. Hin und wieder klingelt das Telefon. Ihre Nachfolgerin an ihrem Arbeitsplatz hat noch Fragen so lange Julie Wacker noch in der Nähe ist. Hamburg auf unbestimmte Zeit zu verlassen ist schon ein komisches Gefühl gibt sie zu. 24. O-Ton: Julie Wacker Ich geh jetzt durch Hamburg und guck mir das schon alles genau an. Und ich nehm das anders wahr. Ich guck aus dem Fenster und seh den Michel und nehm den anders wahr, als ich das noch letztes Jahr gemacht habe. Das merk ich an mir selber, das ist logisch. Das geht denke ich jedem so, aber trotzdem bin ich neugierig. Und wenn ich irgendwann mal sage, oh Gott, vor lauter Heimweh, ich ertrage es nicht mehr, dann komm ich halt irgendwie zurück oder ich ruf meine Freunde an oder ich lass mir ne Postkarte schicken. Irgendwas werde ich mir dann schon einfallen lassen. Autor: Martha Hüner, die 1923 nach Amerika ausgewandert ist, konnte ihre persönliche Wäsche mitnehmen, die Brosche von der Mutter und die Pferdebürste, die ihr Vater ihr mitgegeben hat. Die Wackers haben ihren ganzen Hausstand eingepackt. 25. O-Ton: Julie Wacker Also Donnerstag kamen hier drei Mann hoch ? Möbelpacker. Die haben den ganzen Tag hier geräumt und gewühlt, Kartons gepackt, einen riesigen Kleiderschrank in Luftpolsterfolie verpackt und dann haben die hier wirklich alles ausgeräumt. Und Freitagmorgen kamen die zu viert, da kam auch der LKW und dann haben sie einen kleinen Lift an das Fenster im Nachbarzimmer rangebaut und dann haben sie alles mit diesem riesigen Lift da runter gefahren. Und das ging so schnell, die haben um acht den Lift aufgebaut, um neun den ersten Karton runtergefahren, um zwölf haben die schon wieder angefangen, den Lift abzubauen. Autor: Der gesamte Hausstand wurde in einem Container verstaut. Über den Hamburger Hafen wird er nach Shanghai verschifft, dort umgeladen und weiter nach Melbourne geschickt. Dort soll er irgendwann im Juni ankommen. Bis dahin müssen die Wackers ein neues Zuhause gefunden haben. Ortswechsel: In Bremerhaven werden heute hauptsächlich Container aber auch Autos verladen und in alle Welt geliefert. Bremerhaven hat traditionell eine gute Handelsbeziehung mit Amerika, sagt Rüdiger Staats, Sprecher der bremischen Häfen. 26. O-Ton: Rüdiger Staats Entstanden ist sie schon Ende des 18. Jahrhunderts. Schon damals hat Bremen, man war schon damals sehr innovativ, als erstes deut- sches Land einen eigenen Konsul in Nordamerika gehabt. Der hat dort die politische aber auch die wirtschaftlichen Interessen der Bre- mer Kaufleute vertreten. Damals wurden erste Handelsbeziehungen geknüpft und diese Handelsbeziehungen wurden ausgebaut durch die Auswanderung, die Auswanderung ist dann immer mehr in den Hintergrund getreten, dafür wurden immer mehr Güter exportiert. Autor: Bis heute steht Nordamerika im Containerverkehr an erster Stelle der Umschlagbilanz in Bremerhaven. Dass Container hier einen hohen Stellenwert haben, ist sofort erkennbar. Bei einer Fahrt durch den Hafen sind die Containerbrücken schon von weitem sichtbar. Es sind große Kräne, die die Container von Land auf die Schiffe heben. 50 Containerschiffe pro Woche werden am Terminal von NTB, einem der Bremerhavener Terminalbetreiber, abgefertigt. Mit über 3 Kilome- tern Länge ist die Kaje, wie ein Kai in Bremerhaven heißt, bereits jetzt die längste der Welt. Doch um für den zukünftigen Verkehr vor- bereitet zu sein, wird sie gerade um weitere 1,7 Kilometer verlängert. Marc Dieterich ist als Marine Manager für den reibungslosen Ablauf des Containerumschlags bei NTB zuständig. 27. O-Ton: Marc Dieterich Insgesamt haben wir jetzt 26 Containerbrücken, sogenannte Super- Post-Panmax-Containerbrücken, das heißt, wir haben eine Auslegerweite von 56 Metern über Wasser. Können also Schiffe bearbeiten, die momentan maximal 20 Container nebeneinander an Deck stehen haben. Diese Schiffsgrößen gibt es schon, fahren auch bei der Reederei Maersk, das ist zum Beispiel die Emma Maersk, die hat 20 Container nebeneinander an Deck stehen und mit diesen 56 Metern Auslage kommen wir also noch gerade in diese Position, um das bearbeiten zu können. Atmo: unter der Containerbrücke Autor: An der Kaje liegt die Maersk Surabaya, die unter deutscher Flagge fährt. Sie hat eine Länge von 332 Metern und an Deck stehen 17 Container nebeneinander. Vier Containerbrücken arbeiten gleichzei- tig an dem Schiff. Zeit ist Geld. Spinnenartige Fahrzeuge bringen im- mer neue Container, die auf das Schiff geladen werden müssen. 28. O-Ton: Marc Dieterich Genau auf dem Ausleger werden wir gleich laufen, können uns von dort oben das Containeryard nach hinten einmal angucken bzw. das Schiffsoperation, wenn wir uns dann gleich über Wasser befinden. Atmo: Treppensteigen Fahrstuhl Autor: In einer der Säulen der Containerbrücke befindet sich ein Fahrstuhl. Damit geht es hinauf auf den Ausleger, knapp 50 Meter über der Er- de bzw. über dem Wasser. Geräusch: Fahrstuhltür 29. O-Ton: Marc Dieterich So, wer jetzt die Höhe nicht abkann, einfach nicht nach unten gucken, geradeaus gucken. Wir laufen jetzt auf Gitterrosten, das heißt, wir sehen alles, was unter uns ist. Autor: Aus einer Tür geht es hinaus auf den Ausleger. 29. O-Ton: Marc Dieterich Hier kommt schon immer der große Aha! Wenn man hier aus der Tür rauskommt und man aus dieser Höhe die gesamte Weite und auch die Stadt im weiteren Hintergrund sehen kann. Also wir sehen jetzt schon unser Containeryard, einen großen Teil zumindest davon, die ganzen bunten, eingestapelten Container. Ein Bereich, wo sehr viele weiße Container sind, das ist ein Kühlbereich, wo ausschließlich Kühlcontainer stehen, weil die natürlich ständig mit Strom versorgt werden müssen, da haben wir überwiegend Lebensmittel, Fisch, Frucht, das findet man in den Kühlcontainern wieder. Autor: Der Ausblick ist atemberaubend. So weit das Auge reicht, stehen gestapelte, bunte Kisten. 30. O-Ton: Marc Dieterich So, wir gehen jetzt mal die 56 Meter über Wasser. Wenn Sie jetzt runter gucken, da ist nüscht, außer Wasser. Und so voraus, vor der Containerbrücke sieht man jetzt bei ablaufend Wasser erscheinen hier Sandbänke. Und auf diesen Sandbänken können wir mitunter auch mal Robben beobachten. Autor: Schräg unter der Brücke liegt die Maersk Surabaya. Container schweben vom Schiff an Land und umgekehrt. Jeder Container, der an Bord geladen wird, kommt an eine ganz bestimmte Position. Das Verladen wird im Büro organisiert. Marc Dieterich erklärt das logisti- sche System. 31. O-Ton: Marc Dieterich So wir haben jetzt hier die Maersk Surabaya und der Kollege hat jetzt hier die Stauvorgaben auf seinem Schirm, hat jetzt eine Seitenaufriss des Schiffes vor sich, er kann sich jetzt jede einzelne Sektion genau aufrufen und sieht dann jede einzelne Zelle. Das sieht so ein biss- chen aus wie Tetris. Und das ist jetzt so Tetris für Anfänger, man nimmt jetzt einen Container aus der Ladeliste und zieht diesen per drag and drop rüber in diese Zelle und bestätigt damit die Planung des Containers aus dem Yard in diese Schiffszelle hinein. Atmo: Büro Autor: Ein Schiff wird nicht komplett be- oder entladen, sondern es verlässt immer nur ein Teil der Ladung das Schiff oder wird hinzugeladen. Dabei muss die gesamte Ladung im Auge behalten werden. Schwere Container sollten in der Mitte und möglichst weit unten stehen, leichtere weiter oben und außen. Deshalb liegt ein genauer Schiffsplan vor dem Kollegen, der die Beladung der Maersk Surabaya plant. Jede einzelne Position für einen Container ist darauf zu erkennen. 32. O-Ton: Marc Dieterich Das ist ein bisschen, wie lauter kleine Käsekästchen. Überall haben wir jetzt bunte Ausfüllungen, jede Farbe indiziert einen anderen Ha- fen. Wenn wir jetzt hier die blauen Kästchen sehen, dann haben wir da ? jetzt muss ich mal eben ganz genau gucken ? Hongkong als Löschhafen und wenn wir die orangenen Kästchen nehmen, dann haben wir da Tanjung Pelepas in Malaysia. Und da kann man auch ganz genau sehen, dass man jetzt vermieden hat, dass un- terschiedliche Häfen übereinander stehen. Außer: es passt in die Reihenfolge der Folgehäfen. So einen Großschiffsdienst muss man sich vorstellen, wie eine Buslinie. Ne Buslinie fährt ja auch ne Folge von Haltestellen ab. Ähnlich funktioniert das bei unserem Groß- schiffsdienst und das heißt, die Container, die in Hongkong raus sollen stehen natürlich auch zu oberst und wenn man dann Singapur anlaufen sollte, dann dürften die darunter stehen, weil sie erst danach raus sollten. Autor: Bei der Beladung muss auch die Entladung schon mitgeplant wer- den. So ist es auch in Bremerhaven. Die Lagerfläche auf der die Container, die angelandet wurden, stehen, ist genauso durchgeplant. Ob ein Container per LKW oder Eisenbahn weitertransportiert wird, bestimmt seinen Standort auf dem Gelände. Es gilt, lange Wege und damit Zeit zu sparen. Die Maersk Surabaya wird sich in wenigen Stunden auf den Weg machen. Ihr nächster Hafen ist Hongkong. Interpret: Grenzgänger Titel: Emigrantenlied Länge: 1?48 CD: Schiffe nach Amerika Track: 17 Komponist: unbekannt Text: unbekannt LC/Best.-Nr.: 2376 / Müller-Lüdenscheidt-Verlag, Bremen DLR-Archiv#: - Autor: Heute ist Bremerhaven ein Containerhafen und auch in Hamburg werden in erster Linie Container umgeschlagen. Die Auswanderergeschichte wird allerdings in beiden Städten am Leben gehalten. Am alten Hafenbecken in Bremerhaven steht seit 1½ Jahren das Deutsche Auswandererhaus, in dem die Geschichte der Auswanderer erzählt wird. Auch die Geschichte von Martha Hüner, der jungen Frau, die 1923 von hier aus nach Amerika aufbrach, ist dabei. Kathrin Quirin vom Deutschen Auswandererhaus in Bre- merhaven hat Marthas Lebensgeschichte intensiv studiert. Wenn sie von Martha erzählt, könnte man meinen, sie seien Freundinnen geworden, obwohl sie sich nie begegnet sind. Katrin Quirin erzählt, dass Martha in New York den Hamelner Bäckermeister Willi Seghers kennen lernte, der ihr den Hof machte. 33. O-Ton: Katrin Quirin Sie haben geheiratet 1925. Marthas Mutter war unheimlich traurig, dass sie nicht dabei sein konnte. Es gab dann noch ein Paket der Mutter, die ihr dann noch Leinenwäsche schickte, weil man brauchte ja Leinenwäsche als verheiratete Frau, damit sie sich dann davon Kissen nähen konnte. Und die beiden haben dann 1932 ihre eigene Bäckerei eröffnet, das Haus hatten sie gekauft. Sie hat vorne am Tresen gearbeitet, das lief auch sehr gut. Er kam aus Hameln und hat Hamelner Ratten oder Mäuse gefertigt, die ein unheimlicher Renner in Amerika waren. Er hat unheimlich gut Torten gemacht und Martha hat dort ihre Pferdebürste zum Einsatz gebracht. Und zwar hat sie Abends die Theke mit der Pferdebürste gesäubert. Kein Cowboy und keine Pferde, aber zumindest hat sie einen Einsatz ge- funden. Autor: Martha war eine von über 7 Millionen Auswanderern, die Deutschland über Bremerhaven verließen. Hamburg gewann erst später als Auswandererhafen an Bedeutung. Die meisten Auswande- rer, die in Hamburg auf ihre Abfahrt warteten, kamen nicht aus Deutschland, erzählt Ursula Wöst, Wissenschaftliche Leiterin der Auswandererwelt Ballinstadt in Hamburg. 34. O-Ton: Ursula Wöst Die meisten kamen aus Osteuropa, aus dem Zarenreich, aus den polnischen Gebieten, also damals war Polen aufgeteilt, Galizien war ein ganz wichtiger Herkunftsort der Auswanderer, Österreich-Ungarn und natürlich auch aus Deutschland, wobei der Anteil der Aus- wanderer, die hier unterkamen relativ gering war, also vielleicht 20 Prozent. Autor: Der Reeder Albert Ballin baute im heutigen Stadtteil Veddel mehrere Hallen für die Auswanderer, wo sie auf ihr Schiff warteten. Es waren über dreißig Gebäude aus rotem Backstein. Albert Ballin hatte er- kannt, dass gewisse Annehmlichkeiten mehr Auswanderer nach Hamburg ziehen würden. Doch es hatte noch einen zweiten wirt- schaftlichen Grund. Die Auswanderer wurden hier genau befragt und untersucht, denn nur gesunde und arbeitstaugliche Menschen wur- den in Amerika auch aufgenommen. Kranke, Behinderte oder politi- sche Störenfriede wurden auf Ellis Island von der Einwanderungsbe- hörde abgewiesen. Diese mussten dann auf Kosten der Reederei zu- rücktransportiert werden. Daher gab es in Ballinstadt ein umfangrei- ches Vorbereitungsprogramm. 35. O-Ton: Ursula Wöst Morgens wurde geweckt, dann gab es Frühstück, dann gab es ärztli- che Untersuchungen, jeden Tag. Die wurden angekündigt durch ein Trompetensignal, dann hatte man sich einzufinden in seinem Schlaf- raum. Die Schlafräume mussten danach verlassen werden, weil sie gereinigt wurden und tagsüber ja nicht zu benutzen waren. Es gab Aufenthaltsräume, es gab ein recht großzügiges Gelände, was auch richtig angelegt war mit Bäumen und Bänken, also schon, wenn das Hamburger Schmuddelwetter dies zuließ, recht attraktiv gewesen sein muss. Es gab die Kirche, es gab eine evangelische und katholi- sche Kirche und eine Synagoge, wo regelmäßig Gottesdienste und Andachten angeboten wurden. Es gab eine Kapelle, die jeden Tag spielte immer im Freien. Ja und dann die regelmäßigen Mahlzeiten, morgens, mittags, abends. Das war sozusagen ein Rundumpaket, was hier angeboten wurde, aber eben auch verpflichtend war. Autor: Diese Auswandererhallen wurden nun an ihrem historischen Ort wieder aufgebaut und sollen ab Juli ein Museum ähnlich dem Bremerhavener Vorbild beherbergen. Das Deutsche Auswan- dererhaus in Bremerhaven liegt zentral am alten Hafen mit seinen Museumsschiffen. Hamburg hätte auch solche Lagen zu bieten, doch die Macher der Ballinstadt gehen bewusst an den historischen Ort. 36. O-Ton: Ursula Wöst Die Veddel ist ein sogenannter Problemstadtteil, mit ungefähr 5000 Einwohnern, von denen rund 60% einen Migrationshintergrund ha- ben. Es ist ein Stadtteil, der von der Stadt lange Jahre eher stiefmütterlich behandelt wurde und man hofft sich jetzt mit diesem Projekt aber auch mit anderen Maßnahmen, diesen Stadtteil ein wenig mehr in ein positives Licht zu rücken und einfach auch zu beleben. Autor: In Bremerhaven wird der Besucher selbst zum Auswanderer und durchläuft die Stationen an Land, auf dem Schiff und schließlich bei der Ankunft in Amerika. Anschaulich können Besucher einzelnen Auswanderern auf ihrem Weg in die Neue Welt folgen und erfahren, was aus ihnen geworden ist. Martha Hüner, die aus Bremerhaven auswanderte und einen Hamelner Bäckermeister heiratete, lebte an der Ostküste Amerikas. Sie arbeitete nach dem Tod ihres Mannes wieder als Hausangestellte bei einer Familie, zu der sie ein fast freundschaftliches Verhältnis hatte. Im hohen Alter zog sie dann zu einer Freundin nach Florida. 37. O-Ton: Katrin Quirin Und dann bekam sie leider einen kleinen Schlaganfall, was ihr ein bisschen Angst gemacht hat. Ihre beiden Schwestern in Deutsch- land, Käthe und Hanna, haben sie immer überzeugen wollen nach Bremerhaven zurückzukommen, hier ginge es ihr viel besser und hier könne sie in der Familie leben und sie hat immer gesagt, nein, ich bleib hier bei meiner Freundin, hier geht?s mir gut und ich bin hier gut aufgehoben und dann kam aber dieser Schlaganfall und das hat ihr denken umgeworfen. Das hat sie dazu gebracht, dass sie doch wieder zurück wollte und sie hat ihre jüngste Schwester Hanna angerufen: komm und hol mich, komm und hol mich zurück nach Bremerhaven. Autor: Nach 63 Jahren kehrte Martha zurück nach Bremerhaven. Im Ge- päck hatte sie die Brosche der Mutter und natürlich die Pferdebürste des Vaters. Sie bekam noch oft Besuch aus Amerika, bevor sie kurz nach ihrem 81. Geburtstag verstarb. Doch als sie nach Bremerhaven zurückkehrte, wollte sie in ihrer Wohnung alles so haben, wie sie es in Amerika hatte. Messingbeschläge an den Möbeln und vor allem einen Lay-Z-Boy, einen unglaublich gemütlichen amerikanischen Fernsehsessel. Sie war wieder in Deutschland, doch sie lebte ameri- kanisch. ?Zuhause ist dort, wo Dein Herz ist?, hieß ihre Devise. Ihr Herz schlug für beide Welten. Musik schon unter Autor legen. 38. O-Ton: Katrin Quirin Das war einfach eine Zeit, wo man gegangen ist. Und sie war halt jung, sie war 16, 17. Im Sommer 1923 war sie 17, da hat man noch ganz andere Träume im Kopf, da will man die Welt entdecken, da will man raus, da will man neue Sachen sehen. Musik kurz aufblenden Sprecher: Die Brücke nach Übersee ? Hamburg und Bremerhaven, die deut- schen Auswandererhäfen. Eine Deutschlandrundfahrt mit Nicolas Hansen. 1