COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Lust und Last der Korruption Wie in Deutschland geschmiert wird Eine Spurensuche von Frank Überall Opener_a (O-Ton-Collage) "Ich glaube schon, dass das etwas ist, wo viele auch nicht ran wollen, weil das natürlich schon ein heißes Eisen ist, Korruption." / "Lieber Staatsanwalt, kümmere dich um anderes." / "Die merken gar nicht, dass bestimmte Dinge sich nicht gehören und falsch sind." / "Unrechtsbewusstsein findet man im klassischen Sinne sehr, sehr selten vor." / "Der Mensch lässt ja von allen Sünden nicht ab, und Die Systeme passen sich jeweils nur den entsprechenden Rechtslagen an." Sprecher vom Dienst: Lust und Last der Korruption Wie in Deutschland geschmiert wird Eine Spurensuche von Frank Überall Sprecher: Korruption schadet allen. Schmiergelder und andere Vorteile werden in der Regel nicht aus der privaten Tasche gezahlt. Wer andere besticht, will diese Ausgabe wieder einspielen. Dadurch verteuern sich öffentliche Bauvorhaben oder der Preis für Produkte im Supermarkt steigt. Die Zeche zahlen die Bürger - über höhere Steuern oder unnötig hohe Preise beim Einkaufen. Das Bundeskriminalamt schätzt den jährlichen Schaden alleine durch die zweifelsfrei aktenkundigen Fälle in Deutschland auf rund 200 Millionen Euro. Experten gehen davon aus, dass das wahre Ausmaß zehn- bis zwanzig Mal so groß ist. Das dubiose Geben und Nehmen ist ein Milliardenmarkt. Wer ihn studieren möchte, muss nach Köln fahren, der Hauptstadt des Klüngels: Atmo Cafe Autor: Ein Cafe in der Kölner Innenstadt. Ich treffe mich mit Norbert Rüther. Beim Cappuccino bricht der frühere SPD-Politiker nach fast zehn langen Jahren sein Schweigen. Im Jahr 2002 trat er als Chef der Kölner SPD-Fraktion im Stadtrat zurück. Der Fall hatte bundesweit Schlagzeilen gemacht: Rüther hatte Schmiergeld von Entsorgungsunternehmen angenommen. Deshalb wurde er auch vor den Parteispenden-Untersuchungsausschuss des Bundestags zitiert. Neben Altkanzler Helmut Kohl wurde auch der Kölner Norbert Rüther zum Kronzeugen für verlotterte Sitten in der Politik. Ein Pulk von Journalisten, Dutzende Kameras begleiteten Rüthers Auftritt: O-Ton: Ruether "Immer wenn ich heute an die U-Bahnhaltestelle Berlin-Mitte komme, wo ich dann ausgestiegen bin und rüber gegangen bin zum Bundesfinanzministerium, in dem die Kommission oder der Untersuchungsausschuss tagte, wird mit dieses eiskalte Gefühl, sozusagen von einer wahren Meute begleitet worden zu sein, bewusst und das schaudert." Autor: Norbert Rüther saß drei Monate in Untersuchungshaft. Im August 2008 verhängte das Kölner Landgericht eine Bewährungsstrafe gegen ihn. Er hatte illegal Geld kassiert von Firmen, die die städtische Müllverbrennungsanlage gebaut hatten. Dankeschön-Spenden nannte man das. Rüther hat nichts in die eigene Tasche gesteckt, wohl aber seine Partei - die SPD - mit dem Schwarzgeld unterstützt. O-Ton: Ruether "Die Kosten liefen weg, und wir brauchten Finanzierungsquellen, da es ja der kommunalen Ebene nie gelungen war, Wahlkampfkostenerstattungen zu bekommen. Es standen Wahlkämpfe an wie die ersten Wahlen zum hauptamtlichen Oberbürgermeister einer deutschen Millionenstadt. Wir wussten nicht, wie die zu finanzieren waren. Deshalb habe ich solche Spenden angenommen. Und ich glaube, im Nachhinein, es war ein Schuss Größenwahnsinn und Abenteurertum dabei." Autor: Als Norbert Rüther mir die Geldübergabe beschreibt, kommt mir das vor wie ein schlechter Film. In die Schweiz sei er gefahren, um dort von einem dubiosen Anwalt die geheime Zuwendung zu bekommen. O-Ton: Ruether "Das ist ja kein Koffer voll Bargeld gewesen. Das war ein kleiner Umschlag, der in die Rocktasche passte. Das waren damals 150, 170.000 Euro. Das sind 170 Scheine. Das sind keine fünf Zentimeter!" Autor: Mies habe er sich dabei gefühlt, erzählt er heute. Komisch sei das gewesen, dieses kriminelle Abenteuer, das er nach Kräften als politische Notwendigkeit zu interpretieren suchte: O-Ton: Ruether "Ich habe es sozusagen als falsche Methode für den richtigen Zweck gedeutet. Und es war ja - in Anführungszeichen - meine, unsere SPD, für die das lief und für die politische Arbeit. Das ist dieses - in Anführungszeichen - Umdeuten ins Schöne." Autor: Er habe das System der Dankeschön-Spenden von seinen Vorgängern übernommen, berichtet Rüther. Wer kommunale Aufträge in Köln haben wollte, wurde anschließend angezapft von der SPD-Ratsfraktion. Seit Jahrzehnten sei das üblich gewesen. Und so richtig kann Norbert Rüther auch heute nicht glauben, dass es solche dubiosen Finanzierungspraktiken in anderen Rathäusern der Republik nicht mehr gibt: O-Ton: Ruether "Der Mensch lässt ja von allen Sünden nicht ab. Ich bin ja katholisch erzogen und groß geworden, und von daher weiß ich, dass der Mensch sündig bleibt. Die Systeme passen sich jeweils nur den entsprechenden Rechtslagen an." Autor: Die Kölner haben für solche Netzwerke einen bundesweit bekannten Begriff, den Klüngel. Man kennt sich, man hilft sich. Auch wenn es mal gegen die Gesetze verstößt. Um die Last eines möglicherweise schlechten Gewissens besser aushalten zu können, definiert man die illegale Kooperation als Lust, den Mittäter als Freund. Potenzielle Schmiergeldzahler dienen sich Politikern oft auf anheimelnde Weise an. O-Ton: Ruether "Es gab Menschen, die mich nie gekannt haben vorher, die dann nach dem ersten Essen in einem der bekannten Kölner mittelguten Restaurants mit teuren Preisen dann sagten, ab jetzt bin ich dein Freund! Aber das waren natürlich keine." Atmo Karneval "Kölle Alaaf" frei stehend, Feststimmung: Sprecher: Wo Unternehmer von Politikern etwas wollen, wird schnell eine Freundschaft angeboten. In Köln vielleicht noch schneller als anderswo, die familiäre Atmosphäre im Karneval macht es da zuweilen noch etwas einfacher. Stephan Grünewald hat sich mit dem Phänomen beschäftigt. Der Psychologe hat das Buch "Deutschland auf der Couch" geschrieben. Er hat untersucht, wie nahe Zweckfreundschaft und Korruption beieinander liegen können: O-Ton: Grunewald "Das Netzwerken, was wir in Köln ja als Klüngel bezeichnen, ist zutiefst menschlich. Weil es ein Versuch ist, die Wucht des Schicksals kollektiv abzufedern." Sprecher: Der Versuch, gerade Politiker als vermeintliche Freunde zu vereinnahmen, ist da durchaus üblich, weiß der Fachmann: O-Ton: Grunewald "Unsere Geschäftspartner sind sinnbildlich unsere Onkel und unsere Brüder, unsere Schwestern, unsere Väter. Wir fühlen uns verpflichtet. Wir wollen mit denen im Einklang sein, vielleicht wollen wir denen auch was beweisen. Und das ist im Grunde genommen eine Entscheidungsausrichtung, die dadurch bedingt ist, die mitunter viel gravierender ist als kleine Geldgeschenke, die fließen. Weil hier so ein emotionaler Kern unseres Lebens berührt ist, ne? Will ich dem väterlichen Freund, will ich dem gefallen, will ich dem beweisen, dass ich das auch durchgesetzt kriege in deinem Sinne? Das wirkt viel mehr als eine Geldzuwendung." Sprecher 2: Lust und Last: Ex-Bundespräsident Christian Wulff ist längst nicht der erste Politiker, der über eine komplizierte Verwicklung zwischen Freundschaft und Vorteilsannahme stürzte. Es gibt viele Beispiele: Lothar Späth. Ministerpräsident in Baden- Württemberg. Von Firmenchefs eingeladen auf Traumschiffe. - Gerhard Glogowski. Ministerpräsident in Niedersachsen. Unternehmer sponserten seine Hochzeitsparty. - Max Streibl. Ministerpräsident in Bayern. Den Vorwurf, von Freunden aus der Wirtschaft eingeladen worden zu sein, konterte er auf einem CSU-Parteitag mit dem Ausruf: "Man wird ja wohl noch Freunde haben dürfen. Saludos Amigos!" Sprecher: Freunde, Amigos, Klüngelbrüder - Edda Müller von der Anti-Korruptionsorganisation transparency international meint, das politische Geschäft hat sich in den letzten Jahren deutlich zum Negativen verändert. O-Ton - Eddamueller "Man muss zumindest wissen, was richtig und was falsch ist. Das, was mich mitunter so verblüfft oder auch schockiert, dass ich den Eindruck habe, dass manche Menschen in der Politik diese Unterschiede gar nicht mehr machen. Die merken gar nicht, dass bestimmte Dinge sich nicht gehören und falsch sind." Sprecher: Ganz gleich, ob eine Freundschaft real oder nur vorgespielt ist - diese emotionale Verbundenheit kann dazu beitragen, die kriminelle Last der Korruption auszublenden: Sie in ein Gefühl der Lust auf gemeinsame Interessenlagen umzudeuten. O-Ton: Grunewald "Viele Netzwerke, vor allem die dann korrumptiv werden, dienen ja der Abschottung. Das heißt, ein tieferer psychologischer Kern ist immer eine Angst vor der Welt. Vor der Konkurrenz, die da draußen droht. Und der tiefere Sinn liegt darin, ich bin in einem hermetischen Kreis, und ich sehe dann nur noch diesen Kreis. Ich sehe nicht mehr die Bedrohungen, aber auch nicht mehr die Chancen, die da draußen sind. Das gibt mir ein Gefühl der Sicherheit. Und ich bin dann menschlich, emotional diesem Kreis verpflichtet. Das heißt, das schlechte Gewissen droht dann, wenn ich nicht hilfreich im Rahmen meines Kreises bin. Was da außerhalb ist, ist vollkommen weggeblendet." Sprecher: Einer besticht, der andere lässt sich bestechen. Eine Hand wäscht die andere. Das gegenseitige Kennen und Helfen bestimmt das Handeln. Je mehr Macht man gewinnt, so der Psychologe, umso größer werden die Chancen für geheime Absprachen zum eigenen Vorteil. O-Ton: Grunewald "Jemand der oben steht, hat garantiert Freunde, Gönner, starke Kreise und Netzwerke, die ihn mit nach oben getragen haben. Dadurch entstehen Dankbarkeiten, aber auch Verpflichtungen. Und es ist wahnsinnig schwierig, da immer ein auch öffentlich relevantes Augenmaß zu wahren." Sprecher 2: "Ich kauf dich einfach, verstehste, Junge! Ich kauf dir eine Villa, dann stell ich dir noch einen Ferrari davor! Und deinem Weib schick ich jeden Tag nen Fünfkaräter. Ich schiebs dir hinten und vorne rein. Ich scheiss dich so was von zu mit Geld, dass du keine ruhige Minute mehr hast. Ich schick dir täglich Cash im Koffer. Das schickst du einmal zurück, und zweimal, und vielleicht noch ein drittes Mal. Aber ich schick dir jedes Mal mehr. Und irgendwann kommt dann der Punkt, da bist du so mürbe und so fertig und die Versuchung ist so groß, dann nimmst dus. Und dann hab ich dich, dann gehörst du mir. Dann bist du mein Knecht, und dann mach ich mit dir, was ich will, verstehste, Junge? Ich bin dir einfach über! Gegen mich hast du keine Chance, begreifst du das nicht? Mensch, Baby! Ich will doch bloß dein Freund sein! Komm! Und jetzt sag Heini zu mir." Sprecher: Der Heini, das ist hier ein korrupter Unternehmer in "Kir Royal". Die "Heinis" dieser Republik sitzen ganz überwiegend in den Chefetagen. In den Büros kleiner und großer Unternehmen, in den Rathäusern und Parlamenten, in den Kommunalverwaltungen und Ministerien. Sie dichten sich ihr Verhalten schön. Legen sich eine moralische Rechtfertigung zurecht. Eine subjektive Ethik der Korruption. Dass das besonders in den Chefetagen verbreitet ist, belegen Studien führender Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Auch Dominik Enste vom Institut der Deutschen Wirtschaft bestätigt das. O-Ton - Enste "Man möchte zum einen vielleicht nicht so gerne hinschauen und ist eigentlich ganz froh, wenn es keine Korruptionsfälle gegeben hat und man sich mit diesem Thema auch nicht beschäftigen muss. Da geht es einem wie anderen Menschen auch, die sich nicht so gerne mit Krankheiten beschäftigen oder wo man nicht so gerne sich mit Fehlern genau beschäftigt. Mit anderen Worten, es geht dabei im Wesentlichen um Prävention. Und Prävention kennt jeder von sich selber, ist immer deutlich schwieriger als dann zu heilen, wenn mal ein Geschwür oder eine Krankheit aufgetreten ist." Sprecher: Korruption und Korrumpierbarkeit ist also eine Last, die man sich nicht gerne bewusst macht - aber auch eine Lust? O-Ton - Enste "Eine Lust kann daraus entstehen, wenn man gerne der Gesellschaft ein Schnippchen schlagen möchte und das Gefühl hat, man ist ungerecht behandelt worden, die Karriere stockt, man hat - weiß ich - nicht das erreicht, was man gerne wollte. Dann kann es auch ein bisschen mit Lust verbunden sein." Sprecher: Schnell trete ein Gewöhnungseffekt ein, wenn man einmal bei krummen Geschäften nicht erwischt worden ist. Die gemeinsam in vermeintlichen Freundeskreisen entwickelte Korruptionsethik helfe dabei. O-Ton - Enste "Wenn es tatsächlich Bekanntschaften ergibt, die sich ergeben aus dem Alltag, das kann ein Unternehmer oder Politiker sein, an den Dingen ist erstmal noch gar nichts dran. Wichtig ist, dass man einfach sehr klar dokumentiert, welche Vergünstigungen wer in irgendeiner Form in Anspruch nimmt und ob man das mit anderen Freunden auch beispielsweise teilen würde." Sprecher 2: Last und Lust: Das Politikerleben kann zuweilen recht amüsant sein. Wohl gemerkt unter Schonung des eigenen Geldbeutels. Die Wirtschaft zahlt, der Volksvertreter genießt. Ein Besuch beim Opernball oder in der Promi-Loge eines Fußballstadions, die Finanzierung einer ausgelassenen Wahlparty, eine als Informationsfahrt deklarierte Lustreise, eine professionelle Massage bei einer Werbeveranstaltung von Lobbyisten. Sprecher: Die Organisation lobbycontrol prangert solche Einladungen an. Nach Ansicht von Ulrich Müller verstecken sich dahinter häufig eben Zweckbündnisse, die Korruption befördern: O-Ton - Ulrich Müller "Aber ich finde auch hier muss ein Politiker aufpassen, sind das eigentlich Leute, mit denen ich sozusagen auch politisch zu tun habe, in dem Sinne dass ich ihre Branchen reguliere, oder dass meine Regierung einen Einfluss darauf hat, wie die Branche reguliert ist und ein Teil im Fokus dieser Lobbyarbeit von diesen Leuten oder Unternehmen steht. Und da finde ich, sollte man auch dort lieber klar sagen, ich zahle dann selber, ja?" Sprecher: Oft aber erfährt die Öffentlichkeit gar nichts von solcher Lust an Gratis-Vorteilen. Die Last des schlechten Gewissens wird von Politikern dadurch ausgeblendet. Auch, weil selbst in handfesten Korruptionsfällen - nach Beobachtung von Dominik Enste - selten wirklich mit harten Strafen zu rechnen ist. O-Ton - Enste "Wichtiger ist, ob man in einer Situation selber befürchtet erwischt zu werden. Darauf kann man setzen, ohne dass man sehr viel mehr Verfahren tatsächlich durchführen muss. Sondern die, die man durchführt, entsprechend dominant, prägnant vermarkten, deutlich dokumentieren. Was ja bei Siemens und anderen passiert ist. Und dadurch das Gefühl erwecken, oh je, es wird jeder dritte oder vierte Fall von Korruption aufgedeckt!" Atmo: Krimi-Spannungsmusik, erst frei, dann darüber: Autor: Aber gibt es diese allgemeine Abschreckung für mögliche Korruptions-Täter wirklich? Wie wahrscheinlich ist es, dass eines Tages die Polizei auf der Matte steht? Viele kennen die Arbeit der Ordnungshüter nur aus dem Fernsehen. Atmo Cafe Autor: Ich treffe mich zum Kaffee mit Sebastian Fiedler. Der Kommissar engagiert sich im Bund Deutscher Kriminalbeamter. O-Ton - Fiedler "Natürlich vermittelt der Tatort ein wirklichkeitsfremdes Bild. Und insbesondere in Fällen der Korruptionskriminalität, wie auch allgemein der Wirtschaftskriminalität, besteht sicherlich 70 bis 80 Prozent oder sogar mehr der eigentlichen Tätigkeit aus reiner Bürotätigkeit. Wir müssen Daten auswerten, wir müssen Akten entsprechend auswerten und die Beweismittel zusammentragen, Zeugenvernehmungen vornehmen und müssen letztlich die Beweislage gerichtsverwertbar schaffen." Autor: Von dem Kriminalbeamten will ich wissen, ob die Theorie von den korrupten Netzwerken der Freundschaft tatsächlich stimmt. O-Ton - Fiedler "Es gibt eine ganze Reihe, wir sagen in der Kriminologie, von Neutralisierungstechniken der Täter. Und Unrechtsbewusstsein findet man im klassischen Sinne sehr, sehr selten vor." Autor: Es gibt also eine Korruptionsethik, die dabei hilft, das eigene Handeln zu rechtfertigen. In Verhören erleben die Frauen und Männer von der Kripo das offenbar jeden Tag: O-Ton - Fiedler "Wir haben ja zwei Parteien, die beide Täter sind. Wir haben in Korruptionsverfahren nicht dieses klassische Opfer, man spricht dort, meines Erachtens zu Unrecht, von opferloser Kriminalität. Denn die Opfer sind woanders. Aber wir haben immer Einen der gibt und Einen der nimmt." Atmo Klingeln an Haustür, Klopfen Autor: Die berühmte Razzia morgens um sieben ist noch der einfache Teil der Ermittlungen. Danach kommt für die Polizei die Nerven aufreibende Büroarbeit. Oft müssen Dutzende Umzugskartons voller Akten und etliche Terrabyte an Computerdateien penibel ausgewertet werden: Hier eine verräterische E-Mail, da eine fingierte Rechnung - so sehen die Spuren der Korruption aus. Schnell geht das nicht. Auch, weil Polizei und Justiz mit solchen Verfahren oft hoffnungslos überlastet sind. O-Ton - Fiedler "Die Korruptionskriminalität ist ein Beispiel von vielen, dass hier der politische Wille nicht vorherrscht, die Kriminalitätsphänomene ernsthaft zu bekämpfen. Wenn man das wollte, müsste man zunächst mit dem Schritt Dunkelfeldforschung beginnen und müsste sich fragen, in welchen Bereichen habe ich viel Korruption. Und wenn ernsthafter Wille bestünde, dieses Dunkelfeld zu erhellen, das heißt also mehr Taten auch in der Kriminalstatistik letztlich zeigen zu können, dann müssten wir hier zwangsläufig mehr Personal einsetzen." Autor: Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter schließt daraus, dass das Thema Korruption für die Politiker offenbar ein heißes Eisen ist. Vor allem, wenn es um ihr eigenes Verhalten geht. Deshalb will ich nun die fragen, die an diesem Spiel beteiligt sind. Also verabschiede ich mich vom Kripo-Mann Carsten Fiedler. O-Ton - Fiedler "(Autor: Wir haben jetzt schön Kaffee getrunken. Wer bezahlt den Kaffee?) - (lacht laut) Jeder seinen, würde ich vorschlagen, oder? (lacht erneut)." Atmo Spielhalle Autor: Nächstes Treffen: Mathias Wieland. Lobbyist unter anderem für die Betreiber von Spielhallen und die Aufsteller von Glücksspiel-Automaten: ein Geschäft, dessen Rahmenbedingungen stark von politischen Entscheidungen abhängen und das deshalb traditionell lobbyintensiv ist. Auf der offiziellen Lobbyisten-Liste des Deutschen Bundestages stehen mehr als 2.000 amtlich registrierte Interessenvertreter. Manche arbeiten ehrlich und transparent, andere suchen Schleichwege der Beeinflussung. Mathias Wieland jedenfalls verteidigt seinen Berufsstand. O-Ton - Wieland "Grundsätzlich ist Lobbyismus für mich keine Disziplin, die zwanghaft mit Korruption verbunden ist. Denn Lobbyismus ist eine ganz normale Kommunikationsform, die ich auch für in Deutschland dringend notwendig halte, weil die Politiker im Rahmen ihres demokratischen Auftrages nicht mit den Mitteln ausgestattet sind, sich für jedes Thema die entsprechenden tiefgehenden Informationen zu verschaffen." Autor: Bei manchen glamourösen Veranstaltungen, die rund um den Reichstag in Berlin stattfinden, kann man trotzdem den Eindruck gewinnen, dass es nicht nur um Information geht. Die Lust des abendlichen Vergnügens steht zuweilen im Mittelpunkt, zum Beispiel bei Turnieren, die Wieland für die Spielautomaten-Branche organisiert hat. Politiker, Journalisten und Wirtschaftsvertreter haben dabei allerlei Annehmlichkeiten genossen. O-Ton - Wieland "Da ging es nicht vornehmlich darum, dass wir den Leuten irgendwelche Geschenke machten oder einen schönen Abend machten, sondern einfach ein unterhaltsames Treffen organisierten, wo man miteinander ins Gespräch kam und wodurch wir natürlich in unserer Aufgabe als Lobbyisten letztlich auch ein Netzwerk pflegen und auch Leute mit an Bord haben, mit denen man hinterher über das Thema diskutieren kann. Und das, denke ich, ist eine ganz normale Geschichte, die jeder andere auch macht." Atmo Öffnen einer Weinflasche, Eingießen Sprecher 2: Kostet die geschenkte Flasche Wein drei, 30 oder 300 Euro? Hat die Einladung zum Abendessen im guten Restaurant 20 oder 200 Euro auf die Rechnung gebracht? Was kostet ein Upgrade im Hotel? Was der Urlaub in der Villa eines Unternehmerfreundes? Darf ich das gratis annehmen? Muss ich die Einladung zurück weisen oder selbst bezahlen? Ist das nicht unfreundlich? Sprecher: Fragen, die sich Politiker immerzu stellen müssen, wollen sie nicht mit Moralvorstellungen ihrer Wähler oder sogar mit dem Gesetz in Konflikt kommen. Das weiß auch Jerzy Montag, rechtspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag: O-Ton - Montag "Wenn ein Lobbyverein mich einlädt zu einem Gespräch bei einem Frühstück, und es ist ein Thema, dass sich mit meiner Parlamentstätigkeit irgendwie überschneidet, habe ich überhaupt kein Problem damit, mich zu einem Frühstück einladen zu lassen und dabei eine Stunde über bestimmte Probleme dieses Verbandes oder Vereins zu sprechen." Autor: Für Ulrich Müller von lobbycontrol stehen jegliche Einladungen von Wirtschaftsvertretern an Politiker dagegen durchaus unter Korruptionsverdacht. O-Ton - Ulrich Müller "Wenn man sich anguckt, in welchem Maß tatsächlich eingeladen wird und in welchem Maß da auch tatsächlich aufgefahren wird zum Teil, also aufwändige Veranstaltungen, auch Veranstaltungen, die sehr teuer sind, dann ist das natürlich hoch problematisch." Atmo Bundestagsdebatte (unbestimmt) Sprecher: Der Deutsche Bundestag. Seit Jahren Ort des Zögerns und Zauderns in Sachen Korruptions-Bekämpfung. Bereits im Jahr 2003 hatte die damalige Bundesregierung eine Konvention der Vereinten Nationen unterschrieben. Der völkerrechtliche Vertrag sieht vor, dass Korruption intensiver verfolgt wird. Unter anderem sollen Politiker strenger kontrolliert werden. SPD und Grüne haben das in ihrer Regierungszeit nicht in deutsches Recht umgesetzt, CDU und FDP auch nicht. Trotzdem wollen die Sozialdemokraten jetzt mit einem Gesetzentwurf einen neuen Vorstoß wagen, erklärt der Abgeordnete Ulrich Kelber. O-Ton - Kelber "Erstens internationalen Standard der Korruptionsbekämpfung auch bei Abgeordneten gerecht werden. Zweitens aber auch dem einen oder anderen übereifrigen Jungstaatsanwalt, der sich schnell einen Namen in der Zeitung machen will, nicht ermöglichen, Politiker einfach mit Schmutz zu bewerfen. Da hat es leider Negativbeispiele gegeben." Sprecher: Dabei ist Ulrich Kelber keineswegs ein Hardliner. Der Bonner SPD-Abgeordnete stellt seine Steuererklärung ins Internet, er führt ein öffentliches Tagebuch darüber, mit welchen Lobbyisten er spricht. Als Negativ-Beispiel für übertriebene Verdächtigungen führt Kelber die angeblichen Lustreisen an, zu denen Kommunalpolitiker lange Zeit von Unternehmen der Energiewirtschaft eingeladen worden waren. Dutzende Beschuldigte mussten deshalb Geld an die Justiz zahlen. Bundestagsabgeordnete konnten dafür aber nicht verfolgt werden. Das Parlament weigerte sich einfach, deren Immunität aufzuheben. O-Ton - Kelber "Da haben wir dann Gott sei Dank parteienübergreifend gesagt, lieber Staatsanwalt, kümmere dich um anderes, da heben wir selbstverständlich nicht die Immunität auf, an der Stelle." Atmo Bundestag Sprecher: Zu den prinzipiellen Befürwortern einer immerhin vorsichtigen Verschärfung des Korruptions-Strafrechts für Politiker gehören auch die Grünen. Deren Abgeordneter Jerzy Montag bleibt trotzdem realistisch. O-Ton - Montag "Bisher haben wir noch keine klare Mehrheit im Hause für eine solche Regelung. Unabhängig davon: Sie ist notwendig. Wir machen uns mindestens unglaubwürdig, zum Teil auch etwas lächerlich, im internationalen Maßstab." Sprecher: Während SPD und Grüne nur Abstriche gegenüber dem internationalen Standard der Korruptions-Verfolgung machen wollen, will sich die Union noch weiter zurück halten. Deren rechtspolitische Sprecherin Andrea Vosshoff hält es für ausreichend, größere Geschenke einfach zurück zu schicken. Gesetze ändern müsse man dafür nicht. O-Ton - Vosshoff "Nicht weil ich jetzt als Abgeordnete sage, wir wollen damit nichts zu tun haben und wollen uns keinen gesetzlich strengeren Rahmen geben. Nein, es hängt mit der eigentlichen Aufgabenfunktion des Abgeordneten zusammen. Das freie Mandat nach unserem Grundgesetz, dass der Abgeordnete nur seinem Gewissen unterworfen ist. Übrigens ist das auch der entscheidende Unterschied zu einem Amtsträger und Beamten. Die Entscheidungen des Abgeordneten sind nicht übertragbar." Atmo Spannende Krimimusik Sprecher: Edda Müller hat die schwierige Grenzziehung zwischen politischem Netzwerk und Korruption hautnah erlebt. Die ehrenamtliche Vorsitzende der Anti- Korruptionsorganisation transparency international in Deutschland war früher Umweltministerin in Schleswig-Holstein. Dabei geriet sie in manche verzwickte Situation. Womöglich steckte nicht Korruption dahinter, gleichwohl wurde sie zum Beispiel von Abgeordneten massiv bedrängt, an eine bestimmte Firma öffentliche Zuschüsse zu zahlen, die sie für unnötig hielt. O-Ton - Eddamueller "Ich habe abgelehnt, diese Subventionen zu zahlen. Ich bin ununterbrochen vor die Fraktion zitiert worden, ich bin von Abgeordneten aus Lübeck und so weiter unter Druck gesetzt worden, dass ich die Subventionen zahle. Weil sie damit kurz vor den Wahlen einen Erfolg verkünden wollten. Als ich dann ausgeschieden bin, hat innerhalb kürzester Zeit mein Nachfolger diese Subventionen gezahlt. Und ich glaube, dass das Land Schleswig-Holstein immer noch versucht, die Gelder zurück zu bekommen, weil natürlich der Hersteller nach kurzer Zeit Pleite gegangen ist. Sehenden Auges wollte man das Geld einsetzen, um einen kurzfristigen politischen Vorteil zu haben." Sprecher: Heute setzt sich Edda Müller - nicht zuletzt aufgrund ihrer Erfahrungen als Politikerin - für strengere Regeln ein. Doch auch die Grünen haben Vorbehalte. Der Job der Politiker in Berlin sei eben ganz anders als der von Beamten oder Managern, meint Jerzy Montag. Er will strafrechtliche Ermittlungen gegen Politiker nicht bei vagem Verdacht zulassen, sondern nur bei ganz handfesten Vorwürfen. O-Ton - Montag "Eine Unrechtsvereinbarung ist eine, die lautet: Ich bekomme das Studium meines Sohnes bezahlt oder meine Ehefrau bekommt eine Villa, oder ich bekomme auf ein Konto in der Schweiz 100.000 Euro und dafür werde ich mich im Parlament nicht für das Wohl des deutschen Volkes, sondern für das Wohl eines Herrn Müller oder einer Frau Meier stark machen." Atmo Trillerpfeife Sprecher: Die schrille Trillerpfeife: Ein Bild dafür, lautstark auf Missstände in Politik, Unternehmen und Behörden aufmerksam zu machen: Weil sich Korruption im Geheimen abspielt, sind Justiz und Öffentlichkeit auf Geheimnisverräter angewiesen. So genannte Whistleblower. Guido Strack hat in Deutschland ein Netzwerk etabliert, das für die Interessen von Whistleblowern kämpft. Er selbst war als Mitarbeiter der Europäischen Kommission über möglicherweise manipulierte Auftragsvergaben gestolpert, die Kommission soll an einen Unternehmer zu viel gezahlt haben. Er wollte die Merkwürdigkeiten aufklären, seine interne Kritik wollte damals aber niemand so richtig hören. Daran erinnert er sich noch gut. O-Ton - Strack "Das Gefühl im falschen Film zu sein, das Gefühl der Ohnmacht und irgendwo Hilflosigkeit." Sprecher: Guido Strack konnte den Fall nicht aufklären, er verlor wegen seiner Kritik sogar den Job. Sein Beispiel zeigt: Whistleblower sind oft auf sich allein gestellt. Offiziell sollen sie den Dienstweg einhalten, also nur den eigenen Chef informieren. Doch was tun, wenn der selbst ins Netzwerk der Korruption eingebunden ist? O-Ton - Strack "Es muss auch eine Regelung geben, dass ich - wenn Behörden auch nichts tun und wenn es zu Diskriminierungen kommt, vor denen man ja geschützt sein soll - dann auch die Möglichkeit habe, Dinge an die Öffentlichkeit zu bringen." Sprecher: Jetzt beschäftigt sich immerhin der Deutsche Bundestag mit der Situation der Whistleblower, sucht nach einer rechtlichen Absicherung für Kronzeugen - auch der Korruption -, wie es sie in anderen Ländern längst gibt. Die SPD hat einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht. O-Ton - Strack "Es dient ja auch der Abschreckung. In dem Moment, wo ich damit rechnen muss, dass jeder Mitarbeiter, der irgendwas davon mitkriegt, eine geeignete Stelle hat, an die er sich wenden kann und die Stelle dann auch diesen Vorwürfen nachgeht und den Sachen auf den Grund geht, habe ich natürlich ein ganz anderes Risiko, korrupt mich zu verhalten, als wenn ich das hab in `ner Situation, wo ich weiß, dass es im Zweifel niemanden gibt, der den Leuten zuhört." Atmo Restaurant Autor: Ich treffe mich noch mit Christian Humborg in einem Berliner Restaurant. Bei einem gemeinsamen Mittagessen will ich von dem Geschäftsführer von transparency international erfahren, was er über die Zurückhaltung der Politiker bei der Korruptionsbekämpfung denkt. O-Ton - Humborg "Ich glaube schon, dass das etwas ist, wo viele auch nicht ran wollen, weil das natürlich schon ein heißes Eisen ist, Korruption." Autor: Insgesamt sei Deutschland kein übermäßig korruptes Land, betont Christian Humborg. Es bleibe aber wichtig, konsequent gegen illegitime Freundschaften und die lustvolle Verführungsgefahr der Korruption zu kämpfen. O-Ton - Humborg "Wir sehen weltweit, dass es leider immer Mord und Totschlag geben wird. Und leider wird es wahrscheinlich auch immer Korruption geben." Autor: Und überall sind es korruptive Netzwerke wirklicher oder zweckgesteuerter Freundschaft, die aufrichtiges Handeln in Politik und Wirtschaft gefährden. Politiker, Polizisten oder Organisationen versuchen dagegen zu kämpfen. Dabei sind sie stets auf der Hut, nicht selbst in Abhängigkeiten zu geraten. O-Ton - Humborg "Autor: Wer zahlt jetzt eigentlich gleich? Wir sind ja zum Essen hier? Humborg: Ich denke mal, dass jeder - und so handhabe ich es immer, wenn ich mit Personen im Zusammenhang mit meiner Tätigkeit essen gehe - dass jeder brav seine eigene Rechnung bezahlt. Und ich finde, daran ist auch nichts Schlimmes." Sprecher vom Dienst: Lust und Last der Korruption Wie in Deutschland geschmiert wird Ein Feature von Frank Überall Es sprachen: Der Autor Viktor Neumann Simon Böer Ton: Thomas Monnerjahn Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Martin Hartwig Produktion: Deutschlandradio Kultur 2012 16 1