COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Zeitreisen 1. September 2010 Die Mauer in Mödlareuth Geschichte eines geteilten Dorfes an der thüringisch-bayerischen Grenze von Claudia Decker Erstsendung: Bayrischer Rundfunk, 28. März 2009 1. O-Ton Frau: Des is eine Bildungslücke, sag ich immer zu den Leuten, wenn sie net wissen, wo Mödlareuth is, is eine Bildungslücke. Aus der ganzen Welt kommen die Menschen da her, aus Afrika, überall, aus China, Japaner, war jetzt erst wieder eine Schulklasse Japaner da gewesen, is schon toll. Mann: I'm from Atlanta, Georgia, America. Mann: Richmond, Virginia. We came to look at the border. Wir wollen ein bisschen von die history sehen. Frau: Und am 3. Oktober ham wir ein großes Deutschlandfest, da kommen auch immer so 5-6.000 Leute am Tag. Mann: Der Bush hat uns ja als Little Berlin getauft. Ja, Little Berlin. Den hab ich sogar gesprochen, der hat Hände geschüttelt da, jaja. Ja, es ist wahr: Als George Bush Senior als US-Vizepräsident Mödlareuth einen Besuch abgestattet hat, nannte er es "Little Berlin", im Jahr 1983 war das. Auch andere Berühmtheiten wollten Mödlareuth mit eigenen Augen sehen: Die Bundespräsidenten Heinrich Lübke und Karl Carstens und in neuer Zeit Helmut Kohl, Angela Merkel, Edmund Stoiber und diverse Minister und Ministerpräsidenten. Mödlareuth ist ein Ort von historischer Bedeutung. Mödlareuth ist eine Sehenswürdigkeit, denn es ist ein Unikum - Mödlareuth, das 53-Seelen-Dorf 13 Kilometer nördlich von Hof, unweit der Autobahn 72 Richtung Dresden, Ausfahrt Töpen. Ja, Mödlareuth ist einzigartig. Wo sonst gibt es das, dass ein Dorf zwei Bürgermeister hat und zwei Goldene Bücher für die Unterschriften wichtiger Gäste? Dass zwei unterschiedliche Ortsschilder den Beginn des Dorfes markieren? Dass zwei Briefträger die Post bringen und dass zwei Postleitzahlen für das Dorf gelten? Sowie zwei Autokennzeichen? Sowie zwei Telefonvorwahlen? Welches Dorf hat schon verschiedene Feiertage? Welches Dorf gehört zu zwei Schulkreisen? In Mödlareuth bringt ein kleiner Schulbus die Kinder ins bayerische Töpen, ein größerer Schulbus fährt die Kinder ins thüringische Gefell. Wo sonst werden in einem Dorf zwei Dialekte gesprochen, sagen die Leute auf der einen Seite "Grüß Gott", die auf der anderen "Guten Tag"? Wo sonst gibt es das, dass ein kleines Dorf zwei Löschteiche hat und einst sogar zwei Maibäume und zwei Weihnachtsbäume aufstellte? Wie kann das alles sein? 2. O-Ton Bürgermeister Grünzner 0'06 Die Ortschaft Mödlareuth hat teilweise traurige Berühmtheit erlangt - - erklärt uns der eine Bürgermeister, Klaus Grünzner. 3. O-Ton Bürgermeister Grünzner/Schmidt 0'26 - und zwar dadurch, dass diese Ortschaft Mödlareuth geteilt wurde wie Berlin, und diese Ortschaft hat dann diesen Beinamen erhalten "Little Berlin". Das Besondere an Mödlareuth ist, dass genau durchs Dorf die Grenze zwischen Bayern und Thüringen läuft und leider auch die innerdeutsche Grenze bis zur Wiedervereinigung. Sagt der andere Bürgermeister, bis 2009 im Dienst, Ulrich Schmidt. 4. O-Ton Schmidt 0'18 Dass dort Menschen rechts und links, also in Bayern und in Thüringen, Verwandtschaft und Bekanntschaften getrennt wurden nach '45 oder zum Mauerbau '61 u bis zur Wiedervereinigung auch getrennt waren. 5. ATMO Vogelzwitschern drüber: Wo der Freistaat Bayern und der Freistaat Thüringen sich treffen, ist die Welt eigentlich ein Idyll. Das hier sei das Land der sieben Zwerge hinter den sieben Bergen, sagt Ulrich Schmidt. Das stimmt. Wenn es grünt, im Frühling, muss einem hier das Herz aufgehen. Das ist das südliche Vogtland: Sanfte Linien. Felder, Wiesen und bewaldete Hügel scheinen ineinander zu fließen. Ein Bach mäandert durch das Tal. Schneereste liegen in Mulden und am Straßenrand. ATMO kurz hoch drüber: Wenn man von Hof über Töpen nach Mödlareuth kommt, sieht man nach einer Linkskurve das Dorf in dem lieblichen Tal vor sich liegen. Von dieser Seite begrüßt einen das Ortsschild "Mödlareuth, Gemeinde Töpen, Kreis Hof". Die vielleicht 20 Häuser schmiegen sich aneinander, so sieht es aus. Das könnte wirklich eine ländliche Idylle sein. Käme man von der östlichen Seite, von Gefell, läse man auf dem Ortsschild: "Mödlareuth, Stadt Gefell, Saale-Orlau-Kreis". 6. O-Ton Grünzner 0'30 Wenn man dann da in dieses Tal blickt, dann fällt einem natürlich sofort diese Mauer mit den Türmen usw. ins Blickfeld, und es ist schon bedrückend wenn man es so sieht. Also die Mauer zog sich in beide Richtungen weiter durch die ganze Ortschaft. Die hat das ganze Tal eigentlich zerschnitten. Das, was wir da noch sehen, da beginnt dann noch dieser sogenannte Metallgitterzaun, der sich dann hochgezogen hat bis zur Ostsee. Das weiße Betonband des Schreckens steht heute nur noch auf einer Länge von etwa 100 Metern und leuchtet als Fremdkörper dort unten im Tal. Ein Mahnmal des Kalten Kriegs. Es erinnert daran, dass hier einst die Grenze zweier politischer Systeme verlief und eine kleine Dorfgemeinschaft zerschnitten hat. Mödlareuth ist das einzige Dorf, dem es so erging wie der ehemaligen Reichshauptstadt Berlin. Seit 1966 nannte man Mödlareuth "Klein Berlin", denn 1966 wurde auch hier wie 1961 in Berlin eine Mauer hochgezogen. Siebenhundert Meter lang zog sie sich durch das Dorf, 3,30 Meter hoch, rund um die Uhr bewacht, nachts mit Suchscheinwerfern ausgeleuchtet. Zum Grenzsicherungssystem gehörten ein stets geharkter Kontrollstreifen, ein Metallgitterzaun, Hundelaufanlagen, Wachtürme, Beobachtungsbunker, ein 500-Meter- Schutzstreifen, Minenfelder und die Sperrzone, die fünf Kilometer tief in die DDR reichte, mit Kontrollpunkten an den Zufahrtsstraßen, denn DDR-Bürger, die hier nicht wohnten, durften in die Sperrzone nicht rein. 7. ATMO Bach drüber: Das ist der Tannbach. Sein Lauf wurde Mödlareuth zum Verhängnis. Denn auf ihn geht die Teilung des Dorfes zurück. Nach Jahrhunderte langen Streitigkeiten diverser Landesfürsten wurden im Jahr 1810 neue Grenzsteine gesetzt: Der Teil des Dorfes südwestlich des Tannbachs wurde bayerisch, die nordöstliche Seite blieb beim Fürstentum Reuß. Nach dem Ersten Weltkrieg trennte der Tannbach Bayern und Thüringen. Aber immer markierte er bloß eine Verwaltungsgrenze, nichts Weltbewegendes, die Dorfgemeinschaft blieb intakt. Man half sich bei der Arbeit und feierte Feste zusammen. Schule und Wirtshaus standen auf Thüringer Boden, in die Kirche ging man miteinander ins benachbarte Töpen. Erst nach dem zweiten Weltkrieg änderte sich das radikal, als links des Tannbachs die amerikanische, rechts davon die sowjetische Besatzungszone verlief. Ab 1952 versperrte ein hoher Bretterzaun den 20 Bewohnern hüben die Sicht auf die 30 Bewohner drüben. Und ab 1966 die Mauer. 8. Museum/Ultsch - ATMO Besucher drüber: Besucherandrang im Deutsch-Deutschen Museum in Mödlareuth. Zwei Gruppen haben sich für heute angemeldet, eine aus dem thüringischen Städtchen Zeulenroda-Triebes und eine Schulklasse aus Frankreich. An die 60 Personen warten gerade auf Vortrag und Film, mehr als Mödlareuth Einwohner hat. Das Kino des Museums ist voll. Heiko Ultsch wird nach dem wird nach dem Dokumentarfilm über den Alltag an der Grenze und wird dann im Gelände durch die Grenzbefestigungen führen, wie sie bis 1989 ungefähr aussahen, in jenen Jahren, als immer wieder Hubschrauber über Mödlareuth kreisten. 9. ZSP Filmausschnitt (ab 0'38) (Hubschrauber) Eine Grenze mitten durchs Land, mitten durch Deutschland ... drüber: 10. O-Ton Bewohner 4'40 Frau: Mir durften net winken, net grüßen, net sprechen -. Mann: Was soll ich sagen, man hat´s empfunden als Grenze, als gegeben, was man nicht ändern kann, das war´s halt. Frau: Ich bin auf Mödlareuth kommen, da war die Mauer zu, ich hab nie gedacht, dass die mal auf geht. Mann: Bis '52 bin ich i Gerbersreuth in die Schul gegangen. Ich hatte noch 4 Wochen in die Schule zu gehen, durft aber nimmer nüber. Da bin ich 4 Wochen eher aus d´ Schul rauskommen. Sie hatten kein Zeugnis? Nee, hab ich bis jetzt net. Ich bin jetzt no in der Schul, haha. Frau: Ich bin im Mai '66 hierhergekommen, ich hab hergeheiratet, auf´n Bauernhof. Grenze, das war ja schon alles. Dann ham se angefangen, die Mauer zu bauen. Ich weiß, die erste Zeit hab ich noch Heu gemacht. Das war drüben am Bach. Da war noch der Zaun, da konnt man noch durchschauen, wie die Soldaten so Streife gelaufen sind. Dann war die Mauer, dann konnt ma nimmer durchschauen. An das kann ich mich erinnern, aber sonst weiß ich des nimmer, wie sie die Mauer gebaut ham. Warum auch immer, ich weiß es net. Da war man jung u verliebt und hat man net danach gefragt. Frau: Da is ma arbeiten gegangen jeden Tag, früh fort und Abend heimkommen, hat ma des net so mitgekriegt. Wir hatten auch, wenn man heim gekommen sind, mit dem Häuslichen zu tun und da hat man sich da net so drum gekümmert, auf deutsch. Frau: Da durften auch nur welche hierher ziehen, die bei der Polizei waren oder bei der Armee. Sonst durften keine anderen Leute herziehen. Wenn man sich dann verliebt hat in jemanden? Dann musst man wegziehen. Frau: Ham junge Leute keinen Zuzug gekriegt in DDR-Zeiten. Und deshalb haben dann die Burschen nach auswärts geheiratet oder umgedreht. Mann: Na in Mödlareuth - man kann´s auch spaßig sehn. Wo die Grenze war, gab´s eben in Mödlareuth-West einen Dorfteich und in Mödlareuth-Ost. Dann gab´s auch einen Maibaum in Mödlareuth-West und einen Maibaum in Mödlareuth-Ost. Und es ist hier bei uns traditionell am Vorabend vor 1. Mai wird der Maibaum aufgestellt. Und da hat Mödlareuth-Ost, das weiß ich, der Bürgermeister und auch Mödlareuther geguckt, wie groß is denn ihrer, dann müssen wir unsern noch n bissl größer machen. Das waren so die spaßigen Dinge zu dieser Mauer. Hat man sich denn Prost zugerufen? Das war verboten. Frau: Es war halt einfach so, das war halt die DDR. Ich hab gewusst, wie des is und da hat uns das net gestört. Wir ham einfach mit der Mauer, mit der Grenze gelebt. Auch die Kinder wussten, dass sie net übern Bach rüber dürfen und so, und dann haben die das so akzeptiert. Frau: Ich bin '46 geboren, ich hab ja nix anderes gekannt wie d Grenze. Ich hab nie gedacht, dass sich das einmal ändert. Ich bin mit dem Zaun aufgewachsen. Das war aber mal ein Gasthaus hier? Schon immer, das hat schon mein Großvater gehabt. Mann: Da waren ja Tanzveranstaltungen usw., ich weiß das noch von meinen Großeltern her. Frau: Ich hab das ja nur als Kind bissl mitgekriegt, das war ein Ereignis f mich. Vor der Mauer? Nach der Mauer war´s auch noch. Zur Kirmes war schon noch Tanz, aber dann ist das eingeschlafen wie die Grenze dichter, erst war sie ja nicht ganz dicht. Und mir hatten noch die Armee, die Soldaten waren hier. Mir sind auf Arbeit gegangen und am Abend dann waren die Soldaten hier. Wo haben die geschlafen? In der Kaserne. Mann: Gleich da hinten im Gebäude war, vielleicht 200 Meter von hier, war die Kaserne. Haben Sie Besuch bekommen? Frau: Jaja, mir hatten ja Passierscheine, mussten da beantragt werden, aber halt Cousinen und Cousins nicht, nur eben 1. Grades, Eltern, Großeltern und die Geschwister. Man war dran gewöhnt, es war nicht anders. Es war Gewohnheit. Das Gasthaus, das die Familie nach dem Fall der Mauer zu einer Pension umgebaut hat, liegt zwei Kilometer von Mödlareuth im Thüringischen, in einem Weiler mit dem fröhlichen Namen Juchhö. Es steht direkt am Waldrand, nach Westen geht der Blick über die Hügel bis zum Horizont. An Juchhö vorbei quälte sich jahrelang der Transitverkehr Berlin - München; die kilomerterlangen Rückstaus von der Grenzabfertigung reichten bis hierher. Aber niemand der Wartenden durfte das Auto verlassen, etwa um hier im Gasthaus einzukehren oder auch nur zur Toilette zu gehen. Ganz anders sah es derweil auf der anderen Seite der Grenze aus, in Töpen: Dort brummte das Geschäft mit den Transitreisenden. Dort versorgten sie sich vor der Einreise in die DDR noch mit Proviant, dort wurde noch mal vollgetankt. Sechs Tankstellen hatten ihr Auskommen; zwei Restaurants florierten. Bis 1967, als bei Rudolphstein die Autobahnbrücke über die Saale fertig war. Von einem Tag auf den anderen kehrte in Juchhö die Stille wieder ein. Und auch in Töpen war die Party vorbei. Die sechs Tankstellen mussten schließen, und eine schäbige Baracke verwittert heute wie in einer verlassenen Goldgäberstadt. Absurdes aus der Zeit der deutsch-deutschen Teilung. In dem Dorf Mödlareuth hat sie nicht nur Nachbarn, Freunde und Arbeitskollegen voneinander getrennt. Der Film über den Alltag an der Grenze zeigt auch ein Foto von zwei Brüdern, Kurt und Max Goller. Jeder, der Mödlareuth besucht, lernt die tragische Geschichte der Brüder kennen, die sich nicht mal zuwinken durften, erzählt von Heiko Ultsch. 11. O-Ton Ultsch 1'25 Kurt und Max Goller, aufgewachsen in Thüringen, in einem dieser beiden Gebäude. Der Jüngere der beiden Brüder, sie sind in etwa Jahrgang 1905, 1908 gewesen, zog nach Bayern, bezog hier ein Haus. Und jetzt stellen Sie sich vor, bis '52, einmal 200 Meter Luftlinie durch´s Dorf gelaufen, fünf Minuten, dann war man da. Ab '52 Schicht im Schacht. Da Mödlareuth im Grenzgebiet lag, war es für den westdeutschen Bruder unmöglich, sein Elternhaus zu besuchen, denn Westdeutschen war der Aufenthalt im Grenzgebiet verboten. Die konnten sich nur im Hinterland treffen, außerhalb der Sperrzone. Und er hier durfte natürlich die DDR nicht verlassen, solang er gearbeitet hat. Als er dann das Rentenalter erreicht hatte, durfte er das erste Mal seinen Bruder in West-Mödlareuth besuchen. Und man musste mit dem Zug fahren, von Mödlareuth nach Mödlareuth. Sehen Sie hier den Reiseweg, alles was rot ist, das ist das, was man mit PKW oder Bus zurücklegen musste, von Mödlareuth erst mal nach Plauen, dann mit dem Zug nach Hof und von Hof isser dann nach Mödlareuth-West. Ne Luftlinie von 200 Metern wird eben mal zu 80-100 Kilometer Wegstrecke und je nach dem dauert´s vier bis sechs Stunden einfache Fahrt. Kurt und Max Goller lebten lange genug, um einander wieder ohne Umweg innerhalb weniger Minuten zu Fuß zu besuchen. Der Film über den Alltag an der Grenze zeigt die beiden auf einem Foto, wie sie nebeneinander auf einem Rest der Mauer sitzen, lächelnd, hager der eine, etwas beleibt der andere, Max, aus Mödlareuth-West. Im Film ist auch der feierliche Tag der Mödlareuther Wende festgehalten, der 9. Dezember 1989, als die Mauer offiziell für Fußgänger und Radfahrer geöffnet wird: 12. O-Ton Filmausschnitt 0'15 Liebe Mödlareuther! Es ist eine ganz große Freude, dass dieser Tag heute Wirklichkeit geworden ist. Wer hätte das vor 6, 8 Wochen noch gedacht, dass wir hier heute so stehen. (MUSIK) ... drüber: Zwei Musikkapellen ziehen durch die Maueröffnung. Etwas abseits stehen Grenzer von Ost und West und sprechen miteinander, als sei das die normalste Sache der Welt. Schneeflocken legen sich auf Mützen und Mäntel der Uniformen. Das Schneetreiben an diesem kalten Dezembertag kann die Freude nicht dämpfen. Lachend und weinend liegen sich die Mödlareuther in den Armen: 13. O-Ton 0'17 "Prost!" Aaner geht noch. Aaner geht noch rein. (Gelächter) Wo ist der Kompaniechef? Weil er uns geholfen hat, dass die Mauer aufgemacht worden ist. (Lachen) Von einem Offizier der DDR-Grenztruppen ist überliefert, dass er sagte, an seinen Wachturm gelehnt: "Hier zerbricht mein Lebenswerk." Für die Mödlareuther begann ein neues Leben: 14. O-Ton Bewohner 3'45 Frau: Jaja, ich hab gesacht, ich geh in jedes Haus mal. War auch so dann. 38 Jahre nicht gesehen - also es war schon wirklich ein Erlebnis. Frau: Das war zu schön, gell, Gerda, wie sie damals, 7. Dezember, wie sie do das Loch in die Mauer gemacht ham. Da is alles gelaufen komme, von Osten und von Westen sind die Menschen gekommen und ham sich umarmt und Sekt getrunken, war einfach schön. Mann: Ich war leider nicht dabei, ich lag im Krankenhaus. Bin 8 Tage später das erste Mal in meinem Leben mit meinem Trabant und mit meiner Tochter über die Brücke nach Oberfranken gefahren. Das Erlebnis vergisst man ooch nich. Sie müssen sich vorstellen, 40 Jahre gucken Sie nach rechts und sehen immer auf die Grenze. Und dann nehmen Sie Ihren Trabbi und Ihre Tochter und fahren über die Brücke. Vergess ich nie, wie meine Tochter sagte, Mensch, Vati, mir fahren in´n Westen. Das vergisst ma net. Und wie wir dann in Hof waren und in den einen Laden reinguckten und ich auf einmal gesehen hab, dass dort die Sarotti-Schokoladentafeln auf´n Meter aufgestapelt waren, das - das kann man net beschreien. Ich hab in Hof, das erste Mal, wie ich dort war, wo ich auch das Begrüßungsgeld hatte, ich hab da nix gekooft, ich wusst gar net, was. Ich hab nur geguckt und da sind mer wieder heim gefahren. Frau: Es war super gewesen. Wie das los ging, mir ham hier jeden Tag gewartet, dass die Mauer aufgemacht wird. Und den einen Tag auch. Wenn ich vom Stall rauf bin und hab Frühstück gemacht, hab ich immer zum Fenster raus geschaut, ob sich was tut an derMauer. Und den einen Tag auch, das war Donnerstag, 7. Dezember. Ich schau vom Fenster raus, ach, hab ich geschrien zu mei´m Moo: Erhart, die machen die Mauer auf. Und dann war ich gleich unterwegs, im ganzen Dorf. Jedem Bescheid gesagt u telefoniert, war toll. Und dann sind von drüben die Leut überall hergeströmt, wildfremde Menschen, ham mer uns umarmt. War a tolle Zeit, auch anstrengend. Wieso? Naja, man hat immer Besuch gehabt, das war ganz anders wie zu DDR-Zeiten. Frau: Ich bin nicht nach Mödlareuth, auch hier runter bin ich nicht. Ich war mit den Nerven am Ende. Also alle schauten auf die Mauer und wollten schauen. Und Sie haben gesagt: nein, ich bleib hier? Nee, ich musste ja auch hier bleiben, musste ja die Gastwirtschaft weitermachen. Die sind ja geströmt, ich sag ja, nervlich war das irgendwie ne große Belastung. War das denn nicht die reine Freude? Nee, ich wollt meine Ruhe. Wollt mich irgendwo in a Loch verkriechen und meine Ruhe haben. 15. O-Ton Museum 0'14 (Telefonläuten) Museum Mödlareuth, Thieroff am Apparat. - Ja, da hätten wir noch was frei. -Mit wie vielen Personen kommen Sie denn? -Mit 90 Personen. -Und möchten Sie ne Führung? ... Seit 20 Jahren ist die Grenze offen, aber die Mauer bestimmt immer noch den Alltag der Menschen in Mödlareuth. Denn ein Rest der Mauer steht noch - obwohl in Berlin wie in Mödlareuth Abbruchunternehmen schnell zur Stelle waren. Hier ist die Mauer mitsamt dem Arsenal der Grenzsicherung als Gedenkstätte zu besichtigen. 16. O-Ton Museum wieder hoch bei: 0'08 - Halb in Deutsch und halb in Englisch. Dann teilen wir d Gruppen, dann gibt's einmal ne englische Gruppe u einmal ne deutsche. Ja ... Fast in der Mitte von Mödlareuth steht seit 1994 das Deutsch-Deutsche Museum und zieht Besucher aus aller Welt an. In einer so kleinen Gemeinschaft ein so großes Museum zu installieren - das ging nicht ohne die Bewohner. War das leicht, Robert Lebegern? Er ist der wissenschaftliche Leiter des Museums. 17. O-Ton Lebegern 0'50 Leicht u schwer zugleich. Es gab hier in Mödlareuth ne Dorfversammlung, pro und contra Gedenkstätte, Mahnmahl, Museum wie auch immer. Das hat man damals ja noch nicht gewusst, in welche Richtung sich das bewegen würde. In Übereinstimmung mit der damaligen Dorfbevölkerung wurde dann ein Stück Mauer, das heute noch im Original steht, mit zwei roten Strichen links und rechts gekennzeichnet, das wurde von der Räumung ausgenommen. Das Ganze natürlich in einem gewissen damals rechtsfreien Raum sozusagen. Der damalige Landrat hat mit dem Museumsverein ein Schriftstück aufgesetzt, der Landrat und andere Behörden einfach viele Stempel darauf gesetzt. Das hat den Abbaukommandos doch etwas imponiert und sie haben Abstand davon genommen, dieses Stück Mauer zu räumen. Da zog das Dorf an einem Strang. Und das tun auch die Bürgermeister. Ulrich Schmidt, parteilos, und Klaus Grünzner, CSU. 18. O-Ton Grünzner, Schmidt 1'26 Schmidt: Wenn ma zusammensitzen und wir machen ne gemeinsame Beratung, hören Se das schon raus. Die sagen z. B. Grüß Gott und wir sagen Guten Tag. Die wissen sofort, dass ich von Thüringen komm, aus einer Gemeinde. Und ich weiß sofort, der kommt aus Unterfranken. Das ist schon lustig hier in unserer Ecke. Grünzner: Ich seh´s einfach so, dass mir eine sehr gute Zusammenarbeit ham. Mir ham Verbindungen mit dem thüringischen Teil von Mödlareuth, das ja zur Stadt Gefell gehört. Das geht los im Feuerwehrbereich mit gegenseitigen kommunalen Verträgen wegen d Unterstützung im Brandfall. Hier fragt also niemand, is das ein Brandfall auf der thüringischen oder auf der bayerischen Seite, sondern es geht nur darum, Hilfe zu leisten. Keine Konkurrenz? Nein. Schmidt: Mödlareuth-West liegt weitab von München. Un Mödlareuth-Ost liegt weitab von Erfurt oder von der Landesregierung. Wir werden immer so bissl vergessen. Und dann müssen wir eben aufpassen und uns wehren und sagen, mir sin auch noch da. Also die Grenze hört nicht hinter München auf und hört nicht hinter Erfurt auf. Und da sind wir beide in einem Boot. Und das wissen wir auch und da versuchen wir uns auch bemerkbar zu machen. In gewisser Hinsicht hat sich in Mödlareuth in den letzten Jahrzehnten nicht viel verändert: Die Zahl der Einwohner ist fast gleich geblieben, es stehen immer noch 20 Häuser, einige mit weiß und schwarz leuchtendem, renoviertem Fachwerk. Kein Haus steht leer. Gebaut wird allerdings auch nicht, obwohl Baugrund hier nur 40 Euro pro Quadratmeter kostet. Zwei junge Paare mit Kindern sind aus der Umgebung hierher gezogen, beide sind Ost-West-Paare. Zwölf Kinder zwischen 2 und 17 Jahren gibt es im Dorf. Zwar sind nach der Wiedervereinigung viele Arbeitsplätze im Osten weggefallen, dafür fahren die meisten Mödlareuther jetzt zur Arbeit nach Hof und Umgebung. Denree, der größte Biohändler Deutschlands, hat in Töpen 600 Arbeitsplätze geschaffen, Lidl hat hier ein Auslieferungslager und es gibt eine Strickwarenfabrik mit 150 Arbeitsplätzen. Allein im Museum wechseln sich sieben Mödlareutherinnen an der Kasse ab und freuen sich über den 400-Euro-Job. Geschäfte gibt es nicht, aber Bäcker und Metzger fahren das Dorf einmal die Woche an. Zum Einkaufen fährt ins thüringische Gefell, wer in Mödlareuth-Ost wohnt. Die Westler fahren eher nach Töpen und nach Hof. Wenn nur eine Hälfte des Dorfes Feiertag hat, wie z. B. Mödlareuth-West am 6. Januar, fahren alle zum Einkaufen nach drüben, dann sind dort die Geschäfte voll. Aber das liegt nur an den uralten Verwaltungsgrenzen. Probleme beim Zusammenwachsen gab es nicht, heißt es. Und natürlich wird seit 1990 nur noch ein Maibaum und nur ein Weihnachtsbaum im Dorf aufgestellt. Der große Metallständer zwischen den beiden Dorfteichen steht genau auf der Linie, wo sich früher die Mauer durchs Dorf zog. Mödlareuth ist wieder ein fast normales Dorf geworden. Das zeigt sich an einem Abend vor Ostern. Die Frauen haben sich verabredet, wie es Tradition ist, zum Eierbinden. In einer Scheune liegen Tannenzweige bereit um ein großes Osterei und einen Osterkranz zu umwickeln. Eine Frau hat bunte Bänder und Drahtrollen mitgebracht, Eine bunte Ostereier zum Stecken, die anderen Sekt, Rotwein und Eierlikör und was zum Knabbern. Sieben Frauen verbringen den Abend miteinander in einer kalten Scheune miteinander, männliche Unterstützung eingeschlossen, und tun etwas für die Dorfverschönerung ... 19. O-Ton Eierbinden 2'54 (ATMO, Lachen) Des wird dann zum Wochenende raus gestellt, in die Dorfmitte. Das Ei kommt nach Thüringen und der Osterkranz kommt nach Bayern. D Dorfmitte is in Thüringen. Da gibt´s auch keinen Streit? Nein, das wär was, wenn mir uns deswegen streiten würden. (Lachen) Dann kämen wir und ich hol´s Euch den nächsten Tag wieder. Wir sind ein Dorf, wir sagen nicht, wir sind von Osten, wir von Westen, sondern wir sind ein Dorf. Wir sind von hieben u drieben u gehören zusammen. Wir sind von hüben und wir gehen rüber und die von drüben genga auch rüber zu uns. (Lachen) Was gibt´s denn noch an Bräuchen, die man zusammen macht? Maibaum aufstellen. Bind ma auch so an Maikranz und die Männer stellen den Baum auf. Ach Bibelstunden mach ma auch noch miteinander. In den Wintermonaten kommt mal der Pfarrer aus Töpen und der mal aus Gefell, dann ham mer einen Abend Bibelstunde, is eine Stunde christliche Andacht und dann wird miteinander gesprochen u getrunken. Ach und Schlappentag ham mer auch miteinander, das ist der Nationalfeiertag aus Hof, und da wird ein extra Bier gebraut, ein Starkbier, des is immer den ersten Montag nach Pfingsten. Wir sind zwar kommunal getrennt, aber nicht menschlich. Mann: Was zu trinken gibt's jetzt, Eierlikör gibt's jetzt. Was zu trinken gegen die Kälte. Wenn Sie wollen, kann ich ooch ma Sächsisch machen. Jetzt wird das Mittelkreuz vom Osterei grad fertig gebunden, dann is Feierabend für heute. (ATMO) In der Scheune war dann noch lang nicht Feierabend, denn die Frauen hatten viel zu erzählen. Vielleicht haben sie an dem Abend ja noch darüber gesprochen, dass schon wieder jemand von den Medien im Dorf war. Denn das sagen die Mödlareuther über die lästige Kehrseite der neuen Freiheit: Ständig kämen Journalisten ins Dorf und stellten Fragen auf der Suche nach einer Schlagzeile. Fernsehteams fielen ein, stellten Fragen, drehten stundenlang und am Ende kämen nur zwei Minuten raus. Kurz: Die Mödlareuther haben die Presse satt. 20. O-Ton Mergner Frau: Na, weil se halt nach der Wende enttäuscht worden sind. Da kam z. B. mal das japanische Fernsehen, ist in die Wohnung gestürmt und die Kühlschrank aufgemacht, ach, Ihr habt ja gar net hungern müssen, haben die gleich gesagt. Also das waren schon nach der Wende extreme Zwischenfälle und dann is alles so negativ dargestellt worden in den Medien, in den Zeitungen und so. Und dann sagen se eben einfach, wir wollen nichts mehr damit zu tun ham. Das war bald so wie ein Überfall. Von vielen? Ja. Die erste Zeit waren immerzu - bei uns hier net so, aber drüben. In Bayern war das net so, aber in Thüringen, drüben. Und dann wollten se schauen, wie se wohnen und so, und dann war das für die Leut lästig. Die sind halt vorsichtig geworden, was zu erzählen. Und das müssen ma akzeptieren. Zu oft sei ihnen das Wort im Mund herumgedreht worden, sagten zwei Frauen an dem fröhlichen Frauen-Abend missmutig - als das Tonband ausgeschaltet war. Man werde falsch zitiert und hätte dann nichts als Ärger. Nein, gar nichts sagten sie. Nicht über das eine oder andere Problem beim Zusammenwachsen, nicht über die DDR-Vergangenheit, nicht über - wer weiß - vielleicht IMs im Dorf. Die Türen bleiben zu für Journalisten in Mödlareuth-Ost. Schade. Andererseits: Vielleicht würde ich's genauso halten. 1