COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Länderreport 20.7.2012 Duisburg zwei Jahre nach der Loveparade-Tragödie Autorin: Barbara Schmidt-Mattern Redaktion: Julius Stucke/Heidrun Wimmersberg _________________________________________________________________________ Atmo Opernplatz / Dixielandkapelle Wir sind auf dem Opernplatz, blicken auf's Stadttheater, das die natürliche Kulisse bildet für unsere Gedenkveranstaltung... Jürgen Hagemann zieht an seiner Zigarette, schlägt den Kragen seiner Regenjacke hoch und blickt über den weitläufigen Platz. Eine Dixieland-Kapelle spielt tapfer gegen die triste Atmosphäre an. Es ist ein Platz mitten in der Stadt, da gehört unseres Erachtens diese Gedenkfeier hin. Wir wollen diesen Tag mit den Duisburgern verbringen, das ist uns ganz wichtig. Der 49-jährige Familienvater, dessen Tochter am 24. Juli 2010 auf der Loveparade schwer verletzt wurde, blinzelt, als die Sonne plötzlich über dem Opernplatz hervorschaut. Rundherum ragen klotzige Gebäude in den Himmel: Das Kasino, das Landgericht, und an der Querseite ein weißgetünchter klassizistischer Bau: Das Stadttheater. Hier werden am kommenden Dienstag, dem zweiten Jahrestag der Loveparade-Katastrophe, Stuhlreihen für die Opfer und Hinterblieben stehen. Jürgen Hagemann wird dort mit seiner Tochter Platz nehmen. Die Gedenkfeier soll abends um 20 Uhr beginnen: Es ist ein kulturelles Programm mit sehr wenigen Wortbeiträgen. Es werden unter anderem die Philharmoniker, viele Bands werden spielen. Es kommt Klassik vor, es kommt Popmusik vor. Es wird Bestandteile geben aus den Lieblingsliedern der verstorbenen Kinder, es wird auch Rezitationen und Gedichte geben undsoweiter... Beim ersten Jahrestag fehlte ihnen noch die Kraft, doch dieses Mal haben die Betroffenen das Programm für die Gedenkfeier selbst gestaltet. Das war ihnen wichtig. Es wird ein hoffentlich würdiges Programm, das sich inhaltlich in drei Blöcke unterteilt: Eine Rückschau, eine Bestandsaufnahme - künstlerisch umgesetzt: Was ist im Moment, wie geht's uns? Und natürlich ein Ausblick nach vorne, den man auch nicht vergessen darf. Eine ganze Stadt will endlich einen angemessenen Umgang mit der Katastrophe finden. Aber auch endlich an die Zukunft denken und die Loveparade, dieses belastende Ereignis, hinter sich lassen. Einiges haben sie schon auf den Weg gebracht: Die Abwahl des Oberbürgermeisters Adolf Sauerland, die Planungen für eine Gedenkstätte, eine neue Kultur des Dialogs zwischen Rathaus und Betroffenen. Musik: Duisburg - ich bin stolz auf Dich./ Nein, Du verbiegst Dich nicht/ Wir stehen zusammen durch, was durchzustehen ist/ Du bist ne ehrliche Haut - mit Falten im Gesicht./ Duisburg - ich bin stolz auf Dich - danach instrumental langsam rausblenden Jetzt ist Duisburg an einem Punkt angelangt, an dem viele in der Stadt schwanken: Zwischen kollektiver Verdrängung und Desinteresse einerseits und dem Wunsch nach Aufarbeitung andererseits: Wer trägt die politische und die juristische Verantwortung für die 21 Toten und über 500 Verletzten? Wie steht es um die Entschädigungszahlungen, und was wird mit der Seelsorge und all den Gesprächskreisen für die Betroffenen? Zwei Jahre danach gibt es immer noch mehr Fragen als Antworten. Rückgängig machen kann man nichts, man kann nur hoffen, dass es nie wieder woanders passiert und auch nicht in Duisburg. Ist halt so. Martina Dürrbaum sitzt mit Ehemann und Freunden im Eiscafé in der Fußgängerzone. So wie ihr geht es vielen Duisburgern, die nur mittelbar betroffen sind. Jeder kennt jemanden, der auf der Loveparade war oder mit dem Unglück irgendwie in Berührung kam. Schade, was da alles für'n Schwanz hinten dran kommt. Angehörige, Freunde, die da leiden drunter. Schon heftig. Selbst wenn ich durch den Tunnel fahre, ich arbeite unmittelbar bei der Berufsgenossenschaft, die um die Ecke ist, und wenn ich da durchfahre, habe ich immer noch ein komisches Gefühl. Atmo Tunnel Karl-Lehr-Straße hoch und dann langsam wegblenden Längst wieder donnert ein LKW nach dem nächsten durch den Tunnel in der Karl-Lehr-Straße. Der alte Güterbahnhof, damals das Partygelände der Loveparade-Besucher liegt schräg darüber. Hier im Tunnel nahm das Unglück vor zwei Jahren seinen Lauf. Atmo Massenpanik langsam hoch 24. Juli 2010: Hunderttausende Technofans strömen aus ganz Deutschland nach Duisburg. Einige Besucher sind gar aus Italien oder sogar Australien angereist. Der Tunnel und eine schmale Betonrampe sind der einzige Ein- und Ausgang zum eingezäunten Festival-Gelände. Weil am frühen Nachmittag immer mehr Besucher nachrücken, während andere wieder raus wollen, kommt es zum Stau. Menschen werden in der Masse eingequetscht und zu Boden gerissen. Atmo hoch: junge Männerstimme "Wir schaffen das, wir kommen hier raus"! Ich war mit meiner Frau im Urlaub, zum ersten Mal ohne Tochter, in Südfrankreich. Jürgen Hagemann fällt es immer noch schwer, über jenen Tag zu sprechen. Und (wir) haben abends eine SMS unserer Tochter bekommen, die sehr dramatisch klang. Während des Interviews in einem Café direkt am Duisburger Opernplatz macht der Familienvater immer wieder lange Pausen, atmet tief aus und spielt mit einer Zigarette, ohne sie anzuzünden. Sie hat in der SMS mitgeteilt, dass sie schwer verletzt ist, aber wir sollten uns keine Sorgen machen! Danach haben wir natürlich verzweifelt versucht, durchzudringen, Informationen zu erhalten. Die Telefonnetze waren ja überlastet. Wir sind dann erst in der Nacht durchgedrungen zu ihr und (haben) sofort natürlich alles abgebrochen und (uns) auf den Nachhauseweg gemacht. Sie werden aus einer lockeren Urlaubsstimmung in ein tiefes Tal gestoßen und müssen dann erst mal 16, 18 Stunden Autofahrt hinter sich bringen. Das war nicht schön. Seine Tochter fährt bis heute nicht gern Bus oder Fahrstuhl. Die 18-Jährige kann enge Räume nicht ertragen. Atmo Massenpanik hoch Hagemann: Sie war relativ unmittelbar unter dieser Treppe, lag auch in diesem Menschenknäuel, ist zum Glück rausgezogen worden. Sanitäter und Polizisten tun, was sie können. Doch es fehlt an allem: An Sicherheitskräften, funktionierenden Funkgeräten, Lautsprecherwagen, Notärzten und Ansprechpartnern. Die Situation eskaliert. Detlev von Schmeling sieht das anders. Einen Tag nach der Katastrophe kommt der damalige stellvertretende Polizeipräsident von Duisburg zu einer befremdlichen Einschätzung: Eine Massenpanik ist ein wertender Ausdruck über den Umfang des Geschehens. Mein persönlicher Eindruck bestätigt eine Massenpanik nicht. Ein solcher Satz klingt wie Hohn für die Hinterbliebenen und für all die Verletzten, die bis heute unter den Folgen der Loveparade leiden. Alpträume, Traumata, Einsamkeit. Nicht wenige Opfer haben ihren Job verloren, die Lehre oder die Schule abgebrochen. Sie taten sich zusammen in einem Verein, der zunächst "Massenpanik Selbsthilfe" hieß. Vor einem halben Jahr haben sie sich dann umbenannt in "Loveparade Selbsthilfe". Der alte Name habe abschreckend auf die Angehörigen gewirkt, erzählt Jürgen Hagemann, der einer der Vorsitzenden des Vereins ist. Für die rund 120 Mitglieder geht es jetzt darum, nach vorn zu blicken. Sie haben eine Beratungsstelle für die Opfer eingerichtet. Sie beteiligen sich an den Planungen für die noch immer nicht fertig gestellte Gedenkstätte, und sie kämpfen um finanzielle Entschädigung durch die Stadt und den Veranstalter der Loveparade. Doch gerade bei diesem Punkt ist Jürgen Hagemann unzufrieden: Ich habe nicht das Gefühl, dass es läuft. Es werden hier und da vereinzelte Zahlungen angeboten, immer verbunden mit einer Verzichtserklärung für alle weiteren Schäden. Sie können niemanden dazu raten, so etwas zu unterschreiben und das Geld zu nehmen. Sie wissen nicht, wie sich ein Trauma auswirkt, da können Sie heute keine Verzichtserklärung unterschreiben, mal davon abgesehen, dass die Höhe der Zahlungen, die angeboten werden, auch niemanden dazu verführen könnten, darauf einzusteigen. Auch Detlev Keye ist sauer. Ein kräftiger Typ mit festem Händedruck. Auf der Loveparade geriet der heute 46-Jährige in die Menschenmassen. Er überlebte nur um ein Haar. (Atmet schwer aus) Also im Prinzip war's ein Kampf. Als ich kapiert hab, hier kämpfst Du um Dein Leben, dann fing man auch nur noch an zu kämpfen. Man muss sich das so vorstellen, dass man in dem Moment keine richtige Wahrnehmung hat. Man schaltet irgendwie um und man versucht zu überleben. Seinen Job als Fleischermeister musste der schwer traumatisierte Mann aufgeben. Heute würde er nichts lieber tun als wieder zu arbeiten, aber noch braucht er Zeit. Keye ist wie Jürgen Hagemann Mitglied im Verein "Loveparade Selbsthilfe". Als Treffpunkt für das Interview hat er die Kreuzung vor dem Duisburger Rathaus vorgeschlagen, dort liegt auch die neue Beratungsstelle des Vereins: Ja, wir setzen uns ein für Traumatisierte, entweder in therapeutischen, in juristischen Fragen, oder auch gegenseitige Stützung, Erfahrungsaustausch, Hilfestellung... Ein Krankenwagen fährt zufällig vorbei. Je näher er kommt, desto mehr gerät Keye ins Stocken, wird unruhig, seine Augen wandern hin und her. Nein, hier er, der nervt mich. Blaulicht und Martinshörner kann Detlev Keye bis heute nur schwer aushalten. Der gebürtige Duisburger schlägt vor, das Gespräch im Straßencafé um die Ecke fortzusetzen. Sein Glas Cola umklammernd, sitzt er kurz darauf unter einer breiten Markise, auf die der Regen prasselt. Detlev Keye ist auf all jene, die nach seiner Meinung die Verantwortung für die Loveparade tragen, nicht gut zu sprechen. Als besonders verlogen empfindet er den Veranstalter Rainer Schaller, Geschäftsführer der Firma "Lopavent" und Inhaber der Fitnesskette "McFit". Letztes Jahr erhielt Detlev Keye eine Einladung von Rainer Schaller. Ein Treffen mit den Opfern, um sich einfach mal auszutauschen. Als wir diese Treffen hatten, da hatt's geheißen, wenn wir Hilfe bräuchten, dann wär er für uns da. Und meiner Erfahrung nach war das absolut nicht so, und deshalb habe ich auch ganz klar gesagt: Für mich war's ne Alibiveranstaltung. Jürgen Hagemann sollte an dem Treffen eigentlich auch teilnehmen. Einen Tag vorher wurde er ausgeladen: Ich vermute, na ja einer derjenigen, der doch tiefer in der Materie steckt und auch in den Unterlagen, der hier und da auch durchaus sachlich-kritische Töne anschlägt, dass dies eine der Motivationen war, mich auszuladen. Das kann ich aber nur vermuten. Dass Rainer Schaller medienwirksam, unter anderem im Privatfernsehen, beteuert hat, er übernehme die moralische Verantwortung, ist für Jürgen Hagemann nur eine Worthülse. Rainer Schaller ist sicherlich einer der Hauptakteure bei der Loveparade. Einige seiner Mitarbeiter gehören zum Kreis der Beschuldigten. Von daher sehe ich die Lopavent mit Rainer Schaller als Kopf dieser Firma natürlich kritisch. 3386 Zeugen hat die Duisburger Staatsanwaltschaft in den vergangenen zwei Jahren angehört. Die Loveparade-Katastrophe füllt aktuell 60 Aktenordner mit 29571 Blatt Papier. Doch noch immer ist kein Ende der Ermittlungen absehbar, geschweige denn ein möglicher Prozesstermin. Klar scheint bislang lediglich, dass die Verantwortlichen am Unglückstag fahrlässig gehandelt haben und dass die Loveparade in dieser Form niemals hätte genehmigt werden dürfen. Die Zahl der Beschuldigten stagniert bei 17. Es handelt sich um fünf Angestellte der Firma Lopavent, elf Mitarbeiter der Duisburger Stadtverwaltung und einen leitenden Polizeibeamten. Der Einsatzleitung sollen während der Techno-Party schwere Fehler unterlaufen sein, aber ihr oberster Dienstherr, Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger, SPD, wiegelte zunächst ab. Vergangenes Jahr musste der Minister dann vor dem Landtag doch konkrete Versäumnisse seiner Beamten einräumen. Dass Jäger zufällig auch Chef der Duisburger SPD ist, die nach der Abwahl des geschmähten Adolf Sauerland jetzt das Rathaus zurückerobert hat, das findet Jürgen Hagemann mindestens pikant. Sicher hätte man sich auch eine weniger verzwickte Konstellation vorstellen können. Das neue Stadtoberhaupt heißt Sören Link. 36 Jahre alt. Hochgewachsen, Brillenträger, ein jungenhaftes Äußeres. Trotz seiner Erfahrung als bisheriger Landtags-Abgeordneter wurde der Sozialdemokrat von seinen politischen Gegnern bisher nicht besonders ernst genommen. Als er im Frühjahr in den Wahlkampf zog, verspottete die CDU ihn als den "jungen Herrn Link". Der Neue ist erst seit wenigen Tagen im Amt und fällt in seinen ersten Stellungnahmen weniger durch eigenes Profil auf, sondern durch all das, was er nicht sein will. Sören Link gibt den Anti- Sauerland. Er formuliert es nur umständlicher: Also zunächst mal ist wichtig, dass man akzeptiert, dass die Stadt Duisburg ne besondere Verantwortung trägt, hat, immer tragen wird, und dass ich mich als neuer Oberbürgermeister dieser Verantwortung auch stelle. Und ich habe unmittelbar nach der Wahl das Gespräch mit den Hinterbliebenen, Angehörigen, Opfern der Loveparade-Katastrophe gesucht. Und mir war wichtig auch deutlich zu machen: Hier weht jetzt ein neuer Wind, wenn man so möchte, und das ist mir einfach ein wichtiges Anliegen. Atmo Jubel langsam hoch Sören Link hat das Pech, dass viele Duisburger den eigentlichen Befreiungsschlag nicht in ihm und seiner Wahl sehen, sondern im Rauswurf von Adolf Sauerland. Zwei quälend lange Jahre lang hatte er den Zorn einer ganzen Stadt auf sich gezogen, weil er sich weigerte, die persönliche Verantwortung für die Loveparade-Katastrophe zu übernehmen und einen Rücktritt ablehnte. Er wolle sich nicht einfach vom Acker machen, so hatte sich Sauerland stets verteidigt. Mit deutlicher Mehrheit votierten die Duisburger Mitte Februar schließlich gegen den rundlichen CDU-Politiker. Die Bürgerinitiative, die das Abwahlverfahren mit monatelang gesammelten Unterschriften erzwungen hatte, jubelte am Wahlabend vor dem Rathaus und zündete Feuerwerksraketen: Ich bedanke mich bei Euch, dafür, dass Ihr uns die Stimme gegeben habt. Recht vielen Dank, wir haben es geschafft!! Jubel/Klatschen - rausblenden Schwer atmend schlich Adolf Sauerland kurz darauf vor die Mikrofone. Bis zuletzt hatte er gehofft, im Amt bleiben zu können. Selbst bei seinem letzten öffentlichen Auftritt in diesem Jahr wurde er ausgebuht: Meine sehr geehrten Damen und Herren. Ich denke, mittlerweile haben wir alle zur Kenntnis genommen, dass das notwendige Quorum bei der Abstimmung zur Abwahl des Oberbürgermeisters erreicht wurde. (störender Protest) Ich bitte Sie ein bisschen mehr Charakter jetzt doch an den Tag zu legen...Gott schütze Duisburg. Herzlichen Dank - Applaus und weg Seit Sauerland weg ist, liegt eine Art Grabesruhe über der Stadt. Anfangs war da noch die Hoffnung auf einen überparteilichen Nachfolger, doch die unabhängigen Wahlbündnisse zerlegten sich mit internen Streitereien selbst. Weil keine Einigung gelang, traten im Juni gleich 13 Kandidaten zur Oberbürgermeisterwahl an, doch da interessierte sich schon kaum noch ein Duisburger für die Abstimmung. Ja, und zwar hatte ich erwartet wie eigentlich alle Duisburger: So, jetzt kommt der versprochene überparteiliche, ich sag mal, "Joachim Gauck Duisburgs": Der altersweise Oberbürgermeister, der es schon richten wird. Und jetzt haben wir genau die Parteisoldaten wie vorher auch. Das ist halt so die Stimmung in der Stadt. Sagt der parteilose Frank Koglin, der sich aus lauter Trotz selbst um den OB-Posten beworben hat. Das war Mitte Juni, als sich der Sieg von Sören Link längst abzeichnete, weil kein ernsthafter Konkurrent in Sicht war. Die CDU liegt seit der Abwahl von Adolf Sauerland politisch am Boden. Doch von der SPD sind viele auch nicht gerade begeistert, und so musste ihr Kandidat Sören Link sogar in eine Stichwahl ziehen. Die Wahlbeteiligung lag bei erschreckenden 25 Prozent. Noch nie ist ein Rathaus-Chef in einer vergleichbar großen Stadt in Nordrhein- Westfalen mit geringerer Zustimmung ins Amt gewählt worden. Die Abstimmung ist Ausdruck einer weit verbreiteten Resignation. Und nicht wenige argwöhnen, dass es der SPD nur darum gegangen sei, ihre einstige Hochburg Duisburg zurückzuerobern. Tatsächlich haben die Sozialdemokraten den Abwahlkampf gegen Adolf Sauerland finanziell und logistisch kräftig unterstützt. Sören Link kennt diese Vorbehalte gegen ihn und seine Partei: Zunächst einmal ist der Eindruck durchaus richtig, dass es in dieser Stadt Gräben gibt zwischen Bevölkerung, Politikverwaltung auf der einen und auf der anderen Seite. Das ist schon eine große Belastung, und das hat der Stadt auch in den letzten Jahren nicht gut getan, weil nicht das Lösen politischer Probleme im Vordergrund stand, sondern das gegenseitige Umhängen von Mühlsteinen. Das hat die Stadt auch nicht weitergebracht. Man kann feststellen, dass sich das politische Klima zu ändern scheint... So sieht es Jürgen Hagemann, auch wenn er seine Worte in aller Vorsicht formuliert. Ich glaube, für die Zukunft ist es wichtig, dass wir jemanden haben, der sich zur Verantwortung für diese Tragödie bekennt und sich nicht versteckt. Sicher ist da ein Stachel im Fleisch, eine Wunde, aber mit dieser Wunde muss man umgehen, das wünsche ich mir für die Zukunft. Dass jetzt endlich eine Einigung über die geplante Gedenkstätte gelungen ist, stimmt den Familienvater zuversichtlich. Das Verhältnis zwischen den Hinterbliebenen und der Stadtverwaltung hat sich dadurch deutlich entspannt. Anfang des Monats hat der Stadtrat den Bebauungsplan für ein großes Möbelhaus auf dem Unglücksgelände beschlossen. Nach einem langen Tauziehen um jeden Quadratmeter stellt der Investor nun eine wesentlich größere Fläche für Gedenkstätte bereit als ursprünglich vorgesehen. Diese Lösung hat Oberbürgermeister Link mit ausgehandelt: Wie es im Detail aussieht, das soll jetzt mit den Hinterbliebenen gemeinsam auch diskutiert werden. Denn die sollen da ja würdig trauern können, und das ganze soll bis zum Jahr 2013 auch über die Bühne gehen. Mit einer Mahnwache am Unglücksort beginnen heute Nachmittag die Gedenkveranstaltungen zum zweiten Jahrestag der Loveparade. Am kommenden Dienstag wird der Tunnel an der Karl- Lehr-Straße ab 14 Uhr gesperrt sein, damit die Opfer und Hinterbliebenen dort in Ruhe trauern können. Jürgen Hagemann und seine Familie werden dankbar sein, wenn sie den 24. Juli hinter sich gebracht haben. Für die Angehörigen und Hinterbliebenen, muss ich ehrlich sagen, ist es nicht leichter geworden. Es ist der Todestag ihrer Kinder, der naht. Ich habe nicht den Eindruck, dass dieses weitere Jahr, das vergangen ist, in irgendeiner Form zur Linderung des Schmerzes beigetragen hat. Man sagt, Trauer kennt kein Verfallsdatum, und ich glaube, das ist genau die treffende Umschreibung dafür. 1