DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 30.06.2015 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 - 20.00 Uhr Die Welt verbessern? Über langfristige Folgen von Entwicklungsprojekten Von Ulli Schauen Co-Produktion DLF/HR/SWR URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Atmo Bücher-Schuber wird ausgepackt, Bücher auf Tisch knallen, Blättern Sprecher 1: Ein dickes Buch im Großformat. 1.100 Seiten, zwei Bände. Titel: Die weltweiten Projekte der Expo 2000 in Hannover. Erzähler 15 Jahre lang lag das dicke Buch im Regal. Es enthält Beschreibungen von 487 Entwicklungsprojekten. Wobei mit "Projekt" oft ein ganzes Programm gemeint war. Oder eine Organisation, die es durchführte. Innovativ, nachahmenswert und nachhaltig sollten die Vorhaben sein. Eine internationale Jury hat die Projekte ausgesucht, für ein "Haus der Projekte" bei der Weltausstellung 2000, für Veranstaltungen, Ausstellungen - und eben das dicke Buch. Ich war damals im Redaktionsteam für das dicke Buch, habe im Auftrag der Weltausstellung Hannover allein 50 der 487 Projektbeschreibungen geschrieben. Ein Texter-Job, kein Journalismus. Ansage Die Welt verbessern? Über langfristige Folgen von Entwicklungsprojekten Ein Feature von Ulli Schauen Sprecher 1 Aus dem Editorial: Zitatorin "In kreativer und intensiver Zusammenarbeit mit internationalen Partnern ist unter dem Dach der Expo 2000 Hannover ein einzigartiges Netzwerk zukunftsorientierter Projekte geknüpft worden, das jedes für sich von dem Ideenreichtum und dem Engagement von Menschen aus aller Welt zeugt." Erzähler 487 angeblich zukunftsweisende Projekte auf allen Kontinenten. 15 Jahre später will ich wissen, ob die Projekte gehalten haben, was sie versprachen: Elend und Armut zu lindern, den Fortschritt voranzutreiben. Ich kann nicht alle Projekte überprüfen, faire Stichproben lassen sich aus der Menge der Projekte kaum herausfiltern. Deshalb beschränke ich mich auf ein Land. Ich versuche, alle zwölf Expo-2000-Projekte in Kenia wiederzufinden und zu überprüfen, was aus ihnen geworden ist. Musik Sprecher 1 Erstes Projekt: Osiligi - Hoffnung für das Volk der Massai Aus dem EXPO-Buch 2000: Zitatorin "Zu den wichtigsten Projekten der OSILIGI Kooperative gehört ein Schulangebot für Nomadenkinder. OSILIGI kämpft lokal und international für die tradierte Lebensweise der Massai. Sie brauchen Landrechte und Rechte an den Wasserstellen, um in der modernen kenianischen Gesellschaft ihren Platz behaupten zu können." Erzähler Mit einem zerbeulten Geländewagen kämpfen wir uns über zerfurchte Wege, vorbei an dornigen Büschen und trockenem Gras. Wir sind in im Bezirk Laikipia, in der Mitte von Kenia. Joseph Olendira ist der Projektmanager von IMPACT, einer Nachfolgeorganisation von Osiligi. Er zeigt mir das Aktionsgebiet seiner Organisation, und die Probleme der Hirtenvölker, die hier leben. Joseph deutet auf kilometerlange Zäune. Sie markieren die Grenzen der riesigen Privatfarmen, die uns zu langen Umwegen zwingen. 80.000 Acres hat diese Farm, sagt er. Über 300 Quadratkilometer, fast so groß wie das deutsche Bundesland Bremen. Eines der Farmgelände darf man passieren. Aber nur in einem kilometerlangen Transitkorridor - Sicherheitspersonal am Eingang. O-Ton Sprecher 2 Diese Farm ist eine der größten, eine der Ländereien, um die Osiligi gekämpft hat. Wir wollten das Land zurück, so dass unsere Kühe hier bei Trockenheit grasen können. Erzähler Diesen Kampf hat Osiligi verloren. Das Expo-2000-Projekt Massai-Selbstorganisation gibt es nicht mehr. Der Verein wurde nach Auseinandersetzungen mit der Regierung um die Landfrage aufgelöst. Atmo Fahrt Erzähler Eine Massai-Siedlung wird durch die Farm vom nächsten Ort getrennt, an dem die Menschen einkaufen können. Zehn Kilometer entfernt. Auf dem Transitweg überholen wir zwei Massai, die zwei Dutzend Kühe vor sich her treiben. O-Ton Joseph Sprecher 3 Sie durchqueren die Farm, auf dem Weg zu Gras, das jenseits der Farm gewachsen ist, weil es dort geregnet hat. Erzähler Als wir anhalten und ich photographiere, treiben die beiden Hirten ihre Kühe näher an den Weg. Sie befürchten wohl, dass wir für die Farmer arbeiten, sagt Joseph. Die Transitpassage ist den Massai erlaubt. Dabei ihre Kühe grasen zu lassen ist verboten. Ein Kampf um Ressourcen ist hier im Gang. Vorläufiger Sieger: Die Großgrundbesitzer. Erzähler Doch dann entspannen sich ihre Gesichter, sie halten ein Schwätzchen mit Joseph, dem Projektmanager, und ziehen schließlich weiter. Atmo: Straße und vorbeifahrender LKW, Schulgelände Erzähler Jenseits der Großfarm halten wir bei einem Schulgelände an. Klassenzimmer, Verwaltungsräume, ein Versammlungsraum, dann ein Sportplatz, etwas entfernt davon ein Wohnheim, es ist menschenleer - Ferienzeit. Die Schule hat die Massai-Organisation Osiligi mit ausländischem Geld gebaut. Dann wurde sie vom Staat übernommen und weiter ausgebaut, erzählt Joseph. In der Savanne hinter der Schule lagert Ben Lemboyene mit seiner Frau und zwei Kindern bei einer kleinen Ziegenherde. Er ist im Elternrat der Schule. O-Ton Ben Lemboyene Sprecher 3 Die Schule hier hilft uns sehr. Die alte Schule war aus Lehm, hatte nur drei Klassen. Es war sehr kalt drinnen, der Wind blies hindurch. Was Osiligi für uns getan hat, wissen wir sehr zu schätzen. Sie haben uns ins Digitalzeitalter geführt. Erzähler In einer anderen Schule werden Hirtenkinder unterrichtet, die keine reguläre Schule besuchen, weil sie zur normalen Unterrichtszeit arbeiten müssen. 24 Beschäftigte hatte Osiligi, alle finanziert von ausländischen Organisationen. Doch in der Landfrage kam Osiligi nicht weiter. Die Rechtslage ist verworren. Die Großgrundbesitzer haben das Land von der britischen Kolonialregierung nur für 99 Jahre bekommen. Die Vertragszeit ist abgelaufen, doch mittlerweile ist Kenia unabhängig, die Briten als Vertragspartner verschwunden. O-Ton Joseph Sprecher 2 Wir haben auf der Straße demonstriert - und schließlich gingen wir auf das Farmgelände. Da schickte die Regierung Truppen und 300 Polizisten. Bei den Kämpfen wurden mehrere von uns getötet, andere wurden verletzt. Und die Regierung löste Osiligi zwangsweise auf. Erzähler Doch die Arbeit war nicht umsonst, Osiligi hat Kinder bekommen. Joseph und vier weitere arbeiten jetzt bei IMPACT. Eine Nachfolgeorganisation, die von Niederländern unterstützt wird. Und weitere frühere Aktivisten haben ihre eigenen Organisationen gegründet. Musik Sprecher 1 Zweites Projekt Solux - Solarlampen Aus dem EXPO-Buch: Zitatorin "Die deutsche Ludwig-Bölkow-Stiftung hat eine Solarlampe für Entwicklungsländer entwickelt, die sie zum Selbstkostenpreis abgibt. Ein Abnehmer ist die kenianische Firma Hensolex Ltd., die Lampenbausätze montiert und vertreibt. Für die ländliche Bevölkerung Kenias, fernab jeder Elektrizität, sind die robusten Lampen von großem Wert." Atmo Kenia Straßenlärm Erzähler In Kenia sinkt der Absatz der deutschen Solarlampen, die bei der Weltausstellung 2000 gepriesen wurden. Denn der kenianische Importeur Francis Kamau steckt keine Energie in den Vertrieb der Lampen. "Das ist nur ein ganz kleiner Teil meines Geschäftes", sagt er mir am Telefon. Er hat sich profitableren Bereichen zugewandt. Als Bauunternehmer, sagt er. Bei drei Besuchen in Kenia gelang es mir nicht, ihn zu treffen. Ich soll ihn bitte verschonen, soll mich an die deutschen Partner wenden, schrieb er mir. Atmo S-Bahn in München-Taufkirchen, Ansage, Tür öffnen Erzähler Am S-Bahnhof Taufkirchen, nahe München, holt mich Johann Mutzbauer ab, einziger Vollzeitbeschäftigter der Solux GmbH, die die Solarlampen entwirft und in China herstellen lässt. Die Firma ist von der kleinen Entwicklungsorganisation Solux e.V. gegründet worden. Als gemeinnütziger Verein kann sie das Geschäft nicht selbst betreiben. O-Ton "... das ist dann immer so eine Dunkelkammer für uns." Erzähler Im Gewerbegebäude, in dem auch die Firma einen Büroraum hat, führt mich Mutzbauer eine Wendeltreppe hinab ins Dunkle. Unten schaltet er die Leuchte ein. O-Ton / Atmo Sie sehen also, hier ist lesen auch für zwei, drei, vier Leute durchaus noch möglich... Erzähler Die Leuchte spendet besseres Licht als das meiste, was ich in Kenia in den Häusern auf dem Land gesehen habe. Kaum jemand kann dort nach Sonnenuntergang z.B. noch für die Schule lernen. Andererseits: Überall im Lande gibt es mittlerweile preiswertere Solarleuchten "Made in China". O-Ton Billiger Erzähler ... unterbricht Mutzbauer und lässt eine Leuchte auf den Boden knallen. Atmo Lampe knallt auf den Boden Erzähler Die LED 100 bleibt ohne Schaden und leuchtet problemlos weiter. Eine Leuchte im Retrodesign. Tonnenförmig wie hierzulande alte Gruben- oder Baustellen-Leuchten. Robust ist sie, mit einem Gehäuse aus dickem Plastik. O-Ton In Gegenden, wo sich das herum gesprochen hat, liefern wir Akkus für Leuchten, die zehn und mehr Jahre alt sind. Kriegen 'nen neuen Akku, funktionieren wieder. Erzähler So um die 20.000 Leuchten werden im Jahr weltweit verkauft, 1.000 davon in Kenia. O-Ton Es könnte mehr sein, sagen mer so (lacht). Erzähler Zwischen 30 und 70 Euro kosten die Handleuchten mit dem Solar-Ladepanel. Es ist schwer, arme Kenianer davon zu überzeugen, so viel Geld zu investieren. Auch wenn sie dadurch jährlich rund 35 Euro an Kerosin sparen. Atmo Bausatz zeigen "Da sind zunächst Schraubarbeiten erforderlich ..." Erzähler Die LED 100 gibt es auch als Bausatz. In einer Werkstatt kann man sie selbst zusammensetzen. So haben Landbewohner bezahlte Arbeit und erwerben technische Kenntnisse. Das ist die Idee. Rentabel ist das eher nicht. Nur noch wenige karitative Organisationen betreiben eine Solux-Werkstatt. Zwanzig Jahre gibt es den Verein Solux nun, der das "Projekt Solarlampen" trägt. O-Ton "... wobei der Verein mehr und mehr mit Nachwuchssorgen zu kämpfen hat und sich wohl dieses Jahr auflösen wird." Erzähler Dann macht die Solux GmbH alleine weiter, sagt Mutzbauer. Atmo Musik Sprecher 1 Drittes Projekt Die Minipack-Methode. Kleinbauern setzen auf moderne Düngemittel Aus dem EXPO-Buch: Zitatorin "Großhändler geben Düngemittel nur in Säcken zu mindestens 50 Kilogramm ab. Diese großen Mengen aber sind teuer, zu teuer für die Kleinbauern. Deshalb eröffnete SCODP (Sprich engl. Scoedip) 1995 in Westkenia sieben Läden, in denen die Großhändlermengen in kleine und vor allem erschwingliche 100-Gramm-Tütchen umgepackt wurden. "Mini Pack Methode" nennt sich diese ebenso einfache wie praktikable Hilfe für landwirtschaftliche Subsistenzbetriebe." Atmo, Auto Türenschlagen Erzähler Die landwirtschaftliche Organisation SCODP gibt es noch. Die Minipacks auch. Aber bevor ich das Projekt zu sehen bekomme, lässt sich der Chef der Organisation noch Zeit. Dismas Okello hat erst mal eine Besichtigungstour organisiert, zwei Mitarbeiter herbei getrommelt, die zu mir ins Auto steigen. Schließlich nach etlichen Zwischenstopps kommen wir zu dem Vorhaben, das im Expo-Buch gelobt wird. Die Minipacks. Die Organisation SCODP packte 50 Kilo Düngersäcke in 100 Gramm-Portionen um, damit die Bauern den Dünger mal ausprobieren können. Das gefällt dem US-amerikanischen Landwirtschaftsberater Paul Woomer heute noch gut. O-Ton Woomer Sprecher 2: In Westkenia waren sie die einzigen, die das machten. Es hatte sofort Erfolg. Die Agrarhändler machten einen Bogen um die ärmsten Farmer. Das hat SCODP nachhaltig geändert. Atmo Straße in Uguja Erzähler Auch die meisten der 39 landwirtschaftlichen Läden, die die Organisation eröffnete, gibt es noch. Wie das Lädchen in Uguja, das ich gezeigt bekomme. Mit den Läden machten sich Einwohner auf Kredit selbstständig. Und mittlerweile können sich viele Bauern auch größere Düngermengen leisten, erzählt SCODP-Mitarbeiter Vitutis Ochieng. O-Ton Ochieng Sprecher 3 Ihre Farmen sind erweitert worden und sie haben Vereinigungen gegründet. Ab dem kommenden Jahr verkaufen sie an ihre eigenen Kooperativen und verdienen damit extra: Boni und Dividenden. Musik Sprecher Viertes Projekt Biobauern auf der Schulbank Aus dem EXPO-Buch: Zitatorin "Das kenianische Institut for Organic Farming hat seit 1986 etwa fünftausend kleine Landbesitzer trainiert. Damit die guten Absichten der Biobauern von der konventionellen Praxis nicht wieder eingeholt werden, kommen KIOF-Mitarbeiter in regelmäßigen Abständen zu den Kleinbauern zurück und überprüfen, ob das Gelernte ‚sitzt'." Atmo Einfahrt auf Gelände, Autotür schlagen, Schweinegrunzen Erzähler Das Institute for Organic Farming gibt es noch. Es ist sogar gewachsen, umgezogen auf ein Gelände 30 Kilometer nördlich von Nairobi. Ein langgezogenes Gebäude mit Klassenräumen und Büros, daneben Ställe, Felder, Schuppen, Ziegen, Schweine, Hühner. Atmo Unterricht Erzähler Schulleiter John Ngoroge war im Jahr 2000 zur Weltausstellung in Hannover. Sechs Studenten aus dem ersten Semester hat er jetzt vor sich. Sie kommen von der landwirtschaftlichen Fakultät der Kenyatta Universität. Die Studentin Monika Anchiro ist 18, sie möchte später Bauern in Bio-Landwirtschaft fortbilden. O-Ton Monika Anchiro Sprecherin 1 Viele Krankheiten rühren von Chemikalien in Nahrungsmitteln her. Ich denke, es ist Zeit mit Bio-Nahrung anzufangen. Erzähler John Ngoroge ist der pädagogische Leiter der Privatschule, einer der drei, die 1986 das KIOF, das Kenyan Institute for Organic Farming, gründeten. Fast alles, was die Ausbilder zu Zeiten der Expo vor 15 Jahren machten, leisten sie auch heute noch, auch die Fortbildung von Bauern, zum Teil per Email. O-Ton John Oh, we are like the leading organization. Because we have had quite a lot of experience. Sprecher 2 Mit unserer reichen Erfahrung sind wir führend in Kenia. Erzähler Studien- und Kursgebühren, davon lebt die Schule. Am meisten bringt es ein, wenn Nichtregierungsorganisationen ihre Beschäftigten schulen lassen. Bis vor 5 Jahren wurde das KIOF von katholischen Entwicklungsorganisationen unterstützt. Aus Deutschland, den Niederlanden, Italien. O-Ton John Sprecher 2 Es ist auch ein Vorteil auf eigenen Beinen stehen zu müssen. So haben wir gelernt, Einnahmequellen zu finden von allen möglichen Seiten, die an Bio-Landwirtschaft interessiert sind. Musik Sprecher 1 Fünftes Projekt Women of the World. Afrikanische Rechtsanwältinnen für Frauenrechte Aus dem Projektebuch zur Expo 2000: Zitatorin "Immer noch sind Frauen in Afrika stark benachteiligt, wenn es um ihre Rechte beispielsweise bei der Familienplanung geht. Die internationale "Federation of Women Laywers - Kenya" setzt sich dafür ein, daß Gesetze nicht nur festgeschrieben, sondern auch durchgesetzt werden können." Atmo FIDA Erzähler Im Erdgeschoss von FIDA, der Vereinigung von Rechtsanwältinnen, warten einige Frauen auf ihren Beratungstermin. Frauen mit geringem Einkommen zahlen eine Schutzgebühr von 500 kenianischen Schillling, etwa fünf Euro, dafür, dass eine FIDA-Rechtsanwältin sie vertritt und berät. Das ist der Alltag bei FIDA. Atmo FIDA Erzähler Doch oben, im ersten Stock ist das Besondere dieses Tages spürbar. Die Medien sind voll von Geschichten über einen spektakulären Fall: Ein Parlamentsabgeordneter wird beschuldigt, eine Frau vergewaltigt zu haben. Die FIDA-Direktorin Christine Ochieng telefoniert deshalb ständig mit ihrem Netzwerk. O-Ton Sprecherin 2 Ich praktiziere als Rechtsanwältin seit über 18 Jahren. Seitdem hat es Riesenfortschritte gegeben. Es ist überhaupt nicht zu vergleichen. Und unsere Organisation hat eine Schlüsselrolle gespielt. Uns gibt es jetzt seit 30 Jahren. Es war eine von uns, die das Gesetz gegen sexuelle Gewalt vorgeschlagen hat. Musik Sprecher 1 Sechstes Projekt Die Erhaltung der Altstädte von Mombasa und Lamu. Alte Kunst bringt neue Jobs. Aus dem EXPO-Buch: Zitatorin "Baufällige Suaheli-Häuser entlang der kenianischen Küste werden mit Hilfe des staatlichen Projekts ‚Konservierung in den Altstädten von Mombasa und Lamu' restauriert. Dazu hat man Handwerker in den traditionellen, fast vergessenen Künsten ausgebildet. Das Projekt dient dem Erhalt des kulturellen Erbes Kenias, der Förderung des lokalen Arbeitsmarktes und der Umwelt." Sprecher 1 Aus den Reisewarnungen des deutschen Auswärtigen Amtes 2015: "Aufgrund der verschiedenen Anschläge in der jüngeren Vergangenheit wird von Aufenthalten und Besuchen in der Altstadt von Mombasa nachdrücklich abgeraten. Dies gilt auch für Aufenthalte in der Provinz Lamu einschließlich des Lamu-Archipels." Erzähler Also fahre ich nicht an die kenianische Küste. Aber im Nationalmuseum in Nairobi finde ich den Architekten Kassim Omar, der vor 15 Jahren für das Programm zuständig war. Umgerechnet zwei Millionen Euro gab die EU, Straßen wurden regenfest gemacht, das Kulturzentrum ausgebaut, junge Handwerker ausgebildet und 22 Häuser restauriert - mehr Häuser als vorgesehen, sagt Kassim Omar. Deren Eigentümer beteiligten sich mit einem Viertel der Baukosten daran. O-Ton Kassim Sprecher 3 Die Lektion, die wir aus den Anfängen für die nächste Phase gelernt haben, war, dass es besser ist einen Rückzahlungsfond einzusetzen als frei verfügbares Geld zu geben. Die Geldempfänger sollten später ihre Renovierungskredite zurückzahlen, damit andere das Geld bekommen konnten. Aber es kam nie zu einer Phase zwei. Erzähler Es hätte mich interessiert, wie die EU im Jahr 2002 den Erfolg des Projektes bewertete. O-Ton Kassim Sprecher 3 Man stellte uns die Evaluierung nicht zur Verfügung. Ob das so üblich ist, weiß ich nicht. Es kamen Leute und sahen sich alles an, aber wir bekamen ihre Berichte nicht. Vielleicht hätten wir etwas daraus lernen können für unsere zukünftige Arbeit. Erzähler Auch in der EU-Vertretung für Kenia findet man die Evaluationsberichte nicht. Musik Sprecher Siebtes Projekt Leben nach eigenen Webmustern. Das Matinyani Frauen-Entwicklungsprojekt Aus dem EXPO-Bericht: Zitatorin "Das Projekt trocknet und vermarktet Mangos, stellt Kerzen und Backwaren her und betreibt eine Töpferei. Zu den größten Unternehmungen der Frauenkooperative gehört das Web-Projekt (sie weben!), das heute rund 2.000 Frauen Arbeit und Einkommen bringt." Erzähler In einer alten Villa auf der weitläufigen früheren Farm der dänischen Schriftstellerin Karen Blixen nahe Nairobi wohnt die Künstlerin Geraldine Robarts. Als ich sie besuche, sprudelt sie sofort los: O-Ton Robarts Sprecherin 2 Alle Projekte laufen noch. Das Weben und das Gesundheitszentrum laufen gut. Auch die Kerzenherstellung, die Bäckerei, läuft von Erfolg zu Erfolg. Und die Grundlage für diese Nachhaltigkeit ist eine einzige Person, die für 25 Jahre dabei bleiben sollte. Und das bin ich. Atmo Straße in Matinyani, Moped fährt ab Erzähler Geraldine stellt mir den Kontakt zu Cosmas Musyoka her, einem früheren Mitarbeiter der Organisation. Mit Mopedtaxis führt Cosmas mich durch die Region von Matinyani, einer armen Gegend im Bezirk Kitui. Die Wahrheit über die Selbsthilfeorganisation von Matinyani ist: Sie hat ihre Arbeit längst eingestellt. Drei ehemalige Aktive der Frauenkooperative besuche ich noch, drei Schnipsel der Wahrheit. Zuerst Josephine. Atmo Josephine zeigt die Gesundheitsstation Erzähler Josephine Kilonzo war die stellvertretende Vorsitzende von Matinyani, sie wohnt gleich neben der von Geraldine Robarts gepriesenen Gesundheitsstation. Diese wurde nach dem Ende von Matinyani vom kenianischen Staat übernommen. Es ist Feiertag, die Station ist verlassen. Aber drinnen hängen Statistiken an der Wand und die erzählen: Nur wenige Patienten werden hier behandelt. Viel weniger als Geraldine gesagt hat. O-Ton Josephine Sprecherin 2 Es können hier keine Geburten mehr stattfinden, denn die Station ist nur tagsüber besetzt. Erzähler Überall draußen hängen die Schilder, die auf die Sponsoren hinweisen, die US-Botschaft, die US-amerikanische Hilfsorganisation USAID. Geld, das Geraldine, die gut vernetzte weiße Wohltäterin, in Nairobi besorgt hatte. O-Ton Josephine Sprecherin 2 Noch heute fragt man mich hier nach Geraldine. Sie hat damals sogar ihr eigenes Geld hier rein gesteckt. Sie hatte gesagt, wenn ihr wirklich eine Gesundheitsstation braucht, dann werde sie dafür sorgen, dass dieser Traum Wirklichkeit wird. Atmo Wasserdamm zeigen Erzähler Der Wasserdamm, der auf Initiative von Matinyani und Geraldine Robarts gebaut wurde, steht auch noch. Atmo Esel und Kinder Wasserschöpfen Erzähler Aus einem Sandloch oberhalb des Dammes schöpfen ein Mädchen und ein Junge Wasser in Kanister, die sie an ihre Transportesel gehängt haben. Den Bau des Dammes führte einst die Hilfsorganisation Amref durch. Und plante offensichtlich falsch. Das Haus mit dem Generator und der Wasserpumpe für die Leitung zum Wasserreservoir steht zu tief im Tal. Schon beim ersten Hochwasser in der Regenzeit wurde die Installation beschädigt, und man musste die Pumpe stoppen. O-Ton Josephine Sprecherin 1 Dann wurden die Maschinen Teil um Teil gestohlen. Erzähler Als ich Bernard besuche, richtet er gerade seinen Webstuhl ein. Er lernte das Weben bei der Matinyani-Selbsthilfe, wurde später einer ihrer Manager. Denn einige Frauen holten ihre Söhne in das Projekt, die die englische Sprache besser beherrschten. Bernard und mehrere andere können auch heute noch vom Verkauf der Sisalteppiche leben, die sie hier herstellen. Doch der Zerfall des Selbsthilfe-Vereins habe schon vor dem Jahr 2000 begonnen, als Geraldine Robarts zur Expo nach Hannover eingeladen wurde, erzählt mir Bernard. Die Angestellten konnten nicht mehr bezahlt werden. O Ton Bernard Sprecher 2 Die Besten gingen weg, fanden bessere Jobs. Das Zentrum konnte wegen des Mangels an Technikern nicht mehr betrieben werden. Der letzte ging 2006. Erzähler Belita Tilonzo ging als eine der ersten. Als Cosmas mich zu ihr führt, sitzt sie scheinbar untätig auf der Terrasse des Hauses, ihr zu Füßen sechs Frauen, die mit großer Konzentration Körbe und Teppiche knüpfen. Das Sisal kaufen sie in der Region und färben es mit lokalen Naturfarben. Belita ist das Herz eines Nachfolgeunternehmens. Sie und 250 weitere Frauen haben eine Selbsthilfeorganisation namens Isolo gegründet. O-Ton Belita Tilonzo Sprecherin 1 Wir waren auf der Ausstellung Ambiente in Frankfurt 1997. Danach bekamen wir den ersten Auftrag aus den USA. Wir produzieren seitdem für den Export. Und es geht uns gut damit. Musik Sprecher 1 Achtes Projekt Das Umweltmanagementprogramm für den Viktoriasee Aus dem EXPO-Buch: Zitatorin: "Kenia, Uganda und Tansania arbeiten im Lake Victoria Environmental Management Project zusammen, um das angegriffene Ökosystem des Viktoriasees und seiner Umgebung wieder herzustellen. ‚Der größte Teil der Mittel', sagt Professor Joseph Ojiambo, der Leiter des Projektes, ‚geht in den Bau von Kläranlagen, die Einrichtung von Untersuchungsstationen und die Bekämpfung der Wasserhyazinthen'." Sprecher 1 Der zweitgrößte Binnensee der Welt. Drei Länder, ein Etat von 75 Millionen Dollar in der ersten Phase, plus 130 Millionen in der zweiten Phase, die noch andauert. Das größte Expo-2000-Projekt in Kenia. Unter der Führung der Weltbank. Atmo Fischer ziehen Boot aus dem Lake Victoria Erzähler Mit aller Kraft ziehen die Fischer ihr schweres Boot aus dem See das Ufer hinauf. Diesmal sind sie mit dem Fang zufrieden. Einige Tilapia und ein Nilbarsch zappeln im Heck des Segelboots. Vielleicht zehn Kilo Fisch. Abwässer belasten den See. Viel zu wenige Anwohner des Viktoriasees haben eine Toilette. Und der größte Teil der Abwässer fließt ungeklärt ab, von den überschießenden Nährstoffen ernähren sich Algen und Wasserhyazinthen und überwuchern den See immer wieder. Viele der 40 Millionen Menschen im Einzugsgebiet des Sees sind arm, viele leiden unter AIDS, Malaria, Durchfallerkrankungen. Deshalb seien erst einmal Gesundheitsstationen gebaut worden, sagt Professor Ojiambo, der das Programm zu Beginn leitete. O-Ton Ojiambo Sprecher 2 Es sind doch die Menschen am See, von denen wir wollen, dass sie Bäume pflanzen und in ihrem Dorf gute Toiletten errichten. Wenn diese Menschen aber krank sind, werden sie nichts erreichen. Erzähler Die offizielle Auswertung der ersten Phase des Viktoriasee-Umweltprogramms lade ich von der Website der Weltbank herunter. Ihr Fazit: In den ersten Jahren bis 2004 wurden in Kenia nur wenige der Ziele erreicht. Und viele geplante Vorhaben wurden gar nicht erst begonnen. Ein Beispiel ist die Kläranlage in Kisumu. Atmo Kisumu Kläranlage Erzähler Zehn Jahre nach Ende der ersten Phase des Großprojektes Victoriasee nähert sich die 2. Phase ihrem Ende - und jetzt wird tatsächlich gebaut in der Kläranlage von Kisumu, der drittgrößten Stadt Kenias. Die Anlage wurde vor über 50 Jahren mit französischer Hilfe errichtet. Wenn auf Ersatzteile aus Frankreich gewartet wird, steht das Ganze still, erzählt der zuständige Ingenieur Joseph Obunde. O-Ton Sprecher 3 "Das werden wir ändern. Wenn wir genügend Ersatzteile lagern, müssen wir die Anlage nicht mehr anhalten." Atmo Wassergeräusche in Kläranlage Erzähler Obunde deutet auf den Einlasskanal unter uns: An seinen Kanten fließen große Mengen Abwasser über, irgendwo anders hin. Sie erreichen das erste Absetzbecken gar nicht. Das Problem: Das Regenwasser in Kisumu wird nicht sauber vom Abwasser getrennt. Atmo Wassergeräusche in Kläranlage Erzähler Weiter hinten schichten Bauarbeiter Stein auf Stein in den neuen Sickerfilter für Abwasser. Mit dem Kredit vom Lake Victoria Programm Phase 2 wird die Kapazität des Klärwerkes um ein Sechstel erweitert, was aber längst nicht ausreicht. O-Ton Obunde Sprecher 3 Höchstens ein Sechstel des Abwassers von Kisumu wird geklärt. Erzähler Der Rest fließt in den Viktoriasee. Musik Erzähler Fünf Staaten im Einzugsbereich des Sees mussten sich koordinieren und zusammenarbeiten, eine große Anzahl von Institutionen war einbezogen. Es geht um Aufgaben für Generationen von Menschen. Aber angepackt wurden sie in immer wieder befristeten Projekten, weil die beteiligten Staaten sie nicht aus eigener Kraft bewältigen konnten oder wollten. Hinzu kamen Durchsetzungsprobleme. Ein Beispiel: die Fischereigesetze. Atmo Ausmessen Erzähler Ich bin mit einem Lineal angerückt und messe zusammen mit den Fischern am Dunga Beach die Größe der Maschen ihrer Netze. Atmo Ausmessen It is 1.7 inches... we also have two inches Erzähler 1,7 Zoll Maschenbreite, manchmal zwei Zoll. Viel zu klein. Illegal. Erlaubt sind nur Maschen ab fünf Zoll, also rund 15 Zentimetern Weite, damit nicht die zu jungen Tilapia und Nilbarsche ins Netz geraten. O-Ton Beach Manager Erzähler Die Fischer benutzen auch illegale "monofilament" Netze. Den einzelnen Nylonfaden, aus dem diese Netze geknüpft sind, sehen die Fische nicht. So gehen zu viele ins Netz. Deshalb sind diese Netze in jeder Größe verboten. In einer Halle haben die Fischer am Dunga Beach für Touristen sogar eine kleine Ausstellung legaler und illegaler Fischnetze aufgebaut. Aber Beachmanager Nicolas Dedi sieht sich in der Zwickmühle. Er soll die Einhaltung der Regeln bei den Fischern kontrollieren, aber er ist einer von ihnen und wurde von ihnen gewählt. O-Ton Sprecher 3 Der See stirbt, weil wir falsche Fischereitechniken benutzen. Überfischung. Wir machen es wegen der Armut und der Arbeitslosigkeit. Aber der Fisch wird immer weniger, wirklich viel weniger. Erzähler Korruption sei auch im Spiel, sagt Nicolas. Aber wenn man es schaffen würde, dass überall am See auf einen Schlag die Fischereigesetze eingehalten würden und die Fischer dafür eine Weile entschädigt würden ... Die Verwalter des Lake Victoria Programms haben mir versichert, dass die Regeln besser als früher durchgesetzt würden. Was ich vor Ort erfahren habe, spricht eine andere Sprache. Musik Sprecher 1 Neuntes Projekt Streetwise Aus dem Expo-2000 Buch: Zitatorin "Streetwise ist ein Angebot an die Straßenkinder von Nairobi. In den Werkstätten bemalen die Jungen Haushaltsgegenstände, die Mädchen nähen. Mit ihren Produkten erwirtschaften die Jugendlichen ein kleines Einkommen. Viele von ihnen haben so den Absprung vom Straßenleben geschafft und besuchen eine Schule." Erzähler Streetwise ist erst einmal nicht auffindbar. Die angegebenen Telefonnummern sind außer Funktion, die eigenen Internetadressen des Projektes führen ins Leere. Auf einigen Umwegen bekomme ich schließlich die Mailanschrift von Lesley Lodge heraus, der Begründerin des Projekts. "Ich bin nicht mehr in Kenia, ich bin in England", schreibt sie mir. "Aber einige der Jungen führen das Projekt weiter." Atmo Utamaduni Erzähler Ishmail war einer der Straßenjungen. Seine Eltern starben. Er kam zu seiner Tante und ihrem Mann. Der Mann misshandelte ihn, er musste nur arbeiten, bekam kaum zu essen. Mit 13 lief er fort. O-Ton Ishmail Sprecher 2 In den Jahren gab es sehr viele Straßenkinder. Sie nahmen mich auf. Die älteren Jungs schickten mich zum Stehlen los - und als Gegenleistung schützten sie mich. Erzähler Dann bekam er Kontakt zu streetwise, lernte Kunsthandwerk, Organisieren, Rechnen, Englisch. Und das Geld vom Verkauf der Tontöpfe, die die Kinder bemalten, ermöglichte auch Ishmail, die Grundschule abzuschließen, die in Kenia acht Jahre dauert. Mittlerweile ist Ishmail 33 und managt mit drei anderen Ex-Straßenkindern das Projekt. Im streetwise-Laden zeigt er mir das Sortiment Atmo Erzähler Brotkörbe, Zeichnungen und Gemälde, Postkarten, Kaffeetassen - Handwerksprodukte, die in ein Fluggepäck passen. Das Verkaufshäuschen von streetwise ist einer Fachwerkvilla in einem grünen Vorort Nairobis angegliedert. Im Haupthaus können Touristen nach dem Besuch des nahe gelegenen Nationalparks afrikanisches Kunsthandwerk einkaufen oder Kaffee trinken. Die Geschäfte laufen wieder mal schlecht. So wie damals: Nach dem Fortgang der Gründerin waren auch die Spender abgesprungen, die Lesley Lodge in Nairobi besorgt hatte. Streetwise muss seitdem alleine vom Erlös der Produkte leben, die die Kinder anfertigen. O-Ton Ishmail Sprecher 2 Es war eine sehr schwierige Lage. Wir hatten bloß noch diesen Laden. Wir waren bei null, ohne Geld. Die Kinder mussten zurück auf die Straße. Nur einige machten sich selbstständig. Erzähler Ishmail lässt auf Lesley nichts kommen. O-Ton Ishmail Sprecher 2 Wir waren nicht wütend, denn sie hat ihr Bestes gegeben. Ohne Lesley wäre unser Leben erbärmlich geblieben. Erzähler Zurzeit kommt ein gutes Dutzend Kinder aus den Slums von Nairobi zu streetwise. Sie lernen hier Kunsthandwerk und den Handel damit. Verdienen sich das Geld für die Schule. Und die vier Ex-Straßenkinder verdienen auch etwas Geld damit. Das alte Konzept. Musik Sprecher 1 Zehntes Projekt Pumpen für Kleinbewässerung Aus dem EXPO-Bericht: Zitatorin: "Approtec entwickelt nicht nur Werkzeuge und kleine Maschinen. Die Mitarbeiter entwerfen auch Geschäftspläne für potenzielle Kunden und helfen bei der Markteinführung." Atmo Verkaufsverhandlungen an Straße Erzähler An einer Ausfallstraße von Kisumu handelt Joyce Mkoya mit Washington Juan um den Preis für einige Bäume. Joyce hat eine Baumschule, und Washington will Setzlinge kaufen. Atmo freundliches Bargaining Erzähler Schließlich werden sie sich einig. 50 "Bob", kenianische Schilling, ca. 50 Cent pro Setzling. Bei 150 hatte die Verhandlung begonnen. O-Ton Joyce Sprecherin 1 Ich tu ihm einen Gefallen. Er hat ja richtig geweint. Und ich will, dass er die Bäume pflanzt. Atmo Einladen ins Auto Erzähler 20 Setzlinge wechseln den Besitzer, Casuarina die flötende Pinie, ein tropischer Baum zur Holzgewinnung. Zusammen mit einem Helfer verfrachtet Joyce die einen Meter hohen Pflanzen in den Kofferraum von Washingtons Auto. Auf einer Fläche nicht größer als ein Tennisfeld hat Joyce Erde in tausende kleine Plastiksäckchen gefüllt und darin Setzlinge gezogen. Jetzt hat die Frühjahrs-Regenzeit begonnen, Hochsaison für Baumverkäufe. Aber bis dahin heißt es für Joyce und ihre Arbeiter: Wässern. Atmo Pumpen Erzähler Wässern ohne Strom und Wasseranschluss. Abseits der Straße, an einem Wasserloch ist das Expo-2000-Projekt aufgebaut. Auf einem Podest unter einem Sonnendach tritt ein Arbeiter in die Pedale der Fußpumpe. "Moneymaker" - unter diesem Namen wird die Pumpe vermarktet. Zwei Zylinder treiben das Wasser den Hang hinauf in den Schlauch. Atmo Pumpen, Wässerungsschlauch Erzähler Weiter oben führt ein anderer Helfer den Schlauch über die Baumsetzlinge in den Plastiksäcken. Drei Stunden morgens, drei Stunden abends, seit acht Jahren machen sie das so. O-Ton Joyce Sprecherin 1 Bis dahin war es sehr hart, das Wasser in Kannen hochzutragen. Die Pumpe hilft uns sehr. Erzähler In einem Bürogebäude in Nairobi ist genauso eine muskelbetriebene Pumpe aufgebaut. Nick Moon, einer der Firmengründer, kommt mit seinen 60 Jahren ins Keuchen, als er Wasser in eine Plastikwanne pumpt. Die Firma verkauft die Pumpe für 120 Euro, was für kenianische Kleinbauern eine Rieseninvestition ist. Und sie sammelt Geld im Ausland, um die Pumpen zu vermarkten. Tatsächlich jeder, den ich in Kenia frage, kennt die Moneymaker-Pumpen. Kickstart, wie der Hersteller heute heißt, schaltet Radiowerbung, kauft ganze Informationssendungen. Alles Spendengeld fließt in Marketing, in Schulungen, ins Erklären der Pumpe und ihrer wirtschaftlichen Auswirkungen. Die Kunden sind meistens arm und deshalb vorsichtig. O-Ton Sprecher 3 Das ist sehr vernünftig! Diese Leute scheuen das Risiko einer Investition, sie wägen sorgfältig ab. Sie sind gut im einfachen Überleben, dafür müssen sie ihr Risiko minimieren und nicht den Profit maximieren. Erzähler Aus dem Expo-2000-Projekt Approtec ist "Kickstart" geworden, ein sogenanntes "Social Enterprise". Das ‚soziale Unternehmen' schüttet keinen Gewinn aus, ernährt aber seine Beschäftigten. Die sozioökonomischen Wirkungen der Produkte sind ihr Spendenargument. Kickstart wirbt mit Fotos von arbeitenden Menschen statt mit Kinderkulleraugen. O-Ton Nick Moon Sprecher 3 Für jeden einzelnen Dollar oder EURO weisen wir ihnen 12 oder 15 Dollar an wirtschaftlich positivem Effekt nach. Erzähler Die Firma bekommt sowohl Einzelspenden, als auch Zuschüsse von Entwicklungsorganisationen. Systematisch werden Kunden noch Jahre nach dem Kauf der Pumpen befragt. Daraus rechnet Moon hoch: 850.000 Menschen habe die Pumpe aus der Armut geführt. Zum Beispiel dadurch, dass sie mehr Gemüse verkaufen können, in der Trockenzeit, zu einem höheren Preis. Die beiden Firmengründer Nick Moon und Martin Fisher arbeiteten in den 1990er-Jahren für große Entwicklungsorganisationen. O-Ton Nick Sprecher 3 So eine Entwicklungsorganisation pumpte damals für drei, vier Jahre Geld und andere Hilfe in ein begrenztes Gebiet. Dadurch erschufen sie eine künstliche Umgebung und das machte diese Region immer abhängiger von dieser Organisation. Erzähler Stattdessen suchten die beiden nach alternativen Formen der Hilfe. Ihre Pumpenmodelle wurden in Kenia entworfen, werden in China produziert. Ihre Technik ist den Verhältnissen angepasst. 250.000 der muskelbetriebenen Pumpen wurden schon verkauft. O-Ton Moon Sprecher 3 Das war eine interessante Erfahrung: wir haben kenianische Techniker in die chinesischen Fabriken geschickt, um die Arbeiter dort in Produktion und Technologie einzuweisen. Darauf sind wir stolz. Musik Erzähler 487 internationale Expo-2000-Projekte gab es, zwölf von ihnen in Kenia. Zwei von ihnen habe ich nicht erwähnt. Das eine war längst planmäßig beendet, ohne dass ich die Ergebnisse vor Ort hätte kennen lernen können. Bei dem anderen Projekt wurde das zuständige Ministerium aufgelöst. Haben die Vorhaben tatsächlich die Welt verbessert? Alle Fehler, die man der Entwicklungshilfe vorwirft, habe ich gesehen: Fehlplanung und Misswirtschaft, Verschwendung, Bürokratismus und Korruption, Dilettantismus. Menschen, die immer nur auf die nächste Hilfe warten. Hilfsgeld, dessen Hauptzweck es ist, ausgegeben zu werden. Und doch: Ich weiß zunehmend eine Bürokratie zu schätzen, die korrekt funktioniert und kontrolliert. Ich hätte vor der Recherche nicht gedacht, dass ich noch so viele positive Auswirkungen finde. Und ich habe gesehen, dass die Entwicklungszusammenarbeit ganz langsam aus Fehlern lernt. Und vor allem habe ich viele Menschen kennen gelernt, die bei den Projekten Wissen erwerben und Netzwerke knüpfen konnten. Und das haben sie genutzt, um, ja, die Welt zu verbessern. Wenigstens ein bisschen. Vielleicht ist das genug, auch wenn das dicke Projektebuch im EXPO-Jahr 2000 mehr versprochen hatte. Absage Die Welt verbessern? Über langfristige Folgen von Entwicklungsprojekten Ein Feature von Ulli Schauen Sie hörten eine Co-Produktion des Deutschlandfunks mit dem Hessischen Rundfunk und dem Südwestrundfunk. Es sprachen: Jochen Langner, Sigrid Burkholder, Judith Jakob, Robert Oschatz, Antje Hamer, Louis Friedemann Thiele und Thomas Lang Ton und Technik: Ernst Hartmann und Angelika Brochhaus Regie: Matthias Kapohl Redaktion: Karin Beindorff 1