Deutschlandfunk GESICHTER EUROPAS Samstag, 14. März 2015 - 11.05 - 12.00 Uhr Vom Salon an die Bar Die Karriere des italienischen Kaffees Mit Reportagen von Kirstin Hausen Redaktion und Moderation: Anne Raith Musikauswahl: Babette Michel (DLF 2014 ) Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - O-Ton Espressomaschinen-Sprutzeln, Kaffeehaus-Atmo Es gibt ihn gefiltert, aufgegossen oder mit hohem Druck gepresst. Mit Milch oder Sahne, gestreckt, mit Schuss oder schwarz wie die Nacht. Gereicht wird er in filigranen Porzellantassen, draußen nur im Kännchen oder im Pappbecher to go. Jede Nation hat ihre eigene Tradition. Ein Land aber hat mit seinem Kaffee die ganze Welt erobert. Italien. Überall wird heute Espresso italiano getrunken. Und wir begleiten ihn.... ...vom Salon an die Bar - Die Karriere des italienischen Kaffees mit Reportagen von Kirstin Hausen am Mikrophon ist Anne Raith Atmo MUSIK Moderation Reportage 1 Als der Kaffee im 17. Jahrhundert über Äthiopien und Arabien nach Italien kam, wurde erst einmal argwöhnisch beäugt. Vor allem die Kirche stemmte sich gegen das tiefschwarze sogenannte "Teufelsgetränk". Doch als Papst Klemens VII eine Tasse probierte und für gut befand, stand der raschen Verbreitung des Kaffees in ganz Italien nichts mehr im Wege. Anfangs waren es allein die wohlhabenden Schichten, die sich das exotische Getränk leisten konnten, heute ist ein Tag ohne Kaffee für die meisten Italiener unvorstellbar. Zumindest ein guter Tag. Der beginnt mit einem ersten Kaffee zu Hause. Aufgebrüht in der kleinen Moka-Kanne auf dem Herd, wird er idealerweise schwarz und stark getrunken, schließlich soll er wach machen. Reportage 1 - Der erste Espresso des Tages Atmo: Mädchenstimmen beim Spiel Manuskript: Ein Sonntagmorgen in Rom. Nicht auf dem Petersplatz oder an der Spanischen Treppe, sondern im Wohnzimmer der Familie Mottola-Maresca. Zwei Erwachsene, vier Kinder. Sara und Giovanna sind bereits seit einer halben Stunde wach und spielen auf dem Teppichboden mit ihren Stofftieren. Atmo hoch In der Küche steht ihr Vater Luigi. Im Pyiama, den einjährigen Michele auf dem Arm. Mit der rechten Hand greift er nach der Moka, der kleinen Espressokanne für zuhause. Dann erklärt er seinem Sohn, wie man Kaffee kocht. Das kann man in Italien gar nicht früh genug lernen. OT Luigi: "Die Zutaten? Zuerst brauchen wir Wasser. Um die Menge richtig zu bemessen, mache ich den unteren Teil meiner Moka voll mit Wasser und rüttele ihn leicht. Wenn es überschwappt, ist es zu viel Wasser. Dann brauchen wir Kaffee, und zwar die richtige Kaffeemischung für meine kleine Kanne hier. Ganz wichtig: das Kaffeemehl darf nicht angedrückt werden, ich fülle den Filter aus Edelstahl locker auf und stelle die Kanne bei kleiner Flamme auf den Herd. So kann der Kaffee langsam sein volles Aroma entfalten." Luigi Maresca nimmt zwei Espressotassen vom Brett über dem Herd, stellt sie auf ein kleines Tablett. Dann wartet er bis der Kaffee aufsteigt. OT Luigi: "Ich habe erst spät begonnen, Kaffee zu trinken. Als ich mich mit meinen Klassenkameraden auf die Abiturprüfungen vorbereitet habe, machten wir uns nachts Kaffee, um durchzuhalten. In der Tat, hat mich der Kaffee damals wach gemacht. Heute trinke ich viel Kaffee und die Wirkung hat etwas nachgelassen." Vielleicht hat Luigi Maresca heute aber auch nur mehr Gründe, müde zu sein. Seine vier Kinder im Alter von einem bis neun Jahren halten ihn ganz schön auf Trab und Michele schläft nachts noch nicht durch. Atmo Michele beginnt zu weinen, Luigi rührt die "Cremina" an Als die ersten Tropfen Kaffee aufsteigen, nimmt Luigi einen Löffel, schöpft sie ab und verschlägt sie mit weißem Zucker. Die hellbraune Creme, die sich bildet und die der aus den Espressomaschinen in den Bars ähnelt, verteilt er auf die beiden Tässchen Kaffee. Atmo Luigi: Michele, portiamo il cafe a Mamma ? "Bringen wir der Mama einen Kaffee?" fragt er Michele. Das Tablett in der rechten Hand balancierend, geht er hinüber ins Schlafzimmer. Atmo Barbara e Luigi Michele krabbelt glücklich unter die Bettdecke. Seine Mutter Barbara stopft sich ein Kissen in den Rücken und setzt sich auf, um den ersten Kaffee des Tages zu geniessen. Atmo Barbara Sie mache keinen guten Kaffee, sagt sie, dafür brauche es einen Experten. Früher, als sie noch bei den Eltern wohnte, hat ihre ältere Schwester immer den Kaffee gemacht. Besonders lieb war ihr der gemeinsame Kaffee um sechs Uhr abends. Ein Familienritual. OT Barbara: "Da kam mein Vater von der Arbeit nach Hause. Wir waren in unseren Zimmern, lernten für die Schule und später für die Universität. Aber wenn mein Vater die Haustür öffnete, kamen wir alle in der Küche zusammen und tranken gemeinsam Kaffee." Noch heute trinkt Barbara am liebsten in Gesellschaft Kaffee. Mit den Arbeitskollegen, mit Freundinnen und Nachbarn, die sie herein bittet, wenn sie ihnen im Hausflur begegnet. Neapolitanische Gastfreundschaft, wie damals zu Hause. OT Barbara: "In Neapel sagst du: Komm, wir trinken einen Kaffee zusammen und das ist eine Art Code. Es heißt: ich möchte mit dir plaudern, habe aber nicht viel Zeit. Nur die Zeit, die es braucht, in die Küche zu gehen, die Moka aufzusetzen, zu warten bis der Kaffee aufsteigt und ihn dann in Ruhe zu trinken. Insgesamt also zehn bis fünfzehn Minuten. Das ist nicht banal, denn diese 15 Minuten macht man nichts anderes, als zusammen zu sein." Barbara Mottola stellt die leeren Espressotassen zurück auf das Tablett und steht auf. Tochter Giovanna steckt ihren Kopf zur Tür herein. Die sechsjährige will frühstücken. Mit warmer Milch und einem Marmeladenbrot. Kaffee wird Luigi Maresca für das gemeinsame Frühstück mit den Kindern auch machen. Den zweiten des Tages. Denn eines muss er sein, der italienische Espresso: frisch gekocht und dampfend heiß. MUSIK Moderation Literatur Jede Familie hat ihre eigene Kaffeetradition. So auch die Familie Versace aus Regio Calabria, an der Südspitze der italienischen Halbinsel. Hier wuchsen die Geschwister Santo, Gianni und Donatella in den 40er und 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf, als Kinder eines Kohlenhändlers und einer Schneiderin. Santo unterstützte damals den Vater bei seiner Arbeit, während Gianni lieber der Mutter half. Später sollte er eines der wichtigsten Modeunternehmen des Landes gründen. Seit seinem Tod leitet Santo die Geschicke der Firma. Zu dem, was er heute ist, hat ihn auch seine Kindheit in Kalabrien gemacht: Literatur 01 "Ich war ein Kind, als der Kaffee in mein Leben trat. Es war löslicher Pulverkaffee aus Amerika und meine Mutter machte uns daraus Milchkaffee, zum Frühstück. Ich erinnere mich an diesen Moment voller Glück: Jeden Morgen frühstückte ich gemeinsam mit Gianni, bevor wir zur Schule gingen. Ich besuchte die Grundschule, Gianni die Vorschule. Damals habe ich noch nicht erkannt, wie wichtig dieses Getränk für mein Leben war. Es war unser Morgenritual, und das reichte mir. Den echten italienischen Caffè habe ich erst später kennen und schätzen gelernt. Bei uns zu Hause wurde er, wie in allen italienischen Haushalten, in der Espressokanne, der "Moka", gekocht und meine ersten Schlucke Kaffee ohne Milch waren wichtige Schritte auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Ich war nun groß genug, um den richtigen Kaffee zu trinken, den schwarzen Espresso, wenn auch mit etwas Zucker gesüßt. Es war eine Art Aufnahmeritual in die Welt der Erwachsenen." Moderation Reportage 2 33 Millionen Tassen Kaffee trinken die Italiener im Jahr - das sind 600 pro Kopf. Meistens an der Bar eines Cafés oder Kaffeehauses. Mit Arbeitskollegen, der Familie, Freunden. Dieses Ritual, gerne auch mehrmals täglich zelebriert wird, kann sich fast jeder leisten. Ein Tässchen Espresso kostet, im Stehen getrunken, durchschnittlich einen Euro, egal ob schwarz oder macchiato, also mit einem Klecks aufgeschäumter Milch. Die meisten haben ihre Stammadressen. Kein Italiener trinkt seinen Kaffee gerne in eine Bar, die er nicht kennt. Atmokulisse Bahnhof/Zug Und auch jede Stadt hat ihre eigene Kaffeehaustradition. Das Café Florian in Venedig ist das älteste und war lange Treffpunkt von Künstlern und Intellektuellen, bevor es von Touristen erobert wurde. Johann Wolfgang von Goethe ging gerne ins "Caffè greco" in Rom. Und in Turin wurde einst die Einigung des Landes ausgeheckt und die Stadt zur Hauptstadt des "Vereinigten Königreiches von Italien" gekürt. Wo das ganze passierte? Natürlich in einem Kaffeehaus.... 02 Reportage - Ein Besuch im Kaffeehaus Atmo vom Bahnhof Turin "Torino Porta Nuova" - der Hauptbahnhof von Turin. Unwillkürlich strafft sich der Rücken, die Füße imitieren den forschen Schritt der Turiner, die sich schnurstracks dem Ausgang zuwenden. So wie die Kunsthistorikerin Laura Sgarazzella. Sie trägt einen dicken Bildband unter dem Arm und macht sich auf in Richtung Via Roma, der früheren Prachtstraße, die den Bahnhof mit dem Stadtzentrum verbindet. Die dunklen, immer gleich dekorierten Fassaden wirken vornehm, sehr zurückgenommen. So mochten es die Savoyer, die Turin 1563 zur Hauptstadt ihres kleinen, aber bedeutenden Herzogtums machten. O-Ton Laura: "Das ist das Geheimnis Turins. Niemals etwas demonstrativ zur Schau tragen! Nach außen einfach, streng und bescheiden wirken! Den Sinn für Schönheit und Genuss lebt man im Verborgenen aus." Dolce vita hinter verschlossenen Türen. Das pflegten die Savoyer und so halten es auch die Turiner von heute. Laura Sgarazzella steuert das "Café Pepino" auf der Piazza Carignano an. Atmo aus Café Pepino Im Sommer wird hier hausgemachtes Eis verkauft und es ist zu jeder Tageszeit brechend voll. Im Winter geht es ruhiger zu. Atmo Laura bestellt Ein gefülltes Croissant und einen Cappuccino bitte. Die Kunsthistorikerin legt ihren Bildband ab. Atmo aus Cafè Pepino Gedämpftes Licht, zierliche Stühle mit rotem Samtbezug, Spiegel in goldenen Rahmen. Das Café Pepino ist stilvoll, aber nicht überladen eingerichtet. An einem Ecktisch im hinteren Bereich sitzt Edoardo Cavagnino, der das Kaffeehaus in vierter Generation führt. Ein blonder, hochgewachsener Mann knapp 30 Jahre alt, in beigefarbenen Hosen und passender Weste. OT Edoardo : "Pepino war der Name des Gründers, der mitsamt seiner Familie und den Mitarbeitern aus Neapel hierhergekommen ist. Im Jahr 1916 hat meine Familie dieses Kaffeehaus dann gekauft und so begann eine Tradition, die jetzt schon in der vierten Generation fortlebt. Pepino ist aus Turin nicht mehr wegzudenken, es ist heute ein Symbol der Stadt, und allen Turinern bekannt, ja sogar allen Piemontesen." Stolz schwingt mit, wenn der junge Betreiber an die fast 100jährige Tradition des Kaffeehauses erinnert. Denn auch wenn es in Turin ältere Kaffeehäuser gibt, das "Pepino" ist eines der wenigen, die noch in Familienbesitz sind. Die meisten sind inzwischen in der Hand auswärtiger Investoren. Und auch Edoardos Vater hätte gewinnbringend an einen internationalen Konzern verkaufen können. OT Edoardo : (anni 90) " Als ich 16, 17 Jahre alt war hat mein Vater wirtschaftlich schwierige Zeiten durchgemacht. Das war Ende der Neunziger Jahre, das Konsumverhalten hatte sich geändert, Massenprodukte waren groß in Mode und irgendwann blieb die Kundschaft aus. Bier und Fastfood verkauften sich damals besser als das, was wir anbieten." Edoardo Cavagnino verdreht die Augen. Das waren keine guten Zeiten für seine Familie. Heute dagegen hat sich das Blatt gewendet. Die Turiner haben ihre kulinarischen Traditionen wiederentdeckt und schätzen sie wert. Außerdem ist Turin berühmt für sein Konfekt. OT Edoardo: "Hier wurde der Nougat erfunden, Gianduja genannt. Daraus entstanden dann die Giandujotti" Das sind in goldenes Papier eingewickelte kleine Nougatstücke, die einem auf der Zunge zergehen und gerne zu einem Espresso genascht werden. Bei Edoardo Cavagnino stehen sie in einer Kristallschalle neben der Kasse, zu einem Euro zwanzig pro Stück. Atmo Geplauder und Espressotrinken Das Kaffeehaus hat sich gefüllt. Drei Männer in Anzügen ziehen sich an einen Tisch im hinteren Bereich zurück. Eine Gruppe Frauen trinkt ihren Espresso im Stehen während sich ihre Kinder über die Giandujotti hermachen. Stammkunden. Edoardos Café ist ein beliebter Treffpunkt für alle, die etwas in der Nähe zu tun haben. Auch Künstler und Schauspielerinnen kommen gerne hierher, verrät Edoardo Cavagnino, aber Namen nennt er nicht. Es ist ein Kommen und Gehen - kein Vergleich zu den Krisenjahren vor der Jahrtausendwende. OT Edoardo: " Mein Vater hat mich damals gefragt, was ich im Leben machen möchte und ich habe mir zwei Tage Zeit genommen, um darüber nachzudenken. Dann habe ich mich entschieden, den Betrieb zu übernehmen und die Familientradition weiterzuführen. Wenigstens bis ich die Marke Pepino wieder dorthin gebracht habe, wo sie hingehört. Ins Topsegment. Mein Vater war gerührt. Er hat das Geschäft weitergeführt bis ich mein Studium beendet hatte. Am 20. November habe ich die Universität abgeschlossen, am 21. November war ich hier." Atmo an Espressomaschine Acht Espressi können in der Espressomaschine des Café Pepino gleichzeitig zubereitet werden. Das ist nötig, wenn die Museumsmitarbeiter von gegenüber pünktlich um elf Uhr zur Kaffeepause herüberkommen. Oder die Geschäftsleute aus dem Viertel ihre Kunden mitbringen. OT Edoardo: "Da setzt man sich natürlich, nimmt sich eine halbe Stunde Zeit. Wenn Kunden ins Büro kommen, werden sie zu einem Kaffee eingeladen, das ist in Italien üblich und es gibt hier so gute Cafés, die schlagen den Kapselkaffee aus dem Selbstbedienungsautomaten im Büro um Längen." Außerdem hat es mehr Stil, frisch zubereiteten Espresso aus Porzellantässchen zu trinken, findet Edoardo Cavagnino. Und Stil ist für die Turiner wichtig. "Ein wahrer Glücksfall für mich, dieses Turin", schwärmte schon Nietzsche: "Was für ernste Plätze, die schönsten Cafés, die ich je gesehen habe". Laura Sgarazella, die Kunsthistorikerin, hat die Tageszeitung "La Stampa" durchgeblättert und verabschiedet sich mit einem Kopfnicken. Bis morgen, ruft sie, wenn sie wieder im "Café Pepino" frühstückt. Croissant und Cappuccino, wie jeden Tag. Atmo klingt aus Außerdem hat es mehr Stil, frisch zubereiteten Kaffee aus Porzellantässchen zu trinken, findet Edoardo Cavagnino. Und Stil ist für die Turiner wichtig. "Ein wahrer Glücksfall für mich, dieses Turin", schwärmte schon Nietzsche: "Was für ernste Plätze, die schönsten Cafés, die ich je gesehen habe". Laura Sgarazella, die Kunsthistorikerin, hat die Tageszeitung "La Stampa" durchgeblättert und verabschiedet sich mit einem Kopfnicken. Atmo klingt aus Literatur 02 "Die echte Wende kam aber erst mit dem Kaffee an der Bar. Mit meinen Freunden und Schulkameraden ging ich manchmal eine Limonade trinken. Es waren die Jahre des Wirtschaftswunders und wir hatten endlich ein bisschen Geld in der Tasche. Die Vorstellung, wie die Erwachsenen in eine Bar zu gehen und dort einen Kaffee zu trinken, gefiel mir. Es war eine Geste, die uns reif erscheinen ließ, selbstsicher, bereit für neue Abenteuer. Wir waren wie Schwalben kurz vor dem Abflug. Dieses Aroma, diese dampfenden Espressotassen waren Zeichen unseres Aufbruchs. (Und außerdem schmeckte der Kaffee gut.) Wenn ich zurückdenke, steigt mir wieder der Duft dieser Bars in die Nase. Ein Duft, in dem sich das Aroma des Kaffees mit Zigarettenrauch vermischte, so wie sich unsere Gespräche mit den Geräuschen zur Zubereitung des Kaffees vermengten. Wir verbrachten ganze Nachmittage an einem kleinen Tisch, hinter einem Tässchen Espresso und einer Zeitung. Mit der Zeit wurde dieses Ritual zu einem zentralen Moment des Tages, zur Gelegenheit, alte Freundschaften zu pflegen und neue zu knüpfen." MUSIK Moderation Reportage 3 Lange wurde der Kaffee ausschließlich als Aufguss zubereitet. Behutsam übergießt man dabei die fein gemahlenen Kaffeebohnen mit Wasser und wartet bis sich der Kaffeesatz unten in der Tasse sammelt - um die heiße, schwarze Flüssigkeit dann in kleinen Schlucken zu schlürfen. Recht simpel ist auch die in Frankreich verbreitete Methode, den meist grob gemahlenen Kaffee in einer Cafetière aufzuschütten, um ihn dann mit Hilfe eines Drahtgeflechts herunterzudrücken. Den Filterkaffee erfand 1908 eine Deutsche, Melitta Bentz. Doch die Erfindung, die einem Quantensprung gleichkam, war die Erfindung der Espresso-Methode, bei der heißes Wasser mit hohem Druck durch sehr fein gemahlenes Kaffeepulver gepresst wird. Atmokulisse aus Trainingscenter Dadurch entsteht ein konzentrierter Kaffee mit einer dichten, haselnussbraunen Schaumschicht - der Crema. Wenn man denn Glück hat. Denn die Zubereitung eines Espresso ist eine Kunst für sich. Allerdings eine, die man lernen kann, so wie es alle Barista von Mailand bis Palermo tun. Zum Beispiel im Trainingscenter des italienischen Kaffeeherstellers Lavazza. Reportage 3 - Im Trainingscenter von Lavazza Atmokulisse aus Trainingscenter Eine Frau, ein Mann und sieben Gramm Kaffee. Fabrizio Cresto zeigt Silvia Ferrata wie der perfekte Espresso zubereitet wird. Atmo Mahlen Das wichtigste dabei ist die Mahlstärke. In einer guten italienischen Espressobar werden die Kaffeebohnen für jede Tasse frisch gemahlen. Die Kaffeemühlen sind heute vollautomatisch, gemahlen wird per Knopfdruck. Aber Achtung! OT Fabio: Hier muss die Mahlstärke reguliert werden, um nachher die richtige Menge Espresso zu bekommen. Perfekt sind 30 Milliliter Espresso, die mit einer Durchlaufzeit von 25 bis 30 Sekunden in die Tasse fliessen. (Atmo Kaffeepulver wird ausgeklopft) Jetzt die Dosis: 14 Gramm für zwei Espressi, 7 Gramm pro Tasse. Ich drücke das Pulver schön fest in meinen Edelstahlfilter und los geht's. So bleibt das Kaffeepulver nicht zu lange in Kontakt mit dem heißen Wasser. Silvia Ferrata nimmt ihren Notizblock und schreibt sich die Mengenangaben auf. Ihr Trainer schmunzelt. Er weiß: die Theorie ist einfach. Aber in der Praxis braucht es stundenlange Übung, bis der erste genießbare Espresso aus der Maschine kommt. OT Fabio: Man kann es nur durch ausprobieren herausfinden. Wenn mein Kaffee schneller als in 25 bis 30 Sekunden im Tässchen ist, heißt das, er ist zu schnell durchgelaufen, und hat seine Aromen nicht entfalten können. Wenn er dagegen länger braucht, weil das Pulver zu fein gemahlen ist, wird seine Creme dunkel sein und leicht verbrannt schmecken, das bedeutet, ich muss den Kaffee etwas grober mahlen. Man braucht Erfahrung, dann hat man irgendwann ein Händchen dafür, sonst wird man nie einen guten Espresso bekommen. Atmo wo man Silvia hört So schwer hatte sich die Kommunikationsexpertin von Anfang 30 das Kaffeekochen nicht vorgestellt. Zum Glück gehört es in ihrem Berufsleben nicht zu ihren Hauptaufgaben. Silvia Ferrata arbeitet im Marketing und ihr Auftraggeber bei Lavazza, Marcello Arcangeli findet, wer über Espresso spricht und schreibt, sollte auch einen halbwegs anständigen Espresso zubereiten können. Fabrizio Cresto ihr Trainer an diesem Vormittag, geht noch einen Schritt weiter. OT Fabio Jetzt sehen wir, wie ein echt italienischer Cappuccino zubereitet wird. Ich nehme kalte Milch und schütte sie in eine schön bauchige Kanne aus Edelstahl. Die Düse des Aufschäumgerätes setze ich an der Milchoberfläche an, tauche sie also nicht tief in die Milch ein, sonst gibt es hässliche Blasen. In der ersten Phase füge ich der Milch Luft und damit Volumen zu, bis sie ungefähr doppelt so hoch in meiner Kanne steht. Erst dann tauche ich die Düse tiefer ein und vermische den flüssigeren unteren Teil der Milch mit dem bereits aufgeschäumten, wobei es sich eigentlich nicht um Milchschaum handelt, sondern um eine Milchcreme. Atmo Während Fabrizio schäumt und Silvia mitschreibt, kommt Marcello Arcangeli hinzu. Dunkler Anzug, handgenähte Schuhe, blaue Krawatte. Er leitet mehr als 50 Trainingscenter weltweit, zehn davon in Italien. OT Marcello: "Die Aus- und Weiterbildung ist für uns Teil eines Pakets und wird zusammen mit den Kaffeebohnen, die wir ihnen verkaufen, angeboten. Natürlich ist der Kurs hier nicht verpflichtend. Aber wenn du ein Quereinsteiger bist, dann werde ich darauf drängen, dass du den Grundkurs im Espressokochen belegst. Sonst richtest du nämlich nichts als Katastrophen an." Ein amüsierter Blick Richtung Silvia, die sich unter Fabrizios Anleitung mit der Schaumdüse abmüht. Atmo wo Silvia zu hören ist Marcello Arcangeli holt eine ovale Schale mit grünen, noch nicht gerösteten Kaffeebohnen. Langsam lässt er die geruchslosen Bohnen durch die Hand rieseln. Atmo Oton Marcello: Wir kaufen Kaffee aus 25 Ländern und wir kaufen ihn grün. Dann machen wir hier die Mischungen, den "Blend". Das, was die Gäste in der Bar als Espresso trinken, sind Kaffeemischungen, die wie ein Rezept zusammengestellt werden. Der Kaffee stammt aus fünf, sechs verschiedenen Anbaugebieten. Das ist ein bisschen wie beim Wein. Auch wenn es immer Arabica ist, so kommt ein Teil aus Indien, ein Teil aus Kenia und hat ganz unterschiedliche Geschmacknoten. Das erste Geheimnis eines guten Espresso ist also das Rezept, das zweite die Röstung. Hier geht es um das wie und das wie lange, um bestimmte Aromen hervorzuzaubern. Im Augenblick seiner Röstung erwacht der Kaffee zum Leben." Er greift in eine zweite Schale mit dunkelbraunen, gerösteten Bohnen, reicht sie Silvia Ferrata. Atmo Silvia schnuppert und nickt anerkennend. Dann wendet sie sich wieder Fabrizio zu. OT Fabio: "Der Espresso ist fertig. Jetzt schütte ich meine Milchcreme in die Mitte der Tasse und habe einen schönen Cappuccino! Elegant lässt Fabrizio die aufgeschäumte Milch aus 30 Zentimetern Höhe in die Tasse laufen. Erst zum Schluss nähert er sich dem Tassenrand und malt mit kippender Handbewegung ein Herz auf den Cappuccino. Atmo Silvia: il cuoricino !! Atmo Silvia macht Kaffee Und weiter geht es. Silvia Ferrata macht ihren siebten Espresso. Mahlen, in den Edelstahlfilter der Maschine füllen, warten und hoffen. Atmo Marcello erklärt Silvia was, man hört beide Marcello Arcangeli begutachtet das Ergebnis. Die Menge stimmt, auch die "crema" ist gelungen. Atmo Silvia: il mio cafè? "Meinen Kaffee willst du probieren?" fragt Silvia Ferrata ungläubig. Arcangeli trinkt - und schweigt. Atmo: in teoria .... "Theoretisch kann ich es", murmelt die Kommunikationsexpertin und stellt die Mahlstärke feiner ein. Dann macht sie sich wieder an die Arbeit. Mahlen, einfüllen, warten und hoffen. Atmo klingt aus MUSIK Moderation Reportage 4 Wie Kakao, Tee, und exotische Gewürze gehörte der Kaffee einst zu den Kolonialwaren. Mitte des 18. Jahrhunderts wurden etwa 600 000 Säcke Kaffee gehandelt, heute sind es über 100 Millionen. Kaffee ist nach Wasser das beliebteste Getränk überhaupt. Inzwischen gibt es viele verschiedene Bohnen- Sorten, doch nur zwei sind für den Weltmarkt interessant: Die Bohnen der Sorte Arabica machen etwa 60 % des produzierten Kaffees aus, die der widerstandsfähigeren Robusta 36 %. Der Kaffee, den wir trinken, besteht fast immer aus einer speziellen Mischung von Kaffeebohnen aus verschiedenen Anbaugebieten. Atmo an der Illy-Bar Wie Wein wird Kaffee oft in traditionsreichen Familienbetrieben hergestellt, die heute in dritter oder vierter Generation geführt werden. Statt Ländereien haben sie Fabriken, wo geröstet, gemahlen und abgepackt wird. Gewerbegebiet statt Südlage. Und trotzdem... Reportage 4 - Kaffee als Ware - Bei Unternehmer Andrea Illy Wer das Unternehmen Illy Caffè in Triest besucht, betritt eine eigene Welt. Eine Welt, in der sich alles um die kostbaren Bohnen, ihre Verarbeitung und ihren Genuss dreht. Denn hier kommen sie an, grün und in Jutesäcken verpackt. Hier werden sie gelagert und geröstet. Gemischt, gemahlen und mit einem Spezialverfahren, das der Unternehmensgründer Francesco Illy erfand, aromaschützend verpackt. Die Lagerhalle ist gleich neben dem Fabrikgebäude, über dem die Büroräume liegen. Außerdem gibt es einen Studien- und Degustationsbereich und das Labor der feinen Nasen, wo der "Blend", die spezielle Illy-Espressomischung kreiert wird. Das Rezept wird geheim gehalten. Von hier geht der Kaffee in 140 Länder. Doch Illy ist längst mehr als "nur" Kaffee. Atmo Illy-Bar Die Espressobar in den Unternehmensfarben weiß und rot ist immer gut besucht. Hier werden Kaffeeabnehmer aus aller Welt mit einem Espresso empfangen. Hier treffen sich die Angestellten der verschiedenen Abteilungen zu einem lockeren Austausch. Hier trinken Arbeiter nach Schichtende neben Managern auf dem Weg in eine Besprechung schnell mal einen Kaffee. Und hier schaut auch einer der Enkel des Unternehmensgründers ab und zu vorbei. Gemeinsam mit einer Mitarbeiterin kommt er schnellen Schrittes heran, ganz in das Gespräch vertieft. Atmo Andrea Illy an der Illy-Bar Andrea Illy ist Vorstandsvorsitzender und Leiter des Familienunternehmens. Er trägt ein silbergraues Jackett, auf dem weißen Hemd sind, klein eingestickt, seine Initialen zu lesen. Freundlich nickt er in die Runde, die ihm sofort Platz macht an der Theke. Seine Augen suchen jemanden. Atmo Illy e Moreno: ecco Moreno. Ciao Moreno come va? Moreno Faina, der sich unter anderem um Illys Auftritt bei der Expo- Weltausstellung 2015 in Mailand kümmert. Andrea Illy ist begeistert von diesem Großprojekt mit dem Titel Den Planeten ernähren, Energie für das Leben gegeben hat. Es soll Technologie, Innovation, Tradition und Kreativität mit den Themen Ernährung und Nachhaltigkeit verbinden. OT Andrea Illy: "Es geht dabei nicht nur um Essen und um Nahrungsmittel, sondern auch um Nahrung für die Seele und das Thema liegt mir am Herzen. In Italien, der Heimat von Schönheit und Kultur, hat es schon immer diese Symbiose aus geistiger Nahrung und Essen gegeben." Moreno Faina nickt. Er hat ein sehr gutes Verhältnis zu seinem Chef, die beiden duzen sich. Und sie trinken gerne gemeinsam einen Espresso. Wie in Italien üblich, ist das eine Sache von wenigen Minuten. Atmo Verabschiedung Andrea Illy hat einen straffen Terminkalender. Der Tag hat kaum genug Stunden für all seine Vorhaben, Ideen und Pläne. OT Andrea Illy: "Illy ist jetzt 90 Jahre alt und unsere Patente aus der Anfangszeit sind abgelaufen. Jetzt geht es nicht mehr darum, Pionierarbeit zu leisten, sondern unsere Präsenz auf dem Weltmarkt zu konsolidieren. Ich verkörpere die dritte Generation. Auch mein Bruder und meine Schwester sind im Unternehmen aktiv, wenn auch nicht im täglichen Geschäft. Das haben wir ans Management delegiert. Der Fokus liegt heute auf dem Wachstum im Ausland, unser Export steigt von Jahr zu Jahr, wir werden ein immer internationaleres Unternehmen." Den Grundstein dafür legte Großvater Francesco Illy, ein gebürtiger Ungar. Nachdem er in Wien die Kaffeehauskultur kennengelernt hatte, kam er nach dem Ersten Weltkrieg nach Triest. Die Stadt gefiel ihm auf Anhieb. O-Ton Andrea Illy: "Triest war eine kosmopolitische Stadt, es gab Händler aus allen Ländern der Welt. Das Triest von damals war ein kleines New York. Es gab eine jüdische Gemeinde, eine orthodoxe, eine slawische. Außerdem lebten in der Stadt Österreicher, Deutsche, Engländer, und ihr kulturelles Erbe ist heute noch lebendig. Hier fand mein Großvater die drei Leidenschaften seines Lebens: Triest, den Kaffee und seine Frau. Als er das Unternehmen Illycaffè gründete, hatte er dann ein Patent in der Hand." Und zwar auf die "Illetta", den Vorläufer der modernen Espressomaschinen, die mit einem Druckkolben funktionierte. Ein Original Exemplar dieser Maschine von 1935 steht noch heute in der Empfangshalle. Wenn Andrea Illy auf dem Weg in sein Büro an ihr vorbeikommt, muss er an die Kaffee-Experimente seiner Mutter denken, die er als Kind miterlebt hat. OT-Andrea Illy: "Da war ich vier Jahre alt. Ich habe an den ersten Versuchen mit Espressomaschinen für zu Hause teilgenommen. Meine Mutter hatte eine kleine Maschine in knallorange, eine Waage mit der sie die Kaffeebohnen abwog und eine Mühle die doppelt so gross war wie die Espressomaschine. Um die optimale Mahlstärke zu finden wurden zwei, drei Espresso weggeschüttet, das ganze dauerte also etwa eine halbe Stunde und war ein Ritual." Atmo Gruß Mitarbeiter auf dem Gang grüßen Andrea Illy, dann steht er vor dem letzten Büro, ganz am Ende des mit Holz und Glas gestalteten Bürotraktes. Von hier lenkt er die Firmengeschicke. Viele Bücher, ein großer Schreibtisch, Ablagefächer mit den Aufschriften "Archiv" und "zu tun", im Hintergrund eine kleine, feuerrote Espressomaschine. Atmo Illy mit Espressomaschine Das neuste Produkt fürs Luxussegment. Touchscreen, selbstreinigend und extrem leise. Es funktioniert mit Kapseln. Andrea Illy strahlt. Er mag technische Spielereien, solange sie das Leben einfacher machen. Atmo Espressomaschine macht Kaffee OT Andrea Illy: "Ich bin jetzt seit 25 Jahren im Geschäft. (Und es lief nicht immer alles rund, aber daran gewöhnt man sich. Ich habe 15 Jahre lang mit meinem Vater zusammen gearbeitet und wir haben uns nur mit Blicken verstanden. Ich habe viel von ihm gelernt.) Als ich das Unternehmen übernommen habe, gab es eine große Krise zu meistern. In Brasilien hatte eine Kältewelle 10 Prozent der Kaffeepflanzen zerstört und darauf folgte noch eine Dürreperiode, die die Ernte des Folgejahres verringerte. Das trieb den Weltmarktpreis für Kaffee in die Höhe, er explodierte und ich musste noch ohne jede Erfahrung das Unternehmen durch diesen Notstand führen. Das war Stress, eine Feuertaufe." Andrea Illy hat sie überstanden. Und er hat die Weichen für die Zukunft gestellt, indem er die gesamte Produktions- und Wertschöpfungskette nachhaltig gemacht hat. Sein Unternehmen steht gut da. Er ist zuversichtlich. OT Andrea Illy: "Ich glaube sehr an die Kraft der Frauen. Kein Wunder, als Vater von drei Töchtern! Alle drei und auch die Kinder meiner Brüder sind begabt und zielstrebig, haben keine Flausen im Kopf. Wir haben die Bedingungen geschaffen, dass alle neun im Unternehmen arbeiten können, ohne sich gegenseitig auf die Füße zu treten. Sie sollen unternehmerisch tätig sein und das Tagesgeschäft dem Management überlassen. Wir halten regelmäßig Familienrat, wir treffen alle Entscheidungen einvernehmlich. Das ist ein Muskel, den wir seit Jahren aufbauen. Nur wenige Unternehmerfamilien machen das so systematisch wie wir. Und dann haben wir uns breiter aufgestellt, wir handeln auch mit Tee, Kakao, Wein. Wenn wir von der dritten Generation einmal abtreten, hinterlassen wir eine gesunde Unternehmensgruppe." Literatur 03 "Mit meinen Freunden habe ich gelernt, Kaffee zu genießen. Früher habe ich ihn einfach nur getrunken, heute zelebriere ich ihn. Und zum Genuss gehört auch seine Zubereitung: die Sequenz der Gesten, die aus dem Kaffeetrinken ein Ritual von bezaubernder Schönheit machen. (...) Als Italiener habe ich das Glück, den besten Kaffee der Welt genießen zu können. Es ist kein Zufall, dass in jedem Land, das ich bereist habe, mehr oder weniger gelungene Versuche unternommen wurden, unseren Espresso zu imitieren. (...) Italien ist in der ganzen Welt bekannt für außergewöhnlich schöne Dinge: für seine Mode, seine Sportwagen, und zum made in Italy gehört auch der Kaffee. Die italienische Kunst des Kaffeezubereitens und Kaffeetrinkens wird sich durchsetzen, weil sie Ausdruck eines Lebensstils ist, um den uns alle beneiden." Moderation Reportage 5 So gut der Kaffee in den Espressobars und Kaffeehäusern Italiens auch schmecken mag - ein Utensil findet sich in jedem Haushalt: Die Moka. So nannte ihr Erfinder Alfonso Bialetti die kleinen Edelstahlkanne für den heimischen Herd. In Deutschland heißt sie Espressokanne, obgleich sie ohne Druck arbeitet und eigentlich keinen echten Espresso herstellt. Die meisten haben sie gleich in mehreren Ausführungen. Für ein oder zwei Tassen Kaffee, für 5 oder sogar für zehn, wenn man Freunde zum Essen einlädt und hinterher allen einen Kaffee anbieten möchte. Atmo Führung durch das Museum in Mailand ...andere haben hunderte. Die Moka-Sammler stöbern im Internet, auf Trödelmärkten und bei Haushaltsauflösungen nach Raritäten. Wenn sie genug Exemplare beisammen haben, dürfen sie diese sogar öffentlich ausstellen. Reportage 5 - Der Moka-Sammler Manuskript: Das Museum "La Permanente" in Mailand. Hier werden Gemälde, Skulpturen zeitgenössischer Künstler oder zeitlose Klassiker ausgestellt. Und echt italienische Kaffeezubereitungsapparate aus zwei Jahrhunderten. Andrea Moretto besitzt mehr als 600 solcher Modelle. Alte, neue, und echte Raritäten. OT Andrea Moretto (Küche) Einige stehen bei mir in der Küche. Meine Frau musste sich erst daran gewöhnen, aber jetzt gefallen sie auch ihr. Die übrigen sind in Kisten und Regalen in meinem Hobbyraum. Dafür sind sie eigentlich viel zu schade!" Signorine nennt er sie, Fräulein. OT Andrea Moretto: "Beruflich beschäftige ich mich mit Industriedesign und Messinstrumenten. Als meine Mutter mir vor zehn Jahren eine einfache, traditionelle und doch spezielle Moka schenkte, die nicht nur den Kaffee direkt in zwei Tässchen füllte sondern diese Tässchen auch noch anwärmte, war meine Neugier geweckt. Und da ich gerne auf Trödelmärkte gehe, habe ich angefangen nach anderen Modellen zu suchen. So ist daraus eine Leidenschaft und eine Sammlung geworden und ich bin heute hier." Andrea Moretto ist 37 Jahre alt. Schlank, dunkles kurzes Haar, wache Augen, Grübchen in den Wangen. Ein Bastler und Tüftler, der mit Hingabe alte Modelle restauriert und wieder funktionstüchtig macht. Seine signorine hier im Glanz der Scheinwerfer, auf Samt gebetet und in Glasvitrinen zu sehen, macht ihn glücklich. Zärtlich streicht er über eine geschwungene zweiarmige Caffettiera aus Messing mit Beschlägen aus einer Nickellegierung. Sie wurde vor der Jahrhundertwende gebaut und stand nur in den besten Häusern Italiens. OT Andrea Moretto: (Teuer) "Kaffee war damals unglaublich teuer. Anfangs war der Kaffee also ein Getränk der Aristokratie. In den Häusern der Adligen gab es schon bald aufwendige Apparate um die Kaffeebohnen zu rösten, zu mahlen und daraus das begehrte Getränk zu brauen. Das Rösten war und ist eine delikate Sache. Wenn die Bohnen zu kurz geröstet werden bleibt zu viel Säure übrig. Werden sie zu lange geröstet, schmeckt der Kaffee verbrannt, dafür braucht es einen Experten. Es gab dann Hausangestellte, die allein für das Kaffeerösten zuständig waren. Und solche, die ihn mahlten. Hier haben wir eine Kaffeemühle, die vor 150 Jahren benutzt wurde und die noch immer funktioniert. Ab und zu mahle ich mir damit ein paar Bohnen für meinen Kaffee. Dann geht Andrea Moretto weiter zu den Modellen neueren Datums. Handlich, praktisch, preisgünstig - ein Bestseller italienischen Industriedesigns. Mit ihnen begann die Demokratisierung des Kaffees, weil sich plötzlich fast jeder eine solche Moka leisten konnte. Auf vielen ist ein kleines Männchen mit rundem Bauch und schwarzem Schnauzbart abgebildet, das Markenzeichen des Traditionsunternehmens Bialetti. Die Ausstellung wird von der Firma finanziell unterstützt und die zuständige Mitarbeiterin Gaia Mazzon Die Ausstellung wird von der Firma finanziell unterstützt und die zuständige Mitarbeiterin Gaia Mazzon empfängt den Sammler mit einem herzlichem Lächeln. Moretto wird ein bisschen verlegen, er überspielt das durch Ironie. Atmo hoch So viele Moka wie er habe nicht einmal das Unternehmensmuseum, aber es gebe da zwei, drei Exemplare, um die er Bialetti doch beneide. Gaia Mazzon, die die Ausstellung organisiert hat, erklärt gerade einem Team vom Italienischen Fernsehen die Erfolgsgeschichte der Moka. bdie die Ausstellung organisiert hat, erklärt gerade einem Team vom Italienischen Fernsehen die Erfolgsgeschichte der Moka. OT Gaia Mazzon: (1933) "Wie sah die Moka in ihrem Geburtsjahr 1933 aus? Genauso wie heute. Sie hat sich nur minimal verändert, beispielsweise ist der Griff heute aus Plastik und nicht mehr aus Holz. Aber die Form ist gleich geblieben und war eine Hommage des Erfinders Alfonso Bialetti an die schmale Taille und die weit schwingenden Plisseeröcke seiner Frau. Bialetti war ein Erfinder aber kein Geschäftsmann. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs verkauft er nur wenige Exemplare. Erst als sein Sohn Renato aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte und ins Geschäft einstieg, begann der Siegeszug der Moka . Renato wollte sie in jeden italienischen Haushalt bringen und in die ganze Welt." Gaia Mazzon führt die Fernsehjournalisten weiter durch die Ausstellungsräume. Andrea Moretto reißt sich nicht darum, von ihnen interviewt zu werden. Im Grunde ist er ein schüchterner Mann, der fürchtet, wegen seines Hobbys für versponnen gehalten zu werden. Aber mit dem Sammeln aufhören kann er auch nicht. Wenigstens hat er sich Grenzen gesetzt, auf den Wunsch seiner Frau hin. So sammelt er nur Modelle, die in Italien entworfen und hergestellt wurden. OT Andrea Moretto (8021) Alle diese Modelle funktionieren mit Wasserdampfdruck. Wir haben uns auf den Druck konzentriert um den Kaffee stärker zu machen, das entspricht der italienischen Mentalität. Deutscher Filterkaffee ist Moretto ein Graus. Er hat ihn mal probiert während eines Urlaubs am Gardasee, aber kommentieren möchte er dieses Geschmackserlebnis nicht. Stattdessen zieht er aus seiner Jackentasche ein silbernes Schmuckstück hervor. Die kleinste Moka der Welt. Von ihm selbst entworfen. Sie hat auf einem Daumennagel Platz. Und das Beste: sie funktioniert. Mit einer Pipette füllt Andrea Moretto drei Tropfen Wasser ein, eine Fingerspitze Kaffeepulver und erhitzt die Miniatur-Moka über einem Teelicht. Nach kurzer Zeit kommt tröpfchenweise der Kaffee zum Vorschein. Kein besonders guter, das gibt Andrea Moretto gerne zu, aber die Aufmerksamkeit des Fernsehteams ist ihm so trotzdem sicher. MUSIK Verabschiedung Vom Salon an die Bar - Die Karriere des italienischen Kaffees. Das waren "Gesichter Europas" mit Reportagen von Kirstin Hausen. Die Literaturauszüge stammen aus dem Buch "Das Aroma des Kaffees" von Elisabetta Illy, erschienen im Höpli Verlag. Übersetzt von Kirstin Hausen und gelesen von Axel Gottschick. Musikauswahl und Regie: Babette Michel. Ton und Technik: Christoph Rieseberg und Kiwi Hornung Am Mikrofon war Anne Raith