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O-Ton 3 Menne Es ist immer noch der durchsetzungsstarke, nicht unbedingt partnerschaftliche Typ ge- fragt, die einzelnen Kämpfer. Die brutale Art ist political nicht mehr korrekt, aber an der Basis hat sich von den Einstellungen wenig verändert. O-Ton 4 Schewe-Gerigk Es muss neben dem Feminismus auch andere Wege geben, um gemeinsam mit den Männern die Gesellschaft voranzubringen. Denn die Demokratie ist nur eine halbe De- mokratie, wenn wir keine Geschlechterdemokratie haben. O-Ton 5 Möllring Es funktioniert nur, wenn man es mit einem Schuss Humor begleitet. Ansonsten dürfte es einigermaßen gefährlich sein, zu provokant aufzutreten Sprecher Akustisches Gruppenbild mit vier Damen und einem Mann. Spontane Reaktionen auf die Frage nach charakteristischen Merkmalen im sogenannten Geschlechterkampf. Sprecherin Professor Norbert Bolz, Leiter des Instituts für Sprache und Kommunikation an der Technischen Universität Berlin. Er kritisiert den traditionellen, feministisch geführten Ge- schlechterkampf als grob ungerecht gegenüber Männern; und als falsche Identifikations- folie für Frauen. O-Ton 6 Bolz Der Feminismus hat auf jeden Fall den Gedanken ins öffentliche Bewusstsein gehäm- mert, dass Männer Vergewaltiger sind. Dass die Gewalt in der Gesellschaft im Wesentli- chen ein männliches Phänomen ist und deshalb Frauen sich ganz anders definieren müssen und anders zu ihrer eigenen Identität kommen müssen als durch die Beziehung zum Mann. Während man bisher Geschlechter dadurch verstanden hat, dass sie sich aufeinander beziehen - Mann auf Frau und Frau auf Mann ? hat der Feminismus erst- mals versucht, ne weibliche Identität rein aus der Frau selber heraus zu konstruieren. Sprecher Wer so zuspitzt, provoziert Widerspruch. Quer durch das politische Spektrum sehen Frauen ihren Emanzipationserfolg: aber als Schnecke mit männlichen Hindernissen. O-Ton 7 Pau Verdienst der Feministinnen und vielleicht auch der Publikationen, die im vergangenen Jahrhundert in den 70er und, 80er Jahren entstanden sind, ist sicherlich, dass auf das Problem, dass es keine reale Gleichstellung und Chancengleichheit zwischen den Ge- schlechtern gibt, aufmerksam gemacht wurde, also mehr aufmerksam als in alltäglichen Auseinandersetzungen. Sprecherin Petra Pau, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages von der Partei die Linke. O-Ton 8 Menne Die Fronten sind ja gerade heute wieder sehr aktuell. Dass man eben sagt, die natürli- che Bestimmung der Frau ist eben die an Heim und Herd, dieses Rollenverständnis der Frau, diese Geschlechterteilung, da werden bestimmte Rollen zugeschrieben. Sprecherin Claudia Menne, Leiterin der Abteilung Frauenpolitik beim DGB. O-Ton 9 Schewe-Gerigk Gesetze haben ja eine Signalwirkung, aber diejenigen, die da nicht mitmachen wollen, haben die Möglichkeit, das auch zu unterminieren. Ich weiß z.B., weil ich selbst Gleich- stellungsbeauftragte an einer Hochschule war, dass, wenn man es möchte, Quote nicht anwenden muss. Es gibt noch sehr viele Köpfe, die sind der Meinung, wir haben Geset- ze und Verordnungen und das wird es schon richten, ich selbst muss nichts dafür tun. Sprecherin Irmingard Schewe-Gerigk, Sprecherin für Frauenpolitik von Bündnis 90/Die Grünen und Mitglied im Bundestagsausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. O-Ton 10 Möllring Die Frauen haben ganz große Sprünge in diesen letzten 25 Jahren in ihrem individuel- len Leben gemacht. Und wir sind mit der Politik einfach nicht so richtig hinterher ge- kommen, und ich muss auch sagen, die Männer sind vielleicht noch nicht so ganz hin- terher gekommen. Gerade was die Politik betrifft, haben wir in den letzten zwei, drei Jahren eher eine rückläufige Tendenz. Wir sind in den letzten Jahren, und zwar in allen Parteien, überall doch ein Stückchen zurückgefallen. Sprecherin Eva Möllring, CDU, stellvertretende Bundesvorsitzende der Frauen-Union und Mitglied im Bundestagsausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Sprecher Nach über 30 Jahren Geschlechterdebatte verbuchen wir eine komplexe Gemengelage. Darin enthalten sind Eindeutigkeiten und Missverständnisse, echte Zweifel und falsche Versprechungen, gegenseitige Vorwürfe und Provokationen, aber auch Reflexionen und Hoffnungen. Aus all dem und vielem mehr speist sich der anhaltende Kampf der Ge- schlechter um Chancengleichheit und Gleichberechtigung. Musik Sprecherin Rückblick auf eine zeitgeschichtliche Zäsur. Sie ist eng verknüpft mit ihrer Hauptdarstel- lerin: Alice Schwarzer. O-Ton 11 Schwarzer Männer haben heute was zu verlieren und darum ist die Geschlechterfrage eine Macht- frage. Hier werden Frauen reduziert zu relativen Wesen, die daheim sitzen und bibbern, wäh- rend Männer das Weltgeschäft machen. Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber: Wenn Sie ein weiblicher Mensch wären und säßen so im Fernsehen, wie Sie hier sitzen, dann würden schon alle Kanäle heiß laufen und die würden sagen die Leute, die alte Schlampe, wie sitzt die da? Sprecherin Alice Schwarzer in den 70er und 80er Jahren. Bei unzähligen Medienauftritten ist sie mit Männern nicht umgegangen, sondern auf sie los. Immer aggressiv, immer holzschnittar- tig vereinfachend, nie differenzierend. Ihre Adressaten waren keine männlichen Indivi- duen, sondern typologisierte Mängelwesen. Der so angesprochene Mann reagierte dar- auf. O-Ton 12 Talkgast, Mann Es ist nie so richtig ausgesprochen, aber es klingt immer so zwischen den Zeilen durch: Alle sollen also Menschen sein. Frau ist gut, Mensch ist gut, Mann ist schlecht. Sprecher Hinter der verbal-ironischen Spitze zeigt sich ein ernsthaftes Problem. Es ist der Dauer- widerspruch zwischen dem biologischen Geschlecht des Mannes und der ihm zuge- schriebenen gesellschaftlichen Funktion. Für Norbert Bolz hat er die Geschlechter von sich selbst und ihrem Gegenüber getrennt. O-Ton 13 Bolz Die einzigen wirklich unbezweifelbaren Folgen, die der Feminismus hatte, sind - außer der Tatsache, dass Frauen eins zu eins ins Berufsleben überwechseln konnten ? die absolute Identitätsverunsicherung der Männer. Der Feminismus hat sicher weniger für die Frauen getan als gegen die Männer. Da sehe ich auch langfristig das größte Prob- lem, dass es Männern heute sehr schwer geworden ist, sich anders als in den Interpre- tationskategorien des öffentlichen Feminismus noch selber zu identifizieren, ihren eige- nen Ort zu bestimmen. Gerade heute gibt es zahllose Männer, die sich selbst mit dieser zugeschriebenen Rolle qualifizieren und dann in eine Büßerrolle schlüpfen. Insgesamt ist es so, dass sich das Verhältnis von männlich und weiblich, vom Verhalten zwischen Mann und Frau ganz, ganz stark abgelöst hat. Wir spüren mittlerweile die Folgenlasten dieser Emanzipation, also der Emanzipation des Weiblichen von den Frauen und der Emanzipation des männlichen von den Männern. Wenn ich etwa in der Politik heute nach einer männlichen Figur suche, dann fällt mir Maggie Thatcher ein. Sprecherin Eifriger, genauer gesagt, sich ereifernder Feminismus hat lange Zeit die Auseinander- setzung der Geschlechter als allgemeine Kampfzone betrieben und die intime Begeg- nung im Bett als individuelles Schlachtfeld. Feministisch bewegte Frauen sollten dem testosterongesteuerten Triebtier Mann Einhalt gebieten. Alice Schwarzer erklärte in ih- rem größten Bucherfolg ?Der kleine Unterschied? den Geschlechtsverkehr als einen für die Frau grundsätzlich demütigenden Gewaltakt. Zitator Hier wird der Geschlechterkampf entschieden. Ganz offen geht es um die Unterwerfung der Frau und die Machtausübung des Mannes. Sprecherin Mit Verfolgungsideen dieser Güteklasse hat Alice Schwarzer weitere hervorgerufen. Ei- nige davon lebten sich in hunderttausendfach verkauften Buchbestsellern aus. Vom ?Tod des Märchenprinzen? bis hin zu der fundamentalistischen Erkenntnis ?Nur ein toter Mann ist ein guter Mann.? Alles mündete ein in die feministische Kampfformel, der Mann sei ein gesellschaftliches Mängelwesen. Norbert Bolz kann den Vorwurf denkgeschicht- lich aus höherer Perspektive entkräften. O-Ton 14 Bolz Der Mann ist natürlich ein Mängelwesen, aber nur deshalb, weil alle Menschen Mängel- wesen sind. Es fehlt jedem Mensch etwas Wesentliches und dieses Wesentliche hat man traditionell im anderen Geschlecht gesucht. Das ist ja schon der Mythos des Aris- tophanes: Jedes Geschlecht sucht sein Komplement, um dann die Erfahrung von Ganz- heit zu machen, das entspricht natürlich nicht mehr unserer Erfahrung. Sprecher Wir haben durch Jahrtausende der Kulturgeschichte hindurch erfahren müssen, dass auch das nicht zur Ganzheit führt. Dem traditionellen Feminismus hat das noch nicht gereicht. Er hat die Geschlechterbeziehungen zur permanenten menschlichen Tragödie stilisiert. O-Ton 15 Bolz Der Feminismus hat daraus die Konsequenz gezogen, ganz darauf zu verzichten, also die Geschlechterspannung nicht mehr zum Grund unserer Existenz zu machen, sondern in der Differenz der Geschlechter im Grunde nur eine Bedrohung der weiblichen Identität zu sehen. Ich glaube, über diesen Stand der Dinge sind wir auch heute, wo der Femi- nismus sich doch etwas ziviler und bürgerlicher gibt als noch in den 60er, 70er Jahren, noch nicht wesentlich hinausgekommen. Sprecherin Immerhin. Heute deuten manche Anzeichen auf Entkrampfung hin. Aber nicht nur dumpfgeistige Machos haben große Probleme mit dem traditionellen Feminismus, son- dern auch intelligente Frauen. Aus wohlverstandenem Eigeninteresse. Weil sie erfahren haben, dass allzu platte Blattschüsse auf Männer auch nach hinten losgehen können. Irmingard Schewe-Gerigk und Claudia Menne: O-Ton 16 Schewe-Gerigk Ich glaube, dass es wichtig ist, dass eine bestimmte Avantgarde Dinge öffentlich macht, sie zuspitzt, vielleicht sie auch übertreibt, um auf einen gewissen gesellschaftlichen Zu- stand hinzuweisen. Vielfach geht es allerdings dann ins Gegenteil über, so dass Männer sagen, jetzt mache ich alle Schubladen zu und jetzt möchte ich mich damit nicht auseinandersetzen. Das ist dann das Problem, welchen Zugang habe ich denn zu dem anderen Geschlecht, hilft denn der Geschlechterkampf wirklich weiter, oder sind wir jetzt an einem Punkt angekommen, wo wir sagen, wir müssen die Geschlechterdemokratie gemeinsam mit den Männern voranbringen. O-Ton 17 Menne Was ich feststelle, ist auch so ne Generationenfrage. Dass wir eben so die alten Kämp- ferinnen haben, die auch immer noch präsent sind auch hier in den Gewerkschaften eben, die seit 20, 30 Jahren Gleichstellungspolitik betreiben und dann die Generation der jungen Frauen, die sich gerade orientieren und überlegen: Brauchen wir Feminis- mus eigentlich noch? Eher Skepsis, sich da verorten zu wollen und zu sagen, ich bin frauenbewegt, ist ja für diese Generation von jungen Frauen eher, was sie ablehnen als etwas, was sie mit Stolz erfüllen würde. Gleichzeitig gehen sie davon aus, dass sie gleichberechtigt selbstbestimmt entscheiden können, wie sie ihr Leben gestalten wollen. Musik: Frauen sind keine Engel Sprecher Die Feministinnen der zurückliegenden vier Jahrzehnte haben zu Recht auf Defizite bei der Gleichberechtigung der Geschlechter aufmerksam gemacht. Die Chancen auf ge- sellschaftliche Aushandlungsprozesse zwischen ihnen haben sie in ihrem Eifer eher er- schwert. Vor diesem Hintergrund kann ?Mann? mit Fug und Recht fragen, ob feministi- sche Vorkämpferinnen der ?Frau von heute? sozusagen als avantgardistische Dauerbe- auftragte noch wirklich hilfreich sind. O-Ton 18 Pau Ich bin da immer skeptisch, die Feministinnen der 70er, 80er Jahre haben etwas ange- stoßen, dann können das natürlich auch heute entsprechende Vorkämpferinnen. Ich habe auch in meiner Partei, die Linke, eine Gruppe von besonders feministisch enga- gierten Frauen, die gelegentlich Frauen wie Männern auf die Nerven gehen, anderseits haben sie natürlich die Funktion, auf Missstände so aufmerksam zu machen, dass man sich drum kümmert. Aber allein mit einer solchen Avantgarde werden wir das Problem, das wir in dieser Gesellschaft noch haben, nicht lösen. Sprecherin Als Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags gilt Petra Pau als politische Karrierefrau. Ihre persönliche Erfahrung mit ihren gerne geschlechterfortschrittlich auftretenden Par- tei-Herren verdeutlicht das Problem ? und zeigt den selbstbewusst eingeschlagenen Lösungsweg. O-Ton 19 Pau Zum Beispiel hat sich meine eigene Partei erst eine sehr lange Suche nach einem Di- rektkandidaten im wichtigen Berliner Bundestagswahlkreis Mitte/Prenzlauer Berg geleis- tet und dort haben Fraktions- wie Parteivorsitzender ganz selbstverständlich nach einem männlichen Kandidaten gesucht. Dieser konnte nicht mehr antreten, dann haben wir hier in Berlin entschieden, ich ? Petra Pau ? versuche den Bundestagswahlkreis gegen Wolf- gang Thierse, gegen Günter Nooke zu gewinnen. Zum Schluss habe ich ihn ganz knapp gegen Wolfgang Thierse gewonnen, aber auch gegen die Männer in meiner eigenen Partei, die zum Beispiel ? der Wahlkampfleiter noch im Sommer - Interviews gegeben haben, wo sie gesagt haben: die Frau schaffts nie. Sprecher Gerade in Schlüsselbereichen wie Politik, Wirtschaft und Wissenschaft können Frauen heute männliche Widerstände gegen ihre Interessen immer besser parieren. Das liegt an ihren persönlichen Fähigkeiten ? etwa guter Ausbildung mit entsprechenden Ab- schlüssen ? für Norbert Bolz aber auch an veränderten kulturellen Wertemustern. O-Ton 20 Bolz Es geht um eine Art Neupositionierung der Geschlechter in der modernen Gesellschaft. Und da gibt es nun keinen Zweifel, dass gerade die moderne Gesellschaft weibliche Charakteristika prämiert. Und so kann man im Grunde sagen, dass die Frauen einen doppelten Sieg errungen haben in der modernen Gesellschaft: Einerseits gibt es zu- nehmend Frauen, die männliche Machtattribute sich aneignen und auf der anderen Sei- te gibt es eine große Prämie auf weibliche Eigenschaften. Sprecherin Tatsächlich erscheint das Bild der Frau heute oft klischeehaft vereinfacht als Synthese der Spitzenwerte unserer Kultur. Sie ist beruflich erfolgreich, selbständig, unabhängig. Gleichzeitig verkörpert sie Werte wie Familie, Kinder und Erziehung. Norbert Bolz sieht daneben nur noch wenig Raum für positive männliche Rollenbilder. O-Ton 21 Bolz Denken Sie nur an Begriffe wie Kompromissbereitschaft, Konsens, Toleranz und ähnli- ches mehr. Auch die große Bedeutung von Kommunikation in der modernen Gesell- schaft ? all das spricht für weibliche Qualitäten. Deshalb kommt es nicht von ungefähr, dass die Geschichte, der zweiten Hälfte jedenfalls des 20. Jahrhunderts, im Wesentli- chen auch ne Geschichte der Emanzipation und Machtergreifung der Frauen in der mo- dernen Gesellschaft ist. Sprecher Für Deutschland ist dies seit zwei Jahren unübersehbar. Mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie steht an der Spitze der politischen Machthierarchie. Trotz vermeintlicher männlicher Übermacht im System Politik. Sprecherin Deutschland am Abend der Bundestagswahl 2005. Der abgewählte Alpha-Mann der Rot-Grünen Regierung, Gerhard Schröder, kann das klare Abstimmungsergebnis nicht akzeptieren. O-Ton 22 Schröder / Merkel Glauben Sie im Ernst, dass meine Partei auf ein Gesprächsangebot von Frau Merkel bei dieser Sachlage einginge, indem sie sagt, sie möchte Bundeskanzlerin werden? Wir müssen die Kirche doch mal im Dorf lassen. In dem Falle, wo zwei Parteien zusammenkommen müssen, die eine Mehrheit bilden, stellt die stärkere Fraktion auch den Bundeskanzler. (Merkel) Sie wird keine Koalition unter Ihrer Führung mit meiner sozialdemokratischen Partei hinkriegen, das ist eindeutig. Sprecher Heute ist Gerhard Schröder politische Geschichte, die Frau im Kanzleramt politischer Alltag. Wie viel daran ist auch politische Normalität? O-Ton 23 Bolz Gerhard Schröder war der größte deutsche Medienstar der Politik, weil er alle Wünsche seiner Wähler erfüllt hat. Das waren primär Frauen. Insofern ist das eine wunderbare Ironie der Zeitgeschichte, dass der Liebling aller emanzipierten Frauen selber ein Alpha- Male war. Die Erfolgsgeschichte von Frau Merkel hängt ganz zweifellos damit zusam- men, dass sie die Komplementärfigur von Schröder ist. Frau Merkel ist all das nicht, was Schröder war und umgekehrt hat sie all die Qualitäten, die Schröder nicht hatte. Das nicht Schöne an ihr, das nicht Elegante, das nicht Medienförmige, das wird ihr als Au- thentizität, als Glaubwürdigkeit gutgeschrieben. Sprecherin Das ist es nicht alleine. Bereits als Generalsekretärin der CDU hat Angela Merkel 1998 der Männerkonkurrenz öffentlich angekündigt, was von ihr machtechnisch zu erwarten ist. In der Sendung ?Hart aber fair: O-Ton 24 Merkel Ich vergleich das immer mit dem Spiel ?Schiffe versenken?, das hat mir immer viel Spaß gemacht und wenn man intelligent in die Waden beißt, dann ist das etwas Gutes. Scheu vor Auseinandersetzungen habe ich nicht. Sprecher Mit diesen Fähigkeiten musste Angela Merkel Karriere machen: Bundesministerin, Frak- tionsvorsitzende, Bundeskanzlerin. Stationen, die sie auch mit Machttechniken herbei- geführt hat, die man Männern wie selbstverständlich vorwirft. Machtallianzen schmie- den, Netzwerke aufbauen, sich mit den richtigen Leuten verbünden. Ihrem Patriarchen Helmut Kohl hat sie am Tiefpunkt seiner Spendenaffäre das politische Ende bereitet, ihren Widersacher Friedrich Merz aus der Fraktionsspitze vertrieben und Edmund Stoi- ber vorgeführt, wie man wirklich ins Bundeskanzleramt kommt. Dafür ist sie von vielen gelobt worden. Sprecherin Man kann das bewundern. Man kann aber auch fragen: Sind diese Machttechniken eher salonfähig ? vielleicht sogar ethisch wertvoll ? wenn sie von einer Frau gegenüber Männern mit Erfolg eingesetzt werden? Verschieben sich dann aber nicht die ethisch-moralischen Wertmaßstäbe insgesamt? Wenig deutet bisher darauf hin, dass Angel Merkel die Gleichstellung von Mann und Frau in der Gesellschaft als wichtige Aufgabe ihrer politischen Arbeit sieht. Sprecher Die Merkmale des Erfolges von Angela Merkel ? vor allem der über Helmut Kohl ? pas- sen dafür umso besser in ein anhaltendes gesellschaftlich-kulturelles Klischee: der Mann als großer Dinosaurier mit kleinem Hirn und wenig Anpassungsfähigkeit an verän- derte Zeiten. Sozialwissenschaftler haben es mit der ?Ridikülisierung des Mannes? um- schrieben. Norbert Bolz bringt sie auf den Punkt. O-Ton 25 Bolz Die Männer werden - und zwar schon seit Jahrzehnten - lächerlich gemacht. Adorno hat schon für die 50er Jahre festgestellt, dass der Mann zur lächerlichen Gestalt wird. Wenn Sie heute etwa Werbesendungen betrachten, dann tauchen Frauen immer nur als Star- ke auf, während Männer prinzipiell peinlich und lächerlich sind. Sprecherin Vor dem Hintergrund unserer alles durchdringenden Medienentwicklung bleibt das nicht ohne Folgen für gesellschaftlich dominierende Rollenbilder. O-Ton 26 Bolz Diese Medienwelten haben Wirkung, denn es bleibt nicht nur bei der Werbung, wenn Sie Rollenmuster, die männliche Figuren in Filmen etwa begleiten, angucken, dann se- hen Sie, dass dort vieles vorkommt, aber nicht mehr ein erwachsener Mann. Es gibt zwar den He-Man, es gibt den Athleten, den Bodybuilder, es gibt den gewaltsamen Sexprotz, aber dass man einmal einen erwachsenen, reifen Mann im Fernsehen oder im Kino sehen würde, das ist sehr, sehr selten. Das ist sicher ein Effekt des Feminismus, dass das Bild des erwachsenen Mannes zersplittert wird in Facetten, die alle in sich lä- cherlich sind. Sprecher Sind als Rollenvorbilder nicht andere Vorstellungen und Visionen gefragt? Müssten wir den Blick nicht mehr darauf richten, dass vorhandene Probleme mit der Gleichstellung von Mann und Frau gemeinsame Probleme sind? Heißt das für Frauen nicht, auch da hinzusehen, wo Männer benachteiligt sind? Was für Frauenohren absurd klingen mag, ist immerhin absurde Realität. Sprecherin Paragraph 1 Bundesgleichstellungsgesetz. Zitator Dieses Gesetz dient der Gleichstellung von Frauen und Männern. Sprecherin Paragraph 2: Zitator Alle Beschäftigten (?) sind verpflichtet, die Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern. Sprecherin Paragraph 16: Zitator In jeder Dienststelle mit regelmäßig mindestens 100 Beschäftigten ist aus dem Kreis der weiblichen Beschäftigten eine Gleichstellungsbeauftragte nach geheimer Wahl durch die weiblichen Beschäftigten (?) zu bestellen. Sprecher Dass Männer nicht mitwählen dürfen, ist rechtswidrig. Das Grundgesetz und das EU- Recht verbieten Benachteiligungen jeglicher Art ? vorneweg die wegen des Ge- schlechts. Fragt man frauenbewegte Abgeordnete, warum sie dagegen nicht vorgehen, hört man den Begriff der positiven Diskriminierung. Gemeint ist das Aufholen bei der Gleichstellung bisher benachteiligter Frauen. Aber kann altes Unrecht mit neuem aus- geglichen werden? Sprecherin In der gesellschaftlichen Auseinandersetzung der Geschlechter kann man heute wie eh und je die sprichwörtlichen zwei Seiten der einen Medaille wahrnehmen. Sprecher Einerseits: Sprecherin Immer noch besetzen ganz überwiegend Männer gesellschaftliche Machtpositionen. Das belegen eindeutige Fakten: Alle 30 Vorstandsvorsitzenden der börsennotierten DAX-Unternehmen sind Männer. Alle deutschen Ministerpräsidenten sind Männer. Immer noch sind für Männer ihre Machtstellungen auch eine Hauptquelle für die Art und Weise, wie sie den Geschlechterdialog führen: mit herabsetzenden Sprachfloskeln a la Helmut Kohl, der Angela Merkel als sein ?Mädchen? führte. Oder sogar mit sexistischen Diskriminierungen untersten Niveaus a la Ministerpräsident Günther Oettinger. Der gra- tulierte im August seinem CDU-Parteifreund Klaus Tappeser öffentlich so zum Ge- burtstag: Zitator Wenn er nicht Oberbürgermeister geworden wäre, wäre er sicher auch ein glänzender Frauenarzt geworden ? bei den vielen Verehrerinnen, die hier sind. Sprecherin Die CDU-Frau Eva Möllring kennt das ? von Herren aus allen Parteien. Für sie sind es oft Männer, die sich ihrer Macht sehr bewusst sind und vielleicht gerade deshalb in ihrer Persönlichkeitsentwicklung unbewusst zurückgeblieben sind. O-Ton 27 Möllring Das macht mich sehr betroffen, wie wir doch noch ziemlich viele Männer haben, denen diskriminierende, herabwürdigende Äußerungen so locker über die Lippen gehen und die auch nicht meinen, dass sie irgendwie was Schlimmes gesagt hätten. Ich glaube, es hängt ein Teil damit zusammen, dass natürlich die Männer weitgehend auch noch Machtpositionen haben. Wir haben jetzt eine Bundeskanzlerin, aber auch diese Bun- deskanzlerin befindet sich in männlicher Begleitung, und deswegen haben Männer lei- der auch, um Macht auszuüben, nicht die Notwendigkeit, ihre Sprache zu überdenken, ihre Äußerungen einer Prüfung zu unterziehen. Sprecher Andererseits: Sprecherin Immer noch gibt es die Angst vieler Männer vor der starken Frau. Und Entwicklungen, die belegen, dass ?Mann sein?, oder es werden, künftig zunehmend als riskant empfun- den werden kann. Mädchen sind Spitze in Schule und Berufsausbildung, bei Hoch- schulabschlüssen und vielen sogenannten Karrierefächern. Jungen sind Spitze bei psy- chischen Problemen oder der Schulabbrecherquote, bei den Gewaltstraftaten und der Selbstmordrate. Befunde, die immer mehr an Bedeutung gewinnen werden. Weil die Fragen nach Gleichberechtigung und Chancen in der modernen Industriegesellschaft immer weniger vom Kampf der Geschlechter abhängen. Sprecher ?It?s the economy, stupid!.? Was Bill Clinton immer als wichtigstes Gesellschafts-Gesetz definiert hat, kann man direkt auf die Geschlechterfrage übertragen. Wirtschaftliche und technische Leistungsfähigkeiten sind die entscheidenden Bestimmungsfaktoren. Ob sich Feministinnen gegenüber Männern über die Rolle der Frau ereifern, wird zunehmend belanglos. Globalisierte Industriegesellschaften können es sich schon aus Effizienz- gründen nicht leisten, selbstbewussten, gut ausgebildeten Frauen keine guten Positio- nen einzuräumen. Allein schon deshalb wird der Geschlechterkampf an Bedeutung ver- lieren. An seine Stelle rücken permanente Lernfähigkeit, Frustrationsverhalten, Strate- giedenken, kurzum Exzellenz - ganz gleich, ob Männer oder Frauen darin kompetenter sind. Norbert Bolz und Petra Pau: O-Ton 28 Bolz Ich glaube, das ist ne sehr interessante Perspektive. Überall da, wo Frauen einfließen, kriegen die Männer nicht nur Konkurrenz, sondern die Männer fliehen aus diesen Berei- chen. Das macht natürlich die Frauen nervös, weil sie dann immer das Gefühl haben, trotz gewaltiger Erfolge, die sie erringen Jahr für Jahr, immer noch nicht da zu sein, wo das wirklich Entscheidende geschieht. Und insofern fetischisiert sich Macht immer mehr. Frauen denken immer, die Macht ist dort, wo sie nicht sind. Aber das ist natürlich ein Aberglaube. O-Ton 29 Pau Mir ist aufgefallen, dass Frauen, die versuchen, die besseren Männer zu sein, zum Schluss auch nicht durchsetzungsfähig sind, sondern bei Männern eher solche Urängste hervorrufen und damit noch ganz andere Auseinandersetzungen provozieren, während gelegentlich männliche Kollegen zu der Erkenntnis kommen, wenn Frauen auf ihre manchmal auch effizientere Art Entscheidungen herbeizuführen, zuzuhören vielleicht, bevor sie etwas entscheiden, auch sie mit voranbringen könnten. Sprecherin Im Kampf der Geschlechter steckt sicher keine schlüssige Zukunftsperspektive, schon eher im königlichen Spiel Schach: dort ist die Dame zwar die mächtigste Figur, aber oh- ne den König kann sie nicht existieren. Im wirklichen Leben muss das auch umgekehrt gelten. Gefragt ist der verantwortungsbewusste ?männliche? Mann. Nicht die Spezies, die das Klischee vom männlichen Makel bedient. Die ?Frau von heute? weiß, es bildet immer weniger unsere gesellschaftliche Realität ab. Irmingard Schewe-Gerigk: O-Ton 30 Schewe-Gerigk Ich habe den Eindruck, dass inzwischen doch ne Reihe von Männern begriffen haben, dass sie nicht ihre Männlichkeit so leben können, dass sie unabhängig davon ist, was sie damit in der Gesellschaft anrichten. Und ich finde, diese zu unterstützen und den anderen zu sagen, so wie ihr da lebt, ist das eigentlich nicht gewünscht in der Gesell- schaft, das scheint mir der richtige Schritt zu sein. Aber alle Männer mit einem Makel zu behaften, das wäre jetzt auch nicht meine Vision. Spr. vom Dienst Der männliche Makel - Vom Nutzen und Schaden des Geschlechterkampfes Von Heiner Dahl Es sprachen: Regina Lemnitz und Markus Hoffmann Ton: Ralf Perz Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2007 16