COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandrundfahrt Wacht auf der Düne Sendung am 14.02.2009, 15.05 Uhr Kegelrobben auf Helgoland Musik Titelmusik 1. Oton Natur pur, herrliches Wetter, am Strand spazieren gehen, kein Autogestank, keine Hektik. Musik Titelmusik 2. Oton Es ist aber auch so, geht bei Ihnen mal die Gardine nicht auf, und zwar über längere Zeit, um Gottes willen. Musik Titelmusik 3. Oton Meine Liebe zu den Robben besteht jetzt schon einige Jahre, und wo kriegt man sie so nahe an Luxemburg ran als auf Helgoland? Musik Titelmusik 4. Oton Das sind Helgoländer. Also die Frage hat sich für die Helgoländer niemals gestellt. Für die gab es immer nur das eine Ziel zurück "i blona" auf ihre Insel. Musik Titelmusik Sprecherin v.D. Wacht auf der Düne Kegelrobben auf Helgoland Eine Deutschlandrundfahrt mit Paul Stänner Regie Motorengeräusch eines Flugzeugs am Start Autor Der Flugplatz Uetersen in der Nähe von Hamburg sieht weitestgehend noch so aus, wie er im Zweiten Weltkrieg von Jagdflugzeugen und Transportern genutzt wurde. Die Grasnarbe ist in diesen Wintertagen gut festgefroren, die Maschine rumpelt über die Startbahn und nimmt allmählich Geschwindigkeit auf. Das Flugzeug ist eine Britten-Norman Islander, wie der Name schon andeutet, ein Flugzeug, das speziell für den Flugverkehr zu Inseln konzipiert wurde. Inseln mit kurzen Landebahnen. Manche mit sehr kurzen Landebahnen. Später lese ich, die Islander habe sich im Verlauf ihrer Geschichte zum "Inbegriff des Buschflugzeugs" entwickelt. Was mich im Nachhinein beruhigt. Man sollte so etwas vorher gesagt bekommen. Der Pilot ist irgendwas zwischen dreißig und vierzig Jahren, die langen Haare und der Vollbart stehen ihm vom Kopf ab wie bei einem Rastafari. Für mein laienhaftes Empfinden sehen Pilot und Maschine aus, als kämen sie von irgendwo nördlich der Bering-See. Ich kann mich aber auch täuschen. Im Flugzeug ist es eng, Pilot und Kopilot sitzen Schulter an Schulter. Das schlanke Flugzeug hat keinen Mittelgang, wie beim Auto hat jede Sitzreihe ihre eigene Tür. Auf diesem Flug nach Helgoland, Deutschlands einziger Hochseeinsel 70 Kilometer vor der Küste, bin ich der einzige Passagier, was in mir eine gewisse privilegierte Stimmung auslöst, die ich mir nur selten leisten kann. Unter uns liegt das vereiste Elbufer, große Überseeschiffe gleiten gemächlich den Fluss hinauf in den Hamburger Hafen. Beim Betrachten der Schiffe entdecke ich den kleinen, wirklich unbedeutenden Riss im Seitenfenster, der gerade einmal die Hälfte der Scheibe durchschneidet und im Übrigen recht dicht zu sein scheint. Was schon eher irritiert, ist die wellige Einfassung der Scheibe, die sich aber wohl aus den harten Starts und Landungen auf dem Rumpelfeld von Uetersen erklärt. Der Pilot dreht sich zu mir um. Er heißt Jens Teichmann, hat dicke Kopfhörer auf und bemüht sich, bei seinem einzigen Passagier Vorfreude auf die Landung zu wecken. 5. Teichmann Das muss man generell üben, also jeder Pilot, der mit der Britton Norman Islander landet, gewerblich, der braucht eine spezielle Einweisung und ansonsten alle anderen Piloten, die hier landen wollen, die müssen mit einem Fluglehrer - das ist eine Empfehlung - eine Einweisungsberechtigung machen von mindestens zehn Platzrunden... Autor Nach ca. 30 Minuten beginnt der Anflug auf Helgoland. Zwischen den Köpfen der Piloten erkenne ich den rötlichen Felsbrocken, der sich, bedeckt von einer grünen Grasdecke, abrupt aus der Nordsee erhebt und rechts davon die Fläche der so genannten Düne. Helgoland besteht eigentlich aus zwei Inseln, nachdem in der Neujahrsnacht 1720/21 eine schwere Sturmflut einen Kanal durch die ehemals große Insel geschlagen hat. Dann taucht vor uns die Landebahn auf, die auf mich einen beunruhigend kurzen Eindruck macht. Zudem glitzert wenige Meter vor und hinter der Landebahn dunkelgrünes, kaltes Wasser. 6. Teichmann Das Problem liegt darin, dass die Bahn so kurz ist, nee, und man muss mit einer relativ guten und gleichmäßigen Geschwindigkeit anfliegen, dass die Landung kurz ist auf der Bahn, wenn man zu schnell anfliegt, dann reicht die Bahn nicht aus, um sicher landen zu können, und wenn man zu langsam anfliegt, dann landet man nicht auf der Bahn, sondern eben im - Sand. Autor Zu früh oder zu spät - das Ergebnis wäre beides Mal dasselbe und schlecht. Die Piloten arbeiten konzentriert und zielsicher, die Maschine setzt auf, wo ich sie auch aufgesetzt hätte und rollt wohlbehalten aus. Regie Motoren kommen zum Stehen, es ist ruhig 7. Teichmann Wir machen das so, dass wir mindestens dreißig Platzrunden hier fliegen, auf verschiedenen Bahnen, an verschiedenen Tagen, zu verschiedenen Witterungsbedingungen, damit wir eben auch sicher sind, dass der- oder diejenige hier sicher landet und startet. (Gerumpel)...das ist das Besondere an Helgoland. Autor Habens Sie's gehört? - der Mann hat gesächselt. Ich bin mit einem sächsischen Piloten in einem englischen Flugzeug auf eine deutsche Insel geflogen - das ist Globalisierung! Und jetzt stehe ich auf der Betonpiste der Düne von Helgoland und zerre meinen Koffer zu dem kleinen Hafen, um auf die richtige Insel überzusetzen, auf den roten Felsen von Helgoland. Musik 1 Interpret: Stoppok Titel: Wetterprophet Komponist: D.Dzink Text: St.Stoppok LC/Best.-Nr.: Ariola, LC 00116 Autor Die Ankunft auf dem Felsen Helgoland erfolgt auf der Binnenreede. Und sofort zeigt sich das Problem einer Ferieninsel im Winter: Die meisten Lokale, fast alle Hotels, das meiste von allem hat geschlossen. Also reduziert sich die Möglichkeit, eine warme Mahlzeit zu bekommen, auf ein Minimum. Das Minimum offener Lokale wird noch halbiert durch die gefürchteten Ein-Raum-Kneipen, in denen geraucht werden darf. Und dort wird so hemmungslos gequarzt, als würde am nächsten Morgen die therapeutisch-klare Seeluft jeglichen Missbrauch wieder ungeschehen machen. Als ich endlich ein Lokal finde, das passt, könnte ich vor Hunger zum Freibeuter werden. Mein Vorgänger Klaus Störtebeker wurde in Sichtweite vor Helgoland gefasst, wahrscheinlich war auch er hungrig im Winter auf der Insel. Regie Atmo Bootsüberfahrt Autor Die Wintersaison auf Helgoland hat einige Besonderheiten. Zum einen gibt es kaum Wintertouristen und ungefähr die Hälfte der Einwohner ist verreist, um sich von den Sommertouristen zu erholen. Man erlebt eine wunderbar stille Insel. Und dann findet in der Wintersaison noch ein Naturereignis auf der Düne statt. Dort versammeln sich Dutzende oder noch mehr Kegelrobben, um ihre Jungen auf die Welt zu bringen. Eine kleine Herde Wintertouristen hat sich Rolf Blädel angeschlossen, der ist ein stattlicher Mann mit Bart, Norwegerpullover und grüner, wattierter Jägerweste. Blädel ist Wildhüter und Seehundjäger, was einigermaßen erstaunlich ist. Regie Atmo hat unter dem Autor gewechselt in eine Strandatmo mit Stimmen. 8. Blädel Die Kegelrobben unterliegen dem Artenschutz, aber die Seehunde nach wie vor dem Jagdrecht, obwohl sie seit 1974 ganzjährig geschont sind. Aber die Hege und Pflege muss durch einen Bundesjagdscheininhaber durchgeführt werden, denn es ist ab und zu die unangenehme Aufgabe, auch mal ein Tier aus dem Bestand zu nehmen, und wer mit der Waffe rumläuft, der soll verdammt noch mal auch die Eignung dafür nachgewiesen haben. Autor Den Satz mit der Eignung, die ein Waffenträger nachgewiesen haben muss, kann der bärtige Rolf Blädel deshalb so knackig sagen, weil er sich vor Jahren als Polizist nach Helgoland versetzen ließ. Endlich Insel, sagte er damals. Jetzt ist er in Rente und im Naturschutz, aber immer noch von Erfahrung und auch Statur recht durchsetzungsfreudig. Die Seehunde im Übrigen werden häufig von Lungenwürmern heimgesucht, die sie mit den Fressfischen aufnehmen. Anders als im Fisch arbeitet sich im Seehund der Wurm durch den Körper und zerstört ihn. Die Natur kann grausam sein. Aber uns geht es ja nicht um den Seehund, sondern um die Kegelrobbe. 9. Blädel Die Kegelrobben haben den kegelförmigen Kopf, bei dem Bullen konnte man das eben deutlich sehen, die großen Nüstern, die breite Schnauze und die Seehunde haben eine verhältnismäßig kurze Schnauze und einen runden Kopf. Und vor allen Dingen eins, die Seehunde haben alles, was da oben sitzt, ist auch Schädel, und die Kegelrobben haben wie ein Dachs noch so einen hohen Kamm, die haben noch zwei dicke Muskelpakete oben auf dem Schädel liegen. Also ein wesentlich kleineres Gehirn. Und vorne sitzen, wenn sie ausgewachsen sind, 32 ausgezeichnete Argumente, die sind alle spitz und scharf, die haben nicht einen Mahlzahn, die haben nur Schneide- und Reißzähne. Autor Diese Robbe an Helgolands Stränden ist so hinterhältig wie ein Horrorfilm: Süßes Kindergesicht mit großen Unschuldsaugen - und dann ein Maul wie ein Waffengeschäft. Rolf Blädel erläutert den Besuchern Intimes aus dem Familienleben der Kegelrobbe - immer schön mit den erforderlichen 30 Metern Abstand zum Tier. Regie Atmo mit Besucherlauten liegt unter 10. Blädel Das ist der einzige, den ich noch nicht markiert hab. Sobald das Weibchen gesetzt hat , dauert das zehn oder zwölf Tage ungefähr, dann fängt sie an und rollt sich sehr vertraulich an den Bullen ran und das heißt, sie will neu belegt werden, und dann haben sie nach der Befruchtung, bleibt das Ei noch drei Monate im Eileiter, und dann wandert das erst in die Gebärmutter und nistet sich ein, die haben eine dreimonatige Keimruhe, und dadurch kommt eine elfmonatige Tragzeit zustande. Und wie schwer werden die Kegelrobben? Also Dr. Erna Moor, das ist ja die Päpstin gewesen viele Jahre... und da haben die den schwersten Bullen gehabt in Schweden oben mit 274,5 Kilo. Knapp am Braunbär dran, ne - ja, das sind die größten Raubtiere, die wir haben. Gemurmel Autor Was man sich so auch nicht vorgestellt hätte, dass ausgerechnet eine Robbe unser imposantestes Raubtier sein soll. Wo ist das Wappen, in dem eine hochgereckte, kampfbereite Robbe den Anspruch eines Grafen oder Deichgrafen oder schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten symbolisiert, Herrscher zu sein über Meer und Küste? Wie konnte es geschehen, dass die Wappenmaler die majestätische Herrlichkeit, die der Heringsfresser ausstrahlt, bis heute übersehen haben? Vielleicht, weil er die meiste Zeit speckummantelt und träge wie ein Tourist am Strand liegt. 11. Blädel Das ist nun einer vom Vorjahr, der jetzt angerobbt kommt, ein lüttes Weibchen, und so wie ich die kenn, hat die auch ne Marke von mir. ... Wenn die Lütten geboren werden, die bekommen eine Muttermilch, die hat fast 60% Fett, und die nehmen pro Tag 1,5 bis 2 Kilo zu, in vier Wochen gehen die wie Zecken auseinander und dann liegen diese Speckpakete hier am Strand und wenn sie das weiße Fell, das Lanugo- Fell verloren haben, das geht aus nach ungefähr vier Wochen, dann sind sie abgesäugt und müssen alleine sehen, wie sie klar kommen. Autor Was ja irgendwie auch grausam ist. Einfach ab ins kalte Wasser und allein gelassen. Eben noch lauwarme Muttermilch, jetzt plötzlich kalte Fische von zweifelhafter Bekömmlichkeit. Regie Atmo Wasser und Fotographengespräche, Kieselgrund ... ich hol mal erst die Kamera raus... ca. 2'00 Autor Eine Gruppe von Fotografen ist genau wegen dieser Robben, vor allem natürlich wegen der Robbenbabys, am Strand. Ein Hamburger Reisebüro, das auf Seereisen spezialisiert ist, hat zusammen mit einem großen Kamera- und Objektivhersteller ein Paket zusammengestellt, um tierbegeisterte Fotografen auf die Insel zu bringen. Und die stehen vor den kleinen Robben und sind ganz weg. Das Laguno-Fell, von dem Rolf Blädel eben sprach, ist ein weißes, pelzartig aussehendes Fell, das die großen Kinderaugen der kleinen Robbe besonders gut zur Geltung bringt. So liegt sie da, die kleine Robbe, das zukünftige Raubtier, ganz weiß und klein und hilflos und zum Streicheln niedlich, ein possierliches Fellwesen. Und es schaut dich an. Dich! Ganz persönlich! Hab mich lieb!, ruft es. Wer auf Tierbabys steht, den haut ein Robbenbaby um. Mit einem Blick. Regie Wechsel von Fotografenatmo auf Wasser am Wellenbrecher, sehr präsent Autor Am Ende der ersten Tour über die Düne und zu den Robben habe ich noch eine Frage, die mich beim Herflug schon beschäftigt hat. Rolf Blädel ist vor 30 Jahren nach Helgoland gekommen und geblieben. Warum? 12. Blädel Haben Sie das nicht gesehen heute Morgen? Wo kann einem so was geboten werden drüben auf dem Festland? Natur pur, herrliches Wetter, am Strand spazieren gehen, kein Autogestank, keine Hektik, nee, das ist ganz einfach das Leben auf der Insel, das hat mich fasziniert, ich wollte schon immer auf eine Insel, und als sich das denn ,79 ergab, bin ich sofort rüber hier. Autor Was man bei dem fabelhaften Wetter - die steife Brise, die einem das Wasser in die Augen treibt, lassen wir mal unerwähnt - sofort nachvollziehen kann. Vor allem, dass es auf der Insel nur Rettungsfahrzeuge gibt, die von Benzinmotoren getrieben werden. Ansonsten fahren hier nur Elektrofahrzeuge. Weitere Vorteile sind Blädels persönlichen Marotten zuzuschreiben. 13. Blädel Ich bin leidenschaftlicher Segler, Angler, hab fast 25 Jahren hier auch nebenbei auf Hummer gefischt, und Taschenkrebs, und ich muss Wasser um mich haben und am liebsten auch auf dem Wasser sein, das ist für mich das schönste. Die Menschen - ist auch ein bisschen anderer Schlag als drüben auf dem Festland, man geht doch mehr aufeinander zu und hilft sich auch gegenseitig... Autor Für das Segeln, weil es meistens mit Wellengang und Übelkeit verbunden ist, würde ich mich weniger interessieren, aber das Leben auf einer Insel, abgeschlossen von den anderen, das ist doch so etwas wie ein Menschheitstraum. Die meisten Utopien spielen auf Inseln, schon das namensgebende Utopia ist eine Insel. Robinson Crusoes Neuerfindung fand auf einer Insel statt. D.H. Lawrence schrieb einen Roman über einen "Mann, der Inseln liebte" - eine Insel, das muss was Tolles sein. Und Helgoland - ist es nicht gerade im Winter am meisten "Insel", wenn die Touristenströme nicht die Gassen überfluten? 14. Bädel Im Sommer auch, auch wenn die Gäste hier sind. Wenn die Gäste hier auf der Düne sind, die finden sie gar nicht wieder, das verläuft sich. Und im Winter, natürlich ist das eine schöne Zeit, haben wir mehr Zeit für einander, im Sommer hat jeder die paar Tage, wo er Geld verdienen kann, muss sein Geld verdienen, und deshalb ist das doch etwas hektischer hier. Autor Was bei den kurzen Wegen auf Helgoland doch ein recht großes Wort ist. Ich habe nur zwei Kinder mit Fahrrädern gesehen, nicht einmal die lohnen sich auf der kleinen Fläche. Was macht der Helgoländer, vom Tourismus befreit, im Winter? 15. Blädel Wir kommen so privat zusammen, es wird sich unterhalten, wir kochen zusammen, wir schnacken zusammen, essen zusammen, das ist einfach, das Sozialgefüge wird etwas enger in der Zeit. Und im Sommer ist das eben nicht gegeben. Autor Der amerikanische Autor Thurston Clarke, der selbst nur auf einer Halbinsel wohnt, hat den Begriff von der "Inselmanie" geprägt, von dem suchtartigen Verlangen, auf einer Insel zu leben. Er hat sie an allen möglichen Orten gefunden, sogar auf Spitzbergen, wo jedermann ein schweres Gewehr tragen muss, weil die Eisbären hoffnungslos in der Überzahl sind. Inselmanie - auf Helgoland wurde mir erzählt, dass die Leute, wenn sie an die Küste fahren, sagen, sie fahren nach Deutschland. 16. Blädel Ich vermiss hier nichts, ich muss die Hektik drüben nicht haben. Wenn ich drei Tage auf dem Festland bin, dann bin ich kurz vorm - mhh! Dann kommen die Helgoland-Filme raus und werden aufgelegt. Musik 2 Interpret: Regy Clasen Titel: Wo ist zuhause Komponist: R.Clasen Text: R.Spremberg LC/Best.-Nr.: Columbia, LC 00162 17. Andres Hier sind wir im Moment im so genannten Schulbunker, in einem Paniktreppenhaus, der Name kommt daher, weil hier oberhalb die Schule stand, und die Kinder einen direkten Zugang über ein einzelnes Treppenhaus hier in diesen Bunker hatten. Autor Helgoland im Zweiten Weltkrieg. Die Insel auf hoher See lag in der Einflugschneise der alliierten Bomber nach Deutschland. Bei jedem An- und Rückflug der Bomberflotten gab es Alarm, die Bevölkerung musste in die Bunker. Auf einer Karte, die im Bunkereingang hängt, sieht man die Positionen der Geschütze. Sie waren so dicht nebeneinander verteilt, dass sie scheinbar Mühe hatten, aneinander vorbei zu schießen. 17. Andres (lacht) Das ist gar nicht so falsch verstanden. Das ist richtig. Autor Stefan Andres leitet das Museum auf Helgoland und führt durch die Tiefen der Insel. 18. Andres Man hat Helgoland sehr hochgerüstet. Helgoland muss man sich vorstellen wie ein riesiges Schlachtschiff mit einer Kanone an der nächsten. Und zwar alles an Helgolands Westseite, alles gegen England gerichtet, weil man vermutete, dass der Feind übers Meer kommt mit Schiffen und in Deutschland einfallen wollte. Die Zeit hat diese Ansicht natürlich überholt und man ist später doch eher mit Flugzeugen gekommen statt mit Schiffen und insofern war Helgoland gar nicht mehr wichtig mit diesen Geschützen, es war aber so hochgerüstet. Es standen 30,8 Zentimeter- Kanonen hinten, die konnten auch 30 Kilometer weit schießen, das war schon gewaltig. Autor Als Helgoland 1890 an Deutschland fiel, begann der flottenverrückte Kaiser Wilhelm II sofort, die Insel mit Bunkern und Geschützen zu befestigen. Während des Ersten Weltkriegs war Helgoland vier Jahre lang evakuiert und reiner Marinestützpunkt. 19. Andres Und danach erst, aber 1936, hat man in dem Projekt "Hummerschere" das ganze Unterland aufgeschüttet und wollte Helgoland eigentlich sehr weit ausbauen, vergrößern, also den Felsen um das Vierfache vergrößern und die vorgelagerte Düne um das Zehnfache. Es sollte mal der größte eisfreie Kriegshafen der Welt entstehen. Das sollte die gesamte deutsche Nordmeerflotte auf einmal Platz haben. Autor Auf einer Länge von fast 14 Kilometern zogen sich Bunkeranlagen durch den Felsen. Es gab große Krankenhäuser, eine Küche für 4000 Personen, Vorratsräume und Unterkünfte. Die Insel war hohl wie ein Schweizer Käse. Der kleine Flugplatz auf der Düne, auf dem wir gelandet waren, entstand ebenfalls 1936. Die Planung für den gigantischen Kriegshafen wurde obsolet, als sich im Verlaufe des Krieges zeigte, dass Luftflotten, nicht Schlachtschiffe, die Entscheidung herbeiführen würden. 20. Andres Wir sind jetzt hier im so genannten Fuchsbau, von dem noch eine Länge von 75 Metern erhalten ist, der Rest ist leider im krieg verschüttet, und dieses ist ein reiner Zivilschutzbunker, der ging früher von dem Schulbunker, durch den wir heute hineingekommen sind, bis zum ehemaligen Haupteingang der Bunkeranlagen, der Spirale. Die Spirale ist nach dem Krieg gesprengt worden, so wie eigentlich alles, was militärisch nutzbar ist, nach dem Kriege gesprengt wurde. Autor Der Fuchsbau ist ein endlos erscheinender, etwas über mannshoher Gang mit gewölbter Decke und glatten, geweißten Betonmauern. Auf der rechten Seite ist in voller Länge eine schmale Bank angebracht, die Menschen im Bunker saßen nebeneinander wie die Hühner auf der Stange. Für jeden waren 50 cm Bank vorgesehen. Wenn Verletzte durch den Gang getragen wurden, mussten die Leute aufstehen, damit die Bahre Platz hatte. Die Kinder mussten ihr Gesicht zur Wand drehen, damit sie die Opfer nicht sahen. 21. Andres Es hat sich natürlich, da ja jeder eigentlich immer seinen Bunkereingang, den er benutzte bei Alarm, hat sich eigentlich ganz schnell herauskristallisiert, dass jeder seinen festen Platz hatte, und dadurch war etwas ganz besonderes hier, dass es die soziale Kontrolle gab, wenn jemand nicht im Bunker war, wurde das immer sofort bemerkt und man konnte sich drum kümmern, wo ist derjenige, war der vielleicht gerade im Hafen und ist irgendwo anders in die Bunkeranlage gekommen - es gab eine Kontrolle innerhalb der Bevölkerung, ist jeder in Sicherheit, ist jeder angekommen. Regie Historisches Flugzeugdröhnen 22. Andres Dann kam am 18. April 45 der große Bombenangriff. Das ging viertel vor zwölf mittags los, dass hier auf Helgoland 981 Bomber anflogen. Das ist eine gewaltige Menge, sie überschreitet bei weitem das, was auf Dresden angeflogen ist bei dem großen Angriff, wo die großen Zerstörungen waren. Aber Helgoland galt als so gefährlich, weil es genau auch in der Einflugschneise lag und so kurz vor Abschluss des Krieges wollte man einfach jeder Gefahr aus dem Wege gehen, deswegen hat man auch diese Seefestung angegriffen so massiv und wollte sie mit einem gewaltigen Schlag vernichten. Autor 981 Bomber über Helgoland - der verheerende Angriff auf Dresden war von 561 Bomber durchgeführt worden. Man rechnet, dass auf jede gegebene Stelle mindestens drei Bomben einschlugen. Aber niemand im Bunker kam zu Schaden. Drei Tage später wurden die Helgoländer evakuiert. Nach Kriegsende wurde die Insel von den Briten besetzt. 1947 jagten sie in den militärischen Anlagen der Inselfestung 6700 t Munition in die Luft. Diese Aktion ging als der so genannte Big Bang in die Geschichte ein, die größte nicht-nukleare Sprengung. Nie wieder sollte Helgoland eine Festung gegen England sein. Anschließend wurde die Insel noch jahrelang als Übungsziel für Bomber genutzt, bis 1952 die Wiederbesiedlung begann. Die Gebäude auf der Insel waren pulverisiert, der Wiederaufbau begann nicht bei Null, sondern irgendwo bei minus 20 oder 30. Man fragt sich, warum kehrten diese Menschen, die sich an Land doch bereits wieder eine Existenz aufgebaut hatten, in diese Ödnis zurück. 23. Andres Also das ist mit einem Wort zu sagen, das sind Helgoländer. Die Frage hat sich für die Helgoländer niemals gestellt. Für die gab es immer nur das eine Ziel zurück "iip Lunn" auf ihre Insel, an ihr Land. Weil das war das Wichtigste überhaupt, egal wie es hier aussieht, das ist hier auch mit minus 20% für einen Helgoländer viel schöner als auf dem goldenen Thron irgendwo auf dem Festland. Da mag er nicht leben! Der Helgoländer braucht diese 360 Grad Seesicht, rundum nur Wasser zu sehen, das stellt sich niemals die Frage, der musste wieder hierher und ...jeder Helgoländer wollte sofort zurück , das war gar keine Frage. Musik 3 Interpret: Hans Albers Titel: Kleine Möwe Komponist: J.Cowler Text: B.Balz LC/Best.-Nr.: edel records, LC 01666 Regie Atmo Wasser und Robben Autor Die Fotografen auf der Düne von Helgoland halten Wacht. Die Robben liegen am Strand. Gelegentlich heben sie die Köpfe und prüfen, ob an den umherstreifenden Fotografen irgendetwas Interessantes ist, also was Fressbares. Aber da das nicht der Fall ist, kommen sie schnell wieder zur Ruhe. Die Fotografen haben ihre Stative aufgebaut, die langen Teleobjektive eingesetzt und achten darauf, dass nichts über den Boden schleift. Robbenkot auf der Kameratasche hat zwingend einen Neukauf zur Folge. Einer der Fotografen ist Arnold Senf aus der Nähe von Frankfurt/Main. Er hat einmal Orgelbauer gelernt, ist dann aber doch in die IT-Branche gewechselt, um das finanzielle Lebensrisiko zu mindern. Nebenher macht er mit Konzertaufnahmen ein wenig Geld, eigentlich nur, um sich seine Fotoausrüstung leisten zu können. 24. Senf Och, was ist das Faszinierende an Inseln? Ich weiß es nicht, mich fasziniert es einfach nur, dass ich mich nicht einfach in das Auto, in den Zug setzen kann, wegfahren, mal ins Nachbarland, mal über die Grenze, sondern ich muss ein Stück Natur überwinden, was ich nicht unter Kontrolle habe. Autor Diese Unbeweglichkeit könnte man eigentlich auch für ein Gefahrenmoment halten. Der schon erwähnte Thurston Clarke beschreibt, dass nach seinen Erfahrungen Inselbewohner es lieben, auf einer Insel zu leben, aber immer besorgt sind, ob die Verbindung zum Festland auch zuverlässig funktioniert. 25. Senf Das Stück Natur, was ich überwinden muss, um in ein anderes Land zu kommen, das Wasser, das ist - glaub ich - das Faszinierende, und das seh ich auf jeder Insel, dass irgendwas völlig autark sich entwickelt hat, ob das Mauritius war, eine Nachbarinsel, ich kann kein Französisch, La Reunion, oder wie es ausgesprochen wird, mit einer wahnsinnig sagenhaften Vogelwelt, die Galapagos-Inseln, hier Helgoland genauso, das Faszinierende, man kann nicht einfach weg, das gewaltige Stück Natur, sprich Wasser, muss ich überwinden und das finde ich faszinierend an Inseln. Autor Die Diagnose ist schnell gestellt - ein offenkundiger Fall von Inselmanie. Und die Robben? Die Fotografen auf der Düne wechseln vorsichtig ihre Positionen, um die Tiere nicht zu verscheuchen. Aber die lassen sich nicht irritieren. Man kann nicht so richtig sagen, wer sich hier am Anblick des jeweils anderen erfreut. Die Fotografen sind begeistert von den Tieren, aber auch den Robben scheint es zu gefallen, dass ihr langweiliges Rumgeliege am Strand durch die farbenfroh gekleideten Touristen ein wenig Abwechslung erfährt. 26. Senf Jeder Mann ist ein Kind, und jedes Kind hat als Kleinkind so einen Kuschelseelöwen irgendwo im Schrank stehen, so einen hatte ich auch mal von einem Onkel von mir geschenkt bekommen als kleiner Bub, weiß ich genau, Helgoland, die Katastropheninsel, nur Zigaretten und Alkohol und Tourismus, da hab ich mir gesagt als Bub, und später auch als Erwachsener, da möchtest Du nie hin, und jetzt bin ich hier und fotografier genau diese kleinen Kegelrobben. Autor Ein wenig abseits kniet eine junge Frau mit ihrer Kamera vor einer kleinen Robbe im weißen Laguno-Fell. Die Nase und ein wenig von der Stirn sind schwarz, feucht glänzen die großen Augen. Mit kindlich- unbeholfenen Bewegungen versucht die kleine Robbe, eine Geröllkante am Strand zu überwinden. Immer, wenn sie es ein paar Zentimeter höher geschafft hat, muss sie anhalten, verschnaufen und neue Kräfte sammeln. Dann schaut sie hilfesuchend nach der jungen Frau mit der Kamera. 27. Bühlis Mein Name ist Daphne Bühlis. Ich komme aus Luxemburg. Autor Was für die junge Frau mit den langen roten Haaren entschieden eine weite Anreise ist, von Luxemburg nach Helgoland, um Kegelrobben zu fotografieren. 28. Bühlis Meine Liebe zu den Robben besteht jetzt schon einige Jahre, und wo kriegt man sie so nahe an Luxemburg ran als auf Helgoland und ich wollt mir die einfach mal näher ansehen. Autor Daphne Bühlis ist Bibliothekarin und spricht - dank des beeindruckenden Schulsystems in Luxemburg - sechs Sprachen. Einfach so. In ihrem Alltag sammelt und katalogisiert sie Literatur, die in einem originären oder thematischen Zusammenhang mit Luxemburg steht. Und dann war es mit ihrer Liebe zu den Robben eines Tages so weit, dass sie ihre Lieblinge sehen wollte. Keiner ihrer Freunde wollte mit, also machte sie sich allein auf die Fahrt quer durch Deutschland. Und steht jetzt am Strand von Helgoland und kann die Augen nicht abwenden. 29. Bühlis Die Robben, ach Gott - das sind teilweise richtige Poser, und die machen wirklich sehr gut mit und ich bin erstaunt, einige sind dann eher träge, aber es gibt viele, die wirklich fotogen sind und ich frag mich, ob die das nicht von sich selbst auch schon wissen. 30. Senf Ich habe heute nichts anderes gemacht, als schwerpunktmäßig eine kleine Robbe beobachtet, ...die habe ich jeden Tag immer wieder besucht, mit einer Nummer 3hundert und... beginnt die und ich hab sie am 2. das erste Mal gesehen, da war es sehr stürmisch, sehr regnerisch, es hat geschneit, und da lag sie so halb eingeweht vom Sand da, wo man denkt, pah, ist die Natur brutal, und immer wieder besucht, heute war sie so vorwitzig und hat mir sogar ins Objektiv gebissen und zum Schluss hat ich das Gefühl, ich hab sie beobachtet, wie sie das erste Mal ins Wasser gegangen ist. Für so eine Robbe, für die Natur das Normalste von der Welt, irgendwo für uns Menschen ist es doch so ein bisschen faszinierend, weil man denkt, das kleine Viech jetzt - aber es klappt. ...Also die Robben sind das Wichtigere, und wenn ich dann das tolle Bild, wenn ich es nicht mache, geht die Welt auch nicht unter. Autor Am Abend, bei der Sichtung der Tagesausbeute, stellt sich heraus, dass es gar nicht so einfach ist, Robben zu fotografieren. Man denkt, die Tiere liegen tranig und fast bewegungslos in der Sonne, aber wenn man die Bilder sieht, stellt man frustriert fest, dass sich die Diva im entscheidenden Moment des Auslösens doch bewegt hat: statt der Schnauze hat man den Nacken im Bild oder die Augen sind geschlossen oder nach einer vollen Rolle zeigt die Robbe ihre Schwanzflosse. Und außerdem hängt der Horizont schief. Ein Fotograf braucht Geduld. Musik 4 Interpret: Nelly Furtado Titel: Island of wonder Komponist: N. Furtado Text: " LC/Best.-Nr.: MCA Records, LC 01056 Autor Ich bin auf dem Oberland, dem Hochplateau Helgolands. Im Norden steht die Lange Anna wie ein mahnender Finger, im Osten liegt die Düne mit dem Flugplatz und dem Friedhof für die namenlosen Opfer der See. Der Wind pfeift gottserbärmlich, aber der weite Blick rundum auf die bewegte See öffnet einem das Herz. Irgendwo im vernarbten Land markiert eine kleine Tafel an einer Felsspitze den höchstgelegenen Punkt des Landkreises Pinneberg, zu dem die Insel gehört. Überall sieht man die tiefen Krater, die der Big Bang und die Bomben hinterlassen haben, dazwischen die zerrissenen Betonwände der Bunker. Stämmige Kühe halten das Gras kurz. Von hier geht es zur Schule, dort wartet Bettina Köhn. Sie betreibt ein Fotogeschäft, schreibt für die Zeitschrift "Der Helgoländer" und unterrichtet an der Schule und der Volkshochschule Friesisch. Viele Helgoländer, das habe ich schon mitbekommen, arbeiten in zwei oder drei Berufen. 31. Köhn Ja, ist so. Einmal geht's um Geldverdienen, hier zu leben ist nicht billig, kann man wirklich sagen, wir haben zwar keine Mehrwertsteuer, aber wir haben hohe Frachtkosten, alles, was wir hier brauchen, wird rübergebracht mit dem Schiff, und ist dementsprechend dann doch wieder teurer, und wenn man Kinder hat oder wenn man eine Familie hat, dann müssen beide arbeiten, um entweder die Miete zu bezahlen, es kann sich nicht jeder ein Haus leisten, es sei denn , er hätte es geerbt, oder wenn man hier ein Haus kaufen will, dann muss man schon recht gut Geld hinlegen. Iss. so, leider! Autor Zum Teil resultiert dieses Problem aus dem Wiederaufbau ab 1952. Man hatte sich entschieden, die alte Raumordnung beizubehalten, also die Lage und Größe der Häuser und Wege. Für moderne Geschäfte sind diese Flächen oft zu klein, Expansion ist nicht möglich. Bauen im Übrigen ist zwischen 30 und 40 % teurer als auf dem Festland. Eine weitere finanzielle Last bedeutet es, seine Kinder aufs Gymnasium zu schicken. Weil es nur eine Grund- und Realschule gibt, müssen die Kinder auf das Festland in ein Internat, auch diese Kosten drücken die Eltern. Wer das alles auf sich nimmt, muss wohl mit Leidenschaft Insulaner sein. Bettina Köhn ist eine Eingeheiratete und kann mit dem Blick von außen die Helgoländer betrachten. 32. Köhn Also so wie ich sie persönlich kennen gelernt habe: Abwartend zu Anfang, aber sehr - doch aufgeschlossen, muss ich sagen, also hier braucht keiner alleine zu bleiben, es wird keiner ausgegrenzt, es sei denn er benimmt sich vielleicht komisch, aber das haben sie überall. Aber ansonsten, würde ich sagen, finde ich, sind sie sehr freundlich. Autor Ca. 1400 Einwohner gibt es, von denen jetzt, im Winter, viele im Urlaub sind. Die langen Zeilen der Reihenhäuser stehen dicht beieinander, ihre Bewohner befinden sich in ständigem Sicht- und Hörkontakt. Ein Gast will beobachtet haben, dass die Helgoländer sich nicht die Hand geben, weil sie einander mehrmals am Tag über den Weg laufen. Ist soviel Nähe noch sozialverträglich? frage ich mich. Und Bettina Köhn. 33. Köhn Das ist ein Problem vielleicht. Also natürlich kann jemand ihnen ins Fenster gucken, wenn sie keine Gardinen davor haben, natürlich kriegt die Nachbarschaft irgendwann doch mal was mit, was sie deckeln wollen oder so, das gibt's auch, aber damit müssen sie sich auseinander setzen, es ist aber auch so, geht bei Ihnen mal die Gardine nicht auf, und zwar über längere Zeit, um Gottes willen, dann kommen sofort die Nachbarn "Da müssen wir mal nachgucken, ist das alles in Ordnung?" hier bleibt keiner zwei Wochen lang tot liegen und keiner kriegt es mit. Es ist einfach auch so, wenn jemand mal krank ist und ist allein stehend, dann kommt durchaus der Nachbar und sagt "Komm her, sag Bescheid, ich kauf Dir das ein. Brauchst du Hilfe? Was soll ich machen? Und das ist hier ganz selbstverständlich. Musik 5: Titel: Somewhere Island Interpret: George Benson Komponist: M.Bearden Label: Warner Bros.Record, LC 00392 Autor Ich erinnere mich an meine erste Tour nach Helgoland auf einer der typischen Klassenfahrten westdeutscher Schulen. Abgesehen davon, dass mir von der Schaukelei schlecht war, wurde mir ganz elend beim Anblick der Saufnasen, die schon auf dem Hinweg ordentlich getankt hatten, um sich dann auf der mehrwertsteuer- und zollfreien Insel endgültig die Kante zu geben. Am Nachmittag wurden sie dann mehr oder weniger im Liegendtransport wieder auf die Fähre verfrachtet. "Fuselfelsen" war ein gängiger Spottname für Helgoland. Die Einheimischen waren wenig begeistert. 34. Köhn Nein ist überhaupt nicht mehr so der Fall. Wenn Sie auf der Hintour schon so viel gebechert haben - nicht Sie persönlich - dann ist das ihr Problem, damit hat Helgoland überhaupt nichts zu tun. Wenn dann hier mal eine Flasche mitgenommen wird, ist es heutzutage in der Regel etwas besonders, ein sehr teurer Whiskey, die gehen in die Tausende von Euros, das können sie hier kriegen, sie kriegen exklusive Sachen. Diese Billigheimer-Sachen, die kriegen sie teilweise drüben auf dem Festland wesentlich billiger, deswegen kommen die Leute nicht mehr. Aber dieses Bild, das steckt eigentlich immer noch in den Köpfen drin, das ist aber nicht mehr amtlich, würde ich sagen. Autor Wegen der hoch- und höchstpreisigen Spirituosen und Tabakwaren gibt es heute immer noch Tagestouren von Hamburg, weil bei teuren Waren die eingesparte Mehrwertsteuer locker die Fahrtkosten trägt. Noch immer ist der Tourismus die wesentliche Einnahmequelle der Insel, aber der Tourist ist heute weltweit aktiv und will den vollen Service. Und dazu gehört, für die Touristen und die Einheimischen, die Verbindung zum Festland. Was laut Bettina Köhn nicht zufrieden stellend gelöst ist. 35. Köhn Woran wir kranken, und das ist wirklich unser Problem, ist , dass wir eine gesicherter Verbindung haben müssen zum Festland und das können nicht nur wir oder ein Privatreeder sozusagen machen, das muss eigentlich auch staatlich gewährleistet sein, wie es eigentlich vorgeschrieben wird, und da fallen wir ein bisschen durchs Netz. Das muss man wirklich mal ändern. Da fühlt sich keiner zuständig, weder Niedersachsen noch Schleswig-Holstein und ich meine, man kann ja auch ein bisschen Geld in was anderes reinpumpen, nicht in diese maroden Banken, die sich da selbst Seifenblasen gebastelt haben, wo jetzt überall die Luft rausgeht, sondern dann sollte man mit weniger Geld mal so was hier effektiv einrichten, dass man eine richtig gute Fährverbindung hat und zwar eine, die auch bei etwas rauerer See fährt, wo ein Katamaran schon ab Windstärke fünf Probleme kriegt. Autor Ein bekanntes Phänomen - der Insulaner ist umso lieber Insulaner, je sicherer die Verbindung nach außen ist. Auch der wahre Helgoländer hält immer ein Auge auf den Hafen. Der wahre Helgoländer im Übrigen spricht friesisch. Die Schüler lernen es in der ersten bis vierten Klasse, und die Erwachsenen? 36. Köhn Und im Winter ist hier unbedingt nicht so viel los, manchmal - denkt man - aber dann fängt man doch schon mal an, in die Volkshochschule zu gehen und Kurse zu belegen. So komm ich zu den Schülern. Autor ... und diesen Satz hätte ich gern mal auf Friesisch. 37. Köhn Beispiel auf friesisch... Autor Alles verstanden? Dann sprechen Sie jetzt mit: 38. Köhn Wiederholung Musik 6 Interpret: The Who Titel: Sea and Sand Komponist: Pete Townshend Text: " LC/Best.-Nr.: Polydor, LC 00309 Regie Atmo streitende Robben Autor Helgoland - Der letzte Tag auf der Düne. Noch einmal eine volle Runde, Abschied vom Blick über das Meer, vom Blick auf die Fischkutter, die auf Fang fahren, Abschied von der Sonne und dem schneidenden Wind. Zum Schutz vor der steifen Brise haben sich an der Mole, die übrig geblieben ist vom Nazi-Traum vom größten eisfreien Hafen, viele Kegelrobben und ein oder zwei Seehunde zusammengedrängelt. Die Enge macht den Tieren zu schaffen. Lagen sie vor zwei Tagen noch faul an der Flutlinie, streiten sie sich jetzt um ihre Reviere. Es geht hart zur Sache, die Reißzähne und die krallenbewehrten Flossen kommen zum Einsatz. Viele der Tiere haben blutige Flecken auf dem Fell, Verletzungen, die sie aus den Revierkämpfen davon getragen haben. Die Stimmung in der Gemeinde ist deutlich auf dem Tiefpunkt. Die Fotografen machen ihre letzten Aufnahmen, endlich kommt Drama aufs Bild, die Robben sind eben nicht nur possierlich. Regie Die Atmo steht ei wenig frei, damit man die Tier hört, dann überblenden in Schiffsatmo Autor Es geht zurück. Im Hafen liegt die Fähre, die jetzt, im Winter, nur alle zwei Tage verkehrt. In einem Container sitzt breitbeinig, ausladend und kurzatmig der Kartenverkäufer. In all seiner Fülle ist er das Nadelöhr für die An- und Abreise. Er diskutiert nicht. Etwaige Unstimmigkeiten, wer welche Karten wo bestellt und wo hinterlegt hat, interessieren ihn nicht. Er weiß, mit jeder Minute, die der Abfahrtstermin näher rückt, werden die Argumente des Querulanten schwächer. Er wird eine Karte kaufen, da ist sich der Potentat von der Hafenkante sicher. Es geht an Bord. Unter Deck ist es eng und stickig. Draußen weht ein scharfer Wind, die Fenster bleiben geschlossen. Wer frische Luft braucht, geht aufs Achterdeck. Ein Verein aus Norddeutschland, der ausgerechnet auf Helgoland Karneval feiert, nimmt Aufstellung zum Abschiedsfoto. Ein letztes Mal wird es laut. Die Gangway lässt sich nicht ablegen, dem Kran fehlt der Strom. Mürrisch gehen die Seeleute per Hand an die Arbeit. Regie An dieser Stelle ist in der Atmo ein Signalhorn zu hören. Autor Es geht los. Die See ist rau. Die Insel verschwindet am Horizont. Musik Titelmusik Sprecherin v.D. Wacht auf der Düne Kegelrobben auf Helgoland Eine Deutschlandrundfahrt mit Paul Stänner 1