Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) DeutschlandRadio Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 12.11.2012, 19.30 Uhr Die doppelte Emanzipation Über die neue Jungen-und Männerpolitik Von Eva Hillebrand Regie: It's a man's world James Brown/The Residents Take 1:Robert Habeck Damals hab ich mich für eine Partnerschaft entschieden, für ein Lebensmodell mit meiner Frau zusammen, wo wir versuchen, als Schriftsteller nicht auf Kosten des anderen Karriere zu machen. Und als wir dann Kinder kriegten, kam es einfach so, dass wir als gemeinsames Autorenpaar unsere Bücher geschrieben haben und als gemeinsames Elternpaar unsere Kinder erzogen haben. Und so sind beide immer gleich erfolgreich oder gleich unerfolgreich gewesen, sowohl in der Erziehung wie auch im Berufsleben. Sprecher vom Dienst: Die doppelte Emanzipation Über die neue Jungen- und Männerpolitik Ein Feature von Eva Hillebrand Take 2:Robert Habeck Danach bin ich politisch in Ämter gekommen und in der Tat sind da die fremdbestimmten Einflüsse extrem geworden und ehrlicherweise ist ein Stück weit, das, was ich als Ideal gelebt habe davor, zusammengebrochen. Sprecher 1: Im Juni 2012 wurde Robert Habeck von den Grünen Minister für Landwirtschaft und Umwelt in Schleswig Holstein. Seitdem steht sein Leben gleichsam auf dem Kopf. Denn bis dahin wurden die Aufgaben gerecht verteilt: Vom Windelwechseln bis zum Geld verdienen. Jenseits von Rollenklischees. Take 3: Robert Habeck. Und obwohl das wahrscheinlich für mich und für meine Frau ok ist, wie wir jetzt leben und dass ich tatsächlich deutlich häufiger weg bin von zu Hause, ist es für uns beide eigentlich ´n Neuentwurf, der uns trägt, und für die Kinder scheint es auch ok zu sein. Aber ich selbst leide darunter und hab häufig n' Heimweh nach dem früheren Leben oder nach der Familie, gerade wenn die Abendsitzungen immer länger werden und häufig auch immer unsinniger werden. Sprecher 1: So lautet das fast bittere Fazit des 43-Jährigen. Immerhin, 10 Jahre lang haben er und seine Frau ihren gewünschten Lebensentwurf realisiert: gemeinsam arbeiten und für ihre vier Jungen da sein. Nun ist er Minister und sie schreibt weiterhin Bücher, arbeitet an der Uni und managt die Familie. Von einem Rück fall in alte Rollenmuster kann keine Rede sein. Dennoch: Take 3b: Robert Habeck Wenn ich so angucke, was mein Freundeskreis gemacht hat, aber auch ´n Stück weit, in welcher Gefahr jetzt mein eigenes Leben ist, dann ist es durch 'ne dominante Struktur in ein Rollenmodell reingezogen zu werden, dass es total schwer ist, sich dagegenzustemmen. Also man darf diesen Moment nicht verpassen, wo man sagt: Das ist unser Leben, unser gemeinsames Leben, mit emanzipierten Männern und selbstbewussten Frauen und den lassen wir nicht verstreichen und den lassen wir uns auch nicht aus der Hand nehmen. Sprecher 2: Nicht nur Männer, auch Jungen sind verunsichert: Die Erwartungen an ihre jetzige und zukünftige Rolle sind widersprüchlich, die Vorbilder fehlen. Und sie müssen zusehen, wie die Mädchen weiter an ihnen vorbeiziehen. Der Druck wächst. Auf Jungen und Männer. Obgleich das Gegenteil angestrebt war. Regie: Zäsur It's a man's world James Brown/ The Residents Take 4: Markus Theunert Für die jüngere Generation hat das eine große Selbstverständlichkeit, dass man sagt: ja, klar, Männer haben ihrerseits Anliegen. Sprecher 1: Markus Theunert, Präsident der größten Schweizer Männer- und Väterorganisation. Take 5: Markus Theunert Es gibt immer mehr Anforderungen an einen richtigen Mann. Die alten Anforderungen gelten nach wie vor, er muss der leistungsstarke Ernährer der Familie sein, aber neu zusätzlich auch noch einfühlsamer Gesprächspartner und Liebhaber und engagierter Vater, dieser Verantwortungskanon hat sich erweitert. Sprecher 2: Alter und neuer Mann gleichzeitig, kann das gelingen? Frauen üben den Spagat zwischen Beruf und Familie schon länger und pochen auf Unterstützung. Veränderungen im Rollenmodell des einen Geschlechts bleiben nicht ohne Einfluss auf das andere. Doch während Frauen im Zuge der Emanzipation ihren Teil an den männlich geprägten Sphären von Macht und Geld forderten und fordern, drängt die Emanzipation des Mannes in die umgekehrte Richtung: Es geht um die Befreiung von zweifelhaften Privilegien, von dem Druck des männlichen Überlegenheits- und Herrschaftsanspruches. Das ist Baustelle Nummer eins seiner doppelten Emanzipation. Take 6:Theunert Erst in letzter Zeit gerät es ins Blickfeld, dass auch Männer Vereinbarkeitsprobleme haben. Die sind vielschichtig und deswegen auch nicht so leicht anzupacken. Ich wehre mich immer dagegen, zu sagen: Ja ja, die Männer behaupten nur, sie wollten beispielsweise mehr Teilzeit arbeiten, aber eigentlich tun sie's gar nicht. Das hat schon was, aber ganz so einfach ist es nicht. Männliche Identität baut zentral auf dem Pfeiler Leistung. Ich arbeite 100 Prozent, also bin ich hundert Prozent wert. Wenn sie diese Verbindung machen, wenn Identität und Leistungsfähigkeit untrennbar verknüpft sind, dann können Sie es sich nicht leisten, 50 Prozent zu arbeiten, weil Sie dann nur noch 50 Prozent Selbstwert haben. Take 7:Werner TeKaat Ich glaube schon, dass die Männlichkeit auch sich da drin ausdrückt, dass ein Mann hundert Prozent arbeiten gehen soll, möchte, oder auch einfach in der Verpflichtung steht, gefühlte Verpflichtung andern Leuten gegenüber. Sprecher 1: Werner te Kaat ist Altenpfleger und ging einen Weg, umgekehrt zu dem von Robert Habeck. Nach einer langen Lebensphase mit Vollzeitarbeit hat er mit 40 den Beruf gewechselt und die Arbeitszeit reduziert. In dem Jahr kam auch seine mittlerweile 5-jährige Tochter zur Welt, die er zusammen mit seiner Frau erzieht. Beide arbeiten auf einer dreiviertel Stelle und organisieren Haushalt und Kinderbetreuung gemeinsam. Take 8:Werner TeKaat In meinem Falle ist es jetzt so, dass eine 75 Prozent-Stelle eigentlich kein Problem für mich ist in der Außendarstellung. Ich glaube schon, dass viele Männer nach wie vor den Ernährerinstinkt in sich haben, beziehungsweise natürlich auch durch Partnerschaft, Familie, weiter auferlegt bekommen, gefühlt, weil es für den Partner u. Umständen oder für die Familie auch ein Leichtes ist, sich auf dieses gesellschaftliche System einzulassen. Also, das besteht, ne, der Mann ist der Ernährer, und anders zu handeln, anders zu leben, bedeutet auch, gegen den Strom zu schwimmen. Und das ist sicherlich schwer. Sprecher 2: Der Mann als Familienernährer. Dieses Rollenmodell, entstanden mit der Industrialisierung, prägt männliche Identität bis heute. Während des Zweiten Weltkrieges und der ersten Nachkriegsjahre war die weibliche Erwerbstätigkeit gezwungenermaßen bereits relativ hoch. Doch mit dem beginnenden Wirtschaftsaufschwung wurden die Arbeitsplätze wieder an Männer vergeben, die westdeutsche Frau bekam Haushaltsgeld Sprecher 1: "Meine Frau hat es nicht nötig zu arbeiten". Sprecher 2: Männer sind auch heute noch stolz auf ihre Erwerbsarbeit, sie betrachten das Geldverdienen als Dienst an ihrer Familie, als eine männliche Fürsorge und Verantwortung. Take 9:Markus Theunert Es braucht also hier auf individueller Ebene eine Erweiterung der Identitätspfeiler im männlichen Leben: die Einsicht, dass ich in meinem Mannsein nicht nur dann Berechtigung habe, wenn ich voll leistungsfähig bin zu jeder Sekunde und in jedem Lebensbereich, sondern dass es daneben eben noch weitere Aspekte von Lebens- und Liebenswertem gibt. Sprecher 1: Die vom anderen Geschlecht nicht immer angemessen gewürdigt werden. Hermann Kues, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfamilienministerium Take 10: Hermann Kues Das setzt aber auch ein Umdenken bei den Frauen voraus, dass sie gern mit einem Mann zusammen sind, der sagt, dass berufliche Fortkommen ist für mich nicht so wichtig, für mich ist wichtiger, dass ich Zeit zu Hause habe, und das auch akzeptieren und sagen: Das ist trotzdem ein toller Mann und gerade deswegen ein toller Mann. Sprecher 2: Auf Machtsphären verzichten, sich nicht für unentbehrlich halten, eine ständige Herausforderung für beide Geschlechter. Take 11:Theunert Ich nehm das auch so wahr, dass es einen mehr oder weniger bewussten Widerstand gibt: Natürlich ist es schön, wenn die Männer Teilzeit arbeiten und sich mehr um die Kinder kümmern, so lange sie sich an die häuslichen Spielregeln, welche die Frau definiert hat, halten, um es etwas überspitzt zu sagen. Da ist die Bereitschaft aus meiner Sicht noch zu wenig gegeben, dass die Frauen den Männern auch diese Gestaltung überlassen. Dass sie die Erwartung aufgeben, dass Männer sozusagen männliche Mütter sein sollen, dass sie anerkennen, dass sie jetzt hier so einen eigenen Stil des Vaters entwickeln und der halt auch ein anderer sein darf, dass sie auch auf die Sicherheit verzichten, welche der Ernährer der Familie halt vermittelt, da sehe ich noch großen Handlungsbedarf. Regie: Zäsur It's a man's world James Brown/ The Residents Sprecher 1: Sie schweigen eher über ihre Heldentaten die modernen Männer. Einen Diskurs über die eigene Rolle führen sie noch selten oder eher ironisch, John Wayne mäßig: A man has to do, what he's got to do. Sprecher 2: Fehlen Ihnen noch die passenden Worte für die Herausforderungen, die Ihnen zwar nicht in Feindes- aber immerhin in Frauenland drohen? Männergruppen, die sich seit den siebziger Jahren bildeten, haben keinen gemeinsamen Diskurs gefunden. Das Projekt Geschlechtergerechtigkeit aber braucht neue Impulse. Take 12: Markus Theunert: Wenn man sich die Entwicklung der Gleichstellungsarbeit in der Politik anschaut, Sprecher 1: dann kann man sehen: erstens Take 13: Markus Theunert zu Beginn standen halt Frauenanliegen im Vordergrund. Die Frage: wie kann Frauenbenachteiligung behoben werden und wie können Frauen gefördert werden, damit sie mehr teilhaben an den Bereichen Macht und Geld. Das war natürlich extrem legitim, wenn man anschaut, wie die Situation damals war, sie hat sich dann etwas geändert. Sprecher 1: Zweitens Take 14: Markus Theunert Heute stelle ich fest, dass Gleichstellungsarbeiten eine von Frauen gemachte Arbeit und Politik ist, die Frauen und Männer gleichermaßen in den Blick nimmt. Sprecher 1: Und schließlich: Take 15: Markus Theunert Was aber aussteht, und das ist die dritte Phase einer zukunftsorientierten Gleichstellungspolitik, die wir fordern, ist eine Gleichstellungspolitik, die von Männern und Frauen gleichermaßen getragen wird, welche Definitionsmacht zwischen Männern und Frauen teilt. Sprecher 2: Männer selbst bringen stärker als bisher ihre Themen in die Gleichstellungspolitik ein. Das ist Männerpolitik. Für Männer aber nicht gegen Frauen. Im Gegenteil. Kooperation statt Konfrontation. Das ist die Baustelle Nummer zwei der doppelten Emanzipation. So einfach und so schwierig. Sprecher 1: Markus Theunert vergleicht die zeitgemäße Gleichstellungspolitik mit einer Wohngemeinschaft, bestehend aus drei Räumen: einer für Frauen, einer für Männer und ein Gemeinschaftsraum, der den Geschlechterdialog beherbergt. Er hat kürzlich erfahren, was es bedeutet wenn in der Gleichstellungs-WG das Männerzimmer fehlt. Im Kanton Zürich wurde erstmalig das Amt eines Schweizer Männerbeauftragten eingerichtet. Take 16:Markus Theunert Die Figur des Männerbeauftragten ist ja noch so eine ambivalente. Beauftragte gibt es in der Regel für schwächere und minorisierte Gruppen und diese Kombination von einem Beauftragten für Männer, dem vermeintlich starken Geschlecht, das hat an sich schon mal für große Irritationen gesorgt. Dass dann noch ein Mann in diese Position gewählt wurde, der pointiert für einen geschlechterdialogischen Kurs steht, aber auch dort darauf beharrt, dass Männer ihre Perspektiven eigenständig einbringen müssen, das hat dann nochmals für deutlich mehr Irritationen gesorgt und unter dem Strich dann auch dazu geführt, dass dieses Engagement als Männerbeauftragter meinerseits ein sehr kurzes war, nach drei Wochen war Schluss. Sprecher 1: In Deutschland lässt es die aktuelle Gesetzeslage noch gar nicht zu, dass auch Männer In öffentlichen Verwaltungen als Gleichstellungsbeauftragte wirken könnten. Gleichstellungspolitik gilt als Frauenanliegen und befindet sich in Frauenhand. Ohnehin ist Männerpolitik als Begriff von Bedeutung und mit Gewicht hier bis dato nahezu unbekannt. Weckt meist nur die Assoziation: Männer machen Politik. Werner te Kaat. Take 17: Werner te Kaat Huuhh, Männerpolitik, ein schwieriges Feld, weil natürlich die politische Szene von Männern beherrscht wird, und das bedingt, dass das ein Vorbild ist, für andere Männer, sich so zu verhalten. Ein Bild von Stärke und von Macht, die man unbedingt an sich reißen muss, um liebenswert zu sein, oder glaubwürdig zu sein. Aber im Grunde ist es nicht so. Sondern wenn die wirklichen wahren Bedürfnisse der Männer mehr Verständnis in der Öffentlichkeit bekämen, dann wäre das sicherlich sinnvoll, für Männer Politik zu machen. Also auch mal zu sagen: So, Ihr könnt und dürft mehr in der Familie, als bisher, sondern ihr dürft Euch auch zurücknehmen, dürft Partner der Frau sein, liebevoller Vater und müsst nicht immer vor der Sportschau sitzen. (Lachen) Sprecher 2: Die Bedürfnisse der Männer? Spezifische Männeranliegen und -probleme werden, insbesondere von männlichen Politikern nur sehr zögerlich wahrgenommen. Take 18:Markus Theunert Das größte Hindernis gleichstellungspolitischen Fortschritts aus meiner Sicht ist die geschlechterpolitische Ignoranz meiner Geschlechtsgenossen. Männer können es sich nach wie vor leisten, sich sozusagen als geschlechtsneutrale Machtmenschen zu gebärden, der Politiker kann problemlos sagen: Ich mach doch keine männerspezifische Politik, ich mach eine Politik für Menschen. Und es klopft ihm keiner auf die Finger und sagt: Moment, Moment, das zementiert höchstens die bestehende Geschlechterordnung, wenn du dich in Geschlechtsblindheit übst, das wird mehr oder weniger akzeptiert. Regie: Zäsur It's a man's world James Brown/ The Residents Sprecher 1: Der geschlechterblinde Blick gehört meistens dem, der sich selbst für die menschliche NORM hält und Probleme ganz sachorientiert in den Griff bekommt. Jenseits vom Geschlechtergedöns. Das Gegenteil davon wäre der geschlechtersensible Blick, der auch die Schattenseiten männlicher Dominanz erkennt. Jungen müssen sich als "richtige Jungs" beweisen. Könnten sie sich freier auseinandersetzen mit dem weiten Spektrum an Rollen- und Lebensmodellen, das Männern heute offen steht, müssten sie sich nicht mehr einüben in eine zweifelhafte Männerrolle. Take 19: Markus Theunert Man muss die Privilegien der Männer auch in Ihrer Doppeldeutigkeit anschauen. Natürlich ist es ein Privileg in erster Linie 8 Prozent mehr zu verdienen, wie es im statistischen Durchschnitt zumindest in der Schweiz der Fall ist. Gleichzeitig aber ist es nicht nur Privileg, das ist auch, da drin, die ganze Ambivalenz angelegt: Ist es ein Privileg den Ernährerdruck zu tragen, ist es ein Privileg, Überstunden zu machen, die Kinder nur am Wochenende zu sehen, mit großer Wahrscheinlichkeit noch vor dem 60sten Geburtstag noch an einem Burn-out oder an einem Herzinfarkt zu erkranken? Da ist es nicht so einfach zu sagen: Was ist jetzt das Privileg und was ist das Opfer? Sprecher 2: Der Mann als Opfer? Hört sich an wie ein kulturelles Paradox. Dennoch: Die männliche Konkurrenz- und Siegerkultur erzeugt wenige Gewinner und viele Verlierer. Die von Männern ausgehende Gewalt richtet sich überwiegend gegen das eigene Geschlecht. Und: Auch Frauen tun Männern nicht nur psychische, sondern auch physische Gewalt an. Nur langsam wächst die Zahl jener, die ihre demütigenden Erfahrungen zur Sprache bringen. Es gäbe diesen Diskurs nicht ohne das Engagement der Frauenbewegung für die öffentliche Wahrnehmung der Gewalt gegen Frauen. Sie sind die Initiatorinnen des Gewaltdiskurses - und engen ihn zugleich ein. Take 20: Markus Theunert Die ältere Generation ist oft noch in diesem Denkmuster verfangen, wonach die Frauen als Ganzes die Verliererinnen der bestehenden Geschlechterordnung sind und die Männer als Ganzes Profiteure. Diese Opferrhetorik ist schwierig. Einerseits, weil sie den jungen Frauen zum Hals raushängt, andererseits, weil wir tatsächlich gleichstellungspolitische Fortschritte erzielt haben, und diese einfache Opfer-Täter Asymmetrie so nicht mehr gilt, und auch weil sie einer gewissen Radikalisierung und Polarisierung Vorschub leistet. Sprecher 1: Beispielsweise zu einer Polarisierung zwischen dogmatischen Feministinnen, und antifeministischen Männerrechtlern. Die drehn den Spieß um und erklären den Mann in der Krise ganz einfach zum Opfer des Feminismus. Ihr Forum ist vor allem das Internet, wo sie versuchen für die Benachteiligungen von Männern Aufmerksamkeit zu gewinnen. Feministisch orientierte Männerpolitiker sind in ihren Augen "Lila Pudel". Und überhaupt: Gendermainstreaming, soziale Konstruktion der Geschlechter? Mit solch linkslastigem Gedankengut soll man ihnen nicht kommen. Sprecher 2: Indes: Die Grenzen sind fließend. Denn die Themen der Männerrechtler sind auch Anliegen ihrer gleichstellungsorientierten Geschlechtsgenossen. Sprecher 1: - die Schwierigkeiten von Jungen im Bildungssystem Sprecher 2: - die schlechtere Gesundheitspolitik für Männer Sprecher 1: - die geringere Lebenserwartung Sprecher 2: - die dreimal höhere Selbstmordrate im Vergleich zu Frauen Sprecher 1: - die einseitige Darstellung häuslicher Gewalt zulasten von Männern Sprecher 2: - die trotz aller rechtlichen Fortschritte immer noch praktische Schlechterstellung von Trennungsvätern Sprecher 1: Antifeministen wenden sich gegen die Bevormundung und Zitat "Umerziehung durch öffentliche Institutionen", die sich ihrer Ansicht nach zu sehr in die `natürliche´ Aufgabenteilung zwischen Mann und Frau einmischen. So betrachten sie denn auch das 2009 im Familienministerium geschaffene Referat: Gleichstellungspolitik für Jungen und Männer als Alibiveranstaltung des, wie sie es nennen, "Frauenministeriums". O-Ton Schröder Ich sage, wenn ich über Gleichstellungspolitik rede gern dazu, dass ich mich, Amtsbezeichnung hin oder her, auch als Ministerin für mittelalte Männer verstehe. Regie: Zäsur It's a man's world James Brown/ The Residents Take 21:Hermann Kues Mit der Männerpolitik haben wir ja jetzt, was die Begrifflichkeit angeht, angefangen. Gleichstellungspolitik läuft schon ein wenig länger. Aber mit der Männerpolitik, dass wir das so deutlich sagen, das hat jetzt erst angefangen. Sprecher 1: Hermann Kues, parlamentarischer Staatssekretär von Kristina Schröder im Bundesfamilienministerium. Dort liegt, versteckt in der Abteilung 4:Gleichstellung und Chancengleichheit das Referat 408: "Gleichstellungspolitik für Jungen und Männer". Männerpolitik? Explizit kommt dieser Begriff im Familienministerium nicht vor. Take 22: Hermann Kues Natürlich gibt das Konflikte, weil es sicherlich auch Menschen gibt, die sagen: Ich könnt Mann und Frau nicht gleichschalten. Sie sind unterschiedlich, mit unterschiedlichen Anlagen, und vielleicht auch unterschiedlichen Strukturen, aber wie weit das denn überhaupt geht, das wird die Zukunft zeigen. Ich glaube, dass ein Mann genauso gut pflegen kann, wie eine Frau. Ich glaube auch, dass ein Mann sich genauso gut um Kinder kümmern kann, wie eine Frau. Ich glaube, dass auch ein Mann sich genauso gut um Sterbende kümmern kann, wie eine Frau, das hängt immer von der jeweiligen Person ab. Sprecher 1: In den Pflegeberufen herrscht Fachkräftemangel. Männer entsprechend zu sensibilisieren könnte also nicht schaden. Ist das schon Gleichstellungspolitik? Take 23:Hermann Kues Wir haben wir diesen Jungenbeirat eingerichtet Sprecher 2: 6 junge Männer zwischen 14 und 17 Jahren stellen sich die Frage, nach welchen Rollenvorstellungen sie ihr künftiges Leben und ihre Partnerschaft gestalten möchten. Begleitet von 6 Experten aus der Jungenarbeit, die die Ergebnisse im Frühjahr 2013 veröffentlichen wollen. - Und dann gibt es noch das: Sprecher 1: Bundesforum Männer ... Sprecher 2: Männer kämpfen für Gleichberechtigung ... Lobby für Männer in Deutschland Sprecher 1: heißt es ziemlich kernig auf der Webseite des Forums. Take 24: Hermann Kues: Das ist eine Initiative, die wir seitens der Bundesregierung unterstützt haben, weil es ja auch Studien gegeben hat, die den Nachweis erbracht haben, dass etwa die jungen Männer häufig Identitätsprobleme haben, dass wir uns intensiv mit jungen Frauen beschäftigt haben, wenig aber mit den jungen Männern. Sprecher 2: Zu den Gründungsmitgliedern des Dachverbandes zählen das DRK, das Paritätische Bildungswerk, die Männerorganisationen der evangelischen und katholischen Kirche, der Schwulenverband sowie die Gewerkschaft Verdi. Die Anschubfinanzierung seitens des Familienministeriums in Höhe von 132.450 Euro floss in Beratungen zur Vereinsgründung. Benötigen die durchaus namhaften Organisationen solche Summen, um sich zu vernetzen? In seinem Schwarzbuch 2011 kritisierte der Bund der Steuerzahler den hohen Verbrauch an öffentlichen Mitteln bei geringer Aktivität. Das Ministerium hat sich entschlossen, zunächst bis Ende 2013 weitere 452.000 Euro in das Bundesforum zu pumpen. Derweil schauen nicht wenige Frauenorganisationen mit Argusaugen auf die neuen Fördertöpfe für Männerpolitik. Take 25: Hermann Kues Wir werden sicherlich zu überprüfen haben, wofür wir Geldmittel im Einzelnen einsetzen, ob das immer sinnvoll und richtig ist, aber da sind wir ja dran und das ist auch ein Prozess, der etwas länger dauert. Sprecher 1: Geld fließt auch für den boys' day, der 2011 ergänzend zum girls' day eingeführt wurde. Ebenso für das seit 7 Jahren bestehende Projekt "Neue Wege für Jungs" und die Initiative "Mehr Männer in Kitas". Take 26: Hermann Kues Wir haben eine Vielzahl von Berufen, an die 400. Und Männer ebenso wie Frauen greifen immer gern auf ganz spezielle Ausbildungsberufe zu, da wollen wir Bewusstseinsänderung bewirken und auf diese Art und Weise für eine größere Vielfalt sorgen. Sprecher 2: auf Atmo von Kindergeschrei "Mehr Männer in Kitas", das sind 16 Modellprojekte in 13 Bundesländern, die mit insgesamt 13 Millionen Euro gefördert werden. Take 27:Laszlo Man denkt sich immer so last moment was aus, so Fangen spielen, Fußball spielen, Geschichten erzählen, Bücher vorlesen, das ganze Programm, macht sehr Spaß Sprecher 2: Beim Evangelischen Kitaverband Berlin beispielsweise können Jungs als sogenannte Kitahelden die Kids mitbetreuen. Take 28:Arthur Ich bin angekommen, dann ham sie meist gegessen, dann hab ich mich dazu gesetzt, danach hab ich halt noch 'n bisschen beim Abwaschen dort geholfen. Sprecher 2: Laszlo Muhr, 14, und Arthur Lubig, 12 Jahre alt, haben gerade ihr einjähriges Praktikum beendet. Welche Vorstellungen haben Jungen in diesem Alter von Männeremanzipation? Take 29:Laszlo Dieses Recht des Stärkeren, sodass der, der die anderen so übertrifft, in allem, dass der halt der Gewinner ist, davon könnte man sich lösen auf jeden Fall. Aber ich glaub, dann wär's auch nicht mehr ganz so lustig (lacht). Na ja, ich glaub, es wär schon ziemlich langweilig, wenn es nicht die ganze Zeit darauf ankommen würde, irgendwen zu übertreffen. Teils, teils, also manchmal nervt es schon ziemlich, aber manchmal ist es auch ganz nett so. Take 30: Arthur Es gibt ja auch manche Männer halt, die arbeiten gehen, und die Frauen müssen zu Hause bleiben und auf die Kinder aufpassen und kochen oder abends, müssen die Frauen auf die Kinder aufpassen, während sie mit ihren Freunden was trinken gehen und ja davon sollten sie sich auf jeden Fall emanzipieren. Sprecher 2: Und was die Arbeit in der Kita angeht. Als Beruf kommt das für die beiden wohl eher nicht infrage. Take 30a: Lazlo Kita, ja vielleicht mal so als Nebenjob. Also ich persönlich hab das ein Jahr lang jeden Freitag gemacht und ich fand das schon sehr anstrengend Take 30b:Arthur. Na, ich hab mir gedacht, dass es leichter ist, aber sie haben halt echt alle ihren eigenen sehr starken Willen, und es war ziemlich schwer. Sprecher 2: Erziehung, so haben die beiden gelernt, ist schwieriger als gedacht. Regie: Zäsur It's a man's world Christina Aguilera Take 31:Werner te Kaat Also häufig ist es so, dass der Mann nur die zwei Monate, die Vätermonate nimmt, und in der Zeit eigentlich nicht in die Rolle der möglichen Vaterperson reinrutscht, da die Zeit oft genutzt wird, um vielleicht Reparaturen am Haus zu machen oder in 'nen Urlaub zu fahren. Eigentlich sind die zwei Monate irgendwie Alibimonate. Sprecher 1: 'Vater Morgana´, so lautet ein angesagter Slogan für die 25 Prozent der Männer, die inzwischen zwei Papamonate in Anspruch nehmen. Etwa 90 Prozent von ihnen kehren danach in ihren Fulltime-Job zurück. Von den Frauen hingegen tut dies nach 12 Monaten Elternzeit nur ein Viertel. Gewinnt die Entscheidung für die klassische Rollenverteilung auch deshalb, weil sie sich immer noch besser rechnet? Sprecher 2: Wäre gleicher Lohn für gleiche Arbeit also für Frauen und Männer ein Gewinn? Würden Männer dann länger in Väterzeit gehen? Oder gar auf eine Teilzeitstelle? Vereinbarkeit von Familie und Beruf - nach wie vor wird dieses zentrale Problem als Frauenthema wahrgenommen. Robert Habeck, Minister für Umwelt und Landwirtschaft in Schleswig Holstein. Take 32: Robert Habeck Eine der ersten Maßnahmen, die ich hier mit meinem Staatssekretär ergriffen habe, ist, dass wir Familienarbeit ermöglichen wollen, im Ministerium. Also der Versuch, hier 'ne andere Arbeitskultur zu etablieren, richtet sich bewusst eben auch an Männer. Selbstverständlich. Das ist nicht geübt, muss man eindeutig sagen, es gibt zwar die formale Möglichkeit im Arbeitsrecht, aber die ist hier sehr restriktiv gehandhabt worden. Also dass jemand sagen kann: Ich beantrage, keine Ahnung, zwei Nachmittage in der Woche von zu Hause aus zu arbeiten, das wird nicht gern gesehen, ich find das ist aber dringend notwendig, dass man sich daran traut. Sprecher 1: Verbirgt sich hinter dem Gleichstellungsanliegen noch ein ganz anderes politisches Motiv? Die entgrenzte Verfügbarkeit der Geschlechter für den Arbeitsmarkt jedenfalls ist ein europaweites Ziel. Staaten mit höheren Erwerbsquoten haben weniger Arbeitslosigkeit und verschwenden -volkswirtschaftlich betrachtet - weniger Humankapital, indem sie die am besten ausgebildete Frauengeneration aller Zeiten zum Einsatz bringen. Ist es das, was Männer und Frauen wollten und wollen? Take 33: Robert Habeck Wenn man die Frage von Gleichstellung, Männerpolitik und wie wollen die Geschlechter leben, ´n bisschen auf ´ne höhere abstraktere Ebene hebt, dann geht es doch um was anderes, nämlich um Lebenszufriedenheit. Das ist eigentlich die Zielvorstellung: Dass man sagt, wenn jemand deutlich mehr arbeitet, als er eigentlich will, und 'n anderer deutlich weniger arbeitet, als sie eigentlich wollte, dann sind beide unzufrieden, dann verfehlt Politik ihr Ziel. Und dahinter verbirgt sich also´n Diskurs, der immer stärker wird, nämlich der Lebenszufriedenheit zum zentralen politischen Handlungsfeld ernennt. Und das ist ´n ganz anderer gesellschaftlicher Diskurs, als zu sagen: Da gehört so viele materielle Absicherung dazu, so viele Karriereschritte und so weiter und so weiter. Und insofern stellt dieser Diskurs, der Geschlechterdiskurs, hart auf seine Grundsätze befragt eigentlich das gesamte politische ökonomische Denken infrage. Regie: It's a man's world James Brown/Residents Sprecher vom Dienst Die doppelte Emanzipation Über die neue Jungen- und Männerpolitik Ein Feature von Eva Hillebrand Es sprachen: Helmut Gauß und Marian Funk. Ton: Bernd Friebel Regie: Roswitha Graf Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur, 2012 1