COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Mogli trifft Balu in Dresden - Kinder- und Jugendarbeit in Sachsen - Autor Mark Michel Red. CS Rehfeld Sdg. 25.03.10 - 13.07 Uhr Länge 19.07 Minuten Moderation Ein mal in der Woche treffen sich Mogli und Balu. Mogli ist im Grundschulalter und kommt aus einer einkommensschwachen Familie, Balu ist Student an der TU Dresden und für ein Jahr sein "großer Freund", häufig auch länger. Wo Sozialämter und Schulen ratlos sind, kann Balu ehrenamtlich helfen. Gemeinsam etwas unternehmen, raus aus dem schwierigen sozialen Alltag, rein in neue Erlebnisse und eine Freundschaft mit einem Großen. Freundschaften können stark machen. Doch die sächsische Politik kann sich deshalb nicht aus der Verantwortung nehmen. Jedes vierte Kind in Sachsen wächst in Armut auf. Balu kann ihm da helfen, mal endlich richtig ein Kind zu sein. Wenigstens für die Zeit der Gemeinsamkeit. Mark Michel zeigt uns das. -folgt Script Sendung- Script Sendung G 01 Atmo - Eselshof Dresden AUT Noch schaut Kim etwas schüchtern drein. Wegen der drei Esel, die direkt vor der 9jährigen stehen. Und die ziemlich laut sind. Zum ersten Mal erlebt Kim die Tiere in Natur. Nicht zum ersten Mal ist Janine Franke an ihrer Seite. Die 22jährige Studentin ist nicht mit Kim verwandt, aber jetzt, ihre große Freundin. Und über Esel hat Kim auch schon mal was gehört. E 01 (Kim) Hier wohnt ein Esel, der heißt Linda. Der ist aber schon gestorben. (Janine) Woher weißt du denn das? (Kim) Von der Lena. (Janine) Aha. AUT Kim und Janine kennen sich seit einem halben Jahr. Sie sind Teilnehmer eines Patenschaftsprojektes. Das heißt Balu und Du, dauert mindestens ein Jahr und führt sie 1 x in der Woche zusammen. Sie machen dann Sachen, die eigentlich ganz normal sein sollten: Federball spielen, Plätzchen backen, Geschichten lesen, Geschenke basteln, sich ausquatschen. E 02 (Janine Franke) Das macht Riesenspaß. Ich glaube, es ist für uns alle beide eine gute Abwechslung vom Alltag. Du kommst mal bei dir zuhause raus, genauso bei mir, ich lerne die Welt wieder mehr mit kindlichen Augen zu sehen. Atmo - Klettergerüst Spielplatz auf dem Eselshof AUT Kim genießt die Zeit mit Janine. Eine kleine außergewöhnliche Freundschaft. Zuhause steht Kim nicht so oft im Mittelpunkt. E 03 (Kim) Mein Bruder ist elf. Die Lilly ist sechs. Die Maxi ist acht. Und die Paula ist drei. AUT Die Eltern sind arbeitslos. Und in der Wohnung in Dresden-Pieschen bleibt nicht viel Raum für Kind sein: sich zurückziehen, in Ruhe zu lernen, Freunde einzuladen. Oder auch ein Abenteuertagebuch zuführen - jede Woche, gemeinsam mit Janine. E 04 (Janine Franke) Am Anfang hatte ich natürlich ein bisschen Angst, ehe wir uns kennen gelernt haben, dass wir vielleicht nicht so miteinander klar kommen, dass die Chemie vielleicht nicht so stimmt. Aber als ich Kim dann kennen gelernt habe, war das dann ein Riesenspaß. Es passt eigentlich alles bei uns. AUT Wie bei Mogli und Balu. Janine Franke ist Balu, Kim ist Mogli. G 02 Atmo - am Elbufer AUT Auf der anderen Elbseite. Dort, in der Evangelischen Hochschule Dresden, beschäftigt sich Ullrich Gintzel, Professor für Soziale Arbeit, seit Jahren mit dem Thema Kinderarmut. Für den Freistaat Sachsen verfasste er den zweiten Kinder- und Jugendbericht als Gutachter mit. Das war 2003. Die Warnung damals vor den Folgen einer steigenden Verarmung vieler Familien hat wenig bewirkt. Die Problemzahlen sind weiter gestiegen. die Probleme haben noch zugenommen. E 05 (Gintzel) Diese Kinder sind deutlich kränker als die anderen. Wir können ganz eindeutig sagen, dass ist die Gruppe, die ihr Leben lang ihre Bildungsanlagen nicht verwirklichen kann. Sie werden später eingeschult, sie wiederholen häufiger Schulklassen, sie bleiben zum überwiegenden Teil auf dem Niveau von Hauptschulabschlüssen. Und das sind auch die, die später die Übergangsschwierigkeiten haben in eine Berufsausbildung oder in einen Arbeitsplatz. AUT Da dieser Beitrag läuft, wächst jedes vierte Kind in Sachsen in Armut auf. Das trifft im wahrsten Sinne des Wortes 25 Prozent aller Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren. Im bundesweiten Vergleich liegt der Freistaat mit Sachsen-Anhalt und Mecklenburg- Vorpommern damit im unteren Drittel. In Dresden, der glanzvollen Landeshauptstadt, sind es 24 Prozent der unter 15jährigen. In Hoyerswerda und Görlitz sind es sogar über 40 Prozent. G 03 Atmo - Wohnung Eltern von Kim, Kinder spielen, es geht durcheinander AUT Bei den Eltern von Kim spielen andere Zahlen eine Rolle. Das Geld, rechnen sie vor, reicht nicht. E 06 (Kims Vater) Man kommt bis ins dritte Viertel des Monats und dann ist eigentlich das, was man zur Verfügung gestellt bekommt, alle. Und dann muss man sehen, wie man das restliche Viertel im Monat über die Runden kommt. Und das ist eben nicht so einfach mit fünf Kindern. AUT Klassenfahrten, Vereinsbeiträge, Theater oder Kino - das kostet. Und oft müssen sie ihren Kindern sagen, dass dafür kein Geld da ist. E 07 (Kims Vater) Da gibt es immer wieder Wünsche, ob das jetzt Ballett ist oder irgendetwas anderes. Also alles, was mit finanziellen Dingen zu tun hat, können wir nicht machen. Dass wir jetzt ein Kind von uns in einen Sportverein oder eine Sportgemeinschaft schicken könnten, das geht nicht. AUT In der Sprache der besorgten Politiker heißt das "soziale Ausgrenzung" und "mangelnde Teilhabe". E 08 (Gintzel) Und da schließt sich dann ein Teufelskreis, nämlich eine schlechtere Gesundheit mit weniger Bildung, mit weniger sozialer Teilhabe führt zu Entmutigung, führt zu der Wahrnehmung, auch weniger wert zu sein in dieser Gesellschaft, und damit auch sich zuzutrauen auch herauszukommen aus dieser Notsituation. AUT Das Patenschaftsprojekt Balu und Du ist da ein kleiner Puzzlestein. Von den Eltern und der Schule wird es gut angenommen. Was in einem Jahr aus der Freundschaft wird, wenn Janine ein Auslandssemester macht, das wissen die beiden nicht. Doch die Erfahrungen bei Balu und Du zeigen, dass mindestens zwei Drittel der Freundschaften über das Jahr weiter bestehen. TRENNER markantes Geräusch AUT Ortswechsel, aber nicht Problemwechsel. Die Eisenbahnstraße im Leipziger Osten. Ein Problemviertel. Die Mieten sind günstig, die Arbeitslosigkeit hoch, die Kriminalität ist es auch. Das Straßenbild prägen Internetcafes, Döner-Restaurants und Billigläden. Nirgendwo sonst in Leipzig, leben so viele Menschen aus aller Welt zusammen beieinander. Mittendrin ist ein Park, das Rabet. E 09 Atmo - Kinder erzählen über das Rabet Im Rabet gibt's einen Fussballplatz, da gibt's ne Rutsche, ein Klettergerüst, die Sporthalle von der Schule ... Der kommt aus Russland, der kommt aus Deutschland, der aus der Türkei, die kommt aus Rumänien, die kommt aus Deutschland und ich komm aus Marokko. AUT Auch das Jugendzentrum heißt Rabet. Ein bunt angemalter Flachbau mit einer Turnhalle daneben. Mit viel Zeit und Zuwendung gegen die Probleme von Jugendlichen wirken, aber nicht vordergründig, erklärt Yesim Sanli. Seit fünf Jahren arbeitet sie hier als Sozialarbeiterin. E 10 (Sanli) Da ist diese Beziehungsarbeit, dass die Jugendlichen Vertrauen zu einem schaffen, das man mit ihnen zum Beispiel Hausaufgaben macht, sie unterstützt, versucht mit ihnen die Sprache zu lernen, dass man sie irgendwohin begleitet, über ihre Probleme spricht und Beratungsstellen aufsucht und so weiter, das ist alles Teil der Arbeit. AUT Im Foyer sitzt Yesim Sanli am Tisch mit sechs älteren Jugendlichen aus der Türkei und Marokko. Sie pokern. Nicht um Geld, sondern nur um Plastikchips. Yesim Sanli ist nicht ohne Grund im Rabet angestellt. Denn in den Club kommen Kinder und Jugendliche aus fast 20 Nationen. Und sie selbst weiß, wie es ist sich fremd zu fühlen. G 05 Atmo Poker spielen Das Rabet wird vom Jugendamt getragen. Das Haus ist im Vergleich zu anderen freien Trägern in Leipzig mit genügend Geld ausgestattet. Der Etat ist fester Bestandteil des Stadthaushaltes, zudem fließen Bundesmittel und EU-Fördergelder in Projekte und in die Entwicklung des Stadtteiles. Zu kämpfen hat man hier trotzdem. Mit der sozialen Realität. Konfrontation damit, was Kinderarmut bedeutet. E 11 (Sanli) Wenn man sieht, wie Kinder gekleidet sind, wenn man mitkriegt, dass sie Hunger haben, wenn man die Familienverhältnisse kennt, weil man sich eben so intensiv mit den Kindern und Jugendlichen beschäftigt, dann kriegt man das sehr wohl mit, wie Geld in der Familie eine Rolle spielt, wie Arbeitslosigkeit eine Rolle spielt. Das am Ende oder Mitte des Monats kein Geld mehr da ist, um einkaufen gehen zu können, das kriegen wir hier jeden Tag mit. AUT Die Zeiten haben sich geändert, und mit ihnen die Problemlagen der Kinder und Jugendlichen. E 12 (Sanli) Die Zukunft von den Jugendlichen, das wissen die auch selber, ist sehr schwierig zu gestalten. Und wenn die niemanden haben, der die etwas pusht und ihnen den Impuls gibt, den sie brauchen, um selbst motiviert zu sein, um etwas zu erreichen, dann sehe ich da wenig Chancen. Die brauchen wirklich Hilfe von außen. AUT Im Sommer gibt es draußen im Rabet im Park jedes Jahr ein riesiges Kinder-Projekt. Für zwei Wochen entsteht hier dann die Stadt in der Stadt. E 13 (Kinderstimmen) Da haben wir eine eigene Stadt gebaut, wir hatten Döner-Laden, Eisladen, alles drum und Dran. Da mussten wir uns Baupläne machen und Holz holen und da haben wir eine Bäckerei gebaut... AUT Und parallel dazu berichten die Kinder und Jugendlichen vom Projekt Radio Rabet einmal im Monat im freien Bürgerradio der Stadt - von Gesprächen E 14 Atmo- Radio Rabet - Kinder berichten von Stadt in der Stadt AUT Werte vermitteln. Vertrauen schenken. Soziale Benachteiligung ausgleichen. Für die Kinder und Jugendlichen ist der Club schlicht oft nur ein Ort, um sich mit anderen zu treffen. Ein Freiraum und auch wichtiger Rückzugsraum. G 05 Atmo Kinder üben Tanzschritte Eine wichtige soziale Infrastruktur für Kinder und Jugendliche, die viel leistet, aber nur schwer messbar ist, sagt Tobias Geng, Sachgebietsleiter Jugendhilfe beim Jugendamt Leipzig. E 16 (Geng) Das sind Werte, die kann man nicht in harten Zahlen messen. Dazu bräuchte es Langzeitstudien. Also das sind ganz schwere Erhebungen, wo ich sage: Es gibt nicht die Möglichkeit, eine Wirksamkeit der offenen Kinder- und Jugendarbeit eins zu eins abzubilden, wo man sagt, dadurch dass der Junge den offenen Treff X besucht hat, ist er sozusagen geradlinig durch die Schule gekommen und hat dann gleich im Anschluss vielleicht eine Ausbildung gemacht. Das werden wir nie nachweisen können, das heißt wir brauchen politisches Bekenntnis. Es muss klar sein, es gibt diese jungen Menschen in der Stadt und diese jungen Menschen haben einen Anspruch auch auf Räume in der Stadt. AUT Doch seit Jahren befindet sich die Kinder- und Jugendarbeit im Osten Deutschlands im Abwärtstrend. Bevölkerungsrückgang und die prekären Haushaltslagen der Kommunen sind die Hauptgründe. Dadurch sind die Stellen im Bereich Kinder- und Jugendarbeit im letzten Jahrzehnt mehr als halbiert worden, die sozialen Probleme der Kinder und Jugendlichen nicht. TRENNER AUT Auch in der selbsternannten Boomtown Leipzig ist die Lage für viele Kinder und Jugendliche prekär. Die Schulabbrecherquote liegt bei 12 Prozent und über 18.000 Kinder unter 15 Jahren erhalten Sozialhilfe. Die Stadt belegt damit im Bundesvergleich nach Berlin und Rostock den letzten Platz. Also stockte die Stadt den Jugendhilfeetat um 200.000 Euro auf. Und bekam am Tag des Beschlusses eine Mitteilung aus Dresden vom Sächsischen Sozialministerium: Mit sofortiger Wirkung werden im laufenden Haushalt rund 14,4 Millionen Euro eingespart werden. Davon bei der Jugendarbeit rund fünf Millionen Euro. E 17 (Geng) Das betrifft uns als Stadt mit ungefähr 500.000 Euro, die uns nicht zur Verfügung stehen, und in der Tat, die geplant waren bei uns in der Haushaltsplanung als Einnahme. AUT Der Freistaat kürzt - das Geld, nicht die Probleme. E 18 (Geng) Das ist wirklich ein herber Schlag. Und insofern auch nicht mehr richtig nachvollziehbar und zu begreifen, weil das Land gibt keine inhaltlichen Kürzungen vor, sondern nur finanzielle. Die sagen also nicht, was dann nicht mehr gewährleistet werden soll, sondern die sagen nur: Das und das Geld habt ihr nicht mehr zur Verfügung. Das ist das erste Problem, und das zweite Problem ist: Es ist ja ein beschlossener Haushalt. Im Land haben wir einen Doppelhaushalt und der Haushalt von der Landesregierung 2010 war von der Landesregierung beschlossen. AUT Leipzig muss nun die aufgestockten Mittel für Jugendhilfe und Schulsozialarbeit zum Stopfen neuer Löcher benutzen. Die Stadt kann das vielleicht noch, Kommunen im ländlichen Raum haben es da wesentlich schwieriger. E 19 (Geng) Aber was in den Landkreisen passieren wird, das jammert einen Hund. Die Landkreise sind ja jetzt schon nicht ordentlich finanziert gewesen, die haben da Konstrukte streckenweise gefahren in der offenen Kinder- und Jugendarbeit, da wurde es uns als Städter himmelangst, wie man so etwas verantworten kann. Und wenn das jetzt noch mal mit 30 Prozent gekürzt wird, da geht dann richtig was den Bach runter. Und da muss die Politik mindestens sehr scharf darauf hingewiesen werden, was das denn für Konsequenzen hat. AUT Beispiel Landkreis Meißen. Dort zeigt das Minus rund 230.00 Euro an. Von 14 hauptamtlichen Sozialarbeitern können wahrscheinlich nur noch 4 weiter beschäftigt werden. Die Kassen von Gemeinden und Landkreisen sind nahezu leer, Kürzungen schaffen hier keine Löcher, sondern Krater. Nicht wenige sehen nun die Gefahr, dass das, was man jetzt einspart, verheerende Folgen haben könnte. Ulrike Worbs-Reichenbach ist ehrenamtliche Vorsitzende des Kreisjugendrings Meißen. Schon seit Jahren fordert sie den Ausbau der Jugendarbeit auch im ländlichen Raum. E 20 (Worbs-Reichenbach) Im ländlichen Raum fallen die Jugendlichen, die kein Geld haben, eigentlich herunter. Und wir werden in 5 bis 10 Jahren das Problem haben, dass wir eine Schicht absolut abgekoppelter junger Menschen haben, die einfach überhaupt nicht mehr mithalten können. Die werden immer und ewig auf diesem Hartz-IV Niveau rumdümpeln, und die werden wir auch nicht mehr hoch holen können. Wir haben jetzt die dritte Generation Hartz IV, und das wird bisher versucht, immer noch ein bisschen mit auszugleichen mit außerschulischen Angeboten im Jugendhilfebereich, dass die Jugendlichen nicht ganz wegrutschen, nicht ganz von der Mattscheibe verschwinden. Aber wenn diese Einrichtungen sukzessive platt gemacht werden, dann wird man gar keinen Draht mehr zu denen haben. AUT Es ist noch nicht lange her, da machten CDU und FDP mit dem Thema Jugendhilfe in Sachsen Wahlkampf. Auch im Koalitionsvertrag wird bessere Jugendarbeit gerade im ländlichen Raum angekündigt. Der Ankündigung folgt der Kahlschlag. Eine fatale Weichenstellung mit negativen Folgen für die politische Landschaft im Freistaat, prophezeit Ulrike Worbs-Reichenbach. Schon jetzt frohlocken rechte Gruppierungen damit, die Lücken im Bereich Jugendarbeit zu füllen. E 21 (Worbs-Reichenbach) Es ist ein offenes Geheimnis, das rechte Gruppierungen in die Jugendclubs immer mehr präsent sind. AUT Während die Landesregierung auf die kurzfristigen Spareffekte verweist, verschweigt sie die steigenden Langzeitkosten. Schon jetzt steigen in Sachsen die Zahlen der In-Obhutnahmen an. Und Betreuungsrichter wie Christof Specht, tätig am Landgericht Freiberg, nehmen zur Kenntnis, dass sich die Akten immer öfter mit sozialen Problemfällen von Jugendlichen füllen. E 22 (Specht) Was ich in den letzten drei, vier Jahren in einem verstärkten Maße feststellen muss, sind, ich würde es so bezeichnen, die etwas orientierungslosen Jugendlichen. Eben die Jugendlichen, die mit 20 Jahren in die Betreuung fallen. Sie haben keine Schulausbildung, sie haben keine Lehre absolviert, sie haben 20.000 Euro Schulden, sie verkriechen sich. Und irgendwann wächst sich das Ganze zu einem krankhaften Symptom aus oder sonstige Dinge, die letztendlich dazu führen, dass eine Betreuung eingerichtet werden muss, die dann sehr sehr viel und vor allem sehr sehr viel mehr Geld kosten als früher die Jugendarbeit zu fördern. AUT Mittlerweile ist der Protest gegen die Kürzungen auf allen Ebenen angekommen. Quer durch alle Lager: Sozialverbände, Kirchen und Jugendämter planen gemeinsame Protestaktionen. Selbst in CDU-Kreisen ist die Empörung groß. Vor dem Landtag in Dresden versammelten sich Tausende, um gegen die Kürzungen zu protestieren. Eine Debatte lässt die Landesregierung nicht zu, Sozialministerin Christine Clauß (CDU) verweigert Interviews. Thomas Pfeifer, der Leiter des Jugendamtes Leipziger Land in Borna, kann von mangelnder Kommunikation ein Lied singen. E 23 (Pfeifer) Wir sind direkt konfrontiert wurden nur mit diesem Schreiben, in dem uns das trocken und kühl mitgeteilt wurden ist. Dem sind nicht ein Telefonat, nicht ein Wort oder Kommunikation voraus gegangen. Uns ist bekannt, dass dies nicht nur die Landkreise betraf, sondern auch die Städte und Gemeinden und Wohlfahrtsverbände, die ja dort maßgeblich beteiligt sind. AUT Seit 20 Jahren im Geschäft, habe er das noch nicht erlebt. E 24 (Pfeifer) Die Art und Weise, wie es hier gelaufen ist, ist einfach unseriös und hat mit Fachlichkeit und Know-How eines Freistaates nichts mehr zu tun. AUT In Borna kochen die Emotionen hoch. Gerade musste sich Thomas Pfeifer den Fragen im Jugendhilfeausschuss auf einer Sondersitzung stellen. Bleibt es bei den Kürzungen von Landesseite, sieht das Jugendamt Leipziger Land sich gezwungen, 23 Jugendeinrichtungen zu schließen. Zweifel am Koalitionsvertrag werden laut. E 25 (Pfeifer) Ich habe so den Eindruck, man hat uns so ein bissel veralbert. Weil wenn ich politisch Dinge auf die Agenda stelle, die wichtig sind für mich wie Jugendpauschale, Netzwerk für Kinderschutz oder wie Schulsozialarbeit, steht ja auch drin, der Ausbau, oder den präventiven Teil der Jugendarbeit auszubauen, und dann mache ich eine Kürzung genau in diesem Bereich, dann erschließt sich für mich die politische Logik nicht. Es muss ja jemand an der Stelle einen Filmriss gehabt haben, der Dinge macht, die dieser Grundzielstellung, über die man geredet hat, einfach mal widerspricht. Und das führt zu Unverständnis. AUT Das Unverständnis teilen fast alle Anwesenden. Dass ausgerechnet am selben Tag der sächsische Wirtschaftsminister Sven Morlok (FDP) in der Presse stolz verkündet, man habe gerade 250 Millionen Euro Mittel für die Unternehmensförderung freigeschaufelt und die gleiche Summe fließe in den Straßenbau, macht viele wütend. E 26 (Sozialarbeiterin) Ich bin jetzt schon seit dreizehn Jahren in der Jugendarbeit und muss feststellen, dass immer weiter gekürzt wird. Ich bin richtig mutlos geworden in den letzten Jahren. AUT Auch Ulrike Worbs-Reichenbach, die Vorsitzende des Kreisjugendrings Meißen, ist das Lachen vergangen. Die Politik rät nun in Zeiten der Krise zu mehr Kreativität und bürgerschaftlichem Engagement. Doch genau das macht sie seit Jahren - kreativ sein und sich bürgerschaftlich engagieren. Doch nun steht sie vor dem Problem, hauptamtliche Angestellte entlassen zu müssen, weil die Mittel plötzlich fehlen. Für die Konsequenzen der Kürzung, müsste sie bei einer Klage dann privat den Kopf hinhalten. E 27 (Worbs-Reichenbach) Also, es lässt einen als Ehrenamtliche schon nachdenken, wie viel Wert ehrenamtliches Engagement denn wirklich hat. Es wird aller Orten gerufen, ja wir müssen mehr mit Ehrenamtlichen arbeiten, wir müssen mehr ehrenamtliches Engagement fördern, weil es eben wirklich wichtig ist: ehrenamtlich, gesellschaftliches Engagement. Aber letztendlich, wenn ich dann als Ehrenamtliche hafte und in Liquidationsschwierigkeiten komme, weil mir die Fördermittel weg brechen, dann habe ich privatrechtlich dafür zu haften, wenn mein Verein nicht mehr zahlungsfähig ist. AUT Noch viel mehr ärgert sie aber, dass nun jahrzehntelange Aufbauarbeit einfach wegrationalisiert wird. Die Jugendlichen lässt man so im Stich. E 28 (Worbs-Reichenbach) Unsere Klientel, mit der wir es tagtäglich zu tun haben, die hat nichts mehr zu verlieren. Und denen ist es egal, ob die für eine Straftat in den Knast gehen oder wo die ihr ärmliches Dasein fristen - das muss man auch so klar sagen. Und solange sich dieser Freistaat auch auf die Fahne schreibt, Teil dieses Sozialstaates Deutschland zu sein, hat er auch die Pflicht, dem entgegenzuwirken. AUT Die Konsequenzen, so sagt sie, sind so absehbar wie das Amen in der Kirche. E 29 (Worbs-Reichenbach) Und ich denke, dass wir in 5 Jahren dort sind, wo wir vor fünfzehn Jahren waren. Also das wir uns wieder und wieder zusammensetzen werden und diskutieren: Was können wir tun, wenn in den Kleinstädten Vandalismus auf der Tagesordnung steht, weil die Jugendlichen sich krakeelend auf dem Marktplatz treffen?! AUT Die Landesregierung aber bleibt bei den Streichungen. Und für das kommende Jahr kündigte der Freistaat Sachsen weitere Einsparungen an. Dann, so Ministerpräsident Tillich, sollen 10 Prozent eingespart werden. Auch bei den Schulen. E 31 Atmo Kim und Janine am Elbufer in Dresden AUT Kim und Janine blicken auf die Elbe. Die Abendsonne senkt sich. Kim hat es nicht eilig, nach hause zu kommen. Viel lieber will sie noch mit Janine ein wenig rumtollen. Den Elbhang hoch und wieder runter. Ihre große Freundin kommt ins Schwitzen. E 32 Kim und Janine, Rumtollen am Elbufer, Lachen und Freude. -Ende Beitrag- 1