COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport 5.9.2012, 13.07 Uhr Piraten im Parlament Wie schlagen sich die Newcomer in der Politik in den Landtagen? Autoren: Philip Banse, Tonia Koch, Barbara Schmidt-Mattern, Axel Schröder Redaktion: Heidrun Wimmersberg ________________________________________________________________________ Piraten in Berlin / Philip Banse ATMO (Tippen auf Computer) AUTOR Christopher Lauer sitzt in seinem Gästezimmer großen Büro, Raum 511, Berliner Abgeordnetenhaus. Lauer, einer der beiden Fraktionschefs der Piraten, soll Bilanz ziehen. Vor einem Jahr zogen die 15 Piraten ins Berliner Landesparlament ein, brauchten Monate, um inhaltlich arbeitsfähig zu sein, engagierten Coaches, um miteinander klar zu kommen. Jetzt sei die Fraktion im Berliner Landesparlament angekommen, sagt Co-Fraktionschef Lauer: 01 OTON Ich finde, die Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus hat gezeigt, dass die Piratenpartei in der Lage ist, auch in einem Parlament ordentliche Arbeit zu machen. Und das ist eine Leistung, über die ich mich sehr, sehr freue. Noch immer. AUTOR Inhaltlich fällt die Bilanz gemischt. Ein Gesetzentwurf haben die Piraten bisher nicht eingebracht, sagt Fraktionschef Lauer. 01a Wir stellen ja unsere ganzen Sachen, die im Programm stehen als Anträge: Wahlrecht ab 16; Wahlrecht für Ausländer; dass der Senat transparent tagen soll, oder zumindest so transparent wie das Abgeordnetenhaus, also zumindest mit Wortprotokoll, ja. Und die Sachen werden natürlich abgelehnt. AUTOR Dennoch hat die Fraktion etwas bewegen können. Im Verein mit Nicht- Regierungsorganisationen und Blogs haben sie maßgeblich dazu beigetragen, dass der Schultrojaner vorerst begraben wurde, eine Software, die in Schulen überwachen sollte, ob urheberrechtlich geschützte Lernmaterialen illegal genutzt werden. Die Piraten haben geholfen, die Funkzellenabfrage aufzudecken: Mit dieser Mobilfunk-Überwachung ortete die Berliner Polizei auf der Suche nach Auto-Brandstiftern Tausende unschuldiger Bürger. Aktuell wollen die Piraten den Vorsitzenden stellen für den Untersuchungsausschuss, der das Desaster rund um den Bau des neuen Berliner Flughafens aufklären soll. Um die Bürger an der Aufklärung zu beteiligen, planen die Piraten eine Online-Plattform, auf der Flughafen- Dokumente veröffentlicht, recherchiert und kommentiert werden können. Transparenz haben die Piraten immer weit nach oben in ihre Programme geschrieben. Im parlamentarischen Alltag wurden sie nicht allen ihrer Ansprüche gerecht. Zwar übertragen sie bis heute ihre Fraktionssitzungen im Internet. Viele Entscheidungen fällten Deutschlands erste Parlamentspiraten jedoch hinter verschlossenen Türen. Zu Recht, sagt Fraktionschef Lauer: 02 OTON Da war ich ja immer mehr der Realo, dass diese Latte, die wir da hängen mit der Transparenz auch gefährlich sein kann, weil uns das dann auf die Füße fällt, wenn wir nicht in der Lage sind, die Versprechen, die wir da vollmundig machen, einzuhalten. AUTOR Die 15 Piraten konnten auf ihren Rechnern weitere Shitstorms vorbeiziehen sehen: Als eine Abgeordnete ihren Freund einstellte etwa, oder als die Daniela Scherler als Fraktionsgeschäftsführerin angestellt wurde, eine Heilpraktikerin, die mit umstrittenen Esoterik-Thesen für Irritationen sorgt. Die Fehlerkultur der Piraten hat im Parlament etwas verändert. 03 OTON Die haben verändert, dass sie sich zum Beispiel auch mal eine Blöße geben. AUTOR Sagt Benedikt Lux, politischer Geschäftsführer der Grünen im Berliner Landesparlament. 04 OTON Die viel beschorene Fehlerkultur - upps, ich habe mal was falsch gemacht - dadurch gibt es schon eine nicht ganz so bornierte Kultur der parlamentarischen Reden. Auf der anderen Seite gibt es also auch den einen oder anderen Totalausfall mehr. Es hat also Vor- und Nachteile. AUTOR Vor allem rhetorisch ist bei den Parlamentsauftritten der meisten Piraten viel Luft nach oben. 05 OTON (monoton abgelesen) Am ersten Mai brach in Kaulsdorf einem Triebfahrzeug der Baureihe 481 ein Radsatz. Der Aufforderung des Eisenbahnbundesamtes, die Sicherheitsprüfungen .. (abblenden) AUTOR Hundertausende schauen dagegen bei Youtube zu, wenn Fraktionschef Lauer die Hinterbänkler der Regierungsfraktion fragt: 06 OTON Habt Ihr Euch das so vorgestellt? Ist es Euch das wert 5 Jahre alles abzunicken, was Herr oder Frau Referentenentwurf in irgendeiner Senatsverwaltung geschrieben hat? Dieses Unterordnen unter die Fraktion, die sich wiederum dem Senat unterordnet, das ist eine Gefahr für die Demokratie. AUTOR Wenn er mal einen zuständigen Ansprechpartner bei den Piraten gefunden habe, sagt Oppositionskollege Benedikt Lux von den Grünen, könne er zuverlässig mit den orangefarbenen Neulingen zusammenarbeiten - naja, zumindest manchmal: 07 OTON Eigentlich am meisten beschämt mich dieses Vehikel-Fahren, dieses Copy and Paste. Die Klauen Ideen und versuchen so zu tun als hätten sie die erfunden. AUTOR Gemeint ist die Oppositionsposse ums Transparenz-Gesetz. Die Grünen haben einen Gesetzentwurf erarbeitet, die Piraten auch, aber die Piratenversion ist weitgehend identisch mit dem erfolgreichen Hamburger Transparenzgesetz. Statt eines gemeinsamen Oppositions- Entwurfs, nur Streit. Die Piraten kopieren, sagt Benedikt Lux von Grünen und Pirat Lauer antwortet nur: 08 OTON Benedikt Lux lügt. Er weiß, dass er lügt, ich weiß, dass er lügt, aber er lügt. Piraten im Saarland Autorin: Tonia Koch -------------------------------------------------------- O- Ton: Landtag/Plenarsaal Es ist kurz vor neun, langsam füllt sich der Plenarsaal. O- Ton: Atmo/ Plenarsaal Als erster Tagungsordnungspunkt steht die Absenkung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre auf dem Programm. Es ist ein gemeinsamer Antrag der Oppositionsparteien im saarländischen Landtag, von Linken, Grünen und Piraten. Er wird von Andreas Augustin, einem von vier Piraten im Parlament begründet. Sein stärkstes Argument dabei ist die Bildungspolitik. Für wenige Jahre zwischen dem 15.- und dem 17. Lebensjahr, wenn in den Schulen Politikunterricht erteilt werde, seien junge Leute am ehesten bereit, sich überhaupt mit Politik zu beschäftigen. An dieser Stelle müsste für sie über ein Wahlrecht auf Landesebene die Möglichkeit geschaffen werden, an politischen Prozessen teilzuhaben. O-Ton Augustin: "Wir haben jetzt G8, das heißt, man macht ungefähr mit dem 18.Geburtstag Abi und damit haben wir die strikte Trennung. Genau diejenigen, die Politikunterricht haben, sind diejenigen, die nicht wählen dürfen, das erscheint mir durchaus obskur." Obskur ist aus der Sicht der Piraten auch das, was dann passiert. Denn die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre bei Landtagswahlen wird seit langem bereits von der SPD gefordert. Es gäbe theoretisch eine breite Mehrheit für den Antrag. Aber die Saar-SPD regiert als Juniorpartner mit der CDU im Saarland, und die ist gegen eine Absenkung. Die Sozialdemokraten unterwerfen sich trotz anderslautender Überzeugung der Koalitionsdisziplin. Ausgerechnet der glühendste Verfechter in der Reihen der SPD, der amtierende Juso-Vorsitzende, der vehement dafür gestritten hatte, reitet die Attacke gegen die Opposition. Sebastian Thul. O- Ton Thul: "Ich habe als Juso-Landesvorsitzender im Juli dieses Jahres bereits gesagt, dass der Koalitionspartner die Absenkung des Wahlalters verhindert. Die Antragsteller wissen also genau, dass der Antrag keine Mehrheit hat und nutzen dies nur, um Sand ins Getriebe der Koalition zu streuen." Die so gescholtenen, namentlich die Piraten, die von Fraktionszwang nichts halten, empfinden die Argumentation des Juso-Vorsitzenden als unlauter und in der Sache enttäuschend. Michael Hilberer, Fraktionsvorsitzender der Piraten. O- Ton Hilberer: "Ich fand es insofern traurig, dass sie sich nicht einmal enthalten haben, sondern tatsächlich abgelehnt haben, da hätten sie zumindest ein Zeichen setzen können." Aber Hilberer gibt zu, dass das Timing für den Antrag nicht das allerbeste war. O- Ton Hilberer: "Wir mussten heute Lehrgeld bezahlen. Wir haben es nicht geschafft, das Thema Wahlrecht ab 16 in die Öffentliche Diskussion zu bringen, also breit in die Öffentliche Diskussion zu bringen." Zwei weitere Anträge, darunter die Forderung nach einem Tierschutzbeauftragten erleiden das gleiche Schicksal. Sie werden mit der Zwei-Drittel-Mehrheit der Koalition abgeschmettert. Gegen diese satte, übermächtige Mehrheit kann die Opposition kaum etwas ausrichten. Ihre Vorhaben werden es wohl kaum einmal schaffen in die Ausschüsse verwiesen zu werden, um dort diskutiert zu werden. Aber, man wolle sich nicht entmutigen lassen, sagt Hilberer. O- Ton Hilberer:" Wir haben eine steile Lernkurve." Zu den Dingen, die die saarländischen Piraten inzwischen gelernt haben, zählt auch, dass sie die Öffentlichkeit einbinden müssen, wenn sie ihren Themen Gehör verschaffen wollen. Sie haben ihren Wählern mehr Transparenz versprochen und wollen einen entsprechenden Gesetzesantrag formulieren. Allein auf das parlamentarische Verfahren dürfen sie sich allerdings nicht verlassen, wenn sie damit nicht erneut Schiffbruch erleiden wollen. O- Ton Hilberer: "Da werden wir erst einmal anfangen, uns mit Interessengruppen zusammen zu setzen, werden schauen, dass wir Podien veranstalten können, Diskussionsveranstaltungen, Infoveranstaltungen durch die Partei machen. Und dann, nach einem längeren Prozess, dann diesen Entwurf ins Parlament einzubringen, damit wir eine faire Debatte bekommen." Erst Anfang August haben die Piraten nach offenen Ausschreibungen das notwendige Personal eingestellt, um die Fraktion ans Laufen zu bekommen. Wissenschaftliche Mitarbeiter, einen Fraktionsgeschäftsführer eine Pressesprecherin. Bis dahin war die Piraten-Fraktion mehr oder minder abgetaucht, was ihr den Spott der Regierung eingetragen hatte. Die Arbeit der Opposition sei saft und kraftlos hieß es aus den Reihen der Regierungsparteien CDU und SPD. Gemeint waren damit allerdings nicht in erster Linie die Piraten sondern die Linken, sagt SPD- Fraktionschef Stephan Pauluhn. O- Ton Pauluhn: "Na ja, dort wo Oskar Lafontaine sitzt, wird er für sich beanspruchen, der Oppositionsführer zu sein." Im Parlament sitzen die beiden Fraktionsvorsitzenden Lafontaine von der Linken und Hilberer von den Piraten einträchtig nebeneinander. Sie setzen auf Zusammenarbeit und die funktioniere schon ganz gut, was allerdings nicht bedeute, dass es nicht noch besser geht. Michael Hilberer zumindest genießt die erste Reihe. O- Ton Hilberer: "Och, man sitzt da vorne ja ganz gut, man gewöhnt sich dran." Die Piraten im Düsseldorfer Landtag: Autorin: Barbara Schmidt-Mattern ________________________________________________________________________ Atmo Dudelei So klingt es bei Mumble, der Kommunikations-Plattform der Piraten im Internet. Im virtuellen Raum treffen sich Arbeitsgruppen der Parteibasis zum Diskutieren, ab und zu gibt es Musikeinlagen, die wie aus einem Comicfilm klingen, oder ganze Parteitage werden hier übertragen: O-Ton Parteitag: Wir brauchen jetzt drei Schiedsrichter von diesen acht. Ich weiß, Ihr habt es jetzt schon zehn mal gehört, ich sag's Euch noch elftes, zwölftes und 15. Mal. Weil, wenn wir nämlich noch mal wählen müssen, werden wir heute mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht fertig, und das bedeutet, dass Ihr alle noch mal herkommen dürft. Das ist natürlich kein Problem, unser Vorstand freut sich darauf, bestimmt morgen die nächsten Einladungen einzulagern und noch ein paar tausend Euro zu verschwenden. Leicht genervt und immer mit einer Prise Selbstironie versehen - so klingen die Zusammenkünfte, wie zuletzt dieser Landesparteitag der nordrhein-westfälischen Piraten in Dortmund kurz nach der Landtagswahl. Mitte Mai sind die Piraten erstmals mit 20 Abgeordneten ins Parlament in Düsseldorf eingezogen. Vielbeachtet, beschnuppert und bewundert wurden sie während des Wahlkampfes, und zugleich hagelte es viel Kritik. Die Partei sei unorganisiert, allzu vielstimmig und jenseits ihrer Stammthemen häufig inkompetent bei wichtigen politischen Fragen. Inzwischen ist es ruhiger geworden, manche sagen, zu ruhig, doch die Kakophonie zwischen Partei und Fraktion bleibt. Fraktionschef Joachim Paul interpretiert das als politischen Alltag: Ich geh nicht davon aus, dass man dort Friede, Freude, Eierkuchen immer schön einer Meinung ist. Das wäre politisch illusionär, so etwas anzunehmen. Wir müssen mit diesen Konflikten umgehen und den Diskurs austragen. Das ist Demokratie, das tut manchmal weh. Besonders weh tat vielen Piraten, dass zwei Abgeordnete kürzlich im Alleingang Strafanzeige gegen NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans, SPD, gestellt haben. Anlass waren die umtrittenen CD-Käufe mit Bankkunden-Daten aus der Schweiz. Die Strafanzeige löste parteiintern einen Shitstorm aus, und nach außen wurde die Partei einmal mehr als chaotisch wahrgenommen. Das liegt auch daran, dass die Partei sich derzeit in ihrem Versprechen der absoluten Transparenz verheddert - bei manch internen Debatten, oder gar Personalfragen gelte noch ein zweiter Grundsatz, sagt Fraktionschef Joachim Paul: Natürlich sind wir an Grenzen gestoßen, denn die Piraten haben noch einen zweiten Grundwert, und der heißt Datenschutz. Dürftig fällt die 100-Tage-Bilanz der Piraten-Fraktion im Landtag aus: 30 kleine Anfragen, unter anderem für eine Novelle des Kommunalwahlgesetzes, ein kostenloser Nahverkehr, und man sei dabei, sich mehr Finanz- und Wirtschaftskompetenz zu erarbeiten, aber die, sagt Fraktionschef Paul, "falle nicht vom Himmel". Zu zentralen landespolitischen Themen, wie etwa der Energiewende, ist von den Piraten indes wenig zu hören. Stattdessen überraschte die parlamentarische Geschäftsführerin Monika Pieper zum Ende der parlamentarischen Sommerpause mit einer Warnung - die mangelnde Präsenz der Abgeordneten im Landtag während der Plenarwochen werde man so nicht weiter hinnehmen: Ich glaube, dass man es schaffen können muss, in zehn Wochen hier an diesen zwei Tagen anwesend zu sein. Und im Ernstfall werden wir die Beschlussfähigkeit anzweifeln, wobei die anderen Fraktionen jetzt natürlich vorgewarnt sind. Aber, letztendlich geht es ja auch nicht darum, die anderen irgendwie zu ärgern, sondern im Kopf was zu verändern, und das funktioniert nur, wenn alle da sind. Oder nicht alle, aber ein Großteil der Abgeordneten. Während diese Drohgebärde bei den übrigen Fraktionen nicht gut ankommt, betonen die Piraten ihrerseits überschwänglich, wie nett sie im Landtag aufgenommen worden seien - und zwar von allen Parteien. So soll es bleiben, wünschen sich die Piraten, zumal sie selbst sich nicht festlegen. Mal werde man die rot-grüne Landesregierung, und mal die CDU-FDP- Opposition unterstützen. Den Vorwurf der Beliebigkeit weist Fraktionschef Paul zurück: Wir haben natürlich ein Problem mit dem politischen Bewertungsraster. Das ist eindimensional, zwischen links und rechts. Ich würde mal aus dem Bauch heraus sagen, wir haben einen stark ausgeprägten liberalen Geist in der Partei. und es gibt einen stark ausgeprägten links und sozial ausgerichteten Geist in der Partei. Neu ist da weniger das von Paul so genannte Bewertungsraster, sondern eher, dass die Piraten alles miteinander vermischen. Und weiterhin erwecken sie den Eindruck, mehr mit sich selbst als mit politischen Inhalten beschäftigt zu sein. Beispiel Finanzen. Im Frühsommer hagelte es Schlagzeilen wegen der chaotischen Buchführung innerhalb der Partei. Es ging um falsch oder gar nicht verbuchte Mitgliedsbeiträge und Spenden. Man sei jetzt dabei, das zu beheben, sagt ein aufgekratzter Joachim Paul: Unsere neue Schatzmeisterin ist kräftig dabei. Sie hat einen guten Batzen nachzuarbeiten. Sie ist aber immer noch guter Dinge, von daher habe ich den Eindruck, dass das läuft. Und es war auch immer so, dass die Zahlungsmoral der Mitglieder in NRW besser war als in einigen anderen Landesverbänden. Also wir haben dieses Problem, was die Bundespartei als ganzes hat, auch, aber nicht in der Größe. Die Piraten in Kiel Autor: Axel Schröder ___________________________________________________________________________ Die Bilder gleichen sich, nur der Fetisch ist ein anderer: das, was - Anfang der Achtzigerjahre - für die frisch in die Landtage gewählten Abgeordneten der Grünen der Tontopf mit Sonnenblume war, ist heute, dreißig Jahre später, der aufgeklappte Laptop der Piraten. Auf Landes- und Bundesparteitagen gehört mindestens ein mit dem Internet gekoppelter Computer auf jeden Tisch, zum Twittern und Bloggen, zum Befragen der Basis und Videos in die Welt schicken. Alte Hasen im Geschäft, zum Beispiel der FDP-Fraktionschef im Kieler Landtag, Wolfgang Kubicki, haben dafür wenig übrig: OT Kubicki: Das geht einem schon auf den Geist, wenn man bei allen Sitzungen die Jungs neben sich sitzen hat und dann hauen die das dauernd in ihren Laptop rein! Ich hab mal gesagt: "Wenn die Feuerwehr so Brände löschen müsste wie die ihre Meinungsbildung betreiben, dann würden die eine Meinungsumfrage machen: Mit welchem Rohr und welchem Mittel sollen wir löschen? Und wenn die Meinungsumfrage zu Ende ist, dann braucht man nicht mehr zu löschen!" So ungefähr muss man sich das auch im Parlament vorstellen. Das ist keine vernünftige Arbeit! Ganz anders sehen das naturgemäß die seit Mai 2012 im Kieler Landtag vertretenen sechs Abgeordneten der Piraten-Partei. Mit 8,2 Prozent der Stimmen liegen sie gleichauf mit Kubickis FDP. Ein Riesenerfolg für die erst 2007 gegründete Landespartei. Der Jurist Patrick Breyer war von Anfang an dabei, heute ist er Fraktionschef der Kieler Piraten. Breyer ist 35 Jahre alt, erklärt, was ihm bei seiner politischen Arbeit besonders wichtig ist: OT Breyer: Wir wollen für mehr Transparenz sorgen. Wir wollen, dass alle Dokument, die hier in den Landtag reingehen oder rauskommen, veröffentlicht werden. Bisher ist das nur bei einem Teil der Dokumente der Fall. Das ist sicherlich eine Aktivität im Bereich der Transparenz. Aber auch die neue politische Kultur, die wir beschrieben haben - dass wir Fraktionssitzungen öffentlich führen - ist natürlich auch eine Revolution, was die transparenzpolitische Arbeit angeht... ... aber so viel Transparenz ist den anderen Fraktionen im schleswig-holsteinischen Landtag offenbar zuwider: Ende August kam es zum Eklat, als Breyer nach einer Sitzung des Ältestenrats den Inhalt der Beratungen öffentlich machte. Bisher wurden die an sich nicht geheimen Beratungen trotzdem vertraulich behandelt. Jahrelange Praxis, mit der die Piraten nun brechen wollen. Breyer kündigte seinen Vorstoß noch während der Sitzung an. Kurz nach dem Eklat stellte er seine Berichterstattung an die Fraktionskollegen ins Netz. Im Namen der Transparenz, weltweit abrufbar: OT Breyer: Ja, Moin! Ich berichte Euch mal, von dem Ältestenrat, wo ich gerade rauskomme und dafür, dass ich das tue, hab ich ziemliche Prügel bezogen. Um das schon mal vorweg zu nehmen. Eine knappe halbe Stunde erzählt der Fraktionschef von den wütenden Kollegen aus den anderen Parteien, von Kubickis Zorn, dem - teilweisen - Verständnis bei den Bündnisgrünen. Und davon, wie die Sitzung nach mehr als einer Stunde abgebrochen wurde: OT Breyer: ... diese anderen Tagesordnungspunkte sind nicht mehr beraten worden, was dann wieder zu Unmut der Verwaltung geführt hat. - Gab es das schon mal? - Ich glaube, das gab es noch nie!! [Lachen] Dass sie ihre Punkte nicht mehr besprechen konnten, die sie besprechen wollten, das alle gehen wollten, weil sie keine Zeit mehr hatten... ... und so eine Debatte hat es, so das stolze Resümee der Fraktion, seit 50 Jahren nicht gegeben. - Ganz neu, ganz offen, ganz transparent wollen die Piraten an der Kieler Förde also sein. Aber schon nach vier Monaten in den Mühlen der parlamentarischen Arbeit passiert es Patrick Breyer, dass er ins altbekannte, verschwiemelte Politiksprech verfällt. Zum Beispiel bei der Frage nach möglichen Startschwierigkeiten der Parlamentsneulinge: OT Breyer: Ich glaube, dass unsere Fraktion anders aufgebaut ist als andere Fraktionen. Nicht so hierarchisch strukturiert. Wir treffen viele Entscheidungen in großer Runde, die in anderen Fraktionen sicherlich von der Spitze her getroffen werden würden. Trotzdem finde ich es gut, wenn wir uns die Zeit nehmen, eine neue Fraktion neu und offen aufzubauen, weil glaube, dass uns das in den nächsten Jahren weiterhelfen wird. Ein windelweiches Statement, austauschbar, ohne Aussage. Aber die Nord-Piraten haben auch konkrete Forderungen: sie wollen Bürgerbegehren auf Landes- und Bundesebene und eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten durchsetzen. Und sie treten für die Euro-Rettung und für eine Energiewende ein, die die Stromkunden nicht allzu stark belasten soll. - Eine Umfrage unter den Flaneuren vor dem Landtag, auf der windigen Promenade entlang der Förde zeigt allerdings, dass diese Forderungen bisher nur wenig bekannt sind: Statements: Die lassen sich schwer definieren, finde ich. - Ich weiß nicht so wirklich, was die uns bieten wollen... Die sind selber planlos. Super vernetzt miteinander. Aber das war's denn auch schon. - Ich finde gut, dass es was Neues gibt. Ich finde nicht so gut, dass sie nicht - noch nicht - so positioniert sind. Ich hoffe, sie finden das. Und ich finde das gut in der Landschaft. Ich begrüße das sehr. Ganz im Gegenteil zu Wolfgang Kubicki, der die Einladung der Piraten zu einem Vorstellungsgespräch kategorisch ablehnt. Zumindest dann, wenn die Partei dieses Gespräch live im Internet übertragen will. OT Kubicki: Ich habe den Eindruck, dass wir es mit einer Kinderkrabbelgruppe zu tun haben und nicht mit Parlamentariern. Das Parlament ist nicht dazu da, dass man hier Lernerfahrungen macht, das ist keine Lernspielgruppe. Sondern hier haben die Menschen die begründete Erwartung, dass gestandene Persönlichkeiten dort da sind, die in der Lage sind, die Probleme des Landes zu erkennen und auch Lösungsbeiträge zu liefern. Daran mangelt es in der Sache. Die Piraten haben bisher in der Sache noch nicht einen einzigen signifikanten Beitrag geleistet. Das behauptet zumindest Kubicki, der - so scheint es - zum Lieblingsgegner der Kieler Piraten avanciert ist. - Nachtrag: mittlerweile haben die Piraten im nördlichsten Bundesland auch ganz bittere Erfahrungen mit der versprochenen Transparenz gemacht: ihr Abgeordneter Uli König nahm Anfang August heimlich die Gespräche im Innen- und Rechtsausschuss des Landtags auf. Die Fraktion für allumfassende Transparenz brauchte danach fast drei Wochen, um den Vorfall einzuräumen. Die Netzgemeinde tobte, mittlerweile flaut der Shitstorm langsam wieder ab. 1