COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Nachspiel 28.07.2013 Fatale Liebe Dynamo Dresden und seine radikalen Fans Von Claudia Altmann Atmo Einlass Sprecher 27. April, 31. Spieltag der 2. Bundesliga. Der FSV Frankfurt empfängt die SG Dynamo Dresden. Viele Fans haben den weiten Weg von Sachsen nach Hessen gemacht. Am Eingang zum Gästeblock werden sie im Nieselwetter von Ordnern und Polizei empfangen. Atmo Hunde Sprecher Die Stimmung ist entspannt. Am Einlass Taschenkontrollen. Eine Handvoll Fans werden von der Polizei rausgepickt und Leibesvisitationen unterzogen. Mittendrin die Fanbeauftragten der beiden Vereine, Marek Lange und Jürgen Eimer. Marek Lange: Kommst Du mit raus, gehst Du rüber? Jürgen Eimer: Ich geh rüber jetzt allmählich. Wenn irgendwas ist, ruf sofort an. Lange: Ich komm rum. Sprecher Der große breitschultrige Marek Lange kennt seine Jungs seit vielen Jahren und hat alles im Blick. Marek Lange Hier gerade eben musste geklärt werden, wie lösen wir das Problem, dass letztes Jahr unsere Fans sich daneben benommen haben und trotzdem Sachen erlaubt werden. Und da haben wir dankenswerterweise durch den Einsatz von meinem Kollegen vom Sicherheitsdienst ne relativ gute Regelung gefunden. Das heißt, Frankfurt unterstützt uns und unsere Entwicklung, dass halt wir hier ein entspanntes Spiel erleben können. Sprecher Das will auch sein Frankfurter Kollege. Jürgen Eimer Die heiklen Punkte sind die, dass wir Erfahrungswerte haben, dass wir diesen Ruf haben, dass wir alles haben, was rund um Dynamo geht. Und wir versuchen, es eben so wie wir das bei allen Spielen machen, Dynamo nicht als besonderes Spiel zu sehen, sondern genauso entspannt, Dynamo die Möglichkeit zu geben, sich hier zu präsentieren wie andere auch. Die Jungs in Dresden machen ne klasse Arbeit und die kann man auch würdigen. Sprecher Jürgen Eimer weiß genau um den schlechten Ruf des Ostvereins. Jürgen Eimer Ich hab auch die Erfahrung schon gemacht. Ich war auch schon privat bei Spielen in Dresden und so. Es gibt Orte, wo man sich wohler fühlt, das gibt es Ja. Aber es gibt auch Orte, wo man sich weit weniger wohl fühlt. (Lange: Das hast Du gut gesagt.) Wir haben ähnliche Probleme. Also, es reduziert sich bei uns halt auf zwei Leute und nicht auf zweitausend. (Beide lachen) Sprecher Aber er reduziert den Club nicht darauf. Jürgen Eimer Die Assoziationen, die bei mir hochkommen, sind dass es ein Traditionsverein ist, mit 'nem ungeheuer großen Fanpotential. Ich werf das lieber in ne Kiste mit Schalke oder sonst irgendwas als mit einem gebündelten Haufen an Gewalt, der über eine Stadt niedergeht. Ich halt von so was net so viel. Lange: So, ich würd' jetzt mal rausgehen. Eimer: Ich mach rüber. Lange: Wollen wir uns dann noch mal sehen? Ich komm dann noch mal rum. Wo bist'n Du dann? Eimer: Ich bin die erste Halbzeit im Innenraum und die zweite Halbzeit unter diesem Flutlichtmast, den Du da hinten siehst. Da drunter, vier, fünf Meter davor. (Okay). So fünfte Stufe von oben. Lange: Komm ich noch mal rum. Eimer: Kannst jederzeit rüberkommen. Wenn irgendwas is, durchklingeln. Lange: Ach, hier passiert nichts. Alles entspannt. Atmo Stadion Lautsprecher Einen wunderschönen guten Tag allen Fußballfans hier in der Volkssportarena in Frankfurt ... Sprecher Am Zaun haben die Fans der so genannten aktiven Szene ihre schwarz-gelben Transparente und Vereinsfahnen befestigt und damit ihr Territorium abgesteckt. Dahinter herrscht feucht-fröhliche Stimmung. Ein paar Meter weiter verfolgen die "normalen" Fans das Spiel. Unter ihnen ist auch ein Dresdner, der seit vielen Jahren in Hessen lebt und seinem Kultverein von Ferne die Treue hält. Fan Die Ultra-Szene, die bringen in Dresden sehr sehr viel Stimmung, die machen gute Konzepte, die investieren unwahrscheinlich viel Geld in gute Choreographien, die grenzen sich eigentlich auch gegen Chaoten mittlerweile ab. Vielleicht schaffen sie nicht wie's tatsächlich wünschenswert wäre. Früher hab ich's noch sehrt kritisch gesehen. Aber ich glaube, die machen echt viel Positives für den Verein. Sprecher Umso mehr bedauert er, dass gerade bei Auswärtsspielen immer wieder Chaoten den Ruf des Clubs schädigen. Dass Dynamo-Fans in den vergangenen Jahren hart an ihrem schlechten Ruf gearbeitet haben, bestreitet er nicht. Aber: Fan Bei den Sachen, die so zuletzt passiert sind, da waren halt auch viele dabei, die vielleicht nicht unbedingt was mit Dresden und dem Verein zu tun hatten. Also, es ist super einfach, zum Auswärtsspiel zu gehen, sich irgendwie was Schwarz-Gelbes anzuziehen und dann Randale zu machen. Sprecher Und noch andere Beobachtungen geben ihm zu denken. Fan Ja, ich hab's dieses Jahr schon erlebt in Kaiserslautern. Ich meine, ich bin Familienvater. Ich fahr wirklich nicht zum Fußball, um da irgendwie Stimmung zu machen, und dann gehen die Polizisten zum Teil auch schon gut auf die Fans los, damit da irgendwas passiert. Also da muss man sich auch die Konzepte angucken und hinterfragen, ob das alles so in Ordnung ist, was die da bringen. Also es ist schon zum Teil auch unberechtigt. Atmo Sprecher Bei diesem Spiel aber bleibt alles ruhig. In der zweiten Halbzeit kippt die Stimmung leicht. Die Mannschaft vergibt Torchancen, spielt schlecht und kassiert am Ende eine Eins-zu-Drei- Packung. Die Fans sind sauer, immerhin steht der Verein um Haaresbreite vor dem Abstieg. Resigniert und wütend nehmen sie noch vor dem Abpfiff ihre Transparente ab. Und plötzlich wird auch das orange-blaue Mikrofon - das bisher zwar mit neugierigen Blicken auf ihrem Terrain geduldet wurde - für ein paar von ihnen zum roten Tuch. Wütender Fan Entweder Sie singen jetzt mit, legen die Scheiße weg oder Sie verpissen sich. Naja, da gibt's keene Fragen. Sprecher Nach dem Spiel steigen die niedergeschlagenen Anhänger in ihre Autos. Der Straßenbahnverkehr zum Hauptbahnhof ist kurz unterbrochen. Dresdner Fans hätten seine Türen blockiert, so ist die leicht panische Stimme des Fahrers über den internen Dienstfunk im ersten Wagen der dahinter fahrenden Tram zu hören. Die Mitreisenden blicken sich müde lächelnd an. Dann geht die Fahrt weiter. Auf dem Hauptbahnhof versuchen einige Dynamo- Fans vergeblich, die Leute mit ihren Schlachtrufen zu erschrecken. An diesem Tag bleibt in Frankfurt alles ganz. Ein normales Fußballspiel eben. Aber nicht alle Spieltage der zurückliegenden Saison sind bei Dynamo so gelaufen. Nach wiederholten Ausschreitungen bei Auswärtsspielen, so auch bei der Partie gegen Hannover 96 im Oktober 2012 mit neun Verletzten und 21 Festnahmen, entschied der Deutsche Fußballbund, Dynamo Dresden vom DFB-Pokal auszuschließen. Geschäftsführer Christian Müller weiß, dass der Verein ein Problem hat. Christian Müller Da gibt's so den Begriff der Landnahme. Da haben unsere Fans aus Gründen, die man gut erklären kann und die ich auch teilweise ganz gut nachempfinden kann, haben sie das Bedürfnis, wenn sie in große westdeutsche Stadien kommen, dass sie dann so'n bisschen den Dynamo-Pflock irgendwo meinen einrammen zu müssen und irgendwie Fanmärsche machen und dort es eben auch zu Situationen kommt, die ich auch für überzogen halte und wo ich auch denke, dass wir da keine gute Visitenkarte abgeben. Also, dass man sich zusammen tut als Anhänger und irgendwie auch die Vorliebe für Dynamo zum Ausdruck bringt, das finde ich alles völlig in Ordnung und da hab' ich auch Lust, mitzumachen. Aber wenn dann eben aus so einer Gruppe heraus auch Leute über die Stränge schlagen - was oft passiert - dann ist es für mich bedenklich und es schadet aus meiner Sicht sehr dem Ansehen des Vereins. Sprecher Den Pokalausschluss jedoch hält er für ungerechtfertigt. Der Verein wehrte sich vor allen Sportgerichten vergeblich dagegen. Jetzt will er vor ein Zivilgericht ziehen. Er empfindet nicht nur das der Entscheidung zugrundeliegende Prinzip der so genannten verschuldensunabhängigen Haftung als ungerecht. Der Ausschluss stehe auch den bisherigen Bemühungen im Wege, das Problem langfristig in den Griff zu bekommen. Dazu gehört auch, dass der Verein mit der aktiven Fanszene im Gespräch ist. Unmittelbar nach dem Urteil einigten sich Fans und Club auf einen Neun-Punkte-Plan. Darin haben sich die Anhänger unter anderem verpflichtet, zumindest zeitweilig keine Pyrotechnik zu verwenden. Sie erteilten Gewalt, Vandalismus und jeglichem vereinsschädigenden Verhalten bei Auswärtsspielen und in deren Umfeld - An- und Abreise eingeschlossen - eine Absage. Dass das funktionieren kann, weiß Bernd Pätzold von der Dresdner Polizei. Seit den 1990er Jahren begleitet der 58jährige die Dynamo-Heimspiele als Einsatzleiter. Bernd Pätzold Wir haben die so genannte B-Kategorie. Das sind die, die sehr emotional die Spiele verfolgen, auch für ihre Mannschaft brennen, auch leiden - so könnte man so deutlich sagen - die aber dann doch bei bestimmten Konstellationen zu Gewalt neigen, aus der Gruppe heraus dann durchaus mal dynamische Handlungen begehen. Das sind Personen, die über 100 sind. Das können auch situationsbedingt mehrere Hundert sein. Und dann gibt es eben die so genannte C-Kategorie, wo man sagt, sie suchen auch in Teilen die Gewalt. Und da gehen wir davon aus, das sind im Umfeld des Dynamo-Anhanges zirka 100 Personen. Sprecher Im April dieses Jahres wurden vier Mitglieder der "Hooligans Elbflorenz" zu Haftstrafen zwischen neun Monaten und vier Jahren verurteilt. Die Männer mit Kontakten in die rechtsextreme Szene hatten beim EM-Halbfinale 2008 Deutschland gegen die Türkei in Dresden Dönerläden überfallen und mehrere Menschen verletzt. Seit 2009 - so Pätzold - hat sich die Situation beruhigt. Bei Dynamo-Heimspielen kommt es nur noch äußerst selten zu Krawallen. Die Zahl der Straftaten ist zurückgegangen. Er führt das vor allem darauf zurück, dass Stadt, Verein, Fanprojekt und Polizei miteinander regelmäßig kommunizieren. Pätzold will der Dresdner Polizei ein Gesicht geben und ist jederzeit gesprächsbereit. Auch im Einsatz. Bernd Pätzold Wenn's Gespräch möglich ist: Schutzhelm ab. Ja, das ist so eine Möglichkeit. Ich nehme also den Schutzhelm ab und lasse erkennen: Hier bin ich. Ich habe Gesicht. Ihr könnt mit mir reden. Sprecher Durch die Gespräche wuchsen Verständnis und Sensibilität, wie ein Beispiel zeigt. Bernd Pätzold Es hat ja über Jahre hin Aufläufe gegeben, die in Teilen nur ein Ziel hatten, nicht nur die Gästefans zu schmähen, sondern die - wenn's geht - auch noch körperlich zu attackieren ohne Rücksicht auf dort handelnde Polizeikräfte, ohne Rücksicht auf normale Stadionbesucher, die sich auf dem Heimweg befunden haben. Und dort haben wir gesagt: Das muss irgendwo mal ein Ende finden und haben eben eine Vielzahl von Gesprächsrunden selbst initiiert. Wir bitten aber auch, Ihr, die Ihr dort Akteure, Mitläufer seid oder einfach diesen Zustand nicht mehr dulden wollt, sagt auch uns als Polizei, was Ihr von uns verlangt. Und das hat dazu geführt, dass wir gesagt haben, wenn man weiß, wie wir polizeitaktisch mit so was umgehen, dann können wir auch die Wasserwerfer rumnehmen, also wegstellen und zeigen euch dabei, wenn ihr euch friedlich verhaltet, dann brauchen wir dieses Einsatzmittel hier auch nicht mehr. Die Folge ist, dass wir seit über zehn Jahren keine Wasserwerfer mehr zu Fußballspielen eingesetzt haben. Sprecher Die Dresdner Erfahrungen lassen mittlerweile auch manche seiner Kollegen in anderen Städten des Landes aufhorchen, sagt Pätzold. Dass es auswärts immer wieder kracht, führt er unter anderem auf ein Phänomen zurück, das er als die sich selbst erfüllende Prophezeiung bezeichnet. Der schlechte Ruf eilt den Dynamo-Fans voraus. Bernd Pätzold Wenn dann eben bekannt ist, was sich in Dortmund, Hannover oder anderen Städten abgespielt hat, dann versucht die örtliche Polizei, möglichst diese Gefahren, diese Straftaten bei sich nicht zum Zuge kommen zu lassen. Und das versucht die Polizei auch mit Kräfteaufgebot. Und da passiert leider manchmal die Interaktion. Die Polizei ist darauf eingestellt, dass eben hier eine Personengruppe in Größenordnungen kommt, was sonst hier nie stattfindet. Und mancher Anhänger von Dynamo Dresden meint eben: Na wenn die Polizei schon da ist und wir sind sowieso auf Krawall aus, dann können wir ja Krawall machen. Die Polizei wird schon dafür sorgen, dass es nicht ganz so schlimm wird. Und aus dieser Wechselwirkung, die von beiden nicht gewollt sein mag, entwickelt sich dann bedauerlicherweise immer etwas, wo man dann hinterher sagt - und so nimmt man es ja dann auch in den Medien wahr: Das haben wir ja gewusst. Es musste ja dazu kommen. Wie wir das lösen können? Ich habe noch kein Patentrezept. Sprecher Wie sehen das die Fans? Jens, der seinen vollen Namen nicht nennen möchte, hat solche Situationen schon öfter erlebt. Er selbst lehnt Gewalt ab, kann aber die Auslöser teilweise nachvollziehen. Jens Zum Beispiel das Spiel gegen Hannover 96, das DFB-Pokalspiel. Im Prinzip muss ich überlegen, wenn man schon über ne Stunde am Einlass wartet, von hinten wird geschoben, das Spiel fängt gleich an und die Tore werden nur zum Teil geöffnet, so dass überhaupt keine Möglichkeit besteht, das Stadion zu erreichen pünktlich. Und man wird von Polizisten dann auch beleidigt, geschubst und teilweise auch Pfeffersprayeinsatz ohne Grund. Dann ist es ganz einfach so, dass es unverhältnismäßig ist. Und dass man dann darauf auch reagiert, ist auch für mich absolut natürlich. Gerade wenn man Fan ist von Dynamo Dresden, wo man seit der Wende immer wieder drangsaliert wird und im Prinzip auch ne Demütigung erfahren hat seitens des Fußballverbandes seitens der Medien und man will das gar nicht mehr lesen, weil man sich rechtfertigen muss. Als normaler Fan muss man sich rechtfertigen, dass man Fan ist. Und das funktioniert einfach nicht. Atmo Fangesang Jens Wenn Dynamo-Dresden irgendwo ist, wird dann darauf hingewiesen, dass hoffentlich alles friedlich verläuft. Das ist einfach bei anderen Spielen ist das gar nicht Sinn der Sache. Zum Beispiel bei Eintracht Frankfurt. Die können aus meiner Sicht teilweise schalten und walten wie sie wollen und kriegen zwar ne Geldstrafe, aber die ist für die unerheblich, weil die einen ganz anderen Geldeingang haben als zum Beispiel Dynamo Dresden. Und ich denke mal Dynamo Dresden hat ein Stigma seit der Wende und das werden sie auch nicht mehr los. Mir ist auch bewusst, dass die Medien gerne was schreiben, was die Leute fesselt und die wollen das eben hören. Die wollen nicht hören, dass alles gut war. Atmo Dynamo-Hymne: Wir sind der 12. Mann. Auf uns kommt's heute an ... Sprecher Zu dem Dresdner Traditionsverein halten treue Fans, die in nicht weniger als 150 Clubs organisiert sind. Dynamo-Fan zu sein, ist hier eine Lebensphilosophie, die seit 60 Jahren von Generation zu Generation weitergegeben wird. In der DDR war Dynamo Dresden die erfolgreichste und populärste Fußballmannschaft. 98 Europa-Pokalspiele, achtmaliger DDR- Oberliga-Meister. Nach der Wende kam wie für alle bis dahin erfolgreichen Clubs in den neuen Bundesländern der freie Fall. Die Fans durchschritten mit ihrem Verein das tiefe Tal der Regionalliga und retteten ihn mit Spendensammlungen vor der Insolvenz. Seit der letzten Saison spielt er wieder in der 2. Bundesliga. Atmo Fan-Rufe: Dynamo, Dynamo Sprecher Mit 14 000 Mitgliedern ist Dynamo Dresden der größte ostdeutsche Sportverein. Zu den Heimspielen kommen regelmäßig knapp 30.000 Fans. Das Stadion ist fast immer ausverkauft. Für die Stimmung in der Hütte sorgen vor allem die Ultras, die sich vor zwölf Jahren gegründet haben. Um die 9000 vor allem junge Männer stehen im Dresdner K-Block und unterstützen die Mannschaft bei Auswärtsspielen, nicht selten zu Tausenden. (Atmo K- Block) Wie soll der Verein da mit Fans umgehen, die er eigentlich gar nicht haben will, die für ihn Existenz gefährdend sind. Grundsätzlich könne natürlich niemand beeinflussen, wer sich Karten für ein Spiel kauft, sagt Geschäftsführer Müller. Aber völlig hilflos ist ein Verein denn doch nicht. Christian Müller Wir haben ja in dieser Saison auch mal das Konzept vom Verkauf der Auswärtstickets dahingehend verändert, dass wir sie nur noch Vereinsmitgliedern angeboten haben. Zu denen haben wir ja dann eine gewisse Verbindung. In solche Richtungen muss man gegebenenfalls auch weiterdenken. Aber noch wichtiger als die Frage, wem geben wir überhaupt ein Ticket und wie können wir Leute fernhalten, ist aus meiner Sicht das, dass die Mehrheit der Anhänger noch stärker für den Gedanken gewonnen werden muss, dass bestimmte Dinge toll sind, wenn man Dynamo-Anhänger ist, aber dass es eben auch ne Grenze gibt und die eben nicht überschritten werden sollte und dass dann eben auch die große Mehrheit unserer Anhänger auch bei einem Auswärtsspiel wirklich durch Missfallenskundgebungen - ich will nicht sagen durch körperlichen Einsatz - denjenigen, die da irgendwie völlig frei drehen, aufzeigt, dass das nicht gewünscht ist und dass das nichts mit Dynamo Dresden zu tun hat. Sprecher Bei den Ultras Dynamo heißt das selbstregulierende Maßnahme. So geschehen mit dem Verein "Faust des Ostens". Eine Gruppe, gegen deren Mitglieder die Behörden seit vergangenem Jahr ermitteln. Ihnen werden fremdenfeindliche Straftaten, Körperverletzung, Raub und Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole vorgeworfen. Bereits zuvor war ihre Fahne in der Fankurve nicht mehr aufgetaucht. Was da genau vor sich geht, behalten die Ultras für sich. Das sind interne Angelegenheiten, heißt es. Zum Thema Gewalt will sich vor dem Mikrofon derzeit kein Ultra äußern. Der Verein seinerseits investiert mehr als vorher in die Fanarbeit. Mit Marek Lange ist seit Anfang 2012 ein erfahrener Kenner der Szene als Fanbeauftragter tätig. Durch seine langjährige Arbeit im Fanprojekt Dresden und dessen zahlreichen Initiativen ist er bekannt und wird als fairer Ansprechpartner respektiert. Seit März kümmert sich zudem die Sozialpädagogin Korinna Dittrich um die Belange der Fans. Zwei weitere Mitarbeiter sollen demnächst ihr Team verstärken. Marek Lange Also der Verein hat schon erkannt, welches Potential in den Fans steckt und dass man sich als Verein nicht aus der Verantwortung rausziehen kann. Das ist ja auch eine Säule unserer Arbeit. Wir übernehmen Verantwortung, übernehmen Verantwortung für unsere Fans, übernehmen aber auch Verantwortung der Gesellschaft gegenüber: Positive Werte, die der Fußball hat in die Gruppen, in die Gesellschaft dann auch reintragen. Sprecher In den Ultras sieht er aber keinesfalls den hemmungslosen Haufen von Randalierern. Marek Lange Das Gute an Ultras ist, dass das eine selbstorganisierte große Bewegung ist, die viele positive Sachen, die halt Gruppen haben, die halt der Fußball hat irgendwie an ihre Leute weitervermitteln. Man darf auch nicht vergessen, dass es auch negative Aspekte bei einer Ultra-Kultur gibt. Aber - und das muss man jetzt auch sagen - über die Stränge schlagen, Grenzen austesten, ist eindeutig ein Problem seit es Jugendliche gibt also seit Anfang der Menschheit. Das ist ein jugendtypisches Phänomen. Und dann ist es gut, dass sie Grenzen austesten in solchen Zusammenhängen wie Ultragruppen, weil dort eine relativ grobe Marschrichtung vorgegeben ist. Dort geht's um Pyrotechnik, dort geht's um Schalraub, Fahne entwenden. Vielleicht auch körperliche Auseinandersetzungen. Aber körperliche Auseinandersetzungen gibt's sowohl bei Kneipenbesuchen als auch bei Volksfesten, als auch bei Straßenfesten. Gewalt ist genauso ein gesellschaftliches Problem. Sprecher Er will nichts herunterspielen, mahnt aber Verhältnismäßigkeit an. Marek Lange Natürlich gibt's auch Fans, die Idioten sind und dem Verein Schwierigkeiten machen und jeder der so ist, ist einer zuviel. Aber es die Relationen müssten einfach mal gewahrt werden. Die öffentliche Wahrnehmung sollte vernünftig sein. Wenn man sich dieses Paradebeispiel - was ich zwar nicht mag, aber was sehr greifbar ist - anguckt: Beim Oktoberfest gibt's an einem Tag so viel Gewalt wie in ganz Deutschland in den ersten beiden Ligen in der gesamten Saison. Der öffentliche Fokus ist halt einfach auf dem Fußball und das ist ein Riesenproblem. Sprecher Dadurch werden die positiven Seiten der Bewegung in der Öffentlichkeit nahezu völlig ausgeblendet, kritisiert seine Kollegin Korinna Dittrich. Korinna Dittrich Die Leute erfahren Kompetenzbildung, Persönlichkeitsentwicklung. Gerade was jetzt Identitätsentwicklung angeht, das ist ja gerade im Teenageralter für die Leute wahnsinnig entscheidend, solche Gruppenzusammenhänge und Gruppenprozesse da zu erfahren. Und die Leute machen Jugendarbeit, wo sich Kommunen heute zurückziehen. Sprecher Workshops, Bildungsarbeit - auch das gehört zur Ultra-Kultur. Für die größte Blockfahne Deutschlands haben die Ultras 15 000 Euro gesammelt und unzählige Stunden mit der Herstellung verbracht. An ihrer Choreographie zum 60. Jahrestag des Vereins am 12. April dieses Jahres haben sie monatelang gearbeitet. 26 000 Euro stecken darin. Im Stadion bescherten sie damit Anhängern, Spielern und Verein ein unvergessliches Gänsehaut- Erlebnis. Die Aktion fand ein breites Medienecho. Der Name Ultras tauchte aber nicht auf. Und noch anderes tut sich in der Szene. Atmo vor Stadion Vor dem Heimspiel gegen den SC Paderborn Anfang Mai steht in der wartenden Menge vor dem Stadion eine kleine Gruppe Kinder mit ihren Eltern aus Irak, Syrien und Libanon . Auch Laura Piotrowski von der AG Asyl aus Pirna und Mitglieder der Ultra-Gruppe 1953International sind dabei. Sie haben die Aktion organisiert. Beide Vereine arbeiten schon länger zusammen. Laura Piotrowski Wir gehen zusammen zu Heimspielen mit Asylsuchenden, jetzt die große Einlaufkinder- Aktion ist heute. Sprecher Mit der Aktion wollen sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, sagt ein Mitglied von 1953International, der seinen Namen nicht nennen will. 1953International ..um einerseits den Leuten ein bisschen Abwechslung zu bieten, um den ein neues Erlebnis bieten zu können, was vielleicht nicht so alltäglich ist und aus dem Alltagstrott rausragt. Und natürlich auch um die Alltagskultur im Stadion und im Fußballumfeld allgemein ein bisschen bunter zu gestalten und Menschen reinzuholen, die sonst nicht mit dabei wären, weil sie, naja, ein bisschen außen vor sind. Es ist ja auch ne besondere Atmosphäre und die Faszination schwappt dann relativ schnell über, sag ich mal. Atmo Einlauf Der große Moment im Stadion wird für alle unvergesslich bleiben. Auch für diese libanesische Mutter, die seit fünf Jahren in Deutschland ist. Libanesin Also das ist mein Sohn und ich hab auch meine Tochter dabei. Und er freut sich sehr. Er ist Einlaufkind heute. Ja, Hurra, hurra! (Lachen) Sprecher Verein und Fanbetreuer unterstützen diese Initiativen. Wie wichtig die Arbeit mit dieser Jugendkultur - der größten Deutschlands - ist, weiß Gerd Dembowski. Der Sozialwissenschaftler und Pädagoge arbeitet in der Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit an der Uni Hannover. Gerd Dembowski Die Ultras sind mal gestartet als eine Gruppe, die die Stimmung verbessern wollte. Haben dann gemerkt, sie können das nicht so tun, wie sie wollen, und das hat sie Schritt für Schritt politisiert. In einem Sinne, nicht parteipolitisch, sondern gesellschaftspolitisch aktiv zu sein, wachsam zu sein, skeptisch zu sein, zu hinterfragen. Und das ist eigentlich das, was ich in der Schule mal als Demokratie kennengelernt hab. Sprecher Die Ultras werden zu Sozialisationsagenten, sagt er. Gerd Dembowski Aber oftmals eben auch vergessen sie, ihre eigenen Strukturen zu hinterfragen. Bei den Ultras gibt es sehr viel hegemoniale, übertriebene Männlichkeit, Ehre, Treue, Heterosexualität, Homophobie, also Schwulsein, das geht gar nicht. Es gibt ein großes "Wir und die Anderen", eine Territorialität, die nicht hinterfragt wird, die sich zuspitzen kann, woraus Gewalt entstehen kann. All das gibt es auch. Sprecher Die Ursachen für Frustration und Aggressivität liegen nicht nur am Gefühl, von DFB, Polizei und Medien ungerecht behandelt zu werden, wie Dynamo-Anhänger Jens schildert. Jens Ist ja so, nach der Wende wenn man sieht, 25 Prozent des Bundesgebiets war die ehemalige DDR. Und dann müssten auch 25 Prozent der Vereine dort spielen. So sehe ich das. Ja das funktioniert nicht. Ich denke, das bringt die Leute einfach mal auf. Das hängt einfach auch mit der gesellschaftlichen Situation auch zusammen. Es ist ja jetzt noch so, dass keine Lohnangleichung zu Hundert Prozent geschehen ist und trotzdem sind die Kosten da. Bloß mal so ein Beispiel. Und so ist das auch auf den Fußball zu projizieren ganz einfach, weil die Leute, die hängen eben mit Leib und Seele an dem Verein und die gesellschaftliche Spiegelung ist ganz einfach so, dass sie sich darüber n och Gehör verschaffen können eventuell. Und der eine oder Andere macht's eben auf ne Art und Weise, die aus meiner Sicht auch nicht legitim ist. Sprecher Für den Journalisten Christoph Dieckmann bleibt gerade im Fußball in Sachen Wiedervereinigung noch einiges zu tun. Christoph Dieckmann Generell ist der Ostfußballfan ein gekränktes Wesen. Damals hat er im Europapokal gespielt mit seiner Mannschaft und heute spielt er in der zweiten Liga. Man merkt eben auch, dass man gar nicht Anschluss halten oder Anschluss gewinnen kann, weil das west-östliche Wirtschaftsgefälle das nicht hergibt. Ich meine, wenn von 18 Mannschaften der Bundesliga 18 aus dem Westen kommen, dann sagt das nicht nur etwas über den politischen Status der deutschen Einheit - es verbietet ja einem Ostverein niemand, aufzusteigen - aber es sagt etwas über das Wirtschaftsgefälle. Das ist das Problem. Und deshalb suchen sich ungute Geister dann eine Triebabfuhr für ihre Aggressionen, um sich jenseits des Fußballplatzes Respekt zu verschaffen oder Erfolgserlebnisse. Ja, wenn man schon nicht geliebt und respektiert wird, dann sollen einen die anderen wenigstens fürchten. Sprecher Der Westen wisse fast nichts über den Ostfußball, sagte Dieckmann in seiner Festrede zum 60. Geburtstag von Dynamo. Er erwähnte darin auch, dass der Kicker-Kalender an diesem Tag nicht dieses Jubiläum des großen Traditionsvereins verzeichnete, sondern den 117. Geburtstag von Hannover 96. Grund für den Frust sieht er aber vor allem in Einem: Christoph Dieckmann Und dann gibt's diejenigen, die es ankotzt, wie der Fußball zur kommerziellen Ware gemacht wird. Die verteidigen - pathetisch gesagt - das Volkseigentum Fußball. Und das sind die Ultras und sofern die Ultras auf der guten Seite zu stehen kommen, dann leben sie mit ihrer gesamten Existenz für ihren Verein und wollen das auch ausstellen. Aber sie hassen diejenigen, die den Fußball zu einer Ware machen, das so genannte Klatsch-Publikum, das da ins Dynamo-Stadion kommen soll und dann möglichst noch ein Trikot kauft und sich mäßig interessiert dem Spiel zuwendet und dann abmarschiert und so und so viele zig Euro dort gelassen hat. Und unter der Woche sich nicht besonders darum kümmert, was mit dem Verein ist. Das mögen die nicht. Sprecher Für ihn hört Fußball da auf, wo Gewalt anfängt. Dennoch hat er ein gewisses Verständnis. Christoph Dieckmann Sagen wir mal so: Das sind wilde Jungs, die auch wild erscheinen wollen. Es gibt so den Satz: Die gehen auf den Zaun rauf, aber sie springen nicht drüber. Aber es muss so aussehen, als ob sie drüberspringen. Und wenn dann die Polizei oder die Ordner kommen und sie behandeln, als wären sie schon rübergesprungen, das, eh, gut. Und oft sind das auch hochintelligente junge Leute und manchmal über Jahre mit Stadionverboten belegt, die ich für zu hoch erachte, verglichen mit dem Alter dieser jungen Leute. Wenn man mit 18 fünf Jahre nicht ins Fußballstadion darf, das ist einfach zu viel. Sprecher Diese Meinung teilt auch Korinna Dittrich von der Dynamo-Fanbetreuung. Sie hat mit der Jugendgerichtshilfe vereinbart, dass junge Dynamo-Fans, die straffällig geworden sind, Sozialstunden beim Verein ableisten können. Korinna Dittrich Dann haben wir so unsere Aufgaben. Wir gucken uns die Leute an, manche kennen wir schon. Und wir versuchen ganz viel auch am Spieltag im Fanbetreuungsbereich zu machen. Den Horizont erweitern, Denken öffnen, einen Perspektivwechsel oder einen Wandel betreiben. Beispielsweise das Schalziehen, was dann gerne als Raub geahndet wird. So und das war angenommen ein Cottbus-Fan, ja dann kann ich ja auch mal gerade, wenn wir gegen Cottbus spielen, den da rüber stecken. Sprecher Die einen kümmern sich um die Gäste, andere werden in die Organisation einbezogen, verkaufen die Vereinszeitschrift "Kreisel" oder arbeiten mit dem Behinderten-Fanbetreuer. Die jungen Leute spüren, dass ihnen vertraut wird, übernehmen Verantwortung und werden respektiert. Das sei Sinn der Sache. Dittrich und Lange nehmen ihre Arbeit sehr ernst und das nicht nur, damit der Verein künftig weniger Probleme mit einigen ungeliebten Fans hat. Marek Lange Man sollte Fans und Fankultur nicht als Problem betrachten, sondern man soll sie als Chance betrachten. Man soll auch sehen, dass man über Arbeit mit den Fans auch sehr viele positive Werte in die Gesellschaft hineinbringen kann und es gibt halt nirgendwo so eine große Gruppe, die so ausdifferenziert ist wie so eine Fangruppen. Du hast von einem Hartz-IV-Empfänger bis zu einem aus einem Millionärshaushalt, Du hast von einem Skinhead zu einem Techno-Fan, die sind alle in einer Gruppe zusammengefasst. Und so ein Einfluss, was der Fußball auf diese Leute hat und diese Einzelnen dann in ihre Familien und Zusammenhänge, die sie ja dann doch irgendwo haben, was da vermittelt werden kann, das ist halt ne Chance und kein Problem. Atmo Stadion Fangesang Ja wir sind da Das ganze Jahr Für die SGD Schwarz und gelb, olé Schalalalala S. 1