DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 14.04.2015 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 – 20.00 Uhr Venezuela: Auf dem Weg zur Diktatur? Eindrücke aus einem gebeutelten Land Von Peter B. Schumann URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Take Frau Sprecherin 3: Die Situation ist so miserabel wie nie zuvor. Die Mittelschicht verarmt zusehends. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer. Take Alcalay Sprecher 1: Die Nationalversammlung ist von Militärs durchsetzt. Staatliche Unternehmen und Banken werden von Militärs geleitet. Nicht einmal in Diktaturen wie der von Pinochet gab es in der Regierung so viele Militärs. Take Machado Sprecherin 1: 60% der Venezolaner halten dieses Land für eine Diktatur, denn hier gibt es Folter, Zensur, keinerlei Gewaltenteilung, einen zerstörten Rechtsstaat. Take Studenten-Demo: Rufe Sprecher 1: „Die Regierung tut nichts! Sie raubt uns aus und tötet!“ Take Demo: Schüsse Haussprecher: Venezuela auf dem Weg zur Diktatur? Eindrücke aus einem gebeutelten Land Ein Feature von Peter B. Schumann Take Trommeln/ Kanonenschuss / Kommandos Autor: 16:45 - jeden Tag das gleiche Ritual: eine Ehrenformation von Soldaten feuert eine Kanone ab. Der Schuss soll an die offizielle Todesstunde von Hugo Chávez erinnern. Er starb offiziell am 5. März 2013 an Krebs. Und hier, im Cuartel de la Montaña, ruht der Begründer der Bolivarischen Revolution in einem Sarkophag. Diese ehemalige Militärakademie war jahrzehntelang Sitz des Verteidigungsministers und zuletzt Museum der Streitkräfte. Heute ist sie ein Ort hoher Symbolik: Hier startete Chávez 1992 seinen ersten Versuch, durch einen Putsch an die Macht zu gelangen, und hier wird er in einem Mausoleum zur Legende verklärt. Das Cuartel ist längst zu einer Wallfahrtsstätte für seine Anhänger, für die Chavistas geworden - und für Soldaten, die sich hier vor in Marmor gemeißelten Worten des Expräsidenten zur „Verantwortung der bolivarischen Militärbewegung“ bekennen. Take Kaserne Autor: „Chávez lebt“ - so glauben sie nach wie vor. Sein Konterfei grüßt von Hochhaus-Fassaden, von einem Büroturm schauen seine Augen herab aufs Geschehen. Dieses vielerorts verwendete Motiv erinnert jedoch nicht nur an den allmächtigen Landesvater, sondern auch an den Überwachungsstaat von George Orwell. Auf ein Wandbild dieser Augen hat jemand geschrieben: Sprecher 1: „Chávez schaut ständig auf dein Werk herab, Maduro.“ Autor: Chávez hatte Maduro, den Vizepräsidenten, zu seinem Nachfolger bestimmt, bevor er sich zu seiner letzten Reise, der entscheidenden Operation, nach Cuba aufmachte. Aus dieser Ernennung bezieht der neue Präsident bis heute seine wichtigste Legitimität. Take Chavez Sprecher 2: Wenn mir etwas zustoßen sollte, dass mich daran hindert, mein Amt weiter auszuüben, dann soll Nicolás Maduro - wie es die Verfassung vorsieht - die Amtszeit zu Ende führen. Und außerdem ist es meine feste, meine volle - wie der Vollmond, unveränderliche, absolute und totale Überzeugung, dass ihr im Fall von Präsidentschaftswahlen Nicolás Maduro zum Präsidenten der Bolivarischen Republik Venezuelas wählen werdet. Autor: Es ist ein schweres Erbe, das Nicolás Maduro im April 2013 angetreten hat. Chávez war es durch zahlreiche Sozialprogramme gelungen, die extreme Armut einzudämmen, Arbeitsplätze für viele zu schaffen, ihre Bildungschancen und die medizinische Versorgung zu verbessern. Diese Erfolge machten ihn populär, sicherten ihm seine Wahlsiege, sorgen bis heute für seinen Ruhm - und für Sympathisanten wie die junge Beatriz, die durch die Gedenkstätte führt. Auf ihrem T-Shirt steht „Ich bin Chávez“. Take Beatriz Sprecherin 2: Der Kommandant hat zum Abschluss seiner letzten Wahlkampagne zu uns Jugendlichen gesagt: Chávez, das bin nicht ich allein, sondern ist jeder von uns, der zu diesem Volk gehört. Chávez, das ist die Frau, die arbeitet, das Kind, das zur Schule geht, der Bauer auf dem Land - wir alle. Chávez ist ein Denken, eine Bewegung, die für die Veränderung des Vaterlands kämpft. „Ich bin Chávez“ - das bedeutet für mich, jeden Tag ein Sandkörnchen beizutragen zum Aufbau dieses wunderbaren Venezuelas. Autor: Zurzeit dürfte es wohl eher darum gehen, die soziale, politische und ökonomische Katastrophe zu meistern, in der sich das Land in diesem Jahr der Parlamentswahlen befindet. Maduro war es 2013 nur mit Mühe gelungen, die ersten Präsidentschaftswahlen nach dem Tod des charismatischen Vorgängers zu gewinnen. Er war nie besonders populär, doch seither schwinden sein Ruf und seine Basis. Luis Vicente León vom unabhängigen Meinungsforschungsinstitut Datanalisis: Take León Sprecher 1: Heute lässt sich nicht mehr sagen, dass der Chavismo eine überzeugende Mehrheit in der ärmsten Bevölkerungsschicht besitzt. Maduros Popularität ist auf einen Tiefpunkt von 22% gesunken, d.h. ihm vertraut nur noch ein Fünftel der Bevölkerung. 80% glauben, dass es dem Land schlecht geht. 81% halten sogar das Wirtschaftsmodell der Regierung für schlecht. Musik-Take Desorden Público: Todo está muy normal Autor: „Das ist alles ganz normal“ - singt die venezolanische Pop-Band Desorden Público, was so viel wie ‚grober Unfug‘ heißt. Take PDVSA-Promotion Sprecher 1 Venezuela: völlige Hoheit über das Erdöl / Und die größten Ölvorkommen des Planeten. / 20% der Weltreserven, / 25% der Reserven der OPEC. / Venezuela: Besitzer der größten Gas-Vorkommen Lateinamerikas und der achtgrößten der Welt. / PDVSA, sein staatlicher Öl-Konzern, ist der viertgrößte weltweit. Mit 152 Milliarden Dollar an Aktiva verfügt er über eine solide Finanzbasis. Autor: Das Erdöl ist seit Jahrzehnten die wichtigste Quelle des venezolanischen Reichtums. Es ist Segen und Fluch zugleich. In den 1970er Jahren des Ölpreis-Booms hat es für politische Stabilität, hohe Wachstumsraten und die solideste Währung auf dem Kontinent gesorgt. Es hat aber die Venezolaner auch in einen Konsumrausch versetzt, eine besinnungslose Import-Kultur entfacht, die politische Moral ausgehöhlt und schließlich in die Krise der 90er Jahre geführt. Die Bevölkerung war schließlich der korrupten politischen Klasse müde und wählte Ende 1998 Hugo Chávez zum Präsidenten. Der Oberstleutnant der Fallschirmjäger bot die einzige Alternative. Zunächst beschränkte er sich auf eine Verfassungsreform und verkündete dann sein eigentliches Programm: den Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Take Chávez Sprecher 2: Sozialismus bedeutet Macht für das Volk. Damit hier Sozialismus herrscht, müssen wir die Wirtschaftsstrukturen Venezuelas verändern und die Produktionsmittel verstaatlichen. Nur so können die Voraussetzungen für soziale Gerechtigkeit geschaffen werden, damit es kein Elend, keine Armut, keine Unsicherheit mehr in Venezuela gibt. Take Toro Hardy Sprecher 1: Präsident Chávez war ein typisches Öl-Phänomen. Er glaubte, das Öl sei für sein Projekt so wichtig, dass er es nicht den Fachleuten überlassen dürfte. Autor: José Toro Hardy gehörte von 1996 bis 1999 zum Direktorium des Konzerns. Take Toro Hardy Sprecher 1: Er transformierte PDVSA in ein Unternehmen, das soziale Probleme lösen sollte. Das ist an sich sehr gut, aber es ist nicht unbedingt Aufgabe eines Ölkonzerns, Wohnungen zu bauen, Lebensmittel zu importieren, landwirtschaftliche Produkte wie Yuka anzupflanzen und medizinische Probleme zu beseitigen. Autor: Aus PDVSA, einem florierenden Konzern, wurde eine Art Sozialministerium und eine Arbeitsbeschaffungsmaschine der Regierung mit entsprechenden Folgen. José Toro Hardy: Take Toro Hardy Sprecher 1: Heute ist das Unternehmen schwer beschädigt, höchst verschuldet, völlig ineffizient, hat ganze Märkte verloren und fördert weniger Öl als zuvor. Hätte man die nötigen Investitionen in die Anlagen getätigt, könnte man heute 5,5 Millionen Fass täglich liefern. Nach den Angaben der OPEC werden aber nur 2,3 Millionen produziert. Autor: In 16 Jahren der Bolivarischen Revolution ist die Ölförderung um ein Drittel gesunken. Seit 2014 muss sogar Benzin aus dem Ausland importiert werden, um wenigstens den Mindestbedarf zu sichern. Und das Fernsehen berichtet darüber: Take Reporterin Sprecherin 1: Wer heute über Versorgungsmängel spricht, denkt meist an Produkte und Lebensmittel. Niemand hätte sich jemals vorstellen können, dass in einem Ölland wie Venezuela Benzinmangel herrschen würde. Aber das ist die Situation in verschiedenen Gegenden des Landes und zwar seit Monaten. Im Bundesland Carabobo brach z.B. zeitweise der gesamte Verkehr zusammen, weil die Benzinversorgung nicht funktionierte. Es kam zu endlosen Schlangen und geschlossenen Tankstellen. Oft mussten die Leute ihre Wagen wegen Spritmangels aus dem Verkehr schieben. Luis Salcedo bräuchte nur ein paar Liter, um weiterzufahren und woanders seine Benzin-Suche fortzusetzen. Take Fahrer Sprecher 3: Ich habe mich bereits zweimal in die Schlange vor Tankstellen eingereiht, doch jedes Mal ging der Sprit aus, bevor ich dran war. Ich liege fest, denn ich habe kaum noch einen Tropfen im Tank. Das ist wirklich das Letzte: ein Land, das Öl produziert -, und wir kriegen keins. Autor: Fast überall in Lateinamerika kommt es zu Engpässen in der Energieversorgung. Doch in keinem anderen Land herrscht ein derartiger Mangel an Benzin, an Strom, an Gas, an Wasser - und vor allem auch an Lebensmitteln wie in Venezuela. Take Supermarkt Autor: In der zweistöckigen Halle eines Mercado Popular, einem an sich preisgünstigen, privaten Supermarkt in Petare, einem der sozial schwächeren Bezirke der Hauptstadt. Es ist 1 Uhr mittags. Die Hälfte der Stände ist geschlossen. Eigentlich müsste es hier alles geben, vor allem Gemüse, Obst, Fleisch, Brot, Milchprodukte. In manchen Auslagen liegen zwar Kartoffeln, Orangen, Tomaten und Paprika haufenweise. Doch viele sehen überreif aus, werden wohl bald entsorgt werden müssen. Eine junge Frau in diesem Mercado Popular: Take Frau Sprecherin 1: Was heißt hier „populär“. Die Preise sind hier fast genauso hoch wie überall. Hier ist nichts mehr billiger. Und mir fällt es auch immer schwerer, mein Haushaltsgeld zu kalkulieren. Wenn ich nach einer Woche wiederkomme, sind die Preise schon wieder gestiegen und manchmal um das Doppelte. Ich kann auch nicht kaufen, was ich will, sondern nur das, was es gerade gibt, wenn ich es bezahlen kann. Milch gibt es z.B. seit Monaten nicht. Zurzeit gibt es auch kein Shampoo, keine Flüssigseife, kein Deodorant, aber Toilettenpapier, das wochenlang fehlte. Take Supermarkt Autor: Maria Alonso, Mitte dreißig, ist freischaffende Grafikerin wie ihr Mann. Beide verfügen über ein Monatseinkommen von etwa 6.500 Bolívares. Das ist ein Drittel mehr als der Mindestlohn. Take Frau Sprecherin 3: Die Situation ist so miserabel wie nie zuvor. Die Mittelschicht verarmt zusehends. Der Unterschied zwischen den Armen und denen, die sich alles leisten können, wird immer größer - wie die Regierungsfunktionäre und die Privatleute mit Dollars. Für Dollar können sie importieren, was sie wollen. Musik-Take Desorden Público: Todo está muy normal Sprecher 1: Da sie weiter stehlen wollen, wechseln wir nur die Diebe: alles ist wie immer ganz normal. Take Acto militar Sprecher 3: Bitte um Erlaubnis des verfassungsmäßigen Präsidenten von Venezuela und Oberbefehlshaber der bolivarischen Streitkräfte Nicolás Maduro Moros, diesen feierlichen Akt durchführen zu dürfen in Erinnerung an den 94. Gründungstag der bolivarischen Luftwaffe und an den 22. Jahrestag der zivil-militärischen Rebellion am 27. November 1992. Sprecher 1: Es lebe Chávez! Unabhängigkeit und Sozialismus! Sprecher 2: Wir werden siegen! Sprecher 1: Erlauben Sie zu sprechen? Sprecher 2: Vorwärts! Sprecher 1: Angetreten sind 643 revolutionäre, sozialistische, antiimperialistische und zutiefst chavistische Kämpfer, um das Vermächtnis unseres ewigen Oberkommandanten Hugo Rafael Chávez Frías zu verteidigen. Take O-Ton General, Ansprache Maduros Autor: Präsident Maduro stützt sich auf die gleiche militärische Basis, mit der bereits Chávez seine Macht absicherte. Doch sein Vorgänger kam selbst aus dem Militär, verfügte dort über eine Hausmacht und verstand es, sie zu pflegen. Bis dahin hatten die Streitkräfte lediglich die Pflicht, die verfassungsmäßige Ordnung zu garantieren und für die äußere Sicherheit zu sorgen. Chávez baute sie dagegen zu einer Parallelmacht auf. Take León Sprecher 1: Der für Wirtschaft zuständige Vizepräsident ist zugleich Finanzminister und ein General. Wer übt die Kontrolle über die Polizei und den Justizapparat als Innenminister aus: ein General. Wer kontrolliert die staatliche Einfuhr von Lebensmitteln, d.h. nahezu die Hälfte aller Importe: ein General. Wer sorgt für die Zuteilung von Nahrungsmitteln und Medikamenten an die staatlichen Supermärkte: zwei Generäle. Die Macht des Militärs ist gigantisch. Autor: Dem Offiziercorps ging es nie besser. Viele seiner obersten Ränge sitzen an den Pfründen und werden gut versorgt. Doch das Ansehen der militärischen Führung hat durch die Militarisierung von Politik und Wirtschaft stark gelitten. Viele Venezolaner machen sie inzwischen für die gegenwärtige Notlage mitverantwortlich. In den 16 Jahren der Bolivarischen Revolution hat sich die Korruption, die zerschlagen werden sollte, immer weiter ausgebreitet. Die Selbstbedienungsmentalität ist in der gesamten Klasse der Funktionsträger weit verbreitet: auch in der Polizei und in der Justiz, im Regierungs- und im Staatsapparat. Die Organisation Transparency International hat in ihrer Jahresstatistik für 2014 festgestellt: Sprecher 1: „Venezuela ist das korrupteste Land in ganz Lateinamerika.“ Autor: Eine Gruppe von Kritikern innerhalb der Regierungspartei, die sich Marea Socialista nennt, hat den dadurch eingetretenen finanziellen Schaden beziffert. Während eines Seminars im November des letzten Jahres erklärte einer ihrer Spezialisten: Take Marea Sprecher 3: Die Veruntreuung beläuft sich auf 259 Milliarden Dollar. Das hat sehr viel mit der gegenwärtigen Krise zu tun: mit den verschiedenen Devisenkursen, den sinkenden Devisenreserven, der Kapitalflucht, der steigenden Inflation, der schwierigen Versorgungslage, den Problemen der Produktion. Mit dieser Summe hätte man 25 Fußballweltmeisterschaften durchführen, das Wohnungsbau-Defizit beseitigen und jahrzehntelang jedem Venezolaner im arbeitsfähigen Alter einen Grundlohn zahlen können. Autor: Erstaunlicherweise gab es auf diese Berechnung keine offizielle Reaktion, weder von der Regierung, noch von der Staatsanwaltschaft und auch nicht von den staatlichen Rechnungsprüfungsinstanzen. Allerdings wurden drei der führenden Köpfe der Dissidenten-Gruppe wenig später von der Regierungspartei PSUV ausgeschlossen. Einer von ihnen ist der Politologe Nicmer Evans. Take Evans Sprecher 3: Leider gibt es innerhalb der Partei die Tendenz zu einer kontrollierten, einer gefälligen Kritik, die nur die Korrektur kleiner Fehler zulässt. Wenn wir nun unsere Stimme erheben, weil wir die revolutionäre Entwicklung verbessern wollen, dann fühlen sich offensichtlich bestimmte Spitzenfunktionäre auf den Schlips getreten. Aber wir sind gegen antidemokratische und korrupte Entwicklungen in der Parteispitze. Einige halten uns wohl nur für ein Steinchen in ihrem Schuh. Wir sind aber durchaus bereit, zu einem Stein zu werden. Autor: Marea Socialista übt linke Kritik an der Regierung und glaubt unvermindert an die Bolivarische Revolution von Hugo Chávez als einem zukunftsfähigen Projekt. Nicmer Evans kennt jedoch auch dessen Schwächen. Take Evans Sprecher 3: Die Korruption ist nach 15 Jahren des Kampfes gegen Bestechlichkeit ein großes Problem geblieben. Eine ihrer Ursachen ist die Straflosigkeit, denn das Fehlverhalten von Politikern hat meist keinerlei Folgen. Die straflose Selbstbereicherung wird von vielen Funktionären als etwas Selbstverständliches betrachtet. Sie halten die revolutionäre Fahne hoch und gleichzeitig die Hand auf. Die Ursache hierfür ist bei der Justiz zu suchen: Es ist nicht gelungen, sie den Erfordernissen der revolutionären Entwicklung anzupassen. Das Ergebnis ist nicht nur Korruption, sondern auch Unsicherheit, Gewalt und Kriminalität. Der Justizapparat ist der korrupteste von allen. Musik-Take Desorden Público: Todo está muy normal Sprecher 1: Das nächste Lied ist ganz neu, aber es schien uns wichtig, denn es behandelt etwas, das wir alle sehr gut kennen, auch der Präsident: die Korruption. Autor: In diesem Augenblick blendete sich der staatliche TV-Sender aus der Live-Übertragung des von der Regierung finanzierten Musik-Festivals in Caracas aus. Stattdessen lief ein Werbespot über die Schönheiten des Landes. Erst danach wurde der Auftritt der Band Desorden Público fortgesetzt. Auch Zensur ist eben „ganz normal“ in Venezuela. Take Polizeisirene Autor: Kriminalität, Unsicherheit, Gewalt im Alltag - das ist ein zentrales Problem überall in Lateinamerika. Doch in Venezuela hat es im letzten Jahrzehnt ein extremes Ausmaß angenommen. Take NTN 24 Sprecher 3: Nach der jüngsten Statistik der venezolanischen Beobachtungsstelle für Gewalt ist Venezuela nach Honduras das gewaltreichste Land Lateinamerikas. In den ersten sechs Dezembertagen 2014 wurden 72 Personen allein in Caracas ermordet. Autor: So berichtet der lateinamerikanische Nachrichtenkanal NTN24. Und eine Frau meint darin: Take NTN 24 Sprecherin 3: Hier gibt es einfach keine Autorität mehr. Die Regierung unterstützt das Verbrechen, wenn sie so tut, als ob jeder stehlen kann, was er braucht. Ich glaube, das Problem ist inzwischen ihren Händen entglitten. Hier beklauen und töten sie Alt und Jung, Arm und Reich, Angestellte und Arbeiter, und niemand zahlt dafür. Es herrscht Straflosigkeit, alles wird vertuscht. Das ist unsere traurige Wirklichkeit. Take Colectivos/Atmo Autor: Berüchtigt sind die sog. colectivos, kleine Gruppen junger Chavistas, die ursprünglich als eine Art Ordner und Sozialhelfer in den Armenvierteln fungieren sollten. Doch je heftiger die politischen Konflikte eskalierten, umso öfter wurden sie von der Regierung als Schlägertrupps auch auf Motorrädern eingesetzt. Sie rasen in Demonstrationen hinein, schlagen und schießen um sich, nicht selten treffen sie Unbeteiligte, terrorisieren Regierungs-Gegner, überfallen Fußgänger. Viele von ihnen gehören zu dem kriminellen Sumpf, der sich in den Jahren des Chavismo ausgebreitet hat. Take Atmo Hospital Autor: In der Ambulanz des städtischen Krankenhauses von Petare. Hier werden die Opfer der Gewalt eingeliefert - und manchmal auch die Täter. Doch Operationen, selbst kleinere Eingriffe, können in dieser Notaufnahme nicht mehr durchgeführt werden. Vicente Paéz von der Stadtverwaltung: Take Paéz Sprecher 3: Der Etat reicht nicht mehr, um das medizinische Personal vernünftig zu bezahlen. Die Regierung, die uns die Mittel zuweist, hat sie drastisch gekürzt. Also mussten wir die für eine solche Station nötige Anzahl von Ärzten reduzieren, und die restlichen arbeiten hier nur noch stundenweise, weil sie ihren Lebensunterhalt woanders verdienen müssen. Das ist wirklich sehr schlimm, denn hier ist die zentrale Anlaufstelle für alle Unfälle in diesem Stadtbezirk. Take Kinderabteilung Autor: In der Kinderabteilung nebenan liegen zwei kleine Patienten. Der eine hat 40 Grad Fieber: er soll viel trinken, denn noch ist nicht diagnostiziert, ob er Malaria, Dengue oder Chikungunya hat, eine Tropenkrankheit, die sich im letzten Jahr epidemisch in Venezuela ausgebreitet hat, weil die Regierung die Gefahr lange ignorierte. Der andere Junge erhält endlich eine Infusion. Seiner Mutter ist es erst nach Tagen gelungen, ein Schmerzmittel aufzutreiben, denn das städtische Krankenhaus konnte es nicht besorgen. Take Mutter Sprecherin 3: Mich haben sie mit meinem Jungen gut aufgenommen. Er hatte Schmerzen im Arm, doch sie konnten ihm ohne das fehlende Medikament nicht helfen. Ich bin deshalb zu allen Apotheken von Petare gefahren, aber auch dort hatten sie das Mittel nicht. Erst ein Bekannter, der in einem anderen Krankenhaus arbeitet, konnte es glücklicherweise besorgen. Autor: Seit Monaten gibt es bei der Versorgung mit Medikamenten einen Notstand. Anfang 2014 fehlten in der Hauptstadt Caracas bereits 60% der Arzneimittel und im übrigen Land sogar 70%. Die meisten müssen importiert werden, wobei oft die Devisen nicht ausreichen. Und für die wenigen, die im Land selbst hergestellt werden könnten, sind die Grundstoffe nicht da. Das gesamte Gesundheitswesen macht die schlimmste Krise seit langem durch. Dr. García Doval, Direktor der Vereinigung der Kliniken und Krankenhäuser: Take García Sprecher 1: Um heute beispielsweise einen Termin für eine Röntgen-Untersuchung in einem Krankenhaus von nationalem Renommee wie die Universitätsklinik von Caracas zu erhalten, dauert es 9 Monate. Es gibt nicht genügend Kapazitäten, kein Geld für Ersatzteile, es fehlt an Röntgenfilmen, oft sogar an Entwicklerflüssigkeit, an Ärzten. 2013 sind wegen dieser Zustände 1.897 Ärzte ins Ausland emigriert. Autor: Und viele ausländische Firmen liefern nichts mehr, weil Venezuela seine Schulden von vielen hundert Millionen Dollar nicht mehr bezahlen kann. Es kommt zu absurden Situationen in den Krankenhäusern. Take García Sprecher 1: Wird ein Patient mit einem Herzinfarkt eingeliefert, dann können wir ihn mit einem einfachen EKG untersuchen. Sollten wir einen Katheder legen müssen, dann geht das nicht, denn wir haben keinen. Also kommt er auf die Intensivstation, und wir versuchen, ihm mit Medikamenten zu helfen und dabei Komplikationen zu vermeiden. Vor ein paar Monaten hätten wir im Notfall noch einen Stent in die Herzkranzgefäße einsetzen können. Der Patient hätte nach ein paar Stunden das Krankenhaus verlassen. Aber jetzt gibt es weder den dafür nötigen Katheder noch den Stent. Also behandeln wir ihn wie vor 40 Jahren mit einem Medikament, das ähnlich wirkt, allerdings erst nach einer Woche. In dieser Zeit ist er den Risiken eines Krankhauses ausgesetzt, so dass ihn vielleicht nicht der Infarkt, aber eine Sepsis umbringt. Musik-Take Desorden Público: Todo está muy normal Sprecher 1: Alles ist wie immer reines Glück und große Freude, alles ganz normal. Nur bescheißen lassen wir uns nicht! Sprecher 3: Frohe Weihnachten allen Mitkämpfern und auch den Gegnern Nicolás Maduro, Diosdado Cabello und allen anderen. Autor: Twitterte Roberto Enríquez, Vorsitzender der venezolanischen Christdemokraten letztes Jahr. Sprecher 1: Für jene, die beleidigen, hassen und voller Vorurteile sind, beten wir, damit das Jesuskind auch in ihre Herzen dringt. Autor: - schrieb Henrique Capriles, ehemaliger Präsidentschaftskandidat der Opposition. Und María Corina Machado, die Vertreterin des radikalen Flügels der Opposition, teilte mit: Sprecherin 3: An 2014 werden wir uns als an das Jahr erinnern, in dem die Bürger die Geschichte veränderten: das Volk erwachte, und das Regime kollabierte. Autor: Drei Richtungen der Opposition meldeten sich am Jahresende zu Wort: der Christdemokrat sandte ein Zeichen der Dialogbereitschaft aus; der Politiker, der sich bei den Präsidentschaftswahlen 2013 um den Sieg betrogen fühlte, zeigte sich versöhnlich; nur María Corina Machado blieb bei der radikalen Position, die sie seit langem vertritt. Sie glaubt nicht an Wahlen, sondern nur an die Rebellion der Straße. Darin unterscheidet sie sich von den beiden anderen. Take Machado Sprecherin 3: Die letzten Parlamentswahlen 2011 gewannen wir mit 52% der Stimmen. Wir erhielten jedoch nur 40% der Sitze, weil die Regierung zuvor unter Missachtung der Verfassung die Gewichtung der Stimmenzahl und den Zuschnitt der Wahlbezirke zu ihren Gunsten verändert hatte. / Hinzu kommt, dass heute 6 von 10 Venezolanern glauben, dass die Stimmabgabe nicht geheim war, weil man mit den elektronischen Wahlmaschinen auch Zugang zum Wählerverzeichnis erhalten kann. Auch am Wahltag gibt es viele Möglichkeiten der Manipulation. Selbst wenn es uns gelänge, die Bürger von unserem Kampf um die Demokratie zu überzeugen, wäre das Ergebnis das gleiche. Autor: Auch ist völlig offen, ob der Chavismo jemals einen demokratischen Machtwechsel akzeptieren würde. Deshalb setzt dieser Teil der Opposition auf gesellschaftlichen Druck durch Mobilisierung der Bevölkerung und Proteste. Take Demonstrationen in Táchira Autor: Mit monatelangen Demonstrationen hatte das Jahr 2014 begonnen. Ausgelöst wurden sie jedoch nicht von der Opposition, sondern von Studierenden. In San Cristóbal, der Hauptstadt des Bundesstaates Táchira im Westen des Landes, war eine Studentin in der Universität Opfer einer versuchten Vergewaltigung geworden. Daraufhin kam es am 4. Februar zu spontanen Protesten gegen die weit verbreitete Gewalt. Die Regierung wiegelte zunächst ab und setzte dann ihre Repressionsmaschinerie gegen die Demonstranten in Gang. Eine Studentensprecherin: Take Demo Táchira/Studentin Sprecherin 1: Wir haben genug von ihren Lügen und Verleumdungen und verlangen vom Innenminister Rodríguez Torres, dass er die Panzer, die Jagdflugzeuge und den übrigen Militärapparat aus Táchira wieder abzieht. Angesichts des Schweigens der Regierung über die von ihr verübten Gewalttaten erklären wir, die Studenten-Bewegung und das Volk von Táchira, Herrn Maduro, Herrn Rodríguez Torres und all die anderen, zu Personen non grata. Sprecher 1: „Raus hier, raus hier!“ Autor: Erst eine Woche später schloss sich die Opposition den studentischen Demonstrationen an. Sie weiteten sich rasch auf andere Teile des Landes aus und erreichten in Caracas ihren Höhepunkt. Aus einem lokalen Protest wurde als Reaktion auf die brutale Repression der Regierung eine Massenbewegung. Sie richtete sich nicht nur gegen die wachsende Alltagsgewalt, sondern auch gegen die zunehmenden Versorgungsengpässe, die weit verbreitete Korruption im Staats- und Militärapparat sowie gegen den autoritären Regierungsstil Maduros. Take Demo / Schüsse Autor: Die Unterdrückungsmethoden der Guardia Nacional wurden immer brutaler. Häufig schossen die motorisierten Banden der colectivos auf Demonstranten. Die wehrten sich mit dem Bau von Straßenblockaden und der Besetzung öffentlicher Plätze. Insgesamt kamen 43 Venezolaner ums Leben. Präsident Maduro machte die Spitze der Opposition dafür verantwortlich. Take Maduro Sprecher 2: Ich bedauere zutiefst, Patrioten, die ihr mich hört, das Blut, das in Venezuela vergossen wird durch eine kleine Gruppe unverantwortlicher, gewalttätiger Anführer voller Hass und persönlicher Interessen, finanziert von den Vereinigten Staaten Nordamerikas. Unser Herz ist schwer, weil eine Gruppe von Faschisten das Blut junger Venezolaner vergossen hat. Autor: Maduro erklärte Leopoldo López, einen der führenden Köpfe der Opposition, zum Rädelsführer und Urheber der Gewaltausbrüche. Nachdem ein Richter einen Haftbefehl gegen ihn erlassen hatte, stellte er sich freiwillig der Justiz. Auf einer Massenveranstaltung vor dem Monument des Freiheitshelden José Martí ergriff er kurz vorher noch einmal das Wort. Take López Sprecher 3: Dieser Kampf, Schwestern und Brüdern, gilt dem ganzen venezolanischen Volk, das heute Schlange stehen muss und Mangel leidet, gilt den Jugendlichen, die keine Arbeit und keine Zukunft haben wegen eines falschen, uns aufgezwungenen Wirtschaftsmodells. Deshalb müssen wir uns darüber klar sein, dass es nur einen Ausweg aus diesem Fiasko gibt: einen friedlichen, verfassungsgemäßen Ausweg, der aber auch auf der Straße gesucht werden muss. Autor: Der 44-jährige Leopoldo López stammt aus der Großbourgeoisie - wie andere führende Vertreter der Opposition. Als erfolgreicher Bürgermeister von Chacao, einem der wohlhabendsten Stadtbezirke von Caracas, hat er politische Erfahrung gesammelt und sieht sich selbst - Sprecher 3: - „als eine sozialdemokratische Alternative zur sozialistischen, anti-amerikanischen Bolivarischen Revolution“. Autor: 2002 gehörte er zu den wichtigsten Organisatoren der Massendemonstrationen gegen Chávez. Seither steht er im Zentrum der Versuche der Regierung, die Führung der Opposition zu kriminalisieren. Anfang Dezember 2014 wurde auch María Corina Machado zum Generalstaatsanwalt zitiert. Sie soll in eMails zu einem Komplott gegen Maduro aufgerufen haben Autor: Die 47-Jährige hat ihre familiären Wurzeln in der oberen Mittelschicht. 2010 wurde sie mit der höchsten Stimmenzahl aller Abgeordneten ins Parlament gewählt. 2013 schlugen sie Chavistas bei einer parlamentarischen Konfrontation brutal zusammen. 2014 entzog ihr der Parlamentspräsident widerrechtlich das Mandat, weil sie angeblich gegen parlamentarische Regeln verstoßen hätte. Seither darf sie das Land nicht mehr verlassen. Im November schossen Unbekannte auf ihr gepanzertes Fahrzeug. Trotzdem sieht sie in der Katastrophe des Landes auch eine Möglichkeit der Erneuerung. Take Machado Sprecherin 1: Paradoxerweise geschah der Zusammenbruch auf dem Höhepunkt des Ölreichtums, als sich die Einkünfte vervielfacht hatten. Daraus ergibt sich eine Chance, denn wir Venezolaner haben begriffen, dass wir dringend eine neue Form von Gesellschaft brauchen. Dazu müssen wir die Übel und Praktiken der Vergangenheit korrigieren, die in den letzten 15 Jahren exzessiv fortgesetzt wurden: die völlige Abhängigkeit vom Öl, der Populismus, der Etatismus, der Zentralismus und der Militarismus. Autor: Auch Machado war 2002 an den Demonstrationen gegen Präsident Chávez beteiligt. Sie soll sogar das ‚Carmona-Dekret‘ mit unterzeichnet haben, mit dem die Verfassung kurzfristig außer Kraft gesetzt wurde. Das bestreitet sie allerdings. Take Wahlsong Capriles Sprecherin 3: „Venezuela, das sind wir alle, nicht nur die Hälfte! Venezuela für alle - das ist Capriles!“ Autor: Henrique Capriles ist der Dritte im Führungstrio der Opposition. Er war zweimal Präsidentschaftskandidat: 2012 trat er gegen Chávez an, 2013 gegen Maduro. Bei beiden Wahlgängen unterlag er, zuletzt äußerst knapp: mit einer Differenz von nur 1,6% der Stimmen auf den Sieger. Capriles in der Wahlnacht zu Maduro: Take Capriles Sprecher 3: Sie und Ihre Regierung haben die Wahl verloren. Nach den zahllosen Vorfällen bei diesen Wahlen sage ich mit aller Klarheit: Wir werden kein Ergebnis anerkennen, bevor nicht jede einzelne Stimme neu ausgezählt wurde... Das venezolanische Volk verdient Respekt. Autor: Er focht die Wahl vor dem Obersten Gerichtshof an und wurde abgewiesen., Der 42-Jährige kommt aus einer einflussreichen Unternehmer-Familie und hat sich bereits früh für die Politik entschieden. 2002 nahm er gleichfalls an den gewalttätigen Demonstrationen gegen Chávez teil. Seit 2008 ist er Gouverneur des Bundesstaates Miranda. Henrique Capriles auf einer Pressekonferenz über sein Programm: Take Capriles Sprecher 3: Ich würde den Lohn der Arbeiter anheben, 20.000 kommunale Betriebe gründen und so die Kaufkraft der Venezolaner erhöhen. Die Industrie würde ich stärken und die Inflation senken, damit unser Geld wieder Wert erhält. Das Land muss wieder produzieren, was es selbst herstellen kann. Die Ölindustrie muss gründlich in Ordnung gebracht, die Ölproduktion gesteigert und die kollektiven Arbeitsverträge müssen zugunsten der Arbeiter neu verhandelt werden. Autor: Unermüdlich reist der kleine, schmächtige Mann durch Venezuela, um die Bevölkerung über die Ursachen der chavistischen Misswirtschaft aufzuklären und sie von der Opposition als einziger Alternative zu überzeugen. Das dürfte angesichts der Notlage und der Unfähigkeit der Regierung, sie zu bewältigen, nicht schwer sein. Zumal Präsident Maduro inzwischen so unpopulär ist wie keiner seiner Vorgänger und selbst in seiner eigenen Partei immer weniger Vertrauen genießt. Doch die Opposition tut sich schwer. Luis Vicente León von Datanalisis: Take León Sprecher 1: Die Opposition ist gespalten. Ihre Spitzenpolitiker streiten über den für sie richtigen Weg. Ein Oppositioneller weiß oft nicht, ob er Unterschriften für die verfassungsgebende Versammlung sammeln soll, die Leopoldo López anstrebt, oder ob er sich Henrique Capriles anschließen soll, der dem parlamentarischen Weg der Wahlen folgt, oder besser María Corina Machado, die die Straße mobilisieren will. Oder ob er am besten seine Hände in den Schoß legt, weil die Regierung so schlecht ist, dass sie von alleine zusammenbricht. Autor: Die Einheit in der Vielheit suchen - so lautet die Beschwörungsformel für den Erfolg. Deshalb haben sich bereits vor Jahren die insgesamt 27 Parteien aus dem rechten bis linken Spektrum zusammengesetzt und den MUD gegründet, den Tisch der demokratischen Einheit. Bisher wurde er von Politikern der Mittel- und Oberschicht dominiert. Seit November heißt sein Generalsekretär Jesús Torrealba, ein Mann aus dem Volk. Der 56-jährige soll eine Brücke zu jenem großen Teil der Bevölkerung bilden, der zum Wählerpotential der Regierungspartei gehört und bisher vernachlässigt wurde. Take Torrealba Sprecher 3: Bei allen Aktionen, an denen ich teilgenommen habe, habe ich wirklich immer Oppositionelle aus den verschiedensten Parteien getroffen. Doch nie gehörten sie zu den durch die Medien bekannten Parteimitgliedern. Das heißt, so gut wie nie haben die demokratischen Parteien diesen Aktivisten an der Basis die Sichtbarkeit, Anerkennung und Stimme gegeben, die sie verdienen. Autor: Jesús Torrealba, einer der aktivsten Vertreter des Oppositionsbündnisses, könnte es gelingen, bei den Parlamentswahlen, einen entscheidenden Teil der Unzufriedenen aus dem Regierungslager für die Parteien des MUD zu gewinnen. Auch er sieht tiefe Risse innerhalb des Chavismo. Take Torrealba Sprecher 3: Einzelne Gruppierungen haben begonnen, sich erbittert und manchmal sogar mit Gewalt zu bekämpfen. Es geht um Einfluss und Pfründe angesichts des fortschreitenden Machtverfalls des Regimes. Einige versuchen sich deshalb als besonders Radikale zu profilieren wie der Parlamentspräsident Cabello. Es gibt geradezu eine Hetzjagd auf prominente Oppositionelle: Abgeordnete, Bürgermeister, Spitzenpolitiker werden verfolgt, vor Gericht gezerrt, eingesperrt. Teile der Regierung versuchen mit allen Mitteln, eine politische Lösung zu verhindern. Autor: Venezuela, dem ölreichsten Land Lateinamerikas, geht es so schlecht wie keinem anderen auf dem Kontinent. Die Wirtschaft liegt am Boden. Der Schuldenberg steigt. Inflation und Korruption gehören zu den höchsten der Welt. Nicht einmal die Versorgung der Bevölkerung ist garantiert. Auch das Gesundheitswesen ist ausgezehrt. Die demokratischen Institutionen stehen unter politischem Kuratel - genauso wie die meisten Medien. Überall herrschen Kriminalität und Gewalt. Der Arzt Cristino García Doval: Take García Doval Sprecher 1: Welcher Spitzenpolitiker der Opposition auch immer das Rennen macht - López, Capriles, Machado - muss sich bewusst sein, dass das Land von Null an wieder aufgebaut werden muss. Und das Volk muss lernen, dass es auch seinen Beitrag zur Wiederherstellung dieses Landes leisten muss, in dem so Elementares wie Moral und Hoffnung verloren gegangen sind. Noch gibt es genügend Leute, die dazu in der Lage sind. Nicht nur auf Seiten der Opposition, auch unter den Chavistas gibt es sehr viele fähige Leute. Musik-Take Desorden Público: Todo está muy normal Absage Venezuela: Auf dem Weg zur Diktatur? Eindrücke aus einem gebeutelten Land Ein Feature von Peter B. Schumann Sprecher: Wolfgang Pregler, Hilde Beck, Elisabeth Findeis, Johanna Zehendner, Sebastian Schäfer, Jürg Löw und Matthias Breitenbach. Ton und Technik: Beate Böhler und Claudia Peycke Regie: Günter Maurer Redaktion: Wolfram Wessels Eine Produktion des Südwestrundfunks mit dem Deutschlandfunk 2015. 22