COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport 25.10.2010 Ackern in der Stadt Urbane Landwirtschaft in Berlin und Bamberg Autorin: Anja Schrum Redaktion: Claudia Perez Anmoderation: Kartoffeln und Kürbis wachsen dicht an dicht aus Reissäcken, Mangold und Grünkohl in Plastikkörben und alten Waschwannen. "Prinzessinnengarten" heißt der 1000 Quadratmeter große Nachbarschaftsgarten am verkehrsumtosenden Berliner Moritzplatz. Ein Filmemacher und ein Historiker haben die ehemals vermüllte Brache gepachtet, doch gärtnern kann hier jeder. Ernten und kaufen. "Nomadisch Grün" haben die beiden Gründer ihr Projekt genannt, weil der Garten in Säcken und Wannen jederzeit umziehen kann. "Urbane Landwirtschaft" ist im Trend. In immer mehr Städten entstehen Stadt- oder Nachbarschaftsgärten. Doch neu ist die Idee keinesfalls. Das zeigt die Bamberger Gärtnerstadt. Seit dem Mittelalter werden dort, mitten in der Stadt Obst und Gemüse angebaut. Nun drohen die Parzellen langsam zu verschwinden. Viele Gärtnerbetriebe mußten in den vergangenen Jahren aus Nachwuchsmangel und wirtschaftlichen Problemen aufgeben. Die Stadt will jetzt gegensteuern, denn an der Gärtnerstadt hängt auch maßgeblich der Weltkulturerbe- Status Bambergs... Geräusch-take 1 Einkaufswagen rattern Sprecherin: Gut 100 Einkaufswagen rattern durch die Oranienstraße in Berlin-Kreuzberg. Vorbei an Szene-Kneipen und Internet-Cafés. Eine Mitvierzigerin in orangener Outdoor- Jacke schiebt etwas langsamer. Deutet vor sich, in den Einkaufswagen. Dunkelgrün sprießt es aus einem mit Erde gefüllten Reis-Sack. Take 1 (Demonstrantin) Frau: Ich schiebe Wirsingkohl. ... Was haben wir noch gesehen? Andere: Also mir ist mein Thymian weiter vorne abhanden gekommen, mit meinem Sohn. Mann: Afrikanische Minze. Frau: Blutsalbei war auch dabei. Sprecherin: In jedem Einkaufswagen wachsen Pflanzen. Säckeweise. Meer-Rettich verkündet ein handgemaltes Schild. Oder En-Divia. Gundermann oder Zikorien. Take 3 (Demonstrantin) Wir beteiligen uns an der angeblich ersten Berliner Pflanzen-Demo. Da geht es um den Erhalt der Artenvielfalt. Sprecherin: Artenvielfalt auch unter den Demonstranten. Ältere Damen mit Hut schieben tapfer neben jungen Frauen in Leoparden-gemusterten Leggings. Alle steuern das gleiche Ziel an: Die Prinzessinnengärten. Geräusch-takeBd. Rückwärts, rückwärts, glaubts mir...+++ Atmo allgemein, Wagen über Bordstein heben... Da hängt einer. lautes rattern Sprecherin: Kurz vor dem verkehrs-umtosten Moritzplatz biegt der Demonstrationszug nach links ab. Die Einkaufswagen werden über einen Bordstein gehievt und durch eine Toreinfahrt geschoben. Geräusch-take Verkehrslärm Sprecherin: Hier, mitten in der Hauptstadt, zwei Kilometer vom Alexander-Platz entfernt, wachsen dicht an dicht Kartoffeln, Rote Beete und Kürbisse. Sie wurzeln in weißen Reissäcken. In langen Reihen stehen rote Plastikkörbe, aus denen Mangold, Lauch, Amaranth, Pflücksalat und diverse Kohlsorten sprießen. In gebrauchten Milchkartons grünen Kräuter, in Zinkwannen blühen kleine Bauerngärten. Mittendrinn ein Unterstand, gezimmert aus groben Holzbohlen. Hier sitzt Marco Clausen, einer der beiden Gründer der Prinzessinnengärten. Take 5 (Clausen) Wir haben uns früh überlegt, wie kann man im Stadtzentrum überhaupt ökologisch anbauen und da war uns schnell klar, der Boden hier, ist dafür nicht geeignet und dann haben wir eine alte, gärtnerische Technik des Hochbeets - haben wir übernommen, aber mobil gestaltet, d.h. wir bauen jetzt in Industriekörben, Bäckerkörben Gemüse an. Das hat den Vorteil: Bodenunabhängig und transportabel. Sprecherin : Auch das Café und die Küche der Prinzessinnen-Gärten sind transportabel in Containern untergebracht. "Nomadisch Grün" heißt die gemeinnützige GmbH, die Clausen und sein Kompagnon Robert Shaw gegründet haben und die die Prinzessinnengärten betreibt. Take 6 (Clausen) Die Ursprungsidee ist von meinem Partner Robert Shaw, der hat das in Kuba gesehen, Agriculture Urbana, da wird seit den 90ern Gemüse angebaut in der Stadt, zur Versorgung der städtischen Bevölkerung. Er war da im Urlaub, hat das zufällig gesehen, fand das großartig, auch als Sozialort und ist mit der Idee zurück nach Berlin gekommen, das auch mal hier zu machen. Sprecherin: Doch bevor in der Stadt geackert werden konnte, "musste die Saat in den Köpfen aufgehen", wie Clausen formuliert. Take 7 (Clausen) Menschen davon überzeugen, dass das nicht komplett absurd ist, das ist ein bisschen absurd, aber dass das möglich und ja, die begeistern und die dazu bringen sich einzubringen, zu helfen, zu kooperieren, denn wir haben diesen Garten nicht allein oder zu zweit aufgebaut, sondern der Garten ist entstanden, weil wahnsinnig viele, unterschiedlichste Menschen uns hier in unterschiedlichster Form geholfen haben. Sprecherin: Zunächst galt es, die rund 6.000 Quadratmeter große Brache am Moritzplatz, die Clausen und Shaw vom Berliner Liegenschaftsfond gemietet haben, aufzuräumen. Take 8 (Clausen) Das ganze Ding war zugewuchert, es war zugemüllt. Das erste was wir tun mussten war, Leute zu finden, die uns helfen, diesen Platz vom Müll zu befreien, da hatten wir ein Aufruf im Stadtmagazin, da kamen 150 Leute und haben hier einen Nachmittag lang zwei Tonnen Müll zusammengetragen. Dann muss man Leute finden - wir haben ja auch nicht so wahnsinnig viel Kapital gehabt - dann muss man Leute finden, die zum Beispiel diese Körbe oder die Erde sponsern oder die uns den Umbau von einem Container sponsern. Also Betriebe, dann haben wir Freunde, Interessierte dazu aufgerufen mit uns diese Beete zu bauen, weil das auch harte, körperliche Arbeit ist. Da hatten wir auch teilweise 100 Leute, die hier mit uns, fast industriell Beete aufgebaut haben und bis heute haben wir diesen Garten-Arbeitstag, wo Leute jeden Donnerstag sich einbringen können und gleichzeitig was lernen können. Sprecherin: In den Prinzessinnengärten kann jeder mitmachen, betont der studierte Historiker. Gärtnern, ernten und kaufen. Schließlich sollen viele, unterschiedliche Menschen aufeinander treffen, um voneinander zu lernen. Take 9 (Clausen) Ganz wichtiges Prinzip bei uns ist Dilettantismus. Wir haben keine Ahnung von dem, was wir tun. Das zwingt uns dazu, laufend mit anderen Leuten zu kooperieren. Sprecherin: Schrebergärtner und Stadtplaner schauen vorbei, Touristen und Nachbarn, Schulklassen und Studentengruppen. Vier Imker haben mittlerweile ihre Bienen- Stöcke in den Prinzessinnengärten aufgestellt. Take 10 (Clausen) Wir haben hier Frauen in der Nachbarschaft, die ihre anatolischen Spitzpaprika vorziehen und uns bringen. Wir haben Cherry-Tomaten aus einem ökologisch arbeitenden Kibbuz in Israel, wir haben was aus der Provence, aus einem Kommune- Betrieb, die Leute kommen und bringen uns Sachen...+++ Sprecherin: Angebaut werden vor allem alte Sorten, die man in keinem Supermarkt-Regal findet. Etwa weil sie nicht so ertragreich sind. Take 11 (Clausen) Wir haben 500 Reissäcke, die wir benutzen zum Kartoffelanbau und zwar nicht irgendwelche Kartoffeln, sondern wirklich alte Sorten wie Bamberger Hörnchen ist zum Beispiel so eine, sehr beliebte Sorte. Also das sind Sorten, die sind nicht mehr im Vertrieb, die sind nicht mehr zugelassen als Sorten und drohen also zu verschwinden und da versuchen wir einen Beitrag zu leisten, zum Erhalt alter Kulturpflanzen. Sprecherin: Landwirtschaft in der Stadt - neudeutsch auch "urban farming" genannt - ist eigentlich keine neue Idee. In den siebziger Jahren entstanden in New York die ersten "Gemeinschafts-Gärten". Grüne Oasen in Mitten grauer Häuserschluchten. Mit Blumen- und Gemüsebeeten zur Selbstversorgung. Doch auch in Deutschland hat der Gemüseanbau in der Stadt Tradition. Sie reicht bis zurück ins Mittelalter. Und ist noch heute zu besichtigen. Rund 400 Kilometer von Berlin entfernt, im fränkischen Bamberg. Geräusch-take 4 Kartoffeln abfüllen, Kasse klingelt... Sprecherin: Anneliese Demuth lässt die Kartoffeln in die Waagschale purzeln." Hof-Verkauf Mittwoch und Samstag 8 bis 12 Uhr", steht auf einem Schild neben der Tor- Durchfahrt. In der großen Diele stapeln sich links und rechts Kisten voller Gemüse... Take 12 (A. Demuth) Bis jetzt die Gurken, die haben wir nicht selber, die kaufen wir zu, aber sonst ist alles von uns jetzt da. Ja, der Sellerie, Paprika haben wir selber... Sprecherin: Radieschen, Kartoffeln, Möhren, Porree, Rote Beete, Zwiebeln, Kürbisse - alles aus eigenem Anbau. Anneliese Demuth öffnet ein Tor an der Rückseite der Diele. Und führt in einen langgestreckten Garten mit einem großen Treibhaus. Take 13 (Anneliese Demuth) (Schritte..)... Und des ist jetzt halt im Garten haben wir halt praktisch.... Tomaten... Chinakohl, ham wir jetzt da und Endivien ist hinten drann und Kohlrabi... Sprecherin: 750 Quadratmeter Garten bewirtschaftet das Ehepaar Demuth mitten in Bamberg. Und einen Hektar am Stadtrand, in der sog. Gärtnerflur. Die Gärtnerei, also der Anbau von Gemüse, lässt sich in Bamberg bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Zur Hoch-Zeit, um 1850 leben über 400 Gärtner-Familien in der Stadt. Ihre Hausgärten - abgetrennt durch wärmespeichernde Sandsteinmauern - dienten traditionell dazu Setzlinge anzuziehen und empfindliche Kulturen anzubauen. Tradition hat die Gärtnerei auch bei Familie Demuth: Take 14 (Georg Demuth) Also mir, die Gärtnerei Demuth oder die Gärtner Demuth von früher mit Landwirtschaft, die besteht schon seit 1650 bin ich da in der Chronik zurückgekommen. Und mir sind jetzt die erste Generation, wo der Sohn praktisch keine Gärtnerei mehr macht. Also einen anderen Beruf ergreifen muss, weil die Gärtnerei halt nicht das abwirft, wie man sich das vorstellt. Also kann man den Kindern keinen Vorwurf machen, wenn sie heute sagen: Nein, ich mach das nicht, die Arbeit, wo ihr macht. Sprecherin: Nur noch etwa 22 Gärtnereien wirtschaften heute in der jahrhundertealten Gärtnerstadt. Immer mehr Parzellen liegen brach. Weil viele der kleinstrukturierten Gärtner-Betriebe der EU-weiten Konkurrenz nicht mehr gewachsen sind. Oder schlicht der Nachfolger fehlt. Auch die Demuths sind längst Rentner. Ihr Gemüse bauen sie nur noch im Nebenerwerb an. Take 15 (Ehepaar Demuth) Weil der Mensch braucht ja Bewegung... Frau: Und a Beschäftigung. Er: Und ohne Bewegung wird man ja dick und faul und drum arbeiten wir weiter. Und die Tradition muss auch gepflegt werden. (...) Aber die Zukunft sieht leider nicht so rosig aus, weil vielleicht fünf, sechs Gärtner mal übrig bleiben. Drum ham wir ja das Museum, wenn wir mal ein Museums haben, ist ein Zeichen, dass die Gärtnerei verschwindet und das Museums muss das zeigen, wie es früher war. Sprecherin: Doch genau das will die Stadt Bamberg verhindern. Schließlich hat die "Gärtnerstadt" wesentlich dazu beigetragen, dass es Bamberg Anfang der 90er Jahre auf die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes geschafft hat. Im Rahmen der Landesgartenschau 2012 möchte man das Viertel wieder erblühen lassen. Den Gärtnern zu einer Renaissance verhelfen. "Wie" - das hat Yvonne Slanz untersucht. Take 16 (Slanz) Also es ist das Ziel der Stadt Bamberg, das die Gärtnerstadt auch touristisch erschlossen wird, aber auch die Werte vermittelt werden. Weil es ist nämlich tatsächlich so, wenn Bamberger aber auch Besucher hierher kommen, der sieht die Qualität nicht, der sieht die Bedeutung nicht. Sprecherin: Slanz deutet auf die geschlossene Häuserzeile entlang der Mittelstraße. Auf die alten, meist eingeschossigen Gärtnerhäuser mit ihren bunten Fensterläden, den großen Lagerdächern und Tordurchfahrten. Take 17 (Slanz) Wenn sie durch diese Tordurchfahrten gehen oder früher gefahren sind mit dem Wagen, dann kommen sie auf dem rückseitigen Gelände auf die großen Gartenparzellen. Und es sind ganz langegestreckte, handtuchartige Parzellen, die sich seit dem Mittelalter eigentlich erhalten haben. Sprecherin: Im Rahmen der Landesgartenschau sollten die Gärten - zumindest in Teilen - für die Besucher erlebbar werden. Take 18 (Slanz) Es gab Versuche, dass man einen Weg durch einen Bereich legt, auch im Rahmen der Landesgartenschau, da ist man aber von abgekommen. Genau wegen dieser Privatspähre, die Eigentümer befürchten, dass man in ihre Privatssphäre einbricht und quasi auf den "Kaffeetisch" guckt, nenn ich mal so und deswegen wurde da vehement protestiert dagegen... Sprecherin: Also musste ein Kompromiss her. Nun will man das Gärtner- und Häckermuseum aufwerten und einen Rundweg durch die Straßen der Gärtnerstadt anlegen. Mit Aussichtsplattformen, die Blicke in und über die Garten-Parzellen ermöglichen. Damit die Gärtnerstadt nicht zum Museums-Viertel wird, sollen die verbliebenen Betriebe gestärkt werden. Ein Faltblatt ist entstanden, das alle Hofverkaufsstellen auflistet. Gemüse-Abo-Kisten sind eine weitere Idee. Mit dem Anbau fast vergessener, lokaler Sorten, wie Bamberger Hörnle, Süßholz, Bamberger Rettich oder Bamberger Spitzwirsing sollen sich die Gärtner von der Supermarkt-Konkurrenz absetzen. Um die vielen brach liegenden Parzellen wieder ergrünen zu lassen, will man eine sogenannte "Flächennutzungsoffensive" starten: Take 19 (Slanz) Wie bekomme ich den Eigentümer dazu, dass sie wieder ihre Fläche adäquat (...) nutzen? Also es können Zwischennutzungen unterschiedlichster Art sein, ob die auch akzeptieren, dass man vielleicht Mietergärten macht oder einen interkulturellen Garten, solche Geschichten. Sprecherin: Dass die urbane Gärtnerei in Bamberg durchaus florieren kann, zeigt die Kräutergärtnerei Mussärol und ihre Inhaberin Gertrud Leumer. Geräusch-take 5 Glocken, Schritte... leise: dahinten haben wir einen Schau-Kräutergarten... Sprecherin: Gertrud Leumer führt über eine kleine Wiese. Dann geht's einen schmalen Weg durch ein paar Büsche hindurch. In einen großen Garten. Take 20 (Leumer) Das ist immer der Aha-Effekt, wenn man da reinkommt. Vorne hat man die Toreinfahrt und die geschlossene Häuserzeile und dahinter kommt dann das grüne Paradies praktisch... Sprecherin: Rechts lange Reihen Kräuterbeete. Römische Kamille, Currykraut, Hopfen-Oregano, Ananasminze, Kümmelthymian. Links leuchten rot und hellgelb die Kürbisse. Auch Gertrud Leumers Vorfahren waren Bamberger Gärtner. Take 21 (Leumer) Ich mach das jetzt in der sechsten Generation. Allerdings wars mal zehn Jahr brachgelegen dazwischen, weil meine Eltern relativ früh gestorben sind. Ich habs dann eben vor 16 Jahren wieder aufleben lassen, aber in ganz neuer Form. Ich hab dann eben komplett umgestellt, einmal auf Sonderkultur Kräuter, in allen Variationen. Und dann auch auf biologischen Anbau und auf Direktvermarktung. Sprecherin: Heute verkauft Gertrud Leumer nicht nur Pflanzkräuter und Marktgemüse, sie stellt Tomatenaufstriche, Basilikum-Pesto und Kräuteröle her. Verkauft ökologische Pflanzerde und genfreies Saatgut. Stellt Geschenkkörbe zusammen, bietet Seminare und Führungen im eigenen Kräutergarten an. Auch um die Bamberger Gärtnerei bekannter zu machen. Take 22 (Leumer) Es ist einfach ein ewig langsamer Prozess ewig zäher Prozess vor allem der Bewusstseinsbildung. Erstmal hier, in der eigenen Stadt den Leuten klar zu machen, was das für ein Juwel ist, was das für eine Besonderheit ist. Deshalb haben wir auch die Führungen angefangen. Sprecherin: Die Wertschätzung für die innerstädtischen Gärtner und ihre Produkte sei in den letzten 10 Jahren gestiegen, sagt Leumer. Doch das reicht nicht, um ihr Überleben zu sichern. Deshalb setzt auch Gertrud Leumer große Hoffnungen in die Landesgartenschau 2012 und das Projekt "Urbaner Gartenbau". Sie verspricht sich davon eine Art "Initialzündung" für die Gärtner. Mit vielen neuen Ideen und Vermarktungswegen. Take 23 (Leumer) Und dadurch kriegen dann auch wieder die Gärtner selbst ein größeres Selbstbewusstsein, weil die haben da bis jetzt ja auch nichts von gehalten. Alle am liebsten Fruchtfolge "Bauland" so ungefähr, immer gedacht, ist die einzige Lösung. Aber ich finde, das kann man nicht machen. So etwas, was so jahrhundertelang bewirtschaftet worden ist und geprägt worden ist von der eigenen Arbeit oder der Arbeit der Vorfahren einfach zu bauen mit irgendwelchen blöden Lego-Häusern, ich finde das kann man mit Geld nicht bezahlen. Geräusch-take 6 Kiesel schippen... Stimmen... lachen.. gemeine Scherze auf Hebräisch Sprecherin: Zurück in die Hauptstadt. In den Prinzessinengärten am Berliner Moritzplatz ist jeden Donnerstag Gartenarbeitstag. Mitmachen kann, wer Lust hat. Petra ist zum ersten Mal hier. Die trägt derbe Stiefel und einen Fliespullover. Hat die Ärmel hochgekrempelt. Die Finger sind schwarz von Erde. Petra ist überzeugte Großstädterin. Trotzdem fehlt etwas: Take 25 (Petra) Ich träume schon lange von einem Garten, ich möchte aber nicht den Preis dafür zahlen, dass ich auf dem Land oder in so einem blöden Vorort leben muss, sondern möchte in der Stadt bleiben... Sprecherin: Ein Schrebergarten ist ihr zu eng, der Balkon zu einsam, deshalb ist sie in die Prinzessinnengärten gekommen. Hat Unkraut gezupft und Spinat gesät. Und drei Frauen aus Israel kennengelernt. Zusammen topfen sie nun Kräuter um. Nily ist bereits zum dritten Mal hier. Sie wohnt und arbeitet gleich um die Ecke. Take 26 (Nily) Ich arbeite am Computer den ganzen Tag. Und das ist so eine gute Balance einfach wegzukommen und einfach meine Hände mit Erde schmutzig zu machen, das ist ganz wichtig für die Gesundheit, mentale Gesundheit würde ich sagen. Eigentlich ist es egal, was ich hier mache, einfach hier zu sein ist so schön und das macht schon glücklich... Sprecherin: Wer keine Lust hat, sich die Hände schmutzig zu machen, kann einfach zwischen den Beeten spazieren. Und sich inspirieren lassen. Take 27 (Jana) Ich hab einfach ein bisschen rumgeguckt, wie das wächst und was sie für Ideen haben, weil ich selbst auch einen Balkon habe und auch schon überlegt habe, ob ich da vielleicht selbst ein bisschen Tomaten oder so kleine Sachen anbaue. Take 28 (Sybille) Für mich ist das auch ganz stark eine Sinnsuche - oder eine Revolution. Also, urbane Revolution. Ich denke, es ist auch wichtig Nahrungsmittel-Produktion wieder in die Städte reinzuholen, um dies ganze Problem mit den ganzen Transportwegen und ja, vor allem dieses Problem zu lösen. Sprecherin: Mit den Prinzessinnengärten wollen wir die Leute zum Nachdenken bringen, sagt Marco Clausen, einer der beiden Gründer der mobilen Gärten mitten in Berlin. Take 29 (Clausen) Also, wir verstehen uns als urbane Landwirtschaft, aber es geht hier nicht um Erträge. Es ist insofern Kunst als dass wir sagen, durch dieses Ungewöhnliche, an einem solchen Ort Gemüse herzustellen, wollen wir, dass die Leute die Stadt anders wahrnehmen und das, was sie konsumieren, anders wahrnehmen. Wir sind vor allen Dingen auch ein Sozialprojekt, wir wollen hier Nachbarschaft mit einbinden, wir wollen Nachbarschaft auch aktivieren, wir wollen gemeinsam uns Nachbarschaft auch aneignen, auch sozusagen einen Beitrag leisten zu einem neuen Blick darauf, wie man in der Stadt auch leben kann und wie vielleicht die Stadt in 20 Jahren auch aussehen könnte. Sprecherin: Grün statt Grau. Bürgerparks und Gemeinschaftsgärten statt öffentlich bestellter Parkanlagen und Grünflächen. Hängende Beete, begrünte Brachen und Balkone. Feuerbohnen statt Geranien, Pflücksalat statt Fleißiges Lieschen. take (Clausen) Es muss nicht immer alles wahnsinnig groß und wahnsinnig kapitalintensiv sein und möglichst viel Rendite abwerfen. Vielleicht wollen wir auch mal Orte in der Stadt haben, die ganz anders funktionieren, wo wir uns auch ganz anders aufhalten können. (...) und einfach mal zu zeigen, ja, die Stadt gehört eigentlich uns allen und lebt eigentlich auch von Vielfalt, (...) und solche Orte muss man retten oder auch neu etablieren. Sprecherin: Die Prinzessinnengärten werden noch eine Weile am Berliner Moritzplatz bleiben. Bis ein Investor die Brache bebaut. Vielleicht aber werden die Gärten bis dahin Ableger bilden. Die anderswo in der Stadt neue Wurzeln schlagen. Take (Clausen) Durch unser System, das ist - wie gesagt - bodenunabhängig, mobil und modular könnten wir genau so gut einen Parkplatz, ein Hausdach oder ein Boot auf der Spree begärtnern. D.h. wir können klein, wir können aber auch groß und das muss sich jeweils an den Ort anpassen. (...) Es gibt viele Möglichkeiten in der Stadt Lebensmittel anzubauen. 13