Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 16. Mai 2011, 19.30 Uhr Jenseits von Schema F Interkulturelle Kompetenz und Kommunikation in Deutschland Von Barbara Leitner Musik 1.Take Es ist sicher wichtig in einem Unternehmen zu wissen, dass man nicht nach einem Schema F mit allen arbeiten kann. Das funktioniert einfach nicht. 2.Take Ein gutes interkulturelles Zusammenleben heißt für mich erst mal Mut zur Verunsicherung. Mut zur Verunsicherung von mir selber und zum anderen heißt das Lust auf dieses Abenteuer, am Anderen zu lernen. 3.Take Vieles, was sich im Ausland ereignet, gilt für die Deutschen als umständlicher Umweg zu irgendetwas. Bestimmte Rituale, die einzuhalten sind, wenn man sich begrüßt, bestimmte Formen der Kommunikation, wenn man sich, wie die Deutschen sagen, streitet. Diese deutschen Barbaren, heißt es da, die so zweckorientiert und kurzatmig ihre Dinge gestalten wollen. 4.Take Wenn wir uns gewahr werden, dass wir die kulturelle Vielfalt in der eigenen Kultur locker akzeptieren und damit umgehen können und mit den Leuten zumindest im professionellen Bereich, offen und freundlich umgehen können, zumindest im professionellen Bereich, dann ist der Schritt, dass in die nächste Kultur zu übertragen, gar nicht mehr so furchtbar weit. Ansage: Jenseits von Schema F Interkulturelle Kompetenz und Kommunikation in Deutschland Ein Feature von Barbara Leitner. Atmo Tropfen 5./6. Take In der Küche habe ich Tassen abgespült und den Wasserhahn einfach schlampig zugemacht und es tropft, tropft, tropft. Und da schrie Kollegin, Yingmei mache da bitte zu, richtig zu. Ich dachte, mein Gott, ich bin 30 Jahre alt, muss sie jemand das vorschreiben. Sie hat nicht, wie die Chinesen machen müssen, Yingmei, du bist so lieb, aber wenn du das nächste Mal den Wasserhahn zumachen würdest, das hat sie nicht so ausgedrückt, sondern wie die Deutschen, direkt. Da habe ich geheult. Weil das ist nicht typisch chinesisch, jemanden ins Gesicht zu sagen ist, mach bitte zu. Natürlich, Sie hat recht. Sprecherin: Heute weiß Yingmei Schönfeld, dass es hierzulande durchaus üblich ist, unverblümt zu benennen, was einem gefällt und was nicht und darauf zu vertrauen, dass die Beziehung darunter nicht leidet. Als die junge Chinesin vor 12 Jahren nach Deutschland kam, war der landläufige Umgangston ein Schock für sie. Ihre Arbeit in einem internationalen Unternehmen hat es leichter gemacht, die anfängliche Verunsicherung zu überwinden. 7. Take Ich würde sagen, es ist ganz anders, wenn ich bei einem örtlichen Elektroinstallateur angestellt wäre, der nie seit 50 Jahren einen Ausländer bei sich gehabt hat. Es ist ganz anders, wenn ich jetzt bei Kühne und Nagel angestellt bin. 8.Take Unsere Mitarbeiter kommen ja aus allen Ländern, ob direkt in Deutschland akquiriert oder im Ausland und da ist es wichtig, dass wir einander verstehen, nicht nur sprachlich verstehen, sondern verstehen, wie der andere tickt, welche Logik der hat und das ist die Herausforderung in der Zusammenarbeit. Sprecherin: Helena Alves ist Referentin für Personal- und Organisationsentwicklung bei Kühne und Nagel, einem global agierenden Logistik- und Gütertransportunternehmen. Im Foyer der Hamburger Niederlassung sieht man eine türkisblaue Weltkarte, überzogen mit gelben Fäden. Sie verbinden die über 900 Standorte des Konzerns in mehr als 100 Ländern. 56 000 Mitarbeiter vermitteln zu Luft, zu Wasser, auf der Straße und durch Datennetze Güter und Leistungen. Dafür brauchen sie neben ihrem Fachwissen vor allem eines: die Fähigkeit, sich in andere Menschen, andere Denkweisen, andere Gesellschaften hineinzuversetzen. Gefordert ist interkulturelle Kompetenz. 9.Take Es geht um Verständnis, nachvollziehen zu können, warum ist der Andere anders und es nicht als boshafte Absicht oder nicht vorhandene Logik zu verstehen, also es gelassener nehmen zu können und dann auch Handlungsalternativen entwickeln zu können. Sprecherin: Einen Diversity Manager, mit dem etliche global agierende Unternehmen ihr Engagement für Vielfalt bekunden, leistet sich Kühne und Nagel nicht. Aber regelmäßig werden Auszubildende, Führungsnachwuchskräfte und Führungskräfte des mittleren Managements in Kommunikation geschult. Für das Unternehmen ist klar: Falsche Worte, falsche Reaktionen, kommunikative Verstimmungen können das Geschäft kaputt machen. Also wird Offenheit trainiert, werden scheinbare Selbstverständlichkeiten unter die Lupe genommen. Helena Alves tut dies, indem sie bei ihren interkulturellen Trainings nach typischen Sprichworten für verschiedene Kulturen fragt. Was wird damit zum Beispiel zum Thema Leistung vermittelt? Deutsche zitieren für gewöhnlich die protestantische Lebensweisheit "Erst die Arbeit, dann das Vergnügen". 10.Take Eine ganz ernsthafte Diskussion entstand dann im Seminar, dass ein junger deutscher Seminarteilnehmer einfach ganz ganz ernsthaft sagte, dass es natürlich so sei, dass man erst leisten müsse und danach können man irgendwann an das Vergnügen denken. Es war so interessant zu sehen, er betrachtete das als Naturgesetz. So habe ich das empfunden. Und wurde dann nachdenklich in der Diskussion, dass man auch andere Werte haben könnte. Sprecherin: Von klein auf lernen Kinder die in ihrer Kultur üblichen Codes kennen, wachsen in sie hinein und machen sie sich zu Eigen. Da geht es nicht nur darum, wie man miteinander spricht. Vor allem geht es um die Werte, an denen man sich orientiert. Es geht um die Art und Weise, wie man sich zueinander verhält, um sich wohl zu fühlen, wie man sich anredet und begrüßt, wie nah man sich dabei kommt, ob man Fremde anschaut oder berührt, wie man feiert, wer als Autorität gilt ... All diese Elemente sind in das Zusammenleben einer Gemeinschaft als ungeschriebene Gesetze eingewoben und dass sie bestehen, fällt oft erst auf, wenn sie jemand übertritt. 11. Take Die meisten beschäftigen sich mit interkulturellem Lernen, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, wenn es einen Konflikt gibt im multikulturellen Team. Wo man sagt, es liegt an den Kulturen. Häufig liegt es nicht an den Kulturen, sondern an bestimmten Machtunterschieden oder ungleicher Verteilung von Privilegien oder auch an unterschiedlichen Werten. Da kommt dann der kulturelle Hintergrund ins Spiel. Sprecherin: Rita Panesar ist Trainerin für interkulturelle Kommunikation und lebt in Hamburg. 12. Take Ich würde sagen, die Person ist kompetent, die es aushalten kann, dass erst mal nichts klar ist. Sprecherin: Die Sozialwissenschaftlerin ist es ein typisches Kind der Einwanderungsgesellschaft. Ihre Mutter ist Westfälin, der Vater wurde in Indien geboren. Sie selbst ist Deutsche, doch wegen ihres bronzenen Teints und ihrer dunklen Haare wird die 31-Jährige immer wieder gefragt, woher sie komme: 13. Take Ich wurde ganz häufig mit solchen Exotismen konfrontiert, die mein Gegenüber im Kopf hat. Das war dann ganz häufig ein ganz positiver Eindruck, eine positive Projektion, die auf mich gerichtet wurde, trotzdem ein Bild von einem exotischen Mädchen, mit dem ich, aufgewachsen in Mainz, Karnevalstadt etc. erst mal nicht so viel zu tun hatte. Sprecherin: Dennoch prägen solche Zuschreibungen Begegnungen im Alltag. Wir sehen einen Menschen und noch ehe uns ein Gefühl bewusst wird, schießen Bewertungen in den Kopf. Die sieht anders aus. Die ist fremd. Wird sie mich verstehen? Es gut mit mir meinen? Manchmal beruhen die Urteile auf Erfahrungen, manchmal auch auf Vorurteilen. 14. Take Ich glaube, der Unterschied liegt zum einen darin, nicht sofort Schlussfolgerungen zu schließen, nicht sofort Schubladen aufzuziehen und wieder zuzuknallen, wenn ich mein Gegenüber sehe, wenn ich einen türkischen Name lesen, wenn ich eine Frau mit einem Kopftuch sehe, nicht sofort zu meinen, man wüsste, wie diese Person beschaffen ist und dementsprechend zu handeln. Musikakzent: Sprecherin: Auf interkulturelle Fähigkeiten kommt es in unserer Gesellschaft zunehmend an. Auch bei abnehmender Zuwanderung wird das Land immer heterogener, bunter. Laut Statistik haben fast 20 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund. Dieser Anteil wird in vielen Großstädten weit übertroffen. So haben in Köln und Düsseldorf fast die Hälfte der Jugendlichen ihre Wurzeln in einer anderen Kultur. Während 1970 die meisten Zuwanderer Italiener, Spanier, Griechen, Türken und Jugoslawen waren, ist die Herkunft der Einwanderer heute vielfältiger. In Städten wie Frankfurt und Stuttgart leben Menschen aus 170 Ländern miteinander. Nicht nur wer im Ausland arbeitet, studiert, ein Praktikum absolviert oder Urlaub macht, braucht deshalb interkulturelle Kompetenz. Auch in Institutionen und Unternehmen in Deutschland geht es zunehmend um die Frage, mit welcher Brille schaue ich auf jene, die hier beschäftigt sind oder sich um eine Stelle bewerben, wie rede ich mit ihnen und wie sie mit mir. 15. Take Wenn ich ein Meeting habe mit meinen deutschen Kollegen, dann gehe ich rein und packe ich meine Ordner aus und sage Agenda hier und dann geht es los, richtig, nach dem deutschen Muster. Man schafft was ab und man trifft Entscheidungen. Sprecherin: Payam Vassighi ist IT-Spezialist bei Kühne und Nagel. 16. Take Aber wenn z.B. auch Mischpublikum da ist, fängt man vielleicht mit einem Smalltalk mit einem Warmup an, ja, wie war dein Wochenende. Was habt ihr denn schönes gemacht, mit der Familie etwas unternommen und dann gewinnt man erst mal eine Ebene wie man zusammenkommt und dann kann man in die Fachthemen einsteigen. Ich denke schon, auch wenn das nicht so bewusst ist, man macht das dann schon, weil man merkt, dass die Zusammenarbeit einigermaßen reibungsfreier vonstatten geht. Sprecherin: Payam Vassighi war 12 als er mit seinen Eltern während des ersten Golfkrieges den Iran verließ. Er ist in Deutschland zur Schule gegangen, hat hier studiert und sieht sich in Vielem vom deutschen Herangehen geprägt. Deutsch ist beispielsweise sein Verhältnis zur Zeit. Ein Termin um 12.00 Uhr beginnt auch Punkt 12. Seine Herkunft macht sich bemerkbar, wenn es um die Beziehungen in der Gruppe geht. 17. Take Ich bin schon einer, der Kollektiv gern gemeinsame Ziele erreicht. Innerhalb meines Teams versuche ich dieses Gefühl ein bisschen hervorzurufen und zu fördern. Aber in der Tat gibt es in der Arbeitsweise in Kulturkreisen, die sehr individuell arbeiten. Hat auch viele Vorteile. Man kann sagen, hier ist die Aufgabe, mach das fertig und ich kann mich darauf verlassen, dass er das Ding allein durchzieht. Sprecherin: Was Payam Vassighi beschreibt, nennen Anthropologen verschiedene Kulturdimensionen. Menschen und Menschengruppen unterscheiden sich in ihrem Denken und Handeln z.B. danach, ob sie eher individuell oder kollektiv orientiert sind, wie sie mit Zeit umgehen, welches Verhältnis sie zur Macht und zu den Unsicherheiten des Lebens haben. Inzwischen gibt es auch erste Studien darüber, welche Auswirkungen diese Kulturdimensionen auf das Arbeitsleben hierzulande haben. In der IT-Branche stellten Wissenschaftler fest, dass sich indische Mitarbeiter in einem Team in der Regel als Ausführende betrachten. Anders als Deutsche werden sie weniger zu Unabhängigkeit und Selbständigkeit erzogen. Vielmehr wird von ihnen erwartet, sie mögen sich in das Ganze einordnen - in die Familie, die Gruppe, die Firma; eine kulturelle Orientierung übrigens, die für schätzungsweise 70 Prozent der Menschheit üblich ist. Deshalb erwarten Inder von ihren Vorgesetzten klare Anweisungen. Die erfüllen sie korrekt und gewissenhaft. Während Deutsche - um nicht als inkompetent zu erscheinen - nicht viel fragen, sondern losarbeiten, wenden sich kollektiv geprägte Mitarbeiter ohne Hemmungen hilfesuchend an ihre Kollegen. Das kann Widerstand hervorrufen, unter dem Motto ,Der kriegt ja nichts auf die Reihe! '. Rita Panesar, Trainerin für interkulturelle Kommunikation: 19. Take Wenn wir entspannt sind und viel Zeit haben, dann können wir nachfragen, dann können wir den anderen erst kennenlernen und die Hintergründe seines Handels herausfinden und erfolgreich miteinander kommunizieren oder ein Team führen oder eine Organisation. Jetzt ist häufig Zeitdruck da und ein Konkurrenzdruck da und dann gibt es Verteilungskämpfe und da geht der Prozess der Zuschreibung, der Stereotypisierung, der Vorurteilsbildung sehr sehr schnell und dann hat man eben ein Feindbild und nutzt es auch, um sich zu entlasten. Sprecherin: Das führt häufig zur Diskriminierung. 20. Take Es gibt eine Menge Berufe und Kommunikationsstrukturen, in die wir diese interkulturelle Kompetenz mit Coaching-Programmen importieren müssen. Sprecherin: Der Historiker und Migrationsforscher Professor Klaus Bade. Vorsitzender des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration. 21.Take Die Unternehmen müssen lernen, gleiche Chancen zu bieten, bei Bewerbungen. Die Unternehmen müssen lernen, nicht nur eine Charta der Vielfalt zu unterzeichnen. Sie müssen auch selber mit Diversity Management umgehen. Sprecherin: Laut einer Studie des Bundesinstitutes für Berufsbildung und der Bundesanstalt für Arbeit werden - bei gleicher Qualifikation - Jugendliche mit türkisch klingenden Namen seltener zu Vorstellungsgesprächen eingeladen als die Roberts, Pauls, Annas und Kathleens. Auch der Wohnort ist ein Auslesekriterium, fand die Studie heraus. 22. Take Ich habe das mal in das Bild eines kaputten Paternosters gekleidet. Unten werden die Kinder und Jugendlichen hineingestopft und kriegen Förderungshilfen. Dann fahren sie nach oben. Oben ist die Tür aber zu. Keiner macht sie auf, dann fahren sie auf der anderen Seite wieder runter, kommen raus und die Mehrheitsgesellschaft steht drum herum und sagt, Donnerwetter. In die wird dauernd investiert und nichts passiert. Immer wieder werden sie wieder reingesteckt. Man muss sie oben auch rausholen, ihnen sagen, wie schön, ihr habt jetzt dieses oder jenes Programm absolviert, deswegen wollen wir euch auch haben. Unternehmer müssen also noch stärker, als das ohnehin jetzt passiert, lernen, dass interkulturelle Kompetenz eine Hilfe im Betrieb ist, nicht nur im Außenhandel. Sprecherin: Das hat man bei Kühne und Nagel Hamburg erkannt. 23. Take Wenn man überlegt, dass in Hamburg in einigen Jahren fünfzig Prozent aller Schulanfänger migrantischen Hintergrund haben, da finde ich, dass für eine Firma wie wir, die im großen Stil ausbildet, wir können gar nicht sagen, wir machen nichts mit Migranten oder wir integrieren die nicht. Wir kommen daran eh nicht vorbei. Sprecherin: Michel Rothgänger ist Ausbildungsleiter bei Kühne und Nagel. 24. Take Ich lade den Okan genauso ein wie ich den Ümit einlade und den Fernado, weil für mich klar ist, wenn es ein Typ ist, ist es ganz egal, woher er kommt. Sprecherin: Der Ausbildungsleiter tritt in Hamburg bei Vorträgen in Schulen und bei Messen auf und überlegt vorab genau, welche Vorurteile und Fragen bei seinem Gegenüber bestehen könnten. Er informiert Eltern von Kindern mit Migrationshintergrund über die duale Berufsausbildung in Deutschland und baut ihnen Brücken. Andererseits überprüft das Unternehmen sein Einstellungsverfahren auf unbewusste und diskriminierende Hürden. 25. Take Bewusst gibt es keine Tests, weil ich von den ganzen Mathetests und Diktaten nichts halte, weil ich denke, wer nicht deutsche Bildung genossen hat und in Deutschland sozialisiert ist, muss da schlechter abschneiden und ich möchte behaupten, ein Sechstel meiner Auszubildenden wären nicht in der Ausbildung würde es diese Tests geben. Sprecherin: Bei Kühne und Nagel wird zu Gruppengesprächen eingeladen. Neben der Eins in Mathe zählt dann auch die Fähigkeit, die Balance in einer Gruppe zu halten. Dieser erweiterte Blick auf die Bewerber macht sich inzwischen in der Statistik des Unternehmens bemerkbar. Von den 80 Auszubildenden in Hamburg haben 20 einen Migrationshintergrund. 26. Take Der Gewinn ist ganz klar. Durch die Vielfalt ist das Verständnis bei allen Azubis angeheizt. Das heißt, wenn ich zum Mittag gehe mit Azubis von fünf verschiedenen Nationen ist das für mich ganz normal. Dann arbeite ich im Büro mit Leuten von fünf verschiedenen Nationen oder zehn. Ich denk darüber gar nicht nach. Ich finde, da muss man hinkommen. Sprecherin: In Hamburg unterstützt die BQM, die Beratungs- und Koordinierungsstelle für die berufliche Qualifizierung von jungen Migrantinnen und Migranten Institutionen und Unternehmen in diesem kultursensiblen Herangehen. Zum Beispiel die Berater der Agentur für Arbeit. 27. Take Wenn z.B. Freunde mit in die Beratung kommen, dann sind die Beraterinnen häufig überfordert und wissen nicht, warum da die ganze Familie anrücken muss. Die können doch alleine zu mir kommen, wie die anderen es auch tun, wie das hier üblich ist. Wieso muss da der Freund mitkommen. Das heißt, die Beraterin ist da unwirsch und schickt den Freund raus, weil in Deutschland läuft das anders. Sprecherin: Rita Panesar arbeitet bei der Beratungs- und Koordinierungsstelle. 28. Take Wenn sie perfekt interkulturell sensibilisiert ist, kann sie das als Zeichen werten, dass der andere sich wohler fühlt, wenn er jemand dabei hat, weil er vielleicht Angst hat, vor der der Behörde zu erscheinen oder bei der Arbeitsvermittlerin zu erscheinen, vielleicht auch, weil er den zum Übersetzen braucht. Und wenn sie nachfragt, kriegt sie wieder was raus, was hilfreich sein kann für den Arbeitsvermittlungsprozess und dann kann sie auch individuell entscheiden, ob es sinnvoll ist oder nicht, dass er dabei ist oder nicht. Sprecherin: Mit ihrer Aufklärungsarbeit dienen die Berater der Kampagne "Wir sind Hamburg! Bist Du dabei?". Sie soll mehr Jugendliche mit Migrationshintergrund in Ausbildung bringen. Erste Erfolge zeigen sich. In der Verwaltung stieg ihr Anteil innerhalb von vier Jahren von fünf auf inzwischen 15 Prozent. Der Wissenschaftler Klaus Bade hält es für wichtig, dass Menschen mit Migrationshintergrund entsprechend ihres Anteils an der Bevölkerung in allen Bereichen vertreten sind. Dennoch warnt er vor einem Trugschluss. 29.Take Interkulturelle Kompetenz kriegt man nicht von der Wiege an mit und schleppt sie bis zur Bahre mit sich herum. Das muss man schon ein bisschen lernen. Das ist mehr als das bloße Einstellen von Menschen mit Migrationshintergrund. Sprecherin: Jahrzehntelang beschäftigt sich der Forscher und Politikberater mit dem Thema Migration. Er wehrt sich dagegen, nur mit Negativschlagzeilen auf die globalen Wanderungsbewegungen zu schauen. Das gleicht seiner Meinung nach dem Versuch, die Verkehrssituation mit Hilfe der Unfallstatistik zu erklären. Für ihn ist Integration in Deutschland eine Erfolgsgeschichte, allerdings keine, auf der man sich ausruhen könne. Unbedingt müssen die Vertreter der Mehrheitsgesellschaft und ihre Institutionen lernen, mit der Vielfalt umzugehen. 30. Take Ich nenne mal das Beispiel der Ausländerbehörden. Da ist in vielen Bereichen noch sehr sehr viel Wegs zu gehen, um von diesen Kontrollbehörden, die restriktive Schicksalsverwaltung zu leisten gelernt haben, hinzukommen zu den Integrationsämtern, die sie heute eigentlich sein sollen. Wir brauchen also mehr interkulturelle Kompetenz und da liegt vieles im Argen. Musikakzent Interkulturelle Kompetenz kann man sich auf vielfältige Weise aneignen: durch Auslandsaufenthalte, durch die Zusammenarbeit im Unternehmen oder mit einem wachen Blick auf die kulturelle Vielfalt in der eigenen Stadt. Dana Pilz, ist jung, gebildet, weltoffen und reist viel. Sie wählte zusätzlich einen formalen Lernweg, besuchte ein interkulturelles Seminar. Dort wurde diskutiert. 37 Take: Pilz Was ist ein Konflikt? Wo kommt ein Konflikt her? Was für Menschentypen gibt es? Wie agieren die? Wie reagieren die? Wenn man auf Kulturen guckt: Wie wichtig ist Freundlichkeit, wie wichtig ist Direktheit? Dieses Bewusstwerden noch mal, dass es da Unterschiede gibt und das es okay ist und das man einfach damit bewusst umgehen muss. Sprecherin: Die 31-Jährige ist Geologin von Beruf, untersucht mit ihren Kollegen das Erdreich, bevor Archäologen ihre Grabungen beginnen. Gegenwärtig ist sie oft in Spanien. 38 Take: Pilz Da ist halt normalerweise Mittagspause von 13 bis 16 Uhr und das geht mit uns halt nicht. Wir sind ans Tageslicht gekoppelt und das wird vorneweg gesagt: Wir arbeiten von dann und dann bis dann und dann und abends gehen wir gerne mit euch Abendessen und dafür wird sich halt Zeit genommen. Wir passen uns schon den Gegebenheiten an. Das habe ich bei meinem ersten längeren Auslandaufenthalt in Amerika gemerkt, dass ich einfach deutsch bin. Ich dachte immer ich bin Europäer und habe gemerkt, ich bin Deutsche.Ich glaube, ich lasse mich dadurch nicht so sehr verunsichern. Natürlich kommt man dann auch an Grenzen. Aber ich kommuniziere dass dann ganz klar. Ich bin Deutsche, bei uns ist das nun mal so, wenn es bei euch anders ist, wie machen wir das. Sprecherin: Das interkulturelle Seminar führte ihr vor allem eines vor Augen: 39 Take: Pilz Es gibt extrovertierte Kulturen und introvertierte Kulturen und dass das alles seine positiven Seiten hat und nicht Negatives hat und dass man mit ein bisschen Hintergrundwissen und Relaxtheit das Maximale aus den Personen für sich und seine Arbeit rausziehen kann, dass man bisschen geduldiger wird. 32. Take Ich denke, wenn man jemanden auf jemand mit einem anderen Hintergrund loslässt, egal ob das sozial ist oder ethnisch oder kulturell, muss derjenige sich vorbereiten. Weil das Wissen ist ja eine ganz wichtige Voraussetzung, dass die Kommunikation mit denen gelingt. Sprecherin: Renate Schüssler, Kinderärztin aus Berlin. 33. Take Wenn ich nichts von denen verstehe und nichts von denen weiß, kann das eigentlich nur schief gehen. Sprecherin: Die 69-Jährige spricht aus Erfahrung. In den 80er Jahren arbeitete sie für Ärzte ohne Grenzen auf den Philippinen. Vorab informierte sie sich über Tropenmedizin und das Land. Doch was das Verhältnis zu den Patienten anging, hielt sie den in Deutschland üblichen Umgang für die Norm. So unterliefen ihr Fehler: 34. Take Ich habe z.B. Kinder auf den Arm genommen. Das darf man nicht. Das sind nicht meine Kinder, also habe ich sie auch nicht auf dem Arm zu nehmen. Aber ich war relativ geschützt, weil ich prinzipiell freundlich und neugierig war, ist mir das auf eine sehr feine Art beigebogen worden: Ach, Renate hat ja jetzt Kinder, ist ja Mutter geworden. Wo man dann reflektiert und sagt, ok, ich bin da übergriffig geworden. Atmo: Familienzentrum Kreuzberg Sprecherin: In einem Familienzentrum in Berlin Kreuzberg beantwortet Renate Schüssler in einer offenen Sprechstunde Fragen. Es geht um Impfen, Stillen, Kinderkrankheiten, Ernährung. An diesem Nachmittag hören ihr deutsche und türkische Frauen zu. Atmo: Familienzentrum Kreuzberg Sprecherin: Bereits als Renate Schüssler 1980 in Kreuzberg ihre eigene Kinderarztpraxis eröffnete, war für sie klar: Ich kann in diesem Stadtbezirk nur erfolgreich arbeiten, wenn ich mir auch die sprachliche und vor allem die kulturelle Kompetenz der Migranten ins Haus hole. Also stellte sie türkische und arabische Arzthelferinnen ein. Die übersetzten nicht nur, sie halfen der Ärztin auch, kulturell geprägte Eigenheiten der Patienten zu entschlüsseln. 35.Take Wenn man jemand fragt, wie geht's, dann sagt der gut. Ich habe jetzt eine ehemalige Arzthelferin, die eine schwer Operation hatte und nicht gut damit klar kommt und die habe ich jetzt noch mal begleitet zu einem Gespräch. Sie wird gefragt, wie geht es ihnen, gut und da ist es auch gut. Und dieses auch noch mal nachzufragen, konkret zu werden, arbeiten sie eigentlich wieder oder was machen sie, diese Fragen unterbleiben. Aber das sind die Fragen, die wichtig sind. Sprecherin: Renate Schüssler weiß: In vielen Kulturen ist es nicht üblich, anderen direkt sein Leid anzuvertrauen. Manchmal sprechen Scham und Tabus dagegen, manchmal sollen die anderen nicht belastet werden. Außerdem gibt es blumige Umschreibungen für Symptome, die Unvertraute auf eine falsche Fährte locken können. Beispielsweise reden Türken von einer brennenden Lunge und spüren dabei nicht eine Bronchitis oder Lungenentzündung in ihrer Brust. Vielmehr umschreiben sie so ihrer Traurigkeit und psychische Problemen. Die Kinderärztin lernte deshalb immer wieder nachzufragen, wie sich Symptome äußern und sich auch auf die Familiensysteme einzulassen. Über tausend Patienten mit 40 Nationalitäten wies die Kartei ihrer Praxis aus. Egal, wo immer die Familien herkamen, sie alle sorgten sich um ihre kranken Kinder. Aber sie zeigten es verschieden. 36. Take Das, was man zu lernen hat, ist eine Haltung. Das ist eine Haltung von Respekt, das ist eine Haltung von Anerkennung. Das ist auch eine Haltung von Selbstreflektion. Das ist auch eine Haltung, die intellektuelle Trägheit zu überwinden. Die ist ja ganz weit verbreitet. Sprecherin: Was Renate Schüssler meint, ist eine Form des Gewahrwerdens: ,Hier ist etwas anders. Ich kann nicht nach Schema F handeln' - gleich ob deutschen Ärzten migrantische Patienten gegenübersitzen oder das umgekehrte Verhältnis besteht. Nach einer Untersuchung des Robert-Koch-Institutes sind heute bereits zwölf Prozent der Ärzte in Deutschland zugewandert, mit steigender Tendenz. Eine Entwicklung, die sich in vielen Bereichen abzeichnet. Und so wächst die Notwendigkeit, Verbindung zum Gegenüber aufzunehmen. Musikakzent: 40. Take Wir stehen da ganz am Anfang. Bis das runtergebrochen ist bis in die ganzen Strukturen und dann in die Köpfe, das kann noch Jahrzehnte dauern und ist einfach ein lebenslanger Lernprozess für Personen wie Organisationen. 41.Take Es ist ein Lernprozess für alle Beteiligten auf Gegenseitigkeit, den man eigentlich mit Lust genießen sollte. 42. Take Ich werde so sagen, dass typisch Deutsche wird so bleiben. Das ist auch gut so. Bisschen kulturelle Vielfalt bringen wir ein. Ich denke, nichts ist schlimmer als ein krampfhaftes integrieren. Das muss ja so sein. So wie fließendes Wasser zusammengeschlossen wird. Das ist das Beste. Musik, darauf Absage Spr. vom Dienst Jenseits von Schema F Interkulturelle Kompetenz und Kommunikation in Deutschland Ein Feature von Barbara Leitner Es sprach: Nadja Schulz-Berlinghoff Ton: Alexander Brennicke Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2011 1