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Opening 4 Thomas Stöger Das ist, was im Bergwachtgeschäft oft passiert, dass Verletzte lange warten und die Meldung erst in letzter Minute kurz vor dem Finsterwerden oder kurz vor dem schlechten Wetter eintrifft. Opening 6 Alois Glück Bergwacht fragt nicht nach Verschulden oder nach Leichtsinn, wir sind für jeden da, jeder von uns der im Gebirge unterwegs ist, weiß, es kann irgendetwas passieren, mich kann ein Stein treffen am Kopf und ich brauche Hilfe. Opening 7 Petra Zieglmeier, wir haben alles richtig gemacht, das ist einfach ein tolles Gefühl, wenn man die Bestätigung von außen bekommt ? das tut gut. Musik hoch und aus E: Wo Promis sind, da versammeln sich Fans. Das gilt auch für die Berge. A: Unbekannte Gipfel führen häufig ein beschauliches Dasein. Prominente wie Zugspitze, Nebelhorn oder Watzmann müssen an schönen Tagen einen wahren Ansturm über sich ergehen lassen. E: Wo allein der Name des Berges zählt, der Eintrag ins Gipfelbuch und das Foto, das der Wanderer vom Gipfel zurückbringt, um damit auf der nächsten Party zu prahlen, da passt das Können des Bergsteigers häufig nicht zu den Anforderungen. A: Ort des Geschehens: der Watzmann im Berchtesgadener Land. 2713 Meter hoch ist die Mittelspitze, die höchste Erhebung des Massivs. Dieser Sommertag des Jahres 2009 ist Thomas Stöger von der Bergwacht-Bereitschaft Berchtesgaden gut in Erinnerung geblieben. Zusp. Thomas Stöger Wir ham im Juni eine Person aus der Watzmann-Westwand gerettet; der hatte noch Glück gehabt, weil er mehrmals über Steilstufen nach unten gefallen war, sich aber nicht verletzt hatte. Er kam in die Nacht hinein, hat sich ein Nachtlager aus Moos gebaut und im Morgengrauen, durchgefroren, um Hilfe gerufen. Hubschraubergeräusch Zusp. Thomas Stöger Dann bin ich zu der verunglückten Person hingeflogen, abgesetzt worden, habe ihm erklärt, was auf ihn zukommt. Habe ihm einen Com-Gurt angezogen ? das ist wie eine Windel. Mit der Winde wurde er aufgenommen und aus seiner misslichen Lage befreit. E: Was Thomas Stöger unaufgeregt erzählt, war in Wirklichkeit eine ernsthafte Herausforderung an das Team aus Hubschrauberpilot und Bergretter. Der in Bergnot Geratene wird zusammen mit seinem Retter, an einem Stahlseil hängend, aus der Watzmann-Westwand geflogen. A: Für die Mitglieder der Bergwacht-Bereitschaft Berchtesgaden sind solche Einsätze Alltag. Rund 60 Mal pro Jahr rücken sie mit dem Hubschrauber aus, um Verletzten zu helfen oder Tote zu bergen. 260 Einsätze waren es insgesamt im Jahr 2009, denn ausgerückt wird auch bei einem verstauchten Knöchel oder bei Kreislaufproblemen eines Wanderers. Der Watzmann zieht die Alpinisten magisch an. E: Franz Brandner steht an der Spitze der Berchtesgadener Bergwacht. 28 Jahre ist er schon im Rettungsdienst am Berg tätig. Brandner, der selbst 90 Mal die berühmt-berüchtigte Watzmann-Ostwand durchstiegen hat, weiß, wie schwierig und gefährlich ein Einsatz in der höchsten Wand der Ostalpen sein kann. Vor allem, wenn der Hubschrauber nicht ganz an den Verletzten heranfliegen kann. Zusp. Franz Brandner Es war mühsam, zu zweit, zu dritt oder zu viert wurden wir abgesetzt, mussten 200 Meter aufsteigen, das schwere Gerät nachholen, haben den Patienten verpackt, zu einer sicheren Stelle abgeseilt. Es war finster in der Watzmann-Ostwand, wir haben im Bereich des Schöllhornkars übernachten müssen und wurden am nächsten Morgen gegen 6 Uhr abgeholt. Das ist schon eine Erleichterung, wenn man merkt, jetzt geht?s wieder nach Hause. A: Franz Brandner kennt die 1800 Meter hohe Watzmann-Ostwand wie seine Westentasche. Die Sicherheit der Retter ist ihm ein besonderes Anliegen, denn er weiß um die Tücken dieser Wand. E: 99 Alpinisten haben bisher in der Watzmann?Ostwand den Tod gefunden. Trotzdem hat deren Anziehungskraft nicht nachgelassen. In diesem Sommer wurden an einem sonnigen Tag dreißig Kletterer in der Ostwand beobachtet. Alle sind gesund wieder herunter gekommen. Aber so mancher hatte in der Ostwand einfach nur Glück und kompetente Retter wie Thomas Stöger. Zusp. Thomas Stöger Wir ham mal einen Bergsteiger geholt. Der hatte seine Schuhsohle verloren und kam nicht mehr weiter. Er hatte sich auch noch zusätzlich verstiegen. Es war gegen Abend, kurz vor einem Gewitter. Mit dem Hubschrauber sind wir reingekommen. Über die Ostseite vom Königssee her konnten wir ihn allerdings nicht erreichen. So hat mich der Hubschrauber auf der Südspitze abgesetzt. Ich bin abgestiegen und runtergegangen und hab ihn gefunden und auf den Weg zurückgeführt. In einer Nebellücke ist der Hubschrauber gekommen und dann haben wir ihn aus der Gefahrenzone draußen gehabt. A: In der Schönwetterphase, die im Oktober in den bayerischen Alpen herrscht, kommen die Bergunfälle nicht aus den Schlagzeilen heraus. Mancher Alpinist hatte einfach nur Glück. Zusp. Rudi Fendt Das war im Abstieg von der Watzmann-Südspitze, auf ca. 2.200 m, da gibt es so eine Kante, an der man ganz normal herumgehen kann, aber man sollte an dieser Stelle nicht stolpern, und da ist ein Bergsteiger aus München gestolpert, ist gestürzt und ist in einer Steilrinne hängen geblieben, sodass ihn seine Kameraden wieder befreien konnten. Drei Wochen vorher ist genau an dieser Stelle einer tödlich abgestürzt. Den 150 m ? Sturz hat er nicht überlebt. E: Passiert ist dieses Unglück bei der Watzmann-Überschreitung. Das ist eine Tour, die häufig von ambitionierten Wanderern unternommen wird. Wanderer tun sich aber gelegentlich schwer bei der Einschätzung des eigenen Könnens und der eigenen Kondition, und das ist bei der Watzmann-Überschreitung das Problem, weiß Rudi Fendt zu berichten, der Leiter der Bergwacht-Bereitschaft Ramsau. Zusp. Rudi Fendt Wenn man den Watzmann von seiner Silhouette her sieht, dann ist das ein Berg, der sich stark einprägt ähnlich wie das Matterhorn. Somit ist der Watzmann für viele ein Lebenstraum, und man kann diesen Berg auf einem relativ einfachen Weg überschreiten, wenn auch dieser Weg alpine Gefahren hat und entsprechende Kondition und Ausrüstung verlangt. An einem schönen Tag wandern 200, 300 oder auch mehr Menschen darüber und da ist es ganz klar, wo gehobelt wird, fallen auch Späne. A: Häufig sitzt der Lehrer und Bergwachtler Rudi Fendt gerade beim Korrigieren oder bereitet seinen Unterricht für den nächsten Schultag vor, wenn der Ruf für den nächsten Einsatz kommt. E: Und das Ziel ist fast immer der Watzmann, der König der Berge im Berchtesgadener Land. Nicht dass dem erfahrenen Bergretter, der seit drei Jahrzehnten Verunglückten in Bergnot hilft, die Situation unbekannt vorkäme: Aber die Aussicht, in wenigen Minuten vom Schreibtisch auf die 2.713 Meter hohe Südspitze geflogen werden zu können, lässt den 55-jährigen tief durchatmen. Zusp. Rudi Fendt Wir ham heuer eine Gruppe von neun Bergsteigern holen müssen, auf 2.200 m Höhe, die uns nachts um halb 11 Uhr alarmiert haben. Es konnte, weil gutes Flugwetter war, der Hubschrauber fliegen. Wir hatten zwei Hubschrauber im Einsatz. Weil die Hubschrauber nachts nicht immer fliegen, müssen wir bodengebundenes Personal gleichzeitig fahren. D.h. mehrere Bergretter fahren mit Geländewagen neun Kilometer bis Wimbachgries und steigen auf den Watzmann-Südgipfel, um die Leute zu treffen. A: Das bedeutet einen Aufstieg zu Fuß von 1.300 Höhenmetern, der immerhin zweieinhalb bis drei Stunden dauert. Im Falle der hilfesuchenden neun Alpinisten konnte dank hervorragender Pilotenleistungen die ganze Gruppe mit dem Hubschrauber ausgeflogen werden. Die aufsteigenden Bergwachtleute traten unverrichteter Dinge den Rückweg an und waren am frühen Morgen wieder zurück im Tal. E: Dies ? so Rudi Fendt ? ist kein Einzelfall. Pro Jahr hat die Bergwacht-Bereitschaft Ramsau 20 bis 25 solcher Einsätze am Watzmann ? jeweils mit hohem Aufwand. Immerhin waren die neun Geretteten einsichtig und bedankten sich mit einer E-Mail. ?Wir haben aus der Sache gelernt?, stand dort zu lesen. Dem Ramsauer Bergwacht-Chef wäre es am liebsten, wenn alle, die den Watzmann auf dem anspruchsvollen Steig überschreiten, richtig einschätzen könnten, was auf sie zukommt. Zusp. Rudi Fendt Die Tour bewegt sich immer auf einer Höhe von 2.600, 2700 m und sie ist sehr lang. Wenn man ein geübter Bergsteiger ist, braucht man für die Überschreitung vom Watzmann-Haus bis zur Südspitze drei Stunden. Uns sind aber Leute bekannt, die brauchen 7, 8, 9 oder zehn Stunden. Meistens ist es so, dass die Leute die Tour unterschätzt haben. Die Unfälle sind zum großen Teil auf Erschöpfung zurückzuführen, man stolpert, manchmal geht?s gut aus, manchmal schlecht. Ein paar Fälle haben wir gehabt, die wegen Dehydrierung nicht mehr weiter konnten und die wir holen mussten, teilweise spät in der Nacht. Musikakzent E: ?Wo ein Begeisterter steht, ist der Gipfel der Welt!? A: So steht es auf einer Wand in der Einsatzzentrale der Bergwacht Oberstdorf. E: Sozusagen ein ?vertikales Engagement? für Menschen in alpiner Not. A: Und begeistert sind hier alle Bergwachtmänner und ? frauen von ihrer Tätigkeit, auch wenn die nicht immer ein Zuckerschlecken ist. Zuspielung: 0?13 Atmo ? Skiwacht für Flori kommen, ja Skiwacht hört ? Talabfahrt, Rodler gestürzt ? verletzt? ? war bewusstlos? okay, ich schicke gleich jemand hin. E: Xaver Hartmann leitet die Bergwachtbereitschaft Oberstdorf, die Allgäuer Lawinenhundestaffel und auch die Skiwacht. 1977 wurde sie als Pilotprojekt der Stiftung ?Sicherheit im Skisport? gegründet. A: Inzwischen sind bayernweit 230 Bergwachtmänner und ? frauen bei der Skiwacht tätig, auch in den Oberstdorfer Skigebieten. Am Nebelhorn ist die Skiwachtzentrale in der Bergstation Höfatsblick Anlauf- und Service-Stelle für alle Skifahrer und Wintersportler, die Hilfe benötigen ? und sei es nur ein Pflaster oder eine Information zum Schwierigkeitsgrad der Pisten. Zuspielung: 0?23 Wir sind für alle Unfälle, die in diesem Skigebiet passieren können gewappnet, ob Lawinenunfall, Absturz, Fußverletzung auf der Piste, Gleitschirmunfall, das heißt wir müssen das ganze Rettungsmaterial und medizinische Gerät vorhalten sowie Medikamente, Injektionen, die der Arzt dann machen kann. E: Bevor der erste Skifahrer auf der Piste unterwegs ist, hat die Skiwacht schon die Lawinenlage in der Umgebung geprüft. A: Auch die Pistenkontrolle am späten Nachmittag gehört zu den Aufgaben der Skiwacht und bildet den Schlussakt eines langen Tages. Zuspielung: 0?24 Wir haben die Skihauptabfahrt nach Oberstdorf hinab und die letzte Fahrt machen wir, Lumpensammler, auch wegen der Pistenwalze, die letzte Fahrt geht 7 km runter, die Leute sind schon müde und gerade schlechte Skifahrer, die trauen sich noch um 16 Uhr eine Abfahrt auf einer schwarzen Piste zu und die sammeln wir dann ein. A: Vor 18 Uhr ist abends keiner von der Skiwacht daheim. Doch bei aller Aufgabenvielfalt - im Mittelpunkt steht immer die Erste Hilfe für verunglückte Skifahrer. E: Unterschenkelfrakturen sind mittlerweile selten geworden. Heutzutage bestimmen vor allem Knie-, Kopf- und Schulterverletzungen das Bild. A: Und Wirbelsäulen-Verletzungen wie beim folgendem Fall einer 15jährigen Niederländerin. Alfred Rothmayr erhält die Unfallmeldung und fährt sofort los. Zuspielung: 0?28 Wir fahren jetzt auf einen Einsatz in die kleine Mulde hoch ? Atmo ? wir machen Urlaub im Probsthaus, sie ist gestürzt auf den Kopf, zum Glück Helm, aber ? legen jetzt Halskrause an ? Atmo Vakuummatratze. A: Gerade bei einer Verletzung der Halswirbelsäule ist größte Vorsicht geboten. Der Abtransport per Akja, dem Rettungsschlitten, wäre aufgrund der Schläge und Stöße riskant. E: Alfred Rothmayr hat deshalb eine spezielle Halterung konstruiert, um den Akja sicher und stoßgedämpft am Skidoo, dem motorgetriebenen Transportschlitten, zu befestigen. Zuspielung: 0?19 Atmo ? da wird der Akja hinten in die Haken eingehängt ? Atmo ? verschraubt ? Atmo ? bombenfest. ? Die baut man zum Teil nach, aber die ist hier oben entstanden. Wir haben das jetzt zwei Jahre, vorher mit Spanngurten befestigt, wacklig, jetzt wackelt er nicht und das ist wichtig. E: Vom Allgäuer ?Mächelertum?, d.h. vom Erfindungsgeist, profitiert also auch die Berg- und Skiwacht. A: Einen guten Riecher haben aber nicht nur die zweibeinigen Tüftler, sondern auch die Vierbeiner ? zumindest die, die zur Allgäuer Lawinenhundestaffel gehören. E: In diesem Jahr waren sie vor allem im lawinenträchtigen Februar gefordert. Zuspielung: 0?19 Atmo Funk ? Bergwacht Allgäu ? Lawinenabgang Oberstaufener Gegend ? der erste Hund hat sich gemeldet in Blaichach ? die andere Maschine zum Aufnehmen der Hunde ? okay, ich muss jetzt weg mit dem Hund. A: Jetzt muss es schnell gehen. Jede Sekunde zählt, sagt Xaver Hartmann. E: Denn nach zwanzig Minuten sinkt die Überlebenschance für einen Verschütteten rapide. A: Seit mittlerweile 40 Jahren findet jeden Winter der Lawinenhundelehrgang der Allgäuer Bergwacht statt. Xaver Hartmann leitet den einwöchigen Kurs. Zuspielung: 0?56 Am besten ist ein kalter Schnee, Schollenbildung, Lufträume dazwischen, dann Außentemperatur von minus 15 Grad und leichten Wind dazu, das ist der Idealfall, dann kann der Hund die Witterung besser aufnehmen. Was im Frühjahr oft problematisch ist, Sonneneinstrahlung, gibt Firn an der Oberfläche, Wind drauf, dann gibt es eine Eisbildung und die Witterung kann schlecht herausdringen. Die Sucharbeit mit den Hunden beginnen wir wenn sie zwischen neun und zwölf Monate alt sind, ideale Zeit, da geht es richtig zur Sache, die werden richtig gefordert und die sind auch fertig nach der Woche. E: Beim Lawinenhundelehrgang wird das Abseilen von Hund und Herrchen aus dem Hubschrauber ebenso geübt wie die zielorientierte Suche nach Verschütteten im Schnee. A: Spürnasen im Schnee. Derzeit gehören neun einsatzfähige Teams der Allgäuer Lawinenhundestaffel an. Atmo Hunde Zuspielung: 0?56 Ich bin der Gimbl Michel, bin seit 27 Jahren bei der Bergwacht Nesselwang, Gerätewart, Ausbilder, Bereitschaftsleiter, und das ist der Luggi, 3 ¼ Jahr alt und macht jetzt beim Lehrgang sein C, ein reinrassiger Boarder Collie, wahnsinnig intelligent, lernt schnell und will auch geistig gefordert werden. ? Ich bin der Bruckdorfer Hannes von der Bergwacht Füssen, das ist mein Hund Lukas, drei Jahre alt, Golden Retriever. Oft gibt es ein Dankeschön, aber manchmal sind die Leute anspruchsvoll und es kommt ein schlechtes Wort, hättet ihr nicht noch schneller sein können, das gibt es auch, da geh ich dann weg ? ein tolles Beispiel war, wir sitzen im Cafè, da kommt einer und macht eine Spende von 20 Euro und sagt, toll, dass es euch gibt, das freut einen dann schon, aber sonst, dass man ein besonderes Image hat?, wir sind ganz normale Leut. E: ?Normale Leut?, die einen Großteil ihrer Freizeit opfern, um anderen zu helfen. A: Worauf er sich eingelassen hat, weiß auch der Oberstdorfer Kornell Dünßer. Das Leben mit dem Erlebten, der Umgang mit Extremsituationen am Berg - auch das muss gelernt werden. Zuspielung: 0?38 Ja, ganz klar, das ist aber auch eine Sache, in die man hineinwächst, denn das kommt ja jedes Jahr vor, dass einem Unfälle nahe gehen, die dramatisch sind, aber das lernt man auch in einer gewissen Weise zu verarbeiten A: Die Balance zu finden zwischen erforderlicher Nähe und notwendiger Distanz bleibt schwierig. E: Und so kommt es vor, dass die Helfer auch selbst einmal professionelle Unterstützung brauchen und sich an das Kriseninterventionsteam wenden. Zuspielung: 0?38 Wir haben auch Bergwachtmitglieder, die selber im KIT sind, da ist schon ein guter Austausch da und zudem sind alle in so einem Ort wie Oberstdorf im ländlichen Bereich vernetzt, alles Freunde oder Schulkameraden etc., das fängt das gut auf und federt es ab, da ist keiner allein, das heißt, uns geht es besser als vielen Opfern, die einen KIT nötig haben.. E: Kornell Dünßer ist von Beruf Raumausstatter und seit über 30 Jahren bei der Oberstdorfer Bergwacht tätig. A: In dieser Zeit hat sich viel verändert. Zuspielung: 0?50 Früher war es eine Mannschaftssache, ein Miteinander, ging langsamer, weil es waren ja nicht überall Bergbahnen da oder Luftrettung, auch weniger Fahrstraßen und man hatte auch nicht die Fahrzeuge, dass überall schnell hinkommt, also es war ein anderer Zeitfaktor. Auch der medizinische Druck hat alles verändert, dadurch dass man jetzt schnell da ist zusammen mit dem Arzt als Ersthelfer, da ist die nicht nur die technisch-logistische, sondern auch die medizinische Ausbildung wesentlich komplexer geworden. Die meisten sind sich gar nicht bewusst, dass wir ehrenamtlich tätig sind, die haben das Gefühl, der muss sofort da sein, das habe ich ja gezahlt mit meiner Versicherung, das muss sofort sein und auf der Stelle und ohne Fehler. A: Die bequeme ?All-inclusive-Mentalität? bekommt auch die Bergwacht zu spüren. Oftmals aber können die Bergretter nur unter Gefahr für ihr eigenes Leben Hilfe leisten. E: Wenn bei Rettungsaktionen im Fels Steinschlag droht oder leichtsinnige Tiefschneefreaks Lawinen auslösen, steigt das Risiko erheblich, räumt auch der Vorsitzende der Bergwacht Bayern, Alois Glück ein, im ?Nebenberuf? auch Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Zuspielung: 0?16 Ein Risikomanagement macht rationale Abwägungen - trotzdem bleiben einfach Restrisiken des Unkalkulierbaren in der Natur. Wir haben natürlich, und diejenigen, die die Einsätze leiten, auch eine Verantwortung gegenüber denen, die im Einsatz sind. E: Wut auf leichtfertige Heißsporne wäre da nur allzu verständlich. Aber, so Alois Glück: Zuspielung: 0?14 Bergwacht frägt nicht nach Verschulden oder nach Leichtsinn, wir diskutieren da auch nicht lang darüber, wir sind für jeden da, jeder von uns der im Gebirge unterwegs ist weiß, es kann irgendwas passieren, mich kann ein Stein treffen am Kopf und ich brauche Hilfe. A: Gelassen, tolerant und bodenständig im Miteinander für die anderen ? darin liegt die Stärke der Bergwacht. E: Einzigartig ist auch das Kriseninterventionsteam, kurz KIT, für die Bergwacht selbst. A: Ins Leben gerufen hat es Petra Zieglmeier von der Bergwacht München. Zuspielung: 0?27 Petra Zieglmeier Diese Stressbewältigung nach belastenden Einsätzen wird angeboten, gerade wenn Kinder beteiligt sind, also da kommen sehr oft Kollegen die sagen, ich brauche da jetzt Hilfe, ich muss da noch mal drüber reden, auch der ganze Einsatzablauf will aufgearbeitet werden ? und wenn man dann nach Hause kommt und erzählt von dem Einsatz, dann ist es doch ein Unterschied wenn nicht der Partner, der nichts mit der Bergwacht zu tun hat, sondern ein Bergwachtler da ist, der sagt, ich kann dich verstehen. A: Die Extremsituationen gibt es also nicht nur oben am Berg, sondern auch unten im Tal ? für die Bergretter ebenso wie für die Angehörigen von Verunglückten. E: Wenn es gilt, den Angehörigen eine Todesnachricht zu überbringen, dann müssen die Mitglieder des KIT vor allem auch eines können: Schweigen zulassen. Zuspielung: 0?33 Petra Zieglmeier Der Angehörige hat ein unglaublich schreckliches Kopfkino, manche Leute wollen darüber reden, manche möchten jetzt einfach nicht sprechen, das ist teilweise dann sehr schwer da wirklich Schweigen auszuhalten, man versucht dann immer selber zu reden, wie geht es Ihnen denn, und derjenige möchte einfach nur, dass man neben ihm sitzenbleibt, nichts sagt, ich bin für dich da ? mehr nicht. A: Einer der Gründungsmitglieder des Kriseninterventionsdienstes der Bergwacht ist Winfried Schmidt aus Immenstadt. 25 Mal war er in knapp zehn Jahren im Einsatz. E: Das erscheint nicht viel. Doch in Anbetracht der schwerwiegenden Unfälle ist sein Einsatz unbezahlbar, gerade für Menschen, die bei einem Unfall in den Bergen einen Partner oder Freund verloren haben und unter akutem psychischen Schock stehen. A: Wobei es sich um jede Art von Unfall handeln kann. Zuspielung Winfried Schmidt Der ist im Eistobel passiert, in der Isnyer Gegend. Das waren Kajakfahrer, die den Eistobel mit dem Kajak fahren wollten und einer gleich am ersten Katarakt stecken geblieben und tödlich verunglückt, also ertrunken, ist. Da ist es wichtig, dass du von der Materie etwas verstehst. In bin selbst jahrelang Kajak gefahren, also war?s für mich leicht, mit denen ein Gespräch zu führen übers Kajakfahren. Die meisten ham so einen Schock weg, dass sie nix sagen wollen. Aber über ihren Sport kommt man ganz leicht ins Gespräch und kann dann überleiten zu anderen Sachen, die für ihn wichtig sind. E: Der Kriseninterventionsdienst wird von den Einsatzkräften angefordert, wenn unverletzte Betroffene, die beispielsweise bei der Tour eines Verunglückten dabei waren, seelische Betreuung benötigen. A: Aber es geht auch um die ganz praktische Hilfe, die nach einem tödlichen Unfall in den Bergen gefragt ist. Zuspielung Winfried Schmidt Wo kommt dieser Verunglückte hin, was brauchen die von auswärts für Papiere, wen muss man benachrichtigen. Wir arbeiten eng mit der Polizei in Oberstdorf und mit der alpinen Einsatzgruppe zusammen und es funktioniert ganz toll, dass auch Angehörige über einen Betreuer verständigt werden und nicht über das Telefon, dass man organisiert, wie kommen Angehörige zu uns her, wie können die vom Verunglückten Abschied nehmen. E: Vor zehn Jahren wurde der Aufbau des Kriseninterventionsdienstes bei der Bergwacht noch mit Skepsis betrachtet. Heutzutage ist er einfach nicht mehr wegzudenken, sagt Rudolf Gantner, der stellvertretende Leiter der Bayerischen Bergwacht. Zuspielung Rudolf Gantner Der KID hat in der Bergwacht einen unwahrscheinlich hohen Stellenwert bekommen. Es ist nicht nur die Betreuung der Personen. Die Angehörigen werden aus dem Einsatzgeschehen herausgenommen, ohne dass sie das Empfinden haben, sie werden abgeschoben. A: Als sich der Kriseninterventionsdienst der Bergwacht gerade formiert hatte, ließ die Bewährungsprobe nicht lange auf sich warten: Bei einem Brand im Tunnel der Gletscherbahn Kaprun starben am 11. November 2000 155 Menschen, größtenteils durch Rauchvergiftung. E: Aufgabe von Winfried Schmidt und seinen Kollegen war es, die Todesnachricht zu überbringen, und zwar an die Eltern der Mitglieder der Jugendskinationalmannschaft im Chiemgau. Diese Gespräche wird er nicht mehr vergessen. A: Eine besondere Erfahrung für den 69-jährigen Allgäuer Bergwachtmann war der Besuch zweier taubstummer Angehöriger ? in diesem Fall nahm er einfach Block und Stifte mit, um sich am Berg zu verständigen. Zuspielung Winfried Schmidt Wir hatten einen tödlichen Absturz eines Schneeschuhgängers und ein halbes Jahr später wollten die engen Verwandten den Unfallort noch einmal sehen, im Sommer. So sind wir so nah wie möglich an diesen Unfallort hin, haben nüber und rübergeschrieben und das Schönste war für mich, wie sie aufgeschrieben haben: Endlich ist es uns klar, wie es zu diesem Unfall kommen konnte. E: Durch die Beschäftigung mit psychischen Folgen von Unfällen oder traumatischen Erlebnissen am Berg ist Winfried Schmidt eines klar geworden. Die psychische Belastung ist ähnlich, ganz gleich, ob eine Bergsteigergruppe einen Teilnehmer durch ein Unglück verliert oder ein Retter mit den schlimmen Folgen eines Absturzes konfrontiert wird. Und dann hilft zuallererst reden. Zuspielung Winfried Schmidt Alles, was du ansprichst in der Psyche, das wird irgendwann einmal leichter. Wenn man darüber reden kann. Alles, was du nicht ansprechen kannst, was in dir bleibt, bringst du auch ganz schlecht wieder los. Schlussmusik 2?00 freistehend 1