COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandrundfahrt Fahrradtour auf der Milchstraße Milchraststätten zwischen Bremen und Hamburg Von Nicolas Hansen Sendung: 3. Juli 2010, 15.05h Ton: Barbara Zwirner Regie: Roswitha Graf Redaktion: Margarete Wohlan Produktion: Deutschlandradio Kultur 2010 Jingle "Deutschlandrundfahrt" Opener Musik. Darüber: O-Ton Collage 1. O-Ton: Klaus Intemann Wir wollen ja sehen, dass wir unsere Milchprodukte, dass die wieder populär werden. Dass die Leute merken, Milch schmeckt doch gar nicht so, wie sie aus'm Supermarkt eigentlich gekauft wird, die schmeckt total anders. Das ist wirklich so, dass die Leute sagen, boah, die hat noch richtig Geschmack. Musik kurz hochkommen lassen. 2. O-Ton: Uta Koeneke Friedel Schomaker aus Ostfriesland, die hat mal in Süddeutschland ne Besenwirtschaft besucht. Und sie sagte halt, dass Niedersachsen ja so ein großes Milchland ist, aber man kann nirgendwo Milch trin- ken. Und da hatte sie die Idee mit dem Melkhus, einfach ein kleines Milchhaus. Musik kurz hochkommen lassen. 3. O-Ton: Axel Steen Jetzt kommt gerade die Milch vorgefahren, direkt vom Bauernhof und wird ausgeladen. Wie Sie sehen, es gibt sogar noch richtige Milch- kannen. Musik kurz hochkommen lassen. Sprecher: Fahrradtour auf der Milchstraße. Milchraststätten zwischen Bre- men und Hamburg. Eine Deutschlandrundfahrt mit Nicolas Hansen Musik noch stehen lassen. Geräusch: Straßenbahn Autor: Bremen. Marktplatz. Menschen eilen zu Fuß oder mit dem Rad kreuz und quer über den Platz, Straßenbahnen fahren vorbei. Um die Ecke steht das Denkmal der Bremer Stadtmusikanten, vor dem alten Rathaus von 1405 das Wahrzeichen der Hansestadt, der Bremer Ro- land. Unter all den Menschen kommt eine Frau mit Fahrrad ziel- strebig auf den Roland zu. Helga Klein. Sie ist Stadtführerin in Bremen. Was in Bremen wichtig ist, wir treffen uns vor dem Roland. 4. O-Ton: Helga Klein Hätten Sie dahinter gestanden, hätte die Verabredung nicht ge- golten. Dann hätte ich Sie da vielleicht sogar stehen lassen. Atmo: Marktplatz (bis Abschnittsende) Autor: Glück gehabt! Der Roland, eine Statue aus Stein, trägt Schild und Schwert. Er ist nicht nur Treffpunkt und Wahrzeichen, er ist ein Freiheitssymbol, was in der Inschrift des Schildes auch verewigt ist. Roland Statuen gibt es vor allem in nord- und ostdeutschen Städten, in Stendal, Halberstadt, Nordhausen, Bederkesa und so weiter. Der schönste aber, sagt Helga Klein mit einem überzeugten Lächeln, steht in Bremen. 5. O-Ton: Helga Klein Also, der Roland selber, die Person, die ist 5,55 Meter. Und mit So- ckel und mit Baldachin da oben drüber ungefähr das doppelte. Und der steht auch noch auf dem alten Sockel, auf dem er seinerzeit 1404 hingestellt worden ist. Den hat man ja 1939 ja noch mal aus- einander gebaut, da kriegte er so langsam das Kippen, da hat man ihn auseinandergenommen, hat auch festgestellt, dass das der alte Sockel ist und hat ihn dann wieder zusammengebaut. Autor: Rathaus und Roland wurden 2004 zusammen zum Weltkultur- erbe erklärt. Ringsherum, historische Gebäude. Viele davon wurden nach dem Krieg wieder aufgebaut - so wie die Böttcherstraße. Und auch der Schütting, das Haus der Bremer Kaufleute, gegenüber vom Rathaus, auf der anderen Seite des Marktplatzes. Auf diesem Marktplatz soll es sich zugetragen haben, dass Till Eulenspiegel den Milchbäuerinnen, die dort ihre Milch verkaufen wollten, einen Streich spielte. Er sammelte sämtliche Milch ein, ließ sie in ein großes Fass gießen und sagte den Bäuerinnen, er habe leider kein Geld und sie sollten sich ihre Milch doch wieder aus dem Fass herausholen, was zu einer wüsten Schlägerei zwischen den Frauen und zu Gelächter bei den umstehenden Passanten geführt haben soll. Diese Ge- schichte hat Helga Klein schon lange nicht mehr erzählt, sagt sie, dabei liebt sie solche alten Geschichten über ihr Bremen. 6. O-Ton: Helga Klein Wissen Sie, ich bin so richtig..., das ist meine Stadt. Und ich zeige jedem meine Stadt immer wieder gerne. Und wenn dann jemand sagt, ach wissen Sie was, das interessiert mich hier alles gar nicht, lassen Sie uns doch mal nach Schwachhausen gehen, dann gehen wir eben nach Schwachhausen und gucken uns da was an. Aber das dann lieber mit dem Fahrrad, weil da die Entfernungen schon wieder etwas mehr werden und sonst so viel Zeit mit Laufen weggeht, nicht? Autor: Helga Klein lebt im Ostertor Viertel, einem Stadtteil östlich der Innenstadt. Von hier aus erledigt sie alle Wege mit dem Fahrrad, denn das geht hier oft am besten, sagt sie. 7. O-Ton: Helga Klein Bremen ist eine ganz fahrradfreundliche Stadt. Gucken Sie sich mal unsere Radwege an, dazu kommt ja noch, dass das hier alles so platt ist, dass es hier keine Berge gibt. Diese paar Hügel, die wir am Wall haben, das ist ja künstlich aufgeschüttet, sind ja keine Berge, haben wir ja gar nicht hier. Autor: Tatsächlich fällt in Bremen auf, dass es ein durchgängiges Rad- wegenetz gibt, Radwege, die auch nicht von Autos zugeparkt sind, wie das in Hamburg leider häufig der Fall ist. Aber Hamburg ist erst das Ende dieser Radtour und zunächst geht es von Bremen ins ein paar Kilometer entfernte Künstlerdorf Fischerhude, eine Strecke, die Helga Klein selber häufig fährt und daher sehr genau kennt. Also aus der Bremer Innenstadt heraus...(mit der Stimme oben bleiben) 8. O-Ton: Helga Klein ... dann fahren wir am Bürgerpark vorbei, dann kommen wir über die Autobahn, auf der anderen Seite geht's weiter nach Kuhsiel, Kuhsiel fahren Sie rechts rum, nicht links, wo es eigentlich ganz interessant ist, aber Sie fahren rechts rum und dann geht es bei Borgfeld über die Straße und weiter auf dem Wümmedeich, ein ganzes Ende bis ein Schild kommt über eine Brücke, da steht drauf "Fischerhude", da fahren Sie überweg und dann ganz hinten am Ende, das geht ein paar mal hin und her, aber das ist gut ausgeschildert, rechts rum und dann sind Sie in Fischerhude. Musik schon unter O-Ton legen und aufblenden. Musik: Titel: Graceland Interpret: Paul Simon Komponist: Paul Simon Verlag/LC-Nr.: Warner Bros. / 00392 Atmo Radfahren 1 Autor: Etwas außerhalb von Bremen liegt das Künstlerdorf Fischerhude. Der Weg von Bremen führt mit dem Fahrrad auf dem Wümmedeich entlang, von wo aus der Blick über die Wümmewiesen schweift. Saf- tig grüne Weidelandschaft, durchzogen von Gräben. Marschland. Dazwischen: Bäume, Sträucher und Hecken. Die Wümme ist kein breiter Fluss, nur etwa fünf, sechs Meter. Fischerhude wird von meh- reren Wümmearmen umschlossen und durchzogen. Der Ortskern ist geprägt von Fachwerkhäusern. Etwas abseits davon liegt das Otto- Modersohn-Museum. Es ist ein kleines Privatmuseum, das bis heute der Familie Modersohn gehört. Am Eingang sitzt Antje Modersohn. 9. O-Ton: Antje Modersohn Ich bin die Enkelin von Otto Modersohn. Otto Modersohn war ver- heiratet in dritter Ehe mit Louise Breling, eine junge Frau aus einer großen Künstlerfamilie. Heinrich Breling war ein Maler, mein Ur- Großvater also, der in Fischerhude geboren war, der über München eine große Karriere gemacht hat als Genre-Maler, und wieder zu- rückgekehrt war nach Fischerhude und hier 1908 gebaut hat. Und auf diesem Richtfest hat mein Großvater seine dritte Frau kennen- gelernt. Autor: Antje Modersohn teilt sich die Arbeit im Museum mit ihrem Mann Rainer Noeres. Sie ist für die Familiengeschichte zuständig, sichtet alte Unterlagen und bereitet sie für die Forschung auf. Er übernimmt die kuratorische Arbeit im Museum und führt zielstrebig zu einem Bild, dass ein echter Blickfang ist, sein ganzer Stolz, der erst seit ei- nem Monat im Museum hängt. 10. O-Ton: Rainer Noeres Wir stehen hier vor dem Bild "Dorfstraße in Worpswede", eine Neu- erwerbung. Wir haben das Bild vor einem Jahr aus Südamerika be- kommen. Die "Dorfstraße in Worpswede" ist eines der zentralen Bil- der Otto Modersohns aus der Worpsweder Zeit, gemalt 1897. Das ist das einzige Bild dieses Formats und dieses Anspruchs, das sich bis jetzt in unserer Stiftung befindet. Von daher sind wir natürlich sehr glücklich über diese Erwerbung, denn es ist eines seiner zentralen Bilder seines Schaffens aus der Zeit vor 1900. Autor: Antje Modersohn hat Otto Modersohn nicht mehr kennen gelernt, jedoch hat sie durch das Lesen der Briefe und Unterlagen ein sehr persönliches Bild von ihrem Großvater. Eigentlich kam Modersohn aus Westfalen, doch berühmt wurde er als Landschaftsmaler in der Gegend um Bremen. Er studierte an den Kunstakademien in Düssel- dorf und Karlsruhe und galt unter seinen Professoren als heraus- ragender Student. 11. O-Ton: Antje Modersohn Er war ein sehr individueller Mensch, sehr, sehr fleißig, und hat dann sehr früh erkannt, er war dann - als er nach Worpswede kam hat er sich im ersten Worpswede-Sommer sich hier so wohl gefühlt in die- ser Landschaft und in der Natur, dass es genau das war, was er ge- sucht hatte, eigentlich sein Leben lang schon im Vorfeld. Und er war dann in Worpswede so glücklich, dass er gar nicht mehr an die Aka- demie zurück wollte. Autor: Ihn verband eine Freundschaft zu Fritz Mackensen. Mit ihm reis- te er das erste Mal nach Worpswede. Beide beschlossen schließlich die Akademie zu verlassen und in Worpswede zu bleiben. Das war der Anfang der Worpsweder Künstlerkolonie. Dort lernte Modersohn seine erste Frau kennen, die allerdings an Tuberkulose litt, damals eine unheilbare Krankheit. Kurz nach der Geburt ihrer Tochter, starb sie. Autor: Einige Jahre zuvor besuchte eine junge Frau, Paula Becker, eine Ausstellung der Worpsweder Künstler in der Bremer Kunsthalle. 12. O-Ton: Antje Modersohn Sie hatte in der ersten Ausstellung 1895 in Bremen eben auch die Worpsweder mit gesehen, hat das an ihren Bruder auch geschrieben "hast Du die Worpsweder gesehen? Ich war jetzt mehrmals in dieser Ausstellung", schreibt sie 1895 ohne Otto Modersohn gekannt zu ha- ben und schreibt dann eben im weiteren Verlauf "wie er das Wasser malt und wie er überhaupt die Stimmungen einfängt der Landschaft, der Natur", und schreibt dann so nett, "diesen Modersohn, den möch- te ich mal kennenlernen", und das passierte dann ja auch. Autor: Paula Becker kam nach Worpswede und lernte Modersohn tat- sächlich kennen. Er besuchte sie sogar während sie in Paris lebte. Künstlerisch lagen sie auf einer Wellenlänge, tauschten sich aus, diskutierten, inspirierten sich gegenseitig - und kamen sich auch menschlich näher. Kurator Rainer Noeres macht ihre künstlerische Nähe im Fischerhuder Museum dadurch deutlich, dass er die Werke ihrer gemeinsamen Zeit im selben Raum an gegenüberliegenden Wänden hängt. Otto Modersohn und Paula Becker heiraten schließlich, unternehmen gemeinsame Ausflüge in die nähere Umgebung Worpswedes - auch nach Fischerhude. Doch Paula Modersohn-Becker sucht In- spirationen, die Worpswede und die Landschaft im Teufelsmoor ihr nicht bieten können. Sie fährt wiederholt nach Paris. Otto Modersohn schreibt ihr nach einem Besuch in Fischerhude nach Paris: Zitator: "Die Woche in Fischerhude war herrlich. Das Dorf wirkte mär- chenhaft auf mich. Das Wasser bringt so viel Leben hinein. Ich habe auch einiges gemalt, darunter ein Bild 'Die Wümme unter Bäumen' ist vielleicht das Farbigste was ich bisher gemalt habe." Autor: Ihre gemeinsame Tochter ist der Höhepunkt ihres Lebens. Kurz nach der Geburt stirbt Paula Modersohn-Becker im Alter von nur 31 Jahren. Otto Modersohn ist wie gelähmt. Das gemeinsame Haus be- tritt er nach dem Tode Paulas nicht mehr, sondern macht in Fi- scherhude einen Neuanfang - auch malerisch. 13. O-Ton: Rainer Noeres Was auffällig ist, ist die Veränderung im malerischen Zugriff. Das heißt, die Bilder wirken bewegter, der Pinselstrich wird lebendiger, die Bilder sind stärker von der malerischen Struktur, des malerischen Auftrags geprägt, als die Worpsweder Bilder. Autor: Nach dem Besuch im Modersohn Museum regnet es draußen. In der Ortsmitte von Fischerhude stehen alte Eichen. Ein guter Ort, den Schauer abzuwarten und dann in Richtung Gyhum weiterzufahren. Musik: Titel: If a song could get me you Interpret: Marit Larsen Komponist: Marit Larsen Verlag/LC-Nr.: Columbia / 19922 Atmo Radfahren 1 Autor: Der Radweg von Bremen nach Hamburg ist insgesamt gut 150 Kilometer lang. Die Landschaft ist relativ ebenerdig und der Radweg an fast allen Stellen gut ausgeschildert. Auf ruhigen Nebenstraßen führt die Route von Fischerhude Richtung Gyhum. Wiesen und Fel- der wechseln sich mit kleinen Waldstücken ab. In den Dörfern stehen häufig große, alte Eichen. Entlang der Dorfstraßen liegen Bauern- höfe, meist von einer roten Ziegelsteinmauer mit einer Hofeinfahrt abgegrenzt. An der Dorfstraße in Nartum liegt auch der Hof von Klaus und Birgit Intemann. Der Hof wirkt offen, keine Mauer, kein Zaun, nur ein kleines, grünes Häuschen mit der Aufschrift "Melkhus". 70 Kühe haben die Intemanns, erzählen sie beim Gespräch in ihrem Melkhus. 14. O-Ton: Klaus und Birgit Intemann Birgit Intemann: Melkhus ist ne Milchraststätte, wo Produkte aus Milch, alles was mit Milch zu tun hat, angeboten werden. Klaus Intemann: Ja, wir sagen Melkhus normal. Melk ist ja Melken oder Melk, Milch und Hus ist eben Haus. Autor: In dem kleinen Häuschen stehen zwei Tische und ein paar Stüh- le, eine Theke und ein Kühlschrank. 15. O-Ton: Birgit Intemann Am Kühlschrank steht "Selbstbedienung" und wenn ich nicht da bin, können die Gäste sich bedienen, können die Sachen raus nehmen, die sie möchten, und denn hab ich ne Kasse stehen mit ein paar Eu- ro Wechselgeld, wo sie dann auch bezahlen können. Autor: Negative Erfahrung hat Birgit Intemann noch nicht gemacht. Sie hat das Häuschen liebevoll eingerichtet, gemeinsam mit ihrem Mann arbeitet sie sonst auf dem Hof. Der Hof der Intemanns ist mit 70 Kü- hen ein kleinerer Betrieb. Der Milchpreis hat ihnen in den letzten Jah- ren zu schaffen gemacht. 16. O-Ton: Klaus Intemann Wie lange das noch so geht, weiß keiner genau, aber im Moment ist das noch so, dass man von 70 Kühen mit einer Familie.... - Ja, das ist immer so, wie man das so führt. Wenn man das exakt führt und ein bisschen aufpasst und ein bisschen Händchen für hat, dann geht's schon. Autor: Die beiden wirken ruhig, zufrieden und bodenständig. Beide kommen aus Nartum und leben bis heute in dem kleinen Ort auf dem Familienhof. Meist kommen Radfahrer zu Intemanns Melkhus, aber es kommen auch ganz gezielt Literaturfreunde nach Nartum. Der Schriftsteller Walter Kempowski lebte hier bis er 2007 starb. Er wuchs zwar in Rostock auf, kam nachdem er vom Sowjetischen Ge- heimdienst in der DDR verhaftet wurde aber nach West-Deutschland und wurde Grundschullehrer in Nartum. Als Schriftsteller gilt er heute als einer der bedeutendsten Gegenwartsautoren, als Pädagoge al- lerdings war er umstritten. Klaus und Birgit Intemann waren beide bei ihm Schüler. 17. O-Ton: Birgit und Klaus Intemann Birgit Intemann: Drei Jahre bin ich hier in Nartum noch zur Schule gegangen und da hab ich auch bei ihm Unterricht gehabt. Klaus Intemann: Er hat viel über seine Rostock-Zeit erzählt, er hatte viel..., wie soll man das sagen, spielerisch aufgebaut und wir sind denn nachher so ein bisschen in den weiterführenden Schulen so ein bisschen kurz gekommen. Sonst war er ein sehr ruhiger, sachlicher Lehrer. Und in Erinnerung geblieben ist, dass ich ihm immer um halb zehn den Tee holen musste. Pünktlich, da bestand er drauf. Und denn sagte er immer, Klaus bitte geh und hol mir den Tee, und denn musste ich einmal um die Schule rennen, da war seine Wohnung und denn musste ich ihm den Tee holen und denn hat er Tee ge- trunken. Wir hatten denn Stillbeschäftigung oder mit so Karten... Ja, das ist so die Zeit, die mir so in Erinnerung geblieben ist. Autor: Klaus Intemann schaut aus dem Fenster auf die Dorfstraße. Es ist hauptsächlich seine Frau, die sich um das Melkhus kümmert: ein eigener Verantwortungsbereich, eine selbständige Aufgabe. Aber ei- ne wirkliche Einnahmequelle ist das Melkhus natürlich nicht. 18. O-Ton: Klaus Intemann Wir wollen ja sehen, dass wir unsere Milchprodukte, dass die wieder populär werden. Dass die Leute merken, Milch schmeckt doch gar nicht so, wie sie aus'm Supermarkt eigentlich gekauft wird. Das ist wirklich so, dass die Leute sagen, boah, die hat noch richtig Ge- schmack. Autor: Nach einem großen Glas kalter Milch geht es weiter Richtung Heeslingen. Allerdings nicht ohne zu bemerken, dass die Milch bei den Intemanns tatsächlich besser schmeckt. Musik: Titel: 2. Polonaise: Con delicatezza Komponist: Clara Schumann Interpret: Susanne Grützmann Verlag/LC-Nr.: Aperto, o. LC-Angabe Autor: Viele große, knorrige Eichen stehen am Wegesrand zwischen Nartum und Steinfeld. Hier soll es ein Hünengrab geben, was in die- ser Gegend nicht ungewöhnlich ist. In Steinfeld allerdings sollen be- sonders große Steine verarbeitet worden sein. Auf dem Weg dorthin steht auf einem Hof eine sehr alte Frau mit krummem Rücken, in der Hand hält sie einen Besen. Nachfrage nach dem Weg: 19. O-Ton: alte Frau Autor: Ich such Steinfeld. Frau: Steinfeld. Ooooh, das zu finden, kein Problem. Fahren Sie hier runter, ganz in Ort durch, bis an die Kreuzung und denn links. Und denn gerade aus und denn kommt Steinfeld. Autor: In Steinfeld soll's ein Hünengrab geben. Haben Sie davon schon gehört? Frau: Ja, hab ich schon. Ich war da aber noch nicht hin. Von gehört schon. Autor: Aber gesehen haben Sie's noch nicht. Frau: Nee, gesehen hab ich das noch nicht. Autor: Denn fahr ich da mal hin. Frau: Da könn' Sie so hinfahren. Autor: Danke schön! Frau: Fahr'n Sie gleich drauf los. Atmo: Wald bis Abschnittsende Autor: Über eine waldige Straße geht es nach Steinfeld. Am Ortsein- gang steht ein Schild. Großsteingrab. So heißt das Ganze offiziell. Ein Mann, der aus Oldenburg angereist ist und dort an der Uni- versität Archäologe ist, kennt wahrscheinlich jedes einzelne Groß- steingrab in Niedersachsen zwischen Elbe und Ems. Sein Name: Mamoun Fansa. 20. O-Ton: Mamoun Fansa Ich bin gebürtiger Syrer in Aleppo, bis mein 21. Lebensjahr dort ge- lebt und ich bin, weil ich da schnell aus Syrien wollte, um nicht ir- gendwelche Kriegsgeschichten mitzumachen, und es gab so diesen Verdacht, dass mein Jahrgang eingezogen wird kurz nach dem Sechstagekrieg, und da bin ich einfach mit dem sogenannten Orient- express, diese Bagdadbahn, bin ich nach Istanbul gefahren mit ge- fälschten Papieren. Und dann bin ich in Hannover angekommen am 22. Juni 1967. Und dann hab ich erst mal Kunst studiert dann hab ich angefangen Archäologie zu studieren. Und Archäologie Nordeuropa, Mitteleuropa war für mich eigentlich schon immer interessant, mal zu vergleichen, was hat es denn hier in Europa gegeben, als es im vor- deren Orient Hochkulturen gab. Müsste es doch eigentlich auch was gegeben haben, nicht? Autor: Als Hünengräber wurden die Großsteingräber deshalb be- zeichnet, erzählt Mamoun Fansa, weil es schon eines Kerles wie Obelix, also eines echten Hünen, bedurft hätte, diese riesigen Steine zu tragen. Das Steinfelder Großsteingrab liegt mitten im Wald, links vom Hauptweg. In einer ausgehobenen Senke stehen die Trag- steine, darüber quasi als Dach die Decksteine. Diese etwa 5000 Jahre alten Gräber gibt es von Polen über Skandinavien bis in die Niederlande. Sie sind in einem Streifen bis zu 200 Kilometer von der Küste entfernt verbreitet. Doch den Ursprung der Megalithkultur, wie diese Riesensteine heißen, vermutet Mamoun Fansa nicht in Nord- europa, sondern im Mittelmeerraum. 21. O-Ton: Mamoun Fansa Meine Vermutung, weil das in der Küstenregion überwiegend ver- breitet worden ist, vermute ich, dass das aus der europäischen Mittelmeerregion, also auch Südfrankreich, Südspanien und auch Süditalien teilweise aus Sizilien..., solche Wanderung, die direkt an der See entlang, am Mittelmeer und Atlantik und dann noch mal an der Nordsee gekommen sind und diese Tradition - dort gibt es auch solche ähnlichen Megalithbauten dann auch in dieser Region ver- wendet haben. Autor: Dafür sprechen Funde von Grabbeigaben. Die Bemalung von Keramik ähnelt in Nordeuropa stark der in Italien, sagt Fansa. Die Steine wiegen zum Teil über 3 Tonnen, die die Menschen vor 5000 Jahren ausschließlich mit Muskelkraft bewegt haben. Beim Groß- steingrab in Steinfeld fehlt aber mindestens einer der Decksteine, sodass das Grab oben nicht geschlossen ist. Die Gräber wurden frü- her oft zerstört, entweder weil sie der Landwirtschaft im Weg waren oder weil die Steine anderweitig Verwendung fanden. 22. O-Ton: Mamoun Fansa Erst Mitte des 19. Jahrhunderts, also 1846, hat der Herzog von Ol- denburg, zum ersten Mal überhaupt in Deutschland ein Denkmal- schutz erlassen und hat diese Gräber unter Schutz gestellt. Trotz dieser Schutzstellung sind von 1836 bis die endgültige Gesamt- kartierung von Ernst Sprockoff von 1975 sind in dieser Zeit etwa hundert Gräber abgetragen worden. Musik: Titel: 2. Polonaise: Con delicatezza Komponist: Clara Schumann Interpret: Susanne Grützmann Verlag/LC-Nr.: Aperto, o. LC-Angabe Autor: Von Steinfeld ist es mit dem Rad etwa eine dreiviertel Stunde bis nach Heeslingen, dem nächsten Ziel. Der Weg führt über ruhige Ne- benstraßen. Am Ortseingang liegen größere Stallungen, durch den Ort schlängelt sich die Oste, ein kleiner Fluss, der schließlich in die Elbe mündet. Mitten im Ort liegt in der Mittagssonne der Hof von Uta und Rudolf Koeneke. Davor wieder ein kleines, grünes Melkhus. Uta Koeneke war die erste von elf Landfrauen im Landkreis Rotenburg, die ein Melkhus eröffnet hat. Sie steht vor einem Foto von der Er- öffnung. 23. O-Ton: Uta Koeneke Das war das erste Haus hier und da war noch unser Landwirt- schaftsminister Heiner Ehlen mit dabei und die Bürgermeister, Land- rat und natürlich alle Melkhüs-Damen... (Stimme bleibt oben) Autor: ...wobei es nicht das erste Melkhus überhaupt war, denn die Idee stammt aus Ostfriesland. 24. O-Ton: Uta Koeneke Das war von Friedel Schomaker aus Ostfriesland, die hat mal in Süddeutschland ne Besenwirtschaft besucht. Und da ist das ja so, dass Wein nur in der Saison in der guten Stube ausgeschenkt wird. Und sie sagte halt, dass Niedersachsen ja so ein großes Milchland ist, aber man kann nirgendwo Milch trinken. Und da hatte sie diese Idee mit dem Melkhus, einfach ein kleines Milchhaus. Und das hat viel Arbeit gekostet, dass sie das durchgesetzt hat. Und so hat sich dass weitergetragen, so dass wir froh sind, dass wir so ein zwang- loses, kleines, grünes Häuschen haben. Autor: Für Radfahrer sind die Melkhüs, wie sie in der Mehrzahl heißen, ein großer Gewinn, aber, so sagt Uta Koeneke, es kommen auch vie- le Gäste aus der näheren Umgebung zu ihnen, die einfach nur ein Ziel suchen. Und wer an einem warmen Sommertag von Melkhus zu Melkhus fährt, weiß die kleinen, grünen Häuschen zu schätzen. Für Radfahrer ist Milch aber nicht nur eine natürliche Erfrischung, son- dern auch eine gesunde Stärkung. Zudem gibt es allerhand anderer Milchprodukte, von Quark und Joghurt, bis zu Eis. Uta Koeneke backt auch täglich frischen Kuchen und am Wochenende auch mal zwei. Auf dem Hof der Koenekes wollen viele Besucher den rollenden Hühnerstall sehen. Dieser Stall ist eigentlich gar kein richtiger Stall, sondern ein Anhänger, der hinter den Trecker gespannt werden kann. Er ist etwa acht Meter lang und hat eine aufrecht stehende Wand und eine schräg zur Seite abfallende. (Atmo Hühner unter- legen) Rings um den Anhänger herum ist eine Fläche mit einem auf- rollbaren Zaun abgesteckt. Alle 14 Tage zieht der Anhänger ein Stück weiter und die Hühner finden frisches Gras. 25. O-Ton: Uta Koeneke Jetzt sind das gerade die Hühner, die hier draußen alle rumlaufen, die laufen nur frei, Sommer wie Winter. Von dieser Seite sehen sie unten den Freischarrraum und oben sind die Futterklappen und hin- ten drinne sind die Nester, wo sie ihre Eier legen. Ja, und das sind eigentlich die glücklichsten Hühner von ganz Heeslingen würd ich mal so sagen, weil die sind eigentlich immer draußen, haben immer grüne Wiese, und von unseren Gästen im Melkhus werden die auch gerne besucht weil wir denn sagen, die dürfen sie denn mal füttern, dürfen sie auf den Arm nehmen, und überhaupt mal so artgerechte Tierhaltung zu sehen, das finden auch viele ganz interessant. Wir haben schon 200 Stück, das ist normal nicht wirklich viel, aber für den normalen Gast - sagen sie häufig 200 ist schon ganz schön große Massentierhaltung. Sag ich, nein, das sind auch nur achtzehn mal zehn Eier pro Tag, so viel ist es nun doch nicht. Autor: Uta Koeneke lächelt. Vierzig solcher Hühnermobile gibt es bereits in Deutschland. Seit dem Verbot der Käfighaltung von Legehennen finden alternative Hal- tungsformen immer mehr Verbreitung. 26. O-Ton: Uta Koeneke Der ist auch schon nach Bionorm gebaut worden, weil die, die den herstellen, die haben an der Uni einen Lehrstuhl für artgerechte Tier- haltung und der ist wirklich so artgerecht, fürs Hühnerwohl gebaut. Musik: Titel: Chicken Fried Interpret: Zac Brown Band Komponist: Zac Brown Verlag/LC-Nr.: Atlantic / 00121 Atmo: Kuhstall Autor: Etwas abseits des Fahrradwegs von Bremen nach Hamburg liegt der Hof von Bernd Kück. Es geht eine lange Straße entlang und ei- nen Weg parallel zu einer Wiese. Hinter der Wiese liegen das Bau- ernhaus, die Scheune und der Stall. Ein leichter Windzug streicht durch den Stall. Die Kühe können durch die weit geöffnete Stalltür nach draußen auf die Wiese. Das ist das Prinzip des Boxenlaufstalls, den sein Vater vor 20 Jahren errichtet hat. Bis dahin wurden Kühe im Stall angebunden. 70 Kühe gehören zum Betrieb, den die Kücks jetzt in der 3. Generation bewirtschaften. Einen Generationenkonflikt gibt es auf dem Hof nicht. Die neuen Wege, die Bernd Kück geht, unter- stützt sein Vater. 27. O-Ton: Bernd Kück Also ich glaube das gibt verschiedene Wege. Einmal kann man den normalen landwirtschaftlichen Betrieb betreiben, wie schon immer, dann muss man aber zu den besten Betrieben gehören und knallhart kalkulieren und sich wirklich überlegen: die Menge macht's und dann muss unterm Strich das richtige rauskommen. Oder man entscheidet sich, so wie in unserer Situation, in einer Gegend, wo man nicht 400 Kühe oder 500 Kühe halten kann, weil die Gegend das nicht hergibt, dass man sich dann auf irgendwelche Sondergebiete stürzt, so wie wir das gemacht haben und dann sagt, jetzt müssen wir über diesen Weg unser Einkommen erzielen und eben ein bisschen andere We- ge gehen. Das ist bestimmt auch ne Lösung, die auch zum Ziel führt. Atmo: Stall zur Molkerei unterlegen Autor: Seit Anfang der 90er Jahre vermarkten die Kücks ihre Milch sel- ber, das heißt sie haben am Anfang die Rohmilch in Flaschen ab- gefüllt, gekühlt und direkt an den Kunden verkauft. Das wurde nach einer Diskussion um Lebensmittelhygiene aber nur noch sehr ein- geschränkt zugelassen. In den Handel darf nur pasteurisierte Milch gelangen, sodass die Kücks begannen eine kleine Molkerei aufzu- bauen. 28. O-Ton: Bernd Kück Wir müssen die Milch pasteurisieren, dazu ist eine Maschine nötig, die etwa zwei Quadratmeter beinhaltet. Und dann eben ein Raum in dem die Abfüllung passiert. Das heißt, da muss das Leergut rein, da muss ne Maschine stehen, die das Leergut dann befüllt und das Leergut muss gewaschen werden. Das ist eigentlich alles. Mehr Platz haben wir hier auch nicht, zur Zeit. Atmo: Molkerei Autor: Boden und Wände in den zwei kleinen Räumen sind weiß ge- fliest, alle Tische und Geräte haben eine polierte Edelstahlober- fläche. Vor der Maschine, die Trinkmilch in Becher abfüllt, steht eine Frau in weißen Gummistiefeln, weißer Hose, weißem Hemd und ei- ner weißen Haube auf dem Kopf. Im Raum gegenüber ist noch eine kleine Kühlzelle, die bis zur Auslieferung als Zwischenlager fungiert. Bernd Kück ist stolz auf seine kleine Molkerei, wo nur Milch ver- arbeitet wird, die auch auf dem Hof gemolken wurde - 1000 Liter jeden Tag. Davon können sie 200 Schulen und Kindergärten be- liefern und etwa 800 Privathaushalte. 1 Liter frische Milch kostet einen Euro. 29. O-Ton: Bernd Kück Wenn das ein bisschen teurer ist, dass das dann nur Leute sind, die ein bisschen mehr Geld haben, aber das ist nicht so. Wir haben so- wohl den Chefarzt einer Klinik, aber auch den Hausmeister oder die Nachtschwester - genauso aus anderen Berufsschichten, gibt's also alle Möglichen. Ich denk mal, ganz entscheidend ist, wer sich das leisten will. Der eine, dem ist es Wert, dass wir den Service bringen, dass wir ihm die Milch an die Haustür bringen. Da denke ich jetzt mal an eine alte Oma, die nicht mehr gut laufen kann, aber ihre Frisch- milch trinken will. Und dem nächsten ist es Wert, dass er sagt, meine Kinder sollen ein gutes Produkt haben, und dann ist es ganz egal welche Einkommensklasse er hat. Wenn wir da über diese Summe im Monat reden, da ist es lächerlich, darüber nachzudenken, ob sich das noch jeder leisten kann. Für Urlaub oder Zigaretten wird ein Wei- tes mehr ausgegeben, als für ein gesundes Produkt. Und das leisten sich dann viele eben auch aus dem Grund. Und manche leisten sich das eben auch, weil's schick ist und man eben sagen kann, ich krieg die Milch daher und man hebt sich eben vom Normalen davon ab. So haben wir eigentlich alle Schichten als Kunden. Atmo: Molkerei Autor: Bernd Kück hat es eilig. Trinkmilch im Becher mit Schoko-, Vanil- le- oder Himbeergeschmack für die Schulen werden auf eine Sack- karre geladen. Draußen stehen zwei Lieferfahrzeuge, die alles in der Region verteilen. Geräusch: Auto fährt davon Autor: Vorne an der Straße biegt das Lieferfahrzeug rechts ab, links geht es zurück zum Fahrradweg von Bremen nach Hamburg. Musik: Titel: Mississippi Rag Interpret: Claude Bolling Komponist: William H. Krell Verlag/LC-Nr.: Philips / 00305 Autor: Vor den Toren Hamburgs liegt die Elbinsel Wilhelmsburg, die größte Flussinsel Europas. Sie entsteht durch die Teilung der Elbe kurz vor Hamburg in einen südlichen und einen nördlichen Arm, die sogenannte Norder- und Süderelbe. Hinter Wilhelmsburg fließen bei- de Arme wieder zusammen. Bevor ein Teil der Insel Hafen- und In- dustriegelände wurde, lebten hier nur Landwirte, die auf den frucht- baren Wiesen der Insel Kühe hielten. 30. O-Ton: Wolfram Rettich Wilhelmsburg ist ja Marschland, Marschland ist ja tiefliegendes Land im Gegensatz zu der Geest, und es war ja früher Marschland war auch sumpfige Wiesen, und das Ganze ist nach und nach immer eingedeicht worden. Da gibt's also einzelne Felder, die eingedeicht wurden von den Bauern und später hat dann ein Herzog Georg von Braunschweig Lüneburg, der hat dann die ganze Insel komplett mit einem Deich rings herum eingedeicht, sodass sie dann von dem Hochwasser, was ja immer kam, gerade auch in den Wintermonaten, nicht mehr gefährdet waren und das Land nicht mehr überschwemmt wurde. Atmo: Museum Autor: Wolfram Rettich, 1. Vorsitzender des Vereins "Elbinsel Wil- helmsburg". Dem Verein gehört ein Museum, das die alte Landwirt- schaftskultur der Insel zeigt. Eine Bauernstube, die Fortbewegungs- mittel der Menschen, darunter ein gut erhaltener Schlitten eines wohlhabenden Bauern und vor allem Gegenstände von Arbeit und Handwerk. Die Vereinsmitglieder achten streng darauf, dass alle Exponate auch wirklich von der Insel kommen. Dabei wird deutlich, welche Rolle die Milchwirtschaft hier auf der Insel gespielt hat. Ein Fahrrad hängt an der Decke, das speziell für den Milchkannentransport umgerüstet wurde, ein Kahn mit dem Milch nach Hamburg transportiert wurde, alte Milchkannen und ein Poster von 1903 auf dem zum hygieni- schen Umgang mit der Milch aufgerufen wird. 31. O-Ton: Wolfram Rettich Naja, das war ja nicht immer ganz hygienisch. Auch wenn die mit dem Kahn rüberfuhren und die Milch schwabbelte, schwabbelte auch mal ein bisschen Wasser rein und denn war das mal so ein bisschen verdünnt, nicht? Aber die Hamburger, die waren ja nicht dumm, die wussten das auch zu kontrollieren. Und da haben wir hier in einer Vitrine so Geräte, wie ne kleine Boje, wie sie auf'm Wasser auch ist, mit 'nem Messstab oben drauf, kleines Gewicht unten dran und dann konnte man dann ablesen, wie viel Prozent Fett die Milch hatte. Und wenn sie dann nach Hamburg kamen und hatten zu viel Elbwasser reingekippt, dann haben die denen das nicht zum Preis abgekauft für gute Milch, sondern haben eben nur den Preis für Magermilch be- zahlt. Autor: Wolfram Rettich zeigt an einer Karte an der Wand noch, wie der Fahrradweg nach Hamburg von hier aus weitergeht. Die grobe Rich- tung: nach Norden. 32. O-Ton: Wolfram Rettich ...und dann kann man auch Nebenstraßen fahren, zum Beispiel die früheren alten Deiche sind heute auch Straßen. Man nennt das dann Schlafdeiche, weil sie keine Funktion mehr haben, weil ja ringsherum ein großer Deich ist. Und auf diesen Deichen können Sie dann Rich- tung Hamburg fahren, einmal durch den Freihafen, dann müssen Sie ins Reiherstiegviertel rüber und dann durch den alten Elbtunnel durch ist auch ein sehr schöner Weg - kommen dann an den Lan- dungsbrücken raus oder über die anderen Elbbrücken Richtung Hamburg, da kann man auch mit dem Fahrrad drüber fahren. Musik: Titel: Jour de Chance Interpret: Sasha Komponist: A. Zuckowski Verlag/LC-Nr.: WEA / 04281 Autor: In der Hamburger Innenstadt, direkt an der Kirchenallee hat die Hamburger Verbraucherzentrale ihren Sitz. Sie ist Anlaufstelle für verunsicherte Kunden aus der Hansestadt, aber auch weit darüber hinaus, zum Beispiel wenn es um Frische Vollmilch geht. Armin Val- let, Lebensmittelchemiker bei der Hamburger Verbraucherzentrale sagt, Supermarktmilch ist meistens gar keine richtige Frischmilch, obwohl es doch drauf steht. 33. O-Ton: Armin Vallet Das ist eine verlängerte Haltbarkeit, hat diese Milch, weil sie zum Beispiel mikrofiltriert wird, also mit bestimmten Filtern behandelt wird oder sehr hoch erhitzt wird. Also eher fast schon wieder Richtung H- Milch geht. Übrigens gab's da bis vor kurzem auch ne extra Kenn- zeichnung, nämlich "Hocherhitzt". Das ist auch klammheimlich von den Etiketten verschwunden, legaler Weise. Aber da sieht man, wie natürlich von der Wirtschaft, von der Industrie Einfluss zu nehmen und einem Produkt einen besseren Namen zu geben. Den Namen hat das Produkt aber letztendlich nicht verdient. Autor: Armin Vallet spricht über sogenannte ESL Milch. ESL ist eine, wie sollte es anders sein, englische Abkürzung und bedeutet so viel wie verlängerte Haltbarkeit im Regal und hält etwa drei Wochen. Trotzdem, und das ist der Widerspruch, steht frische Vollmilch auf der Verpackung, ein Begriff, der handelsrechtlich offenbar nicht ge- nau definiert ist. Der Unterschied zwischen ESL-Frischer Vollmilch und tatsächlich frischer Vollmilch liegt im kleiner gedruckten. Auf der einen steht "länger haltbar" und auf der anderen "traditionell her- gestellt". 34. O-Ton: Armin Vallet Die Vitamine sind zum Teil etwas geringer, aber jetzt nicht so ekla- tant, dass man sagen kann, da sind keine Vitamine mehr drin. Sie ist auf jeden Fall besser, als die H-Milch und steht so dazwischen, zwi- schen einer Vollmilch und einer H-Milch. Autor: Im Büro von Armin Vallet stehen fünf dicke Ordner, darin ordent- lich abgeheftet: weit über eintausend e-mails von Menschen in ganz Deutschland an die Hamburger Verbraucherzentrale zum Thema Frischmilch. 35. O-Ton: Armin Vallet Da schreibt zum Beispiel ein Verbraucher, "ich fand in diversen Su- permärkten keine Frischmilch mehr, unglaublich, wie wir uns bevor- munden lassen müssen. Selbst teure Milchhersteller vertreiben keine Frischmilch mehr". Also wirklich eine große Enttäuschung, die da sich ausdrückt. Oder aber, eine andere Verbraucherin schreibt, "als Verbraucher besitze ich das Recht auf Information und Ent- scheidungsfreiheit. Ich frage mich, wohin das alles führen soll, wenn man als Verbraucher nicht mehr vor solchen Täuschungen geschützt wird. Es muss eine eindeutige Kennzeichnung der Milch erfolgen und eine Möglichkeit bestehen, zwischen den Milchsorten wählen zu können." Und vielleicht als letztes noch, ja auch Verbraucher, die länger in den USA gelebt haben schreiben zum Beispiel: "Ich ver- misse die Frischmilch sehr", in den USA gibt's die wohl nicht mehr, und dann weiter, "ich kann aus Erfahrung sagen, man vermisst etwas erst, wenn man es nicht mehr bekommen kann." (Atmo: Ausladen) Autor: Im Betrieb von Axel Steen wird garantiert keine ESL Milch ver- arbeitet. Er bekommt seine Milch von einem Landwirt nördlich von Hamburg geliefert. Axel Steen hat eine kleine Eisfirma. 36. O-Ton: Axel Steen Jetzt kommt gerade die Milch vorgefahren, direkt vom Bauernhof und wird ausgeladen. Wie Sie sehen, es gibt sogar noch richtige Milch- kannen. Jetzt wird die Milch ausgeladen, wir bekommen die in 20 Li- ter Eimern abgefüllt - das sind so ungefähr 500 Liter Milch, die gera- de ausgeladen werden. Autor: Solch eine Lieferung kommt zweimal am Tag. Frischer geht's nicht. Die kleine Eisfirma von Axel Steen befindet sich in einer Ne- benstraße auf einem Industriehof hinter einem Garagentor. Außer der Garage, die als Lagerraum dient, gibt es ein Büro, und ein Kühl- haus. 37. O-Ton: Axel Steen Wir haben hier unsere Anlieferzone, dann geht's gleich weiter durch ins Kühlhaus damit die Kühlkette nicht unterbrochen wird, dort wird's dann aufgearbeitet, pasteurisiert noch mal mit Zucker, sämtlichen anderen Geschmacksstoffen, Kuvertüre, Vanilleschoten und so wei- ter versetzt und kommt dann in die Eismaschine und wird gefroren. Atmo: Garage Autor: Axel Steen ist Ende Dreißig und hat Hotelfachmann gelernt, war auf Kreuzfahrtschiffen unterwegs und hat privat schon immer leiden- schaftlich gerne Eis gegessen. Zuhause hat er verschiedene Eis- sorten ausprobiert und schließlich den Entschluss gefasst, sich selb- ständig zu machen. Zehn Jahre ist das nun her. Aus der Garage heraus verkauft die kleine Firma auch an vorbei- kommende Kunden - alles Stammkunden, denn zufällig kommt hier niemand her. Das macht auch den Charme aus: Eisessen auf einem alten Industriehof - weit weg von Pöseldorf, Jungfernstieg und Ha- fencity. Und was sonst noch? 38. Collage: Frau: Soviel ich weiß, ist das ohne Farbstoff und mit vielen natür- lichen Zutaten, und es schmeckt einfach besonders gut. Und günstig ist es auch noch. Mann: Ich bin heute extra hergekommen. Ich komm aus Neu- münster. Frau: Das ist einfach cremiger, milchiger, das schmeckt einfach - man sieht, was drinne ist und man schmeckt, was drinne ist. Frau: Es ist einfach selbstgemachtes Eis. Das macht viel aus. Das schmeckt einfach besser. Musik. Schon unter legen. Darüber: Sprecher: Sie hörten: Fahrradtour auf der Milchstraße. Milchraststätten zwischen Bremen und Hamburg. Eine Deutschlandrundfahrt mit Ni- colas Hansen. Autor: Ging aber nicht nur um Milch. Sprecherin: Nein, ging's nicht. 39. O-Ton: Helga Klein Wissen Sie, ich bin so richtig..., das ist meine Stadt. Und ich zeige jedem meine Stadt immer wieder gerne. 40. O-Ton: Mamoun Fansa Also Hünengräber oder Hünengrab, das ist eine Bezeichnung, die aus dem 18. Jahrhundert stammt und zwar geht auf eine Darstellung von jemanden, der so abgebildet hat, wer käme überhaupt in Frage, wer hat diese Gräber gebaut 41. O-Ton: Rainer Noeres Die "Dorfstraße in Worpswede", ist eines der zentralen Bilder Otto Modersohns aus der Worpsweder Zeit, gemalt 1897. Das ist das ein- zige Bild dieses Formats und dieses Anspruchs, das sich bis jetzt in unserer Stiftung befindet. Von daher sind wir natürlich sehr glücklich über diese Erwerbung, denn es ist eines der zentralen Bilder seines Schaffens aus der Zeit vor 1900. Musik. 1