COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 17. August 2009, 19.30 Uhr "Achtung, Sie verlassen den demokratischen Sektor!" Erkundungen im konservativen Grenzland Eine Sendung von Hannelore Dauer Spr. vom Dienst "Achtung, Sie verlassen den demokratischen Sektor!" Erkundungen im konservativen Grenzland Eine Sendung von Hannelore Dauer O-Ton 1 (Piesch) Ich bin aus Überzeugung Deutscher, weil ich meine, das deutsche Volk in der Mitte Europas hat sehr viel geleistet. Und das sind Dinge, wo wir Deutsche alle ein bisschen stolz drauf sein können. (v.d.Wehd) Es muss von Grund auf in Deutschland auch etwas geändert werden. Wir können nicht alles den Ausländern - die hier mit einer riesigen Kinderschar ankommen - sie bekommen Geld, und unsere Kinder, die haben das Nötigste doch nur. (Marklein) Das deutsche Volk stellt sich überregional dar mit Schuldgefühlen. Aber wir können nun nicht tagaus, tagein mit diesen Schuldgefühlen rumlaufen. Wir sollten einfach wieder vorwärts sehen und uns auf die alten Werte besinnen. Sprecherin Aussagen von bekennenden Konservativen,... Sprecher ... die von rechts außen bis in die politische Mitte hinein immer häufiger Zustimmung finden, so haben es Studien ergeben, auch wenn sich das -noch- in Wahlergebnissen nicht niederschlägt. Sprecherin Artikel 21 des Grundgesetzes verbietet... Zitator ...die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Sprecherin Die Außengrenze der Demokratie ist sozusagen vermint und strafbewehrt: Diesseits stehen wir also "auf dem Boden des Grundgesetzes". Was aber liegt auf der anderen Seite? Beginnt dort abrupt der Extremismus? Gibt es Schlupflöcher, gibt es Grenzgänger? O-Ton 2 (Gessenharter) Die Grenze ist in der Tat nicht leicht auszumachen: also mir scheint eine Diskussion ganz wichtig zu sein, nämlich: was sind die Berührungspunkte eines Neokonservativen und eines Neuen Rechten? (Pfahl-Traughber) Nichtsdestotrotz sollte man das versuchen: eine differenzierte Unterscheidung eines demokratischen und eines extremistischen Konservativismus zu machen und zu schauen, wie die konservativen Kreise sich zu den Werten eines modernen demokratischen Verfassungsstaats verhalten. (Brodkorb) Es muss eine klare Grenze deshalb geben, weil der Staat ja am Ende entscheiden muss, bei wem er handelt und bei wem er nicht handelt. Sprecherin Aussagen zweier Politologen und eines Landtagsabgeordneten. Sprecher Edmund Stoiber variierte ein altbekanntes Strauß-Wort dahingehend, dass sich "rechts von der CSU keine demokratische Kraft" etablieren dürfe. Damit wäre - so zumindest das parteitaktische Wunschdenken - die Grenze zwischen dem konservativen und dem extremistischen Lager identisch mit der Parteigrenze der CSU. Tatsächlich hat sich jenseits der CSU eine so genannte Neue Rechte etabliert - eine facettenreiche politische Szene, bestehend aus einzelnen Persönlichkeiten, Medien, Verlagen, Fortbildungszentren, Kongressen, Netzwerken und Diskussionszirkeln: Die meisten Akteure wollen keine Parteistruktur etablieren - ihnen kommt es auf die Beeinflussung des politischen Klimas an: O-Ton 3 (Marklein) Ich hab heute Nachmittag erst mal eine kleine Sitzung gehabt, so ein intellektueller Kreis: wir wollen einfach gewisse Themen, konservative Themen, in die Öffentlichkeit bringen. Da ist das hochaktuelle Thema: millionenfacher Kindesmord im Mutterleib, wäre so eine Sache, über die man sprechen müsste, nicht? Über Krippenplätze müsste man sprechen, dass man die Kinder gleich früh den Eltern wegnehmen will, usw. also doch, meine ich, konservative Werte, die auch in der Geschichte zu finden sind. Man lebt nur für den Tag, man lebt nur für die Lust, nicht? Und das ist alles - das kann es nicht sein, und das sind auch nicht unsere Werte. Sprecherin Günter Marklein aus dem niedersächsischen Jever, ehemaliges FDP-Mitglied, Vortragsreisender und Publizist, Spezialgebiet: preußische Geschichte. In Jever leitet er ein Museum, das "Bismarck-Museum der Getreuen zu Jever", und posiert gern selbst als Bismarck-Darsteller mit preußischer Pickelhaube. Sprecher Sie bezeichnen sich selbst in der Regel als Konservative: Die Zeitung "Junge Freiheit", Zeitschriften wie zum Beispiel die inzwischen eingestellte "Criticon", das Magazin "Sezession", herausgegeben vom Institut für Staatspolitik, das auf einem alten Rittergut im thüringischen Schnellroda residiert. Zu den Mitarbeitern gehört der Historiker Karlheinz Weißmann, der als "Vordenker" in diesem Milieu gilt. Unter Politologen hat sich dagegen der Begriff Neue Rechte durchgesetzt, wenn auch - je nach Grenzziehung - mit unterschiedlichen Interpretationen eine Neue Rechte, die sich im Gegensatz zur Alten Rechten von Nazi-Vorbildern gelöst hat. Besonders im Umfeld der "Jungen Freiheit" wird der Begriff Neue Rechte heftig attackiert. Neue Rechte - ein "Phantom" ein "Potemkinsches Dorf" höhnt der Chefredakteur der "Jungen Freiheit", Dieter Stein. Karlheinz Weißmann setzt dagegen sein "Konservatives Minimum". Als Nummer eins einer "konservativen Agenda" nennt er: Zitator Notwendig ist die Selbstverständigung über die eigene politische und kulturelle Identität. ...Solche Klärung von "Wir" und "Nicht-Wir" ist das, was allem anderen vorzugehen hat. O-Ton 4 (Marklein) Ich bin doch auch mehr dafür, die Menschen wieder an die Geschichte heranzuführen, diese große Geschichte, die wir haben, sie heranzuführen, ihnen die zu vermitteln. Ich reise also durch ganz Deutschland und halte Vorträge zu diesem Thema: Es war einmal ein Land, und das hieß Deutschland, nicht? Aber sich mit diesem Land zu beschäftigen, mit diesen Werten zu beschäftigen, damit zu beschäftigen, wie dieses Land entstanden ist, das ist es doch wert, zum Beispiel der Soldatenkönig, man stellt ihn immer in eine ganz falsche Ecke, Friedrich der Große, das allgemein Preußische Landrecht, auch Bismarck: wir hatten damals das fortschrittlichste Wahlgesetz! Warum lässt man das nicht einfach so stehen! Sprecher Das Loblied auf herausragende Gestalten der preußischen Geschichte bietet der Neuen Rechten sicheren Schutz vor den Errungenschaften der Französischen Revolution, vor den Prinzipien der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Dagegen wird eine "urdeutsche" Tradition gestellt, für die ein revolutionärer Umbruch nur als "Rückkehr zum Deutschtum" zulässig ist. Karlheinz Weißmann verweist in einem Aufsatz zur Geschichte des Begriffs 'Konservative Revolution' -erschienen in der Jungen Freiheit- auf seine Verwendung bereits am Ende des ersten Weltkriegs. Damit war ein früher Auftakt zu einer Bewegung gegeben, die sich in den folgenden Jahren zusammenfand in der Ablehnung von Demokratie, Pluralismus und Liberalismus der Weimarer Republik, verbunden mit Namen wie Oswald Spengler, Arthur Moeller van den Bruck, Carl Schmitt und Edgar Julius Jung. Der schrieb 1932: Zitator Konservative Revolution nennen wir: ... an die Stelle der Gleichheit tritt die innere Wertigkeit, an die Stelle der sozialen Gesinnung ... die gestufte Gesellschaft, an die Stelle der mechanischen Wahl das organische Führerwachstum, ... an die Stelle des Massenglücks das Recht der Volksgemeinschaft. Sprecherin Allerdings erscheint auch das in der "Jungen Freiheit": eine Kritik an Franz von Papen, Hitlers Vizekanzler und Wegbereiter eines totalen Staates, und an dessen Berater: eben jenem Edgar Julius Jung. Sprecher ...kein Widerspruch, sondern ein Brückenschlag zu einer rechtskonservativen Leserschaft - so Armin Pfahl-Traughber, Politikwissenschaftler an der Fachhochschule in Brühl: O-Ton 5 (Pfahl-Traughber) Ich definiere Neue Rechte als eine geistige Strömung im politischen Denken des gegenwärtigen Deutschlands, die sich in der Tradition der Konservativen Revolution der Weimarer Republik bewegt Und ich würde beispielsweise einen demokratischen Nationalkonservativen - Betonung liegt auf demokratisch - nie in die Rubrik Neue Rechte einsortieren, auch wenn der Positionen vertritt, die ich inhaltlich ablehne würde. Die politische Zielsetzung der Neuen Rechten ist die gleiche wie die der konservativen Revolution der Weimarer Republik. Man will quasi durch geistige Arbeit, durch Publikationen, durch Beteiligung am öffentlichen Diskurs Veränderungen im Meinungsspektrum bewirken und damit eine Vorreiterrolle für politische Wandlungsprozesse auslösen. Die Gefahren einer Neuen Rechten heute würde ich darin sehen, dass sie eben versucht, über den Konservativismus hinein in die breite Gesellschaft zu wirken und ihre extremistischen Grundpositionen damit konsensfähig machen will, sozusagen quasi eine Brücke in den demokratischem Konservativismus hinein, damit in die breitere Gesellschaft hinein. Sprecher Die Neue Rechte ist kein weltanschaulich geschlossener Block, es gibt interne Streitereien und Differenzen, Widersprüche auch innerhalb ihrer einzelnen Medien. Das macht die schlüssige Einordnung schwierig. Die Neue Rechte selbst will diese Themenbreite als Ausweis ihrer demokratischen Vielfalt gewertet wissen. Darüber hinaus gebe es jedoch einen Konsens - so heißt es in einer Schrift des Instituts für Staatspolitik - in folgenden Punkten: Zitator Verteidigung der nationalen Interessen nach außen, EU-Skepsis, Mitteleuropa-Vision, Ablehnung des Multikulturalismus, Errichtung des "starken Staates", ... Widerspruch gegen die "Ideen von 1968" ... O-Ton 6 (v.d. Wehd) Was zu erhalten ist: besonders Familientradition, das muss bleiben, die herkömmliche Familie, aber nicht mit zig Konkubinen, wie es leider auch in der großen Politik zu verzeichnen ist. (Stimme oben) Sprecherin Klaus von der Wehd, pensionierter Tierarzt aus dem Amt Neuhaus, ehemals Bezirk Schwerin. Während der DDR-Zeit habe ihn schon immer die Diffamierung von "konservativ" als "reaktionäre Kraft" verärgert - er zitiert aus einem alten DDR-Lexikon. Heute sitzt er im Gemeinderat als Vertreter einer Bürgerinitiative, die zusammen mit der SPD und der Linken eine Gruppe bildet. Außerdem im Gemeinderat vertreten: ein Mitglied der rechtsextremen DVU. Nur einmal hat von der Wehd mit der DVU gestimmt - als es um deren Antrag gegen die "Verdenglischung der deutschen Sprache" ging: O-Ton 7 (v.d.Wehd) Wenn man sich mit diesen Leuten auseinandersetzen will, muss man wissen, was die vorhaben und was sie denken. Einige Sachen sind gar nicht so schlecht, zum Beispiel: Wir haben einige Ausländer hier, das sind angenehme Leute. Sie werden aber besser unterstützt wie unsere Leute. Und das kann nicht sein. Es geht hier erst mal um unsere Leute, dass die voll abgesichert sind und nicht wie die Türken, die mit 7, 8 Kindern ankommen, Haufen Kindergeld, und leben davon. Das müsste unterbunden werden. Sie haben mehr Kinder da - und wenn sie von Verwandten oder sonstwie, die sind hier gemeldet, nun weisen Sie mal nach! Sprecherin "Wir und Nicht-Wir", das heißt hier: "Unsere Leute" oder "Unsere Menschen". "Die Anderen" - das sind die Ausländer. Familien, gar Großfamilien sind willkommen - solange sie dem idyllischen Wunschbild vergangener Tage entsprechen. Sobald sie etwa den Zusatz türkisch haben: nein danke. Werte ja - angeblich althergebrachte christliche, aber Aufnahme von Flüchtlingen? Nein. Sprecher Für die Neue Rechte ist "1968", eine Epochenwende "eine Art Umgründung der Republik". Ein ideales Brückenthema, anschlussfähig für das gesamte politische Spektrum und thematisch nach vielen Seiten hin ausbaufähig. Familie, Kindererziehung, Emanzipation - dazu haben sich Konservative wie die Journalistin Eva Hermann, der Verfassungsrichter Udo di Fabio und der "Spiegel"-Redakteur Jan Fleischhauer geäußert. Da gibt es Berührungspunkte von der Linken Christa Müller, die die Hausfrauenmutter preist, bis zur NPD, die mit der sogenannten Ethnisierung der sozialen Frage "unsere Familien" in den Vordergrund stellen will. Dieter Stein von der "Jungen Freiheit": Zitator Was wir kritisieren, ist die Kulturrevolution durch 68, die aber auch mittelbar die Frage der Nation betrifft, sicher (sind) durch 68 auch die Angriffe auf eine eigene Nationalgeschichte verstärkt worden, auch was das ganze Thema Vergangenheitsbewältigung berührt. ... Junge Leute wachsen ... jetzt mit einem schwer beschädigten Verhältnis zur eigenen Nation auf. Sprecherin Das alles könne "Brechreiz verursachen" sagt Mathias Brodkorb - sei aber nicht rechtsextrem. Besuch im Schweriner Landtag. Brodkorb ist Landtagsabgeordneter der SPD, und zuständig für alle demokratischen Parteien im Landtag in Bezug auf das Thema Rechtsextremismus, u.a. betreibt er das Internet-Portal: endstation-rechts.de. Er hat es mit Gegnern zu tun, die nicht nur die eigene Wir-Gruppe feiern, sondern aggressiv "die Anderen" ausschließen wollen: mit der NPD-Landtagsfraktion, der bei jeder Sitzung Paroli geboten werden muss. O-Ton 8 (Brodkorb) Man muss beim Auftreten der NPD hier im Landtag sich erst einmal vergegenwärtigen, dass die Reden, die hier gehalten werden, schon andere sind als diejenigen, die sie vor ihren Kameradschaften halten. Da gibt es antisemitische Hetzreden, da gibt es - ja ich würde sagen: schon versteckte Kriegsdrohungen, da gibt es entsprechende Androhungen einer Gewaltherrschaft, der Inhaftierung politischer Gegner etc. Also vor den Kameradschaften wird das alles sehr, sehr deutlich, was da an Extremismus und Ablehnung der parlamentarischen Demokratie besteht. Hier im Parlament werden solche Reden in der Form gar nicht gehalten. Sprecherin Dennoch bleibe kein Antrag der NPD unwidersprochen - darauf haben sich die demokratischen Fraktionen im Schweriner Landtag geeinigt; angesichts des gemeinsamen Gegners sei man zusammengerückt. O-Ton 9 (Brodkorb) Ich denke schon, dass hier die Gefahr besteht, dass sich die Abgeordneten einbilden, die NPD hier wirklich jedes Mal, jeden Monat zu besiegen. Ich halte das insofern für eine große Illusion, weil die NPD es gar nicht auf das Parlament abgesehen hat, sondern ihre gesellschaftliche Auseinandersetzung im Dorf A, Jugendclub B, in der Feuerwehr, im Sportclub stattfindet. Dort will die NPD gesellschaftliche Macht und Hoheit erringen. (Stimme oben) Sprecher Die Neue Rechte ist für Mathias Brodkorb nicht rechtsextrem. Seine Scheidelinie zwischen einem demokratischem Konservativismus und Rechtsextremem verläuft weit rechts. Er sieht sie dort, wo es sich etwa um einen biologistisch begründeten Rassismus handelt, also unweit der Grenze, die die Neue Rechte selbst definiert. O-Ton 10 (Brodkorb) Die Schwierigkeit in der Auseinandersetzung mit dieser Grauzone, wie sie genannt wird, zwischen rechtskonservativ und rechtsextrem, die Schwierigkeit ist eben die, dass viele mit vorgefasster Meinung, mit bereits feststehenden Urteilen auf diese Leute losgehen. Wenn man aber jedem von denen quasi das Hitlerbärtchen und den Scheitel aufsetzt, dann ist das am Ende eine Verharmlosung der Verbrechen des 2. Weltkrieges. Für uns sind das Neue Rechte, und zwar einfach deshalb, weil sich mit diesem Begriff der Neuen Rechten zwei ganz wesentliche ideologische Verschiebungen gegenüber dem Nationalsozialismus ergeben, nämlich. dass es eine Modernisierungsbestrebung ist, die sich vom biologischen Rassismus weitgehend entfernt und eher auf kulturelle Ausgrenzungs- und Identitätsmechanismen setzt. Insofern halten wir es eigentlich für angemessen, sowohl mit Blick auf die "Junge Freiheit" als auch mit Blick auf das Institut für Staatspolitik von einer Neuen Rechten zu sprechen. Das wär' ungefähr so die begriffliche Beschreibung, die wir verwenden. Sprecherin Wofür aber steht die Neue Rechte? Sie betrachtet sich zwar vor allem als kritische Kraft - mit dem erklärten Ziel, die Meinungshoheit einer vermeintlich links dominierten Öffentlichkeit zu brechen und diese in ihrem Sinne zu beeinflussen. Wofür die Neue Rechte im Einzelnen steht, bleibt aber weitgehend offen. Wie soll der "starke Staat" aussehen, wie soll konkret die viel beschworene Nationale Identität befördert werden, und wie steht die Neue Rechte zur Verfassung? Sprecher Als Auftrag politischen Handelns müsse der "Selbsterhalt der Bundesrepublik Deutschland als Land der Deutschen" festgeschrieben werden, verlangt der Historiker Thorsten Hinz in der "Jungen Freiheit". Die gegenwärtige Verfassung, so fordert er ironisch, müsse aber unbedingt erhalten werden, denn sonst würde es nur schlimmer werden: Zitator Antifaschismus, Multikulturalismus, Parteienoligarchie, ... die Unvergänglichkeit der deutschen Schuld sowie die unverbrüchliche Liebe zur westlichen Wertegemeinschaft und zu fremder Staatsräson würden Verfassungsrang erhalten. Sprecher Eine Haltung voller Anspielungen, die auf ein Einverständnis setzt - ein augenzwinkerndes "Wir verstehen uns schon" - das ist die Haltung vieler Artikel in der "Jungen Freiheit": Man distanziert sich von der NPD - dann ist aber verharmlosend die Rede von "rebellierenden, glatzköpfigen Jungmannen", von "einem Fähnlein zeltlagernder Romantiker" in Bezug auf die inzwischen verbotene "Heimattreue deutsche Jugend". Der Holocaust wird nicht geleugnet, es ist aber von Holocaust- Mythologie, von Holocaust-Religion die Rede. Man ist nicht gegen den Islam, will sich aber gegen "fremde Ethnien" abgrenzen. Sprecherin So schreibt Chefredakteur Dieter Stein in einem Artikel vom 8. Mai 2009, das Problem sei die Überfremdung durch außereuropäische Ethnien "bei gleichzeitigem dramatischen Rückgang der autochthonen Bevölkerung". O-Ton 11 (Stein:) Na, das ist doch an sich der Begriff für eben angestammte oder eingeborene Bevölkerung, wenn Sie so wollen. Heute spricht man ja immer von Bürgern mit Migrationshintergrund, also dann meinetwegen die Bürger ohne Migrationshintergrund. Sprecherin Besuch in der Redaktion der "Jungen Freiheit" in Berlin Dieter Stein, der Chefredakteur, hat das Blatt 1986 noch als Student gegründet. Seine Erziehung beschreibt er als "gesamtdeutsch", sein prägendes biographisches Erlebnis: die deutsche Wiedervereinigung. "Wir und "Nicht-Wir": das ist auch hier das Generalthema. Nationalstolz zum Beispiel. Frage: könnte man es nicht bei einer individuellen Einstellung belassen, warum müssen "wir alle" stolz auf Deutschland sein? O-Ton 12 (Stein) Es ist auch interessant, warum die Integration von Russlanddeutschen jetzt in der jüngsten Generation so schlecht gelingt, oder treffen sie auf eine Gesellschaft bereits, die überhaupt gar nicht - und das ist mein Kritikpunkt, überhaupt keine nationale Identität mehr besitzt, d.h. also bei dieser speziellen Gruppe der Russlanddeutschen gar nicht mehr in der Lage ist zu sagen: herzlich willkommen in der Familie, liebe alte deutsche Brüder. Das Grundproblem ist ja überhaupt, in was sollen sich die auch anderen Einwanderer eigentlich integrieren? Auf welche Gesellschaft treffen sie hier eigentlich, auf was für einen komischen Gemischtwarenladen? Zitator Die Ideen der Neuen Rechten in Deutschland (werden) von einem fernen Spiegel reflektiert. Dieser Spiegel ist Carl Schmitt. Sprecher ...schrieb Winfried Knörzer, einer der Stammautoren der "Jungen Freiheit", 1995. Damals war der Einfluss der "Konservativen Revolution" noch unverhohlen. Heute handelt es sich eher um eine weniger wahrnehmbare Hintergrundsstrahlung - etwa, wenn es um so genannte "westliche Werte" geht - um die Grundrechte zum Beispiel. Ein Thema, bei dem nach wie vor der Einfluss des Staatsrechtlers Carl Schmitt spürbar ist. Der nannte Menschenrechte "unveräußerliche Eselsrechte". In seiner Umgebung sprach man von einem fremden Hegemon, den USA, die dem besiegten Land - der Bundesrepublik - die Verfassung aufoktroyiert hätten. Die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und das Denken Carl Schmitts sind "wie Feuer und Wasser", meint der Politologe Wolfgang Gessenharter: O-Ton 13 (Gessenharter) Die Grenze zwischen einem demokratischen Konservatismus und einem undemokratischen Rechtsextremismus liegt ganz eindeutig in der Bewertung und in der Interpretation des Artikels 1 des Grundgesetzes. Wenn der Artikel 1 des Grundgesetzes dahingehend interpretiert wird, dass die Würde des Menschen unantastbar ist und dass der Staat die Aufgabe hat, diese Würde zu schützen, dann ist die Gewichtverlagerung eindeutig: nämlich das Individuum hat das dominante Gewicht und der Staat hat die dienende Haltung. Wenn diese Gewichtung infrage gestellt wird, dann haben wir die Grenze überschritten. (Stimme oben) Sprecherin Gessenharter betont, dass die alte Blut-und-Boden-Mentalität von rechts nur noch in Ausnahmefällen präsentiert werde: O-Ton 14 (Gessenharter) Da kommt dann doch sehr stark ein kulturalistisches Element ins Spiel, nämlich, man sagt dann: gemeinsame Sprache, gemeinsame Kultur, gemeinsame Geschichte, gemeinsames Schicksal, also noch mal: ein völkisches, von Blutselementen her definiertes Kollektiv ist, glaube ich, heute nicht mehr in der Diskussion aktuell, aber eine Gemeinschaft, die eben durch kulturelle Elemente zusammengebunden ist, sehr wohl, und jetzt kommt eben die Frage auf: wie dieses Kollektiv steht im Verhältnis zum Individuum. Sprecher Diejenigen, die sich diesem Kollektiv nicht fügen, Andersdenkende, sind -nach Carl Schmitt- Feinde. Das Volk, die "Wir-Gruppe" dagegen wird wie ein "Meganthropos" behandelt, eine Art "Großmensch" oder "Gesamtmensch". Dieser Konstruktion werden zwar in einer Schrift des Instituts für Staatspolitik über "Nationale Identität" gewisse wissenschaftliche Vorbehalte entgegengebracht, "Nationale Identität" sei aber genauso ein praktisches Postulat für das gesellschaftliche Zusammenleben wie die Identität einer einzelnen Person. Sprecherin Allerdings: 2005 gab das Bundesverfassungsgericht einer Klage der "Jungen Freiheit" Recht: die hatte sich gegen die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht des Landes NRW - und später auch in Baden-Württemberg - gewehrt. Das Bundesverfassungsgericht schrieb: "Kritik an der Verfassung und ihren wesentlichen Elementen ist ebenso erlaubt wie die Äußerung der Forderung, tragende Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu ändern." Der Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber über die "Junge Freiheit": O-Ton 15 (Pfahl-Traughber) Seit Ende der neunziger Jahre lässt sich, was die Formulierung politischer Positionen angeht, eine eindeutige Mäßigung feststellen. Die Bezüge auf diese Ideen der Konservativen Revolution sind auch nicht mehr so stark wie vorher. Es ist die Frage. wie interpretiert man diesen Wandel; aus meiner Sicht kann es zwei Interpretationsmöglichkeiten geben, die eine ist: man hat tatsächlich politisch gelernt, und die zweite Interpretationsmöglichkeit wäre die, dass man sagt, dieses Spektrum weiß, dass es zur Zeit politisch an der Wand steht, politisch isoliert ist und muss sich aus taktischen Gründen gemäßigt geben, um in einer besseren zeitlichen Phase dann politisch größeren Einfluss erlangen zu können. Und ich neige offen gestanden zu der letzt genannten These, und zwar deswegen, weil man von einschlägigen Autoren ab und an auch immer wieder solche Positionen dort lesen kann. Zitator Deutschland muss leben, und wenn wir sterben müssen Sprecherin Ein Spruch auf einem Krieger-Denkmal am Hamburger Dammtor, dem so genannten 76er Denkmal für ein Hamburger Traditionsregiment - ein Satz, der deutlicher das Verhältnis von totalitärem Staat zum Individuum nicht kennzeichnen kann. Ein Denkmal, das deshalb wie kein anderes in Hamburg immer wieder angegriffen wurde - genau das will Wilhelm Piesch vom Hamburger Verein zur Erhaltung des 76er Denkmals verhindern. Ein Besuch im Hamburger Haus der Heimat - im historischen Gänge-Viertel der Hansestadt. Dort haben diverse Landsmannschaften ihre Büros. O-Ton 16 (Piesch) Wir stehen so als neutraler Punkt dazwischen und versuchen ja nur, die Erinnerung zu bewahren und das zu ehren, was da geschehen ist - in der Form des Denkmals dargestellt. Aber weder, dass wir uns irgendwie mit Neonazis da in Verbindung bringen lassen, wir haben damit nichts zu tun, sondern wir sind eben ein Verband, der bewusst bemüht ist, daran zu erinnern, dass der Krieg eben auch furchtbar war. Und die Seite des Rates der Juden, der sollte mal auch überlegen, dass Deutsche ja auch gelitten haben und nachfolgend auf Grund dieser Sache Zwangsarbeit leisten mussten für das gesamte deutsche Volk. Sprecherin Willibald Piesch, 73, pensionierter Kriminalhauptkommissar in Hamburg, ehemals Schill-Partei, heute wieder CDU, hat viele Funktionen: er ist für die Vereinigung deutscher Zwangsarbeiter tätig, ist Präsident des Rates der Landsmannschaft der Oberschlesier, stellvertretender Vorsitzender des Bundes der Vertriebenen in Hamburg und er ist im Verband zur Erhaltung der deutschen Sprache. Organisationen, in denen er auch auf Rechtsextreme trifft: O-Ton 17 (Piesch) Das Leben ist voller Taktik, aber ich muss sagen, wir sind ja hier in einer Seestadt. Ich sage immer zu den Leuten, die oft eine Einstellung haben, wo ich nicht durchdringen kann: da muss man eben halt kreuzen. Das ist ein Manöver, und wenn sie jetzt das Segel so geschickt setzen, dass sie trotzdem den Gegenwind ausnutzen, dann erreichen Sie doch noch was. Denn vergessen wir nicht: bei den Neonazis da sind sehr viele junge Menschen, und diese jungen Menschen gilt es zu gewinnen, damit sie sehen, das, was sie zurzeit vertreten, dass das falsch ist. Sprecher Eine Position, die zum Beispiel auch Götz Kubitschek, Mitbegründer und Geschäftsführer des "Instituts für Staatspolitik" in Thüringen, teilt. Er hat keinerlei Berührungsängste Rechtsextremen gegenüber. So ließ er sich von der "Deutschen Stimme" interviewen, der Parteizeitung der NPD - musste sich von dieser sogar "Ausweichbewegungen" bei der so genannten "Systemfrage" vorhalten lassen. Kubitschek bekräftigte entschieden, er wolle "an der Ordnung" festhalten - allerdings mit dem kryptischen Zusatz "bis es nicht mehr anders geht". O-Ton 18 (Piesch) Wir haben Burschenschafter als Mitglied, wir wissen, was wir wollen politisch, und die müssen halt selber entscheiden, was sie wollen. Ob die natürlich jetzt ganz eng verbunden in der NS-Seite sind, also mit den Neonazis zusammen arbeiten, das weiß ich nicht, das entzieht sich meiner Kenntnis. (Marklein): Ich habe dort viele nette Menschen kennen gelernt, im Haus der Burschenschaften. Es gibt Ausrutscher dabei, auch das muss man verkraften können, nicht? Aber im Grunde genommen sind mir doch konservative Studenten und Studentengruppierungen immer noch lieber wie die linken, die also wirklich alles zerstören wollen. Sprecher Ist die Neue Rechte noch demokratisch? Die Frage lässt sich nicht im Sinne einer klaren Grenzziehung beantworten. Die Neue Rechte verbindet unterschiedliche Milieus durch eine Art Kettenstruktur mit jeweils unterschiedlichen thematischen Schnittmengen wie zum Beispiel Geschichte, Nationale Identität, Zuwanderung, Vergangenheitsbewältigung. Dabei ergeben sich wechselnde Übereinstimmungen: mal mit rechtsextremistischen, mal mit konservativen Positionen. Ziel ist es letztlich, das gesamte Diskurs-Klima zu verändern. Nicht ohne Erfolg, so der Politologe Wolfgang Gessenharter, der eine Erosion am Rand der politischen Mitte feststellt, ausgelöst von einer intellektuellen Rechten, deren Konzepte sich "impulsförmig" ausbreiten. Gessenharter ist deshalb von seinem vielzitierten Begriff eines "Scharniers" zwischen dem konservativ-demokratischen und dem rechtsextremen Milieu abgerückt: O-Ton 19 (Gessenharter) Es gibt einen Begriff, der diese Neue Rechte sehr viel präziser und prägnanter beschreibt: nämlich von Bewegungseliten. Dazu muss man sagen, dass das gesamte rechte Lager durchaus als eine Bewegung bezeichnet werden kann, und zu diesen Bewegungen gehören auf jeden Fall eben Bewegungseliten, also Leute, die das Ziel für eine solche Bewegung vorgeben und auch die Mittel zur Verfügung stellen, organisieren und dergleichen. Spr. vom Dienst "Achtung, Sie verlassen den demokratischen Sektor!" Erkundungen im konservativen Grenzland Eine Sendung von Hannelore Dauer Es sprachen: Viola Sauer, Joachim Schönfeld und Norbert Schwarz Ton: Barbara Zwirner Regie: Roswitha Graf Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2009 17