COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Ländersache Kultur (3b) Die Kulturpolitik der Bundesländer Bremen Autorin Selzer, Christina Redaktion Julius Stucke Sprecher Victor Neumann Regie Roman Neumann Sendung 03.02.12 - 13.07 Uhr - M A N U S K R I P T B E I T R A G - Kulturpolitik im armen Bundesland Bremen - das klingt nach dem Versuch in einem leeren Becken zu schwimmen. Kulturpolitik in Bremen - das sind 4 von 139 Seiten im rot-grünen Koalitionsvertrag. Dort heißt es zum Beispiel: "Wir setzen uns weiterhin für eine verlässliche Kunst- und Kulturförderung ein, die wir auch in Zukunft in direktem Dialog mit den verantwortlichen Akteuren entwickeln wollen". Verlässlichkeit und Dialog - wer möchte da widersprechen? Das klingt schön - aber es klingt auch ein bisschen wolkig. Konkret dagegen sind die Fakten: 18,5 Milliarden Euro Schulden. Umgerechnet auf die Bremer Bürger: 28.000 Euro pro Kopf. Allein die Zinsen für die Alt-Schulden betragen 650 Millionen Euro im Jahr. Kulturpolitik in Bremen - das klingt nach der schrecklichen Aufgabe nicht vorhandenes Geld zu verteilen. Doch die Staatsrätin für Kultur, Carmen Emigholz, mag ihren Beruf. "Wenn Sie mich fragen, würde ich Ihnen immer sagen, das ist der schönst- mögliche Beruf in der Politik!" In Bremen ist das Kulturressort dem Bürgermeister zugeordnet: Jens Böhrnsen von der SPD ist nebenbei also auch Kultursenator. Doch im täglichen Geschäft - wenn es um Ausstellungseröffnungen oder den Streit um Geld geht - ist meist seine Staatsrätin präsent. "Wir begreifen Bremen als Stadt mit kulturellem Profil, die sich nicht nur für die Bürger vor Ort so definiert, sondern auch in der Frage der Bewerbung im Städtetourismus, und es gibt ja für einzelne Projekte die wir in der Kultur gemacht haben auch Wirtschaftlichkeitsprüfungen, Erhebungen, dass die Form, strategische Kulturpolitik anzulegen, nicht nur den Menschen, die hier leben nützt, sondern auch dem Standort nützt." Tourismus und Standortpolitik als Teil der Kulturpolitik. Dazu gehören populäre Ausstellungen, die überall in der Stadt beworben werden und die auch bundesweit Besucher anlocken. Etwa wie die Paula-Modersohn-Becker- Ausstellung vor vier Jahren oder die aktuelle Werkschau des Norwegers Edvard Munch. Sie sind Teil einer Strategie, die zeigen soll: Kunst ist für alle da und nicht nur für eine Elite. Gefördert werden von der Stadt Theater und Tanztheater, Musik und Museen, Medien und Denkmalschutz; der Kulturaustausch ebenso wie Bürgerhäuser und kleine Initiativen vor Ort. "Die Bremer Kultur ist relativ lebendig, wenn man bedenkt, unter welchen Rahmenbedingungen gearbeitet wird seit einem Jahrzehnt." Thomas Frey. Referent für Kulturpolitik bei der Arbeitnehmerkammer. "Was bundesweit diskutiert wird, ist in Bremen seit Jahren angekommen. Wenn heute über die Finanzkrise der Kommunen gesprochen wird, und dann viele auch zu Recht Angst haben, dass Kultur Steinbruch ist, um Haushaltsprobleme zu lösen - war in Bremen die Diskussion über Sparen und stellenwert der Kultur und des Kulturhaushaltes schon seit Jahren eigentlich Thema." Aus der Kulturszene Bremens kommen wenig kritische Töne. Jedenfalls immer dann, wenn gerade über den Haushalt beraten wird. Man will sich mit Kritik nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Grundsätzlich aber scheinen viele Akteure den guten Willen der Kulturpolitik anzuerkennen. Was sich in den letzten 10 Jahren gewandelt hat, ist die gesellschaftliche - oder in den Institutionen - die Akzeptanz der Kultur. Renate Heitmann von der "Shakespeare Company", einem freien Theater. Mitglied im Kulturrat. Was ist Planungssicherheit zum Beispiel? - das umzusetzen ist heute in der Politik angekommen. Mit dem Versprechen von Kontrakten ist da eine ganz andre Verbindlichkeit als noch vor zehn Jahren. Kontrakte - Kulturinstitutionen bekommen einen Vertrag über mehrere Jahre, in dem eine feste Förder-Summe vereinbart ist. Wir haben noch keinen Kontrakt, aber wir haben einen festen Haushaltstitel, wir müssen nicht jedes Jahr neu bangen, aber wir müssen einen großen Teil einspielen. Wir bekommen einen Betriebskostenzuschuss jährlich von 840 tausend Euro, die gleiche Summe müssen wir selber einspielen. Die Idee, Kontrakte zu schließen, entstand aus der Not heraus. Ein Kontrakt half auch dem städtischen Theater, als es vor der Insolvenz stand. Ab 2007 war der Kulturmanager Hans-Joachim Frey Intendant des Theaters - Fehler in der Personal- und Spielplanpolitik brachten es nah an die Pleite. Stadt und Theater schlossen einen Vertrag: der garantiert dem Haus bis 2017 einen Zuschuss von 26 Millionen Euro jährlich. Das städtische Theater verpflichtet sich im Gegenzug, "seine Aufwendungen insbesondere im Personalbereich dem Zuschuss anzupassen". Das heißt: sparen. Der Grundbedarf bleibt zwar stabil, doch der Kontrakt beinhaltet Sparanstrengungen des Theaters im Umfang von 1,2 Millionen Euro. Noch liegt vor dem Theater ein langer Weg. Und - mit einer Subvention von 26 Millionen Euro ist das Theater im Vergleich zu anderen Vier-Sparten-Häusern arm, meint Sabine Rühl, die Verwaltungsdirektorin des Theaters: Wenn der Anspruch da ist, ein Vier-Sparten-Haus zu haben, dann sind die Variabilitäten, was das Sparen anbelangt begrenzt. Das Theater Bremen ist nicht in der Lage, dass es mal eben mit einer Million weniger auskommen könnte. Weil einfach die Reserven nicht da sind. Es ist wichtig, wenn wenig Geld da ist, dass das Geld verlässlich da ist. Das Kontrakt-Modell ist - in den Augen der Kulturpolitiker -zukunftsweisend. Doch - keine Leistung ohne Gegenleistung: Die Kultureinrichtungen verpflichten sich, die Kosten zu reduzieren. Das bedeutet oft: solange sparen, bis es nicht mehr geht. Die Staatsrätin für Kultur, Carmen Emigholz, beharrt aber darauf, dass eine Balance zwischen Kreativität und solider Wirtschaftlichkeit möglich ist. Luxus sei die feste Unterstützung sicher nicht. Wir sind Haushaltsnotlageland, die Einrichtungen kommen vergleichsweise mit wenig Geld aus. Wo es wenig zu verteilen gibt, bleiben auch Verteilungskämpfe nicht aus. Etwas neidisch blicken daher viele freie Kultureinrichtungen auf das städtische Theater. Zum Beispiel Anselm Züghart vom Kulturzentrum Lagerhaus. Er wünscht sich einen 5-Jahres Kontrakt - verweist aber auf die Kehrseite der Medaille: Die Verpflichtung, den eigenen Finanzbedarf zu senken. Ja, wir brauchen unbedingt einen 5-Jahreskontrakt, aber dann auf der Grundlage, dass wir vernünftig existieren können. Das ist bei allem Lob der Grundbedarfsfinanzierung nicht gegeben, uns konkret fehlen 25.000 Euro, die eingespart wurden. Das Lagerhaus gibt es schon seit 30 Jahren, es gehört mit vielfältigen Angeboten zur Stadtkultur in der Hansestadt und muss seit Jahren Kürzungen verkraften. Inzwischen werden häufiger Disco-Abende veranstaltet - dafür weniger Theateraufführungen oder Konzerte. So stimmen zwar die Einnahmen, doch Kunst kann nur noch bedingt gedeihen, klagt Geschäftsführer Anselm Züghart. Die frei verfügbaren Projektmittel, wo neue Künstler, darauf bewerben können, sich bewerben können, die sind in einem unverträglichen Maße zurückgefahren worden. Da kann man nur noch Projekte machen, die durchkalkuliert sind. Die sich tragen. Aber gerade neue innovative Projekte brauchen eine Anschubfinanzierung und da hat Bremen ein Defizit. Seine Sorge: Es könnte eine Klassengesellschaft entstehen, zwischen den subventionierten und den freien Kulturträgern. Denn schon jetzt sehe man, das Geld werde ungerecht verteilt. Zwischen Hochkultur auf der einen Seite und der Stadtkultur auf der anderen - entsteht seiner Ansicht nach ein Missverhältnis. In den letzten Jahren sei die freie Szene daher schon dünner geworden - ergänzt Kulturreferent Thomas Frey von der Arbeitnehmerkammer. Die freie Theaterszene, die war einmal sehr lebendig, auch mit großen Produktionen. All diese Produktionen sind nicht mehr möglich. Viele Gruppen sind weggezogen. Verluste sind deutlich festzustellen. Schwere Zeiten für die Kultur in Bremen. Allerdings: Hitzige Debatten werden darüber nicht öffentlich geführt. Viele Kreative setzen auf stille Verhandlungen. Sie sind schon froh, wenn der Status Quo gerade so erhalten bleibt. Im Umgang mit der Behörde ist sogar ein neuer Ton erkennbar. Während früher lautstark mehr Geld gefordert wurde, zeigen Kulturschaffende nun Verständnis für die Notlage der Stadt. Sie wollen sich einbringen: wenn schon sparen, dann wenigstens an sinnvollen Stellen. Nur so haben sie eine Chance, sich überhaupt kulturell zu verwirklichen oder die eigene Institution vor der Schließung zu retten. Man ist nicht visionär - man arrangiert sich. - E N D E B E I T R A G -