COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Literatur, 26.7.2009, 0.05 Uhr ?Omoo auf Typee? Von Walfängern, Missionaren, Menschenfresserinnen und den Zumutungen der Zivilisation Herman Melville - Ein Feature von Holger Teschke Stimmen: Herman Melville Nathaniel Hawthorne Sophia Hawthorne Toby Greene Dr.Troy Prolog Melville : Mein lieber Hawthorne! Seit wir gemeinsam im August den Gipfel von Monument Mountain und dabei die Gipfel von Literatur und Philosophie erstiegen haben, sehne ich mich nach einer Fortsetzung unseres Gesprächs. Hier auf meiner Farm habe ich mehr mit Ochsen und Schafen zu tun als mit Philosophen und sehe nur nachts jenen bestirnten Himmel, der mich an das moralische Gesetz in mir erinnern soll. Es fällt nicht leicht, an dieses Gesetz zu glauben, wenn um einen herum unschuldige Menschen gejagt werden wie anderswo wilde Tiere. Die hochmoralische Gesellschaft von Neuengland sieht tatenlos zu. Mein eigener Schwiegervater, der ja immerhin oberster Richter von Massachusetts ist, hat mir erklärt, er hasse die Sklaverei wie die Sünde, aber dem Gesetz müsse Genüge getan und jeder entlaufene Sklave in den Süden zurückgeschickt werden. Und da sollen wir den Schlaf der Gerechten schlafen unter Gottes bestirntem Himmel ? Meine Ernte ist eingebracht und meine Frau mit dem Jungen für ein paar Tage nach Boston gereist, um die Verwandtschaft zu besuchen. Ich könnte also endlich mein Versprechen einlösen und Sie in Ihrer Hütte am See besuchen. Haben Sie Zeit für einen Schwatz über Gott und die Welt und vielleicht auch über den Teufel? Stets der Ihre - Herman Melville Abend des 3. September 1850 in Lenox, Massachussetts am Stockbridge Bowl, einem kleinen See in den Berkshires. Baumfrösche quarren, Pferdehufe auf Kies, das Pferd schnaubt, ein Mann sitzt ab, klopft an die Tür, die Tür wird geöffnet. Nathaniel Hawthorne : Guten Abend, Mr. Melville ! Ich hatte schon befürchtet, Sie hätten den Weg in unser Versteck am See nicht gefunden. Sophia, wir haben Besuch ! Sophia Hawthorne : Willkommen in unserer kleinen roten Hütte, Mr. Melville ! Treten Sie näher. Ich hoffe, Sie werden es nicht zu eng bei uns finden. Herman Melville : Danke, Mrs. Hawthorne ! Ich habe drei Jahre auf See in den Kojen von Walfängern und Kriegsschiffen zugebracht. Da erscheint einem jede Behausung, die geräumiger ist als ein Vorschiff, wie der Palast Aladins ! Sophia : Sie müssen uns alles darüber erzählen! Vor allem das, was nicht in Ihren Büchern steht. Hawthorne : Sophia hat in den letzten Tagen ausschliesslich in ?Typee? und ? Omoo? gelesen. Also machen Sie sich auf Fragen gefaßt ! Melville : Moment, moment ! Flaschen klirren. Ein paar Flaschen von meinem Verleger aus New York. Er schreibt, daß Champagner die Inspiration befördert. Das heißt , ich schreibe zu langsam. Hawthorne : Geben Sie Ihr Gepäck her ! Ich bringe es gleich auf Ihr Zimmer. Die Kinder sind im Bett, der Abend ist herrlich und deshalb schlage ich vor, wir machen statt des Dinners ein Picknick am See. Sophia : Die Mücken werden uns auffressen ! Melville : Ich habe ein paar kubanische Zigarren mitgebracht, die sie todsicher vertreiben. Hawthorne: Kommen Sie, hier entlang. Ich zeige Ihnen, wo Sie das Pferd unterstellen können. Vergiß die Decken und den Korb nicht, Sophia ! Pferdeschnauben, Hufschlag, Schritte auf Kies, leichtes Plätschern der Wellen. Melville : Sie haben es ja wirklich nur ein paar Schritte bis ans Wasser. Was für ein Ausblick ! Das dort ist Monument Mountain, nicht wahr ? Hawthorne : Wo wir uns zum ersten Mal begegnet sind, allerdings. Ich sehe den Berg von meinem Arbeitszimmer . Melville : Und ich blicke auf Mount Greylock, meinen Walbuckel zwischen den Bergkämmen der Berkshires. Ich habe hier auf dem Land das Gefühl, wieder auf See zu sein, vor allem bei Sturm. Dann schaue ich aus meinem Fenster wie aus einem Bullauge mitten auf dem Pazifik. Wenn Nachts der Wind im Kamin heult, kommt es mir manchmal so vor, als hätte das Haus zuviel Segel gesetzt und ich müsse aufs Dach, um den Schornstein einzuholen. Hawthorne : So einen Sturm haben wir hier Gottseidank noch nicht erlebt. Unsere Hütte liegt einigermaßen geschützt. Da kommt Sophia mit dem Picknickkorb. Sie haben hoffentlich Appetit mitgebracht ? Melville : Und einen anständigen Durst. Die Straße von Pittsfield ist staubig wie auf einem Prärietreck. Ein Champagnerkorken knallt, Gläser klingen. Melville : Auf die Entdeckung der Küste von Hawthorne Island ! Hawthorne : Und auf Ihren Besuch ! Sophia : Den Sie uns lange vorenthalten haben. Sie scheinen auf Ihrer Farm zu leben wie auf einer einsamen Insel. Hawthorne : Sophia hat in den letzten Tagen über nichts anderes geredet als über Kannibalen, Meuterer und Südseenymphen. Ich wünschte, eines meiner Bücher hätte sie je so aufgeregt. Sophia : Es ist erstaunlich, wieviel Zuwendung so ein Schriftsteller braucht, selbst wenn ihm seine Verehrerinnen Waschkörbe voller Briefe schicken ! Hätte ich das geahnt, ich hätte einen Maler geheiratet. Melville : Die sind um keinen Deut besser als wir ! Aber fragen Sie nur ! Was kann es Schöneres geben, als an einem solchen Abend ein Garn zu spinnen ? Wir haben die letzten Sonnenstrahlen auf dem Wasser, den Gesang der Baumfrösche und ?Moskitos ! Fehlen nur noch ein paar Palmen und das Kreuz des Südens - dann wäre es wie eine Nacht auf Nuku Hiva. Sophia : Nuku Hiva ! Wie schön diese polynesischen Namen sind. Nathaniel hat mir schon früher aus ?Typee? vorgelesen. Ich habe mich immer gefragt, ob er damals nicht ein paar Kapitel ausgelassen hat. Melville : Und, hat er ? Sophia : Ich glaube nicht. Aber haben Sie nicht einiges ausgelassen, Mr. Melville ? Melville : Wie kommen Sie darauf ? Sophia : Sie reden oft in Andeutungen. Mit nichts verschweigt man die Wahrheit geschickter als mit Andeutungen. Melville : Die Wahrheit ! Das ist ein großes Wort. Ich würde niemals behaupten, ich hätte die Wahrheit über die Südsee geschrieben. Allenfalls das, was ich gesehen und gehört habe ? und davon habe ich auch nur die Hälfte verstanden. Hawthorne : Nun seien Sie nicht so bescheiden. Immerhin sind Sie der erste Schriftsteller, der unter Kannibalen gelebt hat. Melville : Und das ist mein Fluch ! Ich kann schreiben, was ich will ? ich werde immer der Mann bleiben, der unter Kannibalen gelebt hat. Fantastische Leistung ! Davon gibts in der Südsee inzwischen in jedem Dorf einen. Hawthorne : Aber keiner hat darüber ein Erfolgsbuch geschrieben ! Grämen Sie sich nicht, mir geht`s ähnlich. Ich werde auch immer der Mann bleiben, der die Gespenster seiner Ahnen beschwört. Wenn unsere Kritiker uns erst einmal in eine Schublade gesteckt haben, dann achten sie darauf, daß wir dort auch bleiben. Melville : Ich frage mich inzwischen, ob Kritiker überhaupt noch lesen oder sich den Inhalt unserer Bücher von ihren Dienstmädchen erzählen lassen. Sophia : Jetzt setzen Sie sich erst einmal hin und essen etwas. Nach dem Essen wird der Mensch friedlicher. Es gibt Salat, Huhn mit Paprika und zum Dessert einen Apfelkuchen. Melville : Das ist mehr, als es auf der ? Acushnet? je in der Kapitänskajüte gab. Sophia : Lassen Sie es sich schmecken ! Geschirr und Gläser klappern, sie setzen sich. Haben Sie eigentlich wirklich geglaubt, daß die Typee, die Sie so freundlich aufgenommen haben, Sie eines Tages fressen würden ? Hawthorne : Sophia möchte wissen, ob Sie das nun von jedem Ihrer Gastgeber denken. Melville lacht trocken : Von meinem Verleger schon . Offen gesagt, ich wußte bei den Typee niemals wirklich, woran ich war. Ich hatte schon vor unserer Ankunft auf Nuku Hiva von ein paar alten Walfängern düstere Geschichten über diesen Stamm gehört. Aber ich dachte, das wird erzählt,um die Besatzung vom Desertieren abzuhalten. Die Steuerleute und Bootsmänner haben immer das blutigste Garn über Menschenfresserei gesponnen. Sophia : Aber dennoch sind Sie geflohen ? Melville : Ich habe mir damals gesagt : schlimmer als unsere Offiziere können die Kannibalen gar nicht sein. Wenn wir uns vorsehen, begegnen wir ihnen vielleicht nicht und finden das Tal der Happar, die für ihre Friedfertigkeit gerühmt wurden. Sophia : Und für die schönsten Mädchen der Südsee ! Melville : Das war ja auch nur ein Gerücht ! Sophia : Das Sie natürlich überhaupt nicht interessiert hat ! Warum sind Sie dann desertiert ? Melville : Ich war jung, Mrs. Hawthorne. Da will man was erleben und nicht Tag und Nacht vor Trankesseln voller stinkendem Pottwalspeck stehen. Oder sich von unrasierten Kerlen herumkommandieren lassen, die nachts in ihren Kojen schnarchen, als ob sie den Hauptmast durchsägen wollen. Sophia : Haben Sie deshalb so begeistert den Besuch der schwimmenden Nymphen beschrieben ? Melville : Naja ? das war schon ein unerwarteter Anblick... Rückblende. Stimmen wie aus der Vergangenheit : An Bord der Acushnet. Wellenschlag am Schiffsrumpf, Lachen und Gesang polynesischer Mädchen, Männerrufe, Möwengeschrei, darüber Melvilles Stimme. Melville : Zuerst glaubte ich, die merkwürdigen Bewegungen im Wasser rührten von einem riesigen Fischschwarm her,der an der Oberfläche vorüberzog. Aber dann riefen die Eingeborenen, die schon mit den Kanus zu uns ans Schiff gekommen waren : Wahine ! Wahine ! ? Mädchen ! Mädchen ! Wir hatten nur langsame Fahrt und segelten mitten in den schönen Schwarm hinein. Sie griffen sofort nach allem, was sie fassen konnten ? herabhängende Taue, Wasserstagen, sogar nach den Rüsteisen. Dann kletterten sie an der Schiffswand so schnell und gewand herauf wie an einer Kokospalme. Das Meerwasser lief an ihren nackten Körpern herunter und sie glühten vom Bad im Ozean. Ihr Haar fiel ihnen schwarz wie Ebenholz über die Schultern und verhüllte nur dürftig ihre Brüste und Lenden. Sie machten sich auf der Stelle schön für uns. Erst trockneten sie sich gegenseitig mit ihren Tapas ab und dann salbten sie sich mit einem duftenden Öl aus einer kleinen Muschel. Danach legten sie sich einfach aufs Deck oder in eines der Boote. Wie hätten Männer, die monatelang auf See gewesen waren, dieser Versuchung widerstehen können ? Blende. Wieder am Seeufer in Lenox bei den Hawthornes in der Gegenwart. Sophia : Aber Sie widerstanden ? jedenfalls behaupten Sie das in Ihrem Buch. Melville : Allerdings. Ich hatte schließlich auch von den schrecklichen Krankheiten gehört, die aus der Neuen Welt ins Paradies eingeschleppt worden sind. Als ich sah, mit welcher Brutalität unsere Mannschaft über diese Mädchen herfiel, da dachte ich mir, daß es besser für die Wilden gewesen wäre, wenn sie diese Art von Zivilisation niemals kennengelernt hätten. Hawthorne : Sie hatten also nicht vor, für immer in der Südsee zu bleiben ? Melville : Keineswegs. Ich wollte nur einmal im Paradies leben - und wenn es für einen Monat war . Das machten damals viele Männer auf den Walfängern so. Man fand immer einen Kapitän, der Leute brauchte und einen ohne viele Fragen anheuerte. Hawthorne : Weil ihm die eigenen ebenfalls weggelaufen waren ? Melville : Genau. Manchmal kam man dabei vom Regen in die Traufe. Besonders schlimm war es, wenn man auf ein Kriegsschiff geriet. Aber daran dachte ich damals natürlich nicht. Ich wollte zunächst alleine fliehen. Es war riskant, sich jemandem anzuvertrauen, der einen für eine Flasche Schnaps an den Steuermann verraten konnte. Dann sah ich eines Abends Toby Greene an der Reling stehen, dessen verschlossene Art sich vom Rest der Mannschaft unterschied. Ich dachte plötzlich, wie gut es wäre, auf dieser unbekannten Insel einen Kameraden zu haben, mit dem ich das Abenteuer teilen könnte. Also sprach ich ihn vorsichtig an... Rückblende. Stimmen aus der Vergangenheit : An Deck der Acushnet. Wellenschlag am Schiff, leichte Brise in der Takelung, Seevögel. Melville : Schöner Abend, wie ? Man fragt sich, wie`s wohl da oben in den Bergen aussieht. Greene : Finster. Melville : Waren Sie schon mal auf Nuku Hiva ? Greene : Nee. Melville : Dann denken Sie wahrscheinlich auch an diese Menschenfresser, vor denen der Bootsmann andauernd phantasiert ? Greene : Ich denke an gar nichts. Melville lacht : Sind Sie Buddhist ? Greene : Was wollen Sie ? Melville : Eigentlich kann man´s nur als Buddhist auf einem solchen Schiff aushalten. Bei dieser Behandlung muß man wirklich über äußerste Selbstverleugnung verfügen. Greene : Sie wollen abhauen, stimmts ? Sie suchen einen zweiten Mann. Warum sagen Sie´s dann nicht ? Melville : Es ist nicht leicht, den richtigen zweiten Mann für so ein Abenteuer zu finden. Greene : Dann schießen Sie mal los ! Blende. Wieder am Seeufer in Lenox, Gegenwart Melville : Toby Greene war ein Mann von wenig Worten. Er gehörte zu jener Sorte von Seeleuten, die niemals über ihre Herkunft oder ihre Jahre auf See sprechen. Die über alle sieben Meere segeln, als müßten sie einem schrecklichen Fluch entkommen. Toby war klein und kräftig, aber sehr geschickt und schnell. Im Gegensatz zu den anderen Matrosen achtete er darauf, daß seine blaue Jacke und seine Segeltuch-hosen immer frisch gewaschen und tipptopp waren. Sein Gesicht war braungebrannt und seine pechschwarzen Locken ließen seine dunklen Augen noch unheimlicher erscheinen. Er war unberechenbar und mitunter so jähzornig, daß manche ihn für wahnsinnig hielten. Ich habe ausgewachsene Kerle vor der Wut dieses kleinen Burschen zittern sehen. Hawthorne : Wenn ich mich recht erinnere, hat dieser Mister Greene Sie verteidigt, als man Ihnen nach dem Erscheinen Ihres Buches vorwarf, zuviel Seemannsgarn gesponnen zu haben ? Melville : Ja, das war auch ein Glücksfall. Nachdem Toby allein aus dem Tal der Typee geflohen war, um Hilfe für mich zu holen, wurde er von einem Betrüger reingelegt. Wir verloren uns für vier Jahre aus den Augen und ich hielt ihn für tot. Aber als der Tumult um ?Typee? losging, da schrieb er mir einen Brief aus Rochester und bot an zu bestätigen, daß sich alles haargenau so abgespielt hatte. Sophia : Haargenau ? Er war doch gar nicht die ganze Zeit dabei ! Melville : Gehören Sie auch zu den Skeptikern, Mrs. Hawthorne ? Sophia : Ich habe mich beim Lesen lediglich gefragt, wie Sie mit ihrem kranken Bein alle diese Abenteuer bestehen konnten. Melville : Wenn es ums Überleben geht, dann entwickeln wir erstaunliche Kräfte. Nachdem wir an Land gegangen und in einer Strandhütte vor dem Regen Unterschlupf gefunden hatten, war ja noch alles in Ordnung. Wir hatten uns die Taschen mit Schiffszwieback und Presstabak vollgestopft und schlugen uns in die Büsche, nachdem alle anderen eingeschlafen waren. Auch im Busch goß es wie aus Eimern und wir gerieten in ein undurchdringliches Dickicht, weil wir uns nicht auf den Pfaden der Eingeborenen sehen lassen durften. Die lieferten jeden Flüchtling mit Freudengeheul wieder aus, weil es dafür vom Kapitän einen Fetzen Calico oder einen alten Nagel gab. Wir schafften es aber bis auf die Bergspitze über der Bucht und versteckten uns nachts in einem Gebüsch. Erst am nächsten Morgen sah ich, wie geschwollen mein Bein war. Bald kamen Fieber und Schüttelfrost dazu. Glücklicherweise entdeckte ich dann das Tal, das sich bis ans andere Ufer der Insel erstreckte... Rückblende.Stimmen aus der Vergangenheit : Regenwald auf Nuku Hiva.Im Hintergrund Wasserfälle und Papageien. Melville : Toby, wach auf ! Sieh dir das an ! Greene : Was ist los ? Haben sie uns gefunden ? Melville : Ein bewohntes Tal, da unten ! Die Frage ist jetzt nur : Happar oder Typee ? Greene : Happar. Sieht man doch. Melville : Woran denn ? Greene : Sieht so schön friedlich aus. Laß uns runterklettern und nach Frühstück fragen. Melville : Und wenn es Typee sind ? Dann werden wir das Frühstück. Greene : Willst du lieber hier oben in den nassen Klamotten liegenbleiben und warten, was sie zu Mittag in ihre Kessel stecken ? Wir haben ja nicht mal ein Fernglas. Komm, lass uns runterklettern. Melville : Irgendwas ist mit meinem Bein passiert. Greene : Zeig mal her. Uh, das sieht böse aus. Tja, umso schneller müssen wir in das Tal . Die haben bestimmt einen Medizinmann, der dich wieder auf die Beine bringt. Melville : Aber wie kommen wir da runter ? Der einzige Zugang scheint von See her zu sein. Greene: Die Wasserfälle ergießen sich alle in das Tal. Wir folgen dem Bach hier, der wird uns den Weg schon zeigen. Komm, stütz dich auf den alten Toby ! Blende. Seeufer in Lenox, Gegenwart. Hawthorne : Einen besseren Gefährten hätten Sie nicht finden können. Melville : Nein. Allein wäre ich vor den steilen Abgründen zurückgeschreckt. Toby brachte mich dazu, an Wurzeln und Lianen herunterzuhangeln wie an einem Fallreep. Wir schafften es tatsächlich mit heilen Knochen bis in das Tal, wo wir auf zwei Kinder stießen. Die führten uns ins Dorf und da wurden wir als Erstes gefragt : Happar gut oder Typee gut ? Hawthorne : Und von Ihrer Antwort hingen Leben oder Tod ab. Melville : Ja. Ich weiß bis heute nicht, warum mir plötzlich klar war, daß wir bei den Typee gelandet waren. Toby sah mich an wie einen armen Irren, als ich sagte : Typee gut ! Aber als daraufhin begeisterter Jubel ausbrach, grinste er nur. Wir wurden umgehend in die Hütte einer Kannibalenfamilie gesteckt , die uns zu essen gab und sich um mein krankes Bein kümmerte. Sophia : Nicht nur um ihr Bein, wenn ich mich recht erinnere. Melville : Was meinen Sie damit ? Sophia : Tun Sie doch nicht so ! Sie haben geschrieben, daß bald darauf eine Gruppe blumengeschmückter Mädchen erschien und eine ausführliche Untersuchung an Ihnen vorgenommen hätte. Eine Untersuchung, die die Grenzen der weiblichen Sittsamkeit ? was immer Sie darunter verstehen mögen ? bei weitem überschritt. Damit werden Sie ja nicht Ihr krankes Bein gemeint haben. Hawthorne : Sophia hat gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen. Melville : Offenbar. Alles was ich sagen kann, ohne die Grenzen der männlichen Sittsamkeit zu überschreiten, ist , daß die Damen uns von Kopf bis Fuß untersuchten und sich dabei köstlich amüsierten. Toby wurde ziemlich wütend, aber sie lachten ihn nur aus. Sophia : Das ist bei männlichen Wutausbrüchen ja auch das Vernünftigste. Melville : Ich glaube, Sie würden sich unter diesen polynesischen Mädchen sehr wohlgefühlt haben. Sophia : Und ich glaube, Sie haben das erstaunliche Talent, Ihre Frechheiten als Komplimente auszugeben. Hawthorne schnell : Noch ein Glas Champagner ? Dann müssen wir unsere Zigarren anzünden, sonst fressen uns die Moskitos tatsächlich. Sophia unbeirrt : Jedenfalls verliebten Sie sich in eine von ihnen. Melville ironisch : Wo haben Sie das denn gelesen ? Auch zwischen den Zeilen ? Sophia : Mein lieber Mister Melville, die Art und Weise, in der Sie über ? die reizende Nymphe Fayaway? geschrieben haben, läßt kaum vermuten, daß Sie dem Mädchen rein väterliche Gefühle entgegenbrachten. ? Biegsame Gestalt, eine Haut wie aus braunem Samt, üppig glänzendes Haar und feuchte , rosige Lippen?. Da muß man ja wohl kaum zwischen den Zeilen lesen können. Melville : So würde ich auch eine Schönheit von Raffael oder Tizian beschreiben. Sophia : Vielleicht. Aber Sie waren nicht im Museum, sondern in einem Südseedorf. Melville : Ich war am Ende meiner Kräfte, mit Fieber und Schüttelfrost. Sophia : Die schöne Fayaway hat Ihnen schnell wieder auf die Beine geholfen. Melville : Indem sie mich lange schlafen ließ und mir jeden Morgen frisches Obst brachte. Sophia : Ein wahrer Engel. Etwas leicht bekleidet, aber ein Engel. Melville : Was haben Sie gegen Engel ? Sophia : Nichts. Nur daß ich mich beim Lesen gefragt habe, wie eine solche Elfe in ein Dorf voller Menschenfresser gekommen sein mag. Melville : Sie glauben, ich habe mir Fayaway ausgedacht ? Sophia : Ich glaube, sie ist zu schön, um wahr zu sein. Melville lakonisch : Es gibt Inseln , auf denen kommt so etwas vor. Sophia : Ja, vor allem in den endlosen Archipelen der Männerphantasien. Hawthorne schnell : Ihr Freund Toby hatte von Anfang an den Verdacht, daß Sie aufgepäppelt wurden, um eines Tages selber an die Reihe zu kommen, nicht wahr ? Melville : Ja, da war er weitsichtiger als ich. Ich erinnere mich noch an die Nacht, als wir zum ersten Mal in den Heiligen Hain gebracht wurden, in dem die Götzenbilder der Typee standen. Sie hatten ein riesiges Feuer entzündet ... Rückblende. Stimmen aus der Vergangenheit : Im Tal der Typee. Trommeln und Gesang im Hintergrund. Melville : Was hat dieser Feuertanz zu bedeuten, Toby ? Greene : Sie bereiten sich auf ein Festmahl vor. Melville : Auf was für ein Festmahl ? Greene : Auf uns. Melville : Sehr witzig. Da braut sich was zusammen... Greene : Ja, das Wasser im Kessel. Melville : Hör auf mit dem Blödsinn ! Für Witze ist jetzt nicht die Zeit. Greene : Witze ? Hältst du es für einen Witz, dass sie uns eine Woche lang gemästet haben wie die Ferkel vorm Erntedankfest ? Verlass dich drauf, das ist das Feuer, über dem wir heute Nacht schmoren werden. Da kommen sie schon ... Blende. Seeufer in Lenox, Gegenwart. Melville : Sie kamen tatsächlich, aber nur, um uns zu einem gebackenen Schwein einzuladen. Ich weiß bis heute nicht, warum sie sich soviel Mühe gaben, uns in Sicherheit zu wiegen. Toby weigerte sich etwas zu essen. Sie lachten aber nur und fütterten ihn wie ein ungezogenes Kind, das seinen Teller nicht leeressen will. Hawthorne : Was mir vor allem in Erinnerung geblieben ist, sind jene Stellen , in denen Sie darüber nachdenken, warum die Typee so heiter und sorgenfrei leben konnten. Sie haben die Abwesenheit von Haß und Neid auf die Abwesenheit von Geld und Gier zurückgeführt, wenn ich mich recht entsinne. Melville : Allerdings. Mein amerikanischer Verleger hat auf mich eingeredet, diese Überlegungen zu streichen, weil sie in einem Abenteuerbuch nichts zu suchen hätten. Der Götzendienst der Kannibalen, das ist komisch, aber sich über unseren eigenen Götzen lustig machen, das geht zu weit. Hawthorne : Ja, beim Geld hört hierzulande der Spaß auf. Das ist unser großes Tabu. Ich habe ein halbes Jahr auf Brook Farm verbracht, falls Sie davon je gehört haben. Melville : Die berühmte Landkommune von Roxbury ? Hawthorne : Eben die. Dort wollten wir auch die Tyrannei des Geldes abschaffen. Das sah in den Essays von Emerson und Fourier allerdings einfacher aus als es im Alltag war. Und was haben die Herren von der Öffentlichen Meinung sich erregt ! ?Die Seele eines Menschen kann unter einem Misthaufen ebenso Schaden nehmen wie unter einem Geldhaufen? , schrieb ein besonders wütender Hüter der Ordnung. Sie schlucken inzwischen manches , aber ihr goldenes Kalb darf nicht angetastet werden. Melville : Ja, wenn man diesen Götzen in Frage stellt, dann fallen die Masken. Das ist schlimmer als jede Gotteslästerung. Aber es kann scheinbar keine Katastrophe über die Menschheit hereinbrechen, aus der die Herren der Wall Street nicht noch ein Geschäft machen . Hawthorne : Edgar Allan Poe hat ein sehr böses Epigramm auf Wall Street geschrieben, kennen Sie das ? Melville : Nein. Hawthorne : Es geht in etwa so : Ich verrat euch den Plan wie ihr reich werden könnt Ohne alle Banken und Aktien der Welt : Nehmt eure Banknoten, knifft sie ein Und durch Falten entfaltet sich dann euer Geld ! Diesen Plan hab ich absolut sicher gestaltet , Er erhält euer Geld garantiert allemal. Immer, wenn ihr die Geldscheine faltet Verdoppelt sich euer Bank-Kapital ! Melville applaudiert : Bravo, Mister Poe ! Hawthorne : Haben Sie ihn je kennengelernt ? Melville : Nur ein einziges Mal. Im Salon von Mrs. Hay am Washington Square, wo er seinen ?Raben? rezitiert hat. Anschliessend hat er mich nach Kannibalen ausgefragt. Hawthorne : Unser bedeutendster Dichter ? und wir haben ihn einfach vor die Hunde gehen lassen. Sophia : Vielleicht wäre Mister Poe in der Südsee glücklicher geworden. Nicht gerade unter den Kannibalen, aber auf einer einsamen Insel, die weder von den Menschenfressern noch von unseren Menschenhändlern entdeckt worden ist. Melville : Ich glaube nicht, daß er es da lange ausgehalten hätte. Poe war kein Mann fürs Paradies. Hawthorne : Genau danach wollte ich Sie fragen. Sie zeichnen in ihren Büchern trotz aller Kritik noch den Abglanz der früheren Paradiese. Inseln, auf denen man sich weder um Nahrungsmittel noch um Unterkunft Sorgen machen muß . Um Erfolg und Karriere schon gar nicht. Aber trotzdem spürt man, daß Sie unentwegt weiter wollen. Je idyllischer, desto eiliger. Melville : Ich glaube, ich hatte schon auf Nuku Hiva begriffen, daß wir für das Paradies verloren sind. Sicher, ich hätte meine Seemannskleider verbrennen und meinen Namen ablegen können. Ich habe Männer auf den Inseln getroffen, denen das scheinbar gelungen war. Die alle Brücken hinter sich abgebrochen hatten, eine Eingeborene zur Frau genommen und sich am ganzen Leib tätowiert hatten. Aber tief innen waren sie genau so unruhig wie ich. Wir können die Kultur, in der wir aufgewachsen sind, nicht einfach ausschwitzen wie ein Fieber. Sie steckt uns in den Knochen. Auf Tahiti, wo die englischen Missionare den Eingeborenen ihreTänze und Lieder verboten haben und die Franzosen sie mit ihren Kanonen bedrohten, mußte ich immer an diesen Garten Eden denken, den Mister Hicks gemalt hat. Melville : Da geht der Wolf noch neben dem Schaf und das Kind neben dem Löwen. Aber an der Küste sind schon die weissen Männer mit Degen und Dreispitz gelandet und wedeln mit ihren Verträgen. Hawthorne : Ich erinnere mich. Eines von Mister Hicks Bildern hing im Gemeindesaal von Brook Farm. Ich habe immer gedacht, ob dieser angeblich so naive Maler nicht mehr von der Welt begriffen hatte als wir mit unserem ganzen Harvard und Yale. Sophia : Sind Sie je auf ein College gegangen, Mister Melville ? Melville zitiert : ?Ein Walfänger war mein Yale und eine Kriegsfregatte mein Harvard.? Hawthorne : Das stell ich mir spannender vor als alle Lesesäle. Melville : Das sagt eine Figur in meinem neuen Roman. Sophia : Sie arbeiten an einem neuen Roman ? Erzählen Sie ! Melville : Ich bin immer noch ein Seemann, Mrs. Hawthorne. Und Seemänner sind furchtbar abergläubisch. Wir reden nicht gern über das Öl, bevor der Wal nicht längsseits neben dem Schiff schaukelt. Hawthorne : Also geht es um Walfang ? Melville : Ja. Ich habe mich immer gewundert, daß noch nie jemand darüber geschrieben hat. Ich meine, ohne Walratkerzen wäre es finster in Neu- England. Und die Damen trügen keine Korsetts. Sophia : Die tragen die Damen auf Nuku Hiva ja auch nicht. Melville : Touché ! Aber mehr sag ich nicht. Woran arbeiten Sie, Mister Hawthorne ? Hawthorne : Ich fürchte, an einem weiteren Buch über meine gespenstischen Ahnen. Ich hoffe, ich werde sie damit endlich los. Melville : Die Hexenrichter von Salem ? Hawthorne : Ja. Es geht um ein altes Haus, das meiner Familie dort gehört hat und voller Spukgeschichten steckte. Eigentlich bin ich den Whigs gar nicht so böse, daß sie mich aus dem Zollamt gejagt haben. Abstand tut beim Schreiben gut. Melville : Ist das nicht merkwürdig ? Ich habe immer davon geträumt, ein kleines Haus am Meer zu besitzen und dort über meine Seeabenteuer zu schreiben. Und nun stellt sich heraus, daß es auf dem Land viel besser geht. Hawthorne : Wir sind gespannt. Wann soll Ihr Wal denn unter die Druckerpresse ? Melville : Ich hatte gehofft, im Herbst damit fertigzuwerden. Aber dann habe ich angefangen, noch einmal Shakespeare, die Bibel und Nathaniel Hawthoren zu lesen. Und da kam mir mein großartiger Wal auf einmal so platt vor wie eine Flunder . Sophia ironisch : Nun, wenn Sie die Bibel und meinen Mann zum Maßstab machen, was erwarten Sie ? Melville : Ich wollte auch einmal über das schreiben, was mich umtreibt, ohne daß ich es bisher in Worte fassen konnte. Warum wir lieben, warum wir hassen ? warum wir das Paradies auf Erden nicht finden können. Bei Shakespeare tritt der Narr neben dem König auf und der Wahnsinnige kommentiert die Worte des Weisen. In den Kulissen seines Theaters sehen Gott und der Teufel der menschlichen Komödie zu und lachen und weinen in ein und demselben Stück. Und bei Ihnen, Mr. Hawthorne ? bei Ihnen tauchen die Gespenster unserer Vergangenheit in der Gegenwart auf und zeigen uns die Finsternis in unseren eigenen Seelen. Sie haben den bewunderungswürdigen Mut, Nein zu sagen in einer Welt voller Jasager. Sophia : Sie sollten Ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen, Mister Melville. Ich wollte Sie keineswegs kränken. Ich habe Ihre Bücher mit großen Gewinn gelesen . Ich finde, Sie haben gerade in ihren Südseegeschichten gezeigt, wie barbarisch unsere eigene, angeblich so überlegene Zivilisation ist. Melville : Mag sein. Auf Nuku Hiva und unter den Typee kamen mir zum ersten Mal Zweifel an der Überlegenheit unserer Kultur, wie sie uns von den Schulkathedern und Kirchenkanzeln in die Köpfe gehämmert worden ist. Als ich dann von See zurückkam, bin ich durch einen Ozean von Büchern geschwommen. Haben wir nicht bei Thukydides und Gibbon gelesen, von welch kurzer Dauer die großen Reiche dieser Welt sind ? Was berechtigt uns, unsere Moral so kirchturmhoch über die anderer Völker zu stellen ? Eine Moral, die auch die Eingeborenen unseres Landes fast ausgerottet und in furchtbaren Reservaten zusammen-gepfercht hat, allen Verträgen zum Trotz ? Eine Moral, die die Sklaverei rechtfertigt ? Was sind denn Gerichte wert, die den eigenen Gesetzbüchern hohnsprechen ? Was Parlamente, in denen das Volk keine Stimme mehr hat ? Hawthorne : Diese Fragen wird Ihnen Ihr Verleger garantiert streichen. Melville wütend : Sicher. Aber soll ich sie mir deswegen selber verbieten ? In Liverpool habe ich Menschen so elend sterben sehen, daß ich ihnen am liebsten geholfen hätte, ihre Qualen zu verkürzen. Weder das Gesetz noch ihre Mitmenschen kümmerten sich um sie. Ich wußte, daß dasselbe Gesetz, das die Armen reihenweise verrecken läßt, ohne ihnen einen Penny hinzuwerfen, tausende von Pfund einsetzen wird, um eines Menschen habhaft zu werden, der sie von ihrem Elend erlöst. Sophia ablenkend : Mr. Melville - ich wollte gern noch erfahren, wie Ihnen die Flucht wirklich gelungen ist. Das habe ich im Buch nicht verstanden. Melville : Ich weiß, die Geschichte ist verwirrend und nicht besonders gut erzählt. Nach unserem nächtlichen Abenteuer wollte Toby sich allein zurück zum Hafen von Nuku Hiva schleichen, weil mein Bein noch immer nicht geheilt war. Beim ersten Versuch wäre er beinahe von einer Gruppe Happarkrieger erschlagen worden, denen er im Busch in die Arme lief. Als er sich von seinen Verletzungen erholt hatte, besprachen wir heimlich unsere Zukunftsaussichten... Rückblende.Stimmen aus der Vergangenheit : Hütte im Tal der Typee, nachts. Melville und Toby flüstern. Melville : Die angeblich so mörderischen Typee verwöhnen uns und die für ihre Sanftmut berühmten Happar hätten dich beinahe erschlagen. Ich glaube, wir verstehen weder von den einen noch von den anderen sehr viel. Greene : Wieso ? Das sind alles Kannibalen. Die einen auf die sanfte Tour, die anderen mit Speer und Keule. Melville : Aber denke an die alte Tinor, die auch dich gepflegt hat, denke an Kory und Fayaway... Greene: Ich will keine Menschenfresserinnen in der Familie. Weder als Braut noch als Schwiegermutter. Ich will hier weg. Melville : Aber wie ? Greene : Durch den Busch komme ich nicht zurück nach Nuku Hiva. Also muß ich den Weg zum Meer nehmen. Melville : Aber der ist für uns tabu und wird Tag und Nacht bewacht ! Greene : Ach was, tabu ! Auch die Typee schlafen auf Wache, was sie mir beinahe wieder sympathisch macht. Es wird ihnen bestimmt nicht das Herz brechen, wenn uns ein Schiff aufnimmt . Du bist verliebt, deshalb würdest du sogar freiwillig in den Kessel steigen. Ich bin auch verliebt, aber in meinen ungekochten Hintern. Deshalb werde ich verschwinden und Hilfe holen. Zur Not auch ein Boot mit französischen Soldaten. Deren Gewehre werden unsere Wirtsleute schon umgänglicher machen. Melville : Du willst sie für ihre Gastfreundschaft abschlachten lassen ? Greene : Unsinn. Ich will, daß wir wieder unserer Wege gehen können. Aber wenn du das nicht mehr willst, dann sags. Wenn ich die Gelegenheit zur Flucht habe, wird nicht mehr Zeit sein, darüber zu palavern. Ich will wissen, ob ich zurückkommen soll oder nicht. Blende. Seeufer in Lenox, Gegenwart. Melville : Aber eben das zu beantworten fiel mir damals schwer. Einerseits genoss ich die Tage mit Fayaway , das sorglose Leben und den Frieden des Tals. Andererseits spürte ich mehr und mehr, daß ich immer ein Fremder bleiben würde. Einer, der nicht auf diese Insel gehörte und von Almosen lebte. Jedenfalls gelang es Toby tatsächlich an einem Tag, an dem ein Schiff in der Bucht gemeldet wurde und große Aufregeung herrschte, mit den Typees zum Strand zu gehen. Hawthorne : Und wie ist ihm die Flucht geglückt ? Melville : Der alte Matrose, den er dort zu seinem Erstaunen traf, holte Bananen und Brotfrüchte für einen neu angekommenen Walfänger. Er erzählte Toby , daß sie auf dem Schiff noch Leute suchten und versprach ihm, mich aus dem Dorf zu holen, wenn er ihm dafür fünf Dollar von seinem Handgeld geben würde. Toby blieb nichts weiter übrig, als sich darauf einzulassen, denn er hatte ja kein Geld mehr. Er sprang ins Boot, sie entkamen den nachsetzenden Typee und er heuerte noch am selben Abend an. Dann gab er dem Matrosen die fünf Dollar und der schwor Stein und Bein, daß er mich am nächsten Tag an Bord bringen würde. Aber der alte Gauner verschwand auf Nimmerwiedersehen . Als er nicht wieder auftauchte, ließ der Kapitän die Segel setzen. Ich wartete vergebens und glaubte lange Zeit, Toby hätte mich verraten oder sei tot. Hawthorne : Aber der Matrose hätte doch an Ihnen doppelt verdienen können ! Warum hat er sich das Geschäft entgehen lassen ? Melville : Ich glaube, er hat gewußt, daß die Typee mich nicht gehen lassen würde. Oder er wollte es sich nicht mit ihnen verderben. Aber dann gelang mir zwei Wochen späterdoch noch die Flucht. Diesmal ankerte ein australischer Walfänger in der Bucht, der von einem Händler in Nuku Hiva von meinem Schicksal gehört hatte und dringend Leute brauchte. Ich überredete die Häuptlinge, mich wenigstens das Schiff sehen zu lassen und traf am Strand den Händler, der ihnen eine Muskete und einen Ballen Calico für mich bot. Sie fingen an zu streiten, ob sie sich auf den Handel einlassen sollten und diesen Streit nutzte ich zur Flucht. Sophia : Haben Sie sich von Fayaway verabschieden können ? Melville : Fayaway war mit zum Strand gekommen. Sie muß etwas geahnt haben. Sie stand abseits, bis ich im Boot war und die Männer zu rudern begannen. Die Typee schleuderten uns ihre Speere nach, aber wir waren schon außer Reichweite. Da erst lief sie in die Brandung und winkte mir nach. Sophia : Haben Sie jemals daran gedacht, eines Tages nach Nuku Hiva zurückzukehren ? Melville : Ich bin sogar zurückgekehrt ? allerdings an Bord eines Kriegsschiffs. Nachdem ich auf Tahiti von dem australischen Walfänger abgestiegen und mit der ? Charles und Henry? bis nach Hawaii weitergesegelt war, hatte ich die Nase vom Walfang endgültig voll. Ich arbeitete fünf Monate bei einem Händler in Honolulu, bis ich endlich auf der ?United States? anmustern konnte, die sich auf der Heimreise nach Boston befand. Unterwegs liefen wir auch in die Bucht von Nuku Hiva ein. Sophia : Haben Sie Fayaway damals wiedergesehen ? Melville : Nein. Es gab keinen Landgang. Stille, nur das Quarren der Baumfrösche Hawthorne um das Thema zu wechseln : Was ich Sie noch fragen wollte ? ich meine, zur Fahrt auf dem australischen Schiff ? da gab es doch diesen Arzt, der Vergil und Hobbes zitieren konnte... Melville : Sie meinen Doktor Langgespenst ! Hawthorne : Genau. Der hat mir besonders gut gefallen. Den haben Sie doch sicher erfunden ? Melville : Nein, den gab es tatsächlich. Dr. John Troy, wegen seiner Größe und Unheimlichkeit auch bekannt als ? das lange Gespenst?. Es ging das Gerücht um, daß er den Kapitän eines Tages nach einem Streit in der Kajüte verprügelt hatte, was ihm zehn Tage bei Wasser und Brot einbrachte. Darüber war der Doktor so erbost, daß er mit Sack und Pack zu uns ins Vorschiff zog und sich nie wieder an den Kapitänstisch setzte. Die Mannschaft liebte ihn dafür. Wenn er Brüche schiente oder Zähne zog, dann sang er dazu Arien aus italienischen Opern, die er in großer Zahl auswendig konnte. Sophia : Haben Sie es deswegen nur so kurz auf der ? Lucy Ann? ausgehalten ? Melville : Nein, das hatte nichts mit dem Gesang des Doktors zu tun. Der Kapitän war ein Schwächling und hatte das Kommando nur durch Geld oder Beziehungen bekommen. Er verstand vom Walfang soviel wie ein Friseur, weshalb ihm die Leute auch in hellen Scharen davonliefen. Wir kamen mit Mühe und Not von den Marquesas nach Tahiti, aber ohne eine einzige Walfluke gesehen zu haben. Der Kapitän war auf der Reise krank geworden und mußte an Land gebracht werden. Die Mannschaft weigerte sich , unter dem ewig betrunkenen Ersten Steuermann weiter Dienst zu tun. Der britische Konsul sah das als Meuterei an. So landeten wir alle im britischen Gefängnis, das den romantischen Namen ?Calaboosa Britannia? trug. Rückblende. Stimmen aus der Vergangenheit : Gefängnishütte auf Tahiti. Palmen im Wind, Papageiengekreisch, ein Bach fließt im Hintergrund. Melville : Jetzt sitzen wir im Paradies im Gefängnis ! Wenn das meine Mutter wüßte. Dr. Troy : Solange sie uns diese ausgezeichneten Orangen und genügend Brotfrucht und Taro bringen, geht mir das meilenweit am Heck vorbei. Auf dem wurmstichigen Waljäger hätten wir weiter von versteinertem Schiffszwieback und verfaultem Wasser leben müssen und wären einer nach dem anderen im großen Seemannsgrab verschwunden. Hier gibt es frische Luft, frisches Obst und frisches Wasser. Wenn der Konsul das für eine Strafe hält, dann wollen wir ihn mal in dem Glauben lassen. Melville : Schön, aber er hat uns wegen Meuterei angeklagt. Können wir dafür nicht hängen ? Dr. Troy : So schnell gehts auch im Paradies nicht in den Himmel, mein Freund. Denn erstens bekommt der Herr Konsul hier nie eine ordentliche Jury zusammen, zweitens waren wir auf einem Walfänger und nicht auf einem Kriegsschiff. Drittens können wir ja bei nächster Gelegenheit die Segel streichen. Melville : Aber wohin ? Dr. Troy : Es ist doch schon ein sehr gutes Zeichen, daß wir nicht mehr in den Stock geschlossen werden, oder ? Ich habe den Verdacht, daß dem Konsul am liebsten wäre, wenn wir verschwänden. Dann wäre er auch die Kosten für unsere Verpflegung los und könnte den Fall zu den Akten legen. Aber den Gefallen wollen wir ihm nicht so schnell tun. Als gute Christen sollten wir erst einmal in die Kirche gehen und ein paar Gebete sprechen. Schließlich sind wir vor Gott alle arme Sünder , oder ? Blende. Seeufer bei Lenox, Gegenwart. Melville : Also machten wir der berühmten Kokosnußkirche von Papiti unsere Aufwartung, die ganz in der Nähe unserer Gefängnishütte lag. Sie verdankte ihren Namen den Säulen, die aus den Stämmen von Kokos-palmen gefertigt waren und die Kanzel und Empore trugen. Dort habe ich eine der unglaublichsten Predigten meines Lebens gehört. Hawthorne : Predigten die Missionare dort auf englisch ? Melville : Nein, so weltfremd waren sie nicht. Ich hatte mir einen Übersetzer mitgebracht. Einen Matrosen aus Hawaii, der ein paar polynesische Dialekte sprach und uns öfter in der Calaboose besucht hatte. Das ist in der Südsee ein alter Seemannsbrauch. Wenn man an Land geht, besucht man zuerst Kneipe und Gefängnis, um nachzusehen, ob alte Schiffskameraden angekommen sind . Sophia : Ein schöner Brauch. Worüber wurde denn gepredigt ? Melville : Zuerst wetterte der Missionar natürlich gegen die Franzosen und ihren katholischen Götzenkult, der um kein Haar besser sei als der Götzenkult der Tahitianer. Das war das übliche Präludium. Aber dann kam er schnell zur Sache, denn es war heiß und ein Teil seiner Herde schon am Einschlafen. Also drohte er, daß bald die großen Kanonenschiffe von Britania kommen und alle Franzosen zur Hölle schicken würden. Darum wäre es für die Insulaner wichtig, ihre wahren Freunde zu kennen. Die nicht nur ihre Seelen, sondern auch ihre irdischen Leiber vor schrecklichen Strafen schützen würden. Aber dafür müßten sie mehr Fleisch und Gemüse im Missionshaus abliefern, weil die armen Missionare ansonsten verhungern und nichts mehr für sie tun könnten. Hawthorne : Das Kapitel hat man Ihnen besonders übel genommen. Melville : Bis zum heutigen Tag. Sophia : Ich glaube Ihnen , daß es auf Tahiti so zugegangen ist. Aber haben sich wirklich alle Missionare in der Südsee so aufgeführt ? Melville : Jedenfalls alle, die ich zwischen Tahiti und Hawaii erleben durfte. Und das waren nicht wenige. Was die Slavenjäger und die Seesoldaten mit Pulver und Peitschen begonnen hatten, haben die Missionare mit Kreuz und Pranger zum seligen Ende geführt. Wo sie Liebe verkünden sollten, da haben sie Haß gesät und statt Vergebung predigten sie Rache. Mich hat einmal ein Eingeborener gefragt, worin sich unser grausamer Gott eigentlich von ihren Göttern unterscheiden würde. Hawthorne : Das hätte er den den Missionar fragen sollen ! Melville : Hat er auch. Der gab ihm zur Antwort, daß solche Vergleiche des Teufels seien. Hawthorne : Der gute alte Fürst der Hölle. Was würde die Kirche ohne ihn anfangen ? Melville : Oder erst die Politik ? Ohne das Reich des Bösen keine Kreuzzüge im Namen der Humanität. Unter dem hehren Banner der Menschenrechte kann man seelenruhig die grausamsten Kriege führen. Erst gegen die Indianer, jetzt gegen die Mexikaner - wen werden wir wohl als nächstes mit unserer überlegenen Weltordnung beglücken ? Die Eskimos oder den Mann im Mond ? Sophia : Also ist aller Fortschritt Ihrer Meinung nach immer nur ein Fortschritt zum Schlechteren gewesen ? Gibt es in Ihrer Welt überhaupt nichts, wofür es sich zu kämpfen lohnt ? Melville : Ich habe immer nur von den guten Werken gehört, die wir der übrigen Welt getan haben. Gesehen habe ich Armut, Krankheit, Hunger und Verzweiflung. Unsere Zivilisation wird diese bedauernswerten Völker in den endgültigen Untergang führen. Aber das wird auch unser Untergang sein. Es gab da ein altes Lied, das auf Tahiti viel von den Eingeborenen gesungen wurde : Die Palme soll wachsen Koralle sich breiten Doch der Mensch soll vergehen Stille, nur das Quarren der Baumfrösche. Hawthorne : Mein Gott, es ist spät geworden. Sie müssen todmüde sein. Gehen wir ins Haus? Sophia : Einen Augenblick noch. Sind Sie deswegen nicht auf Hawaii geblieben? Melville : Ja. Mein Traum vom Paradies war ausgeträumt. Ich habe es nicht mehr ertragen, Tag für Tag mit anzusehen, wie die Schönheiten der Inseln von skrupellosen Geschäftemachern und korrupten Beamten verraten und verkauft wurden. Sophia : Sie hätten dagegen einschreiten können. Melville : Wer war ich denn damals? Ein gestrandeter Walfänger, nach dem kein Hahn krähte. Sophia : Aber jetzt, wo so viele Menschen ihre Bücher lesen ? jetzt könnten Sie es! Melville : Vielleicht. Aber ich bezweifle, daß Bücher die Menschen verändern. Sophia : Nathaniel hat mir erzählt, daß nach ?Weißjacke? die Prügelstrafe in der Navy abgeschafft worden ist. Ist das in Ihren Augen keine Veränderung? Melville : Oh , sicher. Ich bin sogar sehr froh darüber. Sophia : Aber es ist Ihnen zu wenig, nicht wahr? Sie wollen die vollkommene Veränderung. Das Jüngste Gericht, das die Wucherer und Wechsler mit eisernen Besen aus den Tempeln fegt . Ich hoffe, Ihr Wal ist groß genug, um alles Elend dieser Welt zu schlucken. Melville : Oder wenigstens mich, den gescheiterten Propheten. Ich kämpfe seit über einem Jahr mit diesem Ungeheuer. Es zieht mich tiefer und tiefer in Abgründe, von deren Existenz ich früher nicht einmal wußte. Ich fürchte, es sind meine Abgründe. Es ist mir inzwischen egal, ob mir jemand dahin folgen wird. Ich kann die Harpune jetzt nicht mehr loslassen. Obwohl ich nicht einmal weiß, ob ich noch genug Luft zum Auftauchen hab. Ich weiß nur, daß die Kritik wieder ihre Nase rümpfen wird. Aber wer aus der Hölle kommt, der riecht nun mal nach Schwefel. ?Ego non baptiso te in nomine?. Hawthorne : ?Ich taufe dich nicht im Namen...? - stammt das nicht aus der Bibel der Teufelsanbeter? Melville : Ich dachte mir, daß Sie es kennen. Ja. ich habe den Teufel im Paradies gesehen, wo er das Kreuz unseres Erlösers auf den Kopf gestellt und die Unschuldigen zu ewigen Höllenqualen verdammt hat. Seitdem frage ich mich, wieviel von diesem Teufel in mir selber steckt. Sophia : Armer Jona. Melville : Wo haben wir so gut gelernt, mit dem Unrecht um uns herum seelenruhig zu leben? Sophia : Sie suchen noch immer nach einer besseren Welt, obwohl Sie das Paradies der Hölle gesehen haben. Melville : Manchmal denke ich, ich suche nur nach der Grenzenlosigkeit, die ich auf dem Stillen Ozean erfahren habe. Wo ich spüren konnte, wie seine Wasser an alle Küsten der Welt schlugen und über versunkene Kontinente wogten, von denen keine Chronik berichtet. Ich habe an der Reling gelehnt und mir die Schwärme noch nie gesehener Wesen vorgestellt, über die wir hinwegsegelten, Meereswunder und Tiefseeungeheuer. Der Pazifik ist wie das Herz der Erde, das im Rhytmus ihrer Gezeiten schlägt. Melville : Dort habe ich die Ahnung von einer anderen Welt bekommen. Wenn ich diesen Herzschlag in Worte fassen könnte, wenn ich so uferlos schreiben könnte, wie dieser Ozean, dessen Gischt bis zu den Sternen reicht... Hawthorne : Darauf trinken wir ! Sophia : Wie soll Ihr Buch denn heißen, Mister Melville ? Melville : Es hat noch keinen Titel. Es heißt einfach : Der Wal. Gläserklingen. Epilog Melville : Mein lieber Hawthorne ! In etwa einer Woche werde ich nach New York gehen, um mich in einem Zimmer im dritten Stock zu vergraben und mit meinem Wal weiterzukämpfen, während er schon halb in der Druckerpresse steckt. Das ist die einzige Möglichkeit, mit ihm fertig zu werden. Ich bin durch die Umstände hin- und hergerissen. Die Ruhe, die Gelassenheit, die stille Stimmung, in der man das Gras wachsen hört und die man eigentlich zum Schreiben braucht ? sie werden, fürchte ich, mir nur selten vergönnt sein. Dollars verdammen mich und der boshafte Teufel grinst mich immer wieder durch die halboffene Tür an. Was ich am liebsten schreiben würde, das bleibt mir verboten ? es bringt nichts ein. Aber etwas ganz und gar anderes schreiben ? das kann ich nicht. Deshalb bleiben alle meine Bücher ein Mischmasch und das Endprodukt Flickwerk. Sind nicht alle Menschen in Walleinen verstrickt? Werden wir nicht alle mit dem Strick um den Hals geboren? Aber erst, wenn wir diese tödliche Schlinge entdecken, wird uns die tägliche Gefahr unseres Lebens bewußt. Egal, wie lange wir in den Fangbooten sitzen und dem Leben nachjagen, eines Tages kauern wir neben dem Kamin und haben plötzlich statt der Harpune einen Feuerhaken in der Hand. Aber ich wollte von meinem Wal schreiben. Wie die Fischer sagen: ? Er wirft sich noch immer herum? ? jedenfalls tat er das, als ich ihn vor gut drei Wochen noch einmal losgelassen habe. Aber jetzt werde ich ihn an seinen Kiefern packen und erledigen, so oder so. Denn was gibt es Kurzlebigeres als ein modernes Buch? Doch solange uns noch etwas zu tun bleibt, haben wir nichts getan. Also lassen Sie uns Moby Dick unseren Segen geben und weitersehen. Leviathan ist nicht der größte Fisch ? ich habe von Kraken gehört ... 2