Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 12. April 2010, 19.30 Uhr Kunstfleiß und Gewerbesinn Wie können sich Künstler auf dem Markt behaupten? Eine Sendung von Paul Stänner Spr. vom Dienst Kunstfleiß und Gewerbesinn Wie können sich Künstler auf dem Markt behaupten? Eine Sendung von Paul Stänner Regie: Straßenatmo (Bei Hans C. , Track 14) Sprecher In der Südstadt von Leipzig steht eine ehemals repräsentative Villa, fein wieder hergerichtet zu einem Seminargebäude. O-Ton Haslinger Was wir hier machen? Ja, wir bilden Schriftsteller aus ganz klarerweise. Sprecher Josef Haslinger, Schriftsteller und Professor, leitet zurzeit das Deutsche Literaturinstitut Leipzig, die einzige universitäre Einrichtung in Deutschland, die sich ausschließlich dieser Aufgabe widmet: Schriftsteller auszubilden. O-Ton Haslinger Man wird hier Student, indem man sich bewirbt, und das ist gar nicht so einfach, hier Student zu werden, denn es bewerben sich im Jahr ? das schwankt etwas, aber es sind immer so 400 bis 600 Kandidaten. Und man bewirbt sich mit literarischen Texten. Zwanzig Seiten literarischer Text, egal welches Genre. Was man eben für den besten literarischen Text hält, den man bisher geschaffen hat. Sprecher Ralph Giordano, Sarah Kirsch, Klaus Schlesinger haben hier studiert, aus den neueren Semestern sind Juli Zeh und Martina Hefter bekannt geworden. Die Grundvoraussetzung für die Studenten beschreibt knapp Joseph Haslinger: O-Ton Haslinger Ohne Liebe zur Sprache geht es nicht, das ist die Grundvoraussetzung für einen Schriftsteller. O-Ton Geiger Ich hab mir irgendwann in den Kopf gesetzt, dass ich meine eigenen Bücher schreiben will, da war ich so 15, ... Sprecher Jan Geiger, schlank, schmales Gesicht, auffallendes Nasenpiercing, ist im dritten Semester. O-Ton Geiger ... und dann hab ich gehört, dass es das hier gibt und ich wusste nach dem Abitur nicht, was ich machen will, ich wusste, irgendwas in Richtung Literatur muss es sein, und dann hab ich auf gut Glück meine Bewerbung hingeschickt, ja, wider Erwarten wurde ich genommen. Sprecher Im Moment arbeitet sich Jan Geiger durch Lehrveranstaltungen mit Titeln wie "Mastermodul Prosa" oder ?"Vertiefungsmodul Prosa" oder "Mastermodul Mediale Formen der Literatur" und andere. Nach vier Semestern ist die Masterarbeit fällig, dann beginnt das Leben als Autor. O-Ton Geiger Das Ideale wäre natürlich, davon leben zu können, aber wie wahrscheinlich ist das? Sprecher Im Literaturinstitut Leipzig führt Claudius Nießen die Geschäfte und bereitet die Studentinnen und Studenten auf den Eintritt in die Welt des Handels mit Schreibwaren vor - es wird wohl ein entbehrungsreiches Leben. O-Ton Nießen Im Seminar "Autor und Markt" geht es um eine Einführung in den Literaturbetrieb, das heißt wir am Literaturinstitut haben nicht nur Werkstattseminare, in denen die Studenten an ihren eigenen Texten arbeiten, sondern es geht eben auch darum, Berufsperspektiven aufzuzeigen, denn natürlich kommt niemand hierher ohne den Traum, Autor zu werden, aber wie an jeder anderen Hochschule oder Kunsthochschule auch wird nicht jeder Starpianist oder spielt die erste Geige, das heißt es gibt ja auch im Literatur- und Verlagsbereich eine ganze Menge von Berufen, vom Journalist über den Werbetexter bis hin zum Lektorat ... all diese Felder kann man bestellen, wenn man denn mit Sprache gut umgehen kann und sich neben dem Studium einfach schon mal Gedanken darüber macht: Welche Möglichkeiten habe ich neben dem Schreiben als Schriftsteller? Denn das ist ja klar, für die meisten ist das keine Tätigkeit, die einem ein gutes Auskommen sichert. Sprecher Und es wird auch nicht jede Autorin eine Joanne K. Rawling oder nicht jeder Autor ein Georges Simenon. Aber irgendwo muss man ja anfangen. O-Ton Nießen Es fängt ganz praktisch an beim ersten Schritt. Was muss ich machen, wenn ich gern als Autor selbständig werden möchte? Ich muss mich beim Finanzamt melden, die Selbstständigkeit anmelden. Dann gucken wir uns die Formulare an, wie das geht, dann gibt es direkt solche Fragen: Aber ich verdien ja nur 1000 Euro im Jahr oder manche Studenten sind dann hier, die haben dann mal eine Lesung hier, das heißt nicht, dass sie viel Geld bekommen, aber da gibt es irgendjemand, der möchte sie einladen und kann sagen, ich zahle dir 50 oder 100 Euro, aber Du musst mir eine Rechnung schreiben ? da kommt die nächste Frage: Wie schreib ich denn ein Rechnung? Sprecher Was eindeutig die ganz und gar unliterarischen Niederungen des Erwerbslebens sind. Wobei die ganz wesentliche Frage doch zunächst einmal zu sein scheint: Wie bringe ich meine Texte unter? Claudius Nießen: O-Ton Nießen Das ist wieder etwas, wo man nur wenig Hilfestellung geben kann von außen, man kann natürlich, und das machen wir immer mal wieder, Lektoren einladen, nicht um die Autoren zu vermitteln, sondern damit die Lektoren ihre Arbeit beschreiben, denn Lektoratsarbeit ist ja eigentlich auch etwas, was man hier in einer Art und Weise lernt, indem man ständig über die eigenen Tete und die Texte anderer redet. Sprecher Das heißt, auch dieses Gespräch dient eher der Vermittlung in den Nicht- Schriftstellerberuf. Stichwort Marktforschung - gehört es auch zu den Aufgaben eines Ausbildungsunternehmens, den Absolventen zu sagen, oder mit ihnen zu ermitteln, was der Markt gerade so braucht? O-Ton Nießen Nee, also ich glaube, das würde auch zu weit gehen, wenn wir jetzt hier sagen würden, wir nehmen die ganzen Publikumsverlage unter Beobachtung und schauen, wo sich Trends hin entwickeln und wo man sich am besten mit einem Buch hin bewirbt. Sprecher Die Erfahrung zeigt, dass in den Künsten, wenn es erst einmal darum geht, die Vermarktung zu organisieren, die Kunst zu Ware wird und die Künstlerin, der Künstler auch. Am deutlichsten hat man es in der klassischen Oper gesehen ? hat es früher gereicht, wenn eine wohlklingende, im Regelfall einigermaßen beleibte Dame auf der Bühne die Arien tiriliert, so müssen heute erfolgreiche Interpreten auch die Model- Qualitäten einer Anna Netrebko oder den latin-lover-Schmelz eines Orlando Villazon mitbringen. Oder der Schriftsteller Frank Schätzing, Autor des Erfolgsromans "Der Schwarm". Er lockt mittlerweile Tausende zu Multi-Media-Shows in die Hallen ? sicher ein Extrembeispiel. Aber - sich in der Öffentlichkeit zu bewegen, Interviews zu führen mit Hörfunk und Fernsehen, bei Lesungen Entertainerformat zu beweisen ? auch das gehört in der heutigen Mediengesellschaft zu den Anforderungen an einen Autor. Anforderungen, für die er an der Universität nicht ausgebildet wird. O-Ton Nießen Medientraining machen wir hier nicht, wir stellen nirgendwo eine Kamera auf und setzen die Leute davor...Was wir immer wieder anbieten und was ich auch für sehr wichtig erachte, sind Seminare wie Sprecherziehung, denn ein gutes Lesen befördert sicherlich den Kontakt mit dem Publikum, das ist etwas, das ich auch aus meiner eigenen Erfahrung früher als Journalist immer sehr genossen habe. Sprecher In einer eigenen Publikationsreihe mit dem Titel "Tippgemeinschaft" können sich die Autorinnen und Autoren an die Öffentlichkeit wenden und die Leser oder Verlage für sich interessieren. Künstlerische Arbeit besteht im Wesentlichen darin, etwas auszuprobieren, eine Idee zu haben, sie auszuarbeiten, zu verbessern, wegzuwerfen, neu zu schreiben, über lange Zeit die Frustration des Nicht-Gelingens zu ertragen. Ein belastbares Durchhaltevermögen, meint Student Jan Geiger, sei eine wesentliche Voraussetzung für den Autoren-Beruf: O-Ton Geiger Das muss man selber haben, also von nichts kommt nichts, ich bin da selber so, dass ich mich da immer zusammenreißen muss und man sich hinsetzen muss und gegen ankämpfen muss auf eine Arbeit, gegen diese Faulheit und auch gegen die eigene Angst anschreiben muss, aber das Durchhaltevermögen muss man so haben, das wird einem nicht beigebracht, Durchhaltevermögen zu haben, das muss jeder mitbringen. Sprecher Zu den Kernkompetenzen eines zukünftigen Autors gehören also, soviel ist jetzt klar, Liebe zur Sprache und Durchhaltevermögen. Und das reicht oft nicht. Ein wichtiger Punkt ist die realistische Einschätzung dessen, was einem erreichbar ist. Dazu gehören zum einen die Sicherheit, über die notwendige schriftstellerische Qualität zu verfügen und zum anderen die Fähigkeit, mit dem Markt umgehen zu können, der einen ganz oder zu Teilen ernähren soll. Funktioniert das nicht, droht ein Leben in Verbitterung. O-Ton Nießen Auf der anderen Seite ist man dann auch gerne mal neidisch und das ist ein Problem, wenn man sich dann immer nur noch fragt: Warum der und die und warum ich nicht? Und am Ende kann das zu so einer Frustspirale führen und damit ist niemandem geholfen, einem selber am allerwenigsten. Regie: Musik als Trenner O-Ton d´Urbano Mein Name ist Alba d`Urbano, Künstlerin, Professorin für Intermedia. Sprecher Nur kurz über die Straße, dann hat man die Villa des Literaturinstituts Leipzig im Rücken und vor sich einen gewaltigen klassizistischen Bau, die Hochschule für Grafik und Buchkunst. O-Ton d`Urbano Seit 89 leite ich die Klasse für Intermedia, Intermedia ist ein ältere Begriff, der kommt von der Performancekunst der 60/70er-Jahre und da bei meinen Studenten geht es darum, dass sie sich mit den Medien beschäftigen, sie hinterfragen und dann Kunstwerke realisieren, die nicht unbedingt eine medialen output haben. Sie machen nicht nur Internetinstallationen oder interaktive Installationen, es kann sein sie machen Objekte, aber wo ein Bezug zur medialen Auseinandersetzung ist, darum geht es. Sprecher Die Hochschule für Grafik und Buchkunst hat sich in den vergangenen Jahren internationales Renommee in der Sparte Aktuelle Malerei erworben. Sie ist verantwortlich dafür, dass - der Legende nach ? die Sammler in den USA bei einem neuen deutschen Künstler fragen: Ist er auch aus Leipzig? Denn das gilt als Gütesiegel. O-Ton d`Urbano Das Ziel der Ausbildung ist Bildende Künstler, wie bei 80 Prozent der Akademien. Bei uns lernen sie meistens graphisch zu arbeiten, einige arbeiten schon nebenbei und verdienen ihre Brötchen mit Graphikarbeiten, sehr viele arbeiten im Internetbereich...das sind ein bisschen die Bereiche, wo sie angewandt arbeiten können ? aber eigentlich: wir bilden hier Künstler aus. Sprecher Eine von ihnen ist Franziska Jürch. Wie sähe ihr Künstlerleben aus in einer idealen Welt: O-Ton Jürch In einer idealen Welt? Ich glaub, die ideale Welt würde ich erst einmal weg lassen, es würde mir reichen, wenn ich finanziell so unabhängig wäre, dass ich das arbeiten kann, was ich arbeiten möchte, das würde mir völlig reichen. Sprecher Reiko Kammer lebt und arbeitet in Berlin, studiert aber in Leipzig. O-Ton Kammer Ja, ich kann dem nur so zustimmen: Frei zu arbeiten und seine Dinge frei zu machen, das wäre schon eine tolle Sache unabhängig von dem Markt, dass man sich darin nicht einzwängen lassen muss, sondern frei arbeiten kann und davon leben kann. Sprecher Die Künstlersozialkasse hat ermittelt, dass Berufsanfänger im Bereich Bildende Kunst im Durchschnitt 9315 Euro im Jahr verdienen. In der Altersgruppe zwischen 30 und 40 Jahren sind es 13.139 Euro. Franziska Jürch möchte unabhängig von den Interessen des Kunstmarktes ihre Kunst produzieren, was aber zu Folge haben kann, dass ? wenn sie den Interessen des Marktes nicht folgt ? der Markt ihr nicht folgt. Und der Traum, von der Kunst zu leben? O-Ton Jürch Ich würde fast sagen, die Fragen sind quasi falsch rum gestellt. Ich kann nicht damit rechnen, weil es höchst unwahrscheinlich ist, ich will aber damit rechnen, weil ich das machen will. Und wenn ich jetzt mich schon so ausbremsen würde, dass ich mir wirklich durchrechne, wie das später aussehen soll, muss ich jetzt schon aufhören. O-Ton Kammer Sie haben ja nach der Realität gefragt, und es sieht so aus, entweder ich schaffe es, in gewisser Form mit meiner künstlerischen Arbeit ein gewisses womöglich kleines Einkommen zu haben und dann ist es natürlich wichtig, was ich für Ansprüche habe, wenn ich Künstler bin, wird es schwierig über Familie oder ein großes Auto nachzudenken, aber ich glaube, das spielt auch überhaupt keine Rolle,... Sprecher Anders als bei Betriebswirten oder Juristen hat das Produkt des Künstlers aber noch einen Mehrwert, der nicht in den Kategorien der normalen Betriebsführung zu erfassen ist. Kultur gehört gewissermaßen zur Software des gesellschaftlichen Zusammenlebens, ohne Kultur wird eine Zivilisation nicht funktionieren. Weswegen Reiko Kammer fordert, dass die Gesellschaft den Produzenten dieser Software eine Existenzmöglichkeit verschaffen sollte. O-Ton Kammer Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass Kultur gefördert wird, das Kunst gefördert wird, dass Musik gefördert wird, das prägt gesellschaftliche Prozesse, das prägt die Menschen, das Volk, ein Land, eine Epoche. Und ich glaube, dass die Gesellschaft ihren Künstlern gegenüber eine sehr hohe Verantwortung hat, weil jeder davon partizipiert, und ich glaube es ist notwendig, dass man an diesen Stellen nicht zu sehr mit dem Geld spart, sondern dass man den Leuten genau diesen Freiraum gibt. Und diesen Freiraum können sie nur haben, wenn sie ein Stückchen von der finanziellen Existenz gesichert haben. Sprecher Franziska Jürch meint, es sei nicht Aufgabe der Hochschule, die Studenten auf den Markt vorzubereiten. Kontakt zu knüpfen ist wichtig, aber dann entscheiden die Qualität der künstlerischen Arbeit und das Zusammentreffen von kommunizierenden Charakteren auf der Produzenten- und auf der Käuferseite, damit aus der Kunst auch ein Lebensunterhalt wird. O-Ton Jürch Ich bin mir auch nicht sicher, ob die Hochschule der richtige Ort ist ? man wird nicht gecoacht für die Beziehung, die man später braucht, aber was man auch nicht vergessen darf ist, dass die Beziehung aus Künstler und Galerist ist einfach eine zweiseitige Angelegenheit. Wenn ich als Student an der Hochschule gute Ausstellungen mitmache, wenn hier gute Projekte laufen, die Galeristen schauen sich auch um, nicht nur der Künstler schaut durch die Galerien und kennt deren Profil, auch der Galerist schaut sich um, da wächst ja was zusammen. Da wächst so ein Geflecht aus der Hochschule weiter aus Kontakten zu Kuratoren, zu Museen, mit anderen Leuten startet man neue Projekte und wenn man die gut macht, wachsen die Kontakte auf eine bessere Art, als wie man sich das auf dem Arbeitsmarkt vorstellt. Sprecher Das klingt eher optimistisch. Im Schlussbericht der Enquetekommission des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2007 heißt es, viele Künstler fühlten sich auf die heutigen schwierigen Arbeitsmarktbedingungen nicht ausreichend vorbereitet. Die Kommission kommt zu dem Schluss, kulturwissenschaftliche und künstlerische Studiengänge sollten generell um Bestandteile von Wirtschaft, Recht und Management ergänzt werden. Bei den Schriftstellern waren es Liebe zur Sprache und Durchhaltevermögen, die zu den Erfolgsvoraussetzungen gehörten. Wie ist es in der Bildenden Kunst? Alba d`Urbano, was ist das Wichtigste für einen Künstler? O-Ton d`Urbano Das ist eine sehr böse Frage, ich könnte nur eine böse Antwort (geben), das mach ich nicht - (lacht) ? meistens ist es Gefälligkeit, leider, nicht Qualität. Sprecher Nun ist es doch raus: Gefälligkeit, nicht Qualität. Der Kunstmarkt setzt andere Schwerpunkte als der Künstler. O-Ton d`Urbano Und jetzt sage ich eine ernste Antwort: Gute Netzwerkarbeit und das schon im Studium anzufangen, nicht warten, was danach kommt. Regie: Musik als Trenner Sprecher Berlin-Charlottenburg, das Einsteinufer am idyllischen, baumbestandenen Landwehrkanal. In einem modernen Gebäude der Universität der Künste gibt es in hellen, lichtdurchfluteten Räumen des Erdgeschosses eine besondere Einrichtung. Angelika Böhler leitet hier das Career und Transfer Center. O-Ton Böhler Dieses Career und Transfer Service Center ist zuständig für alle vier künstlerischen Hochschulen in Berlin, das heißt die Universität der Künste Berlin, für die Hanns Eisler Musikhochschule, für die Ernst Busch Schauspielschule und für die Kunsthochschule Weißensee. Sprecher Die Einrichtung existiert seit 2001 und ist entstanden im Wandel des Hochschulwesens generell. Die Hochschulen haben sich nach europäischen und außereuropäischen Vorbildern reformiert und so wurde, nach amerikanischen Mustern, auch eine Institution geschaffen, die den Absolventinnen und Absolventen von künstlerischen Hochschulen beim Eintritt in den Arbeitsmarkt helfen soll. O-Ton Böhler Wir haben festgestellt, dass wir unsere Angebote, und das sind Workshops und Beratungen und Coachings sehr viel mehr auf die Gruppe der Freiberuflerinnen und Selbständige ausrichten. Wir haben auch nach wie vor alle Workshops, die sonstige Career-Center haben, die sich auf die Angestelltenposition fokussieren, aber wir fokussieren uns mehr auf die Freiberufler und auf die Selbständigen. Sprecher Erste Schätzungen ? genaue Zahlen gibt nicht ? legen nahe, dass ungefähr die Hälfte der Absolventinnen und Absolventen von Hochschulen den Weg in die Selbstständigkeit wählt ? schon allein, weil auf dem Angestelltenmarkt das Angebot nicht ausreicht. Die Studentinnen und Studenten der vier Berliner Kunst-Hochschulen haben wie ihre Leipziger Kommilitonen auch während des Studiums die Möglichkeit, mit ihren künftigen Arbeitgebern in Galerien, Opernhäusern und Orchestern in Kontakt zu treten, aber dennoch fehlen den meisten arbeitsmarktrelevante Fähigkeiten, die in Berlin in Workshops und Seminaren nachgereicht werden. Angelika Böhler: O-Ton Böhler Der entschiedene Punkt ist ihre Fachlichkeit, eine super Musikerin zu sein, eine tolle Schauspielerin zu sein, das ist das, warum sie an dieser Hochschule sind, das ist das, was sie ausgebildet bekommen, um nachher auf jeder Art von Arbeitsmarkt zu bestehen, und das heißt, auch in der Kulturwirtschaft braucht man insgesamt eine Handlungskompetenz, die stützt sich nicht nur auf die fachliche Kompetenz, sondern eben auch (zu) wissen um Verträge, wissen darum, wie man jemand anspricht, wissen zu akquirieren, wissen, wie macht man den nächsten Antrag für ein Projekt. Sprecher Weitere Angebote umfassen Themen wie: Wie fülle ich den Betriebsfragebogen des Finanzamtes aus? Wer ist Freiberufler und wer braucht einen Gewerbeschein? Und was mache ich, wenn das Finanzamt meinen beruflichen Anstrengungen pure Liebhaberei unterstellt? Naturgemäß sind es die zukünftigen Künstlerinnen und Künstler, die den Bedarf nach einer Zusatzausbildung einsehen müssen. Die Hoffnung, quasi naturwüchsig aufgrund von künstlerischer Qualität den Zugang zum Kunstmarkt, in Konzertsäle oder die Tonstudios zu finden, dürfte bei dem Andrang gut ausgebildeter, hoch motivierter Künstler illusorisch sein. Zwölf Abschlussjahrgänge der deutschen Musikschulen würden ausreichen, um alle Orchester neu zu besetzen. Die stellen aber immer weniger ein. Auch Musiker müssen sich auf eine Patch-Work-Biografie einstellen, was aber im Berufsbild der Hochschulen viel zu lange ausgeblendet wurde. Ein Kurs in Selbstprofilierung allein schafft noch keine Erfolge, aber die Voraussetzungen für den Erfolg haben sich gebessert ? so der Eindruck von Angelika Böhler. O-Ton Böhler Es ist einfach eine neue Art von Einrichtung, nicht nur an künstlerischen Hochschulen, im Gegenteil, an künstlerischen Hochschulen gibt das noch wenig. Wir sind das erste und in dieser Form das einzige. Wenn man an einem workshop zum Thema Sponsoring teilgenommen hat, kann man nicht automatisch schlussfolgern, dass nur die Teilnahme an einer 16-stündigen Wissensveranstaltung dazu fährt, dass ab diesem Zeitpunkt die nächsten 30 Jahre alle Sponsoranträge durchkommen. Regie: Musik als Trenner O-Ton Apelt Ich bin Dany Apelt, ich bin bildende Künstlerin, komme aus Bremen, lebe schon ganz lange in Hamburg. Sprecher Hamburg-Ottensen. Der Stadtteil im Westen Hamburgs ist gekennzeichnet von einer bunten Mischung von Gebäuden. Da stehen schlichte, eingeschossige Kapitänsunterkünfte neben hohen Bürgerhäusern mit prachtvoller Stuckfassade, daneben die modernisierten Etagen ehemaliger Fabrikhöfe, in denen Architekten und Rechtsanwälte ihre Glas- und Edelstahl-Büros haben. Dazwischen stehen auf Flächen, die im Krieg zerstört worden waren, sehr moderne Wohnhäuser. In einem von ihnen wohnt Dany Apelt. O-Ton Apelt Ich mache verschiedene Bereiche, (einmal Installationen), die Installationen, die ich mache, nenne ich sozial pop art, es sind soziale Themen und dann mach ich Objekte, hab eine zeitlang großformatige Bilder gemalt, das ist jetzt vorbei. Sprecher Spontanes Vergnügen empfindet der Zuschauer beim Anblick einer von Dany Apelts Enthemmungs- und Antiaggressionsrasseln ? das ist eine Rassel, wie man sie aus der lateinamerikanischen Musik kennt. Aus dem Rasselkörper wird ein Kopf mit großen Kulleraugen, der eine Art Badekappe trägt. Man rasselt ? und verliert im Rhythmus seine Aggressionen. Oder Hemmungen - je nachdem. Dany Apelt hat nicht Kunst studiert, sondern kam über Umwege zu ihrem Beruf. O-Ton Apelt Ganz klar, die Vermarktungsseite hat mir gefehlt und irgendwie brauchte ich einen Punkt um anzusetzen. Sprecher An diesem Punkt begab sich Dany Apelt in die Hände von Beatrice Roggenbach ? sie ist Coach für Künstlerinnen und Künstler. O-Ton Roggenbach Ich begleite Künstler dabei, ihren Weg der Selbstvermarktung zu beschreiten, das heißt zu gucken, wie sie mit ihrer Kunst an die Öffentlichkeit geraten können, wie sie Kunden, Konsumenten finden, sodass sie eine Chance haben, von ihrer Kunst auch leben zu können. Sprecher Die Verbindung zwischen Roggenbach und Künstlern entstand aus gemeinsamen Interessen. Beatrice Roggenbach arbeitet als Personalreferentin beim Bildungswerk des Allgemeinen Hausfrauen Bundes, hatte aber immer auch ein Interesse an der Kunst. So kam ihr die Idee, ihre pädagogischen und künstlerischen Interessen zu einem Gewerbe zu verschmelzen. Dany Apelt wurde geholfen. O-Ton Apelt Ich hab mir ein paar Fragen stellen lassen, typische Coaching-Fragen: Wirklich ganz simpel fängt es an: Was will ich denn? Was ist mir wichtig in der Kunst, was ist mir wichtig auszudrücken, wie will ich mich darstellen nach außen, wen will ich erreichen? Und die Fragen kommen so simpel daher, aber es bringt so viel in Gang, was man noch mal so überdenken muss: Was will ich denn überhaupt? Und das bringt so einen ganz großen Prozess in Gang, noch mal einen Entwicklungsprozess, bei mir war das so. Sprecher Und das war zunächst einmal das Verständnis von der eigenen Rolle ? im Beruf, in der Produktion, in der Haltung, mit der die Künstlerin mit ihren Produkten auf mögliche Käufer zugeht. O-Ton Apelt Der Markt lag sehr im Nebel, muss ich sagen, und das wächst ja dann eben zu einem Riesengebirge und macht Angst. Also mir machte das Angst. Wo soll ich anfangen? Keine Ahnung! Und das wurde eigentlich ? ich glaub da war ein Seminar über drei Stunden, da haben wir wirklich dran geackert in so einer kleinen Gruppe und ganz schnell tauchte es aus dem Nebel auf, diese Fragen ? Wen willst du ansprechen? Was gibt es eigentlich alles? Guck doch mal, was es gibt, da kann man auch gleich sehen, dass man viel nicht erreichen will, alsodass es sichtbar wird und machbar wird, dadurch dass man es eingrenzen kann. Sprecher Aus Dany Apelts Worten wird klar: Flyer an einer beliebigen Straßenecke zu verteilen, ist wirklich keine Methode, Kunst zu verkaufen. Das Coaching bei Beatrice Roggenbach läuft entweder als Einzelberatung oder im Gruppenprozess ab. Dazu gehört, dass nicht allein beispielsweise in einem Workshop von einigen Stunden einige Grundkenntnisse vermittelt werden, sondern dass es einen längerfristigen Prozess geben kann, in dem nach und nach Ideen und Fähigkeiten entwickelt werden. Selbst Techniken, wie man am Telefon oder im Aufzug mögliche Interessenten anspricht, werden durchgespielt. O-Ton Roggenbach Wir entwickeln immer im kommunikativen Prozess, also gemeinsam, diesen Fahrplan und darin begleite ich ihn, diesen Fahrplan Schritt für Schritt umzusetzen. Meist ist es so, dass man auf viele Ideen kommt, was man irgendwie machen könnte, und dass die Künstler sehen müssen, dass sie an ihrem Arbeitstag, der auf der einen Seite aus Produktherstellung besteht und auch der anderen Seite sich darum kümmern: Wie arbeite ich meine Dinge ab? Und was begegnet mir im Prinzip auf dem Weg dorthin, was für Impulse nehme ich auch auf? Sprecher Ein grundsätzliches Problem scheint darin zu liegen, dass es zwei Seelen geben muss in der Brust einer Künstlerin, eines Künstlers: Die kreative Seele, die in einem langen, meist sehr einsamen, gelegentlich verbohrten, oft auch mit Frustrationen behafteten Prozess ein Kunstwerk schafft. Und dabei immer die Zweifel ? ist das, was ich hier habe, schon das Beste? Dann die andere Seele, die des Geschäftsführers: Die muss jedem klar machen: Das, was ich hier habe, ist das Beste! Kaufen Sie! Diese Seele muss werben, sich selbst und ihre Produkte als Ware auf den Markt bringen, Kontakte knüpfen, potentielle Interessenten auftun und festhalten. Oft ist es so, dass diese zwei Seelen nicht gut zusammen passen. Aber mit etwas Unterstützung geht es doch, sagt Dany Apelt: O-Ton Apelt Vorher dachte ich: Um Gottes Willen!, das sind zwei Jobs, also einmal meine Kunst machen und zweitens eben irgendwie Geschäftsführer und Management. Das geht nicht, das kann ich nicht, das lehne ich ab (lacht). Aber wenn man noch nicht auf dem Stand ist, sich jemanden wirklich zu mieten dafür, weil man es nicht mag, muss man eben rangehen und ich finde es jetzt spannend! Also es ist machbar geworden und ich finde es wirklich spannend auszutesten, was geht. Sprecher Wobei es einen Grundsatz gibt, den die meisten Künstlerinnen und Künstler beherzigen sollten, sofern sie nicht das unwägbare Glück haben, zu den ganz großen Spielern im Markt zu gehören. Beatrice Roggenbach, selbst in zwei Berufen tätig: O-Ton Roggenbach Meine Empfehlung ist im Prinzip zu gucken, dass sie unterschiedliche Standbeine haben, dass sie ein Standbein auf alle Fälle mit der Kunst besetzen sollten, und dass sie gucken, an welchen Punkten können sie ihre Talente, die sie sonst noch haben, einbringen und eben nicht ? ein bisschen platt ? bei Aldi an der Kasse zu sitzen, um irgendwie so einen Gelderwerb zu haben, sondern etwas zu finden, was in irgendeiner Form mit Kunst, mit Kreativität, mit ihrer Leidenschaft zu tun hat. Sprecher Kunstsinn und Gewerbefleiß ? was früher Künstler hieß, hat mittlerweile als sogenannte "creative class", die in der herkömmlichen Kunst, Musik und Literatur ebenso arbeitet wie im Webdesign oder der Werbung in allen Medien, ein neues Berufsbild bekommen. Die Kreativität darf sich nicht nur auf die eigentliche Arbeit richten, sondern sie muss auch das, was man bislang nur als Sekundärtugend begriff, die Vermarktung und die Geldbeschaffung, mitgestalten, wozu auch Stipendien und Forschungsaufträge gehören. O-Ton Apelt Es ist tatsächlich so, dass es nicht mehr so große Unterschiede macht, die verschiedenen Tätigkeiten, sondern dass ich sowohl bei der Kunst spielen und mich weiterentwickeln kann und bei diesen andern Tätigkeiten, die ganz wichtig sind, Akquise usw. und mich zeigen ? das wird zum Spaß, zum kreativen Spaß. Sprecher Am Ende des Tages die alles entscheidende Frage, denn die Kunst geht nach dem Geld: Gibt es mehr Netto vom Brutto? Oder überhaupt mehr Brutto? Bis jetzt noch nicht, sagt Dany Apelt, aber sie könne es schon sehen. Und noch eine letzte Frage: Wir haben von Kreativen gelernt, dass die Künstlerin, der Künstler - Ausdauer haben muss, - etwas zu sagen haben muss, - gefällig sein muss, - neugierig sein muss: Was muss er oder sie noch: Regie: Musik, darüber , in zwei Sätzen mit Musiktrennung O-Ton Apelt Meine Meinung ist, man muss sich wirklich sichtbar machen können. Man muss sich gut vermarkten können. Spr. vom Dienst Kunstfleiß und Gewerbesinn Wie können sich Künstler auf dem Markt behaupten? Eine Sendung von Paul Stänner Es sprach: Udo Schenk Ton: Ralf Perz Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2010 1