COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Forschung und Gesellschaft Sendung vom 21.7.2011 Die Sensiblen - auf der Flucht vor dem Elektrosmog Autor: Georg Gruber 1. O-Ton Barbara Domberger, Verein für Elektrosensible Ich habe so nach und nach gemerkt, dass ich mich an immer mehr Plätzen, wo ich mich früher wohl gefühlt habe, immer mehr unwohl gefühlt habe. 2. O-Ton Andreas Rudolf, Elektrosensibler Die Hauptsymptom von der Strahlung sind Schwindel, Sehstörungen, Denkstörungen, zum Teil auch Sprachstörungen, wenn es ganz schlimm wird, dann dass einfach die Worte fehlen, Schweißausbrüche hab ich auch schon gekriegt, ja, Herzrhythmusstörungen ist auch typisch für den Funk. Und dann gibt's aber die Tage danach noch vier fünf Tage, wo dann plötzlich die Muskelschmerzen da sind, Antriebstörungen und einfach total schlapp und keine Energie mehr. 3. O-Ton Bodo Leuthner, Elektrosensibler Man bekommt auch ein Gefühl, als würde das Gewebe, als würde der Körper brennen, und hinterher - Gott sei Dank, kann mich in mein Funkloch zurückziehen - fühle ich mich, als wäre ich gekocht worden. 4. O-Ton Ulrich Weiner, Elektrosensibler Für mich ist Funk, wenn man es mit einem Satz sagen will, lebensgefährlich. Autor Irgendwo im Schwarzwald, in einem abgelegenen Seitental. Ein Forstweg führt den Berg hinauf, durch Mischwald, Laubbäume und Fichten. 5. O-Ton Ulrich Weiner Wir stehen jetzt hier mitten in der Natur, rechts von uns ist ein Bach, den hört man jetzt hier, jede Menge Vögel hat es hier, ansonsten ist hier gar nichts nur Wald, Vögel, Bach, Natur mitten in der Prärie, ein richtiges Funkloch, wie man es sich wahrscheinlich vorstellt. Autor Am Wegesrand: Ein Wohnwagen, nicht mehr das allerneueste Modell. Er gehört Ulrich Weiner, 34. Blass sieht er aus, obwohl er schon lange draußen in der Natur lebt. 6. O-Ton Ulrich Weiner Ich lebe quasi jetzt im neunten Jahr draußen im Wald, wirklich richtig im Wald, Sommer wie Winter, ob es jetzt hier angenehme 20 Grad hat oder minus 20 Grad spielt keine Rolle. Autor Seit Dezember 2002 ist Ulrich Weiner auf der Flucht. Auf der Flucht vor der Strahlung, die uns alle umgibt: Handy, Radio, Fernsehen, Behördenfunk - der öffentliche Raum ist verstrahlt, fast zu 100 Prozent. Die elektromagnetischen Felder machen auch vor Haus- und Wohnungswänden nicht halt. Zum fast allgegenwärtigen Mobilfunk kommen die Strahlen von W-lan-Netzen und schnurlosen Telefonen. Und es gibt immer mehr Menschen, die glauben davon krank zu werden. Elektrosensibiltät ist als Krankheit nicht anerkannt. Zumindest nicht in Deutschland. Allerdings gibt es immer wieder Studien, die zu dem Ergebnis kommen, dass Mobilfunk gesundheitsschädigend sein könnte. So stufte die Weltgesundheitsorganisation WHO im Frühsommer 2011 Handystrahlung als "möglicherweise krebserregend" ein. Wissenschaftler der "Internationalen Agentur für Krebsforschung" hatten dafür mehr als 100 Handy-Studien ausgewertet. Auch die Wiener Ärztekammer warnt, dass wegen gesundheitlicher Risiken Funkanwendungen nicht bedenkenlos eingesetzt werden sollten. Die Europäische Umweltagentur riet bereits 2007, die Grenzwerte zu senken. Und in einer Schweizer Übersichtsstudie aus dem Jahr 2006 wird ein Zusammenhang zwischen Symptomen wie "Kopfschmerzen, Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten" und Mobilfunk als "wahrscheinlich" eingestuft. "Wahrscheinlich" bedeutet in dieser Studie aber auch: Zitator Studie des Schweizer Bundesamtes für Umwelt, Hochfrequente Strahlung und Gesundheit http://www.bafu.admin.ch/publikationen/publikation/00059/index.html?lang=de, S. 9 "Ein plausibler Wirkungsmechanismus fehlt." 7. O-Ton Christiane Pölzl Es gibt Umfragen, wo die Leute gefragt wurden, ob sie sich wegen elektromagnetischer Felder gesundheitlich beeinträchtigt fühlen. In diesen Umfragen sagen ca. 6- 10 Prozent der Personen, dass sie sich beeinträchtigt fühlen. Diese Umfragen haben allerdings nicht näher geschaut, ob die Leute gesundheitlich beeinträchtigt sind. Autor Christiane Pölzl, wissenschaftliche Referentin im Bundesamt für Strahlenschutz, Arbeitsgruppe Strahlenrisiko, Strahlenschutzkonzepte, Risikokommunikation. Als häufigste Symptome, sagt sie, würden Kopfschmerzen und Schlafstörungen genannt. Die Zahl der Menschen, die sich selbst für elektrosensibel halten, liegt nach anderen Untersuchungen deutlich unter diesen 6-10 Prozent. 8. O-Ton Christiane Pölzl Wenn man näher nachfragt, ob sie sich schon mal als elektrosensibel bezeichnet haben oder eben die konkreten Beschwerden, dann hat eine unserer Studien gezeigt, dass es 1,5 Prozent sind der Befragten, die sich schon einmal als elektrosensibel bezeichnet haben. Autor 1,5 Prozent - das sind mehr als eine Million Menschen. 9. O-Ton Christiane Pölzl Ungeachtet der Zahlen muss man sagen, auch 1,5 Prozent sind eine Menge, wenn man das hochrechnet. Von daher muss man genau hinschauen, und wir haben ja auch in anderen Studien untersucht, ob es einen Zusammenhang gibt, zwischen den elektromagnetischen Feldern und den gesundheitlichen Beschwerden und diese wissenschaftlichen Studien kommen mehrheitlich zu dem Schluss, dass es da keinen Zusammenhang gibt, dass kein Zusammenhang festgestellt werden kann. Autor Das heißt: Auf der einen Seite gibt es Menschen, die sich durch elektromagnetische Felder beeinträchtigt fühlen und körperliche Beschwerden haben. Auf der anderen Seite gibt es - zumindest aus Sicht des Bundesamts für Strahlenschutz - keinen wissenschaftlichen Nachweis, dass die körperlichen Beschwerden wirklich von den elektromagnetischen Feldern stammen. Sie könnten auch andere Ursachen haben. Ulrich Weiner war einmal selbstständig, hatte ein kleines Unternehmen mit zwanzig Mitarbeitern. Seit seiner Kindheit war er vom Funk fasziniert, war Hobbyfunker. In seinem Dienstwagen hatte er Autotelefon, Handy, Fax, Internet. Dann mit Anfang 20 begannen seine Beschwerden: Erschöpfung und Konzentrationsschwierigkeiten waren der Anfang. 2002 bricht er am Flughafen zusammen und kommt ins Krankenhaus. Die Ärzte sind ratlos, können nichts finden. Der Chefarzt zeigt ihm schließlich eine Studie aus dem Jahr 1932, in der Beeinträchtigungen durch Radiosender untersucht wurden. 10. OTon Ulrich Weiner Die haben damals medizinische Untersuchen an diesen Radiosendern gemacht und festgestellt, dass Menschen, die dort gearbeitet haben, eben mit der Zeit immer müder wurden, schlecht geschlafen haben, die Konzentrationsfähigkeit zurück ging bis hin zu Herzrhythmusstörungen. Das haben die 1932 schon fest gestellt, das hat er mir gezeigt. Und für mich war das schon so ein Schlag ins Gesicht, weil ich hab damals gedacht habe: wenn Handy gefährlich wäre, dann wäre es ja verboten Autor Besser geht es Ulrich Weiner erst, als er nach dem Krankenhausaufenthalt mit seinem Auto in den Wald fährt. Eine spätere Messung belegt: Er war in einem Funkloch. Es kann kein Zusammenhang festgestellt werden - das ist der Standpunkt des Bundesamtes für Strahlenschutz und damit Grundlage deutscher Politik. Deshalb können die Mobilfunkbetreiber auch den Ausbau der Netze und mobilen Dienste vorantreiben. Der Staat verdient am Verkauf der Mobilfunkfrequenzen, zuletzt im Mai 2010 4,4 Milliarden Euro für LTE, eine Technologie, die schnelle Internetverbindungen auch auf dem Land verspricht. Barbara Domberger vom "Verein für Elektrosensible" arbeitet, wenn sie nicht krankgeschrieben ist, als Richterin am Amtsgericht Augsburg. Sie ist von den negativen Auswirkungen elektromagnetischer Felder überzeugt - aus eigener Erfahrung. 11. O-Ton Barbara Domberger Ich hab dann gemerkt, dass ich, wenn ich an bestimmten Punkten war, so ganz starkes Herzklopfen bekommen hab. Mir war das unerklärlich, ich hatte nie Herzprobleme, bin Fahrrad gefahren, Jogging, Reiten, war immer sportlich sehr aktiv, hatte nicht gedacht, woher ich Herzprobleme bekommen müsste. Autor Krankgeschrieben ist die 42jährige nun schon seit Januar 2010. 12. O-Ton Barbara Domberger Ich bin dann auch mit der Zeit einfach durch diesen gestörten Schlaf immer viel erschöpfter geworden, die Konzentrationsfähigkeit hat abgenommen. Ich hab dann auch zeitweise gemerkt, dass ich an bestimmten Punkten ein Gefühl hab, wie wenn ich im Gehirn völlig leer werd. Autor Zuerst schob die Juristin ihre Beschwerden auf Stress in der Arbeit und den lauten Nachbarn - doch das Unwohlsein blieb, auch nachdem sie den Arbeitsbereich gewechselt hatte und der Nachbar ausgezogen war. Auch Ärzte konnten Barbara Domberger nicht weiterhelfen. Von einer Freundin kam der Hinweis, elektromagnetische Felder könnten die Ursache der Beschwerden sein. 13, O-Ton Barbara Domberger Darauf hin habe ich erstmal mich umgeschaut, Schnurlostelefon hatte ich keines, das man hätte entfernen können. W-lan-Router auch keinen. Es kam dann ein Baubiologe zum messen, der hat dann festgestellt, dass bei mir bis dato die höchste Einstrahlung an gepulster Hochfrequenzstrahlung eigentlich vom Zugfunk kam. Ich wusste überhaupt nicht, dass es Zugfunk gibt. Der hat dann den ersten Abschirmvorschlag gemacht, in der Zwischenzeit bin ich zum schlafen dann immer zu Freunden gegangen, die am Stadtrand leben und keine hauseigenen Geräte haben, die irgendwie strahlen und auch soweit weg leben von denn nächsten Nachbarn, dass auch nichts reinstrahlt. Und da ging es mir deutlich besser. Autor Die Abschirmmaßnahmen, wie das Streichen der Wände mit einer speziellen Farbe, oder das Verhängen der Fenster mit abschirmenden Stoffen konnten ihr letztlich jedoch nicht helfen. In ihrer Wohnung in der Augsburger Innenstadt hält sie sich - wenn überhaupt - nur noch für wenige Stunden auf. Im Deutschen Mobilfunkforschungsprogramm, das 2008 abgeschlossen wurde, mit insgesamt 54 Forschungsvorhaben, gab es auch Studien zum Phänomen der Elektrosensibilität. Christiane Pölzl vom Bundesamt für Strahlenschutz betont, dass diese Studien doppelblind durchgeführt worden seien, denn nur solche Studien seien auch wirklich aussagekräftig. 14. O-ton Christane Pölzl Das heißt, dass sowohl der Untersuchungsteilnehmer, als auch der Untersuchungsleiter nicht wissen, ob gerade bei diesem Untersuchungsdesign, diesem Setting, gerade ein elektromagnetisches Feld vorhanden ist oder nicht. Und wenn man das macht, diese doppelblinde Durchführung, bis nach der Auswertung der Daten wartet, um zu entblinden, dann ist es zumindest ein gewisses Qualitätskriterium. Und wenn man diese Studien betrachtet, dann kommt man zu dem Schluss, dass keine Zusammenhänge gesehen werden. Autor Doch woher stammen dann die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Menschen, die glauben elektrosensiblen zu sein? Woher die Vielzahl der Symptome von Kopfschmerzen bis Herzrhythmusstörungen? 15. O-Ton Pölzl Richtig, die Probleme sind real. Die Leute haben Beschwerden und diese Personen suchen verständlicherweise nach einer Ursache ihrer Beschwerden. Deswegen haben wir ja uns auch dieser Fragen angenommen, deswegen haben wir diese Menschen untersucht. Wir haben gezielt Menschen untersucht, die sagen, wir spüren die Felder, wir sind beeinträchtigt durch die Felder. Diese Menschen wurden in Labore eingeladen und dort wurde eben festgestellt, dass sie nicht in der Lage sind, besser als andere Menschen zu unterscheiden zwischen dem Vorhandensein eines elektromagnetischen Feldes und dem Nichtvorhandensein. Nichts desto trotz sind diese Beschwerden vorhanden und aus Sicht des Strahlenschutzes ist es so: wenn die wissenschaftlichen Studien zu der Erkenntnis kommen, dass kein Zusammenhang festgestellt werden kann, dann kann der Strahlenschutz leider auch keine Abhilfe schaffen. 17. OTon Bernd Rainer Müller Wir gehen hin, die Wissenschaftler haben von vornherein Recht, die sind glaubwürdig. Dann gibt es noch ein paar Ärzte, die sind weniger glaubwürdig und die Elektrosensiblen sind vollkommen unglaubwürdig, das ist die Art und Weise, wie Wissenschaft mit der Wirklichkeit umgeht. Autor Bernd Rainer Müller, Ingenieur für Nachrichtentechnik und Mobilfunkexperte des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Er saß auch am Runden Tisch des Mobilfunkforschungsprogramms. Er kritisiert, beim Umgang mit den Studienergebnissen werde zu wenig differenziert. Der Nachweis der Elektrosensibilität lasse sich möglicherweise unter anderen Laborbedingungen erbringen. 18. O-Ton Bernd Rainer Müller Die Wissenschaft kann derzeit keinen direkten Zusammenhang zwischen elektromagnetischen Feldern und sozusagen bestimmten Krankheiten und Folgen daraus unmittelbar beweisen. Ob es daran liegt, dass die Wissenschaft es nicht wollte oder es nicht konnte, das ist schon wieder eine zweite Diskussion. Wenn Sie die Studien nehmen, sind da durchaus Hinweise, Veränderungen, sei es bei den Gehirnströmen, sei es bei Hormonen, sei es bei Zellströmen, sind da. Nur wir können nicht sagen, was macht diese Veränderung der Zellwirkung auf den Menschen, ist es sozusagen ein adverser, ein Krankheit machender Effekt. Die Effekte sind aber alle klar und die werden auch nicht bestritten. Autor Trotz solcher Kritik hält das Bundesamt für Strahlenschutz die geltenden Grenzwerte im Mobilfunkbereich für ausreichend. In anderen europäischen Ländern sind die Grenzwerte niedriger, etwa in der Schweiz, Luxemburg oder Italien: 19. O-Ton Bernd Rainer Müller Die haben zum Beispiel niedrigere Vorsorgewerte. Wenn Wohnbereiche betroffen sind gilt nicht der Grenzwert von 60 Volt pro Meter, sondern wie in der Schweiz der Grenzwert von 6 Volt pro Meter oder Italien zum Teil 3 Volt pro Meter. Das sind die Überlegungen, die dort sind: Die Menschen müssen sich aufhalten dort auf Dauer, es geht nicht nur darum, den gesunden Erwachsenen zu betrachten, sondern auch Kinder und werdendes Leben. Autor Eine Garantie, dass die Funktechnik völlig ohne Risiken ist, will aber auch das Bundesamt für Strahlenschutz nicht ausstellen: 20. O-Ton Pölzl Die Aussage, die man treffen kann, ist, dass nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnisse man davon ausgehen kann, dass die Grenzwerte vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen schützen. Man kann aber nicht sagen: wir können das für alle Zeit ausschließen. Man kann aber sagen: nach allem, was wir wissen, wenn es ein Risiko gibt, dann ist es sehr klein. Autor Gleichzeitig veröffentlicht das Bundesamt eine Reihe von Ratschlägen für einen "vorbeugenden Gesundheitsschutz". Etwa dass man statt mit dem Handy, wenn möglich das Festnetztelefon nutzen sollte. Handy-Telefonate sollten außerdem "möglichst kurz" gehalten werden und: Zitator http://www.bfs.de/de/elektro/hff/empfehlungen_handy.html/printversion "Nutzen Sie die SMS-Möglichkeiten, da Sie dann das Handy nicht am Kopf halten." 21. O-Ton Barbara Dohmen Das Schlimme dabei ist, dass nicht wie bei anderen Krankheiten man sagen kann, der hat eine rote Zunge, deswegen ist er krank mit der und der Krankheit, sondern es trifft jeden Menschen an seinen spezifischen Schwachstellen. Autor Die Umweltmedizinerin Barbara Dohmen beschäftigt sich schon seit den 90er Jahren mit dem Phänomen Elektrosensibilität: 22. O-Ton Barbara Dohmen So kann es sein, dass der eine mit Hochdruck reagiert, der nächste mit einem massiven Ohrgeräusch, der fünfte mit Gehirnstörungen, mit Schmerzzuständen, die nicht erklärlich sind durch irgendwelche anderen diagnostische Maßnahmen. Das alles macht die Diagnostik einer Elektrosensibilität sehr schwer. Autor Streng genommen ist jeder Mensch elektrosensibel, allein deshalb, weil beispielsweise im Gehirn Ströme fließen. Die Muskeln werden durch schwache Impulse gesteuert. Und auch elektromagnetische Felder natürlichen Ursprungs sind schon immer allgegenwärtig, etwa das Magnetfeld der Erde. An diese Felder ist der Mensch seit Jahrtausenden gewöhnt. Dazu kommen vom Menschen gemachte elektromagnetische Felder - besonders seit dem massiven Ausbau der Funktechnologie in den 90er Jahren. Bernd Rainer Müller, der Mobilfunkexperte des Bund für Umwelt und Naturschutz, führt die Zunahme der Beschwerden auf die steigende Zahl neuer technischer Anwendungen zurück: 23. O-Ton Bernd Rainer Müller Wir haben jetzt Anwendungen, die sehr nah am Menschen dran sind, zum Beispiel diese Handys, wlan, schnurlose Telefone, das heißt die Anwendungen sind immer näher an den Menschen heran gekommen und sie wirken auch länger und auf Dauer. Wo früher beim Fernsehen, um 23 Uhr wurde abgeschaltet, mittlerweile läuft das die ganze Nacht durch, das heißt wir haben massive Änderungen in der Anwendung der Technik und dadurch auch vermehrte Beschwerden bei den Menschen. Autor Die Betroffenen, wie Barbara Domberger und Ulrich Weiner, kritisieren, dass sie oft vorschnell als Hypochonder abgetan und in die "Psycho-Schublade" gesteckt würden. 24. O-Ton Barbara Domberger Ich wurde dann von den Ärzten so in Richtung Psychotherapie geschupst. Ich hab mich auch drauf eingelassen, bin auch in eine psychosomatische Klinik, weil es mir damals so dreckig ging. Was ich damals überhaupt noch nicht einordnen konnte, dass mir im Prinzip nichts fehlt, wenn ich mich in einem funkfreien Gebiet aufhalte. Das Problem war, dass ich bis dato so gut wie nie in funkfreien Gebieten war. 25. O-Ton Ulrich Weiner Man muss wissen, wie ist es im Funkloch und wie ist es in der Strahlung, dann merkt man, dass es nicht an einem liegt, sondern dass es von außen kommt. Sonst denkt man ja immer, es kommt von einem selber und glaubt auch noch das, was manche Ärzte versuchen, einem einzureden, dass es psychisch sein könnte. Für mich ist es in der heutigen Zeit ein Armutszeugnis, wir haben eine so fortentwickelte Medizin und wenn dann Ärzte nimmer weiter wissen, sagen: das ist psychisch - ich muss sagen, das ist mir zu billig. Autor Wissenschaftler wie Professor Alexander Lerchl, Mitglied der Strahlenschutzkommission und Biologe an der privaten Jacobs University in Bremen warnen hingegen immer wieder vor vorschnellen Rückschlüssen. In einem Aufsatz schreibt er: Zitator Alexander Lerchl http://www.hausarzt- online.at/hausarzt/index.php?option=com_content&view=article&id=251:mobilfunk- und-gesundheit&catid=1:fortbildung&Itemid=2 Für die ärztliche Tätigkeit sind die von Patienten vermuteten ursächlichen Zusammenhänge zwischen Mobilfunk und Beschwerden eine besondere Herausforderung, da Laien oft durch zweifelhafte Quellen schlecht und einseitig informiert sind. Insbesondere im Internet finden sich oft grob falsche Informationen, die von Fachunkundigen unkritisch geglaubt werden, während sie für den Fachmann jeglicher wissenschaftlicher Grundlage entbehren. Autor Mobilfunkkritiker werfen Alexander Lerchl, der auch mehrere Studien im Rahmen des Deutschen Mobilfunkforschungsprogramms erstellt hat, Industrienähe vor. Lerchl schreibt selbst oft in Internetforen, etwa im Forum des "Informationszentrum gegen Mobilfunk", einer Plattform, die heute vor allem gegen Mobilfunkkritiker agitiert. Zitator, Alexander Lerchl, aus http://www.izgmf.de/scripts/forum/index.php?id=34581 Wenn man Menschen lange genug einredet, dass bestimmte Dinge krank machen, selbst wenn es hierfür keine Fakten gibt, werden sie es irgendwann glauben. Autor Besonders im Internet wird heftig und oft polemisch über das Thema gestritten. Eine Untersuchung der Universität Bern hat gezeigt, dass die Faktenlage auch davon abhängt, wer Studien in Auftrag gibt, dass die Industrie Einfluss auf Forschungsergebnisse haben kann. Zitator (http://www.kommunikation.unibe.ch/content/medien/medienmitteilungen/news/2006/mobilfunk/) "Studien, die ausschließlich durch die Industrie finanziert sind, berichten seltener über Effekte der Mobilfunkstrahlung als vergleichbare Studien, die von der öffentlichen Hand finanziert sind." Autor Der Ausbau der Netze schreitet voran. 26. O-Ton Ulrich Weiner Die Funklöcher blieben lange recht stabil, bis 2008 und dann hat noch mal O2 angefangen, massiv das Netz auszubauen und O2 hat uns sehr viele Funklöcher kaputt gemacht. Autor Und es kommen neue Dienste hinzu, wie etwa der geplante Behördenfunk oder das Netz für schnelles Internet LTE. Gute Funklöcher zu finden, wird immer schwieriger, sagt Ulrich Weiner. 27. O-Ton Ulrich Weiner Also, das Schönste an einem Messgerät ist wie jetzt hier, wenn wir nichts haben und wenn es nur rauscht. Das ist natürlich immer das Schönste. So ist das normale Grundrauschen. So rauscht die Natur und so wäre es gut, wenn es überall wäre. Autor Dabei ist Funkfreiheit nicht das einzige Kriterium. 28. O-Ton Ulrich Weiner Natürlich wenn man in so einem Funkloch leben will, braucht man noch andere Kriterien, hast ne Quelle in der Nähe, kann man irgendwo Wasser kriegen, ist es im Winter erreichbar, wie schauen die Nachschubversorgungen aus, wo kommen die Lebensmittel her zum Beispiel. Das sind dann schon noch mal andere Kriterien, die da noch mit reinspielen. Autor Außerhalb von Funklöchern, in der verstrahlten Welt, bewegt sich Ulrich Weiner nur noch im weißgrauen Strahlenschutzanzug. Er hat immer eine Tasche dabei, die ausgestattet ist wie ein Notarztkoffer: 29. O-Ton Ulrich Weiner Wir können sie ja auch mal aufmachen, (Reißverschlussgeräusch), wir haben verschiedene Kanülen zum stechen, verschiedene Flaschen, wir haben verschiedene Binden, Leukoplast. Hier sind dann die jeweiligen Präparate, die ich brauch. Was bei Strahlung passiert, ist dass zum Bespiel das Blut verklebt, das Blut wird sehr dickflüssig, des muss ich wieder senken, flüssig kriegen. Das mach ich zum Beispiel mit dem Lipostabil, das ist ein Cholesterinsenker und das wird aus Sojabohnen hergestellt. Das ist eine ganz praktische Sache, und das macht das Blut wieder flüssig, zum Beispiel und wenn das Blut dann wieder flüssig ist, muss man schauen, dass man Antioxidantien spritzt, das heißt zum Beispiel sehr hoch dosiertes Vitamin C, das hilft sehr, sehr gut und natürlich viel Flüssigkeit. Autor Zweimal sei er zusammengebrochen in den vergangenen zwei Jahren nach Ausflügen in die verstrahlte Welt, zweimal habe ihn der Notarzt schließlich im Wald zurücklassen müssen: Krankenhäuser sind für Elektrosensible wie Ulrich Weiner zu verstrahlt - mit Handys, wlan und schnurlosen Telefonen. 30. O-Ton Ulrich Weiner Es gibt im Moment für uns kein Krankenhaus, das Betten zur Verfügung stellt, die funkfrei sind, das ist eine große Not, die wir haben. Die medizinische Versorgung ist nicht gewährleistet und das in einem High-Tech-Land wie Deutschland. Autor Die Funklöcher im Wald sind der Lebensmittelpunkt von Ulrich Weiner. Kein Kino, kein Theater, keine Familienfeiern - alles gestrichen. Doch Ulrich Weiner sagt, er sei nicht einsam, er habe genug Arbeit: die Anfragen von Betroffenen und Bürgerinitiativen, die Vorträge über Mobilfunk, die er hält. Und er bekommt viel Besuch, von Freunden, Verwandten und anderen Elektrosensiblen. Und immer wieder auch von Förstern, die ihn in ihrem Revier entdecken: 31. O-Ton Szene mit Förster - Weiner: Hallo, wir stehen hier ein paar Tage. - Förster: Okay, um was geht's denn? - Weiner: Wir stehen hier, weil hier kein Handyempfang ist. - Förster: Ja, schon, aber ihr könnt hier nicht ohne weiteres stehen. - Weiner: Ja, aber wir müssen, wegen der Strahlung, wir würden sonst krank werden. - Förster: Ja, schon, aber wäre das nicht eine Möglichkeit, dass man vorher fragt? - Weiner: Ihr müsstet ja offiziell als Staatsbediensteter nein sagen. - Förster: Ja natürlich. - Weiner: Also würden wir trotzdem dastehen. - Förster: Das ist doch keine Lösung. Autor Ulrich Weiner ist krank geschrieben. Schon seit Jahren streitet er mit der Krankenkasse vor Gericht um seinen Status, es geht um viel Geld. 32. O-Ton Barbara Dohmen Mit der Diagnose Elektrosensibilität ist in Deutschland kein Blumentopf zu gewinnen, es gibt diese Diagnose als ein Kriterium für Verrentung nicht. In der Regel geht es nur über Umwege, zum Beispiel Burnout, das ist gesellschaftsfähig. Autor Die Umweltmedizinerin Barbara Dohmen. 33. O-Ton Barbara Dohmen Lediglich in Finnland ist die Elektrosensibilität, auch Schweden, anerkannt und wir haben da noch einen erheblichen Weg bis dahin, dass die Menschen auch hier in Deutschland anerkannt werden, dass sie nicht mehr arbeiten können. Autor In Schweden gelten Elektrosensible als körperlich beeinträchtigt, sie haben ähnliche Rechte wie Blinde oder Gehörlose. Der schwedische Staat unterstützt den Verband für Elektrosensible, genauso wie andere Behindertenverbände, finanziell. Manche Städte, wie Stockholm, beteiligen sich an den Kosten, wenn Elektrosensible ihre Wohnung abschirmen wollen. Die Richterin Barbara Domberger ist ebenfalls krankgeschrieben. Wenn es nach ihrem Dienstherrn geht, soll sie frühverrentet werden, dabei ist sie erst Anfang 40. Aber die Juristin will gar nicht verrentet werden, sie will wieder arbeiten. 34. O-Ton Barbara Domberger Ich liebe meinen Beruf, ich sehe eigentlich auch nicht ein, warum man als Richterin mit elektromagnetischer Strahlung umgehen muss. Mein Standpunkt ist der, dass ich in strahlungsfreier Umgebung arbeiten kann und dass der Dienstherr mir verpflichtet ist, als Behindertenschutz zu gewähren, dass ich einen strahlungsfreien Arbeitsplatz bekomme. Autor Von Funkloch zu Funkloch ziehen ist keine schöne Lebensperspektive. Ulrich Weiner fordert deshalb die Ausweisung dauerhaft funkfreier Gebiete, die nicht mehr bestrahlt werden dürften. Mit seiner Forderung ist der 34jährige nicht allein, ähnliche Initiativen gibt es bereits in Frankreich und auch der Umweltausschuss des Europarates forderte in einer Resolution im Mai 2011 Maßnahmen, um elektrosensible Personen zu schützen, einschließlich der Errichtung strahlungsfreier Gebiete. (http://assembly.coe.int/Mainf.asp?link=/Documents/AdoptedText/ta11/ERES1815.htm) 35. O-Ton Ulrich Weiner Also, wenn wir jetzt ein Funklochdorf aufmachen könnten oder ein Funklochcamp, sollten wir schon Platz für einige hundert Menschen planen, die würden kommen. Wir könnten ein kleines Dorf mit Elektrosensibeln gründen. Und das Interessante mit Elektrosensiblen ist ja, dass die alle nach ein paar Tagen im Funkloch wieder fit sind und arbeiten können. Das heißt, wir könnten ein richtiges Dorf mit allen möglichen Gewerken, Handwerkern, wir haben viele Intellektuelle auch bei den Elektrosensiblen, viele Unternehmer, Ärzte, Richter, man könnte ein richtig intaktes Dorf machen. Und ich sag einfach mal rückwärts: Welchem Handynutzer fällt ein Zacken aus der Krone, wenn das Handy an einem oder mehreren Orten in Deutschland nicht geht. Autor Die Mobilfunknetzbetreiber können an dieser Idee keinen Gefallen finden. Und auch das Bundesamt für Strahlenschutz erklärt: 36. O-Ton Christiane Pölzl Da wir im Bereich des Strahlenschutzes in wissenschaftlichen Studien bislang keinen Zusammenhang feststellen konnten zwischen dem Vorhandensein von elektromagnetischen Feldern und dem Auftreten von gesundheitlichen Beschwerden, kann der Strahlenschutz nicht dafür plädieren, solche Schutzzonen einzurichten. Auf der anderen Seite ist es so, wenn es tatsächlich wissenschaftlich nachgewiesen wäre oder in Zukunft werden würde, dass es eine gesundheitliche Beeinträchtigung gibt, dann ist es auch nicht besonders sinnvoll, Schutzzonen für eine kleine Gruppe von Menschen einzurichten, sondern dann müsste ja das ganze Schutzniveau gesenkt werden. Autor Für Bernd Rainer Müller, den Mobilfunkexperten des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland reichen einzelne Schutzzonen nicht aus. Vielmehr müsse der Grundsatz der Unverletzlichkeit der Wohnung stärker beachtet werden. Er fordert ein Moratorium, da die "eigentliche Belastungswelle" erst noch bevorstehe: 37. O-Ton Bernd Rainer Müller Es geht darum, dass diese ganze Sicherheitstechnik ausgeweitet werden soll, die ganze Informationstechnik. Sie kennen vielleicht das Schlagwort RFID, wo so Chips in den Geräten drin sind, wo sie feststellen können, welche Ware ist das, wo soll sie hin transportiert werden - was in Zukunft in allen Waren ist, damit sie unter Umständen direkt an der Kasse gleich automatisch abkassiert werden können. Das sind also noch viele neue Anwendungen, die für die Sicherheitstechnik, die Konsumententechnik noch gebraucht werden, die derzeit noch in der Entwicklung sind. Und da wird sich die Situation noch wesentlich verstärken, deswegen dieses Moratorium, dieser Stopp, erstmal Schluss. Können wir die bestehende Technik eingrenzen? Autor Barbara Domberger, die Vorsitzende des Vereins für Elektrosensible, gibt sich optimistisch: 38. O-Ton Barbara Domberger Also das Rad kann man sehr schnell zurück drehen, man kann diese Sendemasten abschalten und dann ist gut. Ich muss mal sagen, im Vergleich zum Atomstrom, wo wir jetzt den strahlenden Restmüll haben, beim Mobilfunk, wenn Sie morgen abschalten, dann ist Schluss. Das ist ja schon mal eine positive Botschaft. Autor Doch Barbara Domberger ist Realistin genug, zu wissen, dass das so schnell nicht der Fall sein wird. Sie hat sich ein Wohnmobil gekauft.