COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Reportage: Kochen für einen Hungerlohn Autor : Tina Hüttl Journalistenbüro Blockfrei Regie: Atmo 1 (insg 1:10, bei 20s Stehen bleiben, ab 45s ohne Schritte) Schritte draußen, Vögel zwitschern , Kettensäge, Hundegebell, dann ohne Schritte Regie: O-Ton 1 (26s) Wenn ich als Berufsschullehrerin vor der Klasse stehe, werde ich denen auf jeden Fall erzählen, was ich in meiner Ausbildung erlebt habe. Einerseits wissen die Schüler dann, da ist jemand, der weiß, wie es uns geht. Das ist kein Geheimnis, das sollte auch kein Geheimnis bleiben. Da habe ich wahrscheinlich auch den Fehler gemacht, dass ich einfach nicht früh genug gesagt habe, da läuft was schief. Dass ich mich auch einfach geduckt habe und gesagt habe: Hauptsache Du wirst fertig. Und das ging nicht mehr. Am Ende war ich fertig. Autorin: Charlotte durchquert den kleinen Park, von der U-Bahn Station Turmstraße in Berlin-Wedding bis zum Haus der Gewerkschaft sind es ein paar Minuten. Sie bleibt stehen, hält ihr Gesicht in die Sonne. Ein weiches Gesicht. Der Pony ist mit Spangen weggeklippt, ein bisschen zu kindlich für diese zwei Meter große, schwere Frau. Sie setzt sich auf eine Parkbank, drückt ihren Rücken durch. Er schmerzt, seit ihrer Ausbildung zur Köchin. Regie: O-Ton 2 (15s) Ich erinnere mich, dass ich irgendwann zur Christine Schill in die Sprechstunde wollte und ich glaube, wenn ich mich von außen gesehen hätte, hätte ich mich ziemlich erschrocken. Da war ich nur noch ein Häufchen Elend. Die ganze Zeit müde, die ganze Zeit fertig und da wurde ich auch viel darauf angesprochen. Autorin: Eineinhalb Jahre sind vergangen. Inzwischen studiert Charlotte, ihre Kochlehre hat sie abgeschlossen. Ihren Nachnamen nennt sie aus Angst vor dem alten Arbeitgeber trotzdem nicht. Sie will als Berufsschullehrerin einmal angehende Köche unterrichten. Den Weg durch den Park zur Sprechstunde von Christine Schill kennt sie gut. Die Rechtsberaterin der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, kurz NGG, half ihr damals die Lehrstelle zu wechseln. Heute hilft Charlotte der Gewerkschaft, in dem sie an Infoständen anderen Koch-Azubis von ihren Erlebnissen erzählt: wie ihr Küchenchef sie fertig machte, weil sie als ehrgeiziger Lehrling ihre Ausbildung verkürzen wollte. Und wie sie sich wehrte. Regie: Atmo 2 Rucksack aufmachen, packt Tagebücher aus (insg 1:20) Autorin: Manchmal hilft ihr dabei ein rotes Heft, das sie auch jetzt aus ihrem Rucksack holt. Sie blättert darin, einige Stellen sind mehrfach unterstrichen, es ist ihr Tagebuch. Regie: Atmo 2 hoch ?Gucken, dass hatte ich vorhin (Blättert, schnauft)...? dann Blättern Regie: O-Ton 3 (22s) (liest) ?Seit ich am 1.4.2008 nach langem Kampf und harten Zeiten in diesem Hotel als Kochazubine eingestiegen bin, habe ich mein Leben auf Standby gestellt. Wenn alles klappt, dann wird der Sommer 2010 mein Sommer. Aber selbst das ist noch fast ein Jahr. Irgendwann ist mir aufgefallen, dass ich nicht mehr laut und herzlich lache.? Und das merkt man, wenn ich das nicht mehr tue (schnauft aus). Autorin: Jetzt lächelt sie, eher traurig. Auf vielen Seiten, in eng aneinandergepressten Sätzen hat sie alles festgehalten ? von Anfang an. Charlotte mag ihren Beruf, schon als Teeanger kocht sie gerne. Nach dem Abitur macht sie ein Praktikum in einem Restaurant in Rostock, wo sie aufwächst. Dann eins in der Hotelküche des ?Maritim Pro Arte? in Berlin. Sie denkt, sie weiß, was auf sie zukommt, als sie eine Kochlehre beginnt: Den oft rauen Umgangston, die Überstunden, das viele Stehen und Schleppen kennt sie aus dem Praktikum. Drei Jahre dauert die Kochausbildung, das erste Jahr im ?Maritim pro Arte? ist hart. Doch Charlotte hat einen kräftigen Körper, kann anpacken und ist ehrgeizig. Im zweiten Jahr stellt sie einen Antrag, die Lehrzeit um ein halbes Jahr zu verkürzen, weil sie auch in der Berufsschule gut ist. Regie O-Ton 4 (19s) Und dann ging es los. Das Harmloseste war noch, dass man mit anderen Azubis verglichen wurde, aber es ging dann eben auch, dass man wirklich nieder gemacht wurde. Also der Satz, der immer wieder in meinem Kopf ist, ist: Sie können das einfach nicht, das können sie noch nicht. Autorin: Der Küchenchef setzt andere Azubis darauf an, sie auszuspionieren. Auf Charlottes Verkürzungsantrag kreuzt er Nein an. Einer anderen Kollegin gibt er den Antrag gar nicht wieder. Knapp 500 Euro monatlich bekommt sie im zweiten Lehrjahr, ein Drittel des Lohns einer gelernten Fachkraft. Das Hotel will sie als billige Arbeitskraft nicht verlieren. Doch Charlotte zweifelt an sich, sie schläft nicht mehr, hat Angstzustände. Sie findet die markierte Stelle nicht, blättert hektisch, ein Tagebucheintrag: Regie: O-Ton 5 (19s) ?12.06.2009: Heute habe ich einen Wagen gesehen, mit einer Aufschrift, die ausgerechnet die Logobuchstaben des Hotels verwenden. Bei aller Angst, die ich jemals hatte, ist diese die schlimmste: also die Angst vor meinem Chef und dieses Ungewisse, was in seiner Macht steht und was er machen könnte. Es schränkt mich in allem ein, was ich tue, sogar beim Faulenzen.? (Sirene) Regie Atmo 3: Schritte draußen Atmo 1, dann Blende Atmo 3 Treppenhaus und Gang Autorin: Den Namen des Hotels, das ?Maritim Pro Arte? in Berlin, kann sie noch immer nicht aussprechen. Einmal sieht sie ihren Chef zufällig am Stand einer Gastro-Messe. Damit er sie nicht entdeckt, reißt sie aus, rennt durch die Gänge. Danach ist sie über sich schockiert. Sie geht zur Gewerkschaft, die ihr einen neuen Ausbildungsplatz vermittelt. Charlotte ist vor dem Büro der Beraterin angekommen, die NGG sitzt in einem tristen 50er Jahre Bau. Ein L-förmiger Schreibtisch mit dicken Akten darauf, dahinter eine zierliche Frau: Regie: Atmo 4 Klopfen, Begrüßung und Unterhaltung (insg. 1:10) Schill: Ja? Charlotte: Hallo! S: Oh Charly ist ja eine Freude, hallo. C: Ich hab gedacht, ich komm mal spontan vorbei. S: Ja setz Dich, wie geht es? C: Gut geht es mir, inzwischen. S: Was machst Du jetzt? C: ich studiere bin immer noch dabei.. Autorin darüber: Wer zu Christine Schill kommt, hat Psychoterror in der Küche oft selbst erlebt. Vor allem Azubis werden gerne angeschrieen und als billige Arbeitskräfte ausgenutzt, sagt die Beraterin, weil sie am schwächsten sind. Schill beschreibt die Gastrobranche als stark hierarchisch, sogar ?militärisch? geprägt. Trotzdem: In manchen Bundesländern steht Koch auf Platz 2 der beliebtesten Ausbildungsberufe. Im ?Ausbildungsreport? des Deutschen Gewerkschaftsbundes schneidet das Hotel- und Gastgewerbe jedoch regelmäßig am schlechtesten ab. Über die Hälfte der Lehrlinge brechen ihre Ausbildung ab. Regie: O-Ton 6 (27s) Es gibt Tage in unserer Rechtsberatung, die wir ja von 8 bis 17 Uhr offiziell machen, da haben wir nur Azubis und auch Facharbeiter aus der Gastronomie. Das ist schon bezeichnend. Regie: Atmo 5 Büro Tee einschenken, Tassen (1:25s) Autorin: Schill stellt jedem eine Tasse Tee hin, wie jetzt Charlotte. Viele der Koch-Azubis, die vor ihr sitzen, erzählen dann, dass sie regelmäßig 15 bis 20 Stunden am Stück arbeiten, dass ihre Überstunden nicht bezahlt werden, dass sie ganze Schichten alleine in der Küche durchstehen oder nach der Berufsschule noch arbeiten müssen. Schill schätzt dass 50 Prozent der Koch-Lehrlinge nicht richtig ausgebildet werden - sondern wie normale Kräfte eingesetzt werden, am immer gleichen Bratposten oder wochenlang als Spüler. Je schlimmer die Zustände, desto mehr werden alle zu Einzelkämpfern, weiß Schill. Immerhin, im Hotel Maritim hat Charlotte etwas ausgelöst: Regie: O-Ton 7 (25s) Ich habe noch Kontakt zu Leuten im Hotel, sind auch welche Mitglied geworden, es ist nicht viel besser geworden, muss man sagen. Aber wir haben da ein paar gute Leute, die auch was bewegen wollen. Und du bist ein gutes Beispiel dafür, also Charly kennt man, es ist eine, die sich gewehrt hat. C: Ach die kennen mich noch? S: Ja (lachen). Regie: Atmoblende mit Atmo 6 Küche Estrel, Brutzeln, Bleche (1:15s) Autorin: Die Maritim-Hotelkette hat bei der Gewerkschaft keinen guten Ruf. Offiziell führt die NGG keine Schwarzlisten mehr. Sie sammelt aber Infos über Betriebe, um sie Auszubildenden zu empfehlen oder nicht. Drastische Verstöße, aber auch Vorbilder gibt es vom 5-Sterne-Hotel bis zur Familienpension. Vom ?Estrel? in Berlin, Europas größtem Convention-, Entertainment- und Hotelkomplex, ist der Gewerkschaft bekannt, dass ein besonders hartes Regime in der Küche herrscht. ?Sie wünschen sich abwechslungsreiche Arbeitszeiten? Und einen Beruf für kreative Köpfe?? ? so wirbt das ?Estrel? im Netz um Koch-Azubis. Küchendirektor Peter Griebel steht im gefliesten Gang, der die fünf Hotelküchen des ?Estrel? verbindet. Bei ihm landen die Bewerbungen. Mit seinem hochgezwirbelten Bart sieht er lustig aus, jetzt ist er grimmig, weil man ihn aufhält. Am Nachmittag kommen über 1000 Gäste, ein Bankett, er hat es eilig. Beim Vorstellungsgespräch rät er jedem Bewerber vom Beruf ab: Regie: O-Ton 8 Griebel (18s) Noten sind nicht unbedingt entscheidend, das erste was ich mache, wenn ich einen Azubi vor mir habe, ich frage ihn, was hat er für Hobbies. Dann sagt er: Fussball. Dann sage ich: Hör mal zu, Fußball ist ein Mannschaftssport, da ist zu einer gewissen Zeit Training, da ist Samstag, Sonntag das Spiel. Und das wird dann nicht mehr gehen. Autorin: Wer trotzdem noch will, ist bei ihm richtig. Alle anderen sollen etwas anderes lernen oder woanders hingehen. Ein Koch, sagt er, muss Stress lieben und Monotonie. Er verschwindet, in der Küche müssen sie jetzt ?Brunoise? schneiden, besonders kleine Karottenwürfel, für über 1000 Gäste. Regie: Atmo 7 (insg. 1:15 dabei 10s stehen lassen, dann runter) Klappern, russische Chefin: Nicht die! Neue Leiterwagen, (schärfer) neue Leiterwagen! Simon: Ok! Chefin: ja ja genau die, alles bitte auf Wagen und Kühlen. (Klappern, schiebt Wagen weg).. Autorin darüber: Simon Eisenschneider rollt den Speisewagen von der Kühlkammer in die Küche, der Wagen ist höher als er selbst. Simon ist pausbäckig, bewegt sich etwas tapsig. Er holt jedes einzelne Tablett vom Wagen, bekommt von der russischen Köchin die Anweisung, den Lachs, die Hühnerspieße und Käsecanapes mit Frischhaltefolie zu überziehen. Regie Atmo 7 kurz hoch (bei ca 30s) Simon: Ja wir müssen das jetzt kühl stellen, wegen der Hygiene ? Er ist im zweiten Jahr seiner Koch-Ausbildung. Regie: O-Ton 9 (insg 1:10s Atmo dran) Wenn man kreativ einfach mal selber etwas kochen kann, was man sich selber ausgedacht hat, das wäre schon ganz geil. Aber mal gucken, was im dritten ist. Also das erste besteht fast nur aus Auspacken, Einräumen, Sauber machen und so. (Klappern) Tatjana? Ich stelle es im Tageskühlhaus zwei, wenn noch was frei ist Autorin darüber: Sechs Köche bildet das Estrel derzeit aus, mit dem Konferenzzentrum hat es 13 Küchen, eigene für warme und kalte Speisen, die Pâtisserie, Küchen für Banketts bis zu 400 Leuten, für Veranstaltungen bis zu 1600 Menschen. Simon Eisenschneider kommt aus der Kühlkammer, er hatte 18 Ausbildungsangebote, sagt er. Er wählt das Estrel, weil ein großer Name fürs Weiterkommen zählt. In der Küche arbeiten jetzt alle an ihren Posten, an der Grillplatte steht der Küchenchef, der Gardemanger macht dieVorspeisen, der Saucier die Soßen, der Entremetier die Beilagen. Simon Eisenschneider wischt nochmals über die Arbeitsfläche aus Stahl, auf der gleich Fleisch portioniert wird. Regie: Atmo 8 Küchengeräusche: (1:45s Brutzeln) Atmo 09 ohne Brutzeln (1min), Atmo 10 mit sehr lautem Braten (1:40s) Regie: O-Ton 10 (28s) (HG: Brutzeln) Handball habe ich mal gerne gespielt, kann ich nicht mehr, wegen der Zeiten. Ja, muss man durch. Wenn man am Wochenende frei hat, betätigt man sich schon. Aber man muss aufpassen, ich war schon zweimal krank, und nur wegen Handball. Und da muss man schon aufpassen. Die haben wirklich schon überlegt, mich nicht zu übernehmen, weil ich zweimal krank war in vier Monaten. Das ist schon hart, wenn man mitbekommt, was hier abverlangt wird. Autorin: Jetzt geht er arbeiten, auch wenn er sich nicht ganz fit fühlt. Vor kurzem wäre er in der Küche fast umgekippt. Ein Arzt diagnostiziert eine schmerzhafte Verkalkung am Nacken. Der Azubi erzählt das ruhig und ohne Vorwurf. Direkt neben Eisenschneider steht die Pressechefin des ?Estrel? und passt auf, was er sagt. Regie: O-Ton 11 (7s) Küchenchef: Holst du mal bitte die Wachtelbrüste raus! Simon: Was für Brüste? Die Wachtelbrüste. Hmm. (Atmo Kühlhaus) Als der Küchenchef ihn nochmal zur Kühlkammer schickt, ist sie erleichtert. Regie: O-Ton 11 wieder ab 16s hoch (10s) Hier, die Wachtelbrüste haben wir gestern noch geputzt, alles weggeschnitten, was nicht reingehört, (Zurückgehen, wieder Brutzeln, Chef: Nun Wachtelbrüste drauflegen und von oben salzen und pfeffern..) Autorin darüber: Simon Eisenschneider schichtet das rohe Vogelfleisch auf ein Blech, mahlt Pfeffer drüber. Der Salzstreuer ist leer. Sein Küchenchef blickt ihn streng an, kommt vom Grill herüber, auf der die Wachteln kurz gebraten werden: Regie: O-Ton 12 (10s) (insg 40s da Atmo) Simon: Was anders hatten wir nicht mehr. Chef: Ja, nimmste normales, auffüllen kannste ja, ist zu grob (Atmo Salz Pfeffermühle, Chef: So und jetzt legste die ordentlich drauf.) Autorin: Der Küchenchef geht wieder, die Pressechefin bleibt, die ganze Zeit über und hört mit. Lob vom Chef kommt selten. Regie O-Ton 13 (20s) Sie wollen auch, dass wir uns nicht zu sehr freuen, dass wir eben drannebleiben am Ball und wirklich immer das Beste geben. Weil, wenn sie jetzt sagen würden: ja ist super, perfekt, dann würde man das nächste Mal bestimmt schlampen. Autorin: Heute ist Simon Eisenschneider um 6 Uhr aufgestanden, seit 9 steht er in der Küche. An den Wandfliesen klebt mit Tesa der Dienstplan: Jede Woche werden alle neu zur Schicht eingeteilt, zu welcher - darauf hat er keinen Einfluss. Regie: O-Ton 14 (13s) Es kommt schon immer die Müdigkeit hoch, man kriegt eben Kopfschmerzen davon, wenn man jeden Tag so früh aufstehen muss. Dann fahre ich ja auch immer so weit. Märkisches Viertel wohne ich, und das ist schon nicht gerade um die Ecke. Autorin: Weil er erst 17 ist, darf er nachts und am Sonntag nicht arbeiten. Sein Glück, er fährt ohnehin schon jeden Tag drei Stunden zur Arbeit, eine Strecke. Simon wohnt bei seinen Eltern, in einer Satellitenstadt am Rande von Berlin. Im ersten Ausbildungsjahr bekommt er 550 Euro, im zweiten nun 650 Euro im Monat. Regie-O-Ton 15 (13s) Weil man hat nur diese Vergütung zur Verfügung und da kann man keine Wohnung mit Strom und alles bezahlen. Das geht eben gar nicht. Autorin: Ins Kino geht er nicht. Weil es billiger ist und er ohnehin meist müde, schaut er zu Hause lieber Videos. Das ?Estrel? ist nicht tarifgebunden. Die Personalchefin sagt, unser Hotel orientiert sich lediglich am Tarif. Überstunden kommen vor, aber nicht so oft. Vergleicht man die Ausbildungsvergütung im ?Estrel? mit dem aktuellen Tarif, liegt sie sogar um ein paar Euro höher. Allerdings arbeiten die Azubis im Hotel dafür 40 Stunden in der Woche, und nicht 38 Stunden, wie es im Tarifvertrag steht. Regie: Blende mit Atmo 11: Gewerkschaftsbüro, Kopierer, Tippen Computer (insg 3:30) Autorin: Zwei Türen weiter von der Beraterin der Gewerkschaft NGG hat Sebastian Riesner sein Büro. Oben schon kahl, ein gemütlicher Bauch, der Prototyp eines Kochs. Koch war er früher, seit 20 Jahren, ist er Gewerkschaftssekretär: Regie: O-Ton 16 (30s) Aus dem Estrel kommen Kollegen in erster Linie damit, dass dort die Arbeitszeiten durchaus auch über der Norm liegen, die kommen damit, dass der Betrieb eben nicht tarifgebunden ist, dass er zwar für sich selbst behauptet, er wendet den Tarifvertrag an, aber eben nur in den Teilen, wie er es gerne hätte, ja. Und alle Versuche, dort mit dem Arbeitgeber eine Regelung hinzubekommen, dass er sich eben an den ortsüblichen Tarifvertrag hält, sind in der Vergangenheit gescheitert. Regie: Atmo 12 Blättern (20s) Autorin: Riesner blättert in einem dünnen Klippordner, die aktuelle Tariftabelle für das Hotel- und Gastgewerbe. In Berlin bekommt ein Koch-Azubi 515 Euro im ersten, 605 im zweiten und 715 im dritten Jahr. In manchen Ost-Bundesländern beginnen die Sätze sogar erst bei 338 Euro monatlich. Regie: O-Ton 17 (28s) Im Schnitt sind die Ausbildungsvergütung im Hotel- und Gastgewerbe mindestens 20-30 Prozent unter anderen Ausbildungsvergütungen. An der Spitze stehen natürlich Ausbildungsvergütung so etwas wie der Gerüstbauer, der in der Ausbildung über 1000 Euro liegt. Autorin: Er klappt den Ordner zu, lässt sich auf die Lehne des Bürostuhls zurückfallen. Riesner sieht nicht sehr zuversichtlich aus. Glaubt nicht, dass die Gewerkschaft viel ändern kann. (Regie: Atmo 13 Telefon läuten, er spricht (insg. 1:20s) Riesner? ja.. ) Zu oft hört er am Telefon von Kollegen, die auch viele Jahre nach der Ausbildung nur 3 Euro die Stunde verdienen ? oder nur schwarz arbeiten können: Regie:O-Ton 18 (22s) Wir haben mittlerweile auch Kollegen, die sagen, ich kann nicht mehr. Ich will auch nicht mehr unter solchen Bedingungen arbeiten, egal, wo ich hinkomme, mir wird immer nur Schwarzarbeit angeboten. Wir nennen das immer BAT, Bar auf die Tatze. Autorin: Schwarzarbeit ist in der Branche nicht die Ausnahme, sagt er, sondern die Regel. Dadurch werden nicht nur die Löhne gedrückt, Schwarzarbeit untergräbt auch die Macht der Gewerkschaft, weil es vielen attraktiver scheint, unversteuerten Lohn zu bekommen, als für einen Tariflohn zu kämpfen, der versteuert werden muss. Riesner durchsucht sein Email-Postfach. Regie: Atmo 14 Email schauen am Computer (20s) Riesner: Was haben wir noch? Autorin: Ein Azubi der Restaurantkette "Weihenstephaner" beschwert sich, dass er seit Wochen auf sein Geld wartet, ein Bewerber, der im Berliner "Wirtshaus Gatow" kochen will, dass er schwarz arbeiten soll. Regie: O-Ton 19 (15s) Es gibt auch andere, sehr noble Restaurant, in denen die politische Elite dieser Stadt einkehrt und in Hinterzimmern ihre Gespräche führt, in denen wir wissen, dass die Beschäftigten dort Schwarzgeld bekommen. Autorin: Riesner antwortet dem Azubi. In der Signatur jeder Email wirbt die NGG mit dem Logo: ?Kein Lohn unter 8,50 Euro?. Für Riesner wäre ein Mindestlohn auch ein Signal für eine um 200 Euro höhere Ausbildungsvergütung, die gesetzlich bindend sein soll. Doch der Dehoga ? der Branchenverband des Gastgewerbes - wehrt sich gegen einen Mindestlohn. Er befürchtet, dass zu viele Gastrobetriebe dann sterben. Riesner fände es gut, wenn die, die nur durch Lohndumping überleben, schließen. Das Problem geht tiefer. Regie: O-Ton 20 (40s) In dieser Branche muss sich die Mentalität ?Geiz ist geil?, die muss aus den Köpfen raus, das ist uns eingeprägt worden, dass Dienstleistung in dieser Gesellschaft nichts wert ist. Sie wird zu Dumpingpreisen angeboten. Regie: Atmo 15 Restaurant (45s) und Atmo 16 Restaurant und Essen (1:30) Autorin darüber: Im Gasthof "Jungfernmühle" wartet ein schmale junge Frau allein am Tisch. Jennifer hat dunkle Haut, große, mandelförmige Augen, mit Schatten darunter. Gestern hatte sie bis 2 Uhr morgens Schicht. Ihren Nachnamen nennt sie lieber nicht. Regie: Atmo 17 Essen bestellen (10s insg. 45s): Guten Tag, ihre Karte. Bitte schön. Das ist hier unser Tagesgericht heute: Schmorkraut mit Kartoffeln und Knackwurst. (Karte blättern, Besteck klappern) Autorin darüber: Der Gastraum ist rund mit Backsteinwänden, das Restaurant eine alte Mühle. Ein Relikt, inmitten der Hochhaussiedlung von Gropiusstadt ? dem Ortsteil von Berlin-Neukölln, in dem es noch billige Mieten gibt. Auf der Hauptstraße und in den Gropiuspassagen, der Shopping Mall ganz in der Nähe, unterbieten sich Dönerbuden, Asia Snacks und Fast Food Restaurants gegenseitig. Auch die Jungfernmühle wirbt auf der Internetseite damit, dass Gäste sich einen ?Schnitzelgutschein downloaden? können. Jennifer blättert in der Karte, das Mittagsgericht kostet 5,90 Euro, das Schweinesteak mit Kartoffelecken immerhin 13,80 Euro. Es passiert nicht oft, dass sie zu Gast in einem Restaurant sitzt. Regie: O-Ton 21 (15s) Hmm, mir hätte eigentlich die Vorspeise gereicht, Baguettescheibe mit Tomaten-Mozzarella überbacken. Oder die Tomatensuppe, wäre auch gut (lacht). So ein großen Magen habe ich leider nicht. Autorin darüber: Automatisch sucht sie das billigste Gericht. Regie: O-Ton 22 (21s) Ich lebe sehr sparsam, in der Ausbildung war es schlimmer, trotzdem kann man sich im Moment nichts leisten. Ich kann es mir nicht leisten, irgendwie zu Edeka zu gehen oder so und mir da ganz teure Lebensmittel zu kaufen. Oder mal ein Stück Fleisch. Fleisch wird bei mir ganz ganz selten gegessen, man muss auf sehr viel verzichten. Autorin Jennifer ist seit September 2011 ausgelernte Köchin, ihr Luxus ist eine Wohnung hier in Gropiusstadt ? für 500 Euro Miete. Regie: Atmo 18 (21s) Bedienung: So haben sie gewählt? J: Ja, ich nehme die Tomatensuppe, Bed: Eine Tomatensuppe. Sie bleiben nur bei der Suppe dann, oder gucken nochmal später? Darf ich Karten mitnehmen? Ja. Autorin: Zu ihrem Arbeitsplatz, dem Restaurant "Lindengarten", fährt sie 20 Minuten mit dem Fahrrad. Ein Bahnticket ist zu teuer, sagt sie knapp. Sie spricht nur, wenn sie gefragt wird. Aus einer Tasche holt sie ihre Lohnabrechnungen, legt sie auf den Tisch: Sie verdient 740 Euro im Monat, Feiertags- und Wochenendzuschläge sind da schon dabei - laut Vertrag muss sie dafür 170 h arbeiten ? regulär macht das 3 Euro die Stunde. Regie: O-Ton 23 (10s) Ich habe 170 h bezahlt bekommen, weil ich nach Stunden bezahlt werde und alles was drüber liegt, arbeite ich umsonst. Autorin darüber: Sie zeigt den Zettel: 740 Euro. Selbst auf der Abrechnung vom letzten Dezember, in dem sie über 245 Stunden in der Küche steht: 740 Euro. Die Bedienung bringt die Suppe: Regie: Atmo 19 (insg 1:45) Bed: Bitteschön. (Probiert) J: Ich könnte jetzt auch wieder sagen, ich habe schon bessere gegessen? (Essgeräusche) Jennifer probiert sofort, sie kocht gerne, sagt, wie sie die Suppe besser macht: Regie: Atmo 19 wieder hoch : Ich würde Zwiebeln auslassen, Tomaten Würfel rein, Saft abschmecken. Und nicht soviel Petersilie. (Löffeln, Essen, Im Hintergrund: somewhere over the rainbow) Autorin darüber: Im Fernsehen schaut sie manchmal Restauranttester Rach zu und Kochstars wie Tim Raue, Johann Lafer und Sarah Wiener - die wenigen Spitzenköche, die mehr als Anwälte verdienen. Koch ist ein Job mit Aufstiegschancen glaubt sie, als sie anfängt. Sie ist 19, hat Abitur und will eigentlich Biologie studieren, was ihre Eltern aber nicht finanzieren können. Also bewirbt sie sich in der Küche des Hotel "Golden Tulip", ein Designhotel im Zentrum Berlins. Anfangs lernt sie, wie man kalte Platten anrichtet, aber weiter geht es nicht: Regie: O-Ton 24 (15s) Ich wurde nicht weiter ausgebildet, weil die Spülfrau irgendwann entlassen wurde, und ich dann ihren Posten übernommen habe. Und dann hauptsächlich nur noch den Abwasch gemacht habe und nebenbei den Posten, aber weiter beigebracht wurde mir nichts. Autorin: Jennifer löffelt ihre Suppe sehr langsam, spricht dabei leise, ohne vom Teller aufzublicken. Sie beschwert sich nicht, erst als sie keine Mittagspause mehr hat, wendet sie sich ans Personalbüro. Ihr Küchenchef nimmt es ihr übel, behandelt sie noch schlechter. Nach dem ersten Jahr kündigt sie: Regie: O-Ton 25 (12s) Ich habe dann erfahren, dass derjenige, der mich ausbilden sollte, sich gefreut hat, aber im Nachhinein auch gesagt hat, dass sie jetzt gucken müssen, weil jetzt ist ja die Putze weg. Autorin: Kündigt ein Azubi während der Lehrzeit, zählt das als Abbruch. Jennifer will ihre Ausbilsung aber beenden, ein Freund hilft ihr, ein Restaurant zu finden, das sie im zweiten Lehrjahr übernimmt. Das "Weihenstephaner", ein bayerisches Wirtshaus am Hackeschen Markt in Berlin, ? in dem sehr viele Reisegruppen und Touristen ihr Geld lassen. Sie lernt viel, sagt sie, nur kommen ihre 540 Euro Lohn regelmäßig zwei Monate zu spät: Regie: O-Ton 26 (20s) Ja der Vermieter hat schon gemahnt in der Zeit, und ich habe meinem Arbeitgeber das Schreiben gezeigt, dass die drohen mit Rauswurf aus der Wohnung und er hat mich ganz entsetzt angeguckt, wie wenn ich ihn um 1000 Euro extra gefragt hätte, obwohl ich nur das Geld haben wollte, was mir zusteht. Und er ja dafür noch Zinsen bekommt, weil er es zurückhält. Autorin: Die Verzögerungen haben System. Auch die anderen Kollegen leiden darunter. Jennifer hält durch, weil sie nicht wieder kündigen will. Aber sie geht zur Gewerkschaft, viele Kollegen in der Küche meiden sie daraufhin. Regie: O-Ton 27 (13s) Es gab ein paar, die zu mir gehalten haben, die es aber auch nur geheim gemacht haben und es vor den anderen nicht zugegeben wollten, weil der Großteil es halt nicht gut fand. Autorin: Trotzdem beendet sie ihre Ausbildung, bewirbt sich dann im "Lindengarten", wo sie jetzt arbeitet. Die Gewerkschaft rät ihr bei der Bewerbung, nichts von der Mitgliedschaft zu erzählen. Jetzt weiß ihr Chef es aber, denn die Gewerkschaft hat ihn verklagt: wegen der drei Euro Stundenlohn. Sie liegen weit mehr als 30 Prozent unter dem Tariflohn. Dies ist als Lohnwucher sogar rechtswidrig. Bisher hat ihr Chef nicht reagiert. Vermutlich muss Jennifer sich jetzt wieder eine neue Stelle suchen. Irgendwie sagt sie, und löffelt ihre Suppe aus, hat sie genug. Sie denkt über ein Studium nach, vielleicht Ernährungswissenschaften. Sie will Bafög beantragen und müsste nebenher noch jobben. Vermutlich schwarz, natürlich in der Gastronomie. 1