COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur KULTUR UND GESELLSCHAFT Reihe: LITERATUR 19.30 Autorin: Carola Wiemers Sendung: Literatur Sendedatum: 2.7.2013 Zwischen Liebesglut und Feuerschlünden Reale und symbolische Feuer in der Poesie Redaktion: Sigried Wesener Erzählerin: Sprecher: Sprecherin: Musik: Hannes Wader: "Kein Feuer, keine Kohle" "Kein Feuer, keine Kohle Kann brennen so heiß, Als heimlich stille Liebe Von der niemand nichts weiß." Ingeborg Bachmann: "Lieder von einer Insel" "Es ist Feuer unter der Erde, und das Feuer ist rein. Es ist Feuer unter der Erde Und flüssiger Stein. Es ist ein Strom unter der Erde, der strömt in uns ein. Musik: Hannes Wader: "Kein Feuer, keine Kohle" "Keine Rose, keine Nelke Kann blühen so schön, Als wenn zwei verliebte Herzen Bei einander tun stehn." Ingeborg Bachmann: "Lieder von einer Insel" "Es kommt ein großes Feuer, es kommt ein Strom über die Erde. Wir werden Zeugen sein." Sprecher: Eduard Mörike "Der Feuerreiter" "Sehet ihr am Fensterlein Dort die rote Mütze wieder? Nicht geheuer muß es sein, Denn er geht schon auf und nieder. Und auf einmal welch Gewühle Bei der Brücke, nach dem Feld! Horch! das Feuerglöcklein gellt:..." Klingeln einer Feuerglocke Sprecher: Eduard Mörike "Der Feuerreiter" "Schaut! da sprengt er wütend schier Durch das Tor, der Feuerreiter, Auf dem rippendürren Tier, Als auf einer Feuerleiter! Querfeldein! Durch Qualm und Schwüle Rennt er schon und ist am Ort! Drüben schallt es fort und fort: Hinterm Berg, Hinterm Berg, Brennt es in der Mühle! Keine Stunde hielt es an, Bis die Mühle borst in Trümmer; Doch den kecken Reitersmann Sah man von der Stunde nimmer." Musik: G. F. Händel: Music for the Royal Fireworks, Ouvertüre: Adagio-Allegro- Lentement-Allegro Erzählerin In einer Vulkanlandschaft sitzt eine muskulöse männliche Gestalt. Um sein Haupt wölbt sich ein zackiger Strahlenkranz, mächtig wie ein Heiligenschein. Wie Spielzeug hält er in seinen Händen gigantische Blitze. Vögel stürzen vom Himmel, Feuer speiende Drachen tummeln sich am Bildrand. Aus Kratern quillt heißer Lavastrom. Die Szenerie gleicht einer Apokalypse. Doch die an Prometheus erinnernde Gestalt scheint alles unter Kontrolle zu haben: vom Vulkanausbruch bis zum Salamander, jenem Elementarwesen, das stets dort ist, wo Feuer und Blitz herrschen. Umrahmt ist Nicolaus de Bruyns Kupferstich aus dem 17. Jahrhundert von den Attributen des Elements Feuer. Öfen erinnern an das Handwerk des Hephaistos, dem Gott des Feuers und der Schmiedekunst. Mit seinen Gesellen, den Cyklopen, fertigte er die Attribute der Götter und die Waffen der Heroen. Das Schild des Helden Achilles, aber auch die Eisenkette, mit der Prometheus an den Kaukasus gefesselt wurde, nachdem er den Menschen das Feuer gebracht hatte, stammt aus Hephaistos Werkstatt. Ohne die Schmiedekunst gäbe es kein metallisches Gerät, keine Kriegswaffen, aber auch keine Zivilisation. So stehen der enorme Reichtum des Elements und seine ambivalente Kraft seit Menschengedenken in einem konfliktreichen Wechselspiel. Musik: Hannes Wader "Setz' du mir einen Spiegel Ins Herz hinein, Daß du kannst darinnen sehen, Wie so treu ich es mein'." Erzählerin Feuer ist real und "zutiefst innerlich", schreibt der französische Philosoph Gaston Bachelard 1938 in der "Psychoanalyse des Feuers". Es lodert im Herd, leuchtet am fernen Horizont und entflammt in unserem Inneren. Warum das Feuer aber als einziges der vier Elemente lange Zeit von einer Mythenbildung ausgeschlossen war, ist für den Physiker und Philosophen Rudolf Treumann ein vielschichtiges Phänomen. Sprecher "Die hebräischen Mythen bestätigen es im Zusammenhang mit dem Auftreten Jehovas, der im brennenden Busch erscheint; doch das Feuer ist kalt: Es tut dem Busch keinen Schaden. Ebenso kalt ist das Feuer des Regenbogens, den Jehova zum Zeichen des Bundes an den Himmel heftet. Heiß wird es dort, wo Gott vernichtet: in Sodom und Gomorrha, doch hat es dann zur Schöpfung keinen Bezug." Erzählerin Außerdem war das Feuer, schreibt der Physiker und Philosoph, keine Sache des Mannes, es war Herrschaftszeichen der Frau. In der matrilinearen Gemeinschaft wachte sie über das Herdfeuer - war soziale wie politische Macht. Sprecher "Weil, wie die griechischen Mythen belegen, das ausgedehnte mythische Zeitalter einerseits mit der Epoche der Bewusstwerdung des Menschen, andererseits mit dem Übergang vom Matriarchat zum Patriarchat zusammenfiel, war es der aufkommenden Männerherrschaft unmöglich, das Symbol der Matrilinearität zu ihrem Fundament zu erheben." Erzählerin Prometheus - Sohn des Titanen Iapetos - raubte Gott Zeus das Feuer, um es den Menschen zu bringen. Der griechische Dichter Hesiod beschreibt in seinem epischen Lehrgedicht "Werke und Tage", dass Prometheus das Feuer in dem ausgehöhlten Stengel eines Riesenfenchels versteckte, damit Zeus es, der sich gerade an dem Schauspiel einiger Blitze ergötzte, nicht sehen konnte. Mit dieser Tat beginnt die Mythisierung des Elements und beeinflusst seitdem die Sprache, Kultur - und die Poesie. Es hat mehr Denk- und Schreibbewegungen provoziert als die Elemente Wasser, Erde, Luft. Denn es ist seine Unfassbarkeit und Ambivalenz, die Dichter wie Friedrich Schiller und Annette von Droste-Hülshoff, Friedrich Nietzsche, Georg Trakl und Ingeborg Bachmann, Peter Huchel und Bertolt Brecht fasziniert. Als inneres Brennen, Unrast oder schmerzhafter Drang nach Erkenntnis fühlen sie sich gerade von jenem sublimierten Feuer angezogen, das unsichtbar brennt. Sprecher: Friedrich Nietzsche "Ecce homo" "Ja! Ich weiß, woher ich stamme! Ungesättigt gleich der Flamme Glühe und verzehr ich mich. Licht wird alles, was ich fasse, Kohle alles, was ich lasse: Flamme bin ich sicherlich." Erzählerin "Ecce homo": Friedrich Nietzsche beschwört die glühende Präsenz eines denkenden, reflektierenden Ich. Egomanisch zelebriert er das Element als einen Stoff, aus dem er selbst beschaffen ist. Eros und Thanatos vollführen dabei einen geheimnisvollen Totentanz. Der Philosoph vergleicht sich mit einem Feuerwesen, das sich glühend der Vernichtung preisgibt. Erst der innere Feuerkern macht ihn zu einem Wesen, das denkt und fühlt. Rudolf Treumann spricht deshalb auch vom "symbolischen Diebstahl" des Prometheus. Sprecher "Sobald dies geschieht, fesselt das Feuer Sinne und philosophische Phantasie, schwingt sich empor zum dominierenden Element einer langen Epoche, die in der Leidenschaft, weniger im Wissen gründet." Musik: Robert Schumann "Kinderszenen", Nr. 7, "Träumerei" Erzählerin Die Träumerei vor flackernden Holzscheiten oder vor einem wärmenden Kamin gilt als Inbegriff der Kontemplation. In der Aura des Feuerscheins entsteht eine besondere Form der Geselligkeit, von der nach seinem Erlöschen oft nur Traumhaftes zurückbleibt. Viele Gedichte und Lieder haben ihren Ursprung in diesem entrückten Dasein. Sprecher "Man wird der Wohltat des Feuers nur inne, wenn man die Ellbogen auf die Knie aufstützt und den Kopf in die Hände legt." Erzählerin Eine Philosophie der Ruhe sieht Gaston Bachelard in dieser Körperbewegung. Sprecher "Diese Haltung ist uralt. Das Kind nimmt sie am Feuer ganz von selbst ein. Und nicht umsonst ist sie die Haltung des Denkers." Erzählerin Bachelard, der 1884 in Bar-sur-Aube in der Champagne geboren wurde, erinnert sich an den schwarzen Herdkessel der Kindheit, wo die Mutter unter der Asche ein frisches Ei für ihn kochte. Sprecher "Das Ei war gekocht, wenn ein Wasser- oder oft auch ein Speicheltropfen auf der Schale verdampfte." Erzählerin Der schwarze Herdkessel der Kindheit steht damit für eine friedvolle wie glückliche Handhabung des Feuers. Musik: Robert Schumann "Kinderszenen", Nr. 7, "Träumerei" Erzählerin Die kunstvolle Fähigkeit, im Feuer Eisen und Metalle zu schmieden, inspiriert auch die Dichtkunst und Malerei. Adolph Menzel stellt mit seinem "Eisenwalzwerk" von 1875 die neuen arbeitstechnischen Vorgänge detailliert dar. Sein Vorbild ist die mit Dampfkraft betriebene Königshütte in Schlesien. Das Gemälde wurde auch "Moderne Cyclopen" genannt. Die Gehilfen des Schmiedegottes Hephaistos sollen noch einmal einen Brückenschlag zwischen der Unberechenbarkeit des Elements und seiner durch Menschenhand domestizierten Kraft vollführen. Denn die Industrialisierung bedeutet auch eine Entfremdung von den ursprünglichen Erklärungsmustern, mit denen die Angst vor den Elementen jahrhundertelang gebannt wurde. Annette von Droste-Hülshoff bringt 1844 ihre Faszination über das Schmiedehandwerk in der Ambivalenz von Schönheit und Schrecken zum Ausdruck. Im Gedicht "Feuer" aus dem Zyklus "Die Elemente" wird die Arbeit eines Hammerschmieds beobachtet. Sprecherin: Annette von Droste-Hülshoff "Die Elemente. Feuer" "Was blitzt dort auf? - ein roter Stern - Nun scheint es nah, nun wieder fern; Schau! wie es zuckt und zuckt und schweift, Wie's ringelnd gleich der Schlange pfeift. Nun am Gemäuer klimmt es auf, Unwillig wirft's die Asch' hinauf, Und wirbelnd überm Dach hervor Die Funkensäule steigt empor." Erzählerin Im staunenden Blick des Beobachters wirken die unruhig zuckenden Lichteffekte wie Irrlichter von Dämonen. Mit ihnen ist die Gefahr angedeutet, sollte die aufsteigende "Feuersäule" außer Kontrolle geraten. Droste-Hülshoff zoomt die Szenerie ganz nah heran. Der Schmied wird dabei zum "Kerkermeister". Sein Gesicht leuchtet bleich und kalt. Er gerät zu einer Karikatur "listiger Gewalt". Indem er das Element einsperrt, scheint er gottlos zu handeln. So wird das Handwerk im Gedicht aus einer verfremdenden Perspektive wahrgenommen. Elementare und menschliche Kraft treten als Gegenspieler auf. Eine Stimme erhält in Droste-Hülshoffs Gedicht allein das Element. Sprecherin: Annette von Droste-Hülshoff "O, hätt' ich dich, o könnte ich Mit meinen Klauen fassen dich! Ich lehrte dich den Unterschied Von dir zu Elementes Zier, An deinem morschen, staub'gen Glied, Du ruchlos Menschentier!" Musik: Max Bruch "Das Lied von der Glocke", op.45 Erzählerin Für die Kunst des Glockengießens begeisterte sich Friedrich Schiller bereits als Schüler. Ab 1788 besuchte er immer wieder die Gießerei in Rudolstadt und berichtet dem befreundeten Goethe von seiner Arbeit an einem "Glockengießerlied". Schiller studierte sogar Johann Georg Krünitz' "Oeconomische Enzyclopädie", um die komplizierten Arbeitsabläufe sprachlich exakt darstellen zu können. 1799 schließlich erschien sein "Lied von der Glocke" im Musenalmanach. Gert Westphal: Friedrich Schiller "Das Lied von der Glocke" "Wohltätig ist des Feuers Macht,? Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht,? Und was er bildet, was er schafft,? Das dankt er dieser Himmelskraft.? Doch furchtbar wird die Himmelskraft, Wenn sie der Fessel sich entrafft,? Einhertritt auf der eignen Spur,? Die freie Tochter der Natur.? Wehe, wenn sie losgelassen,? Wachsend ohne Widerstand,? Durch die volkbelebten Gassen? Wälzt den ungeheuren Brand!? Denn die Elemente hassen? Das Gebild der Menschenhand." Erzählerin "Das Lied von der Glocke" gehört zu den bekanntesten Gedichten Schillers. Es war lange Zeit ein fester Bestandteil des Kanons. Dabei wurde das mit Sinn und Pathos zum Teil stark überfrachtete Gedicht schon bei seinem Erscheinen belächelt. Sprecherin "Über ein Gedicht von Schiller, "Das Lied von der Glocke", sind wir gestern fast von den Stühlen gefallen vor Lachen." Erzählerin Schreibt Caroline Schlegel 1799 an ihre Tochter. Wilhelm von Humboldt bezeichnet Schillers "Glockenlied" zwar als geniale Produktion, die ihn tief berührt habe, - doch provozierte es immer wieder Parodien und sogar Kalauer. Der Satiriker Alexander Moszkowski nimmt sich im "Lied vom Glockenklöppel" Zeit für eine feinsinnige Fehleranalyse. Alexander Moszkowski/Hans Korte "Als er kam zu dieser Stelle: ,Friede sei ihr erst Geläut', äußerte der Altgeselle: ,Meister, ihr seid zu zerstreut'. Fertig glaubtet ihr, wär die Glocke hier, Und da habt ihr unterdessen, ja den Klöppel ganz vergessen (...) Gefährlich ist's den Leu zu wecken, verderblich ist des Nashorns Stoß, Jedoch das Schrecklichste der Schrecken, Das ist die Glocke klöppellos." Erzählerin Während dem Dramatiker Heiner Müller die Glocke wie eine "Bibel des Kleinbürgers" erschien, denn der Klassiker habe darin wohl vor allem seine Gedanken über die deutsche Mentalität versteckt, reagierte der im Exil lebende Bertolt Brecht 1938 mit einem Sonett auf Friedrich Schillers klingende Lebensphilosophie. Bertolt Brecht: "Über Schillers Gedicht ,Die Glocke'" Sprecher "Ich les, daß Feuer eine Wohltat ist Solang der Mensch es zähmet und bewacht Daß es ihn aber, ungezügelt, frißt. Ich frage mich: an was hat er gedacht? Was ist es, das er euch zu zähmen bittet? Dies Element, das er so nützlich nennt Gesittung fördernd, selber nicht gesittet - Was für ein Element ist wohl dies Element? Dies Feuer, diese Tochter der Natur Die, ihrer Zügel los, durch eure Gassen wandelt Mit roter Mütze auf, wer ist das nur? Das ist nicht mehr die gute alte Magd! Ihr habt wohl die Person zu mild behandelt? Ich seh, sie hat euch nach dem Lohn gefragt." Musik: G. F. Händel: Music for the Royal Fireworks, La Paix: Largo alla Siciliana Erzählerin Wo Rauch aufsteigt, ist Leben: Bertolt Brechts "Buckower Elegie" - "Der Rauch". Sprecher: Bertolt Brecht "Der Rauch Das kleine Haus unter Bäumen am See Vom Dach steigt Rauch Fehlte er Wie trostlos dann wären Haus, Bäume und See." Erzählerin Wo Rauch aufsteigt, ist Tod: Peter Huchels Gedicht "Die Engel". Peter Huchel: "Die Engel" "Ein Rauch, ein Schatten steht auf, geht durch das Zimmer, wo eine Greisin, den Gänseflügel in schwacher Hand, den Sims des Ofens fegt. Ein Feuer brennt. Gedenke meiner, flüstert der Staub. Novembernebel, Regen, Regen und Katzenschlaf. Der Himmel schwarz und schlammig über dem Fluß. Aus klaffender Leere fließt die Zeit, fließt über die Flossen und Kiemen der Fische und über die eisigen Augen der Engel, die niederfahren hinter der dünnen Dämmerung, mit rußigen Schwingen zu den Töchtern Kains. Ein Rauch, ein Schatten steht auf, geht durch das Zimmer. Ein Feuer brennt. Gedenke meiner, flüstert der Staub." Erzählerin Mit Symbolen des Feuers werden zu allen Zeiten Herrschafts- und Machtverhältnisse bekräftigt und zelebriert. Von seinem Reichtum und der ambivalenten Kraft scheint dabei nichts übrigzubleiben und es dominieren Zerstörung und Vernichtung. Sprecher: Georg Trakl "Menschheit" "Menschheit vor Feuerschlünden aufgestellt, Ein Trommelwirbel, dunkler Krieger Stirnen, Schritte durch Blutnebel; schwarzes Eisen schellt, Verzweiflung, Nacht in traurigen Gehirnen: Hier Evas Schatten, Jagd und rotes Geld. Gewölk, das Licht durchbricht, das Abendmahl. Es wohnt in Brot und Wein ein sanftes Schweigen Und jene sind versammelt zwölf an Zahl. Nachts schrein im Schlaf sie unter Ölbaumzweigen; Sankt Thomas taucht die Hand ins Wundenmal." Erzählerin Georg Trakls Gedicht "Menschheit" entstand 1912 und nimmt den "Trommelwirbel" des Ersten Weltkriegs vorweg. Dunkle Krieger, die zwölf Apostel und der ungläubige Thomas, dessen Hand in die Wunde von Jesus Christus fasst - sie bilden die widersprüchliche Einheit eines brennenden Wundschmerzes. Georg Trakl starb 27jährig an den "Feuerschlünden", die er in der Schlacht bei Gródek erlebte. Doch nicht im Feuersturm. Als Militärapotheker versuchte er in der "Todesgrube von Galizien" Menschenleben zu retten, und verfiel angesichts verbrannter und verstümmelter Körper dem Wahnsinn. Vom zerstörerischen Brand der Apokalypse - und wie er im Inneren wütet, spricht er in "Grodek", seinem letztem Gedicht. Sprecher: Georg Trakl "Grodek" "Am Abend tönen die herbstlichen Wälder Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen Und blauen Seen, darüber die Sonne Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht Sterbende Krieger, die wilde Klage Ihrer zerbrochenen Münder. Doch stille sammelt im Weidengrund Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt Das vergoßne Blut sich, mondne Kühle; Alle Straßen münden in schwarze Verwesung. Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain, Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter; Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes. O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre, Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz, Die ungebornen Enkel." Erzählerin Je finsterer die Zeiten, umso mehr wird das Element mit symbolischer Bedeutung aufgeladen. Dabei spannt sich ein Bogen von der Dunkelheit des Mittelalters, dessen vom Feuer erzeugte Lichtpunkte martialisch anmuten, bis zu den Fackelzügen der Nationalsozialisten. Am Abend des 10. Mai 1933 brennen in ganz Deutschland Scheiterhaufen, um die Werke jüdischer, marxistischer und pazifistischer Autoren in die lodernden Flammen zu werfen. Feuersprüche sollen den Sieg "wider den undeutschen Geist" verkünden. Auf dem Opernplatz in Berlin beendet der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels seine Rede mit dem Satz: Sprecher "Das Alte liegt in den Flammen, das Neue wird aus der Flamme unseres eigenen Herzens wieder emporsteigen!" Musik: "Hiroshima" Erzählerin Günter Kunert: "Der Schatten" Sprecher: Günter Kunert "Der Schatten" "In Hiroshima zeigt man einen Brückenbogen, Daran der Schatten eines Menschen ist. Der diesen Schatten warf, der fehlt, und wißt: Seitdem die Überbombe kam geflogen." Erzählerin Während die Feuerschlünde des Krieges in Europa allmählich erkalten, wütet in Japan ein anderes Inferno. Am 6. und 9. August 1945 brechen über Hiroshima und Nagasaki bislang ungekannte Höllenfeuer herein. Der amerikanische Präsident Harry S. Truman hatte den Abwurf der Atombombe angeordnet. Die Glut im Inneren des Feuerballs beträgt über eine Million Grad Celsius. Noch zehn Kilometer entfernte Bäume gehen in Flammen auf. Sprecher: Günter Kunert "Der Schatten" "Doch wer der Unbekannte einmal war, Weiß keiner, denn in seiner Todesstunde Starb ebenfalls die Stadt mit Haut und Haar. Daß nicht gleich ihm wir gehen so zugrunde, Spricht uns sein stummer Schatten von Gefahr: Wir sind das Fleisch. Er ist die offne Wunde." Musik: "Hiroshima" Ingeborg Bachmann: Lieder von einer Insel Hans Werner Henze: "Lieder von einer Insel", Track 5 "Es ist Feuer unter der Erde, und das Feuer ist rein. Es ist Feuer unter der Erde Und flüssiger Stein." Erzählerin Der Vesuv am Golf von Neapel ist ein aktiver Vulkan. Plinius der Ältere hatte 79 vor Christus seinen Ausbruch erstmals beobachtet und detailliert beschrieben. Er selbst kam bei einer Rettungsaktion ums Leben. Seitdem herrscht eine Urangst, der 800- 1200 Grad heiße Lavastrom könnte erneut ausbrechen. Während der Vesuv in der Barockliteratur noch als feuriger Liebhaber gefeiert wird, der aus Liebe glüht, straft ihn Johann Wolfgang von Goethe als "häßliches Ungethüm" ab. Vielleicht glaubt er, seine zerstörerische Macht wenigstens im Wort bannen zu können. In einem fast zärtlichen Ton beschwört Ingeborg Bachmann im Zyklus "Lieder von einer Insel" von 1954 die Elemente. Ingeborg Bachmann: "Lieder von einer Insel" "Schattenfrüchte fallen von den Wänden, Mondlicht tüncht das Haus, und Asche Erkalteter Krater trägt der Meerwind herein." Erzählerin Ingeborg Bachmanns Lieder bewegen sich zwischen Volksglauben und aufgeklärtem Denken. Auch sie vertraut auf die erlösende wie bannende Kraft der Worte. Als die Dichterin Anfang der 1950er Jahre nach Italien kommt, ist sie von den Bußprozessionen fasziniert, die alljährlich abgehalten werden. Mit ihnen soll das als "höllisches Straffeuer" verstandene Weltgericht, das auch dem Vesuv zugeordnet wird, beschwichtigt werden. Verschiedene katholische Heilige werden angerufen, damit sie die Menschen vor den Naturgewalten schützen. Ingeborg Bachmann fordert die Schutzheiligen auf, die Wahrheit zu verkünden. Ingeborg Bachmann: "Lieder von einer Insel" "Jetzt seid standhaft, törichte Heilige, sagt dem Festland, daß die Krater nicht ruhn! Heiliger Rochus, der du gelitten hast, o der du gelitten hast, heiliger Franz." "Es ist ein Strom unter der Erde, der strömt in uns ein. Es ist ein Strom unter der Erde, der sengt das Gebein. Es kommt ein großes Feuer, es kommt ein Strom über die Erde. Wir werden Zeugen sein." Musik: Hans Werner Henze "Lieder von einer Insel", Track 5 Erzählerin Zum Inbegriff des Begehrens - zu einem poetischen Feuerkern - wird der Salamander in Ingeborg Bachmanns Gedicht "Erklär mir, Liebe". Als Elementarwesen lebt der Salamander vom Feuer und es heißt, er soll sich in ihm sogar verjüngen. Er gilt als Sinnbild des Elements. Seine Hitzeresistenz, die Gott ähnliche Züge trägt, schließt in Ingeborg Bachmanns Gedicht Geist und Körper gleichermaßen ein. Wie der Salamander vermag allein das lyrische Ich die Feuerwelt zu bewohnen, anderen bleibt dieser Zutritt verwehrt. Die Dimension des Schmerzes ist zwar unermesslich. Doch sie ist notwendig, um die Einsamkeit und Exklusivität des dichtenden Ich erkennbar zu machen. Ingeborg Bachmann: "Erklär mir, Liebe" "Erklär mir, Liebe, was ich nicht erklären kann: sollt ich die kurze, schauerliche Zeit nur mit Gedanken Umgang haben und allein nicht Liebes kennen und nichts Liebes tun? Muss einer denken? Wird er nicht vermisst? Du sagst: Es zählt ein andrer Geist auf ihn... Erklär mir nichts. Ich seh den Salamander durch jedes Feuer gehen. Kein Schauer jagt ihn und es schmerzt ihn nichts." Sprecher "Nur wer brennt, kann andere entzünden." Erzählerin Sagt der Kirchenvater Augustinus. Doch schon das Bewusstsein darüber zu brennen, bedeutet Abkühlung, sagt Gaston Bachelard. Sprecher "Eine Intensität fühlen heißt sie vermindern: man muss Intensität sein, ohne es zu wissen. Dies ist das bittere Gesetz des handelnden Menschen." Sprecher: Friedrich Nietzsche "Ecce homo" "Ja! Ich weiß, woher ich stamme! Ungesättigt gleich der Flamme Glühe und verzehr ich mich. Musik: G. F. Händel: Music for the Royal Fireworks, Ouvertüre: Adagio-Allegro- Lentement-Allegro 10 1