COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 9. Februar 2009, 19.30 Uhr Bau mir ein Schloss Wollen Bürger historische Gebäude wiederhaben? Von Adolf Stock unter Musik: Spr. vom Dienst Bau mir ein Schloss Wollen Bürger historische Gebäude wiederhaben? Von Adolf Stock Sprecher Die Bürger sind unzufrieden. Sie gehen durch ihre Städte und blicken auf viel Beton. Musik weg Sprecherin Deutsche Städte, die nach dem Krieg wieder aufgebaut wurden, sind eine Katastrophe fürs Gemüt. Statt schäbiger Beton-Tristesse und gläserner Hightech-Architektur wünschen sich viele Bewohner ein unverwechselbares Stadtbild, so wie es früher war, oder sagen wir besser, wie es früher hätte gewesen sein können. Sie möchten rekonstruierte Häuser und Viertel, die die Zerstörung durch Krieg und Abriss vergessen lassen. Dabei müssen es gar nicht sorgfältig rekonstruierte Nachbauten sein, vielen genügt schon eine wieder aufgebaute alte Fassade. Der Frankfurter Architekt Christoph Mäckler. Take 1 (Christoph Mäckler) Der Wunsch nach Rekonstruktion kommt einfach daher, dass die Bevölkerung nicht in der Lage ist, zu sagen, wie sie es denn eigentlich haben will. Also schaut sie zurück und sagt, hier geht in die alten Städte und seht wie schön es da ist, und warum können wir nicht die alten Städte weiterbauen. Wenn ihr Architekten, wenn ihr Planer nicht in der Lage seid, uns Stadträume zu schaffen, in denen wir uns wohlfühlen, dann bauen wir doch eben die alten Städte auf. Das ist eine ganz klare Reaktion, und das ist natürlich im Grunde genommen für den Berufsstand der Planer eine Katastrophe. Sprecher Haben Architekten und Stadtplaner auf breiter Front versagt? Wird ihnen nun die Rechnung präsentiert? Uwe Altrock, Stadt- und Regionalplaner aus Kassel, erforscht, unter welchen sozialen Bedingungen sich der Wunsch nach einem historischen Stadtbild entfalten kann. Take 2 (Uwe Altrock) Das Interessante ist, dass heute von einer Rekonstruktionswelle gesprochen wird, und man das Gefühl hat, man hat Probleme analysiert, dass beispielsweise moderne Architektur nicht schön ist, und dann macht man sich auf die Suche nach Lösungsalternativen, und dadurch werden dann Rekonstruktionsideen geboren. Nein! Altstadtfreunde kämpfen seit Jahrzehn- ten teilweise in unterschiedlichen Städten für Rekonstruktion, haben aber keine Chance, weil das Umfeld nicht reif ist, weil gar keine Probleme erkannt werden, auf die eben Rekonstruktionen passen. Und erst in letzter Zeit ist gewissermaßen das Feld bereitet, und diese Rekonstruktionsüberlegungen, die im Raum schwebenden Lösungsalternativen für die Weiterentwicklung städtischer Räume kommen zum Tragen. Sprecherin Beispiel Frankfurt, hier soll ein ganzes Viertel zwischen Dom und Römer rekonstruiert werden, an einem Ort, wo heute noch ein maßstabsloser Betonbau aus den 70er Jahren steht, der von der Stadt Frankfurt als Technisches Rathaus genutzt wird. Ein Bau, der abgerissen werden müsste, bevor die Häuser auf dem historischen Römerberg rekonstruiert werden könnten. Der hessische Landeskonservator Gerd Weiss. Take 3 (Gerd Weiss) Das ist ja eigentlich das Spannende, dass eine Stadt wie Frankfurt, die wie keine andere deutsche Großstadt ja als Mainhatten sich mit moderner Architektur einen Namen gemacht hat und im Grunde für moderne Architektur steht, jetzt auf einmal eben doch wieder dieses Wohlfühlverlangen entwickelt und im Grunde sich die "Gute Stube" wieder zurückholen will, zum Wohlfühlen, wo schon deutlich wird die Frage: Ist eben tatsächlich das, was wir heute unter Rekonstruktion dann verstehen oder unter dem Oberbegriff ,Stadtreparatur' verstehen, die Architektur der Moderne? Musik Sprecher Ein trüber Novembertag, nur wenige Passanten sind auf dem Frankfurter Römerberg: Ein paar Japaner mit Kamera, ein Mann mit Schlips und Aktentasche und eine junge Frau mit Rucksack, die vor dem Technischen Rathaus steht. Was hält sie von den Plänen der Stadt? Take 4 Ich kann mir vorstellen, Frankfurt war mal sehr schön. Ja ich weiß nicht, wie ehrlich man sozusagen, was ehrlich ist, also wie man mit Architektur umgeht. Also die Römerzeile ist ja auch rekonstruiert, ist auch eine potemkinsche Zeile. Ich kann gut damit leben. Sprecherin Peter Cachola Schmal ist Direktor des Deutschen Architektur Museums in Frankfurt am Main. Von seinem Büro blickt er auf die Skyline von Mainhatten. Er hält die Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt auch für ein Luxusproblem. Take 5 (Peter Cachola Schmal) Frankfurts Innenstadt sah früher sehr romantisch, sehr eng und sehr europäisch aus, was es nicht mehr ist. Und diesen Verlust können wir mit keinem Geld der Welt wieder herstellen. Wir können nicht alles ungeschehen machen. Und das, was man in den 50ern und 60ern hingestellt hat, mit anderen Maximen, ist heute auch schwer in Bedrängnis geraten. Die Siebziger und Achtziger sind die nächsten, die fallen werden. Wir sind so reich, dass wir uns das leisten können. Zum Beispiel eine beliebte Einkaufsstraße vom Verkehr zu befreien, zu einer Fußgängerzone umzumodeln, die dann nach zwanzig Jahren aufgrund der Verluste der Ladenbesitzer wiederum zu einer halbbefahrenen Straße umbauen, um sie dann fünf Jahre später das noch einmal zu ändern. Das heißt, wir schaffen es, ein Stück öffentlichen Raum in 40 Jahren drei- oder viermal zu überformen. Das muss man sich mal vorstellen. Das ist nirgendwo anders möglich. Und das liegt daran, dass wir finanziell gut ausgestattet sind und andauernd unsere Geschichte neu überschreiben können. Sprecher Verhalten wir uns wie Krethi und Plethi, die alle paar Jahre ihre Sessel und die Schrankwand auswechseln müssen, nur um up to date zu sein? Anstatt solide Möbel zu kaufen, die es Wert sein könnten, an die nächste Generation vererbt zu werden? Eins steht jedenfalls fest: Das Technische Rathaus auf dem Römerberg ist aus der Mode gekommen. Take 6 Das hat erst einmal viel Geld gekostet, jetzt kostet es wieder viel Geld, aber das ist eine Schande für Frankfurt, das muss weg, ganz egal wie viel Geld es kostet. Ich meine; nach den Krieg hat man natürlich so gebaut teilweise, aber jetzt passt es doch weder in die Zeit noch in die Umgebung rein, bin ich der Meinung. Klar, das ist so, wie so Elefantenfüße hier in die Altstadt hier rein geklatscht worden, und das entspricht einfach nicht mehr unserer Zeit und auch nicht mehr dem Zeitgeist. Dass ich das schon immer scheußlich fand, und dass das nie hierher gehört hätte, das möchte ich sagen. Und dass ich mich freue, wenn es weg ist. Ich wünsche, dass es so schnell wie möglich wegkommt. Musik Sprecherin Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es den Wunsch, die zerstörten Städte historisch wieder aufzubauen, so wie es in Münster oder in München geschah, doch wer wollte nach dem Hitler-Inferno schon ernsthaft nach hinten schauen? Verdrängung und Wirtschaftswunder prägten den Wiederaufbau. Der Architekturhistoriker Winfried Nerdinger schreibt in einem Essay über den Wiederaufbau in Bayern: Zitator Der Wunsch nach Rekonstruktion war angesichts der zerstörten Städte bei der Mehrzahl der Deutschen ungeheuer groß. Nur ein ganz kleiner Teil der Architektenschaft unterstützte jedoch die Bemühungen, die auch als Versuche abgetan wurden, mit der Rekonstruktion die durch die NS-Zeit verschuldete Zerstörung verdrängen oder aufheben zu wollen. Die überwiegende Mehrheit der Architekten, die das Dogma der Moderne vom Primat eines ,zeitgemäßen' neuen Bauens inzwischen verinnerlicht hatte, lehnte Rekonstruktionen oder auch nur vereinfachte Wiederherstellungen als Lüge, Attrappe, Kopie oder Maskerade radikal ab. Sprecherin Der Literaturwissenschaftler Peter Bürger meinte im Blick auf die Nachkriegszeit, der Wunsch nach alten Gebäuden und Stadtlandschaften sei eine Krücke, um das Trauma zu bewältigen, er sei ein schmerzlich schöner Verweis auf eine nicht wiedergutzumachende Schädigung. Sprecher Doch wie kann es sein, dass das Verlangen nach Rekonstruktion auch bei sehr jungen Menschen lebendig ist, bei Menschen, die ja gar nichts verloren haben? Darüber hat sich die Berliner Kunsthistorikerin Gabi Dolff Gedanken gemacht. Take 7 (Gabi Dolff) Diejenigen, die etwas verloren haben, in dem Moment, in dem sie es verloren haben, werden darüber vielleicht nicht sprechen, aber später. Sie werden es in der Familie weitererzählen, und der Verlust wird damit immer weiter, immer weiter in die Gegenwart getragen. Das Erstaunliche ist aber, dass dieses Gefühl, Anteil zu nehmen am Verlust von etwas, was schon lange weg ist, tatsächlich noch ganz lange nachher geschehen kann. Also durch persönliche Empathie, durch plötzliche Erkenntnis einer Lücke, eines Fehlens kann sich das in ein Gemüt einnisten, das eigentlich gar nie selbst beraubt wurde. Sprecher Beschreibt Gabi Dolff ein verstehbares Verhalten? Take 8 (Gabi Dolff) Ich habe das früher immer abgelehnt, weil ich dachte, das ist ja Blödsinn, was ich nie hatte, kann ich auch nicht verlieren. Aber ich beobachte, dass es nicht so ist. Und das Interessante daran ist ja, dass ich das nicht nur beobachte und bewundere und sage, Oh Gott ist das jetzt aber wieder berührend, sondern indem ich sage, wenn es eine nachgeholte Verlusterfahrung geben kann, dann darf ich mir auch erlauben, zu durchleuchten, warum sie denn entsteht. Deswegen muss ich nicht allem zustimmen, nur weil es stattfindet, aber ich kann verstehen, dass es stattfindet. Und das ist ein erster Schritt, um sich zu sagen, dass ist nicht alles nur dummes Zeug, sondern das ist ein echtes Gefühl. Ich glaube das führt dann dazu, dass man dann nicht mehr in der Vorstellung lebt, der andere ist einfach nur blöd. Musik Sprecherin Bei der Diskussion um die Rekonstruktion alter Gebäude geht es nicht nur um Architektur. Ob wir wollen oder nicht: Es geht dabei auch um unser Geschichtsverständnis. Die ältere Dame vor dem Technischen Rathaus ist in Frankfurt nur zu Besuch. Sie lebt in München und hat den Wiederaufbau der bundesdeutschen Städte Schritt für Schritt miterlebt. Take 9 Es ist ja im allgemeinen Retro-Trend, überall die alten Gebäude und Situationen wieder herzustellen, zu rekonstruieren. Aber ich meine, es kommt nie das raus, was es war. Es ist die Sehnsucht nach der Vergangenheit, die man sich dekoriert, aber das ist eine Täuschung. Ich weiß nicht ob das hier schön ist, das ist typisch 70er Jahre, ich bin nur ein Tag in Frankfurt, ich kenne mich hier nicht so aus, aber immerhin es ist eine Schicht der Stadt, ein Stück Geschichte, mit der man irgendwie respektvoll umgehen müsste. Sprecher Der Hamburger Journalist Heinrich Wefing hat viele Diskussionen über Rekonstruktion moderiert und beobachtet. Take 10 (Heinrich Wefing) Meine Wahrnehmung bei vielen Veranstaltungen ist, dass es einen tiefen Graben gibt zwischen der Auffassung des allgemeinen Publikums, also interessierter Bürger einerseits und der sogenannten Fachleute auf der anderen Seite. Gerade in Fragen der Stadtbaugestaltung gibt es häufig auf der einen Seite das Publikum, das sich nach der Wiederherstellung von historischen Formen sehnt, das für die Rekonstruktion bestimmter Bauten ist, sei es die Frauenkirche oder sei es das Berliner Stadtschloss, andere Bauten, Römerberg in Frankfurt. Und auf der anderen Seite gibt es Fachleute, die solche Rekonstruktionen mit unterschiedlichen Argumenten, aber fast stets vehement ablehnen. Sprecherin Selbst gute Argumente werden da schnell zu Glaubensfragen. Take 11 (Heinrich Wefing) Es ist schon festzustellen, dass es eine ideologische oder sagen wir dogmatische Haltung bei den Fachleuten gibt, die an bestimmten Mustern festhalten, und dazu gehört eben, dass die Rekonstruktion von historischer Bausubstanz per se falsch und verboten ist. Und es gehört auch dazu, dass die Fachleute kaum in der Lage sind, aus ihren Fachdiskursen auszusteigen. Also ich sehe da schon einen enormen Mangel an Bereitschaft, die eigenen Positionen zu reflektieren und der Bevölkerung klarzumachen. Insofern gibt es da wirklich ein ständiges aneinander vorbei Reden, wenn überhaupt miteinander geredet wird. Sprecher Die Vertreter der Denkmalpflege bestehen gemeinhin auf Ehrlichkeit. Konservieren statt Rekonstruieren heißt ihr Credo seit Beginn des letzten Jahrhunderts. Sie halten Rekonstruktionen für unaufrichtig: Disneyland statt Geschichte. Für sie ist Rekonstruktion ein historisch-moralisches Problem. Sprecherin Aber die Bürger wollen nicht historisch genau, sondern angenehm leben und sie wollen sich wohlfühlen. Anders gesagt: Weshalb soll ausgerechnet die Architektur ein getreuer Spiegel der Geschichte sein? Musik Sprecher Beispiel Dessau. 1923 entwarf Bauhaus-Direktor Walter Gropius eine kleine Siedlung für sich und seine Professoren. Die so genannten Meisterhäuser bestanden aus drei Doppelhäusern und der Gropius-Villa. Eine Doppelhaushälfte und die Villa wurden im Krieg zerstört. 1956 wurde auf das noch vorhandene Fundament ein bescheidenes Häuschen gesetzt. Das sogenannte Haus Emmer hat ein gemütliches Satteldach und eher kleine Fenster und steht im scharfen Kontrast zu den avantgardistischen Gebäuden der Nachbarschaft. Die Provokation war mit voller Absicht geschehen, denn die junge DDR sah im historischen Bauhaus kapitalistisches Teufelswerk, einen üblen Formalismus, den es zu bekämpfen galt. Sprecherin Nach der Wende waren die Meisterhäuser in Dessau in einem desolaten Zustand. Weitgehend unbeachtet verlotterten die baulichen Reste einer großen Idee. 1995 zog das Designzentrum Sachsen-Anhalt für ein paar Jahre in ein noch nicht renoviertes Meisterhaus. Marion Diwo, die damalige Leiterin, erinnert sich: Take 12 (Marion Diwo) Da hatten wir uns die verrotteten Juwelen der Stadt Dessau herausgesucht, nämlich die verkrusteten Meisterhäuser, nachdem uns zuvor die Stadtverordneten und auch der Oberbürgermeister ganz entgeistert fragten, was wir denn eigentlich in diesen Schutthäusern wollten. Ja also wir haben gesagt, okay das sind für uns sehr interessante Gebäude, wenn Sie da dann morgens um was weiß ich, zwischen sechs und sieben im Winter in den verschneiten Garten geschaut haben, und das Morgenlicht dämmerte herauf. Das war ein unglaublich lyrischer, friedvoller Blick. Das ist wirklich genial konstruiert. Sprecherin Die Bauhaus-Stadt Dessau möchte die Meisterhaus-Siedlung wieder komplettieren. Das halbe Meisterhaus und die Gropius-Villa sollen neu entstehen. Deshalb soll das Haus Emmer abgerissen werden. Die Kunsthistorikerin Gabi Dolff ist vehement dagegen. Take 13 (Gabi Dolff) Da geht es ja um die Idee der Hierarchisierung, dass das arme kleine Haus Emmer, was auf dem Keller vom großen, großen Haus Gropius steht, nicht so viel Wert sein kann, wie ein neu hingestelltes Gropius-Haus, das kein Gropius-Haus sein wird, sondern ein neues Werk. Und die damit im Zusammenhang stehende Erfindung des Begriffes von der Existenzpause dieses Gropius-Hauses, kann ich nur bewundern als rhetorischen Trick, um sozusagen um die Tatsache herumzukommen, dass dort etwas ist und schon lange und sein eigenes Existenzrecht ja eigentlich auch hat, als sehr gefälliges und schönes und liebenswertes Haus. Das wird einfach begrifflich schon ignoriert, um etwas hinzustellen, was dann ein Kunstwerk sein soll und das auch noch mit dem Argument, dass dann das Welterbe erst wieder komplett wäre. Das ist meines Erachtens ein Trick, und da halte ich überhaupt nichts von. Das macht mich richtig böse. Sprecher Das historische Bauhaus hat sich politisch verstanden. Es ging um die Gestaltung einer neuen Gesellschaft, dabei wollte das Bauhaus nicht als Stil missverstanden werden. Die Architektur-Avantgarde musste ins Exil, Gropius ging nach Amerika. Nach dem Zweiten Weltkrieg schwappte ein schönes, gereinigtes Bild vom Bauhaus zurück in das alte Europa, das nun in vielen Köpfen sitzt: Bauhaus, das sind weiße Kisten und Kuben mit gläsernen Fensterfronten, ausgestattet mit Möbeln aus Stahl. Sprecherin Seit 1996 stehen die Meisterhäuser auf der Weltkulturerbe-Liste. Mit dem Siegel ist nicht nur Architektur gemeint, gewürdigt wird auch die dahinter stehende Idee. Die Vertreter des Weltkulturerbes beharren auf der engen Verbindung von Architektur und Geschichte. Eine schöne Fassade reicht ihnen nicht. Wenn sich spätere Generationen fragen, was hinter dem Namen Bauhaus steckt, könnte ihnen das kleine Haus Emmer helfen, die historische Dimension der Bauhaus-Idee zu verstehen. Omar Akbar, Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau: Take 14 (Omar Akbar) Ich bin und war und bleibe gegen die Rekonstruktion der Meisterhäuser und zwar aus verschiedenen Gründen, ein Grund ist, dass ich der Ansicht bin, dass eine Rekonstruktion so gut wie überhaupt nicht möglich ist, schon technisch nicht möglich ist. Zweitens bin ich der Ansicht, dass das, was da geschehen ist, selbst eine Geschichte, eine besondere Geschichte über die Entwicklung der Meisterhäuser beziehungsweise auch die Auseinandersetzung mit der Moderne, sowohl in der DDR-Zeit und so weiter und so weiter, als auch bis natürlich durch den Krieg noch erzeugte Phänomene, nämlich dass die Häuser zerstört worden sind, das alles darstellen. Deswegen bin ich dafür, dass man diesen jetzigen Zustand pflegt, behält, weil wir dadurch auch viele Geschichten auch der Öffentlichkeit erzählen können. Musik Sprecher Auf dem Dresdener Neumarkt sind viele Touristen. Die Frauenkirche ist wieder da. Ohne das Engagement der Bürger wäre sie noch heute eine Ruine. Seit 2005 ist sie wieder geweiht, weil eine Spendenflut und viel persönlicher Einsatz den Wiederaufbau ermöglicht haben. Gabi Dolff. Take 15 (Gabi Dolff) Das ganze ist auch ein Markt, und da ist die Frauenkirche als eigenes Projekt, so erfolgreich ich es finde, und so sehr ich inzwischen auch dazu stehe, dass wenn diese Kirche am Ort ist, an den sie vorher war, viel von der historischen Substanz auch enthält, und vor allen Dingen eine soziale Bedeutung, eine sozial konstruierte Bedeutung hat, die viel größer ist als das Original je war, weil so viel mehr Leute daran mitgebaut haben. Es steht sozusagen der gebaute Ersatzbau als soziale Konstruktion da, und die ist viel größer als die Kirche selbst. Und das bewundere ich inzwischen. Sprecherin Aber es geht nicht nur um die Frauenkirche, ringsherum wurde der Neumarkt mit historischen Reminiszenzen bestückt, mit Neubauten im historischen Kleid, die nur sehr bedingt den barocken Gebäuden ähneln, die vor der Zerstörung dort standen. Take 16 (Gabi Dolff) Was darum herum entsteht, ist meines Erachtens City-Marketing und City- Branding und entsteht auch, soweit ich das verstehe, nicht aus irgendeinem Bürgerwillen, sondern aus der Vorstellung gemischter Investoren mit überhaupt gar keinem Interesse an irgendetwas. Das ist wirklich Fassadismus. Atmo Fußgänger, Laufen Sprecher Der Neumarkt lebt. Fiaker wie in Wien, ein Schokoladenmädchen im historischen Kleid schlendert über den Platz. Die Frau aus Frankfurt am Main ist ganz begeistert. Take 17 Ich war jetzt ein paarmal in Dresden und überhaupt in Städten der früheren DDR gewesen. Natürlich waren die alle zerbombt gewesen, und die haben es wieder aufgebaut. Aber genau wie es vorher war, und das passt dann so hundertprozentig zum Stil rings herum. Ich war einmal vor zehn Jahren in Dresden gewesen, da lag noch alles danieder und jetzt, also ich muss wirklich sagen, ich war tief beeindruckt. Sprecher Barock-Kommerz nennen das Spötter. Die rekonstruierte Frauenkirche ist ein Sieg der Bürgergesellschaft, die Bebauung des Dresdener Neumarkts ist es ganz sicher nicht. Das hat einen handfesten Grund, und der heißt PPP: Public Private Partnership. Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architektur Museums: Take 18 (Peter Cachola Schmal) Der Dresdener Planungsdezernent hat klargemacht, dass die Stadt Dresden selber nicht investieren wollte und konnte, und man sich einig wurde, dass man dort ein PPP-Projekt planen wird. Und hat also die private Hand dann mit ins Boot genommen, und hat den privaten Investoren klar gemacht, dass sie bestimmte gestalterische Qualitäten der Fassaden bringen müssen. Dafür im Gegenzug muss man etwas anderes einräumen, und was sie dann schließlich eingeräumt haben, war die gesamte Erdgeschossfläche zu überbauen inklusive der Innenhöfe, mit der Folge, dass es nicht nachvollziehbar ist, warum es von außen dreißig verschiedene Bauten hat, aber innen ein ganz normales Passagen-Mall-Erlebnis sich bietet. Und dieses Mall-Konzept ist nicht aufgegangen, war aber der Preis dafür, dass die Stadt selber nicht viel in die Hand nehmen musste. Sprecherin Zukunft und Vergangenheit treffen sich im Niemandsland der Investoren, die jeden Baustil verwursten können, solange er Profit verspricht. Werden die Dresdener Bürger um die Früchte ihres Engagements gebracht? Der Berliner Architekturhistoriker Bruno Flierl: Take 19 (Bruno Flierl) Ich war neulich auch erst in Dresden und habe mir das auch angesehen, und ich habe mich gewundert, für wen ist denn das eigentlich alles gemacht worden? Es ist natürlich für den Tourismus gemacht worden. Es war alles so sehr neu und kalt und so ungewohnt. Ich weiß ja, wie es vorher aussah. Nun ist dieser Neumarkt, also da sind die Bürgerhäuser wieder aufgebaut worden, alle etwa so auf den Parzellen und vorsichtig gesagt, in etwa im Aussehen so wie es früher war, aber zwei, drei Stockwerke höher, um ein Grundstück auszunutzen, und das ist nicht das alte Bild von Dresden. Das ist ein zurechtgeschustertes Bild, ein Bild, das so nie war; und für wen ist das? Für die Anwohner doch nicht. So sehr kulturell war die Bürgerschaft doch nicht tragend beim Wiederaufbau dieser Kirche, sondern die haben sich eingesetzt, haben sich also wirklich auch materiell daran beteiligt, und, und, und. Und jetzt ist es ihnen doch so ein bisschen ihnen weggenommen. Die leben in der eigenen Stadt und sehen, dass die Touristen sich über ihre Stadt freuen, und sie selbst sind noch nicht zuhause. Musik Sprecher Noch einmal Frankfurt. Am Ende des Zweiten Weltkriegs gab es die verwinkelten Gassen und Gässchen zwischen Dom und Römer nicht mehr. Heute wartet das Technische Rathaus auf die Abrissbirne. Mit einem dreistelligen Millionenbetrag muss die Stadt Frankfurt in Vorleistung gehen, damit die Rekonstruktion der Altstadt beginnen kann. Take 20 Also ich komm ja gar nicht aus Frankfurt, von daher kann ich das nicht beurteilen, ich wusste auch bis eben nicht, dass das das Technische Rathaus ist. Also so sonderlich schön ist es ja nun nicht. Das sehe ich ganz genauso, also ich sehe die Fachwerkhäuser dann auch etwas niedlicher, die passen auch besser zum Römer. Ich finde das auch nur ein hässlicher großer dicker Block. Ich lebe jetzt schon seit 36 Jahren hier, und ich finde, die alten Fachwerkhäuser so am Römer und so, die finde ich ganz toll. Und wenn das andere abgerissen wird, und etwas neu aufgebaut wird, das finde ich klasse. Das ist schon schön, wenn sie das dann wieder aufbauen, weil das einfach so ein großer Betonklotz ist, viele Leute stoßen sich da dran. Sprecherin Großinvestoren sollen das neue Stück Altstadt auf dem Römerberg bauen. Anders als in Dresden wird es ein professionelles Center-Management geben, das die Geschäftsflächen optimal plant und vermarktet. Ein Verfahren, das der Architekt Christoph Mäckler kritisiert. Take 21 (Christoph Mäckler) Das ist ein grundsätzliches Problem, wir müssen nämlich zurückfinden zu einer Bebauung, die einer Bürgergesellschaft entspricht, das heißt, statt in irgendwelchen blöden Fonds zu investieren, gibt es jede Menge Ärzte, Anwälte und sonstige Mittelständler, die gerne in der Stadt ein Haus bauen würden, aber es wird ihnen politisch gar nicht die Möglichkeit gegeben. Man kommt gar nicht auf die Idee, dass man so ein Viertel mit einzelnen Bauherrn bebaut und in einzelne Parzellen aufteilt, sondern man geht immer her und sucht einen großen Investor und man sucht einfach jemanden, der kräftig genug ist, so etwas aus einer Hand zu machen. Und das ist ein grundsätzlicher Fehler. Die Kleinteiligkeit, die Parzellierung in der Stadt, das ist ein wesentlicher Faktor für das Lebendig-Sein einer Stadt. Sprecher Peter Cachola Schmal schüttelt den Kopf, für ihn ist Kleinteiligkeit kein hinreichendes Kriterium für eine lebenswerte Stadt. Take 22 (Peter Cachola Schmal) Man täuscht sich da, dass was früher war, will man nicht wirklich zurück. Die Abstände zwischen den Häusern in den Gassen will man nicht wirklich haben. Man möchte nicht auf den Aufzug verzichten, und man möchte nicht kleine, enge, beengte Lichthöfe haben, die kaum noch Licht nach unten bringen. Da gibt es ein Problem zwischen Nutzern, Verkäufern, Projektentwicklern der Stadt, und andererseits muss der öffentliche Raum im Erdgeschoss funktionieren, das heißt das ganze Erdgeschoss muss öffentlich sein. Bei einer echten Parzellierung hätten sie natürlich 25 Treppenhäuser, 25 Aufzüge und verlieren sehr viel vermietbare Flächen. Und das kann jetzt nicht wie früher ein Wohnhaus sein, da müssen Kneipen sein. Nur wollen die, die etwas mehr bezahlt haben im ersten OG, zweiten OG, wollen die unten drunter eine Äppelwoikneipe mit 400 Plätzen, die dann um 22.00 Uhr nicht wirklich leise ist? Sprecherin Aber wollen die Bürger wirklich, dass Mall-Betreiber und Großinvestoren mit Steuergeldern subventioniert werden, dass man ihnen die Filetstücke der Stadt kostenlos zur Verfügung stellt? Take 23 Ich finde es Schwachsinn, da Altstadthäuschen hin zu bauen. Also ich bin der Meinung, die sollten das Technische Rathaus einfach mal auf Vordermann bringen und gucken, dass andere Läden reinkommen, und das es mal gereinigt wird. Ich war das erste Mal kürzlich im Technischen Rathaus, ich find es ganz toll, obwohl es ganz furchtbar scheußlich ist. Es ist ja eigentlich eine Frankfurter Institution, ich glaube es gehört eigentlich in seiner ganzen Scheußlichkeit nach Frankfurt. Ich meine, natürlich ist es hässlich, aber ich bin da einfach auch immer wahnsinnig skeptisch irgendetwas Alten künstlich wieder hinzustellen. Ich bin als Tourist hier, und ich finde an Frankfurt andere Dinge interessant als künstlich aufgebaute Fachwerkhäuschen. Sprecher Nicht alle Bürger sind für die Wiederherstellung der Altstadt. Genau nachgefragt, ergibt sich ein vielfältiges, differenziertes Bild. Peter Cachola Schmal: Take 24 (Peter Cachola Schmal) Meiner Meinung nach gibt es dieses intensive Wollen so nicht, es gibt einige wenige, die sehr lautstark sind und Einfluss haben, die das möchten. Es gibt auch einige, die daran verdienen werden, die zum Beispiel interessiert sind, dort sehr große gastronomische Betriebe zu haben. Aber möglicherweise wird die Finanzkrise der ganzen Sache einen Riegel vorhalten, dass man also sagt, wir werden in 2009 sicherlich Steuereinbrüche haben, und dann wird man sich fragen, wozu wird man welche Steuergelder ausgeben. Ob dann wirklich dieses Projekt finanzierbar sein wird, ist noch nicht ganz raus, es würde mich nicht überraschen, wenn dieses Projekt etwas nach hinten geschoben wird und beim Schieben nach hinten der eine oder andere Gedanke aufkommt, was man vielleicht anders machen könnte. Musik Sprecherin Die Befürworter der Rekonstruktion erheben nun deutlich ihre Stimme. Auch Denkmalpfleger, Architekten und Stadtplaner nehmen den Wunsch nach Rekonstruktion inzwischen ernst. Allerdings, ein trotziges Retro reicht nicht aus, das können die Beispiele in Dresden, Dessau und Frankfurt zeigen. Die Stadt ist kein architektonisches Bild und auch kein Erlebnispark für Touristen, sondern ein soziales Gebilde, das auf ganz verschiedene Weise funktionieren muss, damit sich Bürger und Besucher in ihr wohlfühlen können. Musik Spr. vom Dienst Bau mir ein Schloss Wollen Bürger historische Gebäude wiederhaben? Von Adolf Stock Es sprachen: Siir Eloglu und Simon Böer Ton: Ralf Perz Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2009 1