DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Karin Beindorff Feature "Gott, ermögliche mir eine ungefährliche Fahrt!" Der Dichter Nikolaij Gogol in Jerusalem Von György Dalos und Andrea Dunai Produktion: Studio M2 25. - 28.11. 2013 9.00 Uhr - 16.20 Uhr Besetzungsbüro Regie: Axel Scheibchen Technik I Technik II Autorin Zitator Gogol Sprecher 1 Sprecherin Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Sendung: Freitag, 27. Dezember 2013, 20.10 - 21.00 Uhr Musik darüber Zitator Gogol: Liebe Fürstin Scheremetjewa! Meine Reise nach Jerusalem hat sich ein wenig verzögert, aufgrund von allerlei Sorgen, so der Korrespondenz mit dem Verlag wegen der Herausgabe meines Buches , auch infolge meiner neuerlich etwas verschlechterten Gesundheit und schließlich, weil ich mich nicht getraut habe, allein loszufahren. Ich - das muss ich Ihnen gestehen - brauche für diese Fahrt die Gemeinschaft herzensnaher Seelen. Meine Seele und mein Körper sind nicht stark, ich spüre die Nähe des Herrn nicht. Ansage: "Gott, ermögliche mir eine ungefährliche Fahrt!" Gogol in Jerusalem Ein Feature von György Dalos und Andrea Dunai Zitator Gogol aus Tote Seelen russisch/deutsch, verschwindet unter dem Autorin ????! ????! ???? ????, ?? ????? ???????, ??????????? ??????, ???? ????: ?????, ??????????? ? ????????? ? ????; ?? ??????????, ?? ???????? ?????? ??????? ???? ???????, ????????? ???????? ?????? ????????? - ?????? ? ?????????????, ???????? ????????, ???????? ? ?????, ????????? ?????? ? ?????, ??????? ? ????, ? ???? ? ? ?????? ???? ?????????.... Russland! oh Russland! ich sehe dich, aus meiner wunderbaren, herrlichen Ferne, sehe ich dich: Arm ist es in dir, weitläufig und unwirtlich; keine kühnen Wunderwerke der Natur, gekrönt von kühnen Wunderwerken der Kunst, erheitern oder erschrecken das Auge, auch keine Städte mit ihren in die Felsen hineingewachsenen, vielfenstrigen, hohen Palästen, nicht malerische Bäume oder Efeu, der im Getöse und im ewigen Staub der Wasserfälle die Häuser einhüllt... Autorin Im Mai 1842 dachte Nikolaij Wassiljewitsch Gogol zum ersten Mal an eine Reise in das Gelobte Land. Damals erschien die erste Auflage seines Romans Tote Seelen in 2400 Exemplaren und wurde zum wahren Beststeller in einem Land, in dem lediglich ein halbes Prozent der Bevölkerung lesen und schreiben konnte. Das literarische Leben beschränkte sich auf die beiden Hauptstädte, Sankt-Petersburg und Moskau. Das liberale Russland hieß Gogols Buch begeistert willkommen und freute sich, dass sein beliebter Dichter ein Meisterwerk über das Elend der Provinz, die menschliche Dummheit, die Korruption der Behörden, die Armut und Kargheit in diesem Riesenreich verfasst hatte. Zitator Gogol aus Tote Seelen Ich würde gern Bauern kaufen - sagte Tschitschikow, geriet ins Stocken und beendete den Satz nicht. . Aber gestatten Sie die Frage - sagte Manilow - wie wünschen Sie die Bauern zu kaufen, mit Land oder einfach zur Übersiedlung, das heißt, ohne Land? - Nein - es geht mir eigentlich nicht direkt um Bauern - sagte Tschitschikow, ich möchte Tote haben... Autorin: Durch den Roman Tote Seelen wurde Gogol ganz schnell zum russischen Dichterfürsten gekrönt: So etwas hatte man in Russland noch nie gelesen. Der Hochstapler Tschitschikow weiß, dass der Staat an die Grundbesitzer je nach der Zahl ihrer Leibeigenen - zu russisch "duschi" - Seelen- Subvention zahlt, um die Landwirtschaft zu fördern. Tschitschikow kommt auf die Idee, Grundbesitzern die Seelen bereits toter Leibeigener formal abzukaufen und dafür bei der Behörde zu kassieren. Seine Aussichten sind vielversprechend, denn in der Gesellschaft der Stadt N. N. findet er ebenbürtige Partner. Zitator Gogol aus Tote Seelen ?????????? ?????? ????????? ? ????! ?? ?? ??? ????-?????????? - ??? ???? ? ??????! ???????????? - ?????, ? ????? ?????, ?????? ???? ?? ??????????. ?????????????? - ????????! ???? ????? ??? ?????. ??? ??????????????. ???? ??? ?????? ? ???? ?????????? ???????: ????????; ?? ? ???, ???? ??????? ??????, ??????. Der Gouverneur ist der größte Räuber der Welt! Der Kammervorsitzende ist zwar Freimaurer, aber ein solcher Dummkopf, wie es ihn in der Welt nicht noch einmal gibt. Er und der Vizegouverneur, das sind doch Gog und Magog! Der Polizeimeister ist ein Gauner. Die ganze Stadt ist voll davon. Das sind alles Christusverkäufer. Nur einen einzigen anständigen Menschen gibt es dort: den Staatsanwalt, aber auch der ist, um die ehrlich zu sein, ein Schwein." Musik Autorin Alle Leser erwarteten mit angehaltenem Atem die Fortsetzung des Romans. Gogol geriet jedoch beim Schreiben in einen merkwürdigen inneren Zwist. Einerseits beflügelte seine Phantasie die Abenteuer seiner Provinzheroen, andererseits quälte ihn sein Gewissen: Darf man als russischer Patriot die eigene Heimat als eine der trostlosesten und schmutzigsten Ecken der Erdkugel schildern? Er hatte schließlich in seinem Elternhaus und in der Schule eine tief religiöse Erziehung erhalten, war ein eifriger Kirchgänger und bezweifelte, ob sein genialer Erstling auch wirklich gottgefällig war - mit einem gewissen Recht. Zu dieser Zeit lernte er den bekannten orthodoxen Geistlichen, Matwej Konstantinowskij kennen und erkor ihn gleich zu seinem Seelsorger. Zitator Gogol: An Otjetz Matwej, 12. Januar 1848 Was mich schon immer und immer mehr beschäftigte, ist die Schilderung von all dem Guten und Bösen, das es in unserem russischen Land gibt, so dass dadurch die russischen Leser ihr Land besser kennenlernen, weil bei uns viele, sogar die Beamten und Angestellten große Fehler begehen, da sie über die Eigenheiten des russischen Menschen und den Volksgeist nichts wissen. Und wenn ich durch Gottes Gnade die Bestimmung des Menschen auf der Erde besser erkenne, dann werden in meinem Werke die guten russischen Charakterzüge anziehend beschrieben, während die schlechten dermaßen abstoßend gezeigt werden, dass der Leser sie nicht liebgewinnen kann, selbst dann, wenn er sie in sich selbst auffindet. Dies ist meine Beichte als Schriftsteller. Autorin Gleichzeitig spürte Gogol die Unmöglichkeit seines Vorhabens, er war nicht imstande, der eigenen satirischen Natur Gewalt anzutun. Das Projekt bewegte sich nicht von der Stelle. Zudem belastete den Dichter auch eine moralische Hypothek: Das vom Zaren Nikolaj gespendete Stipendium, jährlich dreitausend Silberrubel. Davon konnte er im Ausland sorgenfrei leben. Ohne materielle Sorgen, doch seine Psyche war angeschlagen. Psychologen späterer Zeiten vermuteten bei Gogol eine manische Depression, die sich in regelmäßig ausbrechenden Schüben geäußert habe. Doch vielleicht haben wir es auch mit einem typisch literarischen Phänomen zu tun: Der erste Band der ‚Toten Seelen' war so gut gelungen, dass der Dichter sich außerstande fühlte, ihn zu übertreffen. Diese Blockade wollte er irgendwie aufheben. Seit seiner Jugendzeit hatte er immer wieder von der wundertätigen Wirkung eines Gebets am Grab Christi in Jerusalem gehört. Zitator Gogol Neapel, Oktober 1847 An Otjez Matwej Ach, mein Freund, den mir Gott als Beichtvater geschenkt hat! Hier folgt nun meine Beichte, doch nicht mehr über das Schriftsteller Dasein. Ich möchte glauben und wage nun die Fahrt, um mich vor dem Heiligen Grab zu beugen. Vielleicht habe ich Unrecht, weshalb ich mich selbst noch frage, mich selbst beobachte, ich werde beten. Aber leider ist das Beten nicht leicht. Wie sollte man beten, wenn Gott dies gar nicht möchte. Ich erkenne in mir so viel Böses, einen Abgrund der Selbstliebe und eine Unfähigkeit das Irdische zugunsten des Himmlischen zu opfern. Manchmal scheint mir, ich hätte gar keinen Glauben. Autorin Fast das ganze Jahr 1847 verbrachte Nikolaj Gogol auf Reisen: Er besuchte Rom, Florenz, Marseille, Paris, danach fuhr er nach Frankfurt weiter, von hier aus nach Ostende. Es schien, als sei er von geheimnisvollen Kräften getrieben. Erst im September kehrte der Schriftsteller nach Italien zurück. Ende des Jahres 1847 lebte Europa bereits in Vorgefühl von radikalen, wenn nicht umstürzlerischen Veränderungen. Und ausgerechnet das romantische, gemütliche Neapel sollte zum Ausgangspunkt des revolutionären Erdbebens werden. Nur Gogols Unruhe war vielleicht noch größer, als die der Welt um ihn herum. Zitator Gogol Neapel, November 1847. Liebe Freundin Nadeschda Nikolajewna! Ich bin kleinmütiger, als ich es gedacht habe. Ich habe vor allem Angst. Es kann sein, dass dies von den Nerven herrührt. Ich bin gezwungen, völlig alleine loszufahren. Einen Reisegefährten oder einen Menschen, der mich in den Momenten der Trauer unterstützen würde, gibt es nicht. Und diejenigen, die in diesem Jahr mitfahren wollten, hüllen sich in Schweigen. Zudem muss ich ausgerechnet in einer Zeit losfahren, in der auf dem Meer Unwetter drohen. Ich werde gewöhnlich stark seekrank, selbst wenn es nur ganz wenig schaukelt. All dies quält meine arme Seele sehr, selbstverständlich deshalb, weil mein Eifer kraftlos, mein Glaube schwach ist. Wäre mein Glaube stark und mein Wunsch heiß, dann wäre ich Gott unendlich dankbar, dass ich alleine fahren soll und würde in Momenten der Schwere und Augenblicken der Gefahr stärker bei Seiner Hilfe Zuflucht nehmen und besser an Ihn denken, als der Mensch in gewöhnlichen und ruhigen Tagen seines Lebens dies zu tun pflegt. Zitator Gogol Neapel, Dezember 1847. In diesem Brief finden Sie, hochverehrter und bester Matwej Aleksandrowitsch, 100 Silberrubel. Ich bitte Sie dringend, die Hälfte des Geldes unter den Armen zu verteilen, das heißt unter den Ärmsten, die Sie treffen und sie zu bitten, für mich, für die seelische und leibliche Gesundheit desjenigen zu beten, der ihnen dieses Geld gespendet hat. Die andere Hälfte, die restlichen 50 Rubel, bitte, halbieren Sie wieder. 25 Rubel bestimme ich für 3 Gebete für meine Reise und glückliche Rückkehr nach Russland, 3 Gebete, die ich Sie bitte während des Fastens und nach Ostern abzuhalten, oder dann, wenn es Ihnen bequem ist. Die übrig gebliebenen 25 Rubel bewahren Sie zunächst bei sich... Zitator Gogol Neapel, Januar 1848. Werte Mutter! Ich bitte Sie, während der ganzen Zeit, in der ich unterwegs bin, verreisen Sie nach nirgendwo, verlassen Sie bitte nicht Wassiljewka. Mir ist es sehr wichtig, dass Sie für mich gerade nur zu Hause beten und nicht anderswo. Wer Sie sehen möchte, sollte Sie besuchen. Sagen Sie bitte allen, Sie fänden es abwegig, in der Zeit, in der Ihr Sohn zu einer derart heiligen Huldigung sich auf den Weg macht, auf Besuche zu reisen und sich irgendwelchen Vergnügungen hinzugeben. Musik Autorin Gogols drei engsten Bezugspersonen, der Priester, die Freundin und die Mutter, waren streng religiös. Alle drei versprachen für ihn zu beten. Der entscheidende Anstoß, die Reise zu beginnen kam jedoch von jemand anders: Von einem ehemaligen Kommilitonen aus dem Lyzeum, Konstantin Basili, der damals russischer Generalkonsul in Syrien und Palästina war. Die beiden Männer verbanden viele gemeinsame Jugenderlebnisse und Abenteuer: als Schüler spielten sie Theater, entwarfen das Bühnenbild, und auch das Literaturjournal des Lyzeums erschien in ihrer Redaktion. Da Basili versprach, Gogol von Beirut nach Jerusalem zu begleiten, schienen sich dessen Ängste vor der Einsamkeit zu verflüchtigen. Am 22. Januar verließ Gogol Neapel. Schon am nächsten Tag kam er in Malta an. Zitator Gogol Neapel, 22. Januar 1848. An die liebe Fürstin Frau Scheremetjewa! Nadeschda Nikolajewna! Nun trete ich die Reise an. Ich werde mich auf das Schiff setzen, in das Heilige Land fahren. Übrigens, wie wenig sehe ich wie ein Mensch aus, der sich auf eine Reise begibt. Wie viele kleinliche irdische Bindungen, irdische Beklemmungen trage ich in der Seele! Wie kleinmütig ist meine Seele! Ich beeile mich, Ihnen einige Zeilen aus Malta zu schreiben. Sie sehen, ich bin unterwegs. Obwohl der Zustand meiner Seele nicht ganz so ist, wie ich mir das gewünscht hätte. Mein schwacher Körper musste nur wenig leiden, während dieser kurzen Überfahrt auf dem Meer, jedenfalls weniger, als mir noch bevorsteht. Aber Gott sei Dank, ich lebe noch... Autorin Nun setzte er seinen Weg nach Izmir fort. Dort bestieg er in den letzten Januartagen 1848 den Dampfer "Istanbul" nach Beirut, damals die Hauptstadt von Syrien. Die Kajüten und die Zwischendecks waren mit Pilgern aller Nationen überfüllt. Auch russische Geistliche waren darunter - ganz unter sich, sie nahmen am sonstigen gesellschaftlichen Leben nicht teil. Zumindest empfand es einer der Reisenden, Pjotr Solowjow, ein Schüler des Geistlichen Seminars aus Sankt Peterburg so. Ihm fiel die Gestalt von Nikolaij Gogol gleich auf: Sprecher Einer von den Reisenden war ein groß gewachsener, dickleibiger Mann, in einem dunkelblauen Mantel mit kurzer Kapuze auf den Schultern, der andere ein kleines Männlein mit langer Nase, und schwarzem, dünnem Bart, langen, á la Künstler frisierten Haaren, gebückt und ständig nach unten schauend. Er hat mir eine kleine Ikone gezeigt und fragte, ob diese professionell gezeichnet wurde. Ich konnte ihm nichts sagen, denn bei uns sehen die Ikonen anders aus. Er trug einen weißen Filzhut mit breitem Rand auf dem Kopf und einen italienischen Mantel, den man bei uns zu der Zeit "Manto" nannte (...) Alles sprach dafür, dass er irgendein reisender Künstler war. In der Tat, er war Künstler, unser lieber, genialer Satiriker. Musik Autorin Während einer Zwischenstation in Rhodos gingen die Passagiere an Land, um die alte Stadt mit den Bauten der Kreuzritter zu besichtigen und den Metropolit zu besuchen. Der empfing sie freundlich und schenkte ihnen einen Korb Apfelsinen aus dem eigenen Garten. Die Früchte boten sie auch den anderen russischen Reisenden an. Nach zwei Tagen legte der Dampfer in Beirut an. Am Hafen wartete auf den Gast aus Russland - Konstantin Basili. Die beiden hatten sich lange nicht mehr gesehen. Der Diplomat Basili hielt sich schon seit vier Jahren im Orient auf. Wann immer er Zeit fand, widmete er sich dem Schreiben. Sein historisches Werk über den Nahen Osten wuchs jede Woche um mehrere Manuskriptseiten. In Syrien wohnte er gewöhnlich während der Wintermonate, in Jerusalem hatte er ein Sommerhaus. Augenblicklich war jedoch im Heiligen Land viel zu tun: einerseits verlangte die Einweihung und Ausbreitung der dortigen Russischen Kirchlichen Mission seine Anwesenheit - eine wichtige Aufgabe, denn bislang verfügten damals nur Großbritannien, Frankreich, Sardinien, Preußen und die Vereinigten Staaten über Konsulate in dieser Region. Andererseits musste Basili diplomatische Geschicklichkeit an den Tag legen: die judenfeindliche Politik des Zaren Nikolai I. machte es für viele Juden unmöglich in Russland zu bleiben. Manche von ihnen fanden ein neues Zuhause in Palästina. Nach einem einjährigen Aufenthalt wurden jedoch ihre Pässe ungültig, sie galten als staatenlos. Nun tauchte die Frage auf, welche Macht über sie verfügen sollte. Basili fühlte sich für ihre konsularischen Angelegenheiten nicht mehr zuständig und spielte vorsichtig die Verantwortung für seine jüdischen Landsleute in die Hände der Briten. Musik Zitator Gogol aus Tote Seelen: Russland! Was nur willst du von mir? Welch rätselhaftes Band verbindet uns insgeheim? Warum schaust du mich so an und weshalb hat alles, was in dir ist, erwartungsvoll die Augen auf mich gerichtet? Autorin . Gogol und sein Begleiter reisten in der Gesellschaft einer Karawane. Ihr Reiseweg führte über die antiken Städte Sidon, Tyrus und Akra. Basili kannte die Route so gut wie auswendig, genoss Ehre und Anerkennung unter den Alteingesessenen und nicht zuletzt erwies er sich als ein geduldiger Patron, der die Kapricen von Gogol vor den einheimischen Begleitern stets auszubalancieren versuchte. Obwohl Nikolaj Gogol ein erfahrener Reisender war, bedeutete diese Unternehmung für ihn eine neue Herauforderung. Die Bedingungen im Orient waren mit denen in Westeuropa nicht zu vergleichen. Zitator Gogol Die Landschaft in Palästina ähnelt in nichts dem, was wir bis jetzt gesehen hatten, verblüfft mich allerdings mit ihrer Großartigkeit, mit ihrer Breite. Das Tote Meer -entzückend. Als wir das Meer verlassen haben, mußte ich Basili mein Wort geben: ich dürfe solange nicht zurück schauen, bis er mir das gestatte. Vom Ufer setzten wir die Reise vier Stunden lang fort, durch die Wüste, mir fiel gar nicht auf, dass wir auf einen Berg kamen. Ich war erschöpft, regte mich auf, hielt aber mein Wort und schaute nicht zurück. Endlich sagte mir Basili, ich solle mich umdrehen und die Entfernung, die wir zurückgelegt hatten, betrachten. Ich stöhnte nur... Einige Werste lang breitete sich eine Steppe aus - alles unter dem Berg. An der Sohle der Steppe, oder besser gesagt des Berges, erblickte ich das Tote Meer. Ich kann nicht beschreiben, wie dieses Meer bei Sonnenaufgang aussah. Das Wasser war nicht blau, grün oder hellblau, sondern violett. Autorin Gogol und Basili waren insgesamt anderthalb Wochen unterwegs, bis sie Jerusalem durch das Jaffa-Tor betraten. Februar war ein guter Monat zum Reisen. Es war nicht mehr kalt und noch nicht heiß. Die Straßen waren nicht befestigt, die Reisenden mussten mit ausreichend Wasser und Nahrung ausgerüstet sein. Vieles hing vom Wohlsein der Dromedare ab, die die ganze Bürde zu schleppen hatten. Zitator Gogol Dieses Stück Erde sah aus wie im Traum. Wir standen von der Pritsche auf und ritten bis zum Sonnenuntergang auf Maultieren und Pferden in der Begleitung unserer Beschützer. Die Karawane bewegte sich im Gänsemarsch durch die schmale Wüste, am nassen Ufer entlang oder über den Grund des Meeres. Von der einen Seite hat das Meer mit seinen flachen Wellen den Pferdehuf umspült, von der anderen zog sich die Sandwüste bis zu den weiß schattierten Plateaus der beginnenden Berghöhe. Zu Mittag wieder Brunnen, mit Steinplatten ausgelegte Staubecken, beschattet von zwei-drei Öl- und Feigenbäumen. Hier eine halbstündige Ruhepause und dann weiter auf dem Weg. So lange bis sich auf dem abendlichen, nicht mehr blauen, sondern schon bronzenen Horizont 2 bis 3 Palmen zeigen, die durch das regenbogenfarbene Halbdunkel durchbrochen, aus der Ferne ein malerisches, aus der Nähe armseliges Städtchen ankündigen. Autorin Jerusalem 1848. Palästinas größte Stadt hatte damals ungefähr 17 000 Einwohner und gehörte zum osmanischen Reich. Das Straßenbild beherrschten türkische Soldaten, katholische Mönche, muslimische Würdenträger, arabische, armenische und jüdische Handwerker und Händler. Die europäischen Großmächte führten im Hintergrund ihre diplomatischen Intrigen: die einen förderten die Araber, die anderen die Osmanen. Die Briten setzten sich für das Bleiberecht jüdischer Zuwanderer ein. Gleichzeitig wurde auch die britisch-türkische Freundschaft gepflegt. Am 24. Mai 1848, am Geburtstag Ihrer Majestät Königin Victoria, bereitete der Gouverneur Scharif Mustafa Pascha in seinem Palais der britischen Königin einen pompösen Empfang. Musik Autorin Jerusalem war ein Magnet für Pilger aller Konfessionen, für neugierige Touristen oder einfach Kultursnobs. Die Pilgerbewegung trug zum Staatsbudget bei und der Dienstleitungssektor leistete seinen Teil zu diesem Profit. Die Dragomane etwa, sprachkundige Reisebegleiter im Nahen Osten, berechneten etwa 100 Piaster oder 20 türkische Thaler für ihre Dienste. Die Zahl der nichtjüdischen Pilger übertraf die der jüdischen. Sie waren eher willkommen, denn sie zahlten höheren Mietszins für ihre Unterkünfte, von denen Hunderte zur Verfügung standen. Hingegen mussten sich die Juden mit nur insgesamt 70 Pilgerzimmern zufrieden geben - dank der Gastfreundschaft der englischen Mission. Der Preußische König Friedrich Wilhelm IV. hatte ebenfalls 52 000 Thaler zum Aufbau eines Pilgerhospitals angeboten. Über die ersten Tage von Gogols Aufenthalt in Jerusalem finden sich in seinen zahlreichen Briefen keinerlei Hinweise. Das einzige Zeugnis dieser Tage ist ein Notizheft, in dem der Schriftsteller seine touristischen Pläne eintrug. Auf dem Deckblatt steht nur: "Nikolaij Gogol in der Heiligen Stadt", darauf folgte die Agenda: Zitator Gogol In Jerusalem: Dankesgebet für die erfolgreiche Ankunft. Alles auflisten, wonach ich fragen wollte. Kaufen: Kreuzchen aus Perlmutt, Rosenkreuz und so weiter, Ikonchen aller Sorten, die ich am Gottes Grabe segnen lassen kann. Autorin Dabei kann man nicht behaupten, dass Gogol kein Interesse an der ganzen Stadt gehabt hätte. Bereits im Lyzeum las er das berühmte Buch des Kupetz Korobejnikow "Die Reise ins Heilige Land". Dieser Moskauer Händler war übrigens einer der ersten Russen, der Jerusalem besucht hatte. Ende des 16. Jahrhunderts überbrachte er Spenden des Zarenhofs für die orthodoxen Kirchen im Mittelmeerraum. Seine Abenteuer verbreiteten sich zuerst in ungefähr zweihundert handgeschriebenen Kopien, dann in vierzig Druckausgaben und galten als Bestseller. Der rührige Pilger brachte von seiner Reise sogar ein Modell des Heiligen Grabes mit. Eine andere Quelle von Gogols Wissen könnte Vassilij Barskijs 1847 in Moskau erschienene Schilderung sein. Gogol selbst hat so gut wie nichts zur Palästina-Literatur beigetragen, obwohl er einen ganzen Monat in der Stadt verbrachte. Ein Freund fragte ihn später, ob er nicht Erinnerungen an diese Zeit schreiben würde: Zitator Gogol Mag sein, dass ich alles auf vier Seiten niederschreiben könnte, aber ich möchte es so beschreiben, das der Lesende hört, dass ich in Jerusalem war. Autorin Hinter dieser etwas rätselhaften Erklärung verbarg sich die Tatsache, dass sich Gogols ganze Aufmerksamkeit auf einen einzigen Zipfel Jerusalems konzentrierte: auf das Heilige Grab. Hier, in der Grabeskirche, herrschte - zumindest eine oberflächliche - Ruhe. Seit dem großen Brand 1808 verfügten die Griechisch-Orthodoxen über die Schutzherrschaft. Jerusalem und das Heilige Land war für die meisten Europäer bereits eine Legende, als Wissenschaftler begannen die Topographie der Heiligen Stätten zu erforschen - sie wollten genau wissen, ob die in der Bibel beschriebenen Orte auch mit der Geographie übereinstimmten. Selbst die Echtheit des Heiligen Grabes wurde von Zeit zu Zeit in Zweifel gezogen. Musik Autorin Pilger, die nicht zum ersten Mal in Palästina waren, schätzten zu dieser Zeit die Verbesserung ihrer Aufenthaltsbedingungen und Verpflegungsmöglichkeiten. Waren die Lebensmittel zu ihrer Ankunftszeit zur Neige gegangen, konnten die Pilger in Jerusalem Nachschub besorgen. Die Ernte im Jahre 1847 galt als gut. Auf den Märkten bot man reichlich Produkte an, von Oliven, über Ziegenfleisch bis hin zum runden arabischen Kuchenbrot. Den christlichen Pilgern ging es vor allem um ihre Begegnung mit dem Grab Christi. Ida Pfeiffer, eine österreichische Kauffrau, war schon sechs Jahre vor Gogol in Jerusalem: Sprecherin Wir begannen mit der Via Dolorosa, dem Weg auf welchem Christus zum letzten Male auf Erden als Gottmensch, gebeugt unter der Last des Kreuzes, zur Schädelstätte ging. Die Stellen, wo Christus fiel, sind mit Stücken von Säulen bezeichnet. Die dritte Stelle sieht man im Innern eines Hauses. Von da gelangten wir zur Zwerchgasse, und zwar zu demselben Ort, an welchen die Heilige Maria in größter Eile gekommen war, um ihren Sohn noch einmal zu sehen. Musik Sprecherin Von hier aus führen mehrere enge, schmutzige Gassen in die Kirche des Heiligen Grabes. In denen, die der Kirche nahe liegen, sind lauter Buden wie zu Mariazell in der Steiermark und an vielen anderen Wallfahrtsorten, in welchen eine Auswahl von Rosenkränzen, geschnitzten Perlmuttermuscheln, Kruzifixen zu finden sind. Der Platz vor der Kirche ist ziemlich nett. Musik Sprecherin Man wird von einer Menge Bettler umschwärmt. Die Kirche ist verschlossen; die Türken haben die Schlüssel in ihrer Verwahrung und öffnen sie nur dann, wenn es begehrt wird. Man gibt ihnen für diese Mühe den kleinen Betrag von drei oder vier Piastern, sie sind damit zufrieden und bleiben während der ganzen Zeit, die man in der Kirche zubringt, gleich am Eingang im Innern der Kirche zurück, wo sie auf Diwanen lagern, Tabak rauchen und Kaffee trinken. Musik Sprecherin In der zweiten, ebenso kleinen Abteilung steht der Sarkophag oder das Grabmal Christi aus weißem Marmor. Der Zugang dahin führt durch eine niedere Pforte, dass man sich sehr bücken muss, um hineinzukommen. Das Grab nimmt die ganze Länge der Kapelle ein und wird als Altar verwendet. Man kann deshalb nicht in den Sarkophag hineinsehen. Die Beleuchtung ist Tag und Nacht äußerst reich, es brennen beständig siebenundvierzig Lampen über dem Grabe. Musik Autorin Nikolaij Gogols Besuch in der Grabeskirche lässt sich anhand seiner Korrespondenz, späterer Erinnerungen seiner Zeitgenossen - und mit ein wenig Phantasie - rekonstruieren. Nachdem er auf schlecht gepflasterten Gassen gelaufen war, an den Häusern des Pilatus und des Herodes entlang und an den Trümmern des Johanniter Convents, kam er auf den Platz, wo die Ärmsten der Stadt in ihren Lumpen bettelten, während daneben Händler auf Teppichen ihre Waren anboten. Von ihnen hat Gogol, so stand es auf seiner Agenda, Kreuze aus Perlmutt und Rosenkränze gekauft, als Mitbringsel nach Russland. Reichere Pilger erwarben hier auch Juwelen. Mitten durchs Getümmel drängelten sich die Geldwechsler. Und auch herrenlose Hunde streunten auf dem Platz umher. Bewaffnete türkische Soldaten sorgten für Ordnung. Musik Autorin Die Grabeskirche war geöffnet. Bevor Gogol in die verschiedenen Kapellen gelangte, erblickte er die länglich viereckige, rötliche Marmorplatte, den Salbungsstein, auf dem angeblich Jesus' Körper gesalbt worden war. Gogol küsste den Stein, wie die meisten Kirchenbesucher. An den vier Ecken waren große Kerzen aus Wachs aufgestellt. Dann eilte er weiter, an dem Stein vorbei, auf dem der Engel gesessen haben soll, der die Auferstehung verkündete. Endlich erreichte der Dichter das Grab. Der Duft frischer Blumen und das Licht von Dutzenden goldener und silberner Leuchter zauberten eine besondere Atmosphäre. Gogol stand vor dem Ziel seiner Reise und sank auf die Knie. Eines der Lämpchen, dessen Lichtstrahl sein Gesicht traf, stammte von seinem Landsmann, dem ersten russischen Pilger, Daniil, der hier im 12. Jahrhundert, zur Zeit der Kreuzzüge für das Wohl Russlands betete. Gogol faltete die Hände. Musik Zitator Gogol Liebe Freundin, Nadezda Nikolajewna! Jerusalem, 19. Februar 1848. Ich habe am Heiligen Grab Ihren Namen ausgesprochen. Nehmen Sie von mir, aus dieser heiligen Stadt meinen Dank für Ihre Gebete. Ohne diese Gebete, die Sie und andere Menschen für mich verrichten, die besser beten können, als ich, ich hätte nichts geschafft. Es war mir nicht vergönnt, mich selbst aufmerksamer zu betrachten und die eigene Unwürdigkeit zu bemerken. Beten Sie für meine glückliche Rückkehr nach Russland, für ein wirksames Gelingen meiner Arbeit und die Erneuerung meiner Kräfte. Zitator Gogol An Vater Matwej. Jerusalem, 28. Februar 1848 Ich schreibe Ihnen, um Ihnen mitzuteilen, dass ich hier bin. Dank Ihrer Gebete und der Gebete von Menschen, welche Gott genehm sind, bin ich hier glücklich angekommen. Bei dem Grab des Herren habe ich Ihren Namen erwähnt und betete, wie man mit einem Herzen kann, das unfähig zum Beten ist. Mein Gebet bestand lediglich aus der schwachen Äußerung meiner Dankbarkeit dafür, dass er mir Sie geschickt hatte, teuerster Freund und Wallfahrer. Empfangen Sie noch einmal meine Dankbarkeit von diesem Ort, den die Füße desjenigen geheiligt haben, der uns die Erlösung brachte. Autorin Merkwürdigerweise hatte der in seiner religiöse Ekstase untergetauchte Gogol kein Interesse an einem Ort, der ebenso viele Reisende anzog, wie das Grab und zur Zeit seines Aufenthaltes Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen wurde: Jesus Geburtstätte in Bethlehem. Ende Oktober 1847 kam es dort zu Handgreiflichkeiten zwischen griechisch-orthodoxen und römisch-katholischen Geistlichen. Es ging um die Vorherrschaft über die Geburtsstätte Christi. Im Verlauf des Gerangels kam der silberne Stern abhanden, der angeblich die genaue Stelle von Christi Geburt markierte. Die Streitenden beschuldigten einander des Diebstahls und wandten sich an den türkischen Pascha. Der jedoch konnte nicht allein entscheiden, wer im recht war, und so wurde die Angelegenheit nach Konstantinopel weitergereicht. Die osmanische Regierung plädierte für die Ersetzung des Sterns, was aber den Streit keineswegs beendete. Nikolaij Gogol verließ Jerusalem Mitte März 1848. In Beirut, bei seinem Freund Basili, blieb er noch drei Wochen und versuchte zum ersten Mal das Erlebte zusammenzufassen. Zitator Gogol An Wassilij Schukowskij. Beirut, 6. April 1848. Ich stand vor dem Altar alleine. Vor mir war der Priester, der die Liturgie zelebrierte. Der Diakon, der die Menschen zum Beten zusammentrommelte, stand bereits hinter mir. Die Stimme des Volkes oder des Chores, die ihm geantwortet hat, befand sich etwas weiter weg. Gott Erbarme dich meiner! - Gospodi Pomiluj! - und die anderen kirchlichen Hymnen konnte ich kaum hören, als ob diese aus einer anderen Gegend kämen. Das war wie ein Wunder. Ich kann mich nicht erinnern, ob ich gebetet habe. Es scheint mir, ich habe mich lediglich gefreut, dass ich meinen bequemen Platz einnehmen konnte, dass ich mich an einer so günstigen Stelle zum Beten befand. Autorin In der zweiten Aprilhälfte schiffte sich Gogol in Konstantinopel ein, wo ihn wegen einer Epidemie eine zwölftägige Quarantäne am Weiterreisen hinderte. Er hatte einige Schwierigkeiten, denn sein russischer Wechsel war abgelaufen. Geldnot und Ungeduld paarten sich in seiner Seele. Letztendlich gelang es ihm, Ende April das Schiff nach Odessa zu nehmen. Die Gedanken an das Heilige Grab ließen ihn auch hier nicht los. Zitator Gogol An Vater Matwej, Odessa 21. April 1848 Ich sage Ihnen, dass ich noch nie so wenig zufrieden mit dem Zustand meines Herzens war, wie in Jerusalem und nach Jerusalem. Vielleicht war das ganze Resultat, dass ich die eigene Rohheit und meine Selbstliebe besser erkannte. Mich ergreift der Schrecken vor allem, wenn ich sehe, in welche Gefahr ich mich begebe. Ich möchte Ihnen vieles sagen, aber dies würde viele Briefseiten beanspruchen und würde allzu leicht zur Redseligkeit führen, ja vielleicht sogar in Lüge münden. Autorin Am 16. Mai kam er in seinem Heimatdorf Wassiljewka an. Dort warteten die Mutter, die beiden Schwestern und die Leibeigenen der Familie bereits auf ihn. Er war nun wieder zuhause, nicht nur von der Pilgerfahrt nach Palästina zurück, sondern nach dreizehn Jahren Auslandsaufenthalt wieder in seiner Heimat. Dennoch beschäftigte ihn weiterhin die letzte Reise, sein Trance-Erlebnis am Heiligen Grab so intensiv, als wäre er immer noch unterwegs. Zitator Gogol 16. Mai 1848. Dorf Vasiljewka. Meine gute Freundin, Nadeschda Nikolajewna! Bei dem Grab des Herrn war ich letztendlich deshalb, um an dieser Stelle zu spüren, wie viel Herzenskälte in mir steckt, wie viel Selbstliebe und wie viel Überheblichkeit. Und wie weit all das war, was ich viel näher zu mir gewünscht hätte. Trotz alledem lebt in mir noch ein Funke von Hoffnung. Der Gedanke über meine frühere Arbeit, über mein Werk, verlässt mich nicht. Ich habe das Gefühl, überhaupt keinen Glauben in mir zu haben, ich akzeptiere Christus als Gottesmenschen, weil die Vernunft mir so befiehlt, nicht aber mein Glaube. Autorin Was war eigentlich in Gogols Kopf und Herz damals vor sich gegangen? Wie passt das zusammen, Christus als Gottesmenschen zu akzeptieren, ohne an ihn zu glauben? Warum hat Gogol in mehreren Briefen behauptet gebetet zu haben und sich in anderen, an seine Gebete nicht mehr erinnern wollen? Wenn er in diesem Moment am Grab Christi nicht geglaubt hat, dann hat er an sich selbst nicht geglaubt. Er bezweifelte instinktiv, dass der Kontakt mit dem Heiligen Grab ihm dabei helfen könnte, mit einem neuen Werk die pessimistische und spöttische Schilderung Russlands wiedergutzumachen. Aber zu dieser Zeit war er bereits die Geisel des Otjez Matwej Konstantinowskij. Wie konnte er jetzt seinem Seelen-Vater noch in die Augen schauen? Mit jeder Wersta seines Weges in die Heimat war er mehr der Magie seines Über-Ichs ausgeliefert. Musik Autorin Bald nach seiner Rückkehr nach Russland begann Gogol mit der Arbeit am zweiten Bandes der Toten Seelen und war so zuversichtlich, dass er einzelne Kapitel im engen Freundeskreis vorlas. Seine Zuhörer sprachen von der Wiederauferstehung der alten Gogolschen Satire. Jedenfalls wollte er das Buch veröffentlichen und war dabei das Manuskript beim Zensor einzureichen. Vorsichtshalber schickte er jedoch die vollgeschriebenen Hefte seinem orthodoxen Seelsorger Otjez Matwej zu. Der lehnte die Schrift mit heiliger Empörung ab und verlangte von Gogol, auf die Eitelkeit des Schreibens zu verzichten und schlimmer noch: mit dem Andenken an seinen Leitstern, den "Ketzer" und "Heiden" Alexander Puschkin zu brechen. Diese letzte Forderung, der Vorschlag eines Verrats am russischen Nationaldichter, seinem Vorbild und Gönner brachte Nikolaj Gogol an den Rand der Weißglut: "Ohne Puschkin hat mein Leben keinen Sinn!", soll er geschrien haben. Doch dieser Hilferuf konnte seinen frommen Seelsorger keineswegs erweichen. Die Tragödie nahm ihren Lauf. In der Nacht von 12. auf den 13. Februar 1852 verbrannte der Dichter das Manuskript des zweiten Bandes der Toten Seelen im Ofen seines Moskauer Gastgebers, des Grafen Tolstoj. Bei der dramatischen Szene war nur sein junger Diener, der Leibeigene Semjon anwesend, ein Analphabet. Er kniete vor dem Ofen und konnte die mit Tinte beschriebenen Blätter nicht mehr retten, flehte nur Gogol an: "Herr, was tun Sie? Herr, was tun Sie?" In den darauffolgenden Tagen verweigerte Nikolaij Gogol Essen und Trinken. Am 21. Februar 1852 war er tot. Musik Autorin Viele nahe Freunde Gogols wussten sehr wohl, dass er sich in einer lang anhaltenden Schaffenskrise befunden hatte, doch mit einem solch katastrophalen Ausgang hatten weder sie, noch sein Verlag, oder die auf das neue Meisterwerk wartenden Leser gerechnet. Es kursierten Gerüchte und vielen war Gogols Begeisterung für den Geistlichen Matwej gegenwärtig. Ein Freund des toten Dichters, der junge Publizist Tertij Filippow, soll dem Seelsorger in einem Gespräch unter vier Augen peinliche Fragen gestellt haben. Sprecher 1 Sie werden beschuldigt, dass Sie als Gogols seelischer Vater ihm verboten haben, weltliche Werke zu verfassen. Sprecher 2 Das stimmt nicht. Eine künstlerische Begabung ist ein Gottesgeschenk. Auf Gottesgeschenk darf man keine Verbote legen. Unabhängig von jedem Verbot, kommt die Begabung zur Geltung, und auch in Gogol kam sie zeitweise zur Geltung aber nicht in dem Maße wie vorher. Es stimmt, ich habe ihm geraten, irgendwas über die guten Menschen zu schreiben, das heißt, Menschen von positivem Typus darzustellen und nicht über negative Charaktere zu schreiben, was er so begabt getan hat. Sprecher 1 Man sagt, Sie haben Gogol geraten den zweiten Band der Toten Seelen zu verbrennen. Sprecher 2 Nicht wahr. Nicht wahr. Gogol hatte die Angewohnheit seine misslungenen Werke dem Feuer zu übergeben und danach diese in besserer Form wiederherzustellen. Und ich denke kaum, dass sein zweiter Band fertig war. Zumindest habe ich ihn nicht gesehen. Es war so: Gogol hat mir einige verstreute Hefte mit den Aufschriften "Kapitel" gezeigt, da er auch sonst in Kapiteln geschrieben hat. Er hat mich gebeten, die Hefte durchzulesen und meine Überlegungen zu sagen. Ich habe das verweigert, indem ich sagte, ich sei kein Beurteiler von weltlichen Angelegenheiten. Er hat mich aber so hartnäckig gebeten, dass ich die Hefte las. In diesen Werken aber konnte man den früheren Gogol nicht finden. Ich war dagegen, bestimmte Kapitel zu publizieren. In einem der beiden Hefte hat er einen Pfarrer geschildert. Er war eine völlig lebendige Figur, die jeder erkennen konnte, wobei nicht ich seine Züge hatte. Und er beschrieb ihn mit katholischen Nuancen, so dass kein orthodoxer Geistlicher erkennbar war. Ich war gegen die Veröffentlichung dieser Hefte und riet ihm sogar, sie zu vernichten. Autorin Zur Bestattungszeremonie im Danilowkloster bei Moskau kamen Tausende Verehrer von Gogols Talent aus allen Ecken Russlands und verabschiedeten sich von dem genialen Schriftsteller und scharfsinnigen Kritiker der russischen Zustände. Aber auch die Herrschenden fühlten sich in den Bann des tragisch verstorbenen Dichters gezogen. Russlands Zensor Nr. 1. der Kavalleriegeneral Leontij Dubelt wandte sich bald nach Gogols Tod mit einer ungewöhnlichen Bitte an den Zaren. Es ging um das Erscheinen des Gesamtwerkes des Dichters: Sprecher 2 Bei Gogol ist alles sittlich. Das Geschmacklose und Böse wird so dargestellt, dass man seinen Ekel spürt, oder so, dass sie nur ein harmloses Lachen auslösen, während das Gute und Wahre in seinen Werken dominiert. Ich hätte es für Rechtens gehalten ein Erlaubnis zur Publikation sowohl der früher erschienenen vier Bände als auch der im Manuskript existierenden postumen Arbeiten zu erlauben, ohne Auslassungen und Veränderungen. Autorin Das Danilowkloster wurde bald zu einem Pilgerort der russischen Leser. Nur die Bauern von Wassilewka waren zur Beerdigung nicht gekommen. Ohnehin glaubten viele von ihnen nicht an den Tod ihres Gutsbesitzers. Sie waren vielmehr der Meinung, dass im Grab jemand anderer läge, während Nikolaj Wassiljewitsch Gogol wieder nach Jerusalem fuhr, um noch einmal am Grab Christi für sie zu beten. Absage: "Gott, ermögliche mir eine ungefährliche Fahrt!" Der Dichter Nikolaij Gogol in Jerusalem Ein Feature von György Dalos und Andrea Dunai Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2013 Es sprachen: Ton und Technik Regie: Axel Scheibchen Redaktion: Karin Beindorff 2 1