COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Die Engel mit dem nackten Po - Sie sind 88 Jahre alt und kommen aus Grünhainichen - Autor Alexa Hennings Red. Claus Stephan Rehfeld Sdg. 23.12.2011 - 13.07 Uhr akt. WH vom 24.12.2008 - 13.07 Uhr Länge 19:46 Minuten Regie Clarisse Cossais (der Erstsendung 2008) Moderation Vorn und hinten das Hemdchen zu kurz, der Po lugt hervor. Nicht nur der nackte Hintern ist ihr Markenzeichen, aber im Volksmund heißen sie nun mal so: "Nacktarsch-Engel". Als sie 1923 erstmals manchen Weihnachtsbaum schmückten, da waren sie als "Elfpunkt- Engel" auf den Markt gekommen. Und immer noch da. Nunmehr seit 88 Jahren erblicken die Engel das irdische Licht, und zwar im Erzgebirgsdorf Grünhainichen. Aus dem Dorf dann geht es dann hinaus in alle Welt. Und so bevölkern bis heute stetig wachsende Engelsorchester mit halbbekleideten Musikern die Weihnachtsstuben auf dem Erdenrund. Denn so mancher Bürger schmückt mit dem "Nacktarsch-Engel" nicht nur seinen Weihnachtsbaum, sondern sammelt sie auch. 88 Jahre alt. Und immer noch das Hemd zu kurz. Die Sendung zur Bescherung. Alexa Hennings hat sie uns verfasst. -folgt Script Beitrag- Script Beitrag 1. Atmo Spieluhr, Oh du fröhliche Darauf 2. O-Ton Jossi, liest Gedicht Was die Kinderengel treiben, wenn die Menschen nicht bestellen? Nun, sie lesen und sie schreiben und sie singen froh Mit hellen, himmlisch süßen Engelsstimmen Alte, fromme Kinderlieder. Löschen Sterne, die verglimmen Und schauen nachts zur Erde nieder. 1. Atmo Spieluhr hoch Darauf Autorin Jossi Wolf ist acht und lebt in Hamburg. Ziemlich weit weg vom Erzgebirge, doch nah genug an den Engeln. Genauer gesagt: den Engeln mit dem nackten Po und den grünen Flügeln mit den elf Punkten darauf. Denn Jossis Vater, Erhardt Heinold, ist nicht nur Engel-Sammler, sondern auch ein Engel-Experte. Ein begehrter noch dazu: Sein Buch "Himmlische Boten aus dem Erzgebirge" mußte schon mehrmals nachgedruckt werden, so groß ist die Nachfrage. 3. Atmo Spieluhr Stille Nacht Darauf 4. O-Ton Jossi Gedicht weiter Und sie tanzen, und sie lachen mit dem Spielzeugengelvölkchen Lernen ferner Betten machen aus den weißen Federwölkchen Und erfinden goldne Märchen. Atmo Spieluhr weg Autorin Die Geschichte der Grünhainichener Engel beginnt eher weniger märchenhaft. Obgleich es sich fast wie ein Märchen anhört: 1914, die erste Kriegsweihnacht. Der Soldat Johannes Wendt bekommt von seiner Schwester Grete einen Engel an die Front geschickt. Ein Engel, so groß wie eine Hand, im weißen Kleid mit grünen Flügeln, darauf elf weiße Sternchen. Der Engel trägt zwei Kerzen. Johannes Wendt überlebt den Krieg. 3. Atmo Spieluhr, nur letzte Takte Stille Nacht Darauf Autorin Grete Wendt, die an der Königlich-Sächsischen Kunstgewerbeschule in Dresden studiert hatte und deren Herz für klare, moderne Kunst schlug - sie entwarf unter anderem Spielzeug und Möbel für die "Hellerauer Werkstätten" - gründete 1915 mit ihrer Studienfreundin Margarete Kühn in Grünhainichen die Firma "Wendt & Kühn". Im Jahr 1923 kamen dort wahrhaft kühne Engelchen zur Welt: Vorn und hinten das Hemdchen zu kurz, der Po lugt hervor, Kugelkopf, pummelige Gestalt, links und rechts ein freches Löckchen, grüne Flügel mit elf weißen Pünktchen. Der Volksmund machte aus Grete Wendts "Elfpunktengeln"- bald die "Nacktarsch-Engel". 5. O-Ton Heinold (Heinold) "Sie wollte diese Holzfiguren durch Lebendigkeit und durch diesen puppenhaften Ausdruck wirklich beleben. Und sie hat damit auch die Herzen der Menschen erreicht. Sie selber hat gesagt: Meine Figuren sind Volksgut geworden." Autorin Der Hamburger Verleger und Autor Erhard Heinold, selbst ein gebürtiger Erzgebirgler, forscht seit Jahrzehnten zum Thema Brauchtum im Erzgebirge. In seinem neuesten Buch "Himmlische Boten aus dem Erzgebirge" taucht er tief ab ins Archiv der Grünhainichener Engel-Firma. 6. O-Ton Heinold (Heinold) "Es gab einen gewissen Streit unter den Gelehrten, ob das nun Volkskunst sei oder nicht, und die DDR war ja da auch immer sehr kritisch und ließ nicht alles als Volkskunst gelten. Es ist gerade interessant, daß in diktatorischen Regimen - das war im dritten Reich genauso - immer der Staat denkt, dass er entscheiden kann, was Kunst ist erstens - und zweitens will er entscheiden, was den Leuten gefallen soll. Die Leute wollen aber gar nicht so, wie der Staat will - lacht - die wollen so, wie sie selber wollen! Und deswegen sind diese Figuren weltweit bis heute immer beliebt geblieben, weil sie geliebt werden - von den Sammlern, den Käufern und von denen, die sie auch als eine Art Symbol von Schutzengel empfinden. Es gibt eine Reihe von Erzählungen von Sammlern der Wendt-und-Kühn-Engel, die eben sagen, daß sie durch den zweiten Weltkrieg mit einem solchen Schutzengel gegangen sind und solche Erlebnisse berichtet haben." Atmo Spieluhr / Stille Nacht links, Oh Du fröhliche rechts Darauf Autorin Der Hauptberuf der Grünhainichener Engel ist Musizieren, weshalb vor allem auch berühmte Musiker wie Kurt Masur, Otmar Suitner, Rudolf Mauersberger und auch der Urwaldarzt Albert Schweitzer begeisterte Nacktarschengelsammler waren oder sind - für ihr Engelsorchester, aufgestellt auf einer blauen Wolke. Natürlich gibt es auch einen Dirigenten, ebenfalls im allzu kurzen Hemd. An der Hemdenlänge, so ergaben Heinolds Recherchen, nahm seit 1923 übrigens nie jemand Anstoß. 7. O-Ton Heinold (Heinold) "Es gab nicht nur die mit der kurzen Tunika und dem Popo, die Nacktarschengel, sondern es gab ja auch bei Wendt und Kühn vor dem zweiten Weltkrieg nackte Engel. Und eine dieser nackten Engelgruppen auf einer Spieldose hat ja Marlene Dietrich gekauft, erworben, wahrscheinlich auf der Leipziger Messe, das weiß man nicht ganz genau. Sie hat sie mit nach Amerika genommen. Eine Spieldose mit nackten Engeln. Und die Spieldose spielt "Leise zieht durch mein Gemüt" nach einem Gedicht von Heinrich Heine. Und in dem Film "Blonde Venus" ein Joseph-von-Sternberg-Film ..." 8. Atmo Musik Spieldose "Leise zieht" schon drunter legen Dann darauf 9. O-Ton Tobias Wendt (Wendt) "... da singt Marlene Dietrich in einem englischsprachigen Film, singt sie auf deutsch zu der Spieldose "Leise zieht durch mein Gemüt". Sie bringt ihren Filmsohn ins Bett, und weil der nicht so richtig schlafen will, nimmt sie die Spieldose vom Tisch, geht mit der Spieldose ans Bett, dreht, weil es eine Handdrehdose war, und singt auf deutsch in einem englischen Film. Einfach beeindruckend." 8. Atmo Spieldose hoch Darauf Autorin Tobias Wendt hält eine Spieldose mit Schneeglöckchen in der Hand. Um die Blumen, im Vergleich zu den Figuren baumgroß, drehen sich musizierende Kinder. Keine splitternackten Engel. Diese Warengruppe gibt es schon lange nicht mehr. Die Zeiten sind nicht mehr so unschuldig, meint Tobias Wendt. Atmo weg Und stellt die Spieldose zurück auf seinen Büroschrank. Dorthin, wo er das wertvollste Stück Firmengeschichte aufbewahrt: die Goldmedaille und den "Grand Prix". Preise, die seine Großtante Grete Wendt zur Pariser Weltausstellung 1937 für das außergewöhnliche Design ihres "Engelsorchesters mit Madonna auf der blauen Wolke" bekam. 8. Atmo nur letzte Takte Spieldose "Leise zieht..." Darauf Autorin Glaubt man an Engel, so hat Tobias Wendt gewissermaßen sein Leben einem Engel zu verdanken. Er ist der Enkel jenes Johannes Wendt, der von seiner Schwester zur Kriegsweihnacht 1914 den Engel bekam. Heute wird dieser Lichterengel - übrigens im langen Kleid - unter dem Titel "Engel Nr. 28" noch immer in der Grünhainichener Werkstatt in Handarbeit hergestellt. 10. O-Ton Wendt in Werkstatt (Wendt) "Mit dem Licht, das ist eine ganz wichtige Sache. Das Licht im Erzgebirge kommt von der Bergmanntradition, wo die Leute unter Tage gegangen sind mit ganz, ganz wenig Licht und sich immer gesehnt haben nach dem Licht. Engel und Bergmann, das ist das sehr traditionell. Und in dieser Tradition stehen auch diese Figuren." 11. Atmo Werkstatt, Maschinenlärm Darauf Autorin Das Leben der Engel beginnt mit sehr viel Dezibel. 12. O-Ton Wendt in Werkstatt, Maschinen (Wendt) "Das sind so die kleinen Fortschritte, die wir selbst in so einem traditionellen Betrieb machen können. Es bleibt natürlich nach wie vor mehr als 90 Prozent Handarbeit. Das werden wir dann in den anderen Abteilungen noch sehen." Darauf Autorin An den Drehmaschinen entstehen die Engels-Körper, die aussehen wie große Halmafiguren. 13. O-Ton Wendt, Maschinen (Wendt) "Hier sieht man auch die gestalterischen Proportionen, die meine Tante angesetzt hat. Das sind ja kindliche Proportionen, also ein relativ großer Kopf zum Körper, was diese Figuren natürlich auch besonders lieblich macht. Meine Großtante Grete hat keine eigenen, keine lebendigen, keine Kinder aus Fleisch und Blut gehabt. Sondern sie hat sehr, sehr viele andere Kinder, aber die sind eben alle aus Holz...Maschinen..." Autorin Himmlische Ruhe, gerade richtig für die Engel-Produkion, herrscht in den anderen Abteilungen. Carola Schubert in der Leimerei klebt gerade einem Geiger den rechten Arm an. 14. O-Ton Schubert/Wendt (Schubert) "Das ist die 650/130/2, unser neuer Engel für die Schwebeengel. Da gibt's schon einen mit Flöte, und das ist der mit Geige. Kommt jedes Jahr was Neues dazu. Wir machen immer andere Engel, nicht immer denselben. Wir machen auch Blumenkinder zwischenrein, wie es eben vom Kunden bestellt wird, so wird es hergestellt." (Wendt) "Ja, und so fängt das an: Das werden Arme. Da sind sie noch geschnitten. Und ehe man da richtig was sieht, daß der eine Haufen größer geworden ist, da muß man schon fleißig sein." Autorin Sehr fleißig. 15. O-Ton Peschel (Peschel) 6659. Autorin Und die Ruhe muß man weghaben, so wie Cindy Peschel, um nicht vor 6659 Engels- Ärmchen zu resignieren. 16. O-Ton Peschel (Peschel) "Man muß in einem bestimmten Winkel, daß es genau aneinander paßt. Genau aneinander. Keene Lücke." Autorin Und kein Leim, der aus den Ritzen quetscht. Sonst gibt es Ärger mit den nächsten Abteilungen, die der Engel durchwandert: die Taucherei, wo er dreimal ins cremeweiße Farbbad getaucht wird und die Malerei, wo Gesichter angemalt werden, Instrumente und Haare. 17. O-Ton Wendt (Wendt) "Wir hatten früher mal ein Verhältnis von 70 Prozent blond und 30 Prozent dunkel. Das waren damals wohl die Vorstellungen, wie Engel aussehen, blonde Engel, das hat man sich eher so vorgestellt. Mittlerweile sind wir über den Schritt 60:40 genau bei halbe-halbe angekommen. 50 Prozent blond, 50 Prozent dunkel - das ist ja bloß `ne Schätzung. Wir wissen ja auch nicht, wie Engel wirklich aussehen! Es ist ja bloß unsere Vorstellung davon. Und so machen wir sie, aber wissen tun wir das och ni`." Autorin Brigitte Stump aus der Malabteilung ist, wie viele hier und wie schon Eltern und Geschwister, schon Jahrzehnte in der Firma. Sie ist selbst eine eifrige Engel-Sammlerin - wenngleich sie erst nach der Wende damit begann. Oder: beginnen konnte. 18. O-Ton Stump / Wendt (Stump) "Es war ja vorher kaum so ein Engel zu bekommen, das ist es ja. Und nach der Wende, da fingen ja hier noch mal alle an, richtig zu sammeln! Weil man jetzt die Möglichkeit hat, von Wendt und Kühn die Figuren zu bekommen. Wenn man da vorher niemanden in einem Laden hatte, der da mal was unterm Ladentisch hatte, da war ja nicht ranzukommen - lacht -" (Wendt) "Also ein Teil der Figuren wurde ja im Intershop gehandelt in den letzten Jahren der DDR. Und das ist ja furchtbar, wenn ein Mitarbeiter sich für sein Geld, das er kriegt, nicht mal die Figuren leisten kann, die er herstellt. Sondern andere Währung brauchte. Aber es war halt alles diesem Mangel geschuldet, weil die DDR unbedingt die Devisen brauchte." 19. Atmo Spieluhr Volkslied Darauf Autorin So mancher unterm Ladentisch erstandene Nacktarsch verließ die DDR in Richtung Westen - im Weihnachtspäckchen neben dem Dresdner Stollen. Obgleich man es im Westen viel einfacher hatte, die Figuren aus dem Erzgebirge zu bekommen - sie mußten ja in Grünhainichen fast nur für den Export produzieren. 1972 konnte Tobias Wendts Vater Hans Wendt, der seit den 50er Jahren die Firma leitete, sich der sogenannten "Verstaatlichung" des Familienbetriebes nicht widersetzen. Aber er durfte als Betriebsleiter des nunmehr volkseigenen Betriebes weiter arbeiten und konnte so die Qualität retten, indem er weiter auf Handarbeit bestand. Und er konnte vor allem die Marke retten - ein Coup, der nur wenigen verstaatlichen Firmen gelang. 20. O-Ton Wendt (Wendt) "Das ist einer der ganz, ganz geschickten Schachzüge von meinem Vater gewesen. Da hat er lange gekämpft, richtig gekämpft und sich mit denen rumgestritten, wie denn die Firma Wendt und Kühn nach der Verstaatlichung heißen soll. Er wollte eben gern so viel wie möglich rüberretten und ist dann auf den Namen "Werk-Kunst" gekommen. Ein sehr schöner Name, finde ich, mit dem Begriff Werk-Kunst verbindet man auch so ein bissel die Bauhaus-Zeit und diese Herangehensweise. Und vor allen Dingen die Kunden zu halten durch das W und K. Es gab dann auch so verrückte Begebenheiten, Diskussionen in dem Kombinat: Durch den Namen Wendt und Kühn würde der Kunde zu sehr an Wendt und Kühn erinnert, also an die alte Privatfirma. Da sagt mein Vater: Ja, das mag schon sein, aber am meisten wird er ja durch die Figuren, durch die Engel an Wendt und Kühn und an die Frau Wendt erinnert, die sie gestaltet hat. Das werden wir auch nicht abschaffen!" 21. Atmo Spieluhr "Leise zeiht" Darauf Autorin Am liebsten hätte man wohl all die halbbekleideten Engel, die sich auf den Spieluhren drehten und im Orchester hockten, durch Blumenkinder, Bergleute und holzschleppende Frauen ersetzt - all das hatte Grete Wendt, dem Erzgebirge und den Menschen dort sehr verbunden, ja auch entworfen. Wenn sich nicht gerade die Engel so gut verkauft hätten im Westen. 22. O-Ton Wendt (Wendt) "Da hat mein Vater mal den neuen Vorsitzenden des Rates des Kreises Flöha besucht. Der hat dann gesagt: Also Herr Wendt, das verspreche ich Ihnen, in ein paar Jahren werden sie hier keine Engel mehr herstellen! So weit ging das, weil man ja die Engel mit der kirchlichen Tradition in Verbindung gesetzt hat. Man war der Meinung, in einem kommunistischen Land dürften keinen Engel hergestellt werden. Da hat uns immer wieder der Export gerettet, daß durch die Engel Devisen erwirtschaftet worden sind, das war immer unser großes Glück." Atmos Spieluhr Volkslied und Oh Du Fröhliche Darauf Autorin Grete Wendt erlebte die politische Wende, die in Grünhainichen auch eine Engel-Wende war, nicht mehr. Jedoch die zweite Grand Dame der Firma, Olly Wendt. erlebte sie, Tobias Wendts Großmutter, die auch als Gestalterin für die Firma arbeitete und der unter anderem die russisch anmutenden, knuffigen Madonnen zu verdanken sind, die mit dem Engelsorchester in Paris ausgezeichnet wurden. 23. O-Ton Wendt (Wendt) "Für meine Großmutter, die hat es ja miterlebt 1990 die Reprivatisierung, war das natürlich eine große Freude. Sie ist dann auch zum ersten Mal Miteigentümerin geworden 1990, das war eine große Freude. Auch für uns war es schon ein Ereignis, wir kannten es nicht als Privatbetrieb als Kinder. Ich bin 65 geboren worden, 72 ist die Firma verstaatlicht worden. Das war schon was Besonderes, wenn man hier angerufen hat, ich war damals Student gewesen, vorher hat sich jemand mit der Firma Werk-Kunst gemeldet. Und dann, von einem Tag auf den anderen, hat sich jemand mit Wendt und Kühn gemeldet." Autorin Die Firma blühte auf - der Nachhol- und Kaufbedarf an Engeln war riesig - dort, wo es ihn sonst nur unterm Ladentisch gab. Doch nach ein paar Jahren stand die nächste Herausforderung vor den Toren der inzwischen auf 170 Mitarbeiter gewachsenen Firma: Die Marktwirtschaft und viel Konkurrenz. 24. O-Ton Wendt (Wendt) "Jetzt sind die Anforderungen in einem gesättigten Markt, seinen Kunden das zu bieten, was sie suchen. Da will ich mal einfach so sagen: Das sind im ersten Moment ni` Holzfiguren. Die Menschen suchen Freude. Die suchen Freude im Leben, und die finden sie in unseren Figuren wieder, in den Blumenkindern und in den Engelchen. In diesen Phantasieprodukten, in dieser heilen Welt, in diesen lieblichen Produkten, dort finden sie das wieder." 25. Atmo Klavierspiel Herr Stimpel "Oh du fröhliche" Darauf Autorin Im Haus gegenüber von Wendt und Kühn in der Chemnitzer Straße in Grünhainichen, übt Wolfram Stimpel, pensionierter Lokführer, für seinen Einsatz am Heiligen Abend. Um ihn herum, auf dem Klavier, auf dem Tisch, auf dem Fensterbrett, in der Glasvitrine an der Wand - alles voller Figürchen. Nicht nur Engelchen, auch Weihnachtsmänner und Wichtel, Vertreter der arbeitenden Bevölkerung wie Männer mit Schubkarren und Frauen mit Körben, Kerzenengel, Blumenkinder und sogar Soldaten der königlichen Garde von Dänemark - der ganze Kosmos der Firma von gegenüber entfaltet sich in Familie Stimpels Wohnung. 26. O-Ton Frau Stimpel (Frau Stimpel) "Wo man hinkommt, die Läden sind voll. Und Wendt und Kühn, das sind die schönsten Figuren. Die Wendt-Grete, die hat was geschaffen - mit was für 'nem Blick! Wenn Sie die Blumenkinder angucken, die Blüten, die Kinder, überhaupt die Kinder und alles, das ist so wunderbar, man kann das einfach gar ni' so beschreiben. Die is ni' bloß gesessen und gezeichnet, die ist auch mit offenen Augen in die Natur gegangen." Autorin Das sehen die beiden Stimpels noch richtig vor sich, wie die Wendt-Grete mit ihrem Körbchen, in dem sie Blumen gesammelt hatte, den Berg vor ihrem Haus hinunterkam. Und wenn auch die Elfpunkt-Engel auf der ganzen Welt leben mögen, exportiert werden nach den USA und Australien, nach Taiwan und Argentinien, in die Schweiz und nach Russland, so werden sie doch im Erzgebirge mit dem meisten Herzblut gesammelt und gehütet. Margarete Stimpel hält einen Engel in der Hand, so vorsichtig, als hielte sie einen Zitronenfalter. 27. O-Ton Frau Stimpel (Frau Stimpel) "Und dann gibts manchmal auch so Sonderanfertigungen, wie zum Beispiel die zwei Engelchen, die haben sonst eine blaue Tulpe, und da haben sie dann eben das rote Herzel und das Geburtsdatum. Und es sind eben och ein paar Figuren, die so ganz alt sind, die ich eben auch mal geschenkt gekriegt habe. Und die hat man ja natürlich besonders aufgehoben, weil man die ja nie wieder kriegt! Das kommt nicht wieder." 28. Atmo Klavier Herr Stimpel Darauf Autorin Eine Sammlerin wie Frau Stimpel muß auch immer lauern, welche Figuren nun jetzt wieder aus dem Programm genommen werden. Rund 1.000 Entwürfe von Grete Wendt liegen im Musterschrank der Firma, rund 300 Figuren davon werden produziert und pausieren dann wieder für fünf, zehn oder gar 15 Jahre. Ein Alptraum, da etwas zu verpassen. Musik Klavier weg Im Musikzimmer hat Wolfram Stimpel jetzt seine Klavierübungen beendet und kommt herüber ins Wohnzimmer, wo als Höhepunkt der Weihnachtsdekoration der Engelsberg mit dem Orchester aufgebaut ist. In der Mitte nicht die Madonna, sondern ein Engel am Flügel. Der Lokführer a.D. versucht es mal in Worte zu fassen, was ihm die Engelchen geben. 29. O-Ton Herr Stimpel (Herr Stimpel) "Ein Gefühl der Geborgenheit in der Hektik des Alltags. Man ist doch eigentlich in der heutigen Zeit als moderner Mensch von früh bis abends unter Druck. Wenn man was schaffen will, wenn man was erreichen will, steht man ständig im Streß. Und dann kommt eine Phase der Ruhe und der Besinnlichkeit und da gehört das irgendwie dazu. Wenn man noch dafür aufnahmefähig ist! Wenn man das ni' mehr ist, dann ist wirklich bös, wie man so schön sagt, nu?" 1. Atmo Spieluhr Oh du fröhliche Darauf 30. O-Ton Frau Stimpel, liest erzgebirgisches Elfpunkt-Engel-Gedicht (Frau Stimpel) Kurze Röckle, grüne Flügln Mit elf weiße Pünktle drauf, wenn de Weihnachtszeit is kumme, weck ich die kleen Englein auf. All die Sänger, Musikanten, mancher hält e Licht, en Stern, und mir is, als könnt ich leise Weihnachtsliedr klinge hörn. Engele mit grüne Flügln Und elf weiße Pünktle drauf, `s erschte Lichtl will euch weckn: `S ist Weihnachtszeit, nu kummt, stieht auf! 1. Atmo Oh du fröhliche hoch, auf Ende -ENDE Script- 1