KULTUR UND GESELLSCHAFT Reihe : LITERATUR 0.05 Uhr Titel der Sendung: Cash Crash Comedy Autor : Wolf Eismann Redaktion: Sigried Wesener Sendetermin 12.05.2013 Besetzung Sebastian Dunkelberg, Sigried Wesener Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 Cash Crash Comedy Die Finanzkrise auf deutschsprachigen Bühnen Von Wolf Eismann Redaktion: Sigried Wesener Sendung: Deutschlandradio Kultur – Literatur – 12. Mai 2013 Länge: 52’25 & Abspann = 54’11 Er: Sebastian Dunkelberg Sie: Anne Weber Musik: Heiner Goebbels: Surrogate Er: Am besten kauft man dann, wenn das Blut auf den Strassen klebt. Selbst, wenn es dein eigenes ist. Wenn es Krieg und Revolutionen gibt, Aufstände, Armageddon. - Wenn sie uns wie Vieh durch die Strassen hetzen, wenn es politische Probleme oder Wirtschaftsprobleme gibt, wenn sie uns bespucken, die Märkte kollabieren, wenn sie uns schächten und unsere Kinder verschachern, wenn ihnen ihre hohen Herzen in die Hose fallen, wenn sie ihren Hals nicht voll genug kriegen und ihre Kriege führen, wenn das Wasser in der Stadt steigt und alles überflutet, dann fallen die Preise. Dann fallen die Aktien, dann fallen die Messer vom Himmel, und ich fange sie auf mit meinen tausend Armen, ich greif in die fallenden Messer, die mich aufschlitzen. Wenn sie am Tiefpunkt sind, kauf ich, blutüberströmt vom eigenen Blut. Denn die am Tiefpunkt kaufen, machen eine Menge Geld und die Menge arm. Sie: Ein Banker-Drama. Frei nach Shakespeare. Albert Ostermaiers „Ein Pfund Fleisch“ nutzt die elisabethanische Komödie des „Kaufmanns von Venedig“ als Folie für ein aktuelles Stück über die Finanzkrise. Er: Du bist ein Poet. Es gibt auf dem Parkett keinen Poeten wie dich. Du machst aus einem Gedicht ein Geschäft, aus einem Sonett Sonnenenergie, aus einem Flirren einen Fonds. Du musst nicht das Gras pflücken, um zu wissen, woher der Wind weht, du brauchst keine Kurse, um Kurs zu halten, du gehst auf den Grund, nicht deine Schiffe; der Sand, der durch deine Hand rinnt, ist nicht Vergeblichkeit, sondern der Sand, auf dem sie Millionen von Häusern an unseren Küsten bauen. Ich bewundere dich. O-Ton 1: Steffen Sünkel: Die Abgründe, die Gier entsteht rein über die Sprache. Alles, was sie machen, lebt in der Sprache, und das finde ich einen sehr mutigen und gelungenen Ansatz, mit so einem Text umzugehen. Sie: Lob von Steffen Sünkel, Dramaturg am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Hier wurde das Stück von Albert Ostermaier im Herbst 2012 unter der Regie von Dominique Schnizer uraufgeführt. Musik: Wim Mertens: Usura O-Ton 2: Steffen Sünkel: In der Mitte hängt ein halbes Schwein runter, auf das geboxt wird. Und das ist der Raum, in dem das stattfindet. Ein sehr kühler, distanzierter Raum. Außer Musik und Videos keine sonstigen Zeichen, eine ganz weiße Fläche, in der sich diese Figuren begegnen. Das Thema Boxen spielt eine große Rolle. Und ich glaube, dass das ein perfektes Setting ist, um diese Investmentbanker aufeinanderprallen zu lassen. Sie: Als Dramaturg war Steffen Sünkel bereits an den konzeptionellen Vorgesprächen beteiligt. O-Ton 3: Steffen Sünkel: Als wir über ein Stückauftrag mit Albert Ostermaier gesprochen haben, haben wir dann auch über die Finanzwelt gesprochen. Natürlich standen wir alle unter dem Einfluss dieses Bankenchrashs, und er hat gesagt, dass er das gerne zuspitzen würde. Ihn interessiert sehr „Der Kaufmann von Venedig“ von Shakespeare, und er hat uns angeboten, dass er davon eine ganz eigene Fassung schreibt. Dass er die Figuren nimmt, dass er den Plot teilweise nimmt, aber dass er seine Sicht, eine sehr heutige Sicht da reinlegt. Und das fanden wir spannend, weil für uns auch im Raum stand: Können wir als Theater überhaupt so schnell auf diese Finanzkrise, diese Wirtschaftskrise, können wir da überhaupt so schnell reagieren. Wollen wir das. Müssen wir das. Als Albert Ostermaier dann sein Stück geschickt hat, war klar: Ja, wir müssen uns genau mit diesen Themen und auch so schnell auseinandersetzen. Sie: Wie kaum ein anderer Bühnenklassiker eignet sich „Der Kaufmann von Venedig“, um die Finanzkrise zu fokussieren. Und Albert Ostermaier war bereit, den übermächtigen Shakespeare herauszufordern. O-Ton 4: Steffen Sünkel: Also, die Anleihen sind dann gar nicht mehr so stark, wie das vielleicht auch am Anfang mal intendiert war von Albert Ostermaier. Er hat schon ein ganz eigenes Stück daraus geschrieben. Er hat es auch wirklich radikal zugespitzt. Das sind fünf Personen, nur Männer. Was Albert gemacht hat, was ich formal sehr spannend finde: Er mischt Original-Shakespeare-Sprache mit seiner Sprache, die eben auch eine sehr eigene, sehr pointierte, sehr lyrische Sprache ist. Und so entsteht da ein Stück, was zwei Welten miteinander verbindet. Dass man sagt: Okay, was sind denn die Punkte, die man aufgreifen kann, auch aus der Shakespeare-Zeit. Wo spielt das bei uns heute eine Rolle? - Ein Beispiel: Das Pfand, was dort verlangt wird, ein Pfund Fleisch… Musik: William Orbit: Silent Signals Er: Nur zum Spass: Wenn Ihr mir nicht bis zu Börsenschluss hier an Ort und Stelle die Dreitausend wieder zahlt, dann lasst … Wartet! Ich will nicht herzlos sein, wie Ihr zu behaupten pflegt. Dann lasst mir ein volles Pfund von Eurem Fleisch zur Buße und Tilgung ansetzen. Das ich dann eigenhändig und unübertragbar, aus welchem Teil ich auch will, aus Eurem Leib schneiden darf. O-Ton 5: Steffen Sünkel: Dieses Herz, was er praktisch als Sicherheit verlangt, das spitzt Ostermaier zu und sagt: Na ja, in dieser Finanzwelt hat eigentlich nichts mehr einen Wert. Das sind alles nur noch Zahlenkolonnen. Die Auswirkungen sind aber genauso drastisch, genauso brutal, wie wenn man einem Menschen als Pfand ein Pfund Fleisch, also sein Herz, fordert. Sie: So erleben wir jene Männergesellschaft, die im Trading Room agiert, der hier – wie originell - zum Boxring stilisiert wird. Er: Es riecht nach Schweiss, schwitzenden Männern… Sie: … heißt es bereits in der Regie-Anweisung des Autors. Und weiter: Er: Ein leerer Box-Käfig mit Draht umschlossen, an den Seiten Sandsäcke, Speedballs und eine Schweinehälfte, auf die Shylock einschlägt und an der er seine Schlagkombinationen trainiert. Musik: Heiner Goebbels: Surrogate Sie: Shakespeares „Kaufmann von Venedig“, einerseits aufbereitet mit Videobildern und dumpfen Beats, andererseits reduziert auf das Thema Geld und Gier; das Personal von 1605 unter den Finanzmarktbedingungen des Jahres 2012. Ständig wird hässlich gelacht, wenn wieder eine herzlose Scheußlichkeit geäußert wird. Man kratzt sich am Sack und brüllt ins Handy. Die Akteure: Abziehbilder. Musik aufblenden, dann aus. Er: Seit 2007 stecken wir in einer globalen Finanzkrise. Ausgelöst durch Gewinnstreben und Gier, Wohlstandsversprechen und überbordende Wachstumsfantasien, Gutgläubigkeit und überzogene Erwartungen. Kurzum: Sie: Maßlosigkeit. Er: Zwei Jahre später – 2009 - war es Elfriede Jelinek, die als eine der Ersten im Theater darauf reagierte. Mit einer Wirtschaftskomödie. Ein Genre, das es bis dahin auf der Bühne nicht gab. Titel des Stücks: „Die Kontrakte des Kaufmanns“. Sie: Der Börsenkurs ist gefallen, weh, weh, weh…! Er: So singt der Chor der Kleinanleger. Sie haben Verluste gekauft, die sie für Gewinne hielten. Man investierte ins Nichts, das Nichts vermehrte sich, das Nichts wurde über die ganze Welt verkauft. Das ist die absurde Rationalität der Finanzmärkte - und Pointe des Stücks. Die Kleinanleger jammern um ihre „Ersparnisse, die uns jetzt endlich erspart bleiben werden“. Sie: Eine Litanei wird angestimmt, ein Gebet, ein Trommelfeuer, eine stundenlange Empörung. Die Banker anworten darauf zynisch. Er: Damit müssen Sie sich abfinden, so wie wir uns mit unseren Abfindungen abfinden müssen. Sie: Wie immer bei Elfriede Jelinek ist die Wirklichkeit nur Stimulus für ein sprachkunstvolles Spiel virtuoser Übertreibungen und komödiantischer Verzerrung. Eine Textfläche, knapp 100 Seiten. O-Ton 6: Elfriede Jelinek: Ich schreibe keine psychologischen Stücke. Bei mir treten nicht Menschen mit differenzierten Charakteren gegeneinander an, sondern bei mir treten eben Ideen gegeneinander an. Schablonen, also Träger von Sprache. Mit Wasserkübeln sozusagen tragen die die Sprache aufs Schlachtfeld und schütten sich dann gegenseitig an. Und sie sind nur da, solange sie sprechen. Musik: DJ Hell: U Can Dance (Carl Craig Remix V.2) Er: Mittlerweile nutzen viele Theater die längst chronisch gewordene Finanzkrise als Chance, sich einzumischen, generieren sich mit aktuellen Produktionen als kritische Instanz. Sie: „Die Krise ist ein ungemein produktiver Zustand“, meinte einst schon Schriftsteller Max Frisch. Er: Doch ist es eine echte Herausforderung, ein derart abstraktes und überaus komplexes Thema wie die Finanzkrise für die Bühne sinnlich und vor allem verständlich aufzubereiten. O-Ton 7: Steffen Sünkel: Wahrscheinlich ist es gar kein Thema für die Bühne. Was wir auf der Bühne machen können, ist ja: Geschichten, Ideen, Theorien immer angebunden an Menschen, an Figuren zu transportieren. Und da ist so ein Thema wie die Finanzkrise erstmal wahnsinnig unsexy. Sie: Und wenn man es denn doch angeht, dieses Thema: Wie gelingt es, diejenigen, die stets sehr schnell als Schuldige angeprangert werden… Er: Jene Geldmacher, Geldverbrenner, Wohlstandsvermehrer, Vermögensvernichter, Investment-Zauberer – oder was auch immer diese Leute sein oder nicht sein wollen. Sie: Wie gelingt es, sie diesseits der üblichen Klischees darzustellen? O-Ton 8: Andres Veiel: Ich glaube, wenn man von außen schreibt, kommt man nicht in diese inneren Denkprozesse. Zumindest kann ich das von den Vorstandsetagen sagen. Wie denken diese Menschen. Da ranzukommen, also Menschen beim Denken, Verleugnen, Verdrängen, sicher auch Beschönigen… da zuzusehen… Das ist, glaube ich, von außen… Wenn ich jetzt gesagt hätte: Ich stell mir mal so vor, wie die so sind… wäre ich viel stärker in Klischees gelandet. Er: Andres Veiel, mehrfach preisgekrönter Dokumentarfilmer und Theatermacher, ist dafür bekannt, dass er seinen Erzählstoff aus umfangreichem Recherchematerial entwickelt. Um den Ursachen der Finanzkrise auf den Grund zu gehen, war Andres Veiel über ein Jahr lang in den Chefetagen großer Geldhäuser in Deutschland, Großbritannien und Luxemburg unterwegs, hat intensive Gespräche mit mehr als zwanzig mittlerweile entmachteten und generös abgefundenen Spitzenleuten der deutschen Finanzwelt geführt - und aus 1.500 Seiten Transkript ein Theaterstück entwickelt, das das Leben hinter den Glasfassaden der Bankentürme durchleuchten soll. Musik: Einstürzende Neubauten: Ein seltener Vogel Sie: Hab als Broker angefangen, damals gab’s da gar keine Frauen, heute übrigens auch nicht. Der Job ist Karate, ich hab zwei ältere Brüder, da durfte ich das trainieren. Ich hab das sehr gerne gemacht, habe denen gezeigt, dass ich keine Luftnummern mache. Derivate hatten wir bis dato kaum gehandelt, da kam ich mit einem Kunden an, der wollte mit 250 Millionen in ein Optionsgeschäft rein. Sie müssen schreien, damit sämtliche Händler checken, oha, hier ist was los, da müssen Sie erst mal durchdringen, feste Stimme, gute Preise. Sie treffen eine Entscheidung, Sie rechnen jede Null nach und dann gibt’s kein Zurück, entweder sind Sie weg danach – oder die Queen. O-Ton 9: Andres Veiel: Wenn man von draußen draufguckt, dann ist ja allein durch die Kleidung… die feinen, von Schneidern maßgefertigten Anzüge, das Stofftaschentuch, was im rechten Täschchen immer griffbereit ist und nie benutzt wird. All diese Klischees führen ja dazu, dass man von monolitischen Figuren ausgeht, die da hinter diesen Fassaden agieren und letztendlich die Welt in ihren Krallen haben. Da genau hinzugucken und zu schauen, wie diese Machtkämpfe intern verlaufen, wie abgehört wird, wie Presseabteilungen in Gang gesetzt werden, um andere zu diskreditieren, mit Geheimdienstmethoden gearbeitet wird. Da kriegt man ja nochmal einen anderen Begriff, wie Macht sich intern auch organisiert. Gar nicht nur gegenüber der Politik. Es gibt da auch eine Auslotung von Machtstrukturen intern, und die waren für mich neu. Er: Dransein, Einfluss haben, gestalten können, sich abheben von dem täglichen Treiben, Sonderräume bekommen und sich ausklinken können aus dem, was banal und normal ist. Kann mir keiner erzählen, dass er da immun ist. Wenn ein CEO mit einer Eskorte abgeholt wird, der bewegt sich anders, der kriegt mit, wie Menschen vorbeifahren und sehen, dass er zum Auto geführt wird, von jemand, der sichtbar ‘ne Waffe trägt, aber in zivil ist, und einen in eine gepanzerte Limousine reinsetzt und Gas gibt. Sie: Das Stück von Andres Veiel entstand als Koproduktion zwischen dem Schauspiel Stuttgart und dem Deutschen Theater Berlin. Ominöser Titel: „Das Himbeerreich“. O-Ton 10: Andres Veiel: Von der ersten Deutung ist es der Ort, wo Menschen Privilegien genießen, ungeheuere Privilegien eben. Fahrer, Etagendiener, lebenslänglich eine sehr hohe Pension, dazu noch ein Büro und eine Sekretärin. Diese Privilegien wachsen ihnen in den Mund, und sie müssen einen Preis zahlen dafür, das ist das Schweigen. Hinter diesem Begriff steht ein Zusammenhang, auf den ich in den Recherchen für den Film „Wer wenn nicht wir“ gestoßen bin. Ein Brief von Gudrun Ensslin aus der Brandstifterhaft. Also, sie hat ja 68 ein Kaufhaus zusammen mit Andreas Bader angezündet, war dann längere Zeit im Gefängnis und schrieb dann an ihren Verlobten, dass er ihr doch bitte ein paar Luxusgüter mit ins Gefängnis bringen sollte, nämlich einen teuren Ledermantel, eine exklusive Salami, die es nur in einem sehr teuren Kaufhaus gab. Das heißt, sie hat, wenn man so will, das Himbeerreich angezündet und hat gleichzeitig dessen Früchte dann doch verlangt. Das hat sie selbstironisch auch so formuliert. Und dieser Widerspruch, den findet man ja auch im Investmentbanking. Auf der einen Seite sind sie Bloodsucker, sie saugen das System aus, und gleichzeitig wollen sie natürlich für sich dieses System bis zum letzten Moment nützen. Wir melken die Kuh, solange sie Milch gibt. Und dann geht sie eben ins Schlachthaus. Er: Täglich verfolgen Millionen Europäer, wie unvorstellbar große Geldsummen verliehen, transferiert oder fällig werden. Sie: So hieß es in der Ankündigung zur Uraufführung im Januar 2013. Er: Längst haben wir uns daran gewöhnt, darauf zu achten, welcher Staat noch ein Triple A im Rating der drei Agenturen bekommt. Auch die Höhe bestimmter Boni in der Finanzbranche löst keine Überraschung mehr aus. Was wir aber nicht wissen: welche Motive und Strukturen hinter den Abläufen stecken, wie entstehen die Entscheidungen, die im Resultat zunächst abstrakt sind, aber dennoch unser tägliches Leben bestimmen? Sie: Wenn man einen spezifischen Bereich in Ihrem Gehirn stimuliert, kann man Sie plötzlich weinen lassen. Ist das dann ein Gefühl? Nein, es ist eine Reaktion auf bestimmte Einflüsse, die wir im täglichen Leben nicht hinreichend genau definieren und voneinander unterscheiden können, deswegen nennen wir es Emotionalität. - Das heißt nichts anderes, als dass es keine menschliche Freiheit mehr gibt. Nicht ich treffe eine Entscheidung, nach rechts oder links zu gehen, sondern sie resultiert aus Myriaden von Einflussfaktoren… Wenn der Mensch letztlich und zugespitzt ausgedrückt nur die Marionette dieser Einflussfaktoren ist, dabei mögen sowohl Umwelt als auch Gene eine Rolle spielen, erübrigen sich die Begriffe der Freiheit und Verantwortlichkeit. O-Ton 11: Andres Veiel: Ich kann für mich nur sagen, dass ich sehr nahe rangekommen bin an Menschen, die normalerweise nicht sprechen, weil Banker ja erstmal qua Vertrag verpflichtet sind, über Internas nicht zu reden. Da hängen nicht nur die Privilegien des Himbeerreiches dran, sondern da hängen auch dran möglicherweise Schadensersatzansprüche, das heißt, wenn jemand jetzt verklagt würde, weil er über Internas mit mir gesprochen hat, wo sich dann doch eine Staatsanwaltschaft dafür interessiert, dann hat es natürlich Konsequenzen. Bittere Konsequenzen. Von daher haben einige sehr lange überlegt, ob sie sich darauf einlassen. Ich habe ihnen dann Anonymität versprochen. Sie konnten sowohl das Gesprächsprotokoll, als auch die verwendeten Passagen dann nochmal genauer durchsehen. Insofern war das ein Miteinander. Da habe ich einfach meinen Ruf zu verlieren, wenn ich die jetzt aufs Kreuz lege und sie doch kenntlich mache in dieser oder jener Form, habe ich gegen einen Informantenschutz verstoßen. Er: Wie treffen Investmentbanker Milliarden-Entscheidungen? Sie: Jene erfolgreichen jungen Männer, die mit dunkelblauen Anzügen, weißen Hemden, schmalen Krawatten, teuren Schuhen und ebensolchen Manschettenknöpfen um die Wolkenkratzer der Bankenviertel kutschiert werden. Wir kennen sie aus Filmen wie „Wall Street“ oder „American Psycho“. Er: Welche krummen Geschäfte laufen hinter den Kulissen der Finanzbranche? Sie: Ihr Handeln beeinflusst den Wert von Unternehmen oder ganzen Staaten. Innerhalb von Sekunden verdienen sie Millionen. Oder sie verlieren sie. Doch es geht nicht nur um viel Geld, denn das wird heute nur noch als abstraktes Zahlenspiel auf den Computermonitoren wahrgenommen. Es geht auch und vor allem um das Risiko. Die Aussicht darauf, Geld zu machen, ist weitaus erregender, als nachher tatsächlich einen Gewinn einzustreichen. In dem Augenblick, wo sie den Gewinn einstreichen, ist der Nervenkitzel der Gier schon zu etwas verblasst, was einem neurologischen Gähnen ähnelt. O-Ton 12: Andres Veiel: Also, es hätte sich sehr oft angeboten, die einfach in das offene Messer ihrer Sätze laufen zu lassen. Und das fand ich zu billig. Also, jetzt einfach nur Banker-Bashing zu betreiben. Die Herausforderung war, also erstmal diese sechs sehr unterschiedlichen Figuren in eine Konstellation zu bringen, wo durchaus Reibungspunkte sind, wo es Generationenbrüche gibt, wo es unterschiedliche Haltungen gibt, wo es Spannungen gibt. Also, diese verschiedenen Ebenen der Wahrnehmung zu einem Netz unterschiedlicher Deutungsstrukturen zusammenzubringen. Das war das Ziel… Er: Die einfachste Möglichkeit, Klischees zu vermeiden: Die Männer selbst sprechen zu lassen. In guter alter Dokumentaristenmanier hält Andres Veiel sich also raus, lässt das Recherchierte für sich sprechen. Sie: Er schickt seine Protagonisten in einen großen, leeren Raum, zwischen Wänden aus kühl glänzendem Silber, karg möbliert mit ein paar einsamen Bürostühlen. Vielleicht die Vorstandsetage eines Bankerturms? Womöglich auch ein hermetisch abgeriegelter Tresorraum? Oder eine Gefängniszelle? Er: Hier reden sie sich um Kopf und Kragen. Und: kein Satz fiktiv. Sie: Auf diese Weise gelingt Andres Veiel eine durchaus spannende Innenansicht der Finanzbranche. O-Ton 13: Andres Veiel: Und da kann man sich dann selbst ein Bild von machen: Wie weit ist da wirklich Verantwortung. Wieviel ist da Verdrängung. Was ist eine unglaubliche Arroganz. Glaube ich ihnen das. Also, es ist ja eine permanente Selbstbefragung auch, die der Zuschauer in dem Moment leisten muss. Nach dem Motto: Was soll das? Die sind sowieso schon so reich und haben soviel Macht, und jetzt dürfen sie sich in dieser Form noch äußern. In dem Sinne allein schon ist es eine Provokation, weil ich sie praktisch zurückhole aus einem Negativ-Mythos in eine Form der Auseinandersetzung, wo sie sich zumindest stellen. Das kann man ablehnen, aber man kann es auch als Chance sehen. Zu sagen: Indem ich diesem Denkprozess beiwohne und damit auch ein Stück Entmystifizierung mit betrieben wird, dadurch wird es natürlich zugänglicher. O-Ton 14: Melanie Hinz: Das ist natürlich bei Veiel eine tolle Geschichte, dass er aus einem ganz bestimmten Spektrum Banker gefunden hat, die am obersten Pol der Banken agieren können. Während wir in Dresden dann den Sparkassen-Bankangestellten haben. Er: Auch die junge Regisseurin Melanie Hinz erarbeitete ein Stück mittels einer Sammlung eigens geführter Interviews. In diesem Fall für das Staatsschauspiel Dresden. O-Ton 15: Melanie Hinz: Also, ich arbeite zusammen mit Sinje Kuhn. Wir arbeiten im Prinzip als Regie-Team. Was dann aber auch sämtliche Positionen selber besetzt. Wir sind unsere eigenen Dramaturgen und bereiten das Material dann für die Proben auf. Das ist auch der Unterschied. Er: Natürlich geht es auch in diesem Fall um die Finanzkrise. Hier allerdings mehr um die Auswirkungen für den Einzelnen. O-Ton 16: Melanie Hinz: Wir haben uns eben ganz bewusst entschieden und gesagt: Wir wollen nicht das Bankerstück machen und jetzt 20 Bankangestellte suchen und mit denen über das Thema Geld reden. Sondern mit ganz diversen Positionen. Also, was kann ein Fünfzehnjähriger über das Thema Geld erzählen. Und was jemand, der vielleicht eher aus einer alternativen Kultur kommt. Im Gegensatz zu jemand, der sich als Spekulant bezeichnet. Und wie kommen daraus vielleicht auch Konflikte zustande und unterschiedliche Perspektiven auf das Thema. Sie: „Cash. Das Geldstück. Dresdner spekulieren“ heißt der Abend, der Ende März 2013 in Dresden uraufgeführt wurde. Er: Über Geld redet man nicht? Damit ist jetzt Schluss! Sie: So hieß es in der Ankündigung. Und weiter: Er: Eine kleine Gruppe von Dresdnern begibt sich auf die abenteuerliche Mission, die Magie des Geldes zu entschlüsseln und dingfest zu machen. In einem Schlaraffenland voller Taler betrachtet sie den schönen Schein des Geldes und fragt sich: Welche Träume und Gefahren stecken hinter so banalen kupfernen Metallstücken und papierenen Noten? Wie viel davon braucht man für ein genügend gutes Leben? Und sie spekuliert. Was ist Luxus? Sie: Doch es gibt noch einen anderen Unterschied zu dem Projekt von Andres Veiel. O-Ton 17: Melanie Hinz: Sich mit dieser Bankenkrise, mit einer ganz bestimmten Zielgruppe zu beschäftigen und dann das Material auf sehr renommierte Schauspieler zu übertragen, diesen Schritt machen wir nicht. Wir behalten das Material genau an denen, die uns die Geschichten auch erzählt haben. Und ich glaube, in dem wird das auch interessant für die Tabuisierung von Geld, weil die eben tatsächlich auf der Bühne stehen und über ihre eigenen Geschichten sprechen. Er: Das Staatsschauspiel Dresden suchte über einen öffentlichen Aufruf Dresdner Bürger zwischen 16 und 80 Jahren, die Lust haben, etwas zu erzählen über ihr persönliches Verhältnis zum Geld. Arbeiter, Finanzberater, Arbeitslose, Erben, Testamentsvollstrecker, Kinder mit Sparschweinen, Professoren für Volkswirtschaftslehre, Obdachlose, Lotto-Gewinner… O-Ton 18: Melanie Hinz: Also, die Resonanz war sehr gut. Beim Auswahl-Workshop waren ungefähr 40 Personen. Der Jüngste war fünfzehn, und die älteste Person war ungefähr 75. Was sich gezeigt hat, dass vor allem Menschen dabei waren, die nicht wahnsinnig viel Geld besitzen. Also, es waren nur wenige Menschen dabei, die über 1.500 Euro netto besitzen. Es ist letztlich auch ein Casting, weil es uns wichtig war, dass wir ganz verschiedene Positionen zum Thema Geld in diesem Stück versammeln werden. Also, die mussten sich vorstellen mit einer eigenen Geschichte zum Thema Geld. Er: Die Gespräche wurden aufgezeichnet, das Material zur Dokumentation gesammelt. Sie: Einer, der sich den Fragen von Melanie Hinz stellte, war Pino. O-Ton 19: Pino: Also… / Melanie Hinz: Was haben denn deine Eltern gemacht? Also, was waren so die sozialen Verhältnisse, in die du geboren wurdest? / Pino: Proletarier-Haushalt. Also, mein Vater war Drucker, und meine Mutter war irgendwas Ungelerntes. Und… ja, Taschengeld gab’s nie. Wir hatten im Haus so einen kleinen Schokoladen-Laden. Das hat so eine alte Dame gemacht, 83 Jahre oder so. Und da hab ich dann später immer Kohlen geholt, zwölf Eimer oder so. Und da hab ich dann 80 Pfennig bekommen. Wie sie gerade auf 80 Pfennig kam, weiß ich nicht. (lacht) So fing das an… / Melanie Hinz: Das Taschengeld selbst verdient. Und was konnte man sich damals für 80 Pfennig kaufen? / Pino: Da konnte man sich zum Beispiel… (lacht) Eine Schlager-Süßware, das war so Schokoladenersatz… Das schmeckt fürchterlich süß, aber das war der Renner. Vor allem es war billig, und das gab’s immer. / Melanie Hinz: Das heißt, du hast es vor allem in Süßigkeiten investiert? Oder hast es gespart, die 80 Pfennig? / Pino: Die wurden irgendwie ausgegeben. Sie: Und noch ein Beispiel: Helmut, der irgendwann den Reiz entdeckte, an der Börse Geld zu machen. O-Ton 20: Helmut: Wenn man dann in einem relativ jungen Team dort arbeitet und die Mitarbeiter dort mit Aktien spekulieren, und du bist dann erstmal nur der Zuschauer und schaust: Mensch, was machen die denn da so? Wieviel verdienen die? Was zocken die? Das waren dann manchmal kleine Summen, aber manchmal auch größere. Und da haben sie gesagt: Ja, ich hab heute zweieinhalb Tausend an der Börse gemacht. Jetzt kann er sich dafür einen Urlaub leisten. / Melanie Hinz: Das ist dir gleich so begegnet, als du dort gelandet bist?/ Helmut: Ja, ich hab ja dort Montag bis Freitag von 9.00h bis 20.00h in der Firma gearbeitet, und da hat man dann schon genügend Zeit, sich mit den anderen über alle Dinge des Lebens zu unterhalten. Und… da fehlte am Anfang der Mut, da auch entsprechend einzusteigen. Nämlich: Geld an der Börse machen, hat immer auch mit Angst zu tun. Das Risiko, Geld zu gewinnen oder zu verlieren, ist 50:50. Und du musst nach Möglichkeit das Risiko so steuern, dass du zu 51% gewinnst und nur zu 49% verlierst. O-Ton 21: Melanie Hinz: Also, wir haben fünf Frauen und sieben Männer. Das Tolle ist, dass sich über die Geschichten, dadurch, dass wir ein Generationenprojekt machen, eigentlich so die letzten vierzig Jahre einer deutschen Geschichte über Geld erzählen lassen. Dass es in den Geschichten sehr viel damit zu tun hat, dass mehrere Währungswechsel passiert sind. Eben die DDR-Bürger, die dann den Wechsel gemacht haben von der Ostmark zur Westmark. Die Westmark, die wiederum umgewandelt wurde in den Euro. Und dann der Wechsel in die neunziger Jahre, wo es bei vielen zu so Aufstiegsgeschichten kommt. Wir haben einen dabei, der als Software-Entwickler sehr, sehr viel Geld gemacht hat und angefangen hat, mit Aktien zu spekulieren, und in den neunziger Jahren in so einer Phase war, wo er mit diesen Aktienspekulationen auch noch sehr viel Geld machen konnte, zwischenzeitlich mal eine Million hatte, die dann aber irgendwann auch wieder verloren hat. Wo man so merkt, dass es ganz konkret Einfluss genommen hat auf die soziale Situation von bestimmten Menschen. Und dass wir natürlich immer danach fragen, inwiefern die Finanzkrise uns Angst macht. Er: „Cash. Das Geldstück. Dresdner spekulieren“ ist ein Projekt der sogenannten Bürgerbühne, die am Staatsschauspiel Dresden mittlerweile in die vierte Spielzeit geht. Sie: Das Theater als Probebühne des Lebens eröffnet neue Spielräume. O-Ton 22: Melanie Hinz: Das Besondere an der Bürgerbühne ist, dass Projektformen, die man in letzter Zeit im zeitgenössischen Theater gesehen hat, vor allem bei Rimini Protokoll, dass nicht-professionelle Darstellerinnen und Darsteller in professionellen Inszenierungen auf der Bühne stehen, hat die Bürgerbühne zu einer eigenen Sparte gemacht. Das ist eben die Besonderheit. Und die Zugriffe dann in diesen Inszenierungen sind ganz, ganz unterschiedlich. Wie auch die Zielgruppen. Es gibt dramatische Stoffbearbeitungen, gerade „Die Jungfrau von Orleans“ mit Jugendlichen. Aber es gibt eben auch biographische Recherche-Projekte. Wo man aus den Geschichten der Menschen versucht Stücke zu machen. Und dadurch, dass es eben darum geht, eine Auseinandersetzung mit den Bürgerinnen und Bürgern zu führen, geht es für mich auch immer stark um die Frage: Was sind denn Themen, die uns gerade alle angehen. Über die wir was wissen wollen. Mit denen wir uns auseinandersetzen wollen. Und wie schaffen wir es dann, aus diesen Fragen Stücke zu produzieren. In die man dann auch lustvoll reingeht und gleichzeitig sich identifizieren kann mit den Menschen, die auf der Bühne stehen. Er: In den letzten zwei Spielzeiten standen insgesamt 800 Dresdner Bürgerinnen und Bürger aller Altersstufen auf der Bürgerbühne, und inzwischen hat sich diese neue Sparte auch überregional zu einem anerkannten und nachahmenswerten Projekt entwickelt. O-Ton 23: Steffen Sünkel: Das ist sicher eine Möglichkeit, damit umzugehen. Sie: Steffen Sünkel, Dramaturg am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, setzt dennoch lieber auf die historisch bewährte Methode. O-Ton 24: Steffen Sünkel: Wir haben uns entschlossen, das mit einem Autor zu machen, der trotz seiner Recherche immer auch über das Mittel der Literatur verfügt. Der natürlich eine Abstraktion damit reinbekommt, der auch eine Distanzierung damit reinbekommt in die Figuren, um dann so mit diesem Thema umzugehen. Albert Ostermaier versucht, dem mit literarischen Mitteln zu begegnen. O-Ton 25: Melanie Hinz: Ich glaube, dass es vor allem für das Thema Geld und die Finanzkrise eine sehr clevere Herangehensweise ist, über sehr subjektive Geschichten heranzugehen und Figuren zu entwerfen, anhand dessen ich das buchstäblich erfahren kann, was denn genau jetzt die Finanzkrise bedeutet. Weil ich glaube, dass das Thema erstmal zu abstrakt ist. Also, da ist ständig diese Finanzkrise in den Zeitungen, ich kann die aber gar nicht in seiner Komplexität erfassen. Und ich glaube, dass wir sozusagen dieser Ohnmacht, mit der wir diesem Phänomen Geld und Finanzkrise gegenüberstehen, versuchen, irgendwie habhaft zu werden. Das ist so der Ansatz, den wir haben. Er: Keine schlechte Idee, die Ohnmacht, aber auch die eigene Unwissenheit über das Thema zum Gegenstand der Arbeit zu machen. Schließlich: Wer versteht diese Parallelwelt überhaupt noch? Sie: Theaterregisseur Volker Lösch, der in seinen Inszenierungen ebenfalls gern den Bürger selbst auf die Bühne holt und im Chor als Volkes Stimme aufbegehren lässt. O-Ton 26: Volker Lösch: Auch, wenn man sie teilweise nicht bis ins Letzte versteht, da man in dem Sektor nicht arbeitet, erkennt man doch Erklärungsmuster, Beschreibungsmuster und dann auch Handlungsmuster der Beteiligten. Da wiederholt sich dann ab einem gewissen Punkt der Recherche vieles. Und das kann man dann auf irgendeine Art und Weise wiederum künstlerisch verarbeiten, indem man Muster abbildet. Oder indem man bestimmte Dinge mit anderen in Verbindung setzt, ins Verhältnis bringt. Das ist eine Frage der Beschäftigung, glaube ich. O-Ton 27: Steffen Sünkel: Ich weiß gar nicht, inwieweit zum Beispiel die Banker ihre Regeln, die sie ja selber aufgebaut haben, inwieweit das andere Banker zum Beispiel noch durchschauen. Ich weiß gar nicht, ob mein Sachbearbeiter bei meiner Bank weiß, wie innerhalb seines Bankinstituts andere Banker mit Geld jonglieren. Ich weiß gar nicht, ob er das durchschaut. O-Ton 28: Volker Lösch: Das scheint selbst den Spezialisten so zu gehen. Das geben viele offen zu, die Hedge-Fonds verkaufen. Die beschreiben, dass sie bestimmte Anweisungen bekommen haben, Produkte an den Kunden zu bringen, ohne zu wissen, was diese Produkte wirklich ausmacht. Auf Nachfragen können sie teilweise gar nicht im Einzelnen auseinanderdividieren, was dann in dem speziellen Hedge-Fonds drinsitzt. Er: Warum also soll es den Autoren anders gehen? Sie: Der britische Dramatiker David Hare, Verfechter eines politischen Volkstheaters schrieb mit „The Power of Yes“ ein eigenes Stück zum Thema, uraufgeführt am Londoner National Theatre. Untertitel: „Ein Dramatiker versucht, die Finanzkrise zu verstehen“. Und fragt. Er: Wer hat denn jetzt wirklich Schuld an der Katastrophe, für die wir alle den Preis bezahlen? Die gierigen Banker, die fahrlässigen Politiker oder die eitlen Wissenschaftler, die uns mit ihren mathematischen Modellen eine berechenbare Finanzwelt vorgaukelten? Sie: Andres Veiel ist mit seinem Projekt „Das Himbeerreich“ den Dingen ein Stück weiter hinab auf den Grund gekommen. O-Ton 29: Andres Veiel: Ich denke, dass der Staat da lange Jahre als Brandstifter agiert hat und in Milliardengräbern weiter tiefe Löcher ausgräbt. Das waren ja Leute der Finanzaufsicht und des Ministeriums, die zunächst mal die Regelungen so aufgehoben haben, dass diese ganze Entwicklung mit dieser dramatischen Dimension – in Deutschland zumindest – passieren konnte. Und bis 2007 wurden Banken aufgefordert, diese riskanten Geschäfte zu machen, von der Aufsicht. Das bedeutet jetzt nicht, dass ich das Investmentbanking entlasten will, aber zumindest die ganze politische Dimension ist, glaube ich, in der Konsequenz so nie beschrieben worden. Er: Doch auch Elfriede Jelinek kommentierte ihre Wirtschaftskomödie „Die Kontrakte des Kaufmanns“ mit den Worten: Sie: „Ich verstehe nichts von Wirtschaft“. Er: Lukas Bärfuss, Schweizer Autor und jüngst mit dem Berliner Literaturpreis ausgezeichnet, arbeitet selbst gerade an einem Stück über die Finanzkrise, und er findet das völlig in Ordnung. O-Ton 30: Lukas Bärfuss: Ich versuche eigentlich immer herauszufinden, warum ich über gewisse Dinge nichts weiß. Weil ich glaube, das sagt sehr viel aus über das Wissen allgemein. Also, ich versuche, meine Lücken zu finden, weil darin natürlich die Fragen liegen. Was ist mit meinem Neid. Was ist mit meinem Willen zum Reichtum. Was bedeutet mir Geld. Welche Rolle spielt Geld in meinem Leben. Mir geht es nicht darum, ein Wissen zu präsentieren in einem Stück. Mir geht es darum, eine Erfahrung zu ermöglichen. Basis davon ist, dass ich zuerst selbst eine Erfahrung mache. Deshalb verstehe ich Elfriede Jelinek sehr gut. Es ist immer ein trotzdem. Man versteht die Wirtschaftskrise überhaupt nicht, und trotzdem schreibt man ein Stück darüber. Sie: Man versteht die Wirtschaftskrise überhaupt nicht, und deshalb geht man ins Theater. Er: Autor, Regisseur, Schauspieler und Publikum bemühen sich gemeinsam und im Zweifelsfall auf Augenhöhe darum, Ursachen, Zusammenhänge und Auswirkungen der Krise zu begreifen. Sie: Wie schwierig das ist, erlebte auch Andres Veiel, der die komplexen Statements der Banker auf Schauspieler übertragen musste. O-Ton 31: Andres Veiel: Wenn ich in der Probe drinsitze, und jemand spricht einen Text, dann ist nur die Frage: Hör ich dem zu, oder langweilt er mich? Das heißt, wie schaffen wir es, diese so trockene, abstrakte… dieses Material so zu einem inneren Leuchten zu bringen, dass ich gedanklich in diese Räume mit folge. Was sagt er, und warum sagt er das? Sagt er das, um etwas anderes zu verschweigen? Wo weicht er aus, wo geht er in die Offensive? Von Anfang an war das die eigentliche Herausforderung. Es war eine sehr schwierige Suche, weil ich Schauspieler gesucht habe, die in der Lage sind, diese Texte auch zu denken. Er: Auch Volker Lösch wollte deshalb für sein Projekt echte Banker auf die Bühne bringen. Was seine Arbeit betrifft, ist dieses Vorgehen noch aus einem weiteren Grund folgerichtig: Sogenannte Bürger- oder Laienchöre sind ein Markenzeichen des Regisseurs. Sie kontrastieren in seinen Inszenierungen das jeweilige Stück, in dem sie auf der Bühne von ihren Ängsten, Nöten und Erfahrungen erzählen. Sie: Das Stück ist in diesem Fall die Dramatisierung eines Romans. „Angst“ heißt der Finanzmarkt-Thriller von Robert Harris. Der britische Erfolgsautor entwirft darin das Szenario einer weltweiten Finanzkrise, ausgelöst durch Computer-Algorithmen, die den Handel an den Börsen an sich reißen. O-Ton 32: Volker Lösch: Das Stück ist erstmal entstanden durch eine Vereinfachung der Vorlage. Klar, das ist ein großer Roman. Den muss man kürzen, muss ihn verdichten, muss ihn auch spielbar machen. Parallel dazu hatten wir zunächst vor, Banker zu finden, die uns zu dem Thema Rede und Antwort stehen und dann auch mit auf der Bühne stehen, mit den Profis zusammen. Das ist nicht gelungen. Sie: Aus denselben Gründen wie bei Andres Veiel. Und so stehen auch im Theater Basel seit der Uraufführung von „Angst“ im Januar 2013 ausnahmslos Schauspieler auf der Bühne. Er: Was sofort erstaunt: Hier werden auf dem Theater keine sterilen Bankertürme nachgebaut. Und die Protagonisten stecken nicht in feinem Zwirn, sind auch ansonsten alles andere als gestylt, sondern toben in den Fellen erlegter Tiere als Neandertaler durch das Setting. O-Ton 33: Volker Lösch: Die Idee ist entstanden über die Beschäftigung mit den Grundmechanismen: Angst, wie das ja auch den Titel für den Roman hergegeben hat, ist ganz wichtig in diesem Sektor, die immer wieder auch handlungsmotivierend ist. Und dann kommt man immer wieder auf Gier. Man kommt auf so einfache Affekte, die immer wieder bis zum Exzess durchgespielt werden. Ich denke, dass die Menschen, die in diesem Sektor arbeiten, speziell im Investment-Banking, dass die alle Spielernaturen sind, die Spaß daran haben, auch das Schicksal herauszufordern. Und natürlich keinerlei Gedanken daran verschwenden, dass sie eben auch mit dem, was sie tun, der Gesellschaft schaden. Mir blieb am meisten das Gespräch mit einem Konzernleiter hängen. Er geht davon aus, dass man, wenn man arbeitet, sehr schnell auch Millionär wird. Und wenn man nicht arbeitet oder faul sei, dass man dann eben arm ist. Das sei aber das Problem jedes Einzelnen und nicht das Problem des Staates. Der hat sich da nicht einzumischen. Also, das sind schon vulgär-darwinistische Gedankenstränge, die man auf ganz einfache Muster letztlich zurückführen kann. Und die brachten uns dann irgendwann mal auf den Urmenschen: sich notdürftig mit dem Fell, was man hat und was man im eigenen Umfeld erjagen kann, zu bedecken. Und das im Verhältnis zu den modernen Texten zu setzen, erschien uns insofern sinnvoll, als dass man einfach dem mehr zuhört, als wenn die Kollegen in dem wahrscheinlich langweiligsten Kostüm aller Kostüme herumlaufen. Nämlich dem Business-Anzug. Sie: Robert Harris, Autor von Welterfolgen wie „Vaterland“, „Enigma“ und „Ghostwriter“, schreibt in seinem neuen Thriller über einen Hedge-Fonds, der außer Kontrolle gerät. Eine Fiktion, und dennoch nah an den Fakten. Denn: Was gekauft und was verkauft wird, darüber entscheiden nicht Menschen, so Harris, sondern Computeralgorithmen. Die Finanzmärkte entwickeln eine Eigendynamik, die immer weiter wuchert – und die Erde beherrscht wie ein Monster. Musik: DJ Hell: U Can Dance (Carl Craig Remix V.2) Er: Im Jahr 2007 hat die britische Regierung die Datensätze von 25 Millionen Menschen verloren, ihre Steuerkennziffern, ihre Kontonummern, ihre Adressen, ihre Geburtsdaten. Aber das waren keine Lastwagenladungen, die man verloren hat, das waren gerade mal zwei CDs. Und das ist noch gar nichts. Google wird eines Tages jedes jemals veröffentlichte Buch digitalisiert haben. Bibliotheken werden nicht mehr gebraucht werden. Man benötigt nur noch einen Bildschirm, den man in der Hand halten kann. Aber der entscheidende Punkt ist: Menschen lesen immer noch mit der gleichen Geschwindigkeit wie Aristoteles. Der durchschnittliche amerikanische College-Student liest vierhundertfünfundsiebzig Wörter pro Minute. Die besonders Intelligenten schaffen achthundert. Das sind etwa zwei Seiten pro Minute. IBM hat erst im letzten Jahr bekanntgegeben, dass es für die US-Regierung einen Computer entwickelt, der 20.000 Billionen Berechnungen pro Sekunde erledigen kann. Für den Umfang an Informationen, den wir Menschen verarbeiten können, gibt es eine physische Grenze. (117) Sie: In einem Interview zu seinem Buch erklärte Autor Robert Harris: Er: „Wenn mein Roman eine Botschaft hat, dann die, dass die Finanzwelt nicht mehr auf irgendeine demokratische Weise unter Kontrolle ist, sondern in einer Parallelwelt neben der Menschheit existiert. Und dass selbst die Leute, die in dieser Welt arbeiten, sie nicht mehr verstehen.“ Sie: In dem Roman taucht schließlich ein Algorithmus auf, der sich selbstständig optimiert und letztlich nicht mehr abzuschalten ist. Er erzeugt Panik, und je größer die Panik, umso berechenbarer die Märkte, umso höher der Profit. O-Ton 34: Volker Lösch: An der Vorlage hat mich zunächst mal die Zuspitzung der Situation gereizt. Das ist ja eine sehr unübersichtliche Situation; sehr viele Menschen geben auf, resignieren ob der Vielfalt von Informationen, von Eindrücken, von Themen, die da auf einen einprasseln. Und Harris verdichtet das Ganze mehr zu so einer monströsen Frankenstein-Geschichte, in der einfach das, was schon real da ist, nochmal weitergesponnen wird. Also, die Umdrehung mehr, die das Ganze braucht, um es zu einer Farce werden zu lassen, wird da vollzogen in diesem Roman. Basierend allerdings auf einer sehr realen Geschichte, nämlich die Isolation dieses Sektors. Die Loslösung der Finanzwirtschaft von der Gesellschaft. Und die Autonomie dieses Bereiches beschreibt Harris ganz gut anhand dieses sehr abgeschotteten Hedge-Fonds, der da vor sich hin arbeitet, einen Algorithmus entwickelt, der dann in der Folge – das ist dann ein bisschen die Frankenstein-Geschichte – sich selbständig macht und dann sehr logisch agiert. Indem er nämlich, da er auf radikalen Gewinn programmiert ist, versucht, seinen Erfinder, seinen Schöpfer unschädlich zu machen. Weil er der Einzige ist, der den Algorithmus noch aufhalten könnte. Musik: DJ Hell: U Can Dance (Carl Craig Remix V.2) Er: Es hat keinen Sinn. Die Reaktion ist gleich null. Ich dachte, wir könnten wenigstens noch geordnet liquidieren, aber das ist offensichtlich keine Option mehr. Das ganze System muss komplett abgeschaltet und in Quarantäne verschoben werden, bis wir herausgefunden haben, was hier schiefläuft. Sie: Und wie machen wir das? Wir müssen denen eine plausible Erklärung liefern, warum wir nicht mehr mit einem Algorithmus arbeiten wollen, dessen Profite durch die Decke schießen. Er: Kein Problem. Wir ziehen den Stecker, und dann sagen wir denen, dass wir einen dramatischen Stromausfall in unserem Computerraum haben und uns aus dem Markt ausklinken müssen, bis wir das repariert haben. Und wie alle brillanten Lügen hat auch diese den Vorteil, dass sie fast der Wirklichkeit entspricht. (319) O-Ton 35: Volker Lösch: Wenn selbst die Spezialisten zugeben, bestimmte Dinge nicht mehr zu verstehen, und Vorgänge sich selbst überlassen, den Maschinen, den Computern, den Algorithmen überlassen, dann ist das ja auch wieder ein Aspekt, der genau das wiedergibt, was die normalen Menschen über das Ganze denken. Es ist unberechenbar geworden. Man kann es nicht mehr kontrollieren. Es hat sich selbständig gemacht. Sie: Andres Veiel mag das so nicht hinnehmen. O-Ton 36: Andres Veiel: Was für mich wichtig war im Stück: auch die persönliche Verantwortung zu benennen. Das heißt, es ist eben nicht nur ein anonymer Apparat. Das sind nicht nur Algorithmen, die da irgendwas in Gang bringen, sondern es sind ganz konkrete Vorstandssitzungen, wo Menschen abstimmen. Es sind Menschen, die in einer Sitzung sitzen – und sich auch anders hätten entscheiden können. Er: Doch sie haben es offensichtlich nicht getan. Bis heute nicht. O-Ton 37: Volker Lösch: Der Tenor aller Menschen, die wir da interviewt haben, ist der: Es geht eigentlich genauso weiter, wie es vorher war. Mit kleinen kosmetischen Korrekturen, taktischen Veränderungen, was das Erscheinungsbild nach außen betrifft. Aber an dem Grundvorgehen hat sich nichts geändert. Und was auch ein Thema war von fast allen, die wir gesprochen haben: Sie erwarten alle den Knall. Oder die Katastrophe. Ja, teilweise wurde in biblischen Bildern gesprochen. Die Apokalypse. Sie: Vielleicht lohnt es sich, einmal die gesellschaftlichen Ursachen für dieses Phänomen zu betrachten. Das offensichtlich kaum zu bändigen ist. Er: Gleich drei Autoren haben sich darüber Gedanken gemacht. Für einen gemeinsamen Theaterabend, der Schlaglichter wirft. Auf die Ungleichheit. O-Ton 38: Lukas Bärfuss: Wir wissen alle, dass wir ein anderes Verhältnis zum Reichtum und zum Geld und zum Glück schaffen müssen. Und ich glaube, das wäre jetzt an unserer Generation, das zu entwickeln. Sie: Lukas Bärfuss, Schweizer Dramatiker und Dramaturg am Schauspielhaus Zürich, initierte deshalb ebendort ein Theaterprojekt mit internationalen Gastspielen, Podiumsdiksussionen und drei Uraufführungen, Auftragsarbeiten von Händl Klaus, Michail Schischkin und ihm selbst. Thema: Arm und Reich. Er: Kaum je eine Frage hat das menschliche Zusammenleben mehr bestimmt, als jene nach der Verteilung des Wohlstands. Die ältesten Mythen kreisen um das Verhältnis von Macht und Ohnmacht, um die Frage nach dem Wert des Glücks und wonach es sich im Leben zu streben lohnt. Und in einer Welt, die Gott abgeschafft und den Kampf um das Glück ganz ins Diesseits verlagert hat, wird die Frage nach einer gerechten Ordnung immer drängender. Sie: Was ist ein reiches Leben, wo beginnt die materielle, wo die geistige Armut? Worauf muss der Einzelne verzichten, damit es seinem Nächsten besser geht? Wie ordnen wir unser Zusammenleben, damit alle genug, niemand zu wenig oder zu viel besitzt? O-Ton 39: Lukas Bärfuss: Die Schweiz ist eines der Länder, wo die Vermögen am ungleichsten verteilt sind. Weltweit. Der Gini-Koeffizient, der dieses Verhältnis misst, ist sehr ungünstig für die Schweiz, und Zürich ist da natürlich nochmal eine Stufe schlimmer. Die 500 reichsten Schweizer haben im letzten Jahr noch einmal 30 Milliarden zusätzlich eingenommen. Er: Lukas Bärfuss, einer der meist diskutierten lebenden Autoren der Schweiz, ist bekannt dafür, dass er sich – auch diesseits des Theaters - gern politisch einmischt. Sie: Unter dem Titel „Freiheit, die ich meine“ veröffentlichte er 2011 einen Essay, das sich gegen die oft und gern beschworenen „freien Märkte“ richtete. Er: Statt Visionen zu entwickeln, sollen die Menschen sich ausschließlich als wirtschaftliche Subjekte begreifen, ihr ganzes Leben unter das Primat von Angebot und Nachfrage stellen. Aber glücklicherweise tun sie dies nicht, nirgendwo auf der Welt. Die Menschen wissen, dass das Leben mehr ist als ein wirtschaftlicher Zusammenhang und Freiheit mehr bedeutet, als im Supermarkt eine möglichst große Auswahl zu haben. Und sie wissen, dass eben nicht „jeder nach seiner Fasson selig werden kann“. Menschen sind von Menschen abhängig, vom Geburt bis zum Tode, sie können es nicht allein, und weil sie das wissen, haben sie unter anderem den Staat entwickelt. Damit diese Abhängigkeit nicht nur von der Macht des Stärkeren ausgenutzt wird. Sie: In seinem Beitrag zum Theaterprojekt „Arm und Reich“ konzentriert Lukas Bärfuss sich auf ein Thema, das im ersten Augenblick wenig mit den Ursachen und Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise zu tun hat. O-Ton 40: Lukas Bärfuss: Also, mich hat vor allem interessiert: die Frage nach der Zeit und der Zeitlichkeit, weil ich glaube, dass unsere moderne Gesellschaft einen Umgang gefunden hat mit dem Raum, der ersten physikalischen Wirklichkeit. Wir haben den Raum erobert, wir haben Ressourcen gewonnen, wir haben eine große Krise auch der Räume. Das zeigt sich in den Migrationsströmen, das zeigt sich gerade in der Umweltverschmutzung. Ich glaube, wir haben keinen Zugang gefunden zu anderen Größen. Das ist die Zeit. Die Zeit beherrschen wir nicht. Wir haben keine Möglichkeit, irgendeinen Einfluss zu nehmen. Die Endlichkeit unseres eigenen Daseins ist uns allen bewusst, und solange der Kapitalismus einigermaßen unkritisiert funktionierte und den ewigen Fortschritt propagiert hat, war die Frage nach der Zeit eigentlich beantwortet. Wir haben gearbeitet, damit es unseren Kindern einmal besser gehen wird, damit unsere Kinder eines Tages ein bisschen reicher sein werden, als wir es jetzt sind. Wir wissen alle, dass der informelle Gesellschaftsvertrag, dass der nicht mehr gilt. Dass dieses Fortschrittsversprechen, das meiner Generation noch gegeben wurde, dass das für meine Kinder nicht mehr gültig ist. Das hat mich vor allem beschäftigt. Jetzt in meinem Stück. Musik. Sie: Die Theaterszene im deutschsprachigen Raum profitiert von der aktuellen Finanzkrise. Er: Das erklärten übereinstimmend mehrere deutsche Intendanten in Frankfurt im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. Sie: Die Bühnen würden als – Zitat - „Orte des Abarbeitens gesellschaftlicher Fragen“ mehr denn je in das Interesse der Öffentlichkeit rücken. Denn Kulturinstitutionen gäben vor dem Hintergrund einer breiten Verunsicherung verlässliche Antworten auf gesellschaftliche Fragen. Er: Steigende Besucher- und Auslastungszahlen an den meisten deutschen Häusern belegten dies. O-Ton 41: Steffen Sünkel: Für mich sind Theater Freiräume, die staatlich finanziert sind, die dem Theater auch immer die Möglichkeit bieten, staatlich subventionierte Opposition zu sein. O-Ton 42: Andres Veiel: Es ist für mich ein Ort der Wiedervorlage, das heißt, dass bestimmte Dinge, die in irgendwelchen Nachrichtensendungen abgehandelt wurden, dass man nochmal genauer hinschaut. O-Ton 43: Lukas Bärfuss: Die Zähigkeit und die Beständigkeit des Theaters, das frappiert mich eigentlich. Und nicht so sehr die einzelnen Peaks. O-Ton 44: Volker Lösch: Theater hat die Möglichkeit, jenseits des Realismus abzubilden, ästhetische Provokationen setzen in dem Sinne, dass man Bekanntes auf eine andere Art und Weise vorgeführt bekommt. Das heißt, ich kann mich mit der Ästhetik von einem Realismus des Films und des Fernsehens abheben und dadurch Sichtweisen auf einen schon bekannten Stoff verändern. O-Ton 45: Lukas Bärfuss: Die Formen des Theaters als Kunst des Augenblicks. In einer Zeit, wo wir alles downloaden können, braucht das Theater immer noch Präsenz. Man muss da hingehen. Und diese Anwesenheitspflicht am Theater, das ist etwas unglaublich Unzeitgemäßes. O-Ton 46: Andres Veiel: Die Menschen glauben, über alles irgendwie Bescheid zu wissen. Aber es ist eben ein einziger Bilder- und Informationsrausch, der an einem vorbeigeht. Und das Theater ist ein Ort, wo mit einer Konzentration Möglichkeiten geschaffen werden, nochmal etwas, was man glaubt schon verstanden und gesehen zu haben, dass man da von einer Art Perspektivverschiebung… manchmal genügen ja zehn oder 15 Grad, wo man auf einen scheinbar bekannten Gegenstand neu draufblickt. Und da ist dieser wunderbare schwarze Kasten glaube ich der richtige Ort dafür. O-Ton 47: Steffen Sünkel: Es sind verunsicherte Zeiten, und die Theater tragen auch dazu bei, dass diese verunsicherten Zeiten offenbar werden. Und dann muss der zweite Schritt kommen. Setzt euch damit auseinander und überlegt, was kann man dazu beitragen, dass sich das wieder ändert. Er: Wir sind der Schmerz. Und nicht die Ärzte. Sie: Zitierte Ulrich Khuon, Intendant des Deutschen Theaters in Berlin, in einem Interview den Schriftsteller Gottfried Benn. Und kommentierte damit die Rolle der Bühnen in der Finanzkrise. Er: Immerhin: Die Theater nutzen diese Krise als Chance, besinnen sich auf ihre eigenen Stärken, suchen nach möglichen Spielformen, um sich mit den aktuellen gesellschaftlichen Problemen auseinanderzusetzen, Diskurse anzuregen und Diskussionen zu entfachen. Sie: Es geht darum, die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Zuständen sinnlich erfahrbar zu machen. Er: Und was das betrifft, sind die Theater angekommen. Auf der Höhe der Zeit. O-Ton 48: Lukas Bärfuss: Ich war vor einiger Zeit in Argentinien, in Buenos Aires, und die Menschen dort haben in den letzten zehn Jahren natürlich Krisen erlebt, Abwertungen, Staatsbankrott, Verlust des gesamten Privatvermögens… Gleichzeitig merkt man auch, dass es nicht das Ende der Tage ist, wenn so etwas geschieht. Also, die Menschen finden irgendeinen Umgang mit diesen wirtschaftlichen Krisen. Und finden auch das persönliche Glück darin. Und das ist… ja, manchmal eine kleine Beschämung natürlich, weil man die eigenen Verlustängste so in den Mittelpunkt stellt, und wenn man dann mit Menschen spricht, die viel Schlimmeres in der letzten Zeit erlebt haben, merkt man, dass das Leben auch anderswo stattfindet. Dass wir wirklich nicht nur Wirtschaftssubjekte sind, und dass diese beiden Begriffe arm und reich jeder für sich auch definieren soll und kann. Unabhängig von der Höhe des Einkommens. Cash Crash Comedy Die Finanzkrise auf deutschsprachigen Bühnen In schwierigen Zeiten, so scheint es, steigen in den Theatern die Zuschauerzahlen. Seit 2007 wütet weltweit die Finanzkrise, und immer häufiger nutzen deutschsprachige Bühnen mittlerweile die chronisch drohende Katastrophe als Chance, sich einzumischen, generieren sich in Zeiten wirtschaftlicher Verunsicherung mit Uraufführungen zum Thema als gleichermaßen kritische und moralische Instanz. Doch ist es nicht eben einfach, ein derart abstraktes und überaus komplexes Thema wie die Finanzkrise für die Bühne sinnlich und vor allem verständlich aufzubereiten – jenseits der üblichen Klischees von Geldverbrennern und Investment-Zauberern. Anhand jüngster Produktionen, unter anderem von Dokumentarfilmer Andres Veiel, von Agitprop-Regisseur Volker Lösch und vom Schweizer Autor Lukas Bärfuss, stellt die Sendung unterschiedliche Versuche vor, der Finanzkrise im Theater Raum zu geben. Wolf Eismann – Cash Crash Comedy – Seite - 1 -