DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Feature Dienstag, 07.08.2007 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 - 20.00 Uhr Ortserkundungen (1): Nur der Krone untertan Die Kanalinsel Sark auf dem Weg ins dritte Jahrtausend Von Hannelore Hippe URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Atmo-Collage: Meeresbrandung, ein Kind schreit etwas, Vögel Pferdewagen, jemand sagt " hello", Wind Lautes Vogelgezwitscher, Wiese, dazwischen vereinzelte Lämmer Laute Schafe Laute Pfaue Meer, jemand läuft auf Kies, Möwengeschrei 3.Sprecher: Nur der Krone untertan. Die Kanalinsel Sark auf dem Weg ins dritte Jahrtausend. Ein Feature von Hannelore Hippe. Atmo: Auf der Fähre Motortuckern Menschen, die reden Englisch sprechende Frau Autorin: Es sind nur knapp fünfzehn Kilometer, die wir auf der kleinen Fähre von St. Peter Port zurücklegen. St. Peter Port ist das adrette Hauptstädtchen der zweitgrößten Kanalinsel Guernsey. Eine malerische Melange aus Hightech-Finanzzentrum und ockergelber Cholesterin triefender Produkte von glücklichen Wiederkäuern. Die schmucken Vorgärten der sündhaft teuren, unscheinbaren Reihenhäuser ducken sich unter knallroten Kamelien. Frankreich ist näher als Großbritannien, doch England liegt überall in der Luft. Im Hotel begegnet man einer Spezies, die man längst ausgestorben glaubte: der des Ex-Kolonialbriten, mit dem Schnauzer, der verkniffenen Unterlippe und den sandfarbenen Socken zu Tarnfarben Shorts. Dafür ist das Essen himmlisch. Das Vereinigte Königreich ist eben doch ein Stückchen weiter, als man denkt. Atmo Auf der Fähre Durchsagen mit Sicherheitshinweisen Autorin: Das Boot tuckert, elegant einen Halbkreis beschreibend, aus dem kleinen Hafen und schon bald taucht sie am Horizont auf: Sark oder auch Serq, wie die Franzosen sie nennen, die kleinste der vier größeren Kanalinseln. Zahllose, winzige Buchten kann man erkennen, als wir an diesem klaren, sonnigen Tag Sark näher kommen. Alle sitzen an Deck und man ahnt schon, wer von der Insel stammt und wer nicht. Die schätzungsweise dreißig Passagiere teilen sich auf in Blinzler und Gucker. Die Blinzler, die entspannt und scheinbar unbeteiligt in die Sonne blinzeln, zollen der Insel den Grad an Aufmerksamkeit, den man für den Partner nach vierzig Jahren Ehe übrig hat: Man weiß, dass er verlässlich da ist, nimmt ihn aber nicht übertrieben wahr. Die Gucker jedoch werden von Minute zu Minute aufgeregter. Felsige Buchten, kleine verschwiegene Strände, grün und grau soweit das Auge die längliche, leicht ansteigende Insel erfassen kann, nur: keine Menschenseele, noch Stein gewordene Hinweise auf eine mögliche Bevölkerung. Als wir endlich den letzten Zipfel Sarks umschifft haben und nun die Guernsey abgewandte Seite begutachten können, fallen die Gucker fast überbord. Immer noch niemand. Kein Haus, kein Fahrrad auf dem sich die Inselbewohner angeblich fortbewegen sollen, noch nicht einmal eine zufriedene Jersey Kuh. Atmo: Menschen, die lachen und reden Autorin: Als kurz darauf ein kleines Fischerboot mit einem Angler nicht weit vom Land entfernt gesichtet wird, geht ein erleichtertes Raunen über das Deck. Die Insel scheint also doch bewohnt. Man hat sie nicht erträumt. Doch bis wir nach 45 Minuten Überfahrt in den winzigen, geschützten Hafen von Sark einbiegen, sehen wir niemanden mehr. Auf fünf Quadratkilometern sind es doch immerhin fast sechshundert Menschen, die sich nicht so einfach verstecken können. Die Zeiten vor der offiziellen Besiedlung, also vor 1565, wo sich hier Piraten und andere lichtscheue Elemente verbargen, sind vorbei. Dabei hätte die kleine Insel auch ohne weiteres vor unseren Augen verschwinden können. Die schnellen und extremen Wechsel des Wetters sind hier legendär. O-Ton Roseanne: It´s so changable. I love the fact it´s unpredictable... 1. Sprecherin: Ich liebe es, dass sich das Wetter hier so schnell ändert. Da sitzt man in der Sonne und kein Wölkchen ist am Himmel. Die Schatten sind scharf und klar definiert und dann steigt kurz darauf plötzlich dicker Nebel auf, die Wolken ballen sich und dämpfen alles. Und dann kommt Sturm auf. Auch mitten im Sommer. Das Meer schäumt die Klippen hinauf. Das Licht ist noch nicht mal so sehr anders als anderswo, vielleicht ist es etwas klarer, weil es hier keine Autos gibt. Aber das Licht ist gut für Maler. Autorin: Die zierliche blonde Roseanne Gill ist die einzige professionelle Malerin auf der Insel. Sie stammt aus Sark, malt und zeichnet, bietet Malkurse an, um die Familie gut durchzubringen. Im 19. und 20. Jahrhundert war Sark ein Anziehungspunkt für Künstler. O-Ton Roseanne: William Toples was here a hundred years ago ... 1. Sprecherin: Der berühmte Landschaftsmaler William Toples war hier vor hundert Jahren. Er malte die Klippen von Sark in Öl. Das hat mich auch inspiriert. Dieser Ort ist irgendwie spirituell. Die Vögel sind hier so zahm, denn es gibt ja keinen Verkehr, der vorbeirast. Man kann hier einfach mitten auf der Straße spazieren gehen, besonders wenn am Abend auch die Traktoren verschwunden sind, dann kommt der Zaunkönig heraus und fängt an zu singen. Dann fallen die Singdrosseln gleich mit ein, und wenn man besonderes Glück hat, so wie ich letztens, da saß ich oben auf den Klippen und beobachtete, wie ein grauer Seehund an Land robbte und dann wieder ins Wasser glitt, um Fische zu fangen. Oder man sieht einen Riesenhai. Solche Momente sind kostbar. Atmo: Vögel, Schafe und Meer Autorin: Als wir aus dem Boot klettern, sehen wir schon den Traktor mit Anhängern warten. Er ist das einzige Transportmittel für Besucher, das mit einem Motor getrieben und erlaubt ist. Das Gepäck bleibt einsam am Kai zurück. Auf allen Köfferchen und Taschen kleben die Namen der Unterkunft. Sie werden separat und wie wir feststellen, sehr schnell hinter uns hergeschickt. Atmo: Tickets werden verkauft Traktor springt an und rattert langsam den Berg hoch Autorin: Der Weg über den Harbour Hill führt hundert Meter bergauf. Die staubige Straße ist nicht asphaltiert und durch das trocken warme Wetter begünstigt, schwebt eine kleine gelbliche Wolke um uns herum. Trotzdem bleibt uns nicht deswegen der Atem weg, sondern vor Staunen: Es ist erst Mitte April und ein Meer von weißen, gelben und blauen wilden Blumen umsäumt unseren Weg. O-Ton Roseanne: Sark is a fantastic place for an artist ... 1. Sprecherin: Sark ist ein fantastischer Ort für einen Künstler. Es ist ruhig und friedlich, doch die Landschaft ist spektakulär. Und wir haben die unberührte Natur. Vögel, Insekten, Meerestiere. Ich gehe ab und zu um Sark herum tauchen und unter Wasser ist es genauso aufregend wie an Land. Ich bin sechs Monate in der Welt herum gereist und habe exotische Tiere in der freien Natur gezeichnet. Aber irgendetwas ist auch hier ganz außergewöhnlich. Du sitzt mitten in der Natur und alles ist um einen herum. Es kommt zu dir, wie die vielen Marienkäfer. Da hier so gut wie keine Pestizide benutzt werden, ist die Natur prall und artenreich, so wie früher. Autorin: Die Natur ist in der Tat beeindruckend. Natur pur. So hat es sich wahrscheinlich bis vor wenigen Jahrzehnten in größeren Teilen unseres dicht besiedelten, motorisierten Mitteleuropas angehört. Atmo: Wiese mit Lämmern und Vögeln Autorin: Eine ruhige Beschaulichkeit in beschaulicher Stille. Atmo: ein Traktor kommt sehr laut vorbei gedüst Autorin: Mit der berühmten Ausnahme, die es auch auf Sark gibt: Der Traktor. 72 sollen es auf der gesamten kleinen Insel sein, die Dunkelziffer kann etwas höher liegen und sie dürfen nur zum landwirtschaftlichen Einsatz benutzt werden. Keinesfalls für Vergnügungs-, Sightseeing oder Einkaufstrips. Zwischen zehn Uhr abends und sieben Uhr morgens haben sie gar ein komplettes Ausgangsverbot, was die Abendspaziergänge auf der Insel ohne Straßenbeleuchtung noch romantischer macht. Man fühlt sich wirklich in eine vorindustrielle, in die so genannte gute, alte Zeit zurück versetzt, als die Luft noch sauber roch, Tiere die schwere Arbeit verrichteten und das Klima eben noch das Klima war. Die gute Zeit für Sark brach erst im Jahre 1565 an. Vorher herrschte hier, mag man der örtlichen Geschichtsschreibung folgen, das Banditen-Chaos. Schmuggelware ließ sich hervorragend in den unzähligen Höhlen in verschwiegenen Buchten verstauen. Seigneur: Immediately before 1565 it went through a very rough period ... 2. Sprecher: Die Zeit unmittelbar vor 1565 war für Sark besonders problematisch. Die Franzosen hatten es eine zeitlang besetzt gehalten, wurden dann aber von den Holländern rausgeworfen. Die wollten dann bei Elisabeth I eine Belohnung dafür kassieren. So wurde Sark ein Versteck für Räuber und Piraten. Autorin: Michael Beaumont ist der heutige Seigneur von Sark, der "kleine König" könnte man ihn nennen, der die Insel von der Krone für heute umgerechnet 4,50 Euro im Jahr geleast hat und gerne über die Geschichte seiner Heimat redet. Seigneur: And the premier seigneur of Jersey came over ... 2. Sprecher: Und als Sark immer mehr eine Gefahr für die vorbeifahrenden Schiffe darstellte, kam der erste Seigneur von Jersey herüber und beschloss, die Insel zum Bollwerk für die britische Krone zu machen. Er verhandelte mit Elisabeth, bot an, die Piraten zu vertreiben und setzte eine Charta auf, die besagte, dass von nun an wenigstens 40 Männer hier leben würden, um die Insel für die Krone zu verteidigen. Das waren alles Calvinisten, die er für diese Aufgabe von Jersey herüberholte. Das Land, das sie als Lehen bekamen, war so aufgeteilt, dass es primär Verteidigungszwecken diente. Deshalb gibt es auf Sark kein zentrales Dorf. Alle Häuser sind verteidigungsstrategisch über die Insel verteilt und das verleiht Sark bis heute seinen besonderen Charakter. Autorin: Und erklärt, warum die Küstenstreifen nicht besiedelt sind und alle von oben einen guten Ausblick aufs Meer haben, ohne selbst gesehen zu werden. Atmo: Meer, Brandung, Möwen Seigneur: This is how the forty came in ... 2. Sprecher: So kam es zu den vierzig Familien. Sie hatten das Sagen auf der Insel und bilden bis heute das "Chief Pleas", wie unser Parlament heißt. Autorin: Ein demokratisches Konzept, seiner Zeit weit voraus. Damals. Und sie mussten zur Verteidigung der Krone immer eine Muskete im Haus haben, für alle Fälle. Bis heute? Seigneur: It is still in their contract ... 2. Sprecher: Das steht immer noch in ihrem Lehens -Vertrag. Aber wir bestehen heutzutage nicht mehr auf Waffen. Die alten Pächter Familien haben noch andere Pflichten. Sie müssen jährlich für ihr Land eine kleine Pacht entrichten und sie müssen einen Mann und ein Pferd für die Instandhaltung der Straßen zur Verfügung stellen. Autorin: Ein Traktor tut es heute auch. Oder zwei ... Der Titel des Seigneurs wird seit ehedem vererbt. Nur zweimal wurde der Titel und das damit verbundene Ansehen für schnöden Mammon verhökert. Da gingen Amt und Titel des bankrotten Altseigneurs an solvente Interessenten - von der Insel, selbstverständlich. Seigneur: Of course there is such a thing ... 2. Sprecher: Natürlich gibt es so etwas, was man als "den Geist von Sark? bezeichnen könnte. Wir sind unabhängig und genießen das. Wir wissen alle, dass wir auf einer wunderschönen Insel leben und die hüten wir eifersüchtig. Wir schotten uns jedoch nicht ab. Wir haben alle unsere Computer und Fernseher, aber was wir nicht wollen sind Autos und alles, was damit zusammenhängt. Wir wollen keine Straßenbeleuchtung und keine geteerten Straßen. So sind wir völlig frei. Ein tolles Leben! Autorin: Und was tut ein Seigneur im Laufe eines Tages, Monats, Jahres? Seigneur: My duties have shrunk over the years ... 2. Sprecher: Meine Aufgaben sind mit den Jahren geschrumpft. Ich ernenne die wenigen offiziellen Posten auf der Insel, den Seneschall zum Beispiel, der die Gerichtsbarkeit vertritt. Dann muss ich unser Parlament dreimal im Jahr einberufen. Dort kann ich bei allen Beschlüssen ein Veto einlegen, was ich aber noch nie getan habe. Eigentlich muss ich nur dafür sorgen, dass alles läuft. Autorin: So ein Seigneur hat nicht nur ein schönes Haus, da gibt es doch bestimmt noch das eine oder andere Privileg ... Seigneur: The bitch, yes... 2. Sprecher: Das mit der Hündin, das stimmt. Das stammt aus dem 17. Jahrhundert. Da gab es zu viele Hunde auf der Insel, die die Schafe jagten. Und um den Hundebestand unter Kontrolle zu halten, bekam nur der Seigneur das Recht, eine Hündin zu halten. Autorin: Und was hat es mit dem Vaterunser auf Französisch auf sich? Seigneur: That is known as the Clameur de Haro ... 2. Sprecher: Das nennt man "Clameur de Haro?. Das kann man anwenden, wenn man eine Verletzung der eigenen Rechte, meist Land und Grenzstreitigkeiten, befürchtet. Als ich jung war, wurde im Parlament nur Französisch gesprochen. Es ist noch ziemlich neu, das alles auf Englisch abläuft. Kaufverträge wurden bis vor zwei Jahren auf Französisch abgefasst. Esther: Patua (Sarkesisches Französisch), altnormannisch 3. Sprecherin: Ich war fünf, als ich zur Schule ging und konnte nur Patua sprechen. Nur ein paar Worte Englisch. Erst in der Schule lernte ich Englisch. Ich lebte auf unserem Hof mit den Eltern und den Tieren. Autorin: Esther Perré und ihr Mann Philipp leben immer noch auf demselben Hof an der äußersten Spitze der Insel, auf Little Sark. Sie sind beide Ende Siebzig, aber sehr rüstig. Wie viele sprechen denn noch die ursprüngliche Inselsprache? Esther: Englisch, Patua 3. Sprecherin: Das sind nicht mehr viele. Phillip, was würdest du sagen? Noch zwanzig, die es zuhause regelmäßig sprechen? Das könnte stimmen. Wir sprechen es miteinander, wenn wir alleine sind, aber wenn andere dabei sind, sprechen wir Englisch, das wäre sonst unhöflich. Unsere Enkel können ein wenig, wir haben ihnen etwas beigebracht. Ich ging während der Besatzungszeit zur Schule und ab zwölf musste man einmal die Woche zum Deutschunterricht gehen. Viele deutsche Soldaten sprachen etwas Englisch, andere nicht. Wir Kinder ahnten natürlich nichts vom Krieg. Wir haben hier nicht gelitten. Das Essen war knapp in der Zeit, aber das war ja überall so. Autorin: Die Besatzungszeit. Ein dunkleres Kapitel der Geschichte Sarks. Die Kanalinseln wurden fast von Beginn des Krieges an von den Deutschen besetzt. Der Seigneur ist der Enkel von Sybil Hathaway, der einst bei den deutschen Besatzern gefürchteten wie respektierten "Dame of Sark". Seigneur: My grandmother was here of course... 2. Sprecher: Natürlich war meine Großmutter hier. Die Inseln wurden sofort von den Briten komplett verlassen - sie galten als nicht verteidigungsfähig und dann kamen für die gesamte Dauer des zweiten Weltkriegs die deutschen Besatzer. Sie haben sich gut benommen. Schließlich mussten sie mit meiner Großmutter rechnen und die besaß einen unbeugsamen Charakter. Sie haben sie von dem Moment an, als sie hier ankamen, respektiert. Es blieb ihnen nichts anders übrig. Natürlich haben sie sich auch nicht getraut, dieses Haus für die Leitung zu konfiszieren, wie sie es auf den anderen Inseln taten. Ich hab hier das Besucherbuch meiner Großmutter. Und da haben sich die Offiziere und deutschen Besucher so verewigt, wie es höfliche Gäste eben tun. Autorin: 8. Juli 1942. "Und ging die Welt auf in Dunst, uns blieb noch die hehre deutsche Kunst", schrieb ein Herr Hennemann anlässlich eines Operngastspiels auf Sark. "Für einen sonnigen Tag auf Sark, ergebenden Dank der Dame of Sark." Gezeichnet Brüning, Oberfeldwebel. Seigneur 2.Sprecher: Der eine oder andere Deutsche kam dann zurück zu Besuch nach dem Krieg . Und man hieß sie hier willkommen. O-Ton Rang: Sark war für uns alle, die Deutschen, die hier waren, wir haben es immer behandelt als das kleine Paradies. Ruhe und Frieden - wir haben uns benommen während des Krieges, wie niemals in einem anderen Land, da war ja keine Tätigkeit, kein Gefecht und so was weiter. Autorin: Werner Rang aus Gotha in Thüringen ist geblieben. Ihm und seiner Frau, auch beide rüstige Sarkesen über achtzig, gehört der kleine Juwelierladen auf der Avenue, der winzigen Hauptstraße. O-Ton Rang: Als ich zurückkam, war das erste "komm mal rein, Werner", für eine Tasse Tee oder ein Glas Bier. Ich wurde aufgenommen wie ein verlorener Sohn. Autorin: Das war 1948, nach seiner Kriegsgefangenschaft in Yorkshire. Werner Rang kannte schon damals jeden auf Sark. Er war jahrelang der Sanitäter hier gewesen. O-TonRang: Die hatten keinen englischen Arzt, keine ärztliche Betreuung von englischer Seite aus gesehen. Die Leute kannten mich hier und ich wurde akzeptiert in jedem Haus, wo ich hinging, die Leute behandelt habe. Mit wurde ein Glas Milch angeboten oder ein anderes Getränk, oder ein paar Eier wurden mir gegeben als Anerkennung dafür, und es war ein angenehmes Leben. Uns wurde bekannt gegeben, wir müssen uns anständig benehmen und jeder hat sich benommen. Das Verhältnis war ein angenehmes und ist so geblieben bis zum Ende des Krieges, obwohl die Leute es nicht gern hatten, dass wir hier waren. Autorin: Werner behandelte Blinddärme, zu früh einsetzende Geburten, Unfälle auf dem Feld und dann kam eine junge Dame, eine der Nachfahrinnen der vierzig ursprünglichen Familien, Phyllis, und die hatte einfach nur Halsschmerzen. O-Ton Phyllis: He fell in love with me ... 4. Sprecherin: Er verliebte sich in mich. In diesen Zeiten ging man nicht mit einem Deutschen aus. Das wäre nicht schicklich gewesen. Doch auch ich fühlte mich zu ihm hingezogen. Ich erfuhr erst nach dem Krieg von ihm, dass auch er sich in mich verliebt hatte, als wir während seiner Kriegsgefangenschaft anfingen, uns zu schreiben. Dann besuchte ich ihn nach seiner Freilassung und rief meinen Vater an, dass ich am Donnerstag Werner heiraten würde und er antwortete, wenn das so wäre, bräuchte ich nie mehr nach Sark zurückzukehren. Autorin: Werner und Phyllis kehrten kurz darauf trotzdem als Ehepaar auf die Insel zurück und Werner wurde der Lieblingsschwiegersohn. Die Rangs haben vier Kinder, viele Enkel und die ersten Urenkel und sind von der Insel nicht wegzudenken. Atmo: Vögel Ein Fahrrad wird über den Kies geschoben Autorin: Auf der Avenue ist mittags für sarkesische Verhältnisse viel los. Da gibt es den Blumen- und den Bioladen, einen kleinen Supermarkt und das "Wir haben alles"- Geschäft, das auch die Post beherbergt. Die großen runden Briefkastentonnen gleichen denen aus Großbritannien aufs Haar, bis auf die Farbe: Hier sind sie nicht satt rot sondern kornblumenblau. Drei Bistros versprechen "freshly cut sandwiches" und Kaffee Latte. Der brandneue Bungalow, über den hier die ästhetisch interessierten Gemüter geteilter Meinung sind, und der aussieht wie aus dem Fertigbauladen, verleiht Fahrräder, neben der Pferdekutsche das einzige erlaubte Fortbewegungsmittel für private Unternehmungen. Manchmal sieht man sogar zehn bis zwanzig Menschen gleichzeitig auf der staubigen Straße, die unter den Sohlen ungewohnt knirscht. Die meisten Besucher sind, so erfährt man, Tagestouristen, die von Guernsey herüberkommen. Sie werden spätestens um fünf Uhr nachmittags wieder auf die Fähre steigen. Man fragt sich, was ist hier eigentlich im Winter los? Macht im Winter die Insel dicht? O-Ton Sue: I like it because we get back to being a community ... 2. Sprecherin: Ich mag es hier im Winter, weil wir dann wieder mehr zu einer Gemeinschaft werden. Es kann hier im Winter schon mal kalt werden, aber frieren tut es so gut wie nie. Aber dann haben wir den Kamin an und es ist richtig gemütlich hier. Das ist das Schlüsselwort: Bei uns ist es wirklich gemütlich. Autorin: Sue Adams und ihr Mann gehören auch zu den alt eingesessenen Vierzig. Sie führt, wie schon ihre Mutter, ein gemütliches Bed & Breakfast, er ist Fischer. O-Ton Sue: They want o be able to get off ... 2. Sprecherin: Wir haben nur fünf Quadratkilometer und jeder hier weiß, dass man, wenn man vor die Tür tritt, vom Wind durchgepustet wird. Aber jeder kommt da, wo er hin will, an und praktisch fährt jeder hier mit dem Fahrrad. Das Leben ist komfortabel und sehr, sehr bequem. Natürlich könnte ich überall leben, aber ob ich ein Leben leben würde, das besser ist als auf Sark? Glaube ich nicht. O-Ton Peter: This is a caring community ... 3. Sprecher: Das hier ist eine Gemeinde, in der man sich umeinander kümmert. Es gibt keine Einbrüche, wir zahlen auch keine Einkommenssteuer. Wenn ich in Urlaub fahre, lasse ich mein Haus immer unverschlossen, und wenn jemand meinen Videorecorder stehlen würde und ihn in der Kneipe verhökern wollte, würde jeder sagen "oh, da ist ja Peter Coles Video!". Autorin: Der pensionierte Lehrer Peter Cole lebte und arbeitete viele Jahre in englischen Großstädten. Auf Sark wohnt der Mann aus Jersey seit 18 Jahren. O-Ton Peter: I find when I go away from here ... 3. Sprecher: Wenn ich woanders bin, bekomme ich manchmal plötzlich einen richtigen Schock, wenn ich merke, dass ich niemanden auf der Straße wieder erkenne. Das finde ich ziemlich alarmierend. Hier erkenne ich praktisch jeden wieder. Als ich in England lebte, kannte ich meine Nachbarn nicht. Man hatte nicht dieses Gemeinschaftsleben wir hier. Es war wie in einem Hotel, wo man auch nicht weiß, wer neben einem wohnt. Und das ist hier nicht so und das ist, so glaube ich, für die Heiterkeit und die Gemütsruhe verantwortlich, die hier herrscht. Und dafür, dass es hier so viele gesunde, aktive und fitte alte Menschen gibt. Die haben einfach keine Angst. Autorin: Und sie bewegen sich bis ins hohe Alter, auf dem Fahrrad, zum Beispiel. Doch was passiert, wenn man nicht nur alt, sondern krank wird? Das Problem ist nicht, dass das nächste Krankenhaus auf Guernsey ist. Helikopter sind in Notfällen in einigen Minuten da. Während in Großbritannien das staatliche Gesundheitssystem, mit allen Abstrichen, eine medizinische Grundversorgung garantiert, die umsonst ist, muss jeder der 600 freien und unabhängigen Sarkesen seine eigene, kostspielige Krankenversicherung abschließen. O-Ton Roseanne: If you need any hospital treatment it costs a lot of money ... 1. Sprecherin: Das ist für uns alles sehr teuer. Die Kosten, besonders für das Krankenhaus, sind sehr hoch hier. Das ist die Kehrseite, dass man etwas mehr dafür bezahlen muss, im Paradies zu leben. O-Ton Paul You have to ... 1. Sprecher: Man muss es sich schon leisten können, hier zu leben, und es wirklich wollen. Sark ist kein Ort für jeden. Sark besitzt kein soziales System, keinen Sozialdienst. Aber wenn hier jemand Hilfe braucht und dabei nicht auf die Familie zurückgreifen kann, gibt es dafür bei uns den "Procureur". Der organisiert die Hilfe für die Bedürftigen. Das wird von allen Bewohnern getragen. Das betrifft natürlich nur die Alten und Kranken, denn auf der anderen Seite, wenn du auf Sark nicht arbeitest und kein Einkommen beziehst, gibt es keinerlei Unterstützung. Arbeitslosengeld und Sozialhilfe existieren hier nicht. Aber wir sind eines der letzten Steuerparadiese auf dieser Welt. Atmo: Vögel, Wiese Flugzeugbrummen O-Ton Paul: We do not need tax ... 1. Sprecher: Wir brauchen keine Steuern. Wir erheben nur eine kleine Grunderwerbssteuer, der Rest der Einnahmen der Insel stammt aus dem Verkauf von Alkohol und Zigaretten. Keine Einkommenssteuer, keine Umsatz - oder Erbschaftsteuer. Keine Körperschaftssteuer, keine Mehrwertsteuer und es gibt zahlreiche Firmen auf Sark, die davon profitieren, dass es hier keine Bürokratie gibt. Es ist wunderbar altmodisch und das ist auch der Grund, warum hier die Immobilienpreise so hoch sind. Es ist sehr teuer, hier zu leben. Fast alles muss ja eingeführt werden. Die laufenden Kosten für die Insel betragen ungefähr eine Million Pfund pro Jahr. Das ist nicht viel, weil wir auch nicht viele Ausgaben haben. Kein teurer Verwaltungsapparat. Man bekommt das zurück, was man reinsteckt. Unser größter Posten ist Erziehung und Bildung, der zweithöchste die Armenhilfe. Alles andere wird durch die ehrenamtliche Arbeit aller bewältigt. Das kann natürlich nur in einer so kleinen Gemeinde funktionieren. Auch den Polizisten stellen wir selbst reihum. Es ist im Grunde hier immer noch eine Gesellschaft, in der primär Landwirtschaft und Fischerei betrieben wird. Unsere Butter, die Eier und Milch sind fantastisch. Atmo: sehr laute Schafe Vögel und Traktoren im Hintergrund Autorin: Butter aus Sark, die ohne Lebensmittelfarben goldgelb ist. Milch aus Sark, die einem so herrlich schmeckt, als hätte man noch nie zuvor wirkliche Milch gekostet. Die Eier, die Susan zum Frühstück vorsetzt, von den Hühnern, die vor dem Haus im Garten herumrennen und eifrig herumpicken, sind von einer Qualität und einem Geschmack, die selbst den weit gereisten Gourmet verblüffen würden. Das Sahnehäubchen jedoch in diesem Schlaraffenland unverfälschter Meiereiprodukte ist die Sahne auf Sark. Es ist safrangelbe "clotted cream". Die Buttersahne, die Devon und Cornwallkenner von dort auf warmen "scones" mit Erdbeermarmelade in bester Erinnerung haben und die selbst hart gesottene Sahneverächter sofort verführen wird. Das Lammfleisch ist so zart und von der Meerluft und dem Gras leicht salzig, dass der Besucher, wenn er im Frühjahr überall an Wiesen voller Osterlämmchen und laut blökenden Muttertieren vorbeikommt und danach aufrichtigen Vegetarismus für die nächsten Wochen schwört, beim nächsten Besuch in einem der vorzüglichen Restaurants umkippen wird. Und der Fisch, die Hummer, die Krebse ... .am Morgen gefangen von Sarkesischen Fischern, die als einzige hier - wen wundert´s? - die Fischereirechte haben. Selbst den Kollegen aus Guernsey droht eine empfindliche Strafe, wenn sie vor Sark mit dem Netz erwischt werden. Ein begnadetes Fleckchen Erde. So etwas weckt Begehrlichkeiten. Atmo: Vögel, Pfaue O-Ton Susan: Many more people have moved here fort he wrong reasons... 2. Sprecherin: Sie sind wegen der günstigen Steuergesetzgebung hier und wir heißen Neulinge von außen wirklich willkommen, wenn sie bereit sind, mit uns zu leben und sie nicht erwarten, dass wir mit ihnen leben. Da erzählen sie einem, wie wunderbar dieses Fleckchen ist und wenn sie dann hier sind, wollen sie alles verändern und Sark so verwandeln, dass es so wie überall wird. Und das genau macht uns unglücklich. Atmo: im Pub, laute Discomusik mit Thekengesprächen im Hintergrund Radiomoderation Autorin: Die "Ureinwohner" und "die anderen". Ein Thema, das eigentlich erst in den letzten zwei Jahren die Gemüter hier nicht nur bewegt, sondern die kleine Gemeinde geradezu in zwei Lager spaltet und ihr sogar internationale Medienaufmerksamkeit einbrachte, die man hier gar nicht mag. Vor dem zweiten Weltkrieg war Sark nur wenigen Menschen von außen überhaupt bekannt. Die kleine Künstlerkolonie in den dreißiger Jahren hatte nur einige "Eingeweihte" hierher gezogen. Trotzdem hatte sich die Bevölkerung langsam, sehr langsam, über die Jahrhunderte hinweg von den vierzig Familien der Gründerzeit auf fast 200 Einwohner zu Anfang des vorigen Jahrhunderts vergrößert. Um dem auch in der politischen Vertretung Rechnung zu tragen, hatte man zu den vierzig "tenants", wie die ursprünglichen Lehensinhaber hier genannt werden, noch zwölf frei gewählte "deputies" - Vertreter - ins Chief Pleas, ins dreimal pro Jahr tagende sarksche Parlament gewählt. Damit war Ruhe. Sark war mit seiner politischen Vertretung zur Zeit seiner offiziellen Besiedlung geradezu Vorreiter demokratischen Gedankenguts gewesen. Zu einem Zeitpunkt, als Europa feudalistisch und bald absolutistisch regiert wurde, besaßen alle vierzig Bauern auf Sark die gleichen Rechte und Pflichten. Der Seigneur hatte zwar ein Einspruchsrecht, das er jedoch nur selten wahrnahm. Nur vier Jahre nach der Einführung des allgemeinen Wahlrechts in England, wurde auf Sark 1922 die ständische Vertretung um die 12 deputies erweitert. Bis zum 2. Weltkrieg wuchs die Bevölkerung auf fast 400 Einwohner an. Dann machte sie seit den achtziger Jahren noch mal einen Sprung auf fast 600 heute. Die Insel der fünf Quadratkilometer am Eingang zum großen atlantischen Ozean, gehört weder zur Nachbarinsel Guernsey noch zur noch größeren Kanalinsel Jersey. Diese sechshundert Einwohner sind weder abhängig von Großbritannien und seiner Regierung noch Teil der Europäischen Union. Was sind sie dann? Völlig freie Individuen? O-Ton Paul: Sark has been described as a dependency of the crown ... 1. Sprecher: Man kann Sark als ein Territorium der Krone bezeichnen und obwohl wir uns selbst verwalten und regieren, sind wir auch und nur Ihrer Majestät gegenüber verantwortlich und das ist das Traurige. Wenn man uns nun vor den europäischen Gerichtshof in Straßburg zitieren sollte, wegen Verletzung der Menschenrechte, sind nicht wir auf Sark angeklagt, sondern die Königin, da sie auch für uns verantwortlich ist. Autorin: Verletzung der Menschrechte? Hatten wir glücklichen Besucher einer glücklichen Insel in unserer Begeisterung für das kleine Paradies etwas übersehen? Einen verschämt versteckten Galgen hinterm Leuchtturm oder fristeten Sklaven in dunklen Hühnerställen eine traurige Existenz beim Zählen der goldenen Eier? O-Ton Paul: We are decent honest people, we have no slaves... 1. Sprecher: Wir sind anständige Leute, wir halten keine Sklaven und verurteilen auch keine Menschen ohne Gerichtsbarkeit. Wir hatten 1982 die internationale Erklärung für Menschrechte innerhalb der EU selbstverständlich und ohne weitere Überlegungen unterzeichnet und nun machte man uns plötzlich darauf aufmerksam, dass die Zusammensetzung unseres Parlaments gegen diese Rechte verstößt. Ein Mensch, eine Stimme, das gilt hier nicht. Bis heute gibt es vierzig nicht gewählte Mitglieder im Parlament, die auf Grund ihrer Herkunft oder ihres Besitzes automatisch einen Platz im Chief Pleas haben. Dazu kommen zwölf frei gewählte Vertreter, von denen ich einer bin, und nur diese zwölf kann man aus 23 Kandidaten wählen. Und wenn es jemals zu einer Abstimmung kommen sollte, wo die 40 gegen diese 12 stimmen würden, hätten die frei gewählten Vertreter natürlich keine Chance. Nur ist das in den zwölf Jahren, in denen ich im Parlament sitze, nie vorgekommen. Es gab nie eine "Blockabstimmung". Autorin: Im vorigen Jahr wurden zwei Referenden auf Sark über die Zusammensetzung des Parlaments durchgeführt. Beide brachten das gleiche Ergebnis: Über 56 Prozent gültige Stimmen votierten für eine komplette Abschaffung des alten Systems und frei wählbare 28 Sitze. Im Oktober 2006 wurde die Änderung der Verfassung dahingehend beschlossen. Allerdings soll es eine Interimszeit geben, wo 14 frei gewählte und 14 Lehensitze vertreten sind. Im Januar 2007 wurde dieser Beschluss wieder komplett revidiert. Nun ist ein neuer Beschluss gefasst worden, der, so Cole, dem Willen der Bevölkerung ins Gesicht schlägt: Von 2008 bis 2012 soll es 28 Sitze mit nur 12 frei gewählten deputies geben. Danach wird man neu votieren. O-Ton Peter: A lot of people ... 3. Sprecher: Viele Einwohner mit denen ich gesprochen habe, sind außer sich vor Wut. Sie fühlen, dass man ihre, im Referendum ausgedrückte Meinung ignoriert hat O-Ton Elisabeth: To have universal suffrage and total democracy, tell me, has it worked anywhere? 5. Sprecherin: Allgemeines Wahlrecht und vollkommene Demokratie, sagen Sie, hat das schon mal irgendwo funktioniert? Autorin: Es gibt nicht nur enttäuschte Gesichter in den Tagen des Frühlings auf Sark. Elisabeth Perré, Tochter des Patua sprechenden Ehepaars Esther und Philipp, ist Herrin der Sablonerie, dem einzigen kleinen, aber sehr feinen Hotel auf Little Sark, dem schmalen Südzipfel der Insel. Sie trägt zum schicken dunklen Kostüm, mit heller Seidebluse wie selbstverständlich Gummistiefel. Elisabeth ist mit dem Ausgang sehr zufrieden. Sie hält einen der vererbbaren Sitze. O-Ton Elisabeth: Look at the state of England!... 5. Sprecherin: Man muss sich nur mal England anschauen! In welchem Zustand ist es! Und es gibt noch viele andere Länder, wo Demokratie überhaupt nicht funktioniert. Eine absolute Katastrophe! Das wollen wir hier vermeiden. Lasst uns unser kleines, wunderbares Fleckchen hier so behalten, wie es schon immer gewesen ist. Eins der letzten Paradiese dieser Welt! Es darf nicht so wie viele andere Inseln werden! Unsere Verfassung hat sich doch 450 Jahre lang wunderbar bewährt. Autorin: Wer sich die Immobilienangebote im kleinen Schaufenster des Maklers auf der Avenue anschaut, staunt. Die Preise können mit denen in der Metropole London durchaus konkurrieren. Dennoch: Neue Häuser, das fällt auf, sind nicht auf dem Markt. Seit den siebziger Jahren wurde der Erwerb von Immobilien und Grundstücken auf Sark strikten Gesetzen unterworfen, um eine unkontrollierte Bebauung der Insel zu verhindern. Eine richtige Entscheidung, wird gesagt, wenn man nur die kleine Nachbarinsel Alderney betrachtet, die Autos und Häuser ohne Ende zulässt und von der hier auf Sark nie ohne Hüsteln gesprochen wird. Nur Menschen, die mindestens 15 Jahre ununterbrochen auf Sark gelebt haben, können unter bestimmten Bedingungen ein neues Haus bauen, wenn sich die Kinder hier niederlassen möchten zum Beispiel. Das macht Sinn und verhindert die epidemieartige Ausbreitung von Ferienhäusern. Fünf Quadratkilometer sind nicht viel und können schnell voll sein. Atmo: Meer - Brandung - Pferdewagen -Möwen Autorin: Wer hierher fährt und nicht nach dem Prinzip lebt "ich shoppe, also bin ich", wird erst erstaunt, dann entzückt und nach einigen Tagen fast verzaubert sein und ungern zur Hektik des Lebens des 21. Jahrhunderts zurückkehren mögen. Internet und Breitband haben schon lange Einzug hier gehalten. Durch den internationalen Finanzgastgeber Guernsey in Reichweite profitieren auch die kleinen Inseln Sark und Alderney von den schnellen Kommunikationswegen des dritten Jahrtausends. Arbeitsmöglichkeiten außerhalb der traditionellen landwirtschaftlichen Betriebe und dem sanften, sehr diskreten Tourismus sind jedoch rar. Auf sie wird es ankommen, meint Paul Amorgy, der selbst ein Hotel und Restaurant führt und drei Kinder hat, die sich bald nach Arbeitsplätzen umsehen werden. O-Ton Paul: I think it's ... 1. Sprecher: Es wäre fatal, sich ausschließlich auf den Tourismus als solch eine Absicherung zu konzentrieren. Oder, wie Jersey und Guernsey, sich auf Finanz - und Investmentunternehmen zu spezialisieren. Alderney hat sich durch das Internet eine sehr erfolgreiche Nische im Internet-Glücksspiel aufgebaut. Sark bietet Technologie des 21. Jahrhunderts in einer Umgebung des 16. Jahrhundert, könnte man sagen. Atmo: Möwen - Tuckern des Bootes Stimmen auf dem Boot Autorin: Es ist tatsächlich diese merkwürdige, dennoch äußerst anziehende Mischung aus altmodisch und modern, aus neu und traditionsbeladen, aus gestern und morgen - das Heute scheint fast übersprungen - die den Besucher auf Sark verwirrt und unsicher machen kann. Und ketzerische Gedanken schleichen sich ein: Sind sie hier so unglaublich hinter dem Mond, dass sie schon wieder zukunftsweisend sein könnten? Sind sie so "out of touch", so entfernt vom Gleichschritt, dass sie uns Festländern neue Richtungen weisen könnten? Wir, die wir uns in den letzten hundert Jahren oft auf Um-, manchmal auf Abwege und ab und zu definitiv auf Holzwege begeben haben? O-Ton Paul: We are not a museum, far from it ... 1. Sprecher: Wir sind kein Museum, weit davon entfernt, und wir leben unser Leben und wir genießen es und sagen unseren Besuchern: Nehmt uns so wie wir sind. Wir ändern uns nicht. Sark ist weder Disneyland noch eine künstliche Welt. Was ihr hier seht, ist das, was ihr kriegt. Was wir am meisten auf unserer Insel genießen, ist die Freiheit, die mit diesem Leben einhergeht. Das ist erholsam und macht uns zufrieden. Wir haben Glück gehabt. O-Ton Sue: Our forbears have all been there ... 2. Sprecherin: Unsere Vorfahren waren alle hier. Wenn du dein Haus anschaust und eine Wand siehst, weißt du, die hat einer deiner Vorfahren gebaut. Das ist unauslöschlich in dir drin und man kann das anderen schwer vermitteln. Wir sind ja nicht viele und man hält uns für niedlich und putzig. Hab ich nichts gegen. Ich bin gern putzig! (sie lacht) Atmo: Meeresbrandung, Möwen Absage: Nur der Krone untertan Die Kanalinsel Sark auf dem Weg ins dritte Jahrtausend Ein Feature von Hannelore Hippe Es sprachen: Sigrid Burkholder, Renate Fuhrmann, Thessy Kuhls, Jürg Löw, Claudia Mischke, Frauke Poolmann, Volker Risch, Ernst-August Schepmann und Christa Strobel Ton und Technik: Michael Morawietz und Jutta Stein Regie: die Autorin Redaktion: Hermann Theißen Eine Produktion des Deutschlandfunks, 2007. 7