COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Nachspiel, 26.12.2010 Wenn das Leben an den Fingerspitzen hängt Extremklettern ohne Seil Deutschlandradio Kultur Nachspiel, 26. Dezember 2010 Autor: Ernst Vogt Musik "Es hat damit zu tun, dass man in einer verbotenen Zone unterwegs ist, und wie als Kind reizt das Verbotene." Musik "Free Solo Klettern ist 100 Jahre alt und deshalb Klettern in seiner reinsten Form, weil die gesamte Verantwortung beim Akteur liegt, es gibt keinen doppelten Boden und kein Netz dabei." Musik "Bergsteigen ist ein extrem gefährlicher Sport und wenn ich dann auch noch bewusst auf das Seil zur Sichrung verzichte, schwebe ich vom ersten Moment an in absoluter Lebensgefahr. Das muss ich den jungen Kletterern immer wieder bewusst machen." Musik Spr.: Mitten in einer überhängenden Wand: ein Kletterer. Mit den Fingerkuppen hält er sich an zwei kleinen Felsschuppen fest, mit den Zehen steht er auf zwei winzigen Tritten. Darunter: zweihundert Meter Abgrund. Er trägt keinen Klettergurt, hat kein Seil dabei, nichts, was einen Absturz verhindern könnte. Sein Leben hängt an seinen Fingerspitzen. Mit dem heroischen Alpinismus eines Luis Trenker hat das nichts mehr zu tun, sagt Extremkletterer Alexander Huber aus Traunstein in Oberbayern. Es ist nicht der Berg, den man bezwingt, sondern das eigene Ich. Man muss sich selbst überwinden, seine eigene mentale Kraft." Spr.: Alexander Huber ist kein Verrückter, sondern Diplomphysiker, Bergführer und Kletterprofi. Er bringt sich immer wieder in Situationen, die jedem anderen Menschen Angst machen würden. Angst vor dem Abgrund, Angst vor dem Absturz. Es ist die kompromissloseste Art, sich mit einer steilen Felswand auseinanderzusetzen, meint der Südtiroler Extrembergsteiger Reinhold Messner. "Free Solo heißt: Ich habe kein Seil, ich habe keine Sicherung. Jeder Fehler ist tödlich. Wobei ich sage: Großen Respekt, aber das Klettern ist natürlich eine Geschichte, die auch Gefahren beinhaltet, wie ein ausbrechender Griff oder einen Fehler, den wir Menschen machen. Und ich wünsche mir, dass es nur jene tun, die wirklich die Qualität haben wie ein Alexander Huber, der das hundertprozentig kann, denn sonst tut er es nicht." Spr.: Die aufsehenerregendste Free-Solo-Tour von Alexander Huber war die Direttissima durch die Große-Zinne-Nordwand in den Dolomiten. Eine steile bis überhängende Dolomitmauer: 550 Meter hoch, kalt, furchteinflößend. Im Sommer 2002 nahm sich der bayerische Extremkletterer diese Herausforderung an. "Ich war erschreckt von der Dimension dieser Wand und hatte tiefe Ehrfurcht vor der Dimension des Vorhabens. Ganz wichtig ist es, dass man die Wand kennenlernt, dass eine Atmosphäre der Vertrautheit auftaucht. Deshalb funktioniert der Vergleich: Man lernt sich immer besser kennen wie seine Mitbewohner in einer WG. Erst wenn ich mich zuhause in der Wand fühle, bin ich in der Lage, ganz ohne Sicherung zu klettern." Spr.: Es war weder lausbubenhafter Übermut noch der Gedanke eines Hasardeurs, versichert der Kletterprofi, als er im Alter von 33 Jahren die Nordwand der Großen Zinne allein und ohne Seil in Angriff nahm. Aber er gibt zu, sich damit bewusst in eine Extremsituation begeben zu haben. "Es ist schon ein Wechselbad der Gefühle: einerseits schwarze Gedanken, wo man auch die Vorstellung hat, wie es ist, wenn man stürzt. Andererseits auch positive Gedanken: Ich weiß, wie die Kletterstellen gut zu lösen sind und wie ich die Angst kontrollieren kann. Das Wechselbad der Gefühle begleitet einen. Es ist die überlebensnotwendige Vorbereitung. Ich muss ein Gespür dafür entwickeln, was man gewinnt." Spr.: Alexander Huber bezeichnet seine psychische Situation vor dem Einstieg in die senkrechte Wand als einen Zweikampf der Emotionen. Der Weg zum Startpunkt dauerte eine Stunde lang - er legte ihn in wechselndem Tempo zurück, mal gehetzt wie ein wildes Tier, dann wieder ausgeglichen und ruhig. Er beschreibt diese Situation in seinem Buch "Free Solo": Zit.: "Ich sitze am Wandfuß der Direttissima und bin unschlüssig. Soll ich einsteigen? Tatsächlich hatte ich in den letzten Tagen Angst vor dem Absturz. Immer wieder kreisten meine Gedanken um den Moment, in dem ein Griff ausbricht, ich vom Felsen wegkippe, frei hinunterfalle. Was würde ich dabei wohl denken? Würde ich mich über den Fehlern ärgern, darüber, dass ich dieses Schicksal selbst gewählt habe? Oder würden alle Gedanken von der extremen Beschleunigung gelähmt werden?" Spr.: Selbst beim Einstieg war das Ringen der dunklen und der positiven Gedanken in ihm nicht zu Ende. "Als ich losgeklettert bin, war ich nicht befreit. 550 Meter über mir. Ich hatte das Gefühl, fremd gesteuert zu sein, keine runden Bewegungen zu machen und merkte bereits nach fünf Metern, das funktioniert so nicht. Bin ganz einfach wieder runtergeklettert." Spr.: Das Klettern ohne Seilpartner, ohne Gurt, ohne Sicherung, ohne Haken verlangt höchste Konzentration, aber auch höchste Entscheidungsfreiheit, gegebenenfalls den Versuch abzubrechen. Als Alexander Huber merkt, dass er am Beginn seines Vorhabens immer noch frei entscheiden kann, wird er gelöst und wagt einen zweiten Versuch. "Ich bin langsam losgeklettert, mit einer gewissen Nervosität. Bin Meter für Meter immer lockerer geworden. Man merkt, dass man seiner Kraft vertrauen kann und irgendwann kam der "Point of no return". Es war nur ein kleines Anhalten. Ich hab den Fuß gesetzt und bin übers Dach gestiegen. Und damit war die Entscheidung gefällt." Spr.: Die großen Kletterschwierigkeiten aber lagen noch vor ihm. In der riesigen Wand reduzierte sich die Welt des Traunsteiner Extrembergsteigers auf einen ganz kleinen Ausschnitt - der Abgrund ist ausgeblendet, an den Gipfel wird kein Gedanke verschwendet. "Die Welt reduziert sich auf die nächsten Quadratzentimeter des nächsten Klettergriffes. Wenn man unten steht, ist man von den Dimensionen erschlagen . In so einem Moment teilt man die Aufgabe in kleine machbare Aufgaben. Man sieht nicht mehr das große Ganze. Ich weiß, dass ich alle einzelnen Kletterzüge gut lösen kann." Spr.: Die einsame Tour in der Nordwand der Großen Zinne nimmt ein gutes Ende. Fast poetisch liest sich der Schluss in Alexander Hubers Buch: Zit.: "Wie von selbst steigt mein Körper nach oben, nimmt mich mit. Immer wieder ziehen kleine Wolken die Nordwand herauf, lassen die Berge rundherum im Grau verschwinden. Je weiter ich nach oben komme, umso ruhiger werde ich - wie ein Fluss, der sich nach der Unruhe in den Stromschnellen in den weiten Ebenen seines Deltas verliert." Musikakzent "Also ich war nicht dort, aber ich hätte mir das nicht anschauen können. Ich kenn' die Route vom Anschauen, vom Versuchen, und das ist etwas vom Eindrucksvollsten, was es in den Dolomiten gibt, wegen diesem mächtigen Abgrund." Spr.: Das sagt Reinhold Messner, der selbst in den Dolomiten als Extremkletterer neue Maßstäbe gesetzt hat. Aber das Free Solo von Alexander Huber stellt die bisherigen Leistungen in den Schatten. "Es ist ein Meilenstein in der Klettergeschichte. Es ist nicht der höchste Schwierigkeitsgrad, aber Free solo ist halt ein großer Unterschied. Und wenn ich in dieser Exposition bin, wenn alles überhängt, kaum eine Möglichkeit da ist zum Rasten. Nach 100 Metern ist der Abgrund absolut, du darfst nicht runterfallen, aber nach 300 Metern ist das Ganze mächtig überhängend, z.T. brüchig. Du hängst mit einer Hand frei in der Luft. Ich kann nur sagen: Respekt, Respekt." Spr.: Das Klettern allein und ohne Seil ist nicht unumstritten. Free-Solo ist eine eigene Welt. Eine fremde, manchmal schwer verständliche Welt. Auch bei den aktiven jungen Sportlern in einer Münchener Kletterhalle gehen die Meinungen auseinander. Umfrage in Kletterhalle Spr.: Seit hundert Jahren haben sogenannte Free-Solo-Touren einen hohen Stellenwert bei den Spitzenkletterern. Sie bringen Pluspunkte fürs Image und lassen sich auch gut vermarkten. Einer, der selbst vom Bergsteigen lebt, der Garmischer Stefan Glowacz, hält diese Entwicklung für kritikwürdig. "Jetzt, wo sich der Klettersport von einem Trendsport zu einem Breitensport entwickelt, haben wir eine enorme Verantwortung allen jungen nachfolgenden Kletterern gegenüber. Wir müssen uns als Kletterprofis überlegen, wie wir das Klettern darstellen. Ein grenzwertiges Thema ist dabei das Free Solo Thema, also der bewusste Verzicht des Seiles zur Sicherung eines Sturzes, also unsere einzige Lebensversicherung. Die wichtigste Lebensversicherung ist natürlich der Kopf, die Entscheidung, mache ich das oder nicht. Aber dann kann ich es noch zusätzlich absichern mit dem Seil. Verzichte ich darauf, bewege ich mich ab einer gewissen Höhe in absoluter Lebensgefahr, dessen muss ich mir bewusst sein." Spr.: Stefan Glowacz weiß, wovon er spricht. Er zählte selbst lange zur Kletterelite, ist als Vizeweltmeister von der Wettkampfbühne abgetreten und sucht jetzt seine Herausforderungen bei Kletterexpeditionen in den entlegensten Winkeln der Erde. Als junger Kletterer hat er seinen Vorbildern nachgeeifert, die schwierige Routen "free solo" geklettert sind. "Es hat mich auch beeinflusst in der Entscheidung, das ausprobieren zu wollen, ich wollte so sein wie sie. Ich bin auch zum Free-Solo-Klettern gegangen und habe das Rädchen immer weiter gedreht. Ich bin immer schwierigere Routen free solo geklettert, wo ich gedacht habe, ich bin unsterblich, weil es weit unter meinem Schwierigkeitsbereich lag, den ich drauf hatte. Und drum dachte ich auch, mir kann nichts passieren. Und dann bin ich mal beim Soloklettern in Kochel beim Trainieren aus acht Metern Höhe auf den Boden zurückgestürzt, weil mir ein Griff, den ich für hundertprozentig sicher hielt, ausbrach. Ich bin mit beiden Händen da dran und wie gegossen war dieser Fels, einfach die ganze Kante brach weg und ich stürzte unkontrolliert zu Boden, verletzte mich dabei schwer. Und beim Sturz dachte ich noch, was bin ich für ein Trottel, was bin ich für ein arroganter Idiot, mein Leben so fahrlässig aufs Spiel zu setzen." Spr.: Auch der Garmischer Profikletterer zählte zum Zeitpunkt seines Absturzes zu den Besten der Welt. Für ihn galt die Maxime: immer schwieriger, immer erfolgreicher. Er habe sich für "Jung-Siegfried" gehalten, unverwundbar. Und Stefan Glowacz gibt zu, dem ungesicherten Alleinklettern viel abgewonnen zu haben. "Es sind natürlich faszinierende Momente, weil man in einen Bewusstseinszustand kommt, den man im normalen Alltag so nicht provozieren kann. D.h. man ist glasklar, man bewegt sich in einer millimetrischen Welt, wo nur noch der nächste Schritt, der nächste Tritt zählt. es ist, als wenn man in Trance klettert, wie in einer Meditation. Und wenn man oben aussteigt, dann wacht man erst wieder aus dieser Meditation auf. Hat natürlich seinen Reiz, keine Frage. Ich kletterte damals den 10. Schwierigkeitsgrad, die Route lag im 8. Auch wenn mir ein Griff ausbrechen sollte, habe ich so viel Kontrolle über mich, dass ich immer noch reagieren kann. Aber das war nicht der Fall. Ich hab' mich da sauber verspekuliert." Spr.: Glück für den Kletterstar, dass die Fallhöhe nur acht Meter betrug, und dass er zwischen zwei Felsbrocken landete. Doch die Folgen waren schlimm genug. "Ich bin auf dem Boden aufgeschlagen und hab sofort gemerkt, dass ich mich schwer verletzt habe. Ich hab mir kompliziert die Ferse zertrümmert, ich hab mir an beiden Knien die Menisken eingerissen, das Handgelenk gebrochen, schwere Prellungen, und lag da oben alleine. Ich bin auf allen Vieren durch den Wald zwei Stunden zurückgekrochen, ich hab zum Glück nicht so viele Schmerzen gehabt, weil ich unter Schock stand, und bin dann zur Forstraße runtergekrochen, und habe gewartet, bis mal Menschen kamen. Da kamen zwei Damen, die ich um Hilfe gebeten habe. Die wollten weitergehen, und erst als ich sagte, ich zeige sie an wegen unterlassener Hilfeleistung, sind sie zurückgegangen. Es war ein schreckliches Erlebnis bis zuletzt." Spr.: Der Garmischer Extremkletterer ist wieder zurückgekehrt an den Fels, bestreitet seinen Lebensunterhalt weiterhin als Bergprofi und hält Motivationsvorträge, u.a. auch für die deutsche Fußballnationalmannschaft. Aber eines hat sich für ihn grundlegend geändert. "Seit diesem Augenblick bin ich auch nie mehr eine Route solo geklettert. Ich versuche immer, mich zu sichern, weil ich in diesem Moment gemerkt hab, wie wertvoll das Leben ist und wie fahrlässig ich es aufs Spiel gesetzt hab." Musik Spr.: Als geistiger Vater des Free-Solo-Kletterns gilt Paul Preuß. Er war einer der besten Kletterer vor dem Ersten Weltkrieg. 1911 schaffte er die schwierigste Route der damaligen Zeit, die Piazführe an der Westwand des Totenkirchls im Wilden Kaiser, allein in nur wenigen Stunden. Sein Credo am Berg lautete: Zit.: "Die Lösung irgendeines Problems hat nur dann einen Wert, wenn sie selbständig, d.h. ohne künstliche Hilfsmittel, durchgeführt wird. Das scheint mir oberstes Prinzip beim Alpinismus wie beim Klettersport zu sein." Spr.: Der kompromisslose Paul Preuß ist das prominenteste Opfer des Free-Solo- Kletterns. "Auch Paul Preuß selber ist 1913 abgestürzt. Niemand kann verantwortlich gemacht werden, nicht ein schlechter Haken, nicht ein schlechtes Seil, nicht ein schlechter Partner, niemand ist verantwortlich außer man selber. Und gerade diese Radikalität, dass die gesamte Verantwortung bei einem selber liegt, auch nicht beim Richter und beim Gesetzgeber, sondern bei einem selber, das gehört wesentlich zu dieser Philosophie dazu." Spr.: Die Philosophie des freien Alleingangs am Berg hat sich geändert. Free solo entspricht heutzutage dem Bild, wie wir es von Hochglanzfotos her kennen: Der Kletterer hängt in der Wand, ohne Seil, ohne Karabiner, ohne Rucksack. Er hat vielleicht einen Magnesiabeutel am Gürtel hängen und einen Energieriegel oder ein Stück Schokolade dabei. Vor zwei, drei Jahrzehnten, zu Reinhold Messners Pionierzeit in den Dolomiten, war es anders. "Ich hatte bei meinen Sologängen meistens Seile mitgenommen. Ich hätte abseilen können. Ich habe immerhin 1000-Meter-Wände geklettert. Z.B. die Langkofel-Nordwand. Ausgerechnet in einer Solotour will ich einen Haken schlagen, in einer relativ schwierig-brüchigen Passage, um mich ein kleines Stückchen weit zu sichern, da bricht mir der Hammer und ich konnte damit den Haken nicht schlagen, ich konnte damit nicht abseilen, sondern ich hatte nur die Möglichkeit, frei und ruhig nach oben zu klettern. Im ersten Moment bin ich erschrocken. Es wurde mir klar, abklettern kann ich das nicht. Jetzt muss ich nach oben gehen und ich wurde ganz ruhig. D.h. mein Unterbewusstsein hat mich auf absolute Ruhe gestellt und damit konnte ich die Passage sauber klettern, sonst wäre ich nicht da." Spr.: Auch Messners Südtiroler Landsmann und späterer Seilpartner Hanspeter Eisendle hat am Langkofel unvergessliche Free-Solo-Erfahrungen gesammelt. Als Schüler der Kunstschule St. Ulrich im Grödnertal ist er nachmittags auf den ihm unbekannten Berg gestiegen, allein, ohne Seil und ohne Karte. Dieses Erlebnis hat sich ihm so stark eingeprägt, dass er es Jahrzehnte später noch detailgenau abrufen kann. "Ich kann mich sogar noch an Schlüsselstellen in einem Kamin erinnern, die Griffkombinationen, wie ich sie dort gewählt habe und die Erkenntnis, wie man beim sogenannten Amphitheater beim Abstieg hinausfindet." Spr.: Gerade beim Alleinklettern gewinnt der Leiter einer Südtiroler Bergschule den Gipfeln einiges ab. "Das gibt eine Riesenenergie fürs Leben. Ich hab mir die Energie und die Kreativität aus den Bergen geholt und dann immer versucht, das in den Alltag umzusetzen." Spr.: Ähnlich sieht es Günther Härter aus Bayern, der 2. Vorsitzende des Verbandes deutscher Berg- und Skiführer. "Das Bergsteigen selbst ist schon mit unerhörter Erlebnistiefe verbunden. Deshalb gehen wir auch in die Berge, weil wir dort Erfahrungen finden, die uns im Tal vorbehalten bleiben: das intensive Eintauchen in die Natur. Beim Klettern ist dieses Gefühl noch einmal gesteigert. Und die absolute Steigerung, der Endpunkt, ist es, wenn man alleine am Berg unterwegs ist." Spr.: Der Mittfünfziger bekommt glänzende Augen, wenn er von seinen extremen Touren erzählt, die er mit gerade mal 20 Jahren unternommen hat. Nicht immer ist alles glatt gegangen bei seinen Soloklettereien. Z. B. an der Schüsselkarspitze im Wettersteingebirge, in einer 450 Meter hohen Wand; die ersten 300 Meter davon sind überhängend. "Da war ich in der letzten überhängenden Seillänge. Musste mich an Holzkeilen in einem Riss nach oben arbeiten und ich war schon fast ganz oben, dann hatte ich das Gefühl der Schwerelosigkeit und wusste, mir ist ein Holzkeil gegangen. Und ich hab noch mitbekommen, dass die Holzkeile nacheinander herausgezogen wurden durch meinen Sturz." Spr.: Günther Härter hatte Glück im Unglück. Er kam auf einer relativ flachen Felsplatte auf, war nur kurz bewusstlos und konnte nach oben weiterklettern. Allerdings hat er daraus seine Lehren gezogen. "Man macht sich immer Gedanken und vor allem, wenn man eine Situation erlebt, die nahe am Tod war. Man reflektiert das stark und meine Konsequenz war, dass ich sehr grimmige Routen nicht mehr alleine gegangen bin." Musik Spr.: Alexander Huber ist nicht der einzige Free-Solo-Kletterer der Gegenwart, aber einer, der es immer wieder geschafft hat, Neuland zu betreten. Schon Paul Preuß hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts gefordert: Zit.: "Wenn man irgendwo nicht hinunter kann, soll man auch nicht hinauf." Spr.: In diesem Sinne suchte sich Alexander Huber eine besondere Herausforderung im Montblanc-Gebiet. Free solo auf den 3838 Meter hohen Grand Capucin hinauf- und über dieselbe Route wieder herunterzuklettern. Eine Herausforderung, deren Ausmaß anhand der Beschreibung seiner persönlichen Eindrücke nur zu erahnen ist: Zit.: "Ich stehe völlig frei und allein auf dem schwierigsten Gipfel der Alpen. Es gibt keine Sicherheit, die von außen kommt. Ich selbst trage für meine Sicherheit die Verantwortung. Diese Gewissheit kostet Kraft, viel Kraft. Der Gipfel kommt mir wie eine verbotene Zone vor. Ich sitze oben und um mich herum ist nichts anderes als senkrechte Wände, die in die Tiefe ziehen. Und hier soll ich wieder runter ... Es kostet mich Überwindung, wieder in die Senkrechte zurückzukehren - dieser kurze Moment, an dem man scheinbar den Boden unter den Füßen verliert. Dann bin ich wieder in der Welt der Bewegung, voll konzentriert geht es nach unten. Langsam, wesentlich langsamer als auf dem Weg nach oben. Aber es geht." Spr.: Warum tut er sich das an, Alexander Huber, der mittlerweile Vater einer kleinen Tochter ist? Kann er das verantworten seiner Familie gegenüber? "Ich will ja selbst überleben und bin mir der Verantwortung bewusst. Es wird einem oft eine Todessehnsucht nachgesagt, genau das Gegenteil ist der Fall. Ich will ja leben. Ich will dieses Leben ganz intensiv spüren und deswegen mache ich das." Spr.: Der Traunsteiner Extremkletterer sammelt ganz besondere Augenblicke in seinem Leben, solche, die von einer ganz seltenen Qualität sind. "Die Intensität ist so groß, die stellt alles in den Schatten. Da gibt's keine Gedanken an die Vergangenheit, in die Zukunft hinein, sondern man lebt in diesem Moment und deshalb ist es auch so etwas Unvergessliches. Ich hab's schon oft als schöne, reich bebilderte Seite im Buch meiner Erinnerungen bezeichnet. Das ist für mich das, was mein Leben wertvoll macht." Spr.: Leben heißt für Extrembergsteiger Überleben. Auch wenn "Free Solo" ein Klettersport ohne Netz und doppelten Boden ist, so könnte sich jedenfalls Reinhold Messner vorstellen, das Risiko zu verringern. "Ich hätte nichts dagegen, wenn es jemand so macht wie Todd Skinner, der einen Schirm getragen hat. Aber die guten Amerikaner sind bis auf einen jungen leider alle abgestürzt - die Serie von Abstürzen bei Solo-Kletterern ist sehr hoch." Spr.: Vor einem gefährlichen Nachahmer-Effekt warnt Kletterprofi Stefan Glowacz, der den Erfolg bei der Vermarktung von Klettererlebnissen nicht an die Waghalsigkeit des Tuns gekoppelt sehen möchte. "Ich sehe es sehr bedenklich, wie dieses Soloklettern jetzt vermarktet wird und teilweise auch kritiklos von den Medien aufgenommen wird und zu einem Spektakel degradiert wird. Ohne sich der Vorbildfunktion gegenüber der jüngeren Generation bewusst zu werden. Und da sehe ich eine sehr bedenkliche Entwicklung auf uns zukommen, obwohl die Leistungen, die dort erbracht werden, außer Frage stehen, finde ich die kritiklose Darstellung dieses Themas absolut falsch." Spr.: Free-Solo-Klettern mag verrückt wirken, hochmütig, größenwahnsinnig. So mancher Protagonist dieser zwiespältigen Leidenschaft egoistisch und fanatisch. Wer es gemacht und überlebt hat, zehrt vom Zauber der besonderen Momente. Aber auch die Besten der Zunft schätzen ihre eigene Angst als überlebensnotwendigen Ratgeber gegenüber der nicht wegzuleugnenden Gefahr. "Diese Gefahr ist immer da, und ich würde auch allen Free-Solo- Kletterern - mich eingeschlossen - empfehlen, das nicht zur Gewohnheit werden zu lassen, dass man diese Gefühle nicht allzu oft aufkommen lässt." Spr.: Reinhold Messner geht sogar noch weiter als sein Landsmann Hanspeter Eisendle. Er vergleicht die Akrobaten in der senkrechten Felswand mit Profisportlern anderer Disziplinen und empfiehlt. "Die anderen Sportler steigen auch alle aus, weil sie sagen, ich mach keine gute Figur mehr auf dem Fußballplatz mit 40. Oder ich schaffe es einfach nicht mehr, diese Geschwindigkeit zu fahren in der Abfahrt wie Hermann Maier. Ich glaube, dass diese großartigen Kletterer wie Alexander Huber jetzt tadellos das Recht hätten, bis zu ihrem Lebensende zu sagen: Solche Free- Solo-Touren mache ich nicht mehr. Ich stehe dazu, ich war sicher, aber ich bin keine Maschine und mache das nicht mehr." 1) CD 54067 (BR-Archiv), Tony Fernandez & Rick Wakeman, Zodiaque, Take 8 "Libra", LC 1421, Bellaphon Records, 1'25 2) CD 54067 (BR-Archiv), Tony Fernandez & Rick Wakeman, Zodiaque, Take 11 "Taurus", LC 1421, Bellaphon Records, 1'03 3) C 132037 (BR-Archiv), Saltimbanco, Cirque du Soleil, LC 01846, Take 9, Pokinoi, 0'40 4) CD 75610 (BR-Archiv), Pink Floyd, Delicate Sound of Thunder, LC 0542, EMI, Take 2, "Time", 0'35 5) C 139631 (BR-Archiv), The Alan Parsons Project, Sony BMG Music Entertainment, LC 03484, Take 8, "Mammagamma" 2'20 1